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Endlich der wunderbare neue Roman von Erfolgsautorin Paige Toon - romantisch, witzig und zum Träumen! »Ich habe ein Geheimnis: Mein Freund ist nicht der Vater meines Sohnes. Das Kind ist vom berühmtesten Rockstar der Welt. Nur: Keiner weiß davon.« Meg könnte mit ihrem Freund Christian und ihrem kleinen Sohn Barney, der gerade ein Jahr geworden ist, glücklich und zufrieden in Südfrankreich leben. Aber Megs Leben ist eine Lüge – und ihr Gewissen lässt ihr keine Ruhe. Alle denken, Christian wär Barneys Vater, aber Meg weiß es besser: Johnny Jefferson, der berühmteste Rockstar aller Zeiten, ihr ehemaliger Chef und ihre einstige große Liebe, ist Barneys Vater. Noch fällt es niemandem auf, dass Barney Johnny von Tag zu Tag mehr ähnelt, doch Meg beobachtet diese Veränderung mit wachsender Angst. Und als sie Johnny nach langer Zeit unerwartet wiedertrifft, wird es noch komplizierter. Denn sie konnte ihn nie wirklich vergessen. Wie lange wird es jetzt noch dauern, bis jemand die Ähnlichkeit bemerkt und die ganze Wahrheit ans Licht kommt?
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Seitenzahl: 539
Paige Toon
Diesmal für immer
Roman
Aus dem Englischen von Andrea Fischer
FISCHER E-Books
Für Idha,
meinen Schatz
Hab dich lieb, meine Kleine
»Er ist nicht von mir, oder?«
Das ist die Frage, die ich am meisten fürchte.
Ich habe nämlich ein Geheimnis. Nicht mein Freund ist der Vater meines Sohnes. Sondern einer der berühmtesten Männer der Welt. Und der weiß es nicht einmal.
Mein Freund weiß es auch nicht. Niemand weiß Bescheid. Anders geht es nicht. Es ist eine erdrückende Last, die ich ganz allein zu tragen habe.
Ich habe Panik, so eine riesige Panik, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Denn mein Sohn hat keine große Ähnlichkeit mit meinem Freund. Er sieht aus wie sein Vater, der Rockstar. Und früher oder später wird das auch dem Rest der Welt auffallen …
»Happy birthday to you,
happy birthday to you,
happy birthday, lieber Barney,
happy birthday to you.«
Ich singe ganz leise, um den Kleinen nicht zu wecken. Er hat einen anstrengenden Tag mit seinen Großeltern und mir hinter sich, jetzt liegt er total erledigt in seinem Bettchen. Bald wird er zu groß dafür sein. Unfassbar, dass mein kleines Baby heute ein Jahr alt geworden ist. Wie schnell die Zeit vergeht!
Schade, dass sein Papa nicht dabei war. Ich sage das so leichthin, aber im Grunde meines Herzens ist mir überhaupt nicht »leicht« zumute. Ich bin nicht glücklich. Doch von einem Moment auf den anderen fühle ich mich wieder gut. Ich glaube, das liegt an den Schuldgefühlen. Sie ersticken die Wut. Ich kann nicht lange böse auf Christian sein. Dieses Wort: Papa – es ist eine Lüge. Ich bin eine Lügnerin. Und ich hasse mich dafür.
Ich höre meine Eltern im Badezimmer nebenan hantieren. Gleich gehen sie zu Bett, dann habe ich das Wohnzimmer ganz für mich allein. Ich verspüre schon wieder diesen Drang. In meinem Kopf summt es bei dem Gedanken an das, was ich gleich tun werde. Es wäre das erste Mal seit sechs Monaten, dass ich dem Bedürfnis nachgebe. Beim letzten Mal hatten Christian und ich deswegen einen schlimmen Streit. Da wusste ich es noch nicht. Noch nicht genau. Doch geahnt hatte ich es schon lange.
Ach, Christian … Was habe ich nur getan?
Vor einem Jahr und neun Monaten habe ich mit dem besten Freund meines Freundes geschlafen. Es klingt furchtbar, wenn man es einfach so sagt. Und dass mich keiner falsch versteht – es ist furchtbar. Aber es gibt eine Vorgeschichte. Ich habe Johnny geliebt. Und zwar vor Christian.
Ich werfe noch einen Blick auf mein schlafendes Kind, das jetzt kein Baby mehr ist, beuge mich über sein Bettchen und gebe ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Tränen treten mir in die Augen.
»Es tut mir so leid, mein Schatz. Ich weiß nicht, was ich tun soll«, flüstere ich.
Wenn ich es Christian jetzt beichten und er uns rauswerfen würde, was er auf jeden Fall täte, wie sehr würde mein Sohn dann darunter leiden? Würde er sich an den Menschen erinnern, der in seinem ersten Lebensjahr sein Vater war? Christian ist momentan so viel unterwegs, dass wir uns fast schon an ein Leben ohne ihn gewöhnt haben. Vielleicht wäre es gar keine so große Veränderung. Vielleicht wäre es ganz in Ordnung. Aber verdammt, wem mache ich da was vor?
Ich glaube, meine Eltern sind jetzt endlich zu Bett gegangen. Ich stehe auf und schleiche von meinem Schlafzimmer ins Wohnzimmer. Der Monitor des Laptops ist schwarz, der Bildschirmschoner hat sich schon vor Stunden abgeschaltet. Ich setze mich auf die Couch und ziehe den Computer auf meinen Schoß. Wieder summt es in meinem Kopf. Wäre besser, wenn ich das lassen würde.
»Ich dachte, du bist im Bett!«, ruft meine Mutter.
Ich fahre zusammen.
»Hast du mir einen Schreck eingejagt!«
»Tut mir leid, ich will mir nur Wasser holen.«
Schnell klappe ich den Laptop zu und stelle ihn zurück auf den kleinen Tisch. Vorübergehend ist mein Informationsbedürfnis gestillt. »Ich habe nur noch schnell meine E-Mails gecheckt«, lüge ich und geselle mich zu meiner Mutter in die Küche.
»Kannst du das nicht morgen früh machen?«, fragt sie und holt eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. »Du hast einen anstrengenden Tag hinter dir«, fügt sie hinzu.
»Ich weiß, ich weiß«, antworte ich leicht genervt, denn ich lasse mir nicht gerne sagen, was ich tun und lassen soll, besonders jetzt nicht mehr, wo ich selbst eine verantwortungsbewusste Mutter bin. Mehr oder weniger.
»Hast du schon mit Christian telefoniert?«, fragt sie, während sie Wasser in ein Glas gießt.
»Nein, ich habe noch nicht zurückgerufen«, gestehe ich.
»Solltest du das nicht besser tun? Er möchte bestimmt gerne wissen, wie Barneys Geburtstag heute war.«
Ich beiße mir auf die Zunge, nehme ihr die Flasche ab und schenke mir selbst ein Glas ein. »Mache ich noch«, gebe ich kurz angebunden zurück.
»Gut«, sagt sie zu meinem Verdruss.
Ich folge ihr aus der Küche, knipse alle Lichter aus und werfe noch einen letzten Blick auf den Laptop.
Warte auf mich …
Ich folge meiner Mutter durch den Flur zu den Schlafzimmern. Sie übernachtet mit meinem Vater in Barneys Zimmer links neben dem Bad, während der Kleine mit seinem Bettchen vorübergehend zu mir gezogen ist.
»Gute Nacht!« Mum dreht sich noch einmal um und gibt mir ein Küsschen auf die Wange.
»Nacht«, erwidere ich und verschwinde in meinem Schlafzimmer.
Ich schließe die Tür, hole tief Luft und atme dann so leise wie möglich aus. Mein iPhone liegt auf dem Nachttisch, der Akku wird geladen. Ich habe eine neue Nachricht von Christian:
Gehe jetzt an Bord. Rufe an, wenn ich lande.
Ich fühle mich schlecht. Ich hätte ihn früher anrufen sollen. Verwundert stelle ich fest, dass ich mich darauf freue, ihn zu sehen.
Warum erstaunt mich das? Er ist schließlich mein Freund. Ich liebe ihn.
Aber ich kenne den Grund: Es sind die Schuldgefühle. Sie vergiften mich. Und tief in mir drinnen weiß ich, dass sie der Tod unserer kleinen Familie sein werden.
»Ah, hallo!«
Ich höre die fröhliche Stimme meiner Mutter durch die Wand. Ich bin im Badezimmer, und es klingt so, als sei mein Vater gerade mit Christian vom Flughafen zurückgekommen.
»Hi!«, antwortet mein Freund. »Hey …« Es folgt Schweigen. Ich stelle mir vor, wie er Barney hochhebt und liebevoll an sich drückt. Schnell trockne ich mich ab – so bald hatte ich die beiden nicht zurückerwartet.
»Wo ist Meg?«, fragt Christian.
»Unter der Dusche«, erwidert meine Mutter.
»Hat sich eine Runde aufs Ohr gelegt, was?«, sagt Christian, und alle lachen auf meine Kosten. Ich runzele die Stirn. Es ist halb sieben Uhr abends, ich bin den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Kurz darauf klopft es an der Tür.
»Meg?«
»Ich komme«, antworte ich gereizt.
»Mach auf!«
Mit gerunzelter Stirn gehorche ich.
»Hey!« Strahlend tritt Christian ins dampfende Badezimmer, doch als er meinen Gesichtsausdruck bemerkt, wird er ernst. »Was ist?«
»Nichts.« Ich wickele das Handtuch um meinen noch feuchten Körper.
»Willst du mich nicht begrüßen?«, fragt er misstrauisch, streckt die Arme aus und neigt den Kopf zur Seite.
»Doch.« Widerwillig trete ich vor. Er schlingt die Arme um mich.
»Hmm«, brummt er in mein feuchtes Haar. »Du hast mir gefehlt.«
»Wirklich?«
Er löst sich von mir und sieht mich an. »Natürlich. Ich hatte gehofft, du hättest es dir anders überlegt und mich doch vom Flughafen abgeholt.«
»Tut mir leid«, sage ich und meine es auch so. Den ganzen Tag habe ich gegrübelt, ob ich selbst zum Flughafen fahren soll. »Ich dachte, nach dem Trubel gestern wäre es besser, Barney das Abendessen zu machen und wieder den Alltag einkehren zu lassen. Dad hat angeboten, dich zu holen; ich dachte, es würde dich nicht stören.«
»Du bist immer noch sauer, weil ich nicht rechtzeitig zurückkommen konnte.« Das ist keine Frage. Ich zucke mit den Schultern. »Ich hab’s wirklich versucht. Es ging nicht anders«, sagt Christian. »Na ja, Barney wird mich kaum vermisst haben; er ist ja erst ein Jahr.«
An diesen Satz werde ich dich erinnern müssen, wenn du die Wahrheit über ihn erfährst …
Ich weise mit dem Kinn zur Tür. »Ich zieh mich mal besser an.«
Christian geht vor, ich folge ihm ins Schlafzimmer. »Wie war es denn gestern?«, fragt er, setzt sich aufs Bett und sieht mir zu, wie ich den Kleiderschrank öffne.
»Nett«, erwidere ich, hole ein dunkelblaues Maxikleid mit weißen Punkten heraus und ziehe es über den Kopf. »Ich glaube, er wusste gar nicht, wie ihm geschah mit den ganzen Spielsachen, die deine Eltern für ihn geschickt haben. Er war ganz begeistert von den Luftballons und den Kerzen. Hast du ihm was mitgebracht?«
Christian grinst. »Yep.«
»Und was?«
»Einen Müllwagen.« Er grinst immer noch keck.
»Was ist daran so lustig?« Ich lächle ebenfalls. »Hast du mir auch was mitgebracht?«
»Da musst du noch ein bisschen Geduld haben.«
»Pebbles, oder?« Ich setze mich auf seinen Schoß und schlinge die Arme um ihn. Christian lacht und lässt sich rücklings aufs Bett fallen.
Pebbles ist eine amerikanische Cornflakes-Marke. Eigentlich ist sie für Kinder gedacht, aber Christian und ich sind beide Naschkatzen und regelrecht süchtig nach dem bunten Puffreis, seit wir vor ein paar Jahren in den Staaten waren.
Christian rollt mich von sich herunter und sieht mir in die Augen. Ich erwidere seinen Blick. Seine Pupillen sind dunkler als meine. Das schwarze Haar fällt ihm ins Gesicht, ich schiebe es zur Seite. Er muss dringend zum Friseur.
Er beugt sich vor und küsst mich auf den Mund. Ich setze mich auf.
»Ich mache noch das ganze Bett nass.« Ich weise auf mein feuchtes Haar.
»Scheiß auf das Bett!«, sagt er leicht gereizt.
»He, keine Schimpfwörter!«, schelte ich.
»Er kann uns doch nicht hören …« Christian meint Barney.
»Das ist egal«, erwidere ich fest. »Du musst dir das abgewöhnen.«
Ich kenne niemanden, der so oft flucht und so viele Schimpfwörter benutzt wie Christian. Seit unser Kind auf der Welt ist, versuche ich ihn dazu anzuhalten, sich zusammenzureißen.
»Er kann doch noch gar nicht sprechen«, brummt er und erhebt sich seufzend vom Bett.
Ich wechsele das Thema. »Wie war der Flug? Beziehungsweise die Flüge?«
Wir wohnen in einem kleinen Ort namens Cucugnan in den französischen Pyrenäen, so dass Christian von Los Angeles über England zu dem uns am nächsten liegenden Flughafen in Perpignan fliegen musste. Über die gewundenen Bergstraßen braucht man eine gute Dreiviertelstunde zurück nach Cucugnan.
»Beide gut. Der aus L.A. hatte eine Stunde Verspätung, aber mir blieb trotzdem noch genug Zeit in Heathrow, um Krispy Kremes zu kaufen.«
»Hoffentlich hast du nicht alle Donuts allein aufgegessen …«
»Nur sechs.«
»Sechs von zwölf?«
»War ein Witz. Nach dreien habe ich aufgehört, es sind also noch neun für euch übrig.«
»Da bekommen die anderen aber nichts von ab …«, witzele ich.
Früher wohnten wir in Belsize Park im Norden von London – Christian hat dort immer noch ein Haus –, aber vor wenigen Monaten bot uns ein Freund von Christian sein Ferienhaus im Süden Frankreichs zu einem guten Mietpreis an, und wir ergriffen die Gelegenheit beim Schopfe, das graue alte London eine Weile hinter uns zu lassen. Zufällig leben auch meine Eltern in Südfrankreich, in Grasse, ungefähr viereinhalb Stunden entfernt. Im Moment arbeite ich nicht, und Christian ist freischaffender Autor, er kann also überall schreiben …
»Hat sich die Reise für dich gelohnt?«, frage ich. »Hast du viel geschafft?«
»Ganz ordentlich.«
»Ist was Interessantes passiert?«
»Der Gig war gut. Anschließend hat Scott zwei Groupies mit aufs Hotelzimmer genommen.«
»Ein flotter Dreier.« Ich verdrehe die Augen.
»Tja, nichts Neues.« Christian wirft mir einen kurzen Blick zu und grinst schief. »Ich treib mich ein bisschen mit Barney rum. Bis gleich.«
Er verlässt das Zimmer, und ich betrachte mich im Spiegel auf der Kommode.
Johnny …
Ich nehme den Fön und trockne mein schulterlanges, glattes blondes Haar.
Christian war früher Musikjournalist, jetzt ist er freier Autor. Er hat sich einen Namen gemacht mit der Biographie seines besten Freundes – des Rockstars Johnny Jefferson –, und sein »Nichts Neues« bezog sich auf dessen Aktivitäten, die ganz ähnlich sind. Jetzt arbeitet Christian an einer anderen Biographie, diesmal über die amerikanische Rockband Contour Lines. Die Band besteht aus drei Mitgliedern, was dreimal so viel Arbeit für meinen schreibenden Freund bedeutet. Und da Scott, Niall und Ricky ihren Wohnsitz in Los Angeles haben, muss Christian oft dorthin fliegen. Ich habe schon Angst vor diesem Sommer, wenn die Band auf Tour geht. Dann werde ich ihn überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Ich muss daran denken, wie ich mit Johnny auf Tour war. Die kreischenden Fans, die verrückten Groupies, die Sauferei, die Drogen … Zum Glück hat Christian mit solchen Sachen nichts am Hut. Ich vertraue ihm hundertprozentig. Das kann er von mir nicht behaupten. Klar, er könnte es über mich sagen und tut es vielleicht auch. Das Traurige ist, dass er damit schwer danebenliegt.
Ich werfe den Fön auf die Kommode. Habe keine Lust mehr, mich selbst anzustarren.
Ich verlasse mein Zimmer. Gelächter von unten zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht. Auf dem Sofa im Wohnzimmer kitzelt Christian den fast schon hysterischen Barney.
Ich lehne mich gegen den Türrahmen und betrachte meine beiden Jungs – Christian mit seinem verstrubbelten dunklen Haar und Barney mit den blonden Locken. Als der Kleine aufsieht und mich entdeckt, vergeht mir das Lächeln. Seine grünen Augen leuchten durchdringend im frühabendlichen Sonnenlicht. Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Seinem richtigen Vater. Wie kann Christian das bloß übersehen?
»Wie wär’s mit einem Getränk, Mummy?«, unterbricht Christian meine Gedanken.
»Klar, worauf hast du denn Lust?«
»Hast du noch was von dem Billig-Cidre?«
Hier ist jeder Cidre billig. Was nicht heißt, dass er nicht lecker wäre.
»Yep.«
»Wir sind dann weg!«, verkündet mein Vater und schlendert mit klimpernden Autoschlüsseln ins Wohnzimmer. Mum folgt ihm auf dem Fuße.
»Danke, dass ihr gekommen seid.« Ich gehe hinüber, um die beiden zu drücken. »Wollt ihr wirklich nicht noch eine Nacht bleiben? Und dann morgen ganz früh los?«
»Nein, wir machen uns besser auf den Weg, Schätzchen«, erwidert Dad. »Deine Mutter bekommt morgen früh Besuch von ihrem Damenkränzchen.«
»Bis bald, Barney!«, ruft Mum, doch mein kleiner Junge tobt immer noch mit Christian auf dem Sofa.
»Komm, sag Oma und Opa schön ›Auf Wiedersehen‹!«, mahne ich. Christian rappelt sich auf und nimmt meinen Sohn mit. Zu dritt bringen wir meine Eltern nach draußen zum Wagen und winken ihnen nach, und ich empfinde den üblichen Stich, als ich ihnen nachsehe. In meinem Kopf fängt dieses Lied an zu spielen, Alone Again. Wenn sie doch nicht so weit weg wohnen würden! Zumindest sind sie im selben Land. Vielleicht kann ich sie überreden, uns das nächste Mal Gesellschaft zu leisten, wenn Christian länger unterwegs ist.
Am nächsten Tag sitzen Christian und ich am Swimmingpool, trinken eisgekühlte Limonade und futtern frisches Baguette. Vorher haben wir mit Barney im Buggy einen Spaziergang gemacht, damit er einschläft. Normalerweise schlummert er dann ungefähr zwei Stunden, so dass Christian und ich die Gelegenheit ergreifen, gemeinsam ein wenig zu entspannen.
»Geht es uns gut«, sagt er und schneidet ein Stück vom Camembert für sein Brot ab.
»Hm«, stimme ich zu, lege den Kopf in den Nacken und blicke hinauf in den blauen Himmel. Seit vier Tagen regnet es in England; hier ist schönstes Wetter. Am tollsten wäre es, wenn ein paar Freundinnen hier wären, um es gemeinsam mit mir zu genießen.
»Wann musst du wieder los?« Ich schiebe die Sonnenbrille ins Haar und drehe mich zu Christian um.
»Keine Ahnung«, erwidert er, ohne mich anzusehen. »Kann schon bald wieder so weit sein.«
»Wie bald?«, frage ich bange.
»Die Band fängt nächste Woche mit den Proben für die Tour an. Da sollte ich besser dabei sein.«
»Nächste Woche?«, rufe ich aus. »Das ist doch wohl ein Witz, oder?«
»Nein. Tut mir leid, Meg.« Er wirft mir einen kurzen Seitenblick zu und runzelt die Stirn.
»Verflixt nochmal!«, explodiere ich. »Du bist doch gerade erst zurückgekommen!«
»Ich weiß. Aber es geht nicht anders. Dieses Buch muss was werden, sonst bin ich gearscht.«
Ich mache mir nicht die Mühe, ihn wegen seiner Ausdrucksweise zu tadeln, sondern setze die Sonnenbrille wieder auf und starre verstimmt aufs Wasser.
»Es tut mir leid«, wiederholt er.
»Egal«, entgegne ich.
»Es gefällt dir hier doch, oder?«
»Sicher gefällt es mir hier«, sage ich. »Es ist nur total langweilig, immer allein zu sein.«
»Du bist nicht allein«, widerspricht er zu meiner Verärgerung. »Du hast doch Barney.«
»Du weißt genau, was ich meine«, antworte ich genervt. »Ich habe keinen Kontakt zu irgendwem. Ich habe nichts zu tun, keine Freundinnen zu besuchen.«
»Wieso behauptest du, du hättest nichts zu tun? Schau dich doch um! Weißt du gar nicht, wie viel Glück du hast?«
»Ja, sicher. Aber ich fühle mich einsam!«
»Warum suchst du dir keine Arbeit?«
»Was soll ich denn machen?«
»Weiß nicht – in einer Bäckerei arbeiten oder so.«
»Ach ja, und wo soll ich solange mit Barney hin? Ihn hinten neben den Ofen stellen?«
»Er könnte in eine Kinderkrippe gehen.«
Ich schüttele den Kopf. »Das geht finanziell wohl kaum auf, oder?«
»Ich weiß es nicht, Meg, aber du hast eben gesagt, du würdest dich langweilen. Ich dachte, du könntest es vielleicht mal mit einem anderen Lebensstil versuchen.«
»Indem ich unseren Sohn in die Tagespflege gebe?«, fahre ich ihn an.
Er seufzt. »Warum versuchst du nicht mal, mit ihm in eine Spielgruppe oder so zu gehen?«
»Ich kenne hier keine.«
»Das muss doch irgendwie rauszufinden sein.«
»Da kenne ich aber niemanden«, werfe ich ein.
»Darum geht’s doch gerade! Da würdest du Leute kennenlernen.«
»Und wenn keiner Englisch spricht?«
»Du kannst doch Französisch!«
»Französisch in der Schule zu lernen bedeutet noch lange nicht, Französisch zu können! Besonders wenn ich die Sprache in den letzten zehn Jahren nur dazu benutzt habe, Croissants und Baguettes zu bestellen.«
»Na, dann wäre es doch eine gute Möglichkeit, es wieder zu üben! Ich dachte, du wolltest dein Französisch auffrischen.«
»Langsam gehst du mir wirklich auf den Geist«, warne ich.
»Nur weil du weißt, dass ich recht habe«, gibt Christian zurück. »Leg dir nicht ständig Ausreden zurecht.«
Ich will schon empört ins Haus stürmen, als er die Hand ausstreckt und mich aufhält.
»Ich will dich nicht aufziehen. Ich versuche nur zu helfen.« Er steht auf und verschwindet ins Haus. Eine Minute bleibe ich schmollend hocken, doch als mein Freund mit ein paar Zeitschriften zurückkommt, habe ich den Auslöser schon wieder vergessen.
Ich weise mit dem Kinn darauf. »Recherche?«
»Yep. Interviews mit der Band.« Er legt die Zeitschriften auf den Tisch. »Bei einigen war ich dabei. Es ist spannend zu sehen, was dann dabei rauskommt.«
Ich beuge mich vor und blättere durch den Stapel. Der Großteil sind seriöse Musikzeitschriften, doch am Ende entdecke ich ein aufreizend niveauloses Promiblättchen. Mein Herz macht einen Satz, so wie immer, wenn ich solche Sachen lese. Ich versuche normalerweise, es zu vermeiden.
»Kann ich mir diese hier mal ausleihen?«
»Ja, sicher«, erwidert Christian.
Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück. Bevor ich mich entspannen kann, muss ich die Schlagzeilen und den Tratsch überfliegen. Nervös blättere ich um, lese kaum den Inhalt. Ich halte nicht einmal inne, um die Strandfotos des heißen Scott von Contour Lines zu bewundern. Erst als ich zu den Modeseiten komme, kann ich erleichtert ausatmen. Keine Neuigkeiten oder Klatschgeschichten über Johnny. Ich mache es mir bequem und lese in einem gemächlicheren Tempo weiter.
Etwas später stoße ich auf einen doppelseitigen Artikel:
AUS DEM FAMILIENALBUM
Welche Promis verbergen sich hinter diesen Kinderfotos?
Ah, diese Rätsel liebe ich!
Mein Herz setzt aus.
Barney. Da ist ein Bild von Barney!
Nein. Das ist nicht Barney. Schnell überfliege ich die kleinen Bilder der Stars unten auf der Seite und entdecke sofort, wonach ich suche. Johnny Jefferson. Johnny Jefferson als Kind sieht genauso aus wie mein Sohn.
Das Blut schießt mir in den Kopf, mein Blick schießt hinüber zu Christian, der friedlich neben mir liest. Verhalt dich ganz normal. Versuch, ganz ruhig zu bleiben, Meg.
Mein Herz pocht mir so laut in der Brust, dass ich befürchte, meine Rippen könnten zerbrechen. Langsam schlage ich die Zeitschrift zu und stehe auf.
»Brauchst du auch irgendwas?«, frage ich freundlich und halte das Klatschblatt hinter meinem Rücken. Das darf ich ihm nicht zeigen. Auf gar keinen Fall.
»Nein, danke«, erwidert Christian zerstreut.
»Bin sofort wieder da.« Schnell husche ich durch die Poolpforte über den Steinpfad bis zur Haustür.
Du heilige Scheiße!
Ich haste ins Haus, schließe die Tür hinter mir und lehne mich voller Panik dagegen. Was soll ich jetzt mit diesem Mist machen? Ich schaue auf die Zeitschrift in meinen schweißnassen Händen. Soll ich die Seite herausreißen? Es ist der Mittelteil, es könnte funktionieren. Nein, der Artikel geht auf der einen Seite noch weiter. Was ist, wenn Christian ihn lesen will und merkt, dass die Hälfte fehlt?
Ich muss das ganze Ding in den Müll werfen. Aber wo? Der Abfalleimer in der Küche ist zu verdächtig. Ich muss rübergehen zu den großen Containern unten an der Straße. Das dauert ein paar Minuten, ich muss mich also beeilen. Ich sprinte durch die Tür nach draußen und hoffe, dass Christian nicht ins Haus kommt und mein Fehlen bemerkt.
Johnny Jefferson gehört zu den bekanntesten Menschen der Welt. Er war gerade zwanzig geworden, als er mit seiner Band Fence in die Sphären der internationalen Superstars katapultiert wurde. Drei Jahre später löste sich die Gruppe auf, Johnny verlor jeglichen Halt und fiel in eine tiefe Depression. Es dauerte weitere zwei Jahre, bis er so weit war, einen neuen Anlauf als Solokünstler zu versuchen. Als er sich endlich überwand, wurde es eines der erfolgreichsten Comebacks aller Zeiten. Jetzt, mit dreiunddreißig, hat er schon mehr Platinplatten als jeder andere Rockstar in der Geschichte.
Was meine Rolle angeht – also, bevor ich dumm genug gewesen bin, Geschäftliches und Privates zu vermischen, habe ich für Johnny als seine persönliche Assistentin gearbeitet. Manchmal erinnere ich mich noch an meine Aufregung, als ich die Stelle bekam; wie spannend es war, meiner besten Freundin Bess erzählen zu können, dass ich in L.A. für Johnny Jefferson arbeiten würde. Sie kreischte so laut, dass mir fast das Trommelfell platzte. Im Gegensatz zu ihr war ich nicht mal ein besonders großer Johnny-Jefferson-Fan. Bess hatte schon immer auf Alternative Rock gestanden, ich war mehr für Pop. Natürlich begeisterte ich mich auch bald für Rock, hauptsächlich weil ich mich allmählich für meinen neuen Chef begeisterte.
Christian lernte ich bei meiner Arbeit in L.A. kennen. Er war schon seit seiner Kindheit mit Johnny befreundet. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, wohnten nah beieinander in ihrer Heimatstadt Newcastle upon Tyne und waren über fünfzehn Jahre lang die besten Freunde, bis Johnny so dämlich war, mit Christians Freundin zu schlafen. Irgendwann rauften sie sich wieder zusammen, und so kam Christian zu dem Auftrag, die Biographie seines berühmten Freundes zu schreiben. Ich mochte Christian auf Anhieb. Er war ein wirklich guter Kerl – anders als sein Kumpel, der Frauen wie Dreck behandelte, ohne dass sie deshalb genug von ihm bekamen. Ich war nicht besser als die Groupies, und das gebe ich nicht gerne zu. Es war so schwer, ihm zu widerstehen. Sicher wusste ich, dass er umwerfend aussah – ich hatte unzählige Bilder von ihm in Zeitschriften gesehen –, aber ich verstand seine Anziehungskraft erst richtig, als ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Noch heute erinnere ich mich an das erste Mal. Es war draußen am Swimmingpool seiner Villa in L.A. Mit seinen eins fünfundachtzig war er größer, als ich erwartet hatte, und seine grünen Augen leuchteten irisierend, weil sich das Licht des Swimmingpools in ihnen reflektierte. Sein dunkelblondes Haar reichte ihm bis zum Kinn, er hatte Sommersprossen auf der Nase, die mir auf Fotos noch nie aufgefallen waren. Ich war so aufgeregt, dass ich mein Strandtuch ins Wasser fallen ließ, und ich weiß noch, wie sich die Muskeln in seinen nackten Armen anspannten, als er das Badelaken auswrang. Mein Blick wurde von seinen berühmten Tätowierungen angezogen, mit schwarzer Tinte in seine gebräunte Haut gestochen. Schnell merkte ich, dass er unglaublich viel Charisma hatte: Wenn er einen Raum betrat, hörten alle auf zu reden, wenn er ging, war irgendetwas unwiederbringlich verloren. Außerdem besaß Johnny ein erstaunliches musikalisches Talent. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum ich mich in ihn verliebt habe.
Als es mit meinem Chef dann drunter und drüber ging, kamen Christian und ich uns allmählich näher. Obwohl Christian das wahrscheinlich anders beschreiben würde. Angeblich hatte er schon sehr viel länger etwas für mich empfunden.
Ich liebe Christian. Davon muss ich mich nicht überzeugen. Und Johnny liebe ich nicht mehr. Doch irgendwo tief in mir gibt es etwas, das mit ihm verbunden ist. Am liebsten würde ich mich für immer davon trennen. Aber das geht nicht. Das werde ich niemals können. Weil mein Sohn sein Sohn ist. Mir ist so schlecht, dass ich mich übergeben könnte.
»Meine Fresse, ist das heiß«, sagt Christian. Wir sitzen am Strand in der Nähe von Perpignan. Barney spielt ein paar Meter weiter mit seinem neuen Müllwagen im Sand, Christian stützt sich links von mir auf die Ellenbogen. Ich setze mich auf, um ein Auge auf meinen Sohn zu haben.
»Wir sollten ein Sparschwein fürs Fluchen aufstellen«, bemerke ich. »Dann würde es dir schnell leidtun.«
»Und du würdest reich.«
»Genau«, erwidere ich grinsend.
»Sollen wir schwimmen gehen?« Christian dreht sich zu Barney um, ohne meine Antwort abzuwarten. »Barney, willst du schwimmen gehen? Barney?«
Der Kleine ist zu vertieft in das Spiel mit seinem Müllwagen, um überhaupt aufzuschauen.
»Geh du rein«, sage ich. »Ich bleibe hier bei ihm.«
»Nein, ich möchte mit euch zusammen gehen, als Familie.«
Eine Welle der Übelkeit steigt in mir auf. Seit ich letztens das Bild von Johnny als Kind in der Zeitung gesehen habe, bin ich neben der Spur. Glücklicherweise hat Christian nicht gemerkt, dass diese Zeitschrift fehlt. Ich denke, die Strandfotos eines Bandmitglieds sind für seine Recherche verzichtbar.
»Los, komm, Mummy!«, ruft er. Mit dem kichernden Barney auf dem Arm hält er mir die Hand hin. Ich ergreife sie, er zieht mich auf die Füße. Dann läuft er mit Barney über der Schulter auf das Wasser zu. Lächelnd folge ich den beiden.
Als Familie …
Während ich durch den heißen Sand gehe, kommt mir der Gedanke, wie gut ich im Lügen geworden bin. Was für ein abartiges Talent. Man kann nicht damit angeben, wie zum Beispiel mit Fremdsprachen oder Klavierspielen. Ich bin eine gute Lügnerin. Meine Eltern wären so stolz auf mich.
Christian läuft mit Barney in das klare blaue Wasser, zieht weiße Gischt hinter sich her. In meinem Kopf fragt eine leise Stimme, ob ich mir nicht ein bisschen weniger Druck machen könnte. Es war schließlich ein Versehen. Ein Fehler. Ich wollte niemanden verletzen. Und wenn ich weiterhin zulasse, dass mich diese schlimmen Gefühle auffressen, wird es genau damit enden: dass ich jemanden verletze. Ich schiebe diesen Gedanken ganz weit weg, will mich im Moment nicht näher damit beschäftigen.
»Ist das kalt!«, keuche ich, als ich ins Wasser wate.
»Tauch schnell unter«, schlägt Christian vor und tut genau das. Barney quietscht ihm ins Ohr.
Ich tauche bis zum Hals hinein und springe schnell wieder hoch.
»Besser?«, fragt Christian.
»Nein!«
»Dann mach’s noch mal.«
»Nein, danke. Ich glaube, ich bleibe lieber ein bisschen hier stehen.«
Er verdreht die Augen zum Himmel und grinst. »Übrigens, dein neuer Bikini gefällt mir.« Es ist ein goldener von H&M.
»Danke. Meine Mutter war letzte Woche mit mir in Perpignan einkaufen. Für den Geburtstag.«
»Du siehst sportlich aus. Niemand käme auf die Idee, dass du schon ein Kind hast.«
Ich lache. »Also hab ich mir den Busen durchs Stillen nicht völlig ruiniert?«
Er schmunzelt. »Nein. Anders als die da …«
Unauffällig weist er mit dem Kinn auf eine tief gebräunte Frau mittleren Alters, deren nackte Brüste fröhlich vor ihrem Bauch baumeln.
Ich muss kichern, und Christian zieht mich hinunter ins Wasser, küsst mich auf die Lippen.
»Es wäre schön, wenn du nicht schon wieder wegmüsstest«, sage ich nach einer Weile.
»Ich weiß.« Er wechselt das Thema. »Willst du mal zu Mummy schwimmen?« Er lässt Barney durchs Wasser pflügen, ich fange ihn lachend auf. Der Kleine kann zwar noch nicht sprechen, aber er versteht schon sehr viel. Ich umfasse die kleine Taille meines Sohnes mit den Händen und lasse ihn im Wasser auf und nieder hüpfen. Er strampelt wie wild. Irgendwann lässt das Treten nach. Wir reiben die Nasen aneinander.
»Das solltest du öfter machen«, sagt Christian.
»Ich weiß«, entgegne ich. »Die Fahrt hierher hat gar nicht so lange gedauert, oder?«
»Nicht wenn ich fahre«, sagt er. »Bei dir müsstest du mindestens noch eine Viertelstunde draufrechnen.«
Christian liebt Autos. Ich weiß noch damals, als wir uns eins von Johnnys Autos geliehen hatten … Ich seufze. Ich kann nicht mal an Johnnys Namen denken, ohne zusammenzuzucken.
»Was ist?«, fragt Christian.
Ich will nicht lügen. »Ich habe gerade an damals gedacht, als du mit mir in Santa Monica an den Strand gefahren bist.«
»Mit Johnnys Bugatti?«
Falls Christian merkt, dass ich wieder zusammenzucke, so tut er so, als würde er es nicht merken.
»Ja.«
Es war kurz nachdem ich angefangen hatte, für Johnny in Los Angeles zu arbeiten. Er hatte Christian und mir gesagt, wir sollten uns einen Tag freinehmen, und so liehen wir uns seinen Bugatti Veyron – eines der schnellsten und teuersten Autos der Welt – und machten einen schönen Ausflug. Christian war außer sich vor Freude, den Bugatti fahren zu dürfen. Johnny hat mehrere solcher Schlitten in der Garage stehen. Hatte er zumindest früher. Ich nehme an, das hat sich nicht geändert.
Ob sich Christian wohl bei ihm gemeldet hat, als er in L.A. war? Ich frage nicht danach. Ich frage nie. Manchmal rückt er von selbst damit heraus, aber meistens behält er es für sich, wenn sie sich getroffen haben. Er weiß von meiner Vergangenheit mit Johnny. Ich denke, er tut lieber so, als gäbe es sie nicht.
»Sollen wir in der Strandbar zu Mittag essen?«, fragt Christian.
»Au ja.«
Am frühen Nachmittag kehren wir nach Cucugnan zurück. Barney ist im Auto eingeschlafen, deshalb trage ich ihn in sein Bettchen und gehe anschließend ins Bad, um zu duschen. Ich öffne das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und sehe, dass Christian im Swimmingpool ist.
»Komm rein, es ist herrlich!«, ruft er.
Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, für die Heimfahrt meinen Bikini auszuziehen, deshalb muss ich nicht mehr tun, als Barneys Babyphon zu nehmen und wieder in meine Flipflops neben der Haustür zu schlüpfen, damit ich mir die Füße nicht auf den glühenden Steinplatten verbrenne. Ich gehe um das Haus herum, löse meinen schwarzen Sarong und versuche, dabei nicht die Bienen zu stören, die im Lavendel entlang des Wegs summen. Gelbe Schmetterlinge umflattern die violetten Blüten. Ich atme tief ein und lächle vor mich hin. In solchen Momenten ist es unmöglich, nicht glücklich zu sein. Ich gehe zu den Stufen des Pools und wate hinein. Das kalte Wasser raubt mir den Atem, doch kurz darauf ist es herrlich. Ich schwimme zu Christian, er legt die Hände um meine Taille, beugt sich vor, um mich zu küssen, und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit erwidere ich seinen Kuss.
»Ich habe gerne Sex draußen in der heißen Sonne«, sagt er später.
»Das klingt, als hättest du das schon öfter getan.« Ich binde mir den Sarong wieder um die Hüfte. Christian räkelt sich noch immer nackt auf der Sonnenliege vor mir. Zum Glück haben die Nachbarn keinen Einblick in den Garten. Christian grinst.
»Was? Hast du das schon öfter gemacht?«, hake ich nach, neugierig geworden, aber nicht eifersüchtig.
»Ein- oder zweimal«, erwidert er mit einem Grinsen, das ahnen lässt, es war deutlich öfter.
»Mit wem? Clare?« Das war seine letzte richtige Freundin. »Ach, eigentlich will ich das gar nicht wissen«, beschließe ich.
»Du etwa nicht?«, gibt er die Frage zurück.
»Nein.« Ich zerbreche mir den Kopf, um auf Nummer Sicher zu gehen. Nein, nicht mit Johnny. Und ganz bestimmt nicht mit den anderen Typen, mit denen ich im Laufe meines Lebens zusammen war.
»Das ist ja ein Witz. Da muss ich dir helfen, die verpassten Gelegenheiten nachzuholen«, neckt er mich.
»Das wird nicht gerade leicht mit Barney«, bemerke ich, dann nicke ich ihm zu. »Zieh dir besser was an. Er wacht bestimmt bald auf.«
Christian seufzt. »Wünschst du dir nie, es gäbe nur uns beide?«
»Das ist ja furchtbar, so was zu sagen!«, rufe ich.
»Ich meine es ja nicht so. Ich weiß nicht …« Er unterbricht sich, steht stattdessen auf und zieht seine schon fast wieder trockene Badehose über.
Ich sehe ihn an. »Wäre es dir lieber, wenn wir mehr Zeit füreinander hätten?«
»Schon, allein zum Quatschen und – keine Ahnung, ohne unterbrochen zu werden. Wäre schön, wenn unsere Eltern nicht so weit weg wohnen würden.«
»Es wäre wirklich nett, sie in der Nähe zu haben, dann könnten sie öfter aushelfen«, stimme ich zu. »Wollen uns deine Eltern immer noch besuchen kommen?«
»Ich glaub schon, aber Dad hat im Geschäft momentan echt viel zu tun.«
»Hat er noch keinen Ersatz für Joel gefunden?«
»Nein.«
Christians Vater Eugen hat ein Elektrogeschäft in Newcastle. Früher hat er es zusammen mit Christians jüngerem Bruder Joel geführt, aber der ist vor kurzem ausgestiegen und zu seiner Freundin nach Australien gezogen.
»Mum kommt vielleicht allein rüber. Sie hat schon Entzugserscheinungen, weil sie Barney so vermisst.«
Mandy, Christians Mutter, ist völlig vernarrt in Barney. Wenn sie wüsste, dass er nicht von ihrem Sohn ist … Die Vorstellung ist einfach zu schrecklich.
»Das wäre schön«, sage ich.
Ich mag Christians Mutter, so temperamentvoll sie auch ist. Sie kommt aus Newcastle, während Christians Vater aus Schweden stammt. Es beeindruckt mich immer noch, dass Christian zweisprachig aufgewachsen ist.
Ich sollte wirklich mehr Französisch üben …
Das Babyphon gibt ein Geräusch von sich.
»Ich gehe hin«, sage ich und betrete das Haus, um die kleine Schlafmütze zu holen. Barney liegt wach in seinem Bettchen und starrt auf das bunte Mobile aus Booten über seinem Kopf. »Komm, mein Kleiner.« Als ich mit ihm auf dem Arm durch den Flur gehe, greift er mir mit seinen knubbeligen Fingern um den Hals und drückt das Gesicht in meine Schulter. Eine mächtige Woge der Liebe überrollt mich. Ich kann mich kaum noch an mein Leben erinnern, bevor er da war. Die Vorstellung, ohne ihn sein zu müssen …
Damit will ich nicht behaupten, dass ich das Muttersein einfach finde. Die ersten Monate waren ein absoluter Schock. Christian war viel unterwegs, und der Löwenanteil der Arbeit blieb an mir hängen – sowohl beim Kind als auch im Haushalt. Ich weinte viel. Das nächtliche Aufstehen zum Stillen erschöpfte mich völlig, dennoch lag ich anschließend wach und grübelte. Obwohl Barney mit einem dichten Schopf schwarzer Haare zur Welt kam und alle sagten, er sähe wie Christian aus, war ich nie so ganz überzeugt. Er hatte blaue Augen. Vielleicht würden sie irgendwann braun werden wie die von Mama und Papa, so wie alle vermuteten, doch ich quälte mich fortwährend mit dem Gedanken, sie würden grün. Und so kam es natürlich auch.
»Ist Christian gut weggekommen?«, fragt meine Mutter einige Tage später am Telefon. Mein Freund ist am Morgen zu den Proben für die Tour nach L.A. aufgebrochen. Eine Woche wird er dort bleiben.
»Ja«, antworte ich.
»Barney wird ihn vermissen«, sagt sie.
»Nicht so sehr wie ich.«
»Oje, hoffentlich bist du nicht traurig, weil ich nicht komme.«
»Nein, natürlich nicht. Keine Sorge.«
Ich hatte meine Eltern gefragt, ob sie mir Gesellschaft leisten könnten, wenn Christian diesmal unterwegs sei, aber meine Mutter muss an irgendeinem wichtigen Bridgespiel teilnehmen.
»Schade, dass er so oft reisen muss«, bemerkt sie. »Mir ist die Vorstellung unangenehm, dass er mit diesen ganzen Typen zusammen ist, die nach dem Motto Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll leben. Ich weiß nicht, warum er keine normalen Romane mehr schreiben kann.«
»Doch, das weißt du wohl«, sage ich verärgert. »Er hat keinen neuen Buchvertrag bekommen.«
»Aber warum nicht? Ich dachte, sein erstes Buch wäre nicht schlecht gewesen.«
»Ich fand es super!«, höre ich meinen Vater im Hintergrund rufen. »Ich will wissen, wie es mit Dr. Dingsbums weitergeht!«
»Sag Dad, dass er dafür noch bis März warten muss.«
»Offenbar erfährst du das im März«, gibt meine Mutter weiter.
»Im März?«, ruft mein Vater. »Das ist ja fast noch ein ganzes Jahr! Ich dachte, sein nächstes Buch erscheint im September.«
»Gib mir mal Dad!«, bitte ich meine Mutter. Sie tut, wie ihr geheißen. Ich erkläre ihm: »Das erste Buch kam letztes Jahr im September auf den Markt und war ein Flop, deshalb will der Verlag das nächste in einer anderen Jahreszeit herausbringen.«
Ungefähr zu der Zeit, als ich feststellte, dass ich schwanger war, kam Christians Biographie über Johnny Jefferson in die Läden und wurde ein großer Erfolg. Der Verlag hatte sie im Herbst gegen die üblichen Schwergewichte der Vorweihnachtszeit antreten lassen, und ein Jahr später ging man davon aus, die erste Folge von Christians neuer Krimireihe würde sich auf dem umkämpften Markt ebenfalls durchsetzen können. Leider falsch gedacht.
Daher wurde der Erscheinungstermin des zweiten Bandes bis zum folgenden März verschoben, ein neuer Vertrag muss ihm noch angeboten werden. Christian hat seinen Traum vom Krimischriftsteller fürs Erste auf Eis legen müssen, daher hat er sich darauf eingelassen, eine weitere Prominentenbiographie zu verfassen.
»Das wird bestimmt ein Riesenerfolg!«, dröhnt mein Vater ein wenig zu begeistert.
»Danke, Dad«, erwidere ich mit einem verstohlenen Lächeln, das er nicht sehen kann.
»Gib mir den Hörer zurück«, sagt meine Mutter. Sie nimmt ihm das Telefon ab. »Sag Bescheid, wenn ich am Samstag runterkommen soll.«
»Nein, ist schon gut, Mum. Christian ist ja am Montag wieder da, es lohnt sich nicht für dich, für anderthalb Tage diese Fahrt auf dich zu nehmen. Ich gehe mit Barney an den Strand oder auf den Spielplatz oder so. Das geht schon.«
»Ruf mich an, wenn du reden willst.«
»Mach ich, wenn ich denn Zeit dazu habe«, verspreche ich. Wir legen auf, und ich seufze laut. Alone Again … Dieses verfluchte Lied treibt mich in den Wahnsinn. Ich drehe am Radiosender, um etwas anderes zu finden, das sich in meinem Kopf festsetzen kann. Eine Melodie, die ich auf Anhieb erkenne, erfüllt das Wohnzimmer, und ein Schauer läuft mir den Rücken hoch bis zum Kopf. Schnell will ich ausschalten, aber es ist schon zu spät. Ich habe es gehört. Es ist passiert.
Es war das Lied, das Johnny für mich geschrieben hat.
Er sagte, er liebt mich. Zuvor hatte er einmal gesagt, er hätte noch nie jemanden geliebt.
Das Telefon klingelt, ich zucke zusammen. Dann nehme ich ab.
»Hallo?«
»Meg?«
»Bess!«, rufe ich. Es tut so gut, die Stimme einer Freundin zu hören.
»Hey, wie geht’s dir?«
»Ganz gut.« Ich seufze, unfähig, Begeisterung zu heucheln.
»Dann weißt du also Bescheid«, sagt sie.
»Worüber?«
»Über Johnny.«
Schweigen.
»Ach, du weißt es gar nicht«, bemerkt sie.
Abgesehen von Christian, ist Bess die Einzige, die von meiner Beziehung zu Johnny weiß – wenn man sie denn als solche bezeichnen kann. Es gab Gerüchte in der Branche, als ich unvermittelt bei ihm kündigte, aber niemand weiß genau, was passiert ist, und die Verschwiegenheitsklausel im Vertrag verbietet mir, es irgendjemandem zu erzählen, selbst wenn ich wollte. Ich hätte es auch Bess nicht sagen dürfen, aber ich konnte damals nicht anders.
»Erzähl!«, dränge ich sie. Angst kriecht mir in die Magengrube.
Sie kommt sofort auf den Punkt. »Er liegt mit seiner Freundin nach einer Überdosis im Krankenhaus.«
Das Herz rutscht mir in die Hose.
»Anscheinend war es ein Versehen.«
Ich bringe kein Wort heraus.
»Meg?«
»Ich wusste nicht mal, dass er eine Freundin hat«, sage ich dumpf.
»Sie haben sich im Entzug kennengelernt.«
»Hat ja ’ne Menge genützt.« Ich bringe ein bitteres Lachen heraus.
»Ist alles in Ordnung bei dir?« Bess klingt nicht überzeugt.
»Mir geht’s gut«, antworte ich kurz angebunden. »Geht mich schließlich nichts an.«
»Ich weiß, dass du es nicht so meinst«, sagt sie liebevoll.
»Hör auf! Hör einfach auf!«, warne ich.
»Es geht ihm gut«, sagt Bess. »Falls du das wissen willst.«
»Will ich nicht.«
»Angeblich will er zurück in die Entzugsklinik«, fährt sie fort.
»Er hätte da nie rauskommen dürfen«, murmele ich. »Bess, ich muss auflegen. Barney ist aufgewacht. Wir sprechen uns.«
»Gut. Alles Liebe!«
»Dir auch.«
Ich lege auf. Das Babyphon ist stumm. Barney ist nicht aufgewacht – das war gelogen. Mal wieder.
Ich blicke durch die Terrassentür auf die Berge in der Ferne.
Es war richtig, sich für Christian zu entscheiden. Johnny hätte sich nie für mich geändert.
Aber vielleicht doch …
Nein. Ich habe alles richtig gemacht. Es ist bloß tragisch, dass sich die Biologie geirrt hat.
Das Kind hätte von Christian sein können. Es war möglich, auch wenn wir verhütet haben. Ich wollte so sehr, dass es von Christian ist. Ich wusste, dass Johnny die Flucht ergriffen hätte, wenn ich ihm gesagt hätte, ich sei von ihm schwanger oder könne es zumindest sein. Bei Christian wäre es wohl ebenso gut angekommen zu sagen: »Hey, Schatz, du wolltest doch immer ein Kind haben, oder? Jetzt pass mal auf! Ich hab einen Braten in der Röhre! Und die gute Nachricht ist: Das Kind könnte sogar von dir sein!« Nein, ich glaube nicht. Christian hätte zusammen mit Johnny das Weite gesucht, um ja nichts mit mir zu tun haben zu müssen. Versteh mich keiner falsch: Ich hätte es verdient. Aber mein Kind nicht. Und ich wollte das Beste für meinen Kleinen. Christian ist ein guter Vater – wenn er denn da ist. Johnny wäre eine Katastrophe gewesen.
Besser, wenn ich in den nächsten Tagen nicht das Radio anstelle. Wegen dieser Geschichte werden sie in einem fort seine Lieder spielen. Den Fernseher lasse ich lieber auch aus. Ich schiele hinüber zu meinem Laptop. Nein. Nein. Nein.
Meine Entschlossenheit hält bis zum späten Abend an, als Barney im Bett liegt und ich immer noch nichts von Christian gehört habe. Er wollte mich anrufen, wenn er gelandet ist, hat es aber nicht getan. Ich habe mich von meiner Verbitterung zernagen lassen, daher fällt es mir leicht, mein Tun zu rechtfertigen. Ich stelle den Laptop an, in meinem Kopf summt es vor Erwartung.
Google: Johnny Jefferson.
Millionen von Treffern. Nervös klicke ich auf den ersten Nachrichtenlink.
Superstar Johnny Jefferson und seine Freundin Dana Reed wurden mit Verdacht auf eine Überdosis ins Krankenhaus eingeliefert. Das Paar wurde gestern Vormittag in Jeffersons Villa in Beverly Hills gefunden. Sein Manager bestätigte, dass die Überdosis ein Versehen gewesen sei.
So ein dämlicher Idiot!
Wie konnte er sich so was nur antun?
Ich habe die Wirkung der Drogen auf Johnny mit eigenen Augen gesehen. Irgendwann wurde es so schlimm mit ihm, dass ich es nicht länger aushielt. Ich verfrachtete ihn in ein Haus in den Yorkshire Dales im Norden von England und zwang ihn zum kalten Entzug. Es war nicht gerade die klügste Idee, die ich je gehabt hatte, aber sie funktionierte. Zumindest eine Weile.
Eine Erinnerung sucht mich heim: Ich sitze vor dem Kaminfeuer in jenem Haus. Seine grünen Augen blicken in meine, seine Lippen streifen meinen Hals … Ich erschaudere.
Hör auf. Hör auf, daran zu denken.
Ich kann nicht.
Seine warme Brust drückt sich auf meine … mit den Fingern fahre ich über die Tätowierungen um seinen Bauchnabel: I hurt myself today, to see if I still feel …
»Text von Johnny Cash«, erklärte er mir.
»Jetzt würdest du dich nicht mehr selbst verletzen, Johnny, oder?«, sagte ich damals.
So was von dämlich!
Die nächste Erinnerung überfällt mich, diesmal an unsere Begegnung, nachdem Johnny herausgefunden hatte, dass ich mit Christian zusammen war.
»Nutmeg …«
Das war mein Spitzname. Er hatte ihn sich ausgedacht.
Er fuhr mit dem Daumen an meinem Hals entlang.
»Hör auf!« Ich schlug seine Hand fort. »Warum machst du das? Ich bin glücklich, Johnny. Ich mag Christian.«
»Da!«, rief er und zeigte auf mich. »Du hast gesagt, du ›magst‹ ihn!«
Ich machte einen Schritt nach hinten. »Ich liebe ihn«, sagte ich entschlossen.
Er schüttelte den Kopf und lehnte sich gegen die Wand im Flur. »Du hast gesagt, du ›magst‹ ihn«, wiederholte er, jetzt langsamer. »Du liebst mich.«
Schluchzen steigt in mir auf.
Ich liebe ihn immer noch. Ich liebe ihn auch jetzt noch.
Ich heule mir die Augen aus dem Kopf und halte mir dabei den Mund zu, um meinen kleinen Jungen nicht zu wecken. O Gott, was soll ich nur tun?
Es ist zu spät … zu spät …
Sehr, sehr lange liege ich zusammengerollt auf dem Sofa und weine, während die Sonne hinter dem Horizont abtaucht und die Berge erst orangefarben und dann pechschwarz werden. Irgendwann versiegen meine Tränen, und meine Neugier wird stärker. Ich will mehr über Dana Reed wissen.
Ich klicke auf einen anderen Link.
Die beiden haben sich im März bei Johnnys drittem Aufenthalt in der Entzugsklinik kennengelernt. Von Beziehungen während der Therapie wird dringend abgeraten, doch Johnny und Dana pfiffen auf diese Empfehlung. Vor ein paar Wochen gab es ein Bild von ihnen, auf dem sie frühmorgens aus einem Club kommen. Sie hat lange, dunkle Haare und ist stark geschminkt: schwarzer Eyeliner um die Augen, dicker schwarzer Glitzerlidschatten und roter Lippenstift. Dafür, dass sie in L.A. lebt, ist sie sehr blass, und Johnny überragt sie um Längen, sie muss also ziemlich klein sein. Das Mädel sieht gut aus, Typ Rockerbraut. Sie passt zu ihm, stelle ich fest, und Eifersucht steigt in mir auf. Verärgert wische ich meine Tränen fort und lese weiter.
Dana ist eine vielversprechende Songwriterin, die nach Ansicht der Musikjournalisten der nächste große Star sein wird. Sie ist fünfundzwanzig, acht Jahre jünger als Johnny und ein Jährchen jünger als ich. Seit ihrer ersten Begegnung sind die beiden unzertrennlich – es gibt keine Gerüchte, dass Johnny fremdgegangen sei. Könnte sie endlich die Richtige sein?, steht in einem Artikel. Sie haben einen schlechten Einfluss aufeinander. Das wird nicht gut ausgehen, behauptet ein anderer.
Da haben sie recht.
Ich bin fertig. Ich habe genug gesehen. Ich klappe den Laptop zu und stelle ihn zurück auf den Tisch, dann stehe ich erschöpft auf.
Das ist der Grund, warum ich das nicht oft mache.
Am nächsten Morgen reißt mich Barney aus tiefem Schlaf. Ich liege im Bett, und jeder Körperteil ist schwer vor Erschöpfung. Ich würde alles dafür geben, den ganzen Tag liegen bleiben zu können, doch nach einer Weile wird Barneys fröhliches Geplapper zu Jammern, und ich steige aus dem Bett und schleppe mich zu ihm hinüber.
»Guten Morgen!« Ich versuche, fröhlich zu klingen.
Ein Lächeln lässt sein Gesicht erstrahlen, und sofort ist meine schlechte Laune wie weggewischt. Der Kleine ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich kann nicht wieder in dieses schwarze Loch fallen. Ich lege Barney auf die Wickelkommode und wechsle ihm die Windel.
Der gestrige Abend erscheint mir unwirklich. Jetzt ist mir die ganze Geschichte seltsam fremd. Johnny ist nicht mehr als ein weiterer dummer Star, der nach einer Überdosis im Krankenhaus gelandet ist. Natürlich liebe ich ihn nicht.
Mir wird leichter ums Herz. Ich lächle Barney an – ein aufrichtiges Lächeln.
»Sollen wir hoch ins Dorf gehen und Croissants zum Frühstück holen?« Ich rechne nicht mit einer Antwort von ihm, trotzdem rede ich gerne mit dem Kurzen.
Ich schlüpfe in eine Shorts und ein T-Shirt und ziehe auch Barney schnell etwas an, dann schnalle ich ihn im Buggy fest und fahre über die Steinplatten zum Eingangstor. Cucugnan ist eine wunderschöne mittelalterliche Stadt, die auf einem Hügel liegt. Besagter Hügel ist klein im Vergleich zu den Bergen drum herum, aber als ich den Buggy die steile Straße hoch ins Dorfzentrum schiebe, kommt mir der Anstieg immens vor. Auf der linken Seite sind das Rathaus und die Post, rechts eine Kneipe und ein paar Geschäfte, dann wird die Straße kurviger. Wir kämpfen uns hoch bis zur Windmühle aus dem siebzehnten Jahrhundert, die ganz oben steht. Manchmal kann man zwischen den Häusern hindurchsehen, dann schaue ich auf die Berge dahinter. Ich nutze diese Aussichtspunkte, um Luft zu holen und das Brennen in den Oberschenkeln zu verringern. Kein Wunder, dass Christian mir letztens ein Kompliment für meine Figur gemacht hat – diese Steigungen sind wirklich Hardcore.
Lange bevor wir unser Ziel erreichen, hören wir schon das Quietschen alter Mühlblätter. Die Bäckerei befindet sich direkt unter der alten Windmühle. Mit ihren Holzbalken und den in Naturfarben gehaltenen Schränken sieht die Bäckerei aus, als käme sie aus einer Zeitschrift für Inneneinrichtung. Auf schicken schwarzen Tafeln sind die aktuellen Angebote aufgeführt; Kuchen, Plätzchen, Brote und Mandelbaisers sind in Vitrinen ausgestellt. Ich gehe hinein, um zu bestellen, dann kehre ich mit dem Erworbenen in den hellen Sonnenschein zurück. Draußen sind Sitzgarnituren, doch anstatt mich dort niederzulassen, gehe ich mit dem Buggy an der Windmühle vorbei, um die Ecke zu den Felsen oben auf dem Gipfel. Ich muss den Wagen mit der Bremse feststellen und Barney mit unserem Frühstück den Rest des Weges tragen. Als ich ein blondes Mädchen bemerke, das in einiger Entfernung im trockenen gelben Gras sitzt, halte ich kurz inne. Sie hat uns den Rücken zugewandt und blickt in die sie umgebende Bergwelt. Mir wird klar, dass sie Yoga macht.
Nur zögernd wende ich den Blick von ihr ab, setze mich auf einen Stein und nehme Barney auf den Schoß. Die Morgensonne lässt die Berge rot erglühen, unter uns erstreckt sich ein Flickenteppich aus lindgrünen Weinstöcken und dem kleinen Dorffriedhof. Ich öffne die Papiertüte von der Bäckerei, hole ein Plätzchen heraus – ich hatte vergessen, dass sie nur am Wochenende Croissants backen –, und gebe Barney ein kleines Stückchen davon ab. Wenn wir zu Hause sind, können wir richtig frühstücken.
In dieser Gegend gibt es viele verfallene alte Burgen. Ich schaue hinauf zum Château de Quéribus oben auf dem Gipfel. Manchmal habe ich das Gefühl, in eine Zeit zurückversetzt zu sein, wo Aragorn König ist und Elfen und Kobolde durchs Land ziehen. Ja, ich weiß, dass Der Herr der Ringe ein Roman ist, aber wenn man hier lebt, ist es wirklich schwer zu glauben. Dieses Land wurde tatsächlich mal von Aragon regiert. Aragon in Spanien, nicht der Aragorn, der vom sexy Viggo Mortensen gespielt wird. Ich habe mich schlaugemacht, nur damit das klar ist. Sonst kann man hier eh nichts tun.
War nur ’n Witz.
Barney strampelt auf meinem Schoß. Wir sollten uns wohl besser auf den Heimweg machen.
Ich stehe auf und drehe mich zu der einsamen Blondine um, die Yoga macht. Ich bin neidisch. Wie es wohl sein muss, hier oben zu sitzen und zu meditieren, ohne Sorgen, ohne große Geheimnisse, die eine Familie zerstören könnten … Die Gegend ist so wunderschön, so inspirierend.
Warum Christian wohl nie hier hinaufgeht, um zu schreiben?
Johnny würde das tun …
Mit Barney auf dem Arm klettere ich über die Steine und schnalle ihn wieder in seinem Buggy fest. Dann mache ich mich auf den Rückweg den steilen Hang hinunter und versuche dabei, an nichts zu denken.
Der Rückweg geht schneller, auch wenn sich meine Arme anfühlen, als würden sie vom Gewicht des Wagens aus den Gelenkpfannen gerissen. Irgendwann werde ich so aussehen wie Barneys Lieblingsfigur aus Unsere kleinen Damen und Herren, Herr Killekille mit den unglaublich langen Armen.
Plötzlich gefriert mir das Lächeln im Gesicht, abrupt bleibe ich vor einem Geschäft stehen. Johnnys Gesicht prangt auf mehreren Zeitschriften. Mit Übelkeit betrachte ich die Titelbilder, auf denen er die Klinik verlässt.
Er sieht furchtbar aus, leichenblass. Sein Erkennungszeichen, die Sonnenbrille, hat er nicht auf, was nicht gerade hilfreich ist.
Ich senke den Kopf und schiebe den Buggy weiter, doch das Bild lässt mich nicht mehr los. Gedanken summen mir durch den Kopf wie penetrante Schmeißfliegen.
Wer ihn wohl gefunden hat? Ob es seine liebe Köchin Rosa war? Ich mochte sie so gerne – und sie betete Johnny an. Es hätte sie fertiggemacht, ihn in so einem Zustand zu sehen. Vielleicht war es aber auch einer seiner Wachleute. Es gab auch noch Santiago, den Pooljungen, mit dem ich mich damals angefreundet habe. Was wohl nach meinem Weggang aus ihm geworden ist?
Auf dem Rückweg schläft Barney ein. Ich müsste ihn eigentlich wecken, damit sein Rhythmus nicht durcheinandergerät, aber mir fehlt die Energie dazu. Ich stelle ihn im Flur ab und lasse mich auf das Sofa im Wohnzimmer fallen, verschränke die Arme vorm Gesicht, bleibe eine Weile dort liegen und versuche, an nichts zu denken. Klappt super.
Schließlich stehe ich auf und gehe nach draußen um die Ecke zum Pool. Ich streife die Schuhe ab, stelle mich auf die erste Stufe und blicke auf das in der heißen Sonne funkelnde Wasser. Schon bin ich zurück in L.A. und genieße die spektakuläre Aussicht von Johnnys supercooler Villa auf die Stadt der Engel. Es war mein erster Tag dort. Johnny war angeblich zum Texten unterwegs, doch als ich am Pool einschlief, stand er plötzlich neben mir.
»Und dafür bezahle ich dich?«, hat er mit rauchiger Stimme gefragt. Später hat er sein schwarzes T-Shirt ausgezogen und seinen durchtrainierten gebräunten Oberkörper präsentiert, verziert mit verschiedenen Tattoos, und ich habe gedacht: Vielleicht bin ich doch ein bisschen in Johnny Jefferson verknallt.
Ob es ihm wohl gutgeht? Ich male mir aus, dass ich ihn anrufe und frage, ob alles in Ordnung ist.
Wahnsinn! Das könnte ich niemals tun.
Aber ich würde gerne.
Ob Christian mit ihm gesprochen hat? Ich sollte ihn anrufen und nachfragen.
Nein! Du hast nichts mit Johnny Jefferson zu tun – nie wieder!
Ich bin durch den Wind. Ich ertrage das nicht.
Wenn Bess es mir doch nicht erzählt hätte! Aber früher oder später hätte ich es eh auf den Titelblättern der Zeitschriften gesehen und es auf jeden Fall aus dem Fernsehen oder dem Radio erfahren. Es gibt kein Entkommen vor einer so wichtigen Nachricht über einen so großen Star.
Ich wüsste gerne, ob Christian ihn getroffen hat. Sie sind seit Jahren gute Freunde. Er hat sich in dieser Situation ganz bestimmt nicht rar gemacht. Wie es ihm wohl geht? Das muss ihn alles ganz schön durcheinanderbringen. Ich sollte Christian anrufen. Das sollte ich wirklich tun.
Ich gehe wieder ins Haus und greife zum Telefon, bevor ich es mir wieder anders überlege. Beim vierten Klingeln meldet sich Christian.
»Ja?«
»Ich bin’s.«
»Meg.« Er klingt müde.
»Alles in Ordnung?«, frage ich.
»Ich bin kaputt«, erwidert er. »Hast du das mit Johnny gehört?«
Perfekt, ich muss ihn nicht danach fragen. »Ja. Hast du mit ihm gesprochen?«
»Ich bin gerade bei ihm zu Hause.«
Damit habe ich nicht gerechnet. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe das Gefühl, auch dort sein zu müssen. Wir drei zusammen, so wie damals, als alles noch platonisch war und ich nur die freundliche, zuverlässige Meg war.
»Es ist immer dieselbe Scheiße, Meg. Nur dass er diesmal eine Komplizin hat.«
»Hast du sie kennengelernt?«
»Ich habe sie schon mal gesehen, ja.«
Bei einem anderen Besuch, den er nicht erwähnt hat. Ich versuche, mich nicht daran zu stören.
»Wie ist sie so?«
»Total eingebildet. Ich glaube, sie träumt davon, mit Johnny die nächsten Kurt und Courtney zu sein. So ein Schwachsinn! Ich hab’s so satt!«
»He …«, sage ich leise.
»Ja, ich weiß, er ist mein ältester Freund und so, aber wann ist das mal vorbei? Ich habe die Schnauze so was von voll davon.«
»Mit wem redest du da?«, höre ich Johnny im Hintergrund fragen, und mein Herz klopft mir bis zum Hals.
»Ich muss aufhören«, würgt Christian mich ab. »Melde mich später noch mal.« Er legt auf.
Später schreibe ich ihm eine SMS und bitte ihn, mich zurückzurufen, wenn er die Möglichkeit hat. Erst um sieben Uhr am nächsten Morgen ist es so weit.
»Ich gehe jetzt ins Bett«, erklärt er mir. »War ein langer Tag.«
»Wie viel Uhr ist es denn bei euch?«, frage ich müde. Barney schläft heute außerordentlich lange.
»Elf.«
Ich lehne mich gegen die Kopfkissen. »Wie geht es Johnny?« Es fühlt sich komisch an, seinen Namen laut auszusprechen – besonders gegenüber Christian.
»Ein bisschen besser. Morgen will er zurück in die Klinik.«
»Das ist gut.«
»Ja. Ich weiß zwar nicht, ob er es wirklich durchzieht, aber zumindest hat er es vor.«
»Kommt sie auch mit?«
»Wer weiß? Wahrscheinlich. Ich glaube, sie ist hier heute nur deshalb nicht aufgetaucht, weil ihr Manager darauf bestanden hat.«
»Wie geht es Bill?« Bill ist Johnnys Manager.
»Dem geht’s gut. Der schüttelt alles ab. Du kennst ihn ja.«
Ja, das stimmt. Wahrscheinlich hält er das Ganze sogar für gute Publicity. Nicht dass Johnny noch welche bräuchte.
»Wer hat ihn gefunden?«, frage ich.
»Rosa.«
Also war sie es doch. »Wie geht es ihr?«
»Sie ist still.«
»Das ist nicht gut«, bemerke ich. Rosa ist eigentlich alles andere als still. »Wie ist es genau passiert? Wie hat er es gemacht?«
»Er meint, er hätte komisches ›E‹ geschluckt, aber er hat auch so einiges durcheinander genommen. Kann alles gewesen sein.«
»Hat sie dieselben Drogen genommen?«
»Sieht so aus.« Christian seufzt. »Hör zu, Meg, ich leg mich jetzt besser hin. Johnny will, dass ich ihn früh wecke, um das mit der Klinik durchzuziehen.«
»Übernachtest du in seinem Haus?«, frage ich überrascht. Ich hatte angenommen, er sei zurück ins Hotel gefahren.
»Ja, im goldenen Zimmer, wie immer.«
Das ist immer sein Zimmer gewesen. Ich weiß noch, dass Johnny einmal zu ihm sagte, Christian könne jedes Zimmer haben, das er wolle: »Nur nicht Megs. Lass die Hände von meinen Angestellten!«
Kommt mir jetzt vor wie ein anderes Leben.
Plötzlich bin ich wieder in L.A., in meinem Zimmer. Es war weiß, ganz weiß. Durch die Fenster schaute man auf grüne Laubbäume, in der Ecke stand ein riesengroßes Bett mit einer reinweißen Decke, dazu raumhohe weiße Lackschränke und ein luxuriöses angeschlossenes Bad aus blendend weißem Marmor … es war wunderschön.
»Ich möchte, dass du als meine Freundin mit mir zurück nach L.A. kommst, Meg. Komm und lebe mit mir zusammen.«
Schnell schüttele ich den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben, doch es geht nicht. Ich blicke in seine durchdringend grünen Augen, und er bittet mich, Christian zu verlassen und zu ihm zurückzukehren.
Genau das hatte ich gewollt – damals. Ich wollte das Mädchen sein, das Johnny Jeffersons wildem Treiben ein Ende bereitet. Aber er hörte zu spät damit auf. Und jetzt sieht es aus, als würde er immer tiefer in den Abgrund rutschen.
In der folgenden Woche kommt Christian nach Hause. Ich habe mich übers Internet auf dem Laufenden gehalten, damit ich meinen Freund nicht ständig um die neusten Meldungen bezüglich meines ehemaligen Geliebten bitten muss, aber es blieb alles ruhig. Dana ist zur Erholung zu ihren Eltern nach Montana gefahren, und Johnny hat sich in die Klinik zurückgezogen. Christian arbeitet weiter an seinem Buch, und wir nehmen unseren Rhythmus wieder auf.
Mitte Juni ruft Bess an und fragt, ob Christian, Barney und ich Lust hätten, uns Ende des Monats zu ihrem Geburtstag in Barcelona zu treffen. Bei einem Kaffee draußen auf der Terrasse schneide ich das Thema an. »Wir sind immer noch nicht da gewesen, obwohl Barcelona nur zwei Stunden entfernt ist.«
Christians Mundwinkel weisen nach unten. »Dann ist Contour Lines schon auf dem europäischen Teil der Tournee. Wollte ich dir längst gesagt haben.«
»Aha.«
»Tut mir leid«, sagt er. »Aber du könntest ja mit Barney hinfahren, oder?«
Innerhalb weniger Tage bucht Bess den Flug nach Barcelona, und Christian überrascht mich mit einem Wochenende für Bess, Barney und mich in einem der besten Hotels der Stadt.
Am Montag will er nach Österreich fliegen, doch ein Anruf am Freitagabend macht all seine Pläne zunichte. Sobald ich sein Gesicht beim Telefonieren sehe, weiß ich, dass etwas passiert ist. Etwas Schlimmes.