Die zweite Chance - Katharina von der Leyen - E-Book
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Die zweite Chance E-Book

Katharina von der Leyen

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Beschreibung

Jeder Tierheimhund bringt eine Geschichte mit, die ihn geprägt hat. Dieser umfassende Erziehungs- und Verhaltensratgeber vermittelt das besondere Know-how, das Besitzer von Hunden aus zweiter Hand brauchen, von der Eingewöhnung über Bindungsaufbau bis zu Verhaltensauffälligkeiten. Viele Fallbeispiele aus der Praxis der Autorinnen zeigen, wie man bei Problemen angemessen reagiert. Wertvoll auch für Mitarbeiter in Tierheimen und im Tierschutz.

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Seitenzahl: 330

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Zum Geleitvon Frank Weber

Über Hunde wurden und werden zahllose Bücher geschrieben – ein schier unerschöpfliches Literaturangebot, aus dem man auswählen kann. Doch über meine Lieblingsrasse, den Hund aus dem Tierschutz, ist das Angebot an fundierter Information bisher sehr überschaubar. Mit dem vorliegenden Buch schließen Katharina von der Leyen und Inga Böhm-Reithmeier diese Wissenslücke. Kompetent, mit viel Sachverstand und dem notwendigen emotionalen Abstand beleuchten sie die Chancen und möglichen Schwierigkeiten, die auftreten können, wenn man einen Vierbeiner aus dem Tierschutz bei sich aufnehmen möchte. Ein wichtiges Buch, auf das man lange gewartet hat, und eine gut lesbare und sehr schön gestaltete Chance für jeden Interessierten und Interessenten, sich intensiv mit dem Thema „Hunde aus dem Tierschutz“ zu beschäftigen.

Kein anderes Haustier ist so anpassungsfähig wie der Hund, kein anderes Tier geht eine so enge Beziehung zu uns ein. In einer Welt, in der sich das Leben der Menschen immer mehr beschleunigt, ist der Hund ein Ruhepol und oft der einzige Beziehungspunkt, den wir noch zur Natur haben. Hunde bereichern unser Leben, geben uns Wärme und Geborgenheit und sind immer für uns da. Sie lieben ihre Menschen bedingungslos, wir sind für sie das Universum, um das sich ihr Leben dreht. Sie fragen nicht nach sozialem Status, es ist ihnen egal, welche Hautfarbe wir haben, welches Auto wir fahren, ob wir arm sind oder reich. Der Hund nimmt seinen Menschen so an wie er ist, ohne Wenn und Aber … Doch sind wir auch bereit, unseren Hund so zu nehmen wie er ist? Welche Voraussetzungen muss man als zukünftiger Hundehalter mitbringen? Was kommt als Hundehalter auf mich zu? Mit diesen nicht ganz einfach zu beantwortenden Grundüberlegungen beschäftigen sich die ersten Kapitel des vorliegenden Buches.

© privat

Aus dem Zusammenleben mit einem Hund entsteht für den Menschen eine Verantwortung. Ein Tier ist kein Gegenstand, den man benutzt und, wenn man das Interesse verliert, in den Keller stellen oder einfach wegwerfen kann. Es ist ein Lebewesen, für das wir die Verantwortung übernehmen. Es hat ein Recht darauf, dass wir diese Verantwortung auch wahrnehmen. Hunde haben Ansprüche und Gefühle, sie können lieben und trauern, sie können glücklich und unglücklich sein – genau wie wir. Als soziales Wesen brauchen sie den Kontakt zum Menschen wie die Luft zum Atmen. Sie wollen in unserer Nähe sein und Zeit mit uns verbringen. Wenn ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, leiden sie. Sie haben die unterschiedlichsten Möglichkeiten gefunden, dies auch auszudrücken. Jeder kennt das Sprichwort: „Der leidet wie ein Hund“. Doch leidet dabei nicht jeder Vierbeiner still vor sich hin. Ganz im Gegenteil – die Liste möglicher Verhaltensauffälligkeiten ist lang und ausgesprochen individuell. Und ebenso individuell sind die Ansätze, um diese „Macken“ abzustellen bzw. einen Weg zu finden, wie Hund und Herrchen möglichst harmonisch miteinander leben können. Es gibt Konstellationen, die schlicht und einfach nicht zueinander passen. Umso wichtiger ist es, sich vor der Anschaffung eines Hundes intensive Gedanken zu machen. Und wie gehe ich mit eventuellen „Macken“ meines Vierbeiners um? Die dazu notwendigen Informationen verständlich und übersichtlich zu vermitteln, ist ein besonderes Anliegen dieses Buches.

Soll und kann ich einem Hund aus dem Tierschutz eine zweite Chance bieten? Das ist ebenso eine rationale Entscheidung wie eine Herzensangelegenheit. Für mich persönlich stellt sich diese Frage nicht. Ich leite seit über einem Jahrzehnt das Franziskus Tierheim in Hamburg, meine Hunde sind immer aus dem Tierschutz. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass gerade Tiere, denen man eine zweite Chance gibt, ihrer neuen Familie sehr viel zurückgeben. Selbstverständlich bin ich auch mit den Problemen vertraut, die auftreten können. Bei der Auswahl eines Hundes aus dem Tierschutz nur auf sein Herz zu hören, ist zwar verständlich, aber unzureichend und oft die Ursache massiver Probleme. Und zwar für beide Seiten, Hund wie Herrchen.

Besonders emotional veranlagte Menschen neigen häufig dazu, vorhandenen Probleme zu ignorieren – dabei ist die Einstellung „Das kriegen wir schon irgendwie hin“ hier völlig fehl am Platz. Gerade wenn es ein Vierbeiner aus dem Tierschutz sein soll, muss man den Istzustand des Hundes kennen – mit all seinen „guten“ und weniger guten Eigenschaften. Nur wenn man mit den Charaktereigenschaften des Tieres vertraut ist und umgehen kann, sich idealerweise zudem noch einen „Notfallplan“ zurecht gelegt hat, kann man davon ausgehen nicht von der Situation überfordert zu werden. Nur dann ist eine zweite Chance auch eine echte Chance.

Aus langjähriger Erfahrung kann ich eines versprechen – im Tierschutz und gerade auch im Auslandstierschutz – gibt es wahre vierbeinige Schätze zu entdecken. Ob Mensch oder Tier, wir alle haben einen eigenständigen Charakter und eine eigene Art mit Schicksalsschlägen umzugehen. Die meisten Hunde, die ich kennen gelernt habe, sind echte Opportunisten, die sich oft erstaunlich schnell auf neue Lebensumstände einstellen können. Der Charakter eines Hundes wird durch seine Gene, seine Kindheit und das soziale Umfeld geprägt. Bestimmte Eigenschaften, der Grundcharakter, bleiben bestehen, doch es gibt viele Möglichkeiten, Defizite aufzuholen und neu zu justieren. Das ist das Wunderbare an den Hunden, wenn sie richtig behandelt werden und der Draht zu ihren Menschen stimmt, können manchmal wahre Wunder geschehen. Und dann wird aus einem schwierigen Vierbeiner mit schlimmer Vergangenheit mit viel Geduld ein wahrer Goldschatz.

© privat

Frank WeberLeiter des „Franziskus Tierheimes“ in HamburgZweiter Vorsitzender des „Bundes gegen Missbrauch der Tiere“

Ein Buch, in dem auch die schwierigen Aspekte eines Tierschutzhundes, was man dazu wissen muss, wie man damit umgeht und das Lösungsvorschläge anbietet, gab es in dieser Form bisher nicht. Wir mussten lange darauf warten. Ich würde mir sehr wünschen, dass das vorliegende Buch zur Pflichtlektüre vor der Anschaffung eines Hundes aus zweiter Hand wird. Denn jeder Hund hat ein gutes Zuhause verdient.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieses einfühlsam und kenntnisreich geschriebenen Buches, das jeder lesen sollte, der sich mit der Idee beschäftigt, einen Hund aus dem Tierschutz aufzunehmen.

Warum Hunde aus zweiter Hand ein bisschen anders sind

Jedes Jahr werden allein in Deutschland über 200 000 Hunde aus Tierheimen, Pflegestellen, aus dem Ausland oder von einem Zuhause in ein neues Zuhause vermittelt. Hunde aus zweiter (oder dritter, vierter oder sechster Hand) sind dabei besondere Hunde. Sie haben bisher nicht gelernt, eine Bindung zum Menschen aufzubauen, sehr häufig haben sie große Schwierigkeiten, Menschen zu vertrauen. Sie sind gewöhnlich führungs- und orientierungslos.

Hunde aus zweiter Hand bringen eine Geschichte mit sich, die sie geformt hat. Manche machen es einem überraschend einfach und fügen sich in ihrem unbändigen Überlebenswillen einfach in ein neues, in Ihr Leben ein. Sie können aber auch eine echte Aufgabe bedeuten: Der Straßenhund, der ausgesetzte Hund, der Hund, mit dem die Vorbesitzer nicht fertig wurden, sind besondere Tiere, die von uns Zeit und Raum brauchen, Ruhe, Gelassenheit, Verständnis und Regeln. Nichts ist für sie mehr, wie es war: Sie brauchen jetzt nichts dringender als Rituale. Man muss Gewohnheiten aufbauen und wochen-, manchmal monatelang für genau den gleichen Ablauf sorgen, auf den der Hund sich verlassen kann, denn Rituale geben Sicherheit. Die gleichen kleinen Spaziergänge, die gleichen Geräusche, das gleiche Futter, nur wenig Neues und wenn, dann in kleinen Dosierungen, wenig neue Menschen, kaum fremde Hundekontakte. Er braucht jetzt keine Abwechslung, jeder Moment seines Lebens ist gerade abenteuerlich genug. Er muss viel schlafen: So ein neues Leben muss erst einmal verarbeitet werden.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Als er von dem spanischen Jäger abgegeben wurde, bot Nano ein Bild des Jammers.

Ein Hund, der im Tierheim abgegeben wurde, hat vielleicht sein Zuhause verloren, weil sein Besitzer gestorben ist, ins Krankenhaus oder ins Gefängnis musste, oder weil ein Kind schwer allergisch reagierte, oder es war aufgrund anderer Lebensveränderungen keine Zeit mehr für ihn da. Er ist getrennt von denen, die er kannte, denen er vertraute, oder zumindest dem Leben, das er gut kannte. Er wartet darauf, dass alles wieder so wird, wie es war, sucht die Gerüche, die ihm vertraut sind und die dafür sorgen, dass er sich wieder rundherum gut fühlt. Wenn es ein Straßenhund ist, ein ehemaliger Kettenhund, ein Galgo oder ein anderer ausgedienter Jagdhund, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er noch nie eine Klospülung gehört oder einen Haarföhn oder Staubsauger in Aktion erlebt hat. Er ist immer hungrig und gierig, stiehlt und schlingt sein Futter. Die Geräusche im Haus machen ihn nervös, er ist unruhig, fiept und läuft auf und ab. Beim kleinsten Geräusch zuckt er zusammen. Vielleicht musste er um sein Überleben kämpfen, Futter und Schutz suchen und Steinen und Flüchen ausweichen. Und jetzt ist er plötzlich in einem Zuhause und bekommt einen Crashkurs in Hundesozialisierung und menschlicher Interaktion. Das muss den stärksten Hund erschüttern.

Liebe allein hilft diesen Hunden nicht weiter: Sie brauchen Strukturen und eine andere Art der Ansprache, Geduld und Gelassenheit vom Menschen – und der Mensch braucht im richtigen Moment die richtigen inneren Werkzeuge, um angemessen reagieren zu können, wenn sich unerwünschte Verhaltensmuster auftun.

© Munninger, Nicole

Nano heute

GEDANKEN VORDER ANSCHAFFUNGEINES HUNDES MIT VORGESCHICHTE— eines Hundes mit Vorgeschichte

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Wichtige Vorüberlegungen

Viele Leute entscheiden sich für einen Hund aus zweiter Hand und wollten eigentlich hauptsächlich einem Hund ein gutes Zuhause geben und sich keinen „Sozialfall“ anlachen – und bekommen trotzdem einen. Andere öffnen ihr Herz und ihr Zuhause einem Hund, von dem sie wissen, dass er beschädigt ist und hoffen, ihm auf diese Weise eine zweite Chance auf ein schönes Hundeleben geben zu können. Manche Leute finden in den Ferien einen Hund und nehmen ihn mit nach Hause – und zu Hause stellt sich heraus, dass das Leben mit einem Straßenhund am Strand irgendwie einfacher war. Viele Hunde aus zweiter Hand sind schlecht sozialisiert, reaktiv, ängstlich, destruktiv, können nicht alleine bleiben, bellen viel, lassen sich nicht gerne anfassen oder haben irgendwelche anderen Verhaltensauffälligkeiten. Was immer der Grund dafür ist: Sie alle haben ein neues Zuhause verdient, eine zweite Chance und jemanden, der sie liebt und mit ihnen arbeitet. Und der sie nicht wieder abgibt, weil der Hund nicht das war, was sie sich vorgestellt hatten.

Damit Ihre Geschichte mit einem Hund aus zweiter Hand eine Erfolgsgeschichte wird, ist es wichtig, sich rechtzeitig Gedanken zu machen und einen Plan – und nicht einfach nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden.

Aus welcher Grundmotivation heraus entscheide ich mich für einen Hund? Sind es meine eigenen Bedürfnisse, die ich damit befriedigen möchte, oder die des Hundes?

Passt ein Hund zurzeit überhaupt ins eigene Leben?

Habe ich überhaupt die Möglichkeit, sowohl Zeit, Geld und Mühen womöglich unvorhersehbaren Ausmaßes zu investieren, um einem Hund zu helfen sich in das neue Leben einzugewöhnen?

Entscheide ich mich für einen Hund aus Mitleid oder aus einer anderen Stimmung heraus? Häufig wird die Anschaffung über mitleidauslösende Bilder und Texte eines Hundes im Internet manipuliert – und die Entscheidung ist eher über Emotionen gesteuert als über die Vernunft bzw. einen überlegten Wunsch nach einem Hund

Gibt es einen geeigneten Trainer in der Umgebung? Trainer ohne Erfahrung mit Tierschutzhunden sind häufig überfordert mit den Deprivationen und sehr speziellen Verhaltensauffälligkeiten, die sich aus den jeweiligen Vorgeschichten bedingen.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

WAS FÜR EINEN HUND SUCHE ICH?

Auch einen Hund aus dem Tierschutz darf man sich aussuchen. Auch bei einem Hund aus zweiter Hand spielen gewisse vermeintliche „Oberflächlichkeiten“ eine Rolle – je weniger Energie Sie für kleine Ärgernisse verbrauchen, desto besser können Sie sich den größeren widmen. Auch ein Hund aus dem Tierschutz muss bestmöglich in unser Leben und unsere Umstände passen, sonst können Sie ihm nicht dauerhaft ein entspanntes, glückliches Zuhause bieten, sondern „verwahren“ ihn nur, so gut es geht.

Denn tatsächlich spielt es eine Rolle, ob Sie persönlich mit dem Fell fertig werden können, ob Sie mit den kleinen, pieksigen Haaren von kurzhaarigen Hunden froh werden oder einem Hundebart, der bei jedem Wassertrinken die halbe Küche unter Wasser setzt. Wie bellfreudig darf er sein (passt ein Hütehund oder Hütehund-Mischling zu Ihren Nachbarn?)? Denn auch, wenn wir einem Hund ein schönes Zuhause geben oder ihn womöglich retten wollen, muss er trotzdem auch in unser Umfeld passen, ins Mietshaus beispielsweise – sonst haben Sie zwar einen Hund aus der Not gerettet, aber die ganze Nachbarschaft in Not gebracht.

Für Ihren Hund ist es vor allem wichtig, dass es Ihnen gut geht. Wenn es uns Menschen gut geht, dann geht es auch unseren Hunden gut: Dann behalten wir die Übersicht, unseren Gerechtigkeitssinn und Spaß an der Sache. Wenn wir dagegen überfordert sind – mit dem neuen Hund, mit seiner Angst, mit seiner Frisur, mit seiner Unruhe –, dann werden wir gereizt, unglücklich, frustriert, und genervt (manche Menschen sogar handgreiflich).

Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass wir uns einen Hund aussuchen, der wirklich zu uns passt und nicht den Hund, der am dringendsten ein Zuhause braucht, oder für den wir uns jetzt sofort entscheiden sollen, weil er sonst in der Tötungsstation umgebracht wird.

DIE WUNSCHLISTE

Stellen Sie sich eine Wunschliste zusammen. Was für ein Hund mit welchen Eigenschaften würde am besten/reibungslosesten/unkompliziertesten in Ihr Leben passen?

Listen Sie alle Eigenschaften auf, die Sie sich von einem zukünftigen Hund wünschen, wie etwa die Größe des Hundes, sein Alter, Haarkleid, Verhalten gegenüber anderen Hunden, Kindern, anderen Menschen etc. Soll er möglichst viel frei laufen können?

Glauben Sie uns bitte: Dieser eine, in den Sie sich gerade hoffnungslos verliebt haben, obwohl er – wenn Sie mal ganz ehrlich sind – nicht so wirklich passt (weil Sie z. B. mitten in einer Rehwild-Hochburg leben und ein erwachsener Galgo, der vom Jäger kommt, nicht wirklich geeignet ist für diese Umgebung; oder mitten in einer Großstadt, während ein rumänischer Dorfhund diesem Getöse vielleicht nicht gewachsen ist), ist nicht der einzige Hund, der dringend ein Zuhause braucht. Er wird auch nicht der einzige und der letzte bleiben, in den wir uns Hals über Kopf verlieben können (und Sie wissen doch, wie das ist: Nur, weil man sich verknallt hat, heißt das nicht, dass man mit dem „Objekt der Begierde“ auch zu einem guten Paar werden kann). Es gibt noch unendlich viele, andere Hunde, die genauso bedürftig sind und möglicherweise viel besser passen. Unter tausend Hunden wird einer passen. In Anbetracht der schier unglaublichen Zahl von Hunden, die jeden Monat ihr Zuhause verlieren oder aus ungünstigen Umständen gerettet werden, sind das viele hunderte passende jeden Monat.

Wenn es im neuen Zuhause bereits einen Hund gibt: Überlegen Sie sich genau, welcher Hund am besten zu ihm passen würde. Mit was für einer Art Hund können Sie Ihrem vorhandenen Hund eine Freude machen? Mag er oder sie lieber einen Rüden oder eine Hündin, einen lebhaften Jungspund oder ist er glücklicher mit einem ruhigen, höflichen, zurückhaltenden Hund? Es ist wichtig, dass sich Hunde in einem Haushalt gut ergänzen und sich nicht gegenseitig das Leben schwer machen.

Ist Ihr vorhandener Hund so sicher und souverän, dass er mit allem klar käme, was Sie ihm vor die Nase setzen, und wäre sogar ein gutes Vorbild? Oder ist der vorhandene Hund vielleicht selbst unsicher? Dann ist es keine gute Idee, ihm einen weiteren unsicheren Hund an die Seite zu stellen, denn die beiden Hunde werden sich keineswegs „gegenseitig Halt geben“, sondern sich gegenseitig darin bestärken, dass die Welt ein Ort zum Fürchten ist. Wenn Sie eine „Jagdsau“ zu Hause haben, ist es für Sie wahrscheinlich deutlich entspannter, wenn Sie einen Hund dazu nehmen, der dieses Hobby nicht teilt – usw. Das Blöde ist ja, dass Hunde dazu neigen, sich gegenseitig eher Kokolores beizubringen als die Dinge, die wir uns wünschen würden.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Große und kleine Hunde können sehr gut zusammenpassen, wenn der kleine nicht zu zart und der große nicht zu grob ist.

Hunde mit Verhaltensauffälligkeiten oder Handicaps: Es gibt da draußen eine große Anzahl von Hunden, die nicht happy-go-lucky sind, mit physischen oder psychischen Schwierigkeiten, und trotzdem ein Zuhause verdient haben. Es gibt dagegen auch nichts einzuwenden, wenn Sie sich ein solches „Projekt“ sehenden Auges zulegen und ganz realistisch bleiben, was auf Sie zukommt. Seinen Projekten muss man gewachsen sein, sonst scheitern sie. Nicht jeder ist in der Lage, einen Angsthund stark und sicher zu machen (nicht jeder besitzt die notwendige Gelassenheit oder das notwendige Umfeld), nicht jeder kann einem angstaggressiven Hund ausreichend Sicherheit und Vertrauen vermitteln, sodass er lernt, dass aggressives Verhalten in diesem neuen Leben einfach keine Option mehr ist.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Ein Bild von einem Hund – auch mit einem fehlenden Bein

Auch wer sich für einen Hund mit „Handicap“ entscheidet, sollte bestenfalls mit der jeweiligen Einschränkung oder Behinderung bereits Erfahrung haben (wer z. B. einmal einen tauben Hund hatte weiß, dass das eigentlich kein besonderes Problem ist und sogar Vorteile haben kann. Wer einen Arthrose-Hund hatte, kennt schon alle Tricks und Medikationen, um das Leben des betroffenen Hundes leichter zu machen, und kann sich einfach auf den neuen Hund im Haus konzentrieren, anstatt alle medizinischen Möglichkeiten zu recherchieren) oder sich genau überlegen, ob er dem gerecht werden kann. So ist es z. B. in einem ebenerdigen Haushalt kein Problem, einen dreibeinigen Hund aufzunehmen oder einen mit schwerer Arthrose und/oder HD. Wenn man aber in einem Haus mit steilen Treppen lebt, ist es praktisch unmöglich für einen Hund, dem ausgerechnet ein Vorderlauf fehlt (ein fehlendes Hinterbein wäre in diesem Fall weniger problematisch) oder dem die Arthrose das Hinabsteigen zur Qual macht. Natürlich braucht ein Hund mit „Handicap“ genauso sehr ein Zuhause wie ein gesunder Hund. Allerdings sollte man bedenken, dass gewisse Handicaps ein Leben lang betreut werden müssen, ein Leben lang Medikationen benötigen, tierärztlich überwacht werden müssen, bei Bedarf Physiotherapie oder möglicherweise eine Nach-OP brauchen. Können Sie das leisten? Wenn nicht, ist das eine Tatsache, der Sie sich stellen sollten – nichts ist trauriger, als einem Hund, für den man verantwortlich ist, nicht die notwendige Versorgung zukommen lassen zu können.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Galgo Ruben hatte keine Ahnung davon, dass ein fehlendes Bein eine Einschränkung sein könnte.

LUCIES GESCHICHTE von Grit Ramm

Lucie kam im September 2011 über eine Tierschutzorganisation aus Spanien zu mir. Als Hundephysiotherapeutin hatte ich im Internet gezielt nach Galgos Ausschau gehalten, denen ich durch meinen Beruf helfen konnte. Auf dem Foto der Organisation war Lucie, die damals Pepa hieß, mit dick verbundenem Hinterlauf zu sehen, auf drei Beinen stehend. Sie hatte bisher keine einzige Anfrage erhalten, wen wundert’s?

Lucie wurde im Alter von zehn Monaten an einer viel befahrenen Straße in Spanien gefunden. Sie lag bewegungslos im Straßengraben mit gebrochenem Oberschenkel. Sie wurde operiert, die Knochen mit einer Metallplatte fixiert und suchte nun ein Zuhause.

Zwei Monate später kam sie zu mir. Als sie aus der Flugbox stieg, war das betroffene Hinterbein dünn wie eine Stelze, ein paar Knochen mit Fell überzogen. Sie benutzte es fast nicht. Aber sie berührte mein Herz in ihrer Verletzlichkeit, ihrer Hilfsbedürftigkeit. Und man sah ihr an, dass sie ein sonniges Gemüt hatte. Kaum hatte sie das erste Mal den heimischen Rasen betreten, wollte sie einen Schmetterling fangen.

Gleich am nächsten Tag fing ich mit der Physiotherapie an. Ich nahm sie täglich mit in meine Praxis, wo sie in einer Box bleiben musste, während ich andere Patienten behandelte. Sie selbst war drei- bis viermal wöchentlich an der Reihe mit Aquatraining im Wasserlaufband, aktiven und passiven Bewegungsübungen und entspannenden Massagen.

Nach zwei Wochen stellte ich sie in der Tierklinik vor. Beim Röntgen stellte mein Tierarzt fest, dass die Metallplatte locker war und ihr Schmerzen verursachte. Deshalb benutzte sie ihr Bein nicht richtig. Die Platte, die eigentlich im Körper verbleiben sollte, musste entfernt werden. Nach der OP bekam ich von Tierarzt strikte Anweisung, sie ruhig zu halten. Die Fraktur könne nun ohne die lockere Platte schneller heilen, aber der Knochen sei noch nicht stabil.

Dies war die schwierigste Zeit mit Lucie. Sie war jung, wollte spielen und ich schimpfte mit ihr, kaum dass sie sich bewegte. Ich hatte sie immer an der Leine, sie war ständig bei mir, von morgens bis abends. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch zwei andere Hunde – einen Hovawart und einen Galgo – und ich musste höllisch aufpassen, dass Lucie keinen einzigen Sprung oder falschen Schritt machte, wodurch der Knochen wieder hätte brechen können. Ich nahm sie immer noch täglich mit in die Praxis, wo sie nach wie vor drei- bis viermal wöchentlich Physiotherapie bekam. Alles drehte sich um Lucie. Sie hat in der Zeit unendlich viel kaputt gemacht, sie war jung und absolut nicht ausgelastet. Nach zwei Monaten durfte sie das erste Mal rennen. Sie hatte ein breites Grinsen im Gesicht (oder war es nur Hecheln?) und ich auch. Von da an wurde sie nur noch einmal wöchentlich physiotherapeutisch behandelt, mehr war auch nicht mehr notwendig, da sie das Bein nun voll belastete.

Dadurch, dass sie die ganze Zeit so nah bei mir war, haben wir in diesen Wochen eine sehr starke Bindung aufgebaut. Wir besuchten nun die Hundeschule, und ich konnte sie frei laufen lassen. Ich bin eine Glucke, was meine Galgos betrifft. Lucie ist die einzige, die ich ableine. Wenn ich sie beschäftige, ist sie nah bei mir. Sie apportiert, sucht und kommt, wenn ich sie rufe (vorausgesetzt, ich habe Leckerchen dabei). Keiner meiner mittlerweile sieben Galgos ist mir so nah wie Lucie.

Zwei Jahre später hatten wir einen herben Rückschlag. Als keiner mehr damit rechnete, fing ihr damals operiertes Bein an zu eitern. Es wurde eine chronische Osteomyelitis diagnostiziert. Der Knochen war zum Teil nekrotisch geworden, fing also an, abzusterben. Bei einer der vorangegangenen OPs mussten Keime übersehen worden sein, die schleichend den Knochen absterben ließen. Die Bakterien werden vom abgestorbenen Knochenmaterial eingeschlossen und sind damit kaum erreichbar für Medikamente. Jahrelang kann die Krankheit zum Stillstand kommen und dann wieder ausbrechen. Der Tierarzt sprach von sehr schlechter Prognose, er redete von Amputation und sogar Euthanasie. In dieser Zeit gingen wir durch ein Wechselbad der Gefühle. War das Bein zu retten? Hält der Knochen? Konnten wir uns Lucie als Dreibein vorstellen? Allein der Gedanke brach mir fast das Herz.

Wir wechselten den Tierarzt, Lucie bekam lange Zeit hochdosiertes Antibiotikum und wir die chronische Osteomyelitis langsam unter Kontrolle.

Bis heute lasse ich ein- bis zwei mal im Jahr ein Röntgenbild machen. Es gibt mir Sicherheit, weil die Osteomyelitis nur zum Stillstand gekommen ist, aber nie wirklich ausheilt. Wird die Krankheit wieder aktiv, dann wird der Knochen instabil und kann brechen. Durch die Fraktur ist außerdem die Achse des Hinterlaufs etwas verschoben, was zu einer leichten Fehlstellung im Kniegelenk führt. Irgendwann wird es Arthrose geben. Aber auch da gibt es Behandlungsmöglichkeiten, irgendwann später.

© Ramm, Grit

Rennen mit breitem Grinsen im Gesicht

Es geht Lucie sehr gut. Sie bekommt keine Sonderbehandlung mehr. Sie ist ein glücklicher und fröhlicher Hund. Aber man muss einige Dinge im Auge behalten. Und man muss wissen, was eventuell kommen kann. Wenn man sich für einen Handicap-Hund entscheidet, verschwindet dieses Handicap nicht einfach irgendwann. Zumindest die Folgen bleiben und man muss sich um den Hund sorgen, solange er lebt. Dazu muss man Ja sagen, und das muss man wollen. Nun bleibt nicht jeder Hund mit einem gebrochenen Bein ein Handicap-Hund. Aber es kann eben passieren, und darauf muss man vorbereitet sein.

Lucie ist mir so nah wie kein anderer meiner Hunde. Sie ist ein Sonnenschein und erobert alle Herzen im Sturm. Alle lieben Lucie! Sie ist etwas Besonderes, durch und durch positiv, sie liebt alle Menschen und alle Tiere. Wir sind durch Höhen und Tiefen gegangen, und besonders die Tiefen haben uns zusammengeschweißt. Ich sehe die Narben an ihrem Bein, und ich hoffe, dieses Bein lässt uns noch ein bisschen in Ruhe. Das haben wir uns verdient.

VON LIEBEUND MITLEID— und Mitleid

Warum es sich lohnt, einmal gründlich darüber nachzudenken, ob Liebe wirklich immer Berge versetzt und Mitleid eine treibende Kraft ist.

„Hunde aus dem Tierschutz brauchen vor allem Liebe. Liebe schafft alles“, stand irgendwann auf einer Webseite einer Tierschutzorganisation. Der Gedanke ist natürlich wunderbar, dass in der Liebe das Heil für alles zu finden ist. Aber wenn man sich das mal genau überlegt, ist das mit der Liebe so eine Sache: Im Grunde ist sie das, was Hunde aus dem Tierschutz erst ganz zuletzt brauchen. Statt Liebe brauchen sie Ruhe, Geduld, Zeit und die Bereitschaft, diesem Hund Zeit zu widmen. „Liebe“ kommt erst lange danach.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Tierheime im Ausland wirken häufig noch trostloser, als die Einrichtung an sich sowieso ist, weil noch weniger Mittel zur Verfügung stehen.

Wir alle lieben Hunde, sonst würden wir uns nicht entscheiden, sie in unser Leben zu holen, auch mit klappernden Zähnen bei schlechtem Wetter mit ihnen spazieren zu gehen, ihren Durchfall wegzumachen, sie in unserem Bett schlafen und unser Auto vollhaaren zu lassen, den Flur zu wischen (und nochmal, und nochmal und ein weiteres Mal), wenn es draußen matschig ist, stundenlang im Internet zu recherchieren, welches das allerbeste Futter ist, das schönste Halsband, das bequemste Hundebett. Liebe bedeutet eine starke Hinwendung zu einem Anderen und dessen Wertschätzung. In ihrer idealen Form erwartet Liebe keine Gegenliebe und spekuliert nicht auf ein „Feedback“, ein „Zurückgeben“, sondern will in erster Linie Liebe geben. Aber so heilig sind wir meistens nicht: Wir lieben unseren Hund, und dafür soll auch er uns lieben. Wir setzen ganz selbstverständlich Liebe mit Vertrauen gleich und erwarten, dass er uns folgt, wo immer wir ihn auch hinführen, denn schließlich lieben wir ihn, und darum liebt er uns bestimmt auch – schließlich bieten wir ihm so ein schönes Leben.

Liebe kann ein Bonus sein. Aber unseren Hunden hilft sie eigentlich überhaupt nicht weiter: Es gibt viele Leute, die ihre Hunde lieben – und trotzdem nicht das Richtige für sie tun, manchmal sogar aus lauter Liebe das ganz und gar Falsche. In den meisten Fällen ist Liebe nur Interpretationssache. Sie bedeutet nicht einmal Respekt – viele Leute behaupten, einander zu lieben, und zollen sich gegenseitig nicht den geringsten Respekt. Liebe macht bekanntlich auch blind, weil die Gefühle das Denken, wenn schon nicht abschalten, dann meistens vernebeln (oder, um es wissenschaftlich auszudrücken, „das kognitive Wahrnehmungssystem wird extrem beeinträchtigt“ – klingt toll, oder?). Wir handeln dann in erster Linie emotional und nicht mehr neutral – gerade Hunde, die sich im neuen Leben noch nicht auskennen, sind mit emotionalen Reaktionen eher überfordert. Liebe kann vor allem dramatisch ins Gegenteil umschlagen: „Enttäuschte Liebe“ ist eine enttäuschte Erwartung. Enttäuschte Erwartungen machen ungerecht, frustriert, genervt und sogar depressiv.

Wenn wir aber beispielsweise keine Gegenliebe erwarten, kann uns ihr Ausbleiben nicht frustrieren. Wenn wir nicht erwarten, dass der Hund uns nun dafür liebt, weil wir ihm schließlich ein wundervolles Zuhause bieten, können wir auch nicht frustriert, traurig oder sogar ungerecht werden, wenn er vielleicht noch lange nicht in der Lage ist, uns zu lieben oder das auf eine Art und Weise zu zeigen, die für uns Sinn macht. Liebe sorgt sehr häufig dafür, dass wir gewissermaßen grenzenlos werden vor lauter Liebe – und das ist ganz schlecht für den neuen, verunsicherten Hund, der sich noch im „freien Fall“ befindet.

© von der Leyen, Katharina

Welpen und Junghunde sind besonders schlecht im Tierheim aufgehoben.

Ob Sie anfangs das Gefühl haben, Sie könnten Ihren neuen Hund lieben, spielt tatsächlich keine Rolle: Dieser Hund braucht zuerst einmal vor allem Halt – also Grenzen, damit er sich orientieren kann, wo er überhaupt gelandet ist. Stellen Sie sich vor, Sie stellen einen Blinden mitten in eine riesige Halle und lassen ihn dort alleine stehen: eine unglaublich anstrengende, stressige Situation für ihn, weil es unmöglich ist, sich so irgendwie zu orientieren. Wenn Sie ihn allerdings an eine Begrenzung bringen – eine Wand, ein Geländer –, kann er sich dort entlanghangeln und besser verstehen, wo es langgeht.

MITLEID UND EMPATHIE

Mitleid ist auch so etwas, was niemandem weiterhilft. Viele Leute betrachten ihren Tierschutzhund und sehen nur seine schreckliche Geschichte, die sie sein Leben lang wiedererzählen, und mit der sie jegliches Fehlverhalten entschuldigen – sei es ihr eigenes oder das des Hundes.

Mitleid ist nicht zu verwechseln mit Empathie: Sie bedeutet, die Fähigkeit und Bereitschaft zu besitzen, die Gefühle, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen.

Mitleid dagegen bezieht sich nur auf gegebenes Leid. Mitleid bedeutet Mit-Leiden, was die (doch so wichtige!) Handlungsfähigkeit massiv einschränkt. Mitleid wird begleitet von negativem Denken, man bedauert das Opfer und erkennt sich womöglich in dessen schwierigen Verhältnissen wieder, dem Gefühl des Ungeliebtseins und der Vernachlässigung. Mitleid zieht Trauergefühle, Ärger und Ängste mit sich und wird von Resignation geprägt, weil eben alle Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Mit-Leiden gelegt wird.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Gerade im Ausland sind Welpen im Tierheim keine Seltenheit.

Noch dazu gibt es bei einem Hund aus dem Tierschutz gar keinen Grund mehr für Ihr Mitleid. In Wirklichkeit hat er jetzt ein Riesenglück, die Zeit des Leidens ist vorbei oder wenigstens zeitlich beschränkt. Ab jetzt gibt es Menschen, die sich um ihn kümmern, die sich darum bemühen, dass er ein vernünftiges Zuhause findet, die ihn füttern und versorgen. Auch, wenn es vielleicht in einer großen Zwingeranlage ist, ist es eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Leben, dass er vorher führte auf einer Müllhalde, als er überall verjagt wurde, Hunger und Durst hatte. Von nun an kann es nur noch besser werden.

Erst recht, wenn er jetzt bei Ihnen leben darf! Er hat den Jackpot geknackt. Er ist jetzt nicht mehr arm und traurig (und wenn doch, liegt es vielleicht an Ihrem Mitleid und der gedrückten Stimmung, die Sie ihm damit vermitteln). Man kann sich selbstverständlich wundern, wie Menschen dazu kommen, ein anderes Lebewesen so schlecht zu behandeln – aber durch Mitleid wird das auch nicht besser, im Gegenteil: Für den, der bemitleidet wird, ist dieses Gefühl unangenehm. Er bekommt den Eindruck, als wäre er irgendwie komisch, anders als die anderen, als stimme mit ihm etwas nicht. Außerdem führt Mitleid dazu, dass man die eigentlichen Qualitäten des Hundes übersieht oder nicht erkennt – dabei hat der Hund außer seiner Leidensgeschichte/seiner Behinderung/seiner Krankheit viel, viel mehr zu bieten. Das zu übersehen, ist ungerecht und verhindert, dass Sie das wahre Ich, den inneren Superhund aus Ihrem Hund herausholen.

