Digital Work Design - Isabell M. Welpe - E-Book

Digital Work Design E-Book

Isabell M. Welpe

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Beschreibung

Unternehmen richtig aufstellen für die digitale Zukunft Bislang sprechen wir über Digitalisierung im Kontext von Menschen und Führungsaufgaben, aber nie in Bezug auf Organisationen. Es müssen aber auch die strukturellen Voraussetzungen gegeben sein, wenn ein Unternehmen seine Kultur ändern soll. Das Team um Isabell Welpe hat in einem mehrjährigen Forschungsprojekt Unternehmen im Digitalisierungsprozess begleitet und analysiert. In diesem Buch präsentieren die Autorinnen erstmals die fünf Erfolgsfaktoren für den Switch zur digitalen Organisation. Zusätzlich zu den Big Five geben sie Führungskräften einen Selbstdiagnose-Check sowie einen 10-Punkte-Plan für die Praxis mit auf den Weg.

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Isabell M. Welpe, Prisca Brosi, Tanja Schwarzmüller

Digital Work Design

Die Big Five für Arbeit, Führung und Organisation im digitalen Zeitalter

Campus VerlagFrankfurt / New York

Über das Buch

Digitalisierung ist der Megatrend, aber auch das Schreckgespenst in allen Unternehmen. Äußerlich wird fleißig genickt, wenn es um die Wichtigkeit der Digitalisierung fürs eigene Business geht, aber innerlich ruft der Begriff Unruhe hervor: Wie geht Digitalisierung? Was heißt das für mich persönlich? Müssen wir unser komplettes Geschäftsmodell neu erfinden? Sollen wir etwa Google werden?

Natürlich nicht, lautet die Antwort von Bettina Volkens und Kai Anderson. Sie zeigen in ihrem Buch, dass es eine humane Form der Digitalisierung gibt, die weder Menschen zu Maschinen macht, noch sie durch solche ersetzt. Sie plädieren für eine Digitalisierung, die mit den Menschen entsteht und für Menschen da ist. Sie zeigen, wie jeder Mitarbeiter eines Unternehmens sich selbst auf die Digitalisierung vorbereiten und von ihr profitieren kann, und was Unternehmen für ihre Mitarbeiter tun können und müssen, um in der neuen Arbeitswelt Schritt halten zu können.

Was dies für einzelne Branchen bedeutet, zeigen eindrucksvolle Beiträge zu den Digitalisierungsprojekten von unter anderen

Lufthansa, SAP, ProSiebenSat.1, Otto Group, Württembergische Versicherungen, TUI, pfm medical, Strabag und Telekom.

Vita

Prof. Dr. Isabell M. Welpe ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München und Direktorin des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung. Ihre For-schungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strategie, Führung und Innovation sowie der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Dr. Prisca Brosi ist Habilitandin und Post-Doc am Lehrstuhl für Strategie und Organisation der Technischen Universität München. Im Projekt »Digital Work Design – Turning Risks Into Chances« konzentriert sich ihre Forschung auf die Themen Arbeitsgestaltung und Führung in der digitalisierten Welt.

Dr. Tanja Schwarzmüller ist Research Associate am Lehrstuhl für Strategie und Organisation der Technischen Universität München sowie selbstständige Trainerin und Beraterin. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt »Digital Work Design – Turning Risks Into Chances« forscht sie zu den Themen Arbeitsgestaltung, Führung und Geschäftsmodelle in der digitalisierten Welt.

Inhalt

Einleitung

Die digitale Transformation

Veränderung von Input-Faktoren

Veränderung von Geschäftsprozessen

Veränderung von Produkten und Dienstleistungen

Neue Geschäftsmodelle

Veränderungen von Markt und Wettbewerb

Die zentrale Bedeutung von Arbeit, Führung und Organisation im digitalen Zeitalter

Die Big Five für Arbeit, Führung und Organisation

Big Five #1 Der Umgang mit der VUCA-Welt wird zur Kernkompetenz

Big Five #2 Keine Disruption ohne (neue Arten von) Teamarbeit

Big Five #3 Organisationen müssen demokratischer werden

Big Five #4 Beziehungsmanagement auf allen Ebenen

Big Five #5 Gesundheit muss stärker in den Fokus rücken

1 Big Five #1 Der Umgang mit der VUCA-Welt wird zur Kernkompetenz

1.1Flexible Organisationsstrukturen

Ambidextrie

Strukturelle Ambidextrie

Kontextuelle Ambidextrie

Struktur auf Prozessebene, Flexibilität auf Personenebene

Die Bedeutung von Talenten und Unternehmenskultur

1.2Klarheit herstellen, wo Klarheit möglich ist

1.3Experimentieren

Prototypen

Kundenfokus

Make or break

Experimente in allen Unternehmensbereichen

1.4Fehlermanagement

Offene Kommunikation über Fehler

Lernen aus Fehlern

1.5Lernen in Organisationen oder die lernende Organisation

Lernorientierung im Unternehmen

Erfahrungs- und zufallsbasiertes Lernen

Arten von erfahrungsbasiertem Lernen

Manöverkritik und Reflexion

Zufallsbasiertes Lernen

Die Digitalisierung des Lernens

Massive Open Online Courses

Gaming und Simulationen

Augmented und Virtual Reality

1.6Evidenzbasierte Empfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen

Mitarbeiter: Sich VUCA strategisch zunutze machen

Haben Sie keine Angst vor VUCA

Lernen Sie aus Fehlern – und erlauben Sie anderen, aus Ihren Fehlern zu lernen

Probieren Sie (sich) aus!

Führungskräfte: VUCA aktiv managen

Fördern Sie Ambidextrie

Stellen Sie Klarheit her

Sorgen Sie für Experimente

Organisationen: Förderliche Grundbedingungen für den Umgang mit VUCA herstellen

Ermöglichen Sie durch strukturelle Änderungen mehr Flexibilität

Etablieren Sie eine offene Fehlerkultur

Stellen Sie (neue Wege zu kontinuierlichem) Lernen sicher

2 Big Five #2 Keine Disruption ohne (neue Arten von) Teamarbeit

2.1Innovationsfördernde Teamarbeit

2.2Innovation durch Diversität

Diverse Talente einstellen

Integration und Inklusion

Diversität in allen Dimensionen

2.3Virtuelle Zusammenarbeit ermöglichen

Die unterschätzte Bedeutung von persönlicher Interaktion

Die Wahl des Kommunikationsmediums

Der Aufbau von Vertrauen in virtuellen Teams

2.4Silos abbauen, schnittstellenübergreifend arbeiten

Erhöhung des informellen Austausches in Unternehmen

Jobrotation

Strukturelle Lösungen zur Erhöhung des Austausches in Unternehmen

Formalisierte Netzwerke

Projektorganisationen

Schwarm-Organisationen

Grenzen des Austausches und der Flexibilität

2.5Organisationsgrenzen öffnen

2.6Evidenzbasierte Empfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen

Mitarbeiter: Effektiv arbeiten in Teams

Seien Sie offen

Kommunizieren Sie bewusst

Hinterfragen Sie Teamprozesse

Führungskräfte: Teams erfolgreich zusammenstellen

Stellen Sie diverse Teams zusammen

Sorgen Sie für innovationsfördernde Rahmenbedingungen

Ziehen Sie sich selbst zurück

Organisationen: Siloübergreifendes Arbeiten ermöglichen

Erhöhen Sie den persönlichen Austausch zwischen Mitarbeitern

Erhöhen Sie den strukturellen Austausch zwischen Mitarbeitern

Öffnen Sie Unternehmensgrenzen (ja, tatsächlich!)

3 Big Five #3 Organisationen müssen demokratischer werden

3.1Empowerment – Mitarbeiter an die Macht!

3.2Empowerment auf Arbeitsebene – ermächtigende und motivierende Arbeit gestalten

Selbstbestimmung und Autonomie durch ungewöhnliche Wege fördern

Kompetenzerleben durch kontinuierliches Feedback fördern

Sinnerleben und Einfluss von Mitarbeitern im Unternehmen durch Informationstransparenz stärken

3.3Empowerment auf Führungsebene – das Ende hierarchischer Führung?!

Mitarbeiter ermächtigen – Empowering Leadership

Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen beteiligen

Autonomie gewähren und Bürokratie abbauen

Zuversicht in die Kompetenzen der Mitarbeiter ausdrücken

Die Sinnhaftigkeit der Arbeit unterstreichen

3.4Empowerment auf Teamebene – Teams an die Macht

Im Team geteilte Führung – Shared Leadership

Organisationale Demokratie auf die Spitze getrieben – Holokratie in Teams

3.5Empowerment auf Organisationsebene – eine ermächtigende Unternehmenskultur etablieren

Statusunterschiede minimieren – gleich unter Gleichen

Transparenz über strategische Entscheidungen

Partizipation von Mitarbeitern an strategischen Entscheidungen

3.6Evidenzbasierte Empfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen

Mitarbeiter: Die eigene Arbeit proaktiv in die Hand nehmen

Empowern Sie sich selbst

Betreiben Sie Job Crafting – oder: Seien Sie Ihrer eigenen Arbeit Schmied

Holen Sie aktiv Feedback ein – und geben Sie aktiv Feedback an andere

Führungskräfte: Empowering Leadership in der Praxis

Beteiligen Sie Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen

Gewähren Sie Autonomie und Entscheidungsspielraum

Stärken Sie die Selbstwirksamkeit Ihrer Mitarbeiter

Organisationen: Partizipation auf Organisationsebene verankern

Teilen Sie Informationen offen im Unternehmen

Schaffen Sie Autonomie, indem Sie klare Regeln aufstellen

Ersetzen Sie Hierarchie durch sich selbst organisierende Teams

4 Big Five #4 Die Bedeutung von Beziehungen

4.1Relational Work Design – beziehungsförderliche Arbeitsgestaltung

Soziale Unterstützung

Zwischenmenschliches Feedback

Interaktionen außerhalb des Unternehmens

4.2Positive Beziehungen zwischen Mitarbeitern fördern

Love is all we need?!

Relationale Energie freisetzen

Stellschrauben für die Entwicklung von positiven Beziehungen

4.3Individualisierte Führung

Positive Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehungen

Personenorientierte Führung als Schlüssel zum Erfolg

Die Randbedingungen von personenorientierter Führung

4.4Teambuilding

Soziale Bindungen innerhalb des Teams aufbauen

Raum für Arbeit geben, um Beziehungen zu schützen

Der Schutz von Privatsphäre

4.5Netzwerken

4.6Communitybuilding innerhalb des Unternehmens

4.7Communitybuilