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Die Zukunft des Automobils E-Book

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Beschreibung

Die automobile Transformation stellt ein wesentliches Element der Energiewende dar. Mit der Umstellung auf E-Autos soll eine ökologischere Mobilität vorangetrieben werden. Gleichzeitig stellt eine fortschreitende Digitalisierung der Fahrzeuge die Automobilbranche vor zusätzliche Herausforderungen. Wie dieser Umbau – insbesondere in in Thüringen ansässigen Betrieben – der Auto(Zuliefer)Industrie gelingt, wird kontrovers diskutiert. Vor dem Hintergrund sich verändernder Tätigkeitsbereiche (z.B. IT und Elektronik), anspruchsvollerer Managementanforderungen (z.B. interkulturelle Belegschaften) und eines fortschreitenden Fachkräftemangels muss Qualifizierung eine zentrale Rolle in der Energiewende spielen. Worin jedoch die aktuellen Schwierigkeiten betrieblicher Qualifizierung bestehen und wie Bewältigungsstrategien der Transformation insgesamt aussehen könnten, wird in diesem Band diskutiert. Dabei kommen Stimmen sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis zu Wort.

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Rico Chmelik, Klaus Dörre, Julia Hünniger, Thomas Rehfeldt, Stefanie B. Seitz (Hg.)

Die Zukunft des Automobils

Innovation, Industriepolitik und Qualifizierung für das 21. Jahrhundert – Eine Einladung zum Dialog

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Die automobile Transformation stellt ein wesentliches Element der Energiewende dar. Mit der Umstellung auf E-Autos soll eine ökologischere Mobilität vorangetrieben werden. Gleichzeitig stellt eine fortschreitende Digitalisierung der Fahrzeuge die Automobilbranche vor zusätzliche Herausforderungen. Wie dieser Umbau – insbesondere in in Thüringen ansässigen Betrieben – der Auto(Zuliefer)Industrie gelingt, wird kontrovers diskutiert. Vor dem Hintergrund sich verändernder Tätigkeitsbereiche (z.B. IT und Elektronik), anspruchsvollerer Managementanforderungen (z.B. interkulturelle Belegschaften) und eines fortschreitenden Fachkräftemangels muss Qualifizierung eine zentrale Rolle in der Energiewende spielen. Worin jedoch die aktuellen Schwierigkeiten betrieblicher Qualifizierung bestehen und wie Bewältigungsstrategien der Transformation insgesamt aussehen könnten, wird in diesem Band diskutiert. Dabei kommen Stimmen sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis zu Wort.

Vita

Rico Chmelik studierte Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München und BWL an der FernUniversität Hagen. Seit 2017 ist er Geschäftsführer des Automobil-Netzwerks automotive thüringen e.V. mit 115 Mitgliedsunternehmen, Mitautor zahlreicher Studien und Gutachten zum automobilen Strukturwandel, darunter Tiefenanalyse der Thüringer Zulieferindustrie und Regionalanalyse von Beschäftigungseffekten.Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.Dr. Julia Hünniger ist Erziehungswissenschaftlerin und promovierte Mediendidaktikerin, didaktische Beraterin an der FH Erfurt und Personalentwicklerin bei Stadtwerke Erfurt. Seit 2022 arbeitet sie als Projektleiterin Kompetenz- und Personalentwicklung automotive thüringen e.V.Thomas Rehfeldt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt BeaT – Berufliche Bildung erneuern für die automobile Transformation (BMWK) am Servicezentrum Forschung und Transfer (SFT) der Friedrich-Schiller-Universität Jena.Dr. Stefanie B. Seitz arbeitet als Transferexpertin am Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme. Seit mehr als 10 Jahren ist sie im Bereich Innovations- und Wissenschaftsmanagement in Einrichtungen wie dem Karlsruher Institut für Technologie, dem Deutschen Biomasseforschungszentrum (Leipzig) oder der Friedrichs-Schiller-Universität Jena tätig. Ihre Interessenschwerpunkte liegen auf dem Transfer von wissenschaftlichem Wissen über die Grenzen verschiedener Disziplinen und gesellschaftlicher Bereiche hinweg sowie auf der Frage, wie innovationsförderliche Kulturen in Arbeitszusammenhängen geschaffen werden können.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Vorwort der Herausgeber:innen

Teil I: Mobilität, Energiewende, Digitalisierung – Zur Zukunft der Autoindustrie

Klaus Dörre: Vorwärts in die Vergangenheit? Überlegungen zur Zukunft der Automobilität

1.

Einleitung – Von der Dekarbonisierung zur Deindustrialisierung?

2.

Die These – Flirtin’ with disaster

3.

Verschlafene Zukunft, E-Mobilität und Rolle rückwärts

4.

Strukturprobleme – Grenzen der Hochpreisstrategie und neue Konkurrenten

5.

Transformationskonflikte – Zwischen Ausschluss und Verantwortung

6.

Perspektive – Vernetzte Verkehrssysteme und nachhaltige Mobilität

Literatur

Rico Chmelik: Digitale Revolution auf Rädern – Perspektiven zur Bewältigung der Transformation in der Automobilindustrie durch Stärkung digitaler Kompetenzen

1.

Einleitung

2.

Definition und Grundlagen der Digitalisierung in der Automobilindustrie

2.1

Definition von Digitalisierung im Automobilkontext

2.2

Schlüsseltechnologien und ihre Treiber

2.3

Exkurs: Technologische Grundlagen, Chancen und Herausforderungen des autonomen Fahrens

2.4

Treiber der Digitalisierung

3.

Digitalisierung der Wertschöpfungsketten in der Automobil- und Zulieferindustrie

3.1

Fertigung und Montage in der digitalen Ära

3.2

Blockchain-Technologien in der Supply Chain

3.3

Supply Chain Management: Digital gesteuert

3.4

Fallbeispiele der digitalen Transformation

4.