Mitleid verhindert klare Führung, weil man in der alten Geschichte verharrt: Man kann sich nicht auf ein neues Kapitel konzentrieren, wenn man immer wieder in dem alten nachliest. Seien Sie lieber stolz auf ihn, dass er seine ungute Vergangenheit trotzdem so fabelhaft gemeistert oder überlebt hat! Was für ein toller Kerl ist er, der vielleicht grauenvolle Dinge von Menschen erfahren hat, und es trotzdem schafft, wieder großes Vertrauen aufzubauen und sich sogar zu freuen, wenn Sie durch die Tür kommen!

Wenn Sie jetzt merken, dass Ihr Verhältnis zu Ihrem Hund von Mitleid geprägt ist, ist das eine fabelhafte Neuigkeit: denn jetzt können Sie es ändern. Ab heute können Sie Ihren Hund statt mit mitleidigem Blick mit ganz neuen Augen betrachten und vielleicht seine eigentliche Persönlichkeit kennen lernen.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Hunde haben keine Langeweile, wenn sie nicht ständig beschäftigt werden.

GUTE ÜBUNG

Versuchen Sie, einen Tag mit einem Hund zu verbringen, ohne seine Mimik oder Gesten zu interpretieren. (Er guckt so, als würde er gerne gestreichelt werden. Er überlegt, ob er sich nicht doch an mich herantrauen sollte. Er überlegt, ob es in der Speisekammer nicht etwas Besseres für ihn gibt als in seinem Napf etc.) Halten Sie es wenigstens einen Tag lang mit Erich Fried: „Es ist, wie es ist.“

Jetzt kann der Spaß los gehen: Die wichtigsten Fragen sind geklärt und alle Zweifel ausgeräumt, nun können Sie sich auf die Suche nach Ihrem Hund machen.

DIE SUCHE NACH DEM WUNSCHHUND— nach dem Wunschhund

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Was darf's denn sein?

Manchmal hat man Glück, und man findet seinen Hund direkt beim Nachbarn, der seinen Hund aus irgendwelchen Gründen abgeben muss. Meistens findet man seinen „Hund aus zweiter Hand“ aber in Kleinanzeigen von Privat, in Tierheimen, in rassespezifischen „Nothundegruppen“ wie z. B. „Cocker in Not“, „Windhund in Not“, „Retriever in Not“ und wie sie alle heißen. Außerdem findet man Hunde aus zweiter Hand in den unterschiedlichsten Tierschutzportalen oder -netzwerken oder auf den Seiten europäischer Tierschutzorganisationen, die vor allem Hunde aus dem europäischen Ausland retten und vermitteln.

Wo auch immer Sie Ihren Hund suchen, mit wem auch immer Sie in Kontakt treten: Hören Sie genau hin, was Ihnen über den Hund erzählt wird. Achten Sie darauf, ob derjenige Ihnen auch von selbst etwas über den Hund erzählt, oder immer nur Ihre Fragen beantwortet. Beschreiben Sie der Person, die für den Hund verantwortlich ist, genau, was Sie sich wünschen, und fragen Sie ganz offen, ob der Hund, für den Sie sich interessieren, diesen Vorstellungen entspricht. Fragen Sie die Pflegestelle, den Tierheimpfleger, den Besitzer ganz offen, ob Probleme dieses betreffenden Hundes bekannt sind, wie er sich gegenüber anderen Hunden verhält, wie er fremde Tiere findet, ob er futterneidisch ist, wie er Leute mit Hut findet, etc. Wenn Sie die Möglichkeit haben, ihn zu sehen, beobachten Sie ihn gut: Ist er fröhlich und offen, oder zurückhaltend, aber nicht scheu? Wenn Sie sich hinknien und ihn ansprechen, wirkt er offen und interessiert (bei einem Hund, der gerade 20 Stunden aus dem Ausland im Transporter hergereist ist, können Sie das eher nicht erwarten)? Wenn Sie sich einfach irgendwo hinsetzen, kommt der Hund, um Kontakt zu Ihnen aufzunehmen? Wenn Sie über eine Wiese laufen (sofern es einen Garten oder einen Auslauf gibt), interessiert er sich wenigstens ansatzweise für Sie, oder tut er so, als wären Sie nicht da? Kennt er irgendwelche Hörzeichen? Fragen Sie nach, wie er sich mit Männern, Kindern, Katzen oder Frauen verhält, falls die Teil Ihres Lebens sind.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

Klein, aber oho: Nur weil er niedlich aussieht, kann er trotzdem ein wahrer Teufelsbraten sein.

Wenn Sie kleinere Kinder haben, sollte der Hund, für den Sie sich interessieren, wirklich fröhlich und interessiert aussehen, wenn er Ihre Kinder sieht. Was auch immer er für Baustellen haben mag – wenn er mit Kindern in einem Haushalt zusammenleben soll, muss er Kinder grundsätzlich prima finden. Die Risiken sind einfach zu groß, wenn er sich Kindern gegenüber zurückhaltend verhält, die Kinder anstarrt oder sogar „einfriert“, also bewegungslos verharrt bei ihrem Anblick. Ein Hund, der Kinder nur toleriert oder meidet, kann mit Kindern in Situationen geraten, in denen er sich zur Wehr setzt.

Nehmen Sie sich Zeit. Setzen Sie sich hin und beobachten Sie den Hund in aller Ruhe (ohne ihn anzustarren) und prüfen Sie genau, ob er Ihnen gefällt, ob dies der Hund sein könnte, mit dem Sie die nächsten zehn, zwölf Jahre verbringen möchten.

Vom Umgang mit Tierschutzorganisationen

Neben dem nächsten, dem übernächsten oder einem ganzen anderen Tierheim im Umkreis gibt es private Tierschutzorganisationen, die im In- und Ausland Tiere aufnehmen und weiter vermitteln.

SERIÖSE TIERSCHUTZORGANISATIONEN

Gerade der Auslandstierschutz ist mittlerweile so geläufig, dass viele Leute gar nicht mehr auf die Idee kommen, vielleicht erst einmal im Tierheim vor Ort oder im Umkreis von 200 Kilometern nach einem geeigneten Hund zu suchen. Gerade weil der Auslandstierschutz mittlerweile so verbreitet ist, gibt es unter den Organisationen auch viele, die nicht seriös arbeiten, immerzu bei irgendwelchen ausländischen Züchtern deren ausrangierte Welpen aufkaufen, Interessenten unter Druck setzen, Hunde anbieten, über die sie keine oder kaum Informationen haben, oder einen fünfjährigen, 12 Kilo schweren Mischling anbieten – und der Hund, der dann ankommt, ist eher zehn oder zwölf Jahre alt und wiegt 28 Kilo (wie es einer Freundin passiert ist).

© von der Leyen, Katharina

Vier von 100 Familienmitgliedern aus einer Animal-Hoarding-Situation nach ihrer Abgabe im Tierheim

Woran man eine seriöse Tierschutzorganisation erkennt:

Eine vernünftige Tierschutzorganisation ist ein eingetragener Verein, das bedeutet, dass die Gelder, die ihnen gespendet werden oder die sie als sogenannte „Schutzgebühr“ für die vermittelten Hunde einnehmen, überprüft und auch kontrolliert ausgegeben werden.

Eine seriöse Tierschutzorganisation vermittelt keine unkastrierten Hunde, es sei denn, die Hunde sind noch kein Jahr alt – in diesem Fall wird der neue Besitzer verpflichtet, den Hund innerhalb eines bestimmten Zeitraumes kastrieren zu lassen.

Eine seriöse Tierschutzorganisation macht keinen Druck und versucht auch nicht, den Interessenten zu manipulieren, sondern lässt ihm Zeit, sich für einen Hund zu entscheiden und nimmt seine Bedenken und Fragen ernst.

Eine seriöse Tierschutzorganisation macht eine Vor- wie auch eine Nachkontrolle. Das bedeutet, dass Vertreter der Organisation zu Ihnen kommen (wahrscheinlich sogar mit Hund) und die Gegebenheiten begutachten, evtl. die Höhe Ihres Gartenzauns (falls Sie sich für einen Klettermax oder eine Hupfdohle interessieren), sie sehen sich an, wo der Hund schlafen soll, etc. Wenn der Hund ein paar Monate bei Ihnen ist, kommen sie noch einmal, um zu sehen, wie der Hund sich eingelebt hat, ob er fröhlich und gesund aussieht – und Sie auch. Das alles geschieht nicht, um Sie zu piesacken – aber Tierschützer haben schon die fürchterlichsten Dinge erlebt, sind belogen und betrogen worden, haben einen Hund, den sie in ein „liebevolles Zuhause“ vermittelt hatten, von einem Strick abschneiden müssen, mit dem er an einer Hundehütte festgebunden war, mussten feststellen, dass der Hund einfach weggegeben worden war, etc.

Eine seriöse Tierschutzorganisation vermittelt möglichst viele Informationen über den betreffenden Hund, seine Vorgeschichte (falls bekannt), sein Wesen, seine medizinische Geschichte, seine Marotten, seine Ängste. Während der Hund in der Obhut der Organisation ist, wird versucht, möglichst viel herauszufinden, was der Hund alles kennt und wovor er sich offensichtlich fürchtet.

Eine seriöse Tierschutzorganisation achtet darauf, dass Hund und Mensch gut zueinander passen. Sie stellen möglicherweise Fragen, die dem Interessenten „sehr privat“ vorkommen, aber es geht den Damen und Herren wirklich nur darum, sich ein Bild davon machen zu können, ob der betreffende Hund in das neue Leben passt. Immerhin möchten sie ja, dass der Hund im neuen Zuhause bleibt und nicht aufgrund einer dusseligen Kleinigkeit, die übersehen wurde, dort nicht bleiben kann.

Eine seriöse Tierschutzorganisation bleibt über die Vermittlung hinaus Ansprechpartner, wenn mit diesem Hund Probleme auftauchen oder bei „streunerspezifischen“, „windhundspezifischen“ Fragen etc.

Eine seriöse Tierschutzorganisation gibt Auskunft über den gesundheitlichen Zustand des zu vermittelnden Hundes und legt Ihnen die entsprechenden Unterlagen vor (wie Impfpass, Mittelmeertests, evtl. Röntgenbilder, etc.).

Seriöse Tierschutzorganisationen vermitteln einen Hund nicht ohne Schutzvertrag. Ein schriftlicher „Übernahmevertrag“ oder ggf. „Pflegestellenvertrag“ wird bereits vor der Aufnahme des Hundes ausgefüllt, unterschrieben und ausgetauscht. Eine Schutzgebühr beträgt gewöhnlich zwischen 300 bis 420 Euro, je nachdem, wo der Hund herkommt. Die Organisation erklärt gerne, wofür die Schutzgebühr verwendet wird (medizinische Kosten wie Impfung und Kastration, Transport, und ein kleiner Betrag wird gewöhnlich als Spende verwendet, um Futter, Operationen, etc. von anderen Hunden der Organisation bezahlen zu können).

Wenn es mit dem Hund überhaupt nicht klappen sollte, findet eine seriöse Tierschutzorganisation Lösungen im Sinne des Hundes.

Eine seriöse Tierschutzorganisation vermittelt gewöhnlich keine Hunde, die jünger sind als vier Monate. Welpen, die im Ausland auf der Straße gefunden oder mit der Mutter eingefangen werden, sind normalerweise verwurmt, von anderen Parasiten befallen, unternährt, dehydriert und bekommen auch oft Parvovirose. Die Welpen müssen erst untersucht werden und sich erholen, bevor man überhaupt an eine Impfung denken kann. Würde man diese sehr jungen Hunde zu früh auf die große Reise durch Europa schicken, bräche durch den Stress auf dem Transport ihr Immunsystem zusammen. Gleichzeitig könnten die neuen, unbekannten Keime in der neuen Umgebung ihre Gesundheit zusätzlich angreifen, und die jungen Hunde würden dieses frühe Umsetzen in ein weit entferntes Zuhause mit dem Leben bezahlen.

© Meike Böhm (www.meikeboehm-photoart.com)

In guten Tierheimen gibt es gepflegte Ausläufe, in denen die Hunde spielen und Sozialkontakte haben können.

Was Tierheime und Tierschutzorganisationen nicht sind: