Die Zauberquelle - Judith Merkle Riley - E-Book

Die Zauberquelle E-Book

Judith Merkle Riley

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Beschreibung

Eine Frau kämpft um ihre Familie: Margaret von Ashbury auf dem Land

England, 1360. Als ihr Mann Gilbert wohlbehalten von einem Feldzug zurückkehrt, möchte Margaret nur eines: endlich in Ruhe ihr Familienglück genießen.

Doch mit ihrem Schwiegervater kommen die Probleme: Er steckt wieder einmal in Geldnöten. Ein Abt will die zauberkräftige Quelle der Familie enteignen lassen. Um den Rechtsstreit zu seinen Gunsten zu entscheiden, braucht Gilberts Vater Geld. Daher versucht er, an Margarets Vermögen und das Erbe ihrer Kinder zu gelangen - auch wenn er dazu ihre Tochter zwangsverheiraten lassen muss.

Zu allem Überfluss treibt auch noch ein Wassergeist an der Quelle sein Unwesen. Unerschrocken nimmt Margaret einmal mehr den Kampf um ihre Lieben auf ...

Gekonnte Verbindung von historischen, humorvollen und übersinnlichen Elementen: der dritte Roman der "Margaret von Ashbury"-Trilogie von Bestsellerautorin Judith Merkle Riley.

Die Margaret-von-Ashbury-Trilogie: Die Stimme. * Die Vision. * Die Zauberquelle.

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Seitenzahl: 458

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Glossar

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Kapitel XXVIII

Über dieses Buch

Eine Frau kämpft um ihre Familie: Margaret von Ashbury auf dem Land

England, 1360. Als ihr Mann Gilbert wohlbehalten von einem Feldzug zurückkehrt, möchte Margaret nur eines: endlich in Ruhe ihr Familienglück genießen.

Doch mit ihrem Schwiegervater kommen die Probleme: Er steckt wieder einmal in Geldnöten. Ein Abt will die zauberkräftige Quelle der Familie enteignen lassen. Um den Rechtsstreit zu seinen Gunsten zu entscheiden, braucht Gilberts Vater Geld. Daher versucht er, an Margarets Vermögen und das Erbe ihrer Kinder zu gelangen – auch wenn er dazu ihre Tochter zwangsverheiraten lassen muss.

Zu allem Überfluss treibt auch noch ein Wassergeist an der Quelle sein Unwesen. Unerschrocken nimmt Margaret einmal mehr den Kampf um ihre Lieben auf …

Über die Autorin

Judith Merkle Riley (1942-2010) promovierte an der University of California in Berkeley in Philosophie und war Dozentin für Politikwissenschaft in Claremont, California. Von 1988 bis 2007 schrieb sie sechs historische Romane, die allesamt zu Weltbestsellern avancierten.

Judith Merkle Riley

Die Zauberquelle

Aus dem amerikanischen Englisch von Dorothee Asendorf

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2007 by Judith Merkle Riley

Translated from the English language: THE WATER DEVIL

Published in the United States by Three Rivers Press

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1996 by Ullstein Buchverlage GmbH, München und Leipzig

Erschienen im List Verlag

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung eines Motives © Arcangel: Stephen Mulcahey

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3722-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Stephanie

Glossar

Biberhut – Filzhut, auch Kastorhut genannt

Bruch – eine Art Unterhose, an der man die Beinlinge befestigt

gebähtes Brot – getoastetes Brot

Gebende – ein um das Kinn gebundener Frauenschleier

Gugel – Mütze mit langem Zipfel, den man sich wie einen Schal umlegen kann

Hübscherin – Prostituierte

Kotta – Untergewand von Frau und Mann

Mi-parti – Beinlinge mit je einem andersfarbigen Bein

Palas – Hauptwohnraum einer Burg

Schecke – eine Art Jackett

Surkot – Überkleid von Frau und Mann

Tassel – Umhangschließe

Trippen – hölzerne Unterschuhe für die Straße

Zaddelung – lappige Auszackung an Ärmeln und Schoß der Schecke

Zindelstoff – eine Art Taft

Prolog

Nicht lange nach Mariä Lichtmess im Jahre des Herrn 1362 – ich notierte gerade die Kosten für Pökelfisch und Mehl und fand sie zu hoch – raunte eine Stimme in meinem Ohr. »Margaret«, hörte ich, »meinst du, ICH hätte mich dafür verwendet, dass du Lesen und Schreiben lernen konntest, damit du diese Künste dann auf die Buchführung verschwendest? Wäre es nicht viel besser, du würdest MEINE herrlichen Werke aufzeichnen?«

»Aber, Herr«, antwortete ich, »DU hast den Eheweibern geboten, ihren Männern zu dienen, und mein Herr Gemahl liebt es gar nicht, Haushaltsbücher zu führen.«

»Margaret, woher willst du wissen, ob du ihm nicht besser dienst, wenn du für die Buchhaltung einen Schreiber anstellst?«

»Ganztägig? Herr, bedenke die Ausgabe. Und angenommen, er ist ein Spitzbube?«

»Dein Verwalter kann ihm erklären, was er aufschreiben soll, und das überprüfst du einmal im Monat. So macht es Master Wengrave von gegenüber, und die Regelung sagt ihm ungemein zu.«

»Aber, Herr, DU weißt doch, was passiert ist, als ich das letzte Mal jemanden eingestellt habe, der für mich schreiben sollte.«

»Warum lässt du MICH die Dinge nicht gelegentlich auf MEINE Art ordnen, Margaret?«

Und wer bin ich sündiges Menschenwesen, dass ich Unserem Herrn nicht gehorchen würde, der so hoch erhaben ist über alles – sogar über Ehegatten und andere Männer? Also stöpselte ich das Tintenfass zu, legte den Federkiel beiseite und blickte aus dem Söllerfenster. Eisiger Februarregen prasselte gegen die Scheiben und die hohen, bunt bemalten Häuser der Kaufleute und Weinhändler auf der anderen Straßenseite, die so viele gewölbte Butzenscheiben hatten, dass sie ganz knubbelig aussahen. Es ist schön, reich zu sein und Glas vor den Fenstern zu haben, dachte ich und sah zwei vermummten Fuhrknechten zu: Sie zogen einen hoch mit Holz beladenen Rollwagen auf den Hof des Steinhauses von Master Barton, dem Spezereienhändler von gegenüber. Einstmals, als ich mir mein täglich Brot noch selbst verdiente, hätte ich auch versucht, mich vor den Eisnadeln zu schützen. Hier jedoch verbannte ein Kohlebecken voller Glut die Kälte, und bunte Wandbehänge trotzten dem Grau vor den Fenstern. Auf der Diele hörte ich Getrampel und Gepolter: Man stellte die Schragentische zum Essen auf, und ein Geruch nach Sauerkohl und Pökelfisch schlich sich durch die Türritzen an wie eine Katze auf Mäusejagd. Dann klopfte es an der Tür, nicht laut, aber beharrlich; und danach ein besorgter Aufschrei.

»Mama, Mama, komm schnell. Vater hat wieder einen Anfall. Er sagt, er reißt aus und geht ins Kloster, damit er endlich in aller Ruhe über seine Sünden nachdenken kann.«

»Alison!«, sagte ich und rannte schon zur Tür, »was hast du angestellt, dass er wieder damit anfängt? Du weißt doch, er muss dieser Tage schrecklich hart arbeiten. Nächsten Monat reist er nach Kenilworth, und dann muss das Vorzeigeexemplar fertig sein.«

»Ich, gar nichts, Mama«, sagte Alison, die mit Unschuldsmiene in der Tür stand. »Das war Caesar, er hat Vaters Federkasten gefressen.«

»Habe ich dir nicht gesagt, dass der Welpe auf gar keinen Fall in sein Studierzimmer darf«, schimpfte ich und eilte vor Alison die schmale Treppe hinunter.

»Margaret«, stöhnte mein Herr Gemahl, der hilflos inmitten von tapsigen Hündchen und Kindern stand. »Es ist nicht auszuhalten. Unternimm etwas!« In seinem Studierzimmer ging es drunter und drüber, das Stroh auf dem Fußboden war zu einem Haufen zusammengeschoben, als hätte jemand darin gegraben, die eisenbeschlagenen Truhen standen offen, so dass man in munterem Durcheinander Manuskripte und Bücher sehen konnte, die an verschiedenen wichtigen Stellen mit einem Halm als Lesezeichen markiert waren. Auf der Metallkiste mit dem Doppelschloss, die Pachtgelder und den Rest der achtzig burgundischen Goldmoutons enthielt, die er aus Burgund mit nach Hause gebracht hatte, drängten sich Tintenflaschen und Papierstapel. Sein knöchellanger alter Surkot aus Wolle mit dem Schlitz in der Mitte, damit er auch zum Reiten taugte, hatte Tintenflecke, und die Gugel, die er sich gegen die Kälte wie einen Türkenturban um den Kopf geschlungen hatte, war ihm bei der Gedankenwälzerei verwegen auf eine dunkle Braue gerutscht.

»Hier bringe ich nichts zustande, überhaupt nichts!«, rief er, und es gelang ihm, zu gleicher Zeit bemitleidenswert und ungehalten auszusehen. Dennoch war ihm anzumerken, dass er sich insgeheim an dem Gewusel freute. Ein Haus voller Kinder, voller Leben, voller Glück und Sorgen, das war so ganz anders als die kalte, unwirtliche Burg seiner Kindertage, anders als die fernen Orte voller Blut und Tod, von denen er gerade zurückgekehrt war. Seine braunen Augen leuchteten auf, als er mich erblickte, und die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Gesicht, als er mir von seiner Höhe herab auf den Kopf sah. Denn er ist hoch gewachsen und schön, mein Herr Gemahl, hat eine lange, normannische Nase und einen dunklen Lockenschopf, und unsere Herzen sprechen zueinander, selbst wenn unsere Lippen schweigen. In diesem Augenblick sagte sein Herz, Margaret, es war so langweilig und trübselig, an diesem Regentag zu arbeiten, da habe ich ein wenig Unordnung gemacht, damit du kommst und alles wieder richtest.

»Mein viellieber Herr Gemahl«, sagte ich, »Eure Sorgen und Lasten nehmen überhand. Warum stellt Ihr nicht einen Schreiber ein, der Euch bei der Arbeit hilft?«

»Aber, ma chère Margaret, Herzallerliebste, denk an die Kosten.« Ich merkte jedoch, dass ihm die Idee bereits zusagte. Ein tüchtiger Bursche, der ihm die Bücher nachtrug, wenn er von den Illuminatoren kam; der seine Notizen in einer schönen Handschrift abschrieb; der ihm eine zusätzliche Flasche Tinte besorgte; der ihm weitere Federkiele anspitzte. Es schien die vollkommene Lösung zu sein.

»Wenn er auch noch die Haushaltsbücher führt, wären die Kosten für seinen Unterhalt zu verantworten«, erwiderte ich. Und so geschah es, dass Nicholas LeClerk, der keinen Universitätsabschluss besaß, weil er zu viel in Schenken randaliert und krakeelt hatte, an unseren Tisch kam. Ich gehorchte Gottes Gebot und ließ mittendrin ab, über Geld Buch zu führen. Stattdessen zeichnete ich die Mysterien von Gottes Schöpfung auf und berichtete, wie ich vom Schicksal in eines der allerseltsamsten verstrickt wurde.

4 Kindermützen aus bester Wolle, 3 Pence das Stück

1 Fass gepökelter Stör, 3 Pfund

3 Scheffel Weizenmehl, je 18 Pence, von Piers, dem Müller, der wieder einmal zu leicht gewogen hat.

Im Jahre des Herrn 1360 war ich, die verwitwete und unanständig oft wiederverheiratete Margaret de Vilers, mit ein paar prächtigen Pilgerabzeichen und meinem derzeitigen Ehegemahl von einer Abenteuerfahrt aus der Fremde heimgekehrt und hatte mir vorgenommen, künftig Abenteuer zu meiden. Überall auf der Welt herrschte Krieg, unser König zog gen Reims, um sich die heilige Ampulla mit dem geweihten Öl, das eine Taube für die Salbung der französischen Könige zur Erde gebracht hatte, mit Waffengewalt anzueignen, sich selbst damit zu salben und so die Krone Frankreichs in seinen Besitz zu bringen.

Dabei hatten die Franzosen einen recht passablen König, der auf großem Fuß im Tower von London residierte, weil er das Lösegeld nicht aufbringen konnte, das entsprechend seiner königlichen Würde sehr hoch angesetzt war. Die Lage der Dinge erschien unserem König günstig, versteht sich, und so beschloss er, gegen Frankreich zu ziehen. Und wohin der König zieht, zieht auch der Herzog, und wohin der Herzog zieht, zieht auch sein Chronist, mein Herr Gemahl, Sir Gilbert de Vilers, der jüngste und wunderlichste Sohn dieser vornehmen, aber verarmten alten Familie, in die ich nach ausnehmend kurzer Witwenschaft eingeheiratet hatte. Mein früherer Ehemann, Master Roger Kendall, Ältester der Tuchergilde von London und sehr reich, wenn auch ziemlich alt, pflegte zu sagen: »Krieg und hehre Worte, denk daran Margaret, meinen in Wirklichkeit nur das Geld.« Daher meine Überzeugung, dass es sich im tiefsten Grunde auch hier um Geld dreht, selbst wenn alle Welt glaubt, dass es um einen Krug mit Salböl in einer fremdländischen Kirche geht. Und da setzt meine Geschichte ein: mit einem Krieg und all den englischen Kriegern, die in die Fremde zogen, um ihr Glück zu suchen. Was wieder einmal beweist, dass man sich vor dem Abenteuer noch so friedlich zu Hause verstecken kann, es kommt und findet einen, wenn es Gottes Wille ist.

Kapitel I

Durch den Tanzsaal im Herzen von Leicester Castle, dem Hauptsitz des Herzogs von Lancaster – mächtiger Kriegsherr, starke Hand und weiser Berater Edwards III. –, schallte das Geschrei vermummter Kinder, die auf der Musikantengalerie tobten. Kühle Luft, frühlingshaftnebelfeucht, wehte durch die hohen, unverglasten Fenster herein, stob über den schimmernd gefliesten Fußboden, säuselte an den grauen Steinmauern entlang und hinterließ einen feuchten Schimmer. Die schweren französischen Wandteppiche, die während der Festlichkeiten die Wände geschmückt hatten, waren weggepackt worden. Im Saal kehrte wieder häusliche Geschäftigkeit ein, denn Leicester Castle war seit dem Tag, an dem das große königliche Expeditionsheer nach Frankreich aufgebrochen war, eine Burg der Frauen und Kinder, der alten Männer und Priester.

Ein halbes Jahr war vergangen, seit jedes verfügbare Pferd, jeder Mann mit heilen Gliedmaßen und jeder noch nicht ausgegebene rote Heller in den Dienst von König Edwards größtem Vorhaben gepresst worden waren, dieser allerletzten, entscheidenden Kampagne gegen die völlig erschöpften Franzosen. Sie sollte damit enden, dass Edward in Reims zum König von Frankreich gekrönt wurde. Der gesalbte König Jean, töricht und luxusliebend, lebte seit der Schlacht von Poitiers als Gefangener in England; in einem von Katastrophen heimgesuchten und vom übrigen Königreich abgetrennten Paris regierte ein schwacher Dauphin, während im Land die Räuber herrschten. Die Zeit schien reif, dass Edward den Anspruch seiner Familie auf den Thron von Frankreich geltend machte. Nur der Herzog hatte sich dagegen ausgesprochen, mit einem einzigen Wurf alles aufs Spiel zu setzen. Es ist kein Glücksspiel, sagte der König, wir befehligen eine erdrückende Streitmacht. Der gesalbte König von Frankreich lebt noch, desgleichen sein rechtmäßiger Erbe, argumentierte der Herzog, und solange sie am Leben sind, sollte man den verständlichen Hass der Franzosen auf einen fremdländischen König nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich bin kein fremdländischer König, sondern der rechtmäßige Erbe, sagte Edward. Nichtsdestoweniger werden wir in der Fremde kämpfen, unsere Versorgung wird nicht nachkommen, es wird Winter sein, und das Land werden wir verwüsten. Wir nehmen alles mit, entgegnete der König. Und so wurde zum ersten Mal ein Feldzug mittels Landkarten geplant. Sechstausend Versorgungswaggons würde es geben. Man würde Nahrung und Zelte mitnehmen, Waffen- und Hufschmiede, handgetriebene Mühlen und Öfen zum Brotbacken. Man würde zusammenklappbare Boote benutzen, mit denen man zur Fastenzeit auf den Flüssen angeln konnte, dazu Hunderte von Schreibern und Handwerkern jeglicher Zunft, sechzig Jagdhunde und dreißig Falkner für die königliche Jagd, dazu die königlichen Musikanten. Der gesamte höhere und niedere Adel, alles, was reiten konnte, würde den König begleiten, desgleichen seine vier Söhne. Mit diesem großartigen Plan fegte er die Bedenken des Herzogs hinweg. Loyal, wie dieser war, plünderte er seine Ländereien und nahm Pferde, Ritter, Zelte, Schreiber, ja sogar seinen Chronisten mit, einen sprachenkundigen Ritter und Gelehrten, der den gewaltigen Sieg aufzeichnen sollte. Und nun warteten in ganz England die Frauen, und der Tanzsaal hallte dumpf und hohl ohne die Musik.

Auf dem Boden des Saals unter der Galerie waren Herzogin Isabellas Näherinnen an der Arbeit. In dicken Wollkleidern scharten sie sich um das qualmende Feuerchen, das man mit grünem Holz im Kamin der Kemenate entzündet hatte. Auf dem Schoß hatten sie ellenweise schlichtes Leinen ausgebreitet und säumten endlose Stoffbahnen für einen Satz Bettlaken. Eine alte, fast blinde Frau erzählte, nein, singsangte die Geschichte vom falschen Marschall Sir Aldingar und spann dabei nach Gefühl. Am Ende eines Schragentisches in der Mitte des Raums unterhielt sich eine gutgekleidete Lady, eine Schere in der Hand, mit einer der nähenden Frauen, die eine geknotete Schnur hielt. Auf dem Tisch lag eine Bahn erlesenes Leinen, glatt und schimmernd wie Säuglingshaut, die zugeschnitten werden sollte.

»Dame Isabella sagt, an dem neuen Hemd müssen drei Zoll zugegeben werden, da ihre Tochter so geschwind wächst«, sagte die Lady mit der Schere.

»War ganz entbrant in minne zu seyner kônigin,îr gunst wolt diser lump veraten,da sî nît muget seyn gesele sînunde spotet seyner minne taten«,

sang die Alte mit schwacher Stimme, während ein halbes Dutzend Nadeln kleine, exakte Stiche stichelte.

»Das ist die Bahn, die Dame Petronilla von der Beschließerin geholt hat«, antwortete die andere. Da sie nicht in der Nähe des Kamins standen, bildete ihr Atem beim Sprechen kleine Wölkchen.

»Aber aus diesem Stück können wir die ganze Länge nicht schräg herausschneiden, wie es die Herzogin haben möchte. Seid Ihr sicher, dass dies die Bahn ist, die wir für die Herzogin vernähen sollen?«

»Da wart îm der sin benomenunde er wolde îr nît wol,daz foier solt sî bekomen,so waz er des zornes vol.«

»Vielleicht hat sie sich geirrt. Der Stoff reicht nicht. Wir müssen fragen, ehe wir zuschneiden.« Und dann nahmen sie noch einmal an dem langen Mädchenhemd Maß, das ihnen als Vorlage diente, und gaben mit Hilfe der geknoteten Schnur drei Zoll zu.

»Falls sich Dame Petronilla geirrt hat, ich für mein Teil weise sie nicht darauf hin«, sagte die Näherin.

»Dann mache ich mich selbst auf die Suche nach Dame Katherine«, sagte die Lady. Sie legte ihre Schere beiseite, entfernte sich durch die offene Tür und überließ es der Näherin, sich wegen des Stoffs den Kopf zu zerbrechen und zu überlegen, wie man am besten anstückelte, ohne dass es auffiel.

»Was soll das heißen, der Stoff reicht nicht?«, kam eine scharfe Stimme durch die offene Tür. »Beschuldigt ihr mich, etwas abgeschnitten zu haben? Ach, ein Fehler! Ich mache keine Fehler.« Die Nadeln wurden nicht weiterbewegt, die Näherinnen blickten sich an.

»Lady Petronilla«, flüsterte eine. »Warum unsere gute Herzogin die wohl zur Helferin der Beschließerin gemacht hat?« Schritte eilten an ihrem kleinen Halbrund vorbei, begleitet von einem Eishauch, einem eisigen Gefühl. Sie blickten auf und sahen den Rücken von Dame Petronilla de Vilers, die sich steif und aufrecht zum Tisch begab, während die Schleppe ihres schweren schwarzen Gewandes hinter ihr über den gefliesten Boden raschelte.

»Ich habe gehört, dass der Herzog Dame Isabella aus Frankreich eine Liste mit Namen von Rittersfrauen geschickt hat, denen sie in ihrem Haushalt den Vorzug geben soll.«

»Dann ist Lady de Vilers’ Ehegemahl gefallen?«, tuschelte eine andere Näherin angesichts des schwarzen Gewandes.

»Nein, sie soll einen Sohn verloren haben.«

»So alt sieht sie mir nicht aus, dass sie schon einen Sohn in Frankreich verlieren konnte.«

»Nein, einen Säugling. Sir Hugo, ihren Mann, hat die Kunde völlig niedergeschmettert, und als sie darum gebeten hat, den Ort verlassen zu dürfen, wo ihr Sohn gestorben ist, hat er seinen Einfluss geltend gemacht und sie hierhergeschickt, wo sie in Gesellschaft ist und von ihrem Verlust abgelenkt wird.«

»So klein? Und deswegen geht sie ganz in Schwarz? Übertrieben für einen Säugling, wenn ihr mich fragt.«

»Ladys sind vermutlich anders als wir.«

»Und auch anders als die da«, zischelte es gehässig.

»Daz foier man îr bereytetvon holtze unde gar hoch,schoen Elinor man geleytet,eyn groz jamer waz es doch …«

Die Frau in Schwarz maß die auf dem Tisch ausgebreitete Stoffbahn mit verächtlichem Blick. »Ihr müsst ansetzen – oder mehr holen lassen –, doch das war in der Truhe die letzte Stoffbahn aus London.«

»Aber … Aber Lady Isabella will, dass wir nicht ansetzen und dass das Hemd rechtzeitig zu Ostern fertig ist …«

»Dann macht es fertig«, sagte Dame Petronilla und wandte sich jäh zum Gehen. Sie war ein wenig größer als der Durchschnitt, hatte harte blaue Augen und schmale gleichmäßige Züge, die jedoch durch eine etwas platte und schiefe Nase entstellt wurden, so als hätte sie sich einst das Nasenbein gebrochen. Sie trug einen schwarzen, mit dunkelgrüner Stickerei verzierten Surkot aus importiertem Samt. Ihr volles honigblondes Haar war zu Zöpfen geflochten, die sie unter einem zarten Schleier aus Leinen fest zusammengerollt hatte. Einem sehr zarten Leinen, o ja, ausnehmend zart. Hatte sie etwa …? Eine der nähenden Frauen warf einen Blick auf die schöne Leinenbahn, die auf dem Tisch lag, Leinen, das man für Lady Blanches neues Osterhemd aus der Leinentruhe geholt hatte.

»Belästigt mich nicht noch einmal mit eurer Unfähigkeit. Ihr habt mich auf dem Weg zum Gebet aufgehalten.« Ein schweres Kruzifix mit einem gequälten Corpus Christi aus vergoldetem Silber mit roten Emailletupfern und Rubinen hing auf ihrer Brust. Um die Mitte trug sie neben ihrem Beutel und den Schlüsseln, die man ihr anvertraut hatte, einen Rosenkranz aus schwarzen Perlen, an dem wiederum ein Kreuz hing, dieses jedoch aus gepunztem Silber. Die Hände vor der Brust gefaltet, in den Augen ein eigentümliches Glitzern, so eilte sie aufrecht und kalt aus dem Raum.

Eine überaus gottgefällige Lady, dachte die Frau mit der Schere. So viele Stunden im Gebet. Ja, sie hat sogar ihren eigenen Beichtvater vom Land mitgebracht. Ihr Blick blieb kurz an dem wehenden Schleier hängen, als dessen Besitzerin aus der Tür hinaus und in die Zugluft des Ganges trat.

Das kann nicht sein, dachte sie. Außerdem sieht weißes Leinen immer gleich aus. Vergib mir, o Herr, es muss der Neid sein. Weil ich Helferin der Beschließerin werden wollte; und wenn mein Mann einen höheren Rang hätte und in größerer Gunst stünde als die Familie de Vilers, wäre mir diese Ehre auch zuteil geworden.

Kapitel II

»Cecily, was stellst du bloß mit deinem Haar an? Selbst aus den verhedderten Locken sprießen weitere verhedderte Locken. Die fressen die Kämme ja bei lebendigem Leibe auf! Mutter Sarah, ist Peregrine schon angezogen?« Als Peregrine aus Mitgefühl in das Wehgeheul seiner älteren Schwester einstimmte, zupfte mich jemand am Ärmel. Die Morgensonne lugte über den Horizont, und die Kälte lag noch wie eine Decke auf dem Fußboden. Von unten hörte man Töpfegeklirr und -geklapper und das Geräusch eilender Schritte, dann stach mir der beißende Rauch des frisch angelegten Herdfeuers in die Nase.

»Mama, ich habe mir schon die Haare gekämmt.« Meine zweite, Alison, mit siebeneinhalb Jahren noch kindlich rund, hielt mir eine lange, seidige, rotblonde Strähne zur Begutachtung hin. Das hörte sich zu selbstgefällig an.

»Ja, hübsch, Schätzchen …«

»Aber bloß, weil deine ganz glatt sind … Aua! Und meine hat Gott lockig gemacht, weil das besser ist, ätsch!« Cecily entwand sich dem Kamm, ihr Gesicht war unter den Sommersprossen vor Entrüstung ganz rot geworden. Sie war noch keine zehn Jahre alt und aufsässig, hatte Knubbelknie und mehr Flausen im Kopf als ein ganzer Sack Flöhe, sie war meine Älteste und brachte mich zur Verzweiflung.

»Halt still, halt still«, sagte ich und machte mich mit dem Elfenbeinkamm wieder über ihre wilden roten Locken her. »Was sehe ich da? Ein Ästchen? Cecily, du bist wieder geklettert. Wie soll aus dir jemals eine Lady werden, wenn du immerfort auf Bäume kletterst?«

»Aber ich will gar keine Lady werden. Ich will ein, ein …«

»Verschone mich damit, dass du ein Junge werden willst, denn das geht nicht, und damit Schluss.«

»… Drache werden, ätsch!«

»Ha! Cecily will ganz grün und schuppig und hässlich …«

»Kinder, Kinder, es reicht. Alison, ist das da auf der Passe deines guten Kleides ein Fettfleck? So kannst du es nicht anbehalten. Zieh sofort das blaue an, sonst kommen wir zu spät.«

»Aber das ist gar nicht hübsch«, jammerte Alison und stimmte in das Wehgeheul ihrer Schwester und ihres kleinen Bruders ein.

Warum ist es immer so schwer, rechtzeitig zur Messe in die Kirche zu kommen? Vor allem an einem Festtag wie heute, dem Tag des heiligen Augustin im Monat Mai des Jahres des Herrn 1360, an dem alle Welt mit Argusaugen aufpasst, wer zu faul ist, um sich sonntäglich anzuziehen. Man sollte meinen, Gott würde einem den Weg zur Messe ebnen und erleichtern, aber nein, er ist dornenreich und voller Fallgruben. Und falls das eine Glaubensprüfung sein soll, so wie er Heilige in der Wüste in Versuchung geführt hat, dann könnte er sie ruhig eindrucksvoller gestalten, mit gähnenden Schlünden beispielsweise und feurigen Flammen statt mit brüllenden Kindern und Mutter Sarah, die Peregrines linken Schuh nicht findet. Ich nahm mir vor, das irgendwann bei Gott vorzubringen, wenn ich nicht gerade Kinder anzog.

»Eure Trippen, Kinder, draußen ist es matschig … Nein, keine Widerworte. Es ist mir einerlei, dass es gestern Abend aufgehört hat zu regnen. Wenn ich sage, es ist matschig, dann ist es matschig.«

Früher einmal, in der Zeit unseres Wohlstands, als Cecilys und Alisons Vater noch lebte, sorgte er dafür, dass die Witwe eines armen Ritters den Kindern Unterricht in Französisch und höfischen Manieren erteilte. Aber Madame war so steif und wohlerzogen, dass sie sich mit knapper Mühe dazu herabließ, die Töchter eines Tuchers zu unterrichten, wie wohlhabend und gesellschaftsfähig der auch sein mochte. Und als ich mich nach seinem Tod wieder verheiratete, hielt sie das für einen so unverzeihlichen Bruch der Etikette, dass sie in einer Wolke von Geringschätzung entschwand.

Die französische Sprache blieb den Mädchen jedoch länger erhalten als Madame, vor allem da sie in der Familie meines neuen Ehemannes gesprochen wird. Von den guten Manieren kann ich das leider nicht behaupten, die verschlissen schneller als die Knie von Peregrines Beinlingen. Gut, wenn sie schon kein höfisches Benehmen haben, so sollen sie wenigstens manierlich aussehen, dachte ich, insbesondere in der Kirche an einem Feiertag. Doch da hatte Perkyn die schwere Haustür bereits aufgerissen. Ich überprüfte die Kinder im Hinausgehen. Die Augen leicht gerötet, der Blick züchtig zu Boden gesenkt. Gemessener Schritt. Kleider sauber, Hände vor dem Bauch gefaltet. Peregrine auf Mutter Sarahs Arm. Perkyn, der bedächtig die Haustür schloss und uns folgte. Alles in Ordnung. Gut. Heute würde vielleicht niemand dahinter kommen, dass ich zwei rothaarige Teufelinnen großzog.

Der letzte rosige Schein der Morgendämmerung spiegelte sich in den Schlammpfützen der Gosse mitten auf der Thames Street. Matsch und nasse Steine machten das unebene Pflaster vor den Häusern tückisch. Die Luft war noch frisch und kalt und erfüllt von dem dröhnenden Klang der Glocken von Saint Botolphe, die die Gemeinde zur Messe riefen. Vermummte Gestalten hasteten in Richtung Kirche. Dem Himmel sei Dank, wir waren nicht die letzten. Auf halbem Weg drehte ich mich um und musterte erneut meine Hausgemeinschaft.

»Cecily, klapp die Kapuze hoch. Alison, tritt nicht mit Absicht in die Pfützen. Herr im Himmel, wo ist der Kleine?«

»Kommt nach, kommt nach, Mylady. Perkyn trägt ihn durch den Dreck. Für mich ist es zu glitschig. Er musste langsamer gehen. Seht Ihr? Da kommt er.« Und da bog Perkyn auch schon um die Ecke der Saint Botolphe’s Lane – mit meinem kleinsten Schatz, gut zwei Jahre alt, einziger Erbe des Hauses de Vilers. Mit vor Kälte rosigen Wangen, die braunen Locken unter einer roten Zipfelmütze versteckt, plapperte er wie eine Elster mit dem alten Perkyn, der ihn auf dem Arm trug.

In der dämmrigen Kirchenvorhalle wimmelte es noch von Menschen, die sich ins Hauptschiff drängten. Der Geruch nach feuchter Wolle und städtischer Kloake vermischte sich mit starken Körperausdünstungen. Trotz des Klapperns der Trippen und der Begrüßungsrufe hörte ich eine Frau gehässig zischeln:

»Seht, da kommt Lady Margaret de Vilers. Ich kenne sie, da war selbst Mistress Kendall noch zu gut für sie. Überhaupt nicht von Familie. Ist aus dem Nichts aufgetaucht.«

»Und dann ein Skandal nach dem anderen.«

»Seht sie euch an, wie sie mit ihrem Hausgesinde im pelzverbrämten Surkot einherstolziert. Was bildet die sich ein, wer sie ist?« Ich versuchte, schnell vorbeizukommen, aber ein großer Mann im Zunftgewand der Spezereienhändler versperrte mir den Weg. Hinter mir wurde meine Familie von der Menge zusammengedrängt.

»Ich habe gehört, dass sie mit dem Schreiber ihres Mannes durchgebrannt ist, da war seine Leiche noch nicht einmal kalt.« Ich wollte sehen, wer da sprach. In der Menge konnte ich einen weißen Schleier ausmachen – und noch einen – eine ganze Schar.

»Schändlich, sag ich.«

»Irgendein entlaufener Mönch namens Gregory – ein nichtsnutziger Faulenzer und Schnorrer, der in Schenken Briefe geschrieben hat.« Die weiße Haube drehte sich um, und ich erhaschte einen Blick auf ein gehässiges rotes Gesicht. Die Schuhmachersfrau. Und die hatte ich, soweit ich mich erinnern konnte, lange nicht mehr in der Kirche gesehen.

»Gregory? Ich denke, sie hat Gilbert de Vilers geheiratet. Was ist denn aus dem Schnorrer geworden?«

»Noch so eine Schändlichkeit. Der hat sich von ihrem Geld einen Rittertitel gekauft und seinen Klosternamen schneller abgelegt als die Schlange die Haut.«

»Das machen die guten Beziehungen seiner Familie. Mistress Godfrey hat mir erzählt, dass er ein jüngerer Sohn ist, das schwarze Schaf der Familie, und aus dem Haus gejagt wurde. Aber als er ihr Geld hatte, hat man ihn natürlich mit offenen Armen wieder aufgenommen.«

»Ha, und ich habe gehört, dass der Herzog von Lancaster einen Narren an ihm gefressen hat, obgleich ich bei meiner Seel nicht weiß, warum …«

»Pssst! Sie sieht her. Ob sie etwas mitbekommen hat?«

»Natürlich nicht, meine Guteste, dafür ist sie viel zu weit weg.«

Das Dumme an kirchlichen Feiertagen ist meiner Meinung nach, dass auch die Eintagschristen und Langschläfer erscheinen – und die denken, sie werden Gott wohlgefälliger, wenn sie alle anderen schlechtmachen. Außerdem müssen sie die verlorene Zeit und den ganzen Klatsch und Tratsch aufholen, den sie verschlafen haben. Ich bedachte sie im Vorbeigehen mit einem bösen Blick.

Wir suchten uns einen Platz unweit von Master Kendalls Votivaltar, wo die schrägen Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Fensterrose fielen und vor uns Muster auf den Boden warfen. Rings um die Steinpfeiler des Mittelschiffs scharten sich Händler und Hausfrauen, wickelten Geschäfte ab und tauschten Ratschläge aus: wie man Obstbäume zurückschnitt, Schuhe und Pferdegeschirr ausbesserte und ähnliches mehr. Die Stimme des Priesters vor dem Altar ging darin unter wie im Hummelgesumm eines sommerlichen Gartens. Nachzügler eilten an dem marmornen Taufstein vorbei, bekreuzigten sich hastig und mischten sich ins Gedränge, als ob sie die ganze Zeit über dagewesen wären. Ich richtete meine Gedanken auf Gott, und schon verklangen Lärm und Gesumm. Früher einmal habe ich geglaubt, man müsste beten wie die Priester, sonst würde Gott nicht zuhören, aber glücklicherweise hat ER mich eines Besseren belehrt. Herr des Himmels und der Erden, der DU die Liebe selbst bist, lass meinen Liebsten wohlbehalten heimkehren. Beende den Feldzug in Frankreich und bring ihn zurück.

Margaret, ICH ordne die Angelegenheiten der Völker nicht einer einzigen Frau zu Gefallen.

Aber, Herr, gewisslich sind wir viele.

Margaret, auf jeden Menschen, der um Liebe und Frieden bittet, kommt ein halbes Dutzend, das um Krieg und Ruhm bittet. Wie findest du das?

Dann lässt sich DEINE Gnade also mathematisch berechnen? Ich wusste nicht, dass DU auch Buchhalter bist.

Margaret, es gibt Tage, da weiß ICH nicht, warum ICH mir deine lästigen Bemerkungen gefallen lasse.

Um meiner Liebe willen, o Herr. Nur DU weißt, wie ich mich danach sehne, seinen Schritt auf der Diele zu hören, den Klang seiner Stimme, wenn er meinen Namen ruft. Ich möchte ihn wieder sehen, groß und schön in seinem grünen Samtgewand, und ich möchte ihn lachen hören, wenn er gewahr wird, dass er den Federkiel hinter dem Ohr vergessen hat. Es bleibt unter uns, lieber Gott, wie ich nächtens nach der warmen Mulde im Bett taste, wo er liegen sollte. Ich möchte wieder doppelte Portionen backen und brauen und saure Miene zu seinen grässlichen Wortspielen machen. Und spüren, dass er mich auf den Nacken küsst …

»Mutter, du machst es schon wieder.«

Lieber Gott, behüte meine Kinder, meine vaterlosen Mädchen, die DEINEN Segen brauchen, meinen lieben Kleinen, seinen Sohn …

Margaret, du hast mir deine Wünsche bei vielen Gelegenheiten kundgetan. Als Weltenrichter versichere ICH dir, dass du zu dem halben Dutzend der geschwätzigsten Frauen meiner Schöpfung gehörst. Warum kümmerst du dich nicht um deine Angelegenheiten und lässt MIR für ein Weilchen Zeit für MEINE göttlichen Geschäfte?

Aber Herr, ich habe doch noch gar nicht für meine Verwandtschaft und für meine Nachbarn und die alte Gammer Kate gebetet, die Eier verkauft, nur dass ihr die Hühner eingegangen sind, und …

Margaret, hat dir noch kein Mensch gesagt, dass man sich auch beim Beten kurz fassen soll?

Ich dachte, das hätten sich die Priester ausgedacht, da DU, o Herr, ein unermesslich offenes Ohr hast …

Ein tiefer Seufzer wie Wind, der durch alle Bäume dieser Erde raschelt, schien durch das Universum zu rauschen.

»Mutter.« Cecily sprach mit dringlicher Stimme, und sie zupfte mich am Ärmel. »Du musst aufhören. Sonst sehen es die Leute.« Ich machte die Augen auf. Und fürwahr, im Kirchenschiff schien ein rotgoldener Nebel zu schweben. Das heißt, ich blickte durch ihn hindurch, denn das Leuchten umgab mich. Du meine Güte. Ich richtete meine Gedanken auf traurige Waisen, auf unglückliche Seeleute, die auf dem Meer verschollen waren, und auf den Kummer der Heiden, die nie vom Evangelium hören werden, und schon begann das Licht zu verblassen. Wer Probleme mit dem Leuchten hat, kann gar nicht vorsichtig genug sein, aber wenn die Welt nicht so schlecht wäre, würde man derlei nicht für unschicklich halten, vor allem nicht in der Kirche. Schließlich soll man im Hause Gottes auch mit IHM reden, oder? Aber das sehen die Priester wohl anders. Die wollen allein reden.

Dabei ist ohnedies alles Gottes Schuld. Vor langer Zeit, in bösen und wirren Zeitläuften, ist mir Gott in einer Lichtvision erschienen, hat mein Herz gefestigt und meinen Händen die Gabe des Heilens geschenkt. Aber da ER natürlich Gott ist und einen etwas anderen Sinn für Humor hat als die Menschen, hat ER mir zusätzlich dieses sichtbare und hochnotpeinliche Zeichen SEINER Gnade geschenkt, und das hat mir seitdem nichts als Unbill und viele befremdliche Abenteuer eingetragen. Hätte mich Master Kendall nicht auf der Straße aufgelesen, damit ich seine Gicht kurierte, wäre ich gewiss längst tot. Schließlich sind viele Menschen für weit weniger verbrannt worden als für Leuchten, und in gewissen Kreisen erweckt es nun einmal Neid. Zum Glück blickte niemand in meine Richtung. Das Altarglöckchen kündigte die Erhebung der Hostie an, daher waren alle Augen auf den Altar gerichtet.

Aber als wir uns den Weg nach draußen ins Licht der belebten Gasse neben der Kirche bahnten, rempelte mich ein Mann an; er trug Sporen, und über seinem derben, grobschlächtigen Gesicht prangte ein mit Juwelen geschmückter Biberhut. Sodann verbeugte er sich übertrieben tief. Ich nickte mit eiskalter Miene und ging schnell an ihm vorbei. Woher mögen in Kriegszeiten all die Glücksritter kommen, die sich einbilden, eine Frau, deren Mann in der Fremde ist, suche nichts als nächtliche Kurzweil? Ich hörte seinen Gefährten sagen:

»Noch kein Glück gehabt, ha?«

»Die, die anfangs kalt tun, sind immer die wildesten, wenn man sie erst im Bett hat.«

»Ich hätte lieber eine von den Kleinen. Eine Kendall-Erbin. Die sollen ja ein hübsches Sümmchen …« Doch die Stimmen verloren sich in der Menge. Dreckskerle. Die schrecken nicht einmal vor einer Entführung zurück, Hauptsache, sie bekommen die Mitgift. Ich muss mich selbst vergewissern, dass die Läden des Nachts gut verriegelt sind: Mutter Sarah ist zuweilen so vergesslich. Höchste Zeit, dass Cecily und Alison ihre eigene Gesellschafterin bekommen. Eine Kinderfrau, die alt und gebrechlich wird, genügt nicht mehr. Irgendjemand muss sie davon abhalten, jeder Flause nachzugeben, die ihnen in den Sinn kommt. Wenn ich sie doch im Haushalt der Herzogin unterbringen könnte … Aber ihr Vater, Master Kendall, war nicht von Adel, vielleicht würde man sie dort schlecht behandeln.

»Mutter, ich habe den Mann gehört.« Cecilys durchdringendes Stimmchen riss mich aus meinen Gedanken.

»Ich auch. Nicht bloß Cecily«, sagte Alison. »Und das Wichtigste hat er ausgelassen. Er hat gesagt, wir sind reich, aber er hat nicht gesagt, dass ich hübsch bin.«

»Und eitel!«, fauchte Cecily.

»Ihr werdet nicht gegen euren Willen verheiratet«, antwortete ich.

»Ich heirate überhaupt nie«, verkündete Cecily.

»Dann wirst du ein Drache. Und ich heirate Damien, wenn er als reicher Mann mit Stiefgroßvater aus dem Krieg zurückkommt.«

»Das tust du nicht«, sagte Cecily und versetzte ihrer Schwester einen Puff mit dem knochigen Ellenbogen.

»Kinder, Kinder. Seid still. Und du, Alison, lass das Kneifen. Alle sehen dich an.« Mit einiger Mühe setzte ich unsere kleine Schar wieder in Bewegung, Mutter Sarah zwischen den beiden Mädchen, die noch immer entrüstet hüpften und sprangen, und Peregrine, den unser Verwalter jetzt huckepack trug. Mit seinem Stummelfinger zeigte der kleine Kerl auf Maultiere und Fußgänger.

»Guck, Perkyn, da is ein geflecktes. So eins will ich haben. Ich will ein blau geflecktes und ein grün geflecktes.«

»Maultiere gibt es in Rötlich-Grau, aber nicht in Blau und Grün«, sagte der alte Mann ernst.

»Meins wohl. Ce’cy und Alison kriegen auch eins, aber meins kann fliegen.«

»Das wird ja ein schöner Anblick«, sagte Perkyn.

Als wir in die Thames Street einbogen, versperrte uns das Hausgesinde des Weinhändlers Sir Robert Haverell den Weg. Die Gruppe kam schwatzend die St. Mary Hill Lane entlang. Auf den Straßen und Gassen scharten sich die Menschen, die im Sonntagsstaat aus allen Kirchen der City von London herausströmten und noch etwas spazieren gingen. Kaufleute in der farbenprächtigen Tracht ihrer Zunft, die Ehefrauen mit Goldketten und schönen Hauben geschmückt, schlenderten mit ihren Kindern und ihrer Dienerschaft einher. Boten und Träger in säuberlich gebürstetem Rotbraun mischten sich unter die Fischweiber von Billingsgate, die bunt gefärbte und bestickte Surkots über ihren grauen Unterkleidern trugen. Hier und da ließ sich sogar ein Ritter mit Sporen an den Hacken und mit von Stickereien strotzendem Surkot blicken, einer von denen, die zu alt oder zu lahm für den neuesten Feldzug im Ausland waren. Und über allem riefen die Glocken der City von Turm zu Turm, von St. Martin-le-Grand zu St. Mary’s, zu St. Margaret’s, St. James’-in-the-Wall und zu St. Dunstan’s. Und unter das ganze Gebimmel mischte sich das dröhnende, tiefe Läuten der großen Glocke von St. Paul’s. An der Ecke blieb Sir Robert stehen und bedachte mich mit einem förmlichen Nicken, doch seine Frau richtete das Wort an mich.

»Ei, guten Morgen, Dame Margaret. Habt Ihr Kunde von Sir Gilbert? Wir haben für sein Wohlergehen in der Fremde gebetet. Der Ruhm seines Gönners bringt unserem Kirchspiel Ehre.« O ja, dachte ich, und nicht unerhebliche Weinbestellungen. Gott des Handels, hab Dank für meine falschen Freunde. Immer noch besser als gar keine.

»Papa kommt bald nach Haus«, verkündete Peregrine.

»Ei, und wie der liebe Kleine gewachsen ist. Ei, es kommt mir vor wie gestern, dass Ihr ihn zusammen mit Sir Gilbert aus der Fremde heimgebracht habt. Eideidei, was bist du doch für ein großer Junge.«

»Ja, ich bin schon ganz groß. Ich krieg ein Pferdchen. Hat Großvater gesagt.«

»Und auch schon ein eigenes Pferd. Ei, der wird eines Tages ein gar prächtiger Edelmann.« Ich spürte, wie Cecily und Alison, die hinter mir standen, innerlich kochten.

»Und meine Guteste, falls Ihr wieder ein so großartiges Fest plant wie damals, als Sir Gilbert aus Frankreich zurückkehrte, vergesst uns bitte nicht. Mein Mann soll Euch vom Allerbesten zurücklegen – aber lasst es uns möglichst lange im Voraus wissen! Ei, das ist ja unvergesslich! Die Leute reden noch immer darüber. Die Gedichte – wie originell! Und Euer edler Schwiegervater und seine vornehmen Gäste – diese Ehre! Können wir uns schon bald auf seinen Besuch freuen?«

»Zweifellos«, gab ich zurück, doch allmählich schlug ihr Geschwätz mir auf den Magen. Unangekündigte Besuche sind typisch für ihn, wollte ich noch hinzufügen, biss mir aber auf die Zunge. Dieser grässliche alte Mann hält mein Heim für sein privates Stadthaus. Er stellt alles auf den Kopf, isst alles auf, was nicht eingeschlossen ist, schüchtert Kinder und Dienstboten mit seinem Gebrüll ein und versucht, die Mägde zu verführen. Das einzig Gute an diesem Feldzug ist, dass er außer Landes ist; desgleichen Hugo, der unleidliche ältere Bruder meines Mannes. Wollte Gott, sie würden sich eine französische Burg aneignen und in der Fremde bleiben. Jede Ehre wäre mir dafür recht: Gouverneur von Calais, eine Festung und Ländereien in Aquitanien – Hauptsache, weit weg von hier, lieber Gott! Und meine Schwägerin, Dame Petronilla, die die Nase so hoch trägt, können sie auch gleich mitnehmen! Wenigstens ist sie bis zur Rückkehr der Männer in Brokesford gut aufgehoben.

»Gemahlin«, sagte Sir Robert und nickte freundlich, aber nicht zu freundlich, »wir müssen gehen. Dame Margaret, Ihr versteht, die Pflicht ruft. Meine tägliche Mühsal beraubt uns Eurer angenehmen Gesellschaft. Grüßt bitte Sir Gilbert von uns und richtet ihm aus, dass unsere Gebete ihn und die anderen Helden im Dienst unseres ruhmreichen Königs begleiten.« Alsdann rauschte er mit seiner Frau und seinem Gesinde in Richtung seines großen, mit Steinen ausgemauerten Fachwerkhauses, seiner Trutzburg, das wie unser Haus unweit des Sommer’s Key steht. Du liebe Zeit, dachte ich, seine Dienerschaft wird von Mal zu Mal größer. Ob Krieg, ob Frieden, den Weinhändlern gedeiht alles.

Am nächsten Tag brachte uns ein Bote einen verdreckten Brief mit vielen Siegeln.

»Mutter, was starrst du ihn so an?«, fragte Cecily, während Alison herumtanzte und verlangte, dass der Brief sofort geöffnet wurde, und Peregrine auf dem Fußboden des Söllers herumrutschte, den Deckel eines alten Kruges vor sich herschob und Pferd und Reiter spielte.

»Die Siegel … Alle sind unten angeschmolzen, als hätte man sie abgenommen und neu angebracht.«

»Papa Brief«, sagte Peregrine, ohne aufzublicken.

»Na schön, jemand muss wohl alle Briefe aus der Fremde lesen«, meinte ich und musterte die Anschrift: ›An mein treugesinntes und vielgeliebtes Eheweib Margaret de Vilers, wohnhaft in der Thames Street, London, mit der Bitte um eilige Zustellung.‹

»Mama, was steht drin, steht drin, steht drin?«, tirilierte Alison.

»Hmm. Ich weiß nicht so recht. Er fängt ganz verständlich an, aber dann werde ich nicht mehr schlau daraus. Er beginnt mit ›Mein treugesinntes und innigst geliebtes Eheweib, ich grüße Euch und hoffe, dass dieser Brief Euch und die Kinder bei guter Gesundheit antrifft.‹ Dann steht da etwas über die Ländereien von Whithill, was ich ohnedies weiß, und dann schreibt er, wegen der vielen Siege des Königs wird er noch sehr lange in Frankreich zu tun haben, und dann schreibt er, dass er das große Glück hatte, vor Paris einem hochgelehrten Mann zu begegnen – Du liebe Zeit, er sagt nicht einmal, wo, ob das etwas zu bedeuten hat? Und dabei hat er von einer Methode erfahren, wie man schlichtes, grobes Hanftuch färben und in Goldstoff verwandeln kann, was den weisen Berater und Gefährten seiner Jugend, Bruder Malachi, gewisslich interessieren dürfte. Ich soll ihm den Brief sofort zeigen und den heiligmäßigen Mann grüßen. Um ihn selbst soll ich mir keine Sorgen machen, denn er setzt sein Vertrauen in Gottes Gnade. Jetzt kommt ein Teil, den ich gar nicht verstehe. Er ist ganz in Latein mit überall eingeflochtenen alchimistischen Zeichen. Du liebe Zeit, wann hätte Gregory Malachi je einen heiligmäßigen Mann genannt? Dafür kennen sie sich schon viel zu lange. Und jetzt schreibt er, als ob Malachi ein Fremder, womöglich gar ein allem Irdischen entrückter Eremit wäre! Heiligmäßig! Nun, das ist kaum derselbe Bruder Malachi, den ich kenne. Ich glaube, er hat gewusst, dass man den Brief aufmacht.«

»Ich will hin, ich will hin, nimm mich mit!«, rief Alison. Da hatte ich schon Mutter Sarah herbeigerufen, damit sie auf Peregrine aufpasste.

»Mutter, bitte. Darf ich auch mitkommen? Ich muss Bruder Malachi etwas Wichtiges fragen«, sagte Cecily. Ihre ernste Miene machte mich stutzig. Normalerweise wollten die Mädchen nur Mutter Hilde sehen, meine allerbeste Freundin, die mit Malachi zusammenlebt und sich dieser Tage seine Haushälterin nennt. Weil Mutter Hilde nämlich die besten Honigkuchen von ganz London backt und über den größten Schatz an Märchen unter allen Frauen meiner Bekanntschaft verfügt. Was um alles in der Welt wollte Cecily von dem Alchimisten wissen?

»Ihr kommt nur mit, wenn ihr euch beeilt und euch ordentlich anzieht. Und du, Alison, nur, wenn du artig bist.«

»Siehst du, Cecily, ich gehe auch mit zu Mutter Hilde!«, jubelte Alison, während wir eilig das Haus verließen.

Kapitel III

Seit vielen Tagen lagerte das große Heer des Königs vor den Mauern von Paris. Der Bischof von Reims hatte die heilige Ampulla gut weggeschlossen und befohlen, die Stadttore zu schließen. Der Umweg durch Burgund hatte dem König die Bestechungssumme von zweihunderttausend Goldmoutons eingebracht, nur damit er abzog, und nun rückte auch noch die Einnahme und Plünderung von Paris, die alle aufgeheitert hätte, in immer weitere Ferne. Zum einen hatten die Franzosen seit dem letzten Besuch des Königs die Stadtmauer fertig gestellt. Hoch, grau und furchteinflößend umschloss sie jetzt ganz Paris. Zum anderen schien der Dauphin, ein rechter Tunichtgut, entschlossen, den Thron zu verteidigen, der dem Namen Edwards III. noch größeren Glanz verliehen hätte.

Gilbert de Vilers dachte, das einzig Gute an dieser Belagerung ist, dass nichts passiert und ich deswegen allmählich mit dem Schreiben nachkomme. Über der Stadtmauer konnte er durch die geöffnete Klappe seines runden Zeltes die vertrauten Wahrzeichen seiner Studentenzeit ausmachen: die gedrungenen Türme der Bastille, die flachen, zinnenbewehrten Türme von Les Tournelles, und etwas weiter entfernt, die schiefergedeckten Türme vom Louvre und Saint-Pol. Und alles überragend den Dachreiter der mächtigen Kathedrale Notre Dame, der wie ein Pfeil in den Himmel stieß. Wie seltsam, sinnierte er, da habe ich nun ein ›Sir‹ vor dem Namen und stehe vor den Toren von Paris, auf einer Stange neben mir hängt meine Rüstung in dem beengten Zelt, statt dass ich in der Stadt als Herr der Schenken durch das Quartier Latin schlendere, Händel suche und in fröhlicher Gesellschaft Zechlieder singe. Es wurde gemunkelt, dass die Menschen innerhalb der Mauern Katzen und Ratten aßen. Er wusste, dass sie sich nie ergeben würden. Gilbert seufzte. Alle fragten ihn um Rat, und niemand hörte darauf. Das einzig Gute an dem ganzen Feldzug war der nette Nebenverdienst, den er für seine Hilfe bei den Verhandlungen mit den Burgundern eingesteckt hatte. Ein wahrer Glücksfall, dass er den Abt von St. Michel Archange von früheren Reisen her kannte.

Das Licht ließ nach, während Gilbert schrieb: »Alsdann schritt der wohledle und mächtige Herzog von Lancaster zur Mauer der Stadt Paris, die Herolde ihm vorauf, und forderte den Dauphin zum Einzelkampf. Letzterer jedoch, da schwächlichen und kränklichen Leibes, verweigerte sich der Ehrenpflicht …«

Wirklich, dachte Gilbert, als er das niederschrieb, ich an seiner Stelle wäre auch nicht herausgekommen. Falls die Franzosen beide verlieren, den König und den Dauphin, ist es um sie geschehen. Und falls sie auch nur einen Spion in unserem Lager haben, wissen sie, dass es uns genauso dreckig geht wie ihnen. Wir haben auf zwanzig Meilen in der Runde alles niedergebrannt, und was wir nicht verbrannt haben, das haben sie verbrannt, ehe sie sich in die Stadt zurückgezogen haben. Es gibt kein Essen, kein Futter, die Karrengäule verrecken, die Männer murren. Wir können uns nicht halten.

»Psst. Gilbert.« Jemand – wer, das wusste er nicht – war draußen vor seiner offenen Zeltklappe, im letzten Schein des fahlen Zwielichts nur als dunkler Umriss auszumachen. »Heda, Gilbert, du verblödeter Federkratzer, komm heraus.« Oh. Vater. Gilbert steckte sich den Federkiel hinters Ohr und betrachtete die dunkle Gestalt mit gelassen-ironischem Blick. »Ist das eine Art, seinen Vater anzusehen, du Otterngezücht«, sagte die Gestalt.

»Verzeiht mir, höchst trefflicher und ehrenwerter Erzeuger«, sagte Gilbert, erhob sich und begrüßte den alten Mann mit ausgesuchter Förmlichkeit.

»Gilbert, komm mit und sieh dir die Pferde an. Wir haben schon wieder zwei verloren …«

»Saumtiere?«

»Nein, meine Schlachtrösser, verdammt noch mal. Mein Herzblut. Komm mit und sieh dir das an. Es muss an dem verfluchten französischen Futter liegen. Du schleichst doch die ganze Zeit um den Herzog herum. Mach einmal Gebrauch von deiner Stellung, und erzähle ihm von meinen Pferden. Falls wir hier noch länger hocken, ist das Brokesford-Gestüt erledigt. Mir bleiben gerade noch drei Zuchthengste, Gilbert. Drei – den eingeschlossen, den du reitest. Gott allein weiß, ob ich auch nur einen davon wohlbehalten nach Haus bringe.« Gilbert hatte seinen Vater während des Feldzugs noch nie in solch einer Verfassung erlebt, nicht einmal, als er den achten Bogenschützen aus seinem Dorf verloren hatte und ins Grübeln geriet, woher er ausreichend Männer zum Pflügen nehmen sollte; falls er überhaupt wieder nach Hause käme. Gilbert stand schnell auf, zog einen pelzgefütterten Mantel über das fleckige Lederwams und den Wollkittel. Draußen waren seine eigenen Pferde angepflockt, sein Stallbursche fütterte sie. Sein Vater musterte das Futter mit grimmigem Blick, ließ es durch die Finger rieseln und roch daran. »Nein, nein. Das Zeug hier ist in Ordnung.« Er musterte das schwarze Schlachtross, dessen Futter er gerade geprüft hatte. Der Hengst war abgemagert, trug eine Winterdecke, verdrehte die Augen und tänzelte zur Seite. »Mager, verdammt mager. Aber wenigstens hat er noch Temperament.« Bei diesen Worten feixte der Knecht, der ihn fütterte. Urgan als temperamentvoll zu bezeichnen war geschmeichelt; er war übellaunig und verrückt, das schönste und gleichzeitig das gemeinste, unzuverlässigste Pferd des Gestüts. Aus diesem Grund hatte Sir Hubert ihn Gilbert auch für den Feldzug geborgt.

Sie schlängelten sich zwischen kleinen Feuerstellen hindurch, an denen Kaninchen, Igel und alle möglichen Geschöpfe gebraten wurden, die so dumm gewesen waren, sich fangen zu lassen. Ringsum hockten Bogenschützen, Pikeniere und Sappeure und tranken mit Wasser verdünnten französischen Wein. Vor den Zelten seines Vaters und seines älteren Bruders Hugo war der Rest des Gestüts von Brokesford angepflockt. Drei Männer in knielangen Stulpenstiefeln, in pelzgefütterte Mäntel gehüllt, standen vor einem aufgedunsenen toten Schlachtross. Ein anderer Mann, einer der Stallknechte aus Brokesford, kniete neben dem Kopf des Tieres.

»Mylord!«, rief Sir Hubert, riss sich die gesteppte Helmkappe vom weißen Haar und fiel vor dem mächtigen Herzog von Lancaster auf die Knie.

»Sir Hubert, erhebt Euch, erhebt Euch sofort«, sagte Henry von Grosmont, Herzog von Lancaster, Graf von Derby, Lincoln und Leicester, Marschall von England, Herr von Bergerac und Beaufort und an Macht und Ländereien fast so groß wie der König selbst. »Euer Schlachtross scheint eingegangen zu sein. Eure Meinung, mit Verlaub?«

»Mylord, wir haben zu wenig Futter, und das, was wir haben, verfault uns.« Er hielt inne. Das Wort ›Rückzug‹ gab es nicht in seinem Wortschatz. »Wenn wir noch eine Woche länger bleiben, verlieren wir alle Pferde.«

»Genau meine Meinung. Aber ich würde eher sagen ›noch zwei Tage länger‹«, sagte der Herzog. Er war ein nüchtern denkender Mann von fünfzig Jahren mit durchtriebenem Blick und langer Erfahrung darin, wann man etwas riskieren konnte und wann nicht. Jetzt schritt er neben dem Schlachtross, einem schönen Apfelschimmel, auf den er selbst einmal ein Auge geworfen hatte, auf und ab und rang um einen Entschluss.

»Ich bin auch dieser Ansicht«, sagte Graf von Warwick, einer der Kommandeure, die den Herzog begleiteten.

»Jemand muss dem König sagen, dass er Gefahr läuft, an einem einzigen Tag alles zu verlieren, was er in zwanzig Jahren errungen hat«, sagte der Herzog ruhig. Und im Stillen dachte er, und dieser Jemand bin gewisslich ich. Herr, DEIN Wille geschehe.

Am nächsten Tag blickten die Bogenschützen von der Stadtmauer auf eine Wüstenei aus zerstampftem Morast und Abfall und überall verstreut liegenden Pferdekadavern. Jenseits der sanft gewellten vernichteten Felder zog in der Ferne ein Heerwurm aus Vorratskarren, Fußsoldaten und Berittenen in Richtung Chartres. Die Nachhut, ein Kommando aus Reitern und Bogenschützen, deren Fahnen im eisigen Wind flatterten, schützte die letzten Vorräte vor Verfolgern aus der Stadt. Schwarze Wolken zogen über den Himmel, und der Wind trug den Glockenklang von Notre Dame herüber. Man feierte unter den hohen dämmrigen Gewölben den Abzug mit einem Te Deum.

Was für ein seltsamer Wind, dachte Gilbert. Wie er die schwarzen Wolken zusammentreibt. Hoffentlich regnet es nicht zu sehr. Er trug eine gefütterte Kappe unter dem Spitzhelm und hatte den hohen Kragen seines Wollkittels unter der Halsberge seines Kettenpanzers hervorgezogen, und zwischen Kittel und Kettenpanzer schützte ihn ein gestepptes Lederwams, dennoch fror ihn. Die ersten Regentropfen fielen auf seinen langen, mit dem Wappen der de Vilers bestickten Waffenrock, so dass er am Brustharnisch klebte. Verdammt, dachte er, jetzt muss er wieder entrostet werden. Beste Qualität, die Rüstung, neu, beim teuersten Waffenschmied von ganz London gekauft und noch nicht bezahlt. Ich hätte Lombarde werden sollen, schoss es ihm durch den Kopf. Diese Geldverleiher verdienen immer, ganz gleich, wer Sieger ist. Aber sein täglich Brot mit Geldverleihen zu bestreiten – das Gewerbe ist denn doch zu niedrig für unsereinen. Nur dass ich gerade jetzt etwas darum geben würde, von niedrigerer Herkunft zu sein und es mir bei Margaret zu Hause heimelig zu machen. Den Geldverleiher muss man mit der Laterne suchen, der während eines Unwetters auf einem verrückten Pferd die Nachhut eines sich zurückziehenden Heeres deckt.

Auf einer Seite des sich dahinschlängelnden Heerwurms aus Karren, Packtieren und Männern sah man einen ehemaligen Obstgarten, von dem nur noch Baumstümpfe übrig geblieben waren. Auf der anderen Straßenseite erstreckten sich abgebrannte Felder bis hin zu den Ruinen eines Dörfchens. Hier und da breitete noch ein alter Baum seine Äste aus, weil er zu dick zum Abhacken gewesen war. Aber während Gilbert noch die sich dahinquälende Heersäule musterte, kam aus den schwarzen Wolken über ihm ein fernes Donnergrollen und ein Blitz. Ein weiterer zuckte über den Himmel, gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag, diesmal viel näher. Urgan verdrehte die Augen, zuckte mit den Ohren und blieb stehen, am ganzen Leib zitternd. Gilbert wollte ihm die Sporen geben, als er ein Rauschen vernahm und Eishagel auf ihn niederprasselte. Vor ihm senkte sich eine weiße Mauer herab, dicke Körner, größer als Taubeneier, schlugen auf seinen Helm, schleuderten Tiere und Soldaten zu Boden. Die vom Himmel herabzüngelnden Blitze schienen es auf die Ritter hoch zu Ross in ihrer nassen Rüstung abgesehen zu haben. Vor ihm hielten sich Fußsoldaten, die der Angriff vom Himmel in die Knie gezwungen hatte, ihre Schilde über den Kopf. Es krachte grässlich, und direkt vor ihm brach ein Ritter mit seinem Pferd zusammen, vom Blitz erschlagen. Und da ging Urgan auch schon unter gespenstischem Gewieher durch, war so außer sich, dass er die schwere Kandare nicht mehr spürte und wie ein Wilder unter den Schutz des nächsten Baumes flüchtete. Unter den ausgebreiteten Ästen konnte Gilbert ihn endlich zum Stehen bringen. Ein blendender Blitz, ein Krachen, und Gilbert de Vilers war für eine Weile nicht mehr von dieser Welt.

»Na, Bruder Gregory, Ihr wolltet doch immer Gott sehen, jetzt habt Ihr Gelegenheit dazu.« Die Stimme gehörte Godric von Witham, dem Abt, der ihn aus dem Kloster geworfen hatte, weil er der Auslegung des Erlösungsbegriffs bei Paulus widersprochen hatte. Ein paar andere Dinge waren noch dazugekommen, die Gilbert jedoch nie ernst genommen hatte. Was für ein engstirniger alter Mann; er konnte einfach nicht zugeben, wenn er sich geirrt hatte. Sogar noch schlimmer als Vater.

»Ich habe gar nicht gewusst, dass Ihr tot seid«, sagte Gilbert de Vilers, der sich zu diesem Zeitpunkt eigentümlich körperlos vorkam.

»O, ich bin schon eine Ewigkeit tot. Seit drei Jahren. Ein Happen verdorbener Fisch sechs Tage vor der Karwoche. Aber seht Euch doch selbst an.« Der ehemalige Bruder Gregory blickte nach unten und sah einen vom Blitz verkohlten und gespaltenen Baum. Unter ihm lagen ein paar tote Bogenschützen und Urgan, der die knochigen Beine von sich streckte wie feuergeschwärzte Schürhaken. Und in sein Zaumzeug verstrickt lag da ein langer Kerl in voller Rüstung stocksteif und platt auf dem Rücken, das Haar unter dem Helm dunkel und verfilzt, Dreitagebart und ein verdreckter, durchnässter Waffenrock mit dem Wappen der de Vilers …

»Einen Augenblick«, sagte Bruder Gregory, »das bin ja ich.« Er stellte fest, dass die Augen seines Leichnams offen standen und tot und blicklos gar schauerlich starrten.

»Sieht der Kerl nicht scheußlich aus?«, sagte der Abt. »Ich könnte Euch seine Sünden aufzählen – geistiger Hochmut, Überheblichkeit, Stolz, Völlerei …« Aber Bruder Gregory hörte nicht richtig zu. Godric war immer ein Tugendbold gewesen, und seine Kenntnisse von Aquinas waren praktisch null. Fürwahr, selbst Bruder Gregory hätte einen besseren Abt abgegeben …

»Ich habe diesen Leib sehr gemocht«, sagte Bruder Gregory.

»Aber jetzt schaut empor, Bruder Gregory, auch wenn Ihr es überhaupt nicht verdient.« Gilbert sah auf und erblickte Reihen um Reihen von Engeln in Samt und Goldbrokat, die wie schlafende Schmetterlinge die irisierenden Flügel flattern ließen. Zwischen den Engeln war eine Treppe aus Licht, und er merkte am Klang verlockender, von oben herabwehender Musik, dass er aufgefordert wurde emporzusteigen. Er stellte einen Fuß auf die Treppe, blickte aber noch einmal zu seinem Leichnam im Schlamm zurück. Rings um den Baum schmolzen jetzt die Hagelkörner, die sich wie Schneewehen zu Bergen türmten. Ein elender Tod im französischen Dreck, unwürdig, ehrlos und ohne Absolution. Das hatte er sich schöner vorgestellt. Doch jetzt wurde die Musik dringlicher, einladender. Bruder Gregory sah zu den schimmernden himmlischen Heerscharen empor. Er dachte gründlich nach. Er musste sich an etwas erinnern.

»Im Augenblick kommt es mir ungelegen«, sagte er. »Margaret erwartet mich zurück. Ich habe ihr geschrieben, dass ich heimkomme.«

Godric, der ehemalige Abt, blickte angewidert. »Eure irdischen Gelöbnisse und Versprechungen sind jetzt null und nichtig«, sagte er. »Empor mit Euch.«