Herausforderungen und Lösungsansätze in der Digitalisierung der Automobil- und Zulieferindustrie

4.1

Cybersicherheit und Datenschutz in der Automobilindustrie

4.2

Qualifikationslücken und Fortbildung der Mitarbeiter:innen

4.3

Strategien zur Überwindung von Innovationshürden

4.4

Bedeutung der kulturellen Transformation

5.

Auswirkungen der Digitalisierung auf Nachhaltigkeit und Gesellschaft in der Automobilindustrie

5.1

Beitrag der Digitalisierung zur ökologischen Nachhaltigkeit

5.2

Soziale Aspekte der Digitalisierung und Veränderungen in der Arbeitswelt

5.3

Rechtliche und ethische Fragestellungen

6.

Zukunftsperspektiven und Strategien in der Automobilindustrie

6.1

Vorausschau auf die kommenden technologischen Entwicklungen und Markttrends

6.2

Strategische Empfehlungen für Automobilhersteller und Zulieferer

6.3

Diskussion über die Rolle der Politik und internationaler Standards

7.

Fazit

7.1

Zusammenfassung der Kernergebnisse und -themen

7.2

Bewertung der langfristigen Implikationen der Digitalisierung für die Automobil- und Zulieferindustrie

7.3

Abschließende Überlegungen zur zukünftigen Forschung und Politikgestaltung

Literatur

Teil II: Qualifizierung in der Automobil- und Zulieferindustrie – Aktuelle Chancen und Herausforderungen

Serife Erol: Mitbestimmung wirkt – Der positive Einfluss von Betriebsräten auf betriebliche Weiterbildung

1.

Einleitung

2.

Ungleiche Weiterbildungschancen und die Rolle der Betriebsräte für betriebliche Weiterbildung

3.

Theoretische Ansätze zur ungleichen Verteilung von Weiterbildungschancen und Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte gemäß BetrVG

4.

Die WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2021

5.

Ergebnisse der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung

6.

Fazit

Literatur

Lennart Michaelis, Thomas Rehfeldt, Johanna Sittel, Sabrina Stangl: Angst vor Veränderung? Transformation und Qualifizierungsstrategien in der Thüringer Autozulieferindustrie

1.

Energiewende und E-Mobilität – Quellen der Angst und Qualifizierung als Ausweg?

2.

Strukturelle Unsicherheiten und Ängste vor Transformation in der Thüringer Automobil- und Zulieferindustrie

2.1

Strukturelle Unsicherheiten, Transformations- und Kriseneffekte

2.2

Von Ängsten über Transformationsskepsis bis hin zu Wut

2.2.1

Angst vor der Transformation, Angst vor der Zukunft?

2.2.2

Vorurteile und Skepsis als Antwort auf Transformationsdynamiken

2.2.3

»Fuck you, Greta« – Enttäuschung und Wut

3.

Lösungspotenziale durch Qualifizierung und ihre Herausforderungen

4.

Ängsten strategisch begegnen

Literatur

David Gutewort: Auf dem Weg zur CATL-Akademie – Learning & Organisational Development als Bindeglied im Wachstum von CATL

1.

CATL – Ein Weltmarktführer und Chancengeber

2.

Learning & Organisational Development – Gestaltungsansätze im Aufbau

2.1

Ausrichtung der Lernstrategie

2.2

Learning & Development-Prozesse

2.3

Talent Management im Aufbau

2.4

Organisational Development als Bindeglied

3.

»Excellent Leadership« – Führungskompetenzen als Fundament für Wachstum und Effizienz

4.

Qualifizierung gewerblicher Fachkräfte in der Batteriezellfertigung

Literatur

Julia Hünniger, Stefanie B. Seitz und Daniela Klaus: Weiterbildungskonzepte für die automobile Transformation – Peer und Blended Learning als Motor für selbstgesteuertes Lernen

1.

Vielfältige Herausforderungen durch die automobile Transformation

2.

Selbstgesteuertes Lernen als Schlüsselkompetenz in der Transformation

2.1

Peer und Blended Learning aus theoretischer Perspektive

2.2

Selbstgesteuertes Lernen will gelernt sein – ein Blick in die Praxis

2.2.1

Unsere Praxispartner im BeaT-Projekt

2.2.2

Professionalisierung von Peer Learning

2.2.3

Erweiterte Möglichkeiten durch Blended Learning

3.

Herausforderungen des Blended-Learning-Formats im gewerblichen Kontext

4.

Fazit

Literatur

Teil III: Konkrete Zukunftsstrategien – Was braucht es?

Ein Interview mit Yvonne Krug und Uwe Laubach: Autozulieferer ohne Personalentwicklung – Einblicke in Westthüringen aus Gewerkschafts- und Betriebsratssicht

Literatur

Peer Fidelak und Holger Heyer: Zukunftsstrategien für die Thüringer Automobilindustrie

1.

Aus Daten Informationen erzeugen

2.

Die Thüringer Automobilbranche im Detail

3.

Chancen erkennen und ergreifen

4.

Risiken abwägen und managen

5.

Wettbewerbspositionen stärken

Literatur

Mandy Kasel und Theresa Renate Schneider: Bildungseinrichtungen als Schnittstelle zwischen den Anforderungen der Transformation und betrieblicher Praxis – Investitionen, Innovation und politische Unterstützung

1.

Zur Rolle von Bildungseinrichtungen bei beruflicher Qualifizierung

2.

Bildungseinrichtungen und Energiewende

2.1

Herausforderungen

2.2

Chancen

2.3

Erfolgsbeispiele innovativer Bildungsansätze in der Automatisierungstechnik und Fachkräftegewinnung

3.

Handlungsempfehlungen für Bildungsträger und deren Partner

3.1

Anpassung der Lehrpläne an die Anforderungen der Energiewende

3.2

Investitionen in die Ausstattung und Infrastruktur

3.3

Förderung von Forschung und Entwicklung

3.4

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Bildungsangebote

3.5

Stärkung der Fachkräfteausbildung durch Unternehmensengagement und Kooperation

4.

Nötige politische Rahmenbedingungen für erfolgreiche Qualifizierungsprogramme

4.1

Ausarbeitung einer langfristigen Strategie für die berufliche Bildung im Kontext der Energiewende

4.2

Schaffung von Förderprogrammen für innovative Bildungsprojekte

4.3

Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und Unternehmen

5.

Fazit

Bernd Lösche: Qualifizierung und weitere Maßnahmen für die automobile Wende – Eine Betriebsratsperspektive im Spannungsfeld zwischen den Transformationsplayern

1.

Die automobile Antriebswende – Eine kurze Analyse eines komplexen Prozesses

2.

Die Sicht der Opel-Beschäftigten in Eisenach

3.

Anforderung an die Politik

4.

Die Anforderungen an die Arbeitgeber

5.

Anforderungen an Gewerkschaften und Betriebsräte

6.

Zehn Schlussfolgerungen

Rico Chmelik: Nachwort: Gemeinsam gestalten und verständigen – Zukunftsfähige Wege der Qualifizierung und Transformation

Autorinnen und Autoren

Vorwort der Herausgeber:innen

Die automobile Transformation spielt eine entscheidende Rolle im Kontext der Energiewende. Durch die Umstellung auf Elektro- und weitere alternative Antriebe soll eine umweltfreundlichere Mobilität vorangetrieben und so die CO2-Emissionen des Verkehrssektors erheblich gesenkt werden. Doch hinter dem Schlagwort »automobile Transformation« verbirgt sich noch viel mehr: Hier geht es auch um die Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Menschen, das jedoch kontextbezogen ist. Individuelle Mobilität soll gerade im sogenannten globalen Norden öffentlicher werden (zum Beispiel durch Carsharing oder öffentlichen Nahverkehr), während öffentliche Mobilität im globalen Süden nach wie vor eher individueller organisiert wird. Unter rein ökonomischen Gesichtspunkten besteht die steigende Nachfrage nach privaten Autos hier fort.1 Ein weiterer Aspekt der automobilen Transformation bezieht sich auf die fortschreitende Digitalisierung von Fahrzeugen und deren Produktion. Genannt seien hier neue Technologien, die autonomes Fahren ermöglichen, fortschreitende Vernetzung und künstliche Intelligenz. All dies verändert nicht nur die Fahrzeuge selbst, sondern auch das gesamte Wertschöpfungssystem. In Summe führt die automobile Transformation zu einem tiefgreifenden Strukturwandel, der mit Verschiebungen innerhalb der automobilen Wertschöpfungsketten einhergeht. Dies betrifft nicht nur die Produktion, sondern auch den Vertrieb, die Instandhaltung und andere Bereiche bis hin zur Entwicklung neuartiger Geschäftsmodelle.

In Deutschland sind zahlreiche Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie ansässig. Laut Statistischem Bundesamt beträgt die Bruttowertschöpfung der Branche 87 Milliarden Euro (2020). Die Konsequenzen der Transformation für die Menschen, die in der Autoindustrie arbeiten,2 sind vielfältig und bergen sowohl Chancen als auch Risiken. Sie stellen Standorte wie Thüringen, wo Zulieferer mit Hauptsitz außerhalb Thüringens beziehungsweise Deutschlands sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) agieren, vor besondere Herausforderungen. Es entstehen neue Arbeits- und Beschäftigungsfelder, die jedoch veränderte oder ganz neue Qualifikationen erfordern. Gleichzeitig verlagern sich Arbeitsplätze oder gehen ganz verloren (beispielsweise im konventionellen Antriebsstrang). Entsprechend kontrovers wird die Frage diskutiert, wie Unternehmen in der Branche mit ihren Beschäftigten den Umbau bewältigen können.

Das Projekt »BeaT – Berufliche Bildung erneuern für die automobile Transformation«, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, geht dieser Frage seit Oktober 2021 nach. Es wurden die Anforderungen und Herausforderungen betrieblicher Qualifizierungsstrategien in der Thüringer Autozulieferindustrie untersucht und auf dieser Basis Anpassungskonzepte entwickelt und erprobt. Im vorliegenden Band haben wir zum Abschluss des Projekts Expertinnen und Experten eingeladen, gemeinsam mit uns die Projektergebnisse und Debatten um die automobile Transformation – insbesondere mit Blick auf die Rolle der Weiterbildung bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen – zu beleuchten. Dabei möchten wir das ganze Spektrum unterschiedlicher Blickwinkel öffnen und gehen damit über eine rein wissenschaftliche Perspektive hinaus. Der Dialog mit der Gesellschaft – also Akteuren aus der Praxis – war den Forschenden des BeaT-Projekts stets ein wichtiges Anliegen, welches in diesem Band fortgesetzt werden soll.

In Teil I des Buches »E-Mobilität, Energiewende, Digitalisierung – Zur Zukunft der Autoindustrie« werden wir uns den großen Umbrüchen in der Branche im Zuge der automobilen Transformation widmen. Hier werden die Transformationsprozesse in der Automobilindustrie sowie die daraus resultierenden Problemlagen beschrieben und diskutiert.

Im ersten Beitrag gibt Klaus Dörre ausgehend von den europäischen Klima- und Dekarbonisierungsmaßnahmen sowie den Strukturproblemen und sozial-ökologischen Transformationskonflikten in der Branche Einschätzungen zur Zukunft der Autoindustrie. Die Betonung auf soziale Gerechtigkeit in seinem Ansatz ist besonders relevant, da Transformationsprozesse häufig mit Veränderungen in Beschäftigungsmustern und Lebensbedingungen einhergehen. Mit seiner Forschung trägt er dazu bei, die Komplexität dieser Herausforderungen zu verstehen und Wege aufzuzeigen, wie eine nachhaltige Transformation erreicht werden kann, die sowohl ökologisches Wirtschaften als auch soziale Gerechtigkeit berücksichtigt. Eine Abkehr vom Verbrenner-Aus und damit vom grünen Kapitalismus würde aus seiner Sicht einer Rolle rückwärts gleichkommen.

Im zweiten Beitrag richtet Rico Chmelik den Blick auf den Aspekt der Digitalisierung in der automobilen Transformation. Als Geschäftsführer des Branchennetzwerks automotive thüringen e.V., das sich seit über 20 Jahren für die Automobilindustrie in Thüringen einsetzt, sieht er die digitalen Umbrüche in der Branche als Chance für den Standort Thüringen, um unter anderem dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die Unternehmen, die es schaffen, sich in der automobilen Wertschöpfung mit softwarebasierten Komponenten zu behaupten und/oder die eine ausgereifte Digitalisierungsstrategie entwickeln, werden zukunftsfähig sein.

Qualifizierung gilt als eine wichtige Komponente, um demografische, technologische und betriebliche Veränderungsprozesse zu bewältigen. Wie genau das gelingen kann, welche Rolle den beteiligten Akteuren dabei zukommt und welche wichtigen Aspekte es im Kontext der automobilen Wende zu berücksichtigen gilt, wird in Teil II des Buches »Qualifizierung in der Automobil- und Zulieferindustrie – Aktuelle Chancen und Herausforderungen« beleuchtet. Wir gehen dabei nicht nur auf die Qualifizierungspotenziale, sondern auch auf mögliche Hindernisse ein, bevor Beispiele für konkrete Qualifizierungsmaßnahmen aus der Praxis vorgestellt und reflektiert werden.

Teil II startet mit einem Beitrag von Serife Erol, die auf Basis der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2021 die Rolle von Betriebsräten im Weiterbildungsbereich analysiert. Obwohl sich die Hälfte der Arbeitgeber um Qualifizierungsangebote bemüht, mangelt es angesichts des massiven Strukturwandels an adäquaten Gestaltungsmöglichkeiten und langfristigen Weiterbildungsstrategien. Insgesamt zeigt Erol ein Mitbestimmungsdefizit bei der betrieblichen Qualifizierung auf.

Zu ähnlichen Erkenntnissen kommen auch Lennart Michaelis, Thomas Rehfeldt, Johanna Sittel und Sabrina Stangl, die auf Basis des im Rahmen des BeaT-Projekts erhobenen qualitativen empirischen Materials auf Ängste von Beschäftigten, die mit den Transformationsprozessen in der Automobil- und Zulieferindustrie in Thüringen einhergehen, zu sprechen kommen. Die Autor:innen belegen, dass gezielte Qualifizierungsmaßnahmen – auch über reines Fachwissen hinaus – ein wichtiger Baustein sind, um Unsicherheit, Skepsis und Unbehagen in Belegschaften bezüglich der Transformation zu begegnen. In der betrieblichen Praxis der untersuchten Fälle bleibt dieses Potenzial bisher jedoch häufig unausgeschöpft. Es bedarf deshalb auch entsprechender Rahmenbedingungen.

Mit dem Beitrag von David Gutewort, der als Spezialist für HR Training and Development bei dem chinesischen Batteriehersteller CATL in Arnstadt tätig ist, folgt ein Positivbeispiel für großbetriebliche Personalentwicklung aus der Praxis. Der Autor verdeutlicht am Beispiel der CATL-Niederlassung am Erfurter Kreuz konzeptuell sowie anwendungsbezogen, wie eine Personalentwicklungsstrategie erfolgreich umgesetzt werden kann. Für Neuansiedlungen in der Größenordnung von CATL in Arnstadt (1.500 Beschäftigte) stellt Qualifizierung eine unumgängliche Anforderung dar. Schließlich geht es darum, in Zeiten von Personalmangel kompetente Beschäftigte zu akquirieren und im Unternehmen zu halten.

Teil II schließt mit einem Einblick in die Entwicklung von konkreten Anpassungskonzepten und Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen des BeaT-Projekts. Julia Hünniger, Daniela Klaus und Stefanie B. Seitz präsentieren in ihrem Beitrag Ansätze des Peer Learnings und Blended Learnings als professionelle Qualifizierungsstrategien im Energiewende- und Transformationskontext für Betriebe, in denen bislang mitunter vor allem ein rein informelles learning by doing dominierte. Dabei steht das aktive Einbinden der Mitarbeitenden in den Lernprozess im Vordergrund, wodurch das selbstgesteuerte Lernen gefördert wird. Eine strukturierte Lern- und Weiterbildungskultur kann dazu beitragen, Mitarbeitende besser in die Lage zu versetzen, auf schnelllebige Entwicklungen im Arbeitsalltag zu reagieren. Die Autorinnen gehen sowohl auf die Chancen von Peer- und Blended-Learning-Formaten ein, als auch auf mögliche Herausforderungen, die es für eine erfolgreiche Umsetzung zu bewältigen gilt.

Teil III des Bandes widmet sich der Entwicklung konkreter Zukunftsstrategien, die nötig sind, um die automobile Wende erfolgreich zu bewältigen, also der Fragestellung: »Was braucht es?«. Hier kommen nicht nur Stimmen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmersicht zu Wort, sondern auch die Perspektive von Bildungseinrichtungen. Die Autor:innen geben in diesem Abschnitt in unterschiedlichen Formaten einen authentischen Einblick in ihre Erfahrungshorizonte und ziehen Rückschlüsse darauf, was es in Zukunft braucht, um den Transformationsprozess gestalten und bewältigen zu können. Hierbei werden nicht nur Maßnahmen im Bereich Qualifizierung, sondern auch auf ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Ebene betrachtet.

Der Abschnitt startet mit einem Interview mit Yvonne Krug (ehemalige Betriebsratsvorsitzende Marelli Automotive Lighting Brotterode) und Uwe Laubach (ehemaliger Bevollmächtigter IG Metall Gotha/Eisenach), in dem sie von ihren Erfahrungen mit der Transformation der Autoindustrie berichten. Sie legen dabei einen Schwerpunkt auf die Situation in beziehungsweise von Zulieferbetrieben. Ein Befund ist unter anderem, dass das langjährige Fehlen von Qualifizierungsstrategien zum Niedergang mehrerer Zulieferstandorte in Westthüringen geführt hat. Für einen zukünftigen Erhalt der Industrie in der Region müssten alle beteiligten Akteure an einem Strang ziehen.

Im nachfolgenden Beitrag entwickeln Peer Fidelak und Holger Heyer (beide Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH) auf Basis des AUTOMONITOR 2024 – eine quantitative Befragung von verschiedenen Automobil- und Zulieferbetrieben in Thüringen zur aktuellen Situation und Perspektiven – eine Zukunftsstrategie für die Thüringer Autoindustrie. Die Autoren betonen die Notwendigkeit von begleitenden politischen Strategien, um den Wandel in der Branche zu gestalten. Das reicht vom Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos bis zur Innovations- und Wirtschaftsförderung, um die Wettbewerbssituation zu stärken. Auch Risikofaktoren wie eine kritische Haltung gegenüber der Energie- und Mobilitätswende innerhalb der Bevölkerung und mitunter auch von politischen Akteuren müssen berücksichtigt werden.

Anschließend gehen Mandy Kasel (Geschäftsführerin AWA e.V.) und Theresa Schneider (Masterstudentin der Soziologie) auf die Rolle von Berufsbildungseinrichtungen in Qualifizierungsprozessen für die Energiewende ein. Sie beschreiben deren Bedeutung als Schnittstelle zwischen Anforderungen der Transformation und betrieblicher Praxis. Im Beitrag wird außerdem herausgearbeitet, wie wichtig die Anpassung von Lehrplänen, Investitionen und Innovation (zum Beispiel Ausstattung und praxisnahe, flexible Bildungsangebote), politische Unterstützung (unter anderem über Förderprogramme) sowie Unternehmensengagement und Kooperationsnetzwerke für eine erfolgreiche Bewältigung der Umbrüche sind. Letzteres schließe eine enge Zusammenarbeit zwischen Bildungsakteuren und Unternehmen ein.

Zum Abschluss entwickelt Bernd Lösche, basierend auf seinem Erfahrungsschatz als Betriebsratsvorsitzender bei Opel Eisenach, umfassende Bewältigungsstrategien für die automobile Wende. Diese schließen sowohl mögliche Qualifizierungswege als auch politische und gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen ein. Der Autor geht dabei auf die jeweilige Rolle von Arbeitgebern, Politik und Gewerkschaften ein und benennt konkrete Aufgaben, die anzugehen seien. Sein Beitrag endet mit zehn Schlussfolgerungen, die weit über branchenspezifische Entwicklungen hinausgehen.

Der vorliegende Band versammelt unterschiedliche Perspektiven auf die automobile Transformation im Kontext der Energiewende, zeigt wesentliche Entwicklungslinien auf und macht verschiedene Angebote dafür, wie den Herausforderungen erfolgreich begegnet werden kann. Vor dem Hintergrund einer politischen Situation, in der die Alternative für Deutschland (AfD) für etwa ein Drittel der Gesellschaft eine reale Wahloption darstellt, ist es dringend nötig, Lösungsstrategien für einen sozial-ökologischen und nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu entwickeln, die alle relevanten Akteure einbeziehen. In Bundesländern wie Thüringen, wo der gesellschaftliche Zusammenhalt laut der jüngsten Bertelsmann-Studie zunehmend unter Druck steht,3 ist besondere Eile geboten, Transformationswege einzuschlagen, welche die Zukunft sichern – auch von emissionsreichen Branchen wie der Autoindustrie und ihren Beschäftigten.

Bevor wir die Leser:in in die Lektüre der einzelnen Buchbeiträge entlassen, möchten wir die Gelegenheit nutzen, Dank auszusprechen: Wir bedanken uns allem voran beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die Finanzierung des BeaT-Projekts sowie bei dem Projektträger Jülich für die langjährige hervorragende Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ohne beide Akteure wären weder das Projekt noch dieses Buch möglich gewesen! Ebenso sind wir allen Interviewpartner:innen und Wegbegleiter:innen des BeaT-Projekts während der Erhebungen und Veranstaltungen zu großem Dank verpflichtet. Das im Projektzusammenhang entstandene Netzwerk erfüllt uns mit besonderem Stolz. Bezogen auf das vorliegende Buch gilt unser Dank nicht nur den Autor:innen für ihre wertvollen Buchbeiträge und dem Verlag für sein Interesse und die professionelle Arbeit, sondern auch den zahlreichen studentischen Assistent:innen, die bei Erstellung, Formatierung und Korrektur des Manuskripts wesentliche Unterstützung geleistet haben. Allen voran sind hier Marc-Dirk Harzendorf, Leonard Schönfeld, Theresa Renate Schneider und Judith Vrenegor zu nennen – ohne sie hätten wir die Frist für die Manuskriptabgabe wohl nicht einhalten können.

Teil I: Mobilität, Energiewende, Digitalisierung – Zur Zukunft der Autoindustrie

Vorwärts in die Vergangenheit? Überlegungen zur Zukunft der Automobilität

Klaus Dörre4

I’m travelin’ down the roadI’m flirtin’ with disasterI’ve got the pedal to the floorMy life is running fasterI’m out of money, I’m out of hopeIt looks like self destructionWell how much more can we takeWith all of this corruption […]Aus: Flirtin’ with Disaster

Molly Hatchet, 1979

1.Einleitung – Von der Dekarbonisierung zur Deindustrialisierung?

Wer heute über die Zukunft der Mobilität und die der Autobranche nachdenkt, wird sich mit Geopolitik, Umbrüchen in der Weltwirtschaft und deren gesellschaftlichen Auswirkungen befassen müssen. Klimawandel, Pandemiefolgen, Kriege, gestörte Wertschöpfungsketten, knappe Rohstoffe und teure Energie belasten die globale Ökonomie und mit ihr auch die europäischen Wirtschaftsmodelle. Fortschreitende Deindustrialisierung ist eine reale Gefahr, die sich bereits in wichtigen Kennziffern niederschlägt (Kirton-Darling 2024). So verzeichneten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) 2022 ein Handelsdefizit von 432 Milliarden Euro. Von Februar 2023 bis zum Vergleichsmonat im Jahr 2024 fiel die Industrieproduktion in der Eurozone um 6,4 Prozent, die der gesamten EU ging um durchschnittlich 5,4 Prozent zurück. Innerhalb der EU gilt die deutsche Wirtschaft als besonders schwieriger Problemfall. Eben noch für das »German Job Miracle« gelobt, ist nun wieder vom »kranken Mann« Europas die Rede, denn die Konjunktur lahmt, die Wachstumsraten sind niedrig und der Kapitalstock für öffentliche Investitionen ist über viele Jahre hinweg geschrumpft.5

Was bedeutet diese Entwicklung für die Zukunft der Automobilität? War es industriepolitisch naiv, primär auf elektrifizierten Verkehr zu setzen? Soll, ja muss, das Tempo des sozial-ökologischen Umbaus gedrosselt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit einer Industrie mit vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsplätzen zu erhalten? Erleben wir gar eine von Realismus getriebene Rolle rückwärts, die das fossile Zeitalter in Deutschland und der EU um viele Jahre verlängert?

Nachfolgend werden diese Fragen in mehreren Schritten behandelt. Einleitend geht es um die europäischen politics of production6 und eine mögliche Revision ökologischer Klima- und Nachhaltigkeitsziele – eine Problematik, auf die sich die Kernthese des Beitrags bezieht (2, 3). Es folgt eine Inspektion von Strukturproblemen der Autobranche (4), die sodann im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche und branchenspezifischer Transformationskonflikte verortet wird (5). Überlegungen zu den Perspektiven einer nachhaltigen Mobilität, die der Branche als zukunftsträchtiges Leitbild dienen könnte, schließen den Beitrag ab (6).

2.Die These – Flirtin’ with disaster

Beginnen wir mit den europäischen politics of production. Um den Klimawandel zu bekämpfen und eine Wende hin zu ökologischer Nachhaltigkeit einzuleiten, hatte sich die EU ambitionierte Ziele gesetzt. Bis spätestens 2050, in Deutschland bereits bis 2045, sollten die klimaschädlichen Emissionen auf Netto-Null zurückgefahren werden. Pro EU-Einwohner müsste der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase dann jährlich unter zwei Tonnen liegen. Diese Ziele sind für die Mitgliedstaaten – noch – verbindlich und sanktionierbar. Ihre Realisierung würde auf tiefgreifende Veränderungen der Produktionsmodelle, Geschäftsstrategien und Konsummuster hinauslaufen. Doch Ziele sind das eine, ob und wie sie erreicht werden, steht auf einem anderen Blatt.

Die Gefahr einer Deindustrialisierung vor Augen und in der Erwartung schwieriger Mehrheitsbildungen im Europaparlament, fordert die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsverbandes industriAll Europe, Judith Kirton-Darling, einen erneuerten europäischen Green Deal, der durch Initiativen zur Stärkung der Industrie zu ergänzen sei. Zugleich warnt die Gewerkschafterin vor einem rechten Populismus, der durch eine Überbetonung ökologischer Nachhaltigkeitsziele befeuert werde. Eine eindimensionale Fokussierung auf strenge Umweltkriterien berge die Gefahr, dass unbezahlbare grüne Produkte entstünden, wodurch Fortschritte bei Elektrofahrzeugen und anderen wichtigen Industrien aufgehalten würden (Kirton-Darling 2024).

Was die Spitzengewerkschafterin nur vorsichtig andeutet, die Relativierung ökologischer Nachhaltigkeitsziele, wird im liberal-konservativen Spektrum der Medienlandschaft bereits als das »Ende der grünen Hegemonie« (Rödder 2024) gefeiert. Ursula von der Leyen habe »lange stur am Green Deal festgehalten«, nun werde sie ganz »andere Akzente setzen müssen« (Kafsack 2024: 18):

»Weder Corona-Krise noch Ukraine-Krieg haben die Kommissionspräsidentin davon abgebracht, ihre zu Beginn der Amtszeit zum Kernthema erkorene Politik zum Schutz von Klima und Naturschutz – die sie gar als Europas Mondlandung bezeichnete – voranzutreiben. […] Nichts hätte von der Leyen davon abgehalten, bis zum Ende ihrer Amtszeit weiterzumachen, wenn im Frühjahr des vergangenen Jahres [2023, d. A.] nicht die eigene Partei rebelliert hätte. […] Ein gutes Jahr später halten im Wahlkampf nur noch die Grünen und Teile der liberalen Renew-Fraktion – nicht die FDP – am Green Deal fest« (ebd.).

Tatsächlich ist das Geld für den European Green Deal über 2026 hinaus nicht gesichert. Bereits beschlossene Maßnahmen wie das Ende der Zulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor, ein wichtiger Baustein des Green Deal, werden wieder in Frage gestellt (Zeit-online 2024).

Der Abschied vom Leitbild eines grünen Kapitalismus wäre jedoch, so die hier vertretene These, ein verheerendes Signal. Würden die Mitte-rechts-Parteien gemeinsam mit Teilen der radikalen Rechten für ein Ende des europäischen Green Deal sorgen, käme das nicht nur für die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie einem Flirt mit dem Desaster gleich. Die Fahrzeugbranche hat in Deutschland und Europa nur dann eine Zukunft, wenn sie ihre Produktion konsequent an der Vision nachhaltiger, vernetzter Mobilitätssysteme ausrichtet. Eine Förderung der ökologisch völlig unzureichenden E-Mobilität ist dafür als Übergangslösung – leider – unverzichtbar.

Wenn Teile der politischen Eliten nun unter dem Signum der Technologieoffenheit ihren Kurs ändern und zu Kampagnen gegen den Abschied vom Verbrennungsmotor aufrufen, senden sie damit also ein fatales Signal. Sie säen Unsicherheit für investitionswillige Unternehmen und blockieren Innovationen. Vor allem die Automobilcluster im Osten der Republik, die auf den Erfolg von elektrifizierten Fahrzeugen und E-Mobilität zugeschnitten sind, würden hart getroffen. Zu leiden hätte die Gesellschaft insgesamt. Denn je länger der dringend nötige Umbau der Autobranche und des Verkehrssektors hinausgezögert wird, desto höher wird der Preis sein, den Beschäftigte, Kunden, Unternehmen und Gesellschaften zu zahlen haben, wenn der Druck des ökologischen Katastrophenpotenzials den Wandel unausweichlich macht.

3.Verschlafene Zukunft, E-Mobilität und Rolle rückwärts

Aktuelle Vorstöße zur Revision des Verbots für Verbrennungsmotoren suggerieren, dass die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie unter politischem Druck zu rasch »ergrünt« sei, was nun zur Gefährdung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit führe. Zutreffend ist jedoch das genaue Gegenteil. Über Jahrzehnte hinweg hat die Branche Sprunginnovation verschlafen. Als einer der wenigen Fachkundigen hat der ehemalige VW-Manager Daniel Goeudevert mit großer Klarheit formuliert, worin das Kernproblem der Branche besteht. Schon vor Jahrzehnten plädierte der Visionär für ein »vernetztes Verkehrssystem«, »das den Mobilitäts- und Transporterfordernissen durch eine intelligente Koordination der verschiedenen Verkehrsträger – Auto, Bahn, Verkehr, Binnenschifffahrt und öffentlicher Nahverkehr – gerecht« wird. Seither, so Goeudevert, sei »kaum mehr als nichts« passiert (Goeudevert 2020: 264).

Warum auch, so könnte die Gegenfrage lauten. Angesichts steigender Absatzzahlen, wachsender Beschäftigung und sprudelnder Gewinne wähnte sich die Branche lange als unverwundbar. Kam es dennoch zu Krisen, konnte man, wie während des globalen Finanzcrashs 2007 bis 2009, auf einen generösen Staat als Helfer in der Not setzen. Folgerichtig begnügten sich die Autohersteller mit inkrementellen Verbesserungen. Sprunginnovationen galten als überflüssig, teuer und riskant. Kostensteigerungen reichte man an abhängige Zulieferer weiter, die über wenig Entscheidungsspielraum verfügten. Bis zuletzt wurden Konkurrenten wie der E-Auto-Hersteller Tesla deutlich unterschätzt. Angestoßen durch die Corona-Rezession und unter dem Druck verbindlicher Dekarbonisierungsziele begann sich das Blatt zu wenden. Eine weitreichende Transformation der Branche schien unausweichlich. In der deutschen Autoindustrie werde »kaum ein Stein auf dem anderen« bleiben, »weil es eben wirklich die Produktion betrifft«, prognostizierten Branchenexperten.7 Vom European Green Deal und seinen nationalen Ablegern inspiriert, setzten die in Deutschland ansässigen Autohersteller und mit ihnen große Systemzulieferer mehr und mehr auf grünes Wachstum. Der Umbau in Richtung E-Fahrzeuge und die Elektrifizierung des Verkehrs wurden, so die Ergebnisse unserer Untersuchungen bei Endherstellern und Zulieferern (Dörre u.a. 2024),8 von Vorständen, Geschäftsführungen und Management zumindest akzeptiert, teilweise auch mit Enthusiasmus begrüßt:

»Also ich sehe die Entwicklung der Branche, dass es nur die überleben werden auf Dauer, die auch wirklich in Richtung der E-Mobilität sehr stark aktiv sind. Sicherlich kann man über Wasserstoff noch diskutieren, auch über E-Fuels und so weiter. Aus meiner Sicht sind das Nischenprodukte, die man auch verfolgen muss, für spezielle Anwendungen mit Sicherheit […]. VW wird noch Autos bauen in 15 Jahren, allerdings deutlich andere Autos als heute, womit ich die Antriebstechnik meine. […] In 15 Jahren sind wir mit Sicherheit zu 90 Prozent weltweit in E-Mobilität. Davon bin ich wirklich überzeugt. Da habe ich die Einblicke auch in unsere strategischen, planerischen Abläufe, alle Wege sind in diese Richtung geleitet. Das wird weiterverfolgt« (Abteilungsleiter VW).

Wie für den zitierten Manager galt der Übergang zum elektrifizierten Verkehr auch in den Top-Etagen der von uns untersuchten Werke als unausweichlich. Zwar wurden Rückstände bei der Digitalisierung eingeräumt und mehr oder minder große Spielräume für E-Fuels und wasserstoffbasierte Antriebe gesehen, doch insgesamt gab man sich optimistisch, dass die Wende in Richtung E-Fahrzeuge und E-Mobilität gelingen werde. Vor allem Spitzenmanager aus dem VW-Konzern strotzten geradezu vor Selbstvertrauen und waren sich sicher, siegreich aus der Konkurrenz mit Tesla und anderen Mitwettbewerbern hervorzugehen. Entscheidend sei, so ein in den Interviews häufig gehörtes Argument, die Fähigkeit, Autos zu bauen, also das Wissen um industrielle Fertigung auf hohem Niveau. Diese Fähigkeit sprechen manche Führungskräfte Konkurrenten wie Tesla noch immer ab:

»Der Musk ist kein Autobauer. Ich habe mir die ersten Tesla genauer angeguckt seinerzeit in Shanghai. Schauderhaft. Wir waren da mit Kollegen im Showroom von Tesla in Shanghai, er hat ja auch ein Werk gebaut da, und haben uns die Autos angeguckt und haben uns nur noch amüsiert, wie so Dinger denn überhaupt vernünftig auf der Straße bleiben können über Jahre. Irgendwie funktioniert es, aber dass diese Dinger auf die Dauer nicht stabil sind, das ist auch klar. Die Autos werden keine 20 Jahre alt. Aber was ist ein 20 Jahre alter Passat? Der fährt immer noch und der fährt noch zehn Jahre. Oder ein Audi 100 oder so, die fahren immer noch« (Manager, oberer Führungskreis VW).

Solche Einschätzungen mögen in Teilen berechtiget sein, sie übergehen allerdings, dass Tesla Fahrzeuge mit etwa 40 Prozent weniger Arbeitsvolumen herstellt und die Produktion geradezu revolutioniert hat. Auch chinesische Anbieter wie BYD Auto besitzen gegenüber den in Deutschland ansässigen Anbietern einen technologischen Vorteil. Hinter optimistischen Beurteilungen der Wettbewerbssituation verbarg sich zudem die in den Führungsetagen geteilte Hoffnung, nach den verlorenen Jahren der Corona-Rezession werde die Branche allmählich wieder in ruhiges Fahrwasser zurückfinden. Denn vordergründig betrachtet handelte es sich bei den Problemen der Fahrzeugbranche um Folgen von Lockdowns, gestörten Zulieferketten, Chip-Mangel und Lieferengpässen bei wichtigen Rohstoffen (Kleinhans/Hess 2021), die mit dem Ende der Pandemie verschwinden würden. Entgegen zahlreicher Vorhersagen hat sich die wirtschaftliche Situation in der Automobil- und Zulieferbranche seit der Corona-Rezession aber nicht grundlegend verbessert. Es gibt keine Rückkehr zur Vorkrisen-Normalität. Stattdessen wird nun deutlich, dass sich die Branche viel zu lange auf gewinnträchtigen Geschäftsmodellen ausgeruht hat, die ihre beste Zeit im Grunde hinter sich haben.

Blicken wir auf die Wettbewerbsstrategien führender Hersteller, ihre Stärken, aber auch auf ihre unübersehbaren Schwachstellen. Ein prägendes Merkmal der Geschäftsmodelle von in Deutschland ansässigen Herstellern ist, dass sie Gewinne in erster Linie mit financial services und im Segment hochpreisiger Luxuslimousinen und SUVs ermöglichen. Das Premiumsegment zu dominieren, gilt dem strategiefähigen Management als herausragende wettbewerbspolitische Leistung, denn die Konsumenten in der Hochpreisnische zahlen – so jedenfalls die Erwartung bei den Herstellern – jeden Preis für das gewünschte Fahrzeug, weshalb Kostensteigerungen relativ problemlos an die Kunden weitergegeben werden können. Dies sei die Voraussetzung dafür, Produktion für die Volumenmärkte und damit Beschäftigung in der Bundesrepublik zu halten, lauteten die Legitimationen für Strategien, die mit dem Übergang zu batterieelektrischen Antrieben weiter Bestand haben sollen. Da das Marktsegment der Reichen und Superreichen weiter wachsen werde, sei es wichtig, in diesem Bereich die Spitzenposition zu besetzten. Das müsse auch für die Zukunft gelten, argumentierte eine befragte Expertin, die in der Stabsabteilung eines großen Endproduzenten tätig ist.

4.Strukturprobleme – Grenzen der Hochpreisstrategie und neue Konkurrenten

Betrachtet man nur die Gewinnentwicklung, geht diese Rechnung auf – so scheint es jedenfalls. Dank hoher Neuwagenpreise und eines Absatzwachstums von sieben Prozent konnten die 16 weltweit größten Autokonzerne 2023 erneut Rekordumsätze und -gewinne einfahren. Ihr Gesamtumsatz stieg im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent auf 2,05 Billionen Euro, der Gewinn kletterte sogar um 15 Prozent und erreichte 176 Milliarden Euro (Ernst & Young 2024). Mit durchschnittlich 8,6 Prozent legte die Gewinnmarge gegenüber dem Rekordjahr 2022, in welchem die in Deutschland ansässigen Hersteller besonderes gut abgeschnitten hatten, noch einmal leicht zu (ebd.).9 2022 war Mercedes-Benz beim operativen Gewinn mit rund 5,2 Milliarden Euro weltweit Spitzenreiter, gefolgt von VW mit 4,3 Milliarden Euro; BMW rangierte mit 3,7 Milliarden Euro auf Rang fünf (Ernst &Young 2023). Aufgrund von ungünstigen Währungsparitäten (schwacher Yen) verzeichneten die deutschen Hersteller 2023 nur noch ein Gewinnwachstum von zusammen sieben Prozent. Dennoch konnte Mercedes-Benz seine Spitzenposition mit einer Marge von 12,8 Prozent behaupten und führte damit das Ranking der profitabelsten Endhersteller vor Stellantis (12,1 Prozent) und BMW (11,9 Prozent) an. Dagegen sank die Gewinnmarge bei Tesla von 16,8 auf immerhin noch 9,2 Prozent (Ernst & Young 2024).

Wozu also die Aufregung und das Krisengerede, wenn doch die Gewinne stimmen? Tatsächlich muss die Krisenrhetorik der Endproduzenten stark relativiert werden, denn Gewinnwarnungen, wie sie der VW-Vorstand im Frühjahr 2024 ausgesprochen hat, bedeuten zunächst einmal nur, dass die Profitabilität mit Blick auf die Erwartungserwartungen von Anteilseignern und – potenziellen – Investoren auf hohem Niveau stabilisiert werden soll. Ungeachtet der Anforderungen an das Managementhandeln, die aus dem Kontrollregime einer »straffen Profitsteuerung« (Dörre 2001) resultieren, zeichnen sich bei genauerem Hinsehen dennoch Grenzen der gewählten Geschäftsmodelle ab. Die wichtigsten Gründe seien knapp benannt.

Erstens