Die wichtigsten Philosophen - Anton Grabner-Haider - E-Book

Die wichtigsten Philosophen E-Book

Anton Grabner-Haider

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Beschreibung

In 100 biographisch-werkgeschichtlichen Porträts werden maßgebende Vertreter abendländischen Denkens in ihrer Lebensgeschichte, ihren wesentlichen Gedankengängen und Wirkungen vorgestellt, die unser heutiges Philosophieverständnis prägen.Damit erweist sich dieses Werk als überaus nützliches Handbuch, in dem kurz und prägnant die wichtigsten Fakten zu den großen Denkern von der Antike, mit Aristoteles und Platon, über Descartes, Kant und Nietzsche bis hin zu den Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, von Sartre über Porter zu Habermas zusammengetragen sind. Der Leser gewinnt eine konzise Auskunft auf Fragen, die in den heute stattfindenden Diskussionen seines Lebensumfelds immer wieder auftauchen und ohne einen solchen Leitfaden nicht zu denken oder weiterzudenken wären.

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Univ. Prof. Dr. ANTON GRABNER-HAIDER, geb. 1940 in Pöllau, war nach seinem Studium der katholischen und evangelischen Theologie in Tübingen, Bonn, Münster, Wien und Graz und seiner Habilitation für Philosophie viele Jahre als Verlagslektor des Styria Verlages für den Bereich Religion und Theologie tätig. Gleichzeitig lehrte er als Professor für vergleichende Religionswissenschaften und Philosophie an der Universität Graz. Er ist zudem Autor und Herausgeber von rund 40 religionswissenschaftlichen und theologischen Fach- und Sachbüchern.

Zum Buch

Die wichtigsten Philosophen

In 70 biographisch-werkgeschichtlichen Porträts werden maßgebende Vertreter abendländischen Denkens in ihrer Lebensgeschichte, ihren wesentlichen Gedankengängen und Wirkungen vorgestellt, die unser heutiges Philosophieverständnis prägen.

Damit erweist sich dieses Werk als überaus nützliches Handbuch, in dem kurz und prägnant die wichtigsten Fakten zu den großen Denkern von der Antike, mit Aristoteles und Platon, über Descartes, Kant und Nietzsche bis hin zu den Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, von Sartre über Rorty zu Habermas zusammengetragen sind. Der Leser gewinnt eine konzise Auskunft auf Fragen, die in den heute stattfindenden Diskussionen seines Lebensumfelds immer wieder auftauchen und ohne einen solchen Leitfaden nicht zu denken oder weiterzudenken wären.

Anton Grabner-HaiderDie wichtigsten Philosophen

Anton Grabner-Haider

Die wichtigstenPhilosophen

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012Projektbetreuung: Verlagsagentur Mag. Michael Hlatky, A-8071 VasoldsbergCovergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH nach der Gestaltung von Thomas Jarzina, KölnBildnachweis: Fotografie von Hannah Arendt, zur Verfügung gestellt von Frau Käte Fuerst, Ramat Ha-Sharon, Israel, mit freundlicher Genehmigung der Stadt HannovereBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0213-0

www.marixverlag.de

INHALT

Autorenverzeichnis/Beiträge

Einleitung

I.  EUROPÄISCHE KULTUR

1. Pythagoras

2. Heraklit von Ephesos

3. Parmenides

4. Empedokles

5. Sokrates

6. Demokrit

7. Plato

8. Aristoteles

9. Epikur

10. Zenon von Kition

11. Plotin

12. Aurelius Augustinus

13. Albertus Magnus

14. Thomas von Aquin

15. Wilhelm von Ockham

16. Nikolaus von Kues

17. Niccolò Machiavelli

18. Erasmus von Rotterdam

19. Michel de Montaigne

20 Giordano Bruno

21. Thomas Hobbes

22. René Descartes

23. Blaise Pascal

24. Benedikt de Spinoza

25. John Locke

26. Isaac Newton

27. Gottfried W. Leibniz

28. Charles Louis Montesquieu

29. (François Marie Arouet) Voltaire

30. David Hume

31. Jean-Jacques Rousseau

32. Adam Smith

33. Immanuel Kant

34. Johann Gottlieb Fichte

35. Georg Wilhelm Friedrich Hegel

36. Friedrich Wilhelm Schelling

37. Arthur Schopenhauer

38. Auguste Comte

39. Ludwig Feuerbach

40. John Stuart Mill

41. Sören Kierkegaard

42. Karl Marx

43. Wilhelm Dilthey

44. Friedrich Nietzsche

45. Edmund Husserl

46. Bertrand Russell

47. Karl Jaspers

48. Ludwig Wittgenstein

49. Martin Heidegger

50. Karl R. Popper

51. Jean-Paul Sartre

52. Albert Camus

53. John Rawls

54. Jürgen Habermas

55. Richard Rorty

II. JÜDISCHE KULTUR

1. Philo von Alexandria

2. Salomo ibn Gabirol

3. Moses ben Maimon

4. Lewi ben Gerson

5. Moses Mendelssohn

6. Martin Buber

7. Ernst Bloch

8. Franz Rosenzweig

9. Walter Benjamin

10. Max Horkheimer

11. Theodor W. Adorno

12. Hannah Arendt

13. Emmanuel Levinas

14. Jean-François Lyotard

15. Jacques Derrida

Zu den Autoren

Literatur

AUTORENVERZEICHNIS/BEITRÄGE

Esterbauer, Reinhold:

M. Heidegger; J.F. Lyotard; M. Buber.

Grabner-Haider, Anton:

Pythagoras; Sokrates; Plato; Aristoteles; Zenon von Kition; Plotin; Aurelius Augustinus; Thomas von Aquin; Nikolaus von Kues; Erasmus von Rotterdam; R. Descartes; G.W. Leibniz; J.J. Rousseau; I. Kant; J.G. Fichte; F.W. Schelling; G.W. Hegel; A. Comte; B. Russell; L. Wittgenstein; E. Bloch; M. Horkheimer; A. Smith; D. Hume; Philo von Alexandria; Salomo ibn Gabirol; Moses ben Maimon; Lewi ben Gerson; Moses Mendelssohn; F. Rosenzweig; H. Arendt; Th. Adorno; S. Kierkegaard; J.P. Sartre; E. Husserl; B. Pascal; G. Bruno; W. Dilthey; W. Benjamin; A. Camus; M. de Montaigne; Ch. L. de Montesquieu; E. Levinas; J. Derrida; J. Rawls; R. Rorty; J. Habermas.

Heimerl, Theresia:

Albertus Magnus; W. von Ockham.

Von der Hellen, Roswitha:

Benedikt de Spinoza; F. Voltaire.

Ruckenbauer, Walter:

J.St. Mill; F. Nietzsche.

Salamun, Kurt:

K. Marx; K. Jaspers; K.R. Popper; N. Machiavelli.

Weinke, Kurt:

Heraklit; Parmenides; Empedokles; Demokrit; Epikur; Th. Hobbes; J. Locke; F. Bacon; A. Schopenhauer; L. Feuerbach

EINLEITUNG

Philosophen haben als systematische Sucher nach Lebensweisheit und nach bewährtem Wissen in allen Regionen der Erde wesentlich zur Kulturentwicklung und zu den kulturellen Lernprozessen beigetragen, indem sie nach den Anfängen der Welt, nach den Gesetzen der Natur, nach den Regeln des gelingenden Zusammenlebens, nach den Formen unserer Erkenntnis und nach den moralischen Werten fragten. So gelang es ihnen in kleinen Schritten, die mythische Weltdeutung durch eine rationale Interpretation des Daseins abzulösen.

In diesem Buch werden die wichtigsten Philosophen der europäischen und der jüdischen Kultur in kurzen Porträts dargestellt. Dabei wird versucht, ihre grundlegenden Ideen und ihre Weisen der Weltdeutung umfassend in den Blick zu bekommen. Die Texte sind auf die wesentlichen Theorien und Sichtweisen konzentriert und allgemein verständlich verfasst. Sie wollen einem breiten Bildungspublikum die Grundideen der philosophischen Weltdeutung zugänglich machen.

Einen Schwerpunkt bilden die Philosophen der griechischen Antike, da es sich gezeigt hat, dass die Sophisten und die Sokratischen Schulen (Stoiker, Kyniker, Epikuräer) zu den Vordenkern der allgemeinen Menschenpflichten und Menschenrechte geworden sind. Im Gegensatz dazu konnten die aristokratischen Denker Plato und Aristoteles sich nicht darauf einigen, dass aufgrund einer allgemeinen Menschennatur alle Menschen und soziale Schichten den gleichen Wert haben.

Weitere Schwerpunkte liegen bei den Denkern der europäischen Aufklärung, die den umfassendsten Lernprozess der europäischen Kultur angestoßen und getragen haben. Im modernen und postmodernen Denken werden die jüdischen Philosophen in besonderer Weise berücksichtigt, denn sie bewältigten den Schock des Holocaust bzw. der Shoah auf mitfühlende und kreative Weise. Der jüdischen Kultur werden diejenigen jüdischen Denker zugeordnet, welche in ihren Ideen Bezug auf die jüdische Mythologie – auch in säkularisierter Form – genommen haben.

So haben sich die meisten Denker der postmodernen Kultur auf eine Vielfalt der philosophischen und wissenschaftlichen »Sprachspiele« eingestellt, ohne dabei die Frage nach der Wahrheit ganz aus dem Auge zu verlieren. Auch die Fragen nach Religion und Metaphysik bleiben weiterhin offen. Sie gewinnen in letzter Zeit stark an Aktualität, und vermutlich bewegen wir uns in der nächsten Zukunft immer deutlicher zwischen den naturalistischen und den religiösen Weltdeutungen (J. Habermas).

Graz, Sommer 2006

I.

EUROPÄISCHE KULTUR

1. PYTHAGORAS (6. JH. V. CHR.)

Er ist der erste Vordenker einer philosophischen Schule, die im 6. Jahrhundert in Unteritalien entstand. Geboren wurde er um 570 v. Chr. auf der Insel Samos, die wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu Ägypten unterhielt. Er wanderte in die griechische Kolonie Kroton aus, wo er die Herrschaft des Landadels unterstützte. Dort wirkte er an der Gesetzgebung und Verfassung der Stadt mit, er schuf ein Münzsystem und entwarf die Prägung der Münzen. Von daher dürfte sein Interesse an der Ordnung der Zahlen kommen.

Seine Lehren wurden mündlich überliefert, denn er verfasste keine Schriften. Seine Schüler schlossen sich zu Bünden (heteriai) zusammen, die hierarchisch gegliedert waren. Sie standen vereinzelt auch Frauen offen, so wird seine Tochter Theano als Mitglied erwähnt. Die zentralen Lehrinhalte mussten geheim bleiben. Die Bünde bestanden aus zwei Gruppen: a) Die Akusmatiker folgten der neuen Lebensform, sie waren in politischen Fragen konservativ. b) Die Mathematiker kannten darüber hinaus die philosophischen Lehren und waren für Neues offen. Die Lehre bestand zum einen aus einem mathematisch-wissenschaftlichen Teil, zum anderen aus religiösethischen Inhalten.

Nach dieser Lehre wirkt in jedem Menschen eine unsichtbare Seelenkraft (psyche), die nach dem Tod des Körpers fortlebt. Sie kann sich im Traum und in der Ekstase vom Körper trennen und ist das wahre Wesen eines Menschen. Wie ein Hauch wird sie gesehen, gehört aber zum Bereich des Göttlichen. Sie wird in mehrere Körper hineingeboren und folgt damit einem Kreislauf der Geburten (kyklos tes genneseos), um zuletzt wieder in die Region des Göttlichen zurückzukehren. Ähnliches lehrten auch die Gemeinschaften der Orphiker.

Die Seelenkraft muss sich in jedem Leben von den Folgen böser Taten reinigen. Diese Reinigung erfolgt zum einen durch die asketische Lebensform, zum anderen durch die wissenschaftlichen Bemühungen. Askese bedeutet den zeitweiligen Verzicht auf lustvolle und lebensnotwendige Erfahrungen. Das Fleisch von Tieren darf nicht gegessen werden, denn es könnte die Seele eines Freundes darin wiedergeboren sein. Deswegen lebten die Mitglieder der Schule vegetarisch. Die Einzelseele gehört dem beseelten Universum an, somit ist alles Lebendige miteinander verwandt. Jede Seele kann sich durch Askese und Wissenschaft dem göttlichen Bereich nähern, aus dem sie kommt. Sie wandert aber durch mehrere Leben, um dieses Ziel zu erreichen.

Kosmos und Menschenwelt werden durch die göttliche Ordnung geprägt. Diese zeigt sich uns Menschen in der Ordnung der Musik (harmonia), der Mathematik, des Kosmos und des Staates. In der Theorie (theoria) schauen die Menschen die göttliche Ordnung, so wie in den Kulten die Mysten den sterbenden und auferstehenden Gott schauen. Wer die göttliche Ordnung erfasst, wird dem Göttlichen ähnlich. Diese Ordnung aber drückt sich in Zahlen aus, die unser ganzes Leben regeln, da sich in ihnen die Ordnung der gesamten Wirklichkeit verkörpert.

In der Musik lässt sich die Ordnung der Töne durch Zahlenverhältnisse ausdrücken, sie hängt von der Länge der schwingenden Saiten ab. Wie in der Musik, so lässt sich auch das Wesen der gesamten Wirklichkeit durch die Zahlenverhältnisse darstellen. Begrenztes und Unbegrenztes sind die Anfänge (archaia) aller Dinge. Damit gilt die Zahl als die Wesensform aller Dinge, die Mathematik wird zur primären Methode für die Erforschung der Wirklichkeit. Die natürlichen Zahlen werden in gerade und ungerade eingeteilt; allgemein werden Zahlen als Konfigurationen von Punkten innerhalb geometrischer Schemata aufgefasst. Die gesamte Wirklichkeit folgt den Strukturen der Vernunft, sie ist folglich durch die Zahlenverhältnisse darstellbar.

Nach der Lehre der Pythagoräer brennt im Mittelpunkt des Weltsystems ein Zentralfeuer (pyr meson), das nicht die Sonne ist. Die Erde hat die Gestalt einer Kugel und dieselbe Beschaffenheit wie der Mond. Die mathematische Ordnung ist das Wesen der Wirklichkeit, und die mathematischen Einheiten sind ihre Bausteine. Das Werden der Welt lässt sich als das Werden der Zahlen verstehen. Die mathematischen Einheiten kommen aus einer kosmischen Einheit. Alles Einzelne muss sich der universalen Ordnung der Wirklichkeit unterwerfen, dies gilt auch für das Leben der Menschen.

Die Harmonie der Ordnung muss folglich im menschlichen Handeln verwirklicht werden. Hinter der kosmischen Ordnung verbirgt sich ein göttlicher Wille bzw. eine göttliche Weltregierung. Überhaupt hat die universale Ordnung göttlichen Charakter, denn das Göttliche ist für uns Menschen immer das Größere, Stärkere und Lichtvolle. Die pythagoräischen Bünde waren gemäß einer hierarchischen Ordnung mit einer aristokratischen Verfassung organisiert. Das Verhalten der Mitglieder wurde streng kontrolliert, auf diese Weise musste »dem Recht beigestanden« und das Unrecht bekämpft werden.

Auch das Wesen der menschlichen Tugend ist durch Zahlen darstellbar, denn die Seele und der Verstand sind Eigenschaften von Zahlen, die einzelnen Teile der Seele stehen in harmonischem Verhältnis. Die Tugend wird dann gelebt, wenn sich die menschliche Seele in die Harmonie der Gesamtwirklichkeit einfügt. Die Seele nähert sich dem Göttlichen, wenn sie die Tugend verwirklicht und sich vom Bösen fernhält. Alles Lebendige ist miteinander verwandt. Die Gesundheit des Körpers wird von den Ärzten (z. B. Alkmaion) als Gleichberechtigung (isonomia) der gegensätzlichen Kräfte verstanden.

Als Organ des menschlichen Denkens wird das Gehirn angenommen. Die Sinnesorgane übertragen die Reize der Außenwelt zum Gehirn, dabei verändert sich der Druck auf die einzelnen Sinnesnerven. Es wird bereits zwischen dem Wahrnehmen (aisthanesthai) und dem Verstehen (xynienai) unterschieden. In dieser frühen Denkerschule entfalten sich die mathematische und die naturwissenschaftliche Forschung im Kontext einer großen religiösen und ethischen Lebensordnung. Der weise Mensch muss sich in die kosmische Ordnung einfügen.

So hat die Schule der Pythagoräer die antike Wissenschaft entscheidend geprägt, ihre Wirkungen sind bis in die europäische Neuzeit hinein zu erkennen. Im 4. Jh. v. Chr. hat sich diese Schule aufgelöst, doch 200 Jahre später wurde sie als neupythagoräische Schule wieder gegründet (Apollinios vom Tyana, Nikomachos von Gerasa). Sie prägte das Denken der Spätantike und des frühen Christentums. Eine asketische Lebensordnung wurde mit dem Streben nach Wissen und nach kosmischer Harmonie verbunden.

Werke:Keine Schriften, nur Berichte anderer Philosophen.

2. HERAKLIT VON EPHESOS (535–475 V. CHR.)

Wegen der Unmöglichkeit einer absolut sicheren Datierung seines Lebens nimmt man an, dass seine philosophische Blütezeit zwischen 500 und 490 v. Chr. lag – dies bedeutet, dass er jünger war als Xenophanes (den er auch mit Namen erwähnt) und älter als Parmenides (der vielleicht sogar als sein heftigster Kritiker angesehen werden kann).

Herakleitos stammte aus vornehmem Geschlecht (seine Familie führte ihren Stammbaum auf König Kodros von Athen zurück) und blieb auch zeit seines Lebens stets einer extrem aristokratischen Gesinnung treu, weswegen er auch seiner Heimatstadt, die eine für ihn unerträgliche demokratische (besser gesagt: ochlokratische) Verfassung aufwies, den Rücken kehrte. Den offiziellen Anlass dazu bot die Ausweisung seines Freundes Hermodoros mit der Begründung, in Ephesos solle es keine den Durchschnitt überragenden Bürger geben. Er zog sich in das Gebirge zurück und soll sich (nach Diogenes Laertius IX, 1) von Gras und Pflanzen ernährt haben; dieser Lebensweise wird auch seine Wassersucht zugeschrieben, weswegen er doch wieder nach Ephesos zog, um die Ärzte zu fragen, ob sie aus Überschwemmung Dürre machen könnten. Da aber kein Arzt verstand, was er damit meinte, grub er sich selbst in Kuhmist ein, in der Hoffnung, die Wärme des Mistes werde das Wasser verdunsten lassen. So rätselhaft wie seine Frage an die ephesischen Ärzte klang, so rätselhaft erschien er auch späteren Interpreten, die ihm das Epitheton »der Dunkle« verliehen, genauso wie er auch seinen Zeitgenossen und späteren Interpreten als Misanthrop vorkam. Die Tatsache, dass er sich selbst durch Eingraben in Kuhmist heilen wollte, hat nicht nur zu Spott geführt, sondern bekommt einen tieferen Sinn, wenn man seine Ansicht, dass es für Seelen den Tod bedeutet, zu Wasser zu werden, zugrunde legt.

Es ist bedauerlich, dass dieser große Denker, der in mehrfacher Hinsicht einen philosophischen Paradigmenwechsel durchführte, keine eigene Schule gründete und somit bis auf Kratylos (dem bekanntlich Platon einen eigenen Dialog widmete) kein weiterer Heraklit-Jünger von Rang und Namen bekannt ist.

Wie bereits erwähnt, galt Heraklit in der Antike als »der Dunkle«, und in der Tat waren viele seiner Aussprüche kryptisch und somit schwer verständlich oder offen für mehrere Interpretationen und bewusste Umdeutungen. Platon und Aristoteles (die kaum wörtliche Zitate Heraklits benutzten) lehnten seine Ansichten strikt ab. So etwa spannte ihn Aristoteles auf das Prokrustes-Bett seiner rigiden Logik, womit er Heraklit Gewalt antat, und Platon, der Anhänger von Parmenides, konnte mit seiner dynamischen Weltauffassung wenig anfangen.

Ein Zitat aus Aristoteles (de mundo 5, 396 620) soll verdeutlichen, dass Heraklit mit Gegensatzpaaren etwas anderes meinte als Aristoteles mit der Contradictio: »Verbindungen: Ganzheiten und keine Ganzheiten, Zusammentretendes – Auseinandertretendes, aufeinander abgestimmt Klingendes – nicht aufeinander abgestimmt Klingendes; aus allem eins und aus einem alles«; heute würde man zutreffenderweise von Komplementaritäten sprechen und nicht (wie Aristoteles) von Kontradiktionen.

Zwei Fragmente, die in der Hermeneutik zu Heraklit kontrovers interpretiert wurden (und werden), betreffen seine Einstellung zum Krieg: »Man sollte wissen, dass der Krieg etwas Allgemeines und Recht Streit ist und dass alles nach Maßgabe von Streit und Notwendigkeit geschieht« (Fragment 80), sowie »Krieg ist von allem der Vater und von allem der König, denn die einen erwies er als Götter, die anderen als Menschen, die einen machte er zu Sklaven, die anderen zu Freien« (Fragment 53). In erster Näherung denkt man dabei an den Krieg (im Wortsinne), da aus Fragment 53 eindeutig hervorgeht, dass sich als ein Ergebnis eines Krieges die Tatsache des Siegers und der Besiegten mit einer neuen Machtkonstellation ergibt. So gesehen wäre Heraklit ein simpler Verfechter von Krieg und Gewalt gewesen. Die andere Näherung sieht im Begriff »Krieg« bloß eine Metapher für Veränderung, für ein Prinzip der Komplementarität, auch für ein physikalisches Modell, dass »aktiv« und »reaktiv« stets »im Streit« miteinander liegt und sich aufgrund einer stärkeren Wirkung der einen oder anderen Kraft auch ein geänderter Endzustand ergibt. Vielleicht wollte er damit auch ein schwer zu deutendes Diktum Anaximanders fortführen, wonach die Dinge einander Vergeltung für die Ungerechtigkeit der wechselseitigen Übergriffe zu zahlen haben.

Vor allem aber hat sein sog. »Fluss-Gleichnis« große Interpretationsprobleme aufgeworfen; es lautet: »Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und immer wieder andere Gewässer zu … [Der Fluss] zerstreut und … bringt zusammen … sammelt sich und fließt fort … nähert sich und entfernt sich« (Fragment 12) und ist allgemein als »panta rhei-Prinzip« bekannt. Vielleicht tat man sich mit der Vorstellung des »panta rhei« stets deshalb so schwer, weil die Betonung des dynamischen Aspekts in der Natur mit ihm aufkam und (mit Kratylos vielleicht) auch wieder verschwand. Denn es war Parmenides – vor allem sein Beweis, dass die Sinne trügerisch seien – mit seiner statischen Ausrichtung des Denkens, der auf Platon, Aristoteles und die gesamte folgende Geschichte der Philosophie in Griechenland den größten Einfluss ausübte.

Wenn man das »panta rhei« nicht sensu strictu (dass alles stets in Veränderung ist) auffasst, sondern eher im aristotelischen Sinn mit einer genauen Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz, kann widerspruchsfrei angenommen werden, dass bei einer gleich bleibenden Substanz sich die Akzidenzen ändern.

In anthropologischer Hinsicht kann konstatiert werden, dass er in vielen Belangen neue Wege beschritt, so etwa wenn er im Hinblick auf die menschliche Seele feststellte: »Für Seelen ist der Tod, Wasser zu werden, und für Wasser der Tod, Erde zu werden«; aber auch: »Der Seele Grenzen kannst du nicht entdecken gehen, selbst wenn du jeden Weg abschreitest, so tief ist die Erklärung, die sie hat« (Fragment 45).

Gemäß seiner physikalischen Ansicht, dass die Welt ein ewiges, doch lebendiges Feuer ist, von dem allerdings Teile stets gelöscht werden, um die weiteren Elemente, nämlich Meer und Erde, erscheinen zu lassen, ist auch die (weise) Seele Feuer und die schlechte verderbte Seele Wasser. Ob bei seiner Charakterisierung der Seele als grenzenlos die alte ápeiron-Vorstellung des Anaximandros eine Rolle spielte, kann nicht entschieden werden. Offensichtlich meinte er wohl, dass die Seele mit ihrem Wesen bis an die äußersten Grenzen des Kosmos reicht.

Man geht auch kaum fehl, wenn man behauptet, dass Herakleitos der erste griechische Philosoph war, der den lógos-Begriff stark akzentuierte. Dabei kommt seine Abwertung der »gewöhnlich Sterblichen« besonders stark heraus, etwa in folgender Stelle: »Dies Weltgesetz (lógos), das doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht, weder bevor sie davon gehört, noch sobald sie davon gehört haben. Denn obgleich alles nach diesem Gesetz geschieht, machen sie den Eindruck, als ob sie nichts davon ahnten« (Fragment 50). Hierbei kommt seine elitäre Ansicht besonders klar heraus, seine Usurpation einer ihm vorbehaltenen, privilegierten Erkenntnisweise. Auch wenn es schwierig ist, den lógos-Begriff bei ihm definitorisch klar zu machen (da wir seit rund 2000 Jahren dazu neigen, diesen Begriff in rein christlichem Kontext zu deuten), so kann doch behauptet werden, dass der lógos bei ihm identisch war mit der Gottheit, die gleichzeitig das Weltgesetz, aber auch das Sittengesetz bedeutet; ein Konnex, der auch für das neuzeitliche Naturrechtsdenken konstitutiv war und ist. Wenn er vom »Gemeinsamen« spricht, dem alle folgen sollten, das aber, obwohl es allem gemeinsam ist, von »den Vielen« nicht erkannt werde, so kann man zu Recht annehmen, dass das »Gemeinsame« als synonym mit dem lógos-Begriff anzusehen ist.

Vielleicht sollte Heraklit nicht so sehr als »der Dunkle« apostrophiert werden, sondern als großer, geistiger Prometheus – und das bis heute.

Werke:Ca. 130 Fragmente einer Schrift.

3. PARMENIDES (515–445 V. CHR.)

Wegen seines Geburtsortes Elea in Unteritalien und der damit gegebenen geographischen Nähe zu pythagoräisch »regierten« Gemeinden nahm man auch eine philosophische Nähe – ja bisweilen sogar eine partielle Übernahme esoterischer Gedanken – zu dieser zeitweise überaus vitalen philosophischen Schule an. Ohne Zweifel ist seine Grundüberzeugung, von jedem dynamischen Aspekt abzusehen und eine wesentlich statische Philosophie des Seienden zu formulieren, primär gegen Heraklit gerichtet, in dem er seinen philosophischen Gegner erblickte. Dass er seinerseits auf die platonische Philosophie einen sehr großen Einfluss ausübte, scheint erwiesen zu sein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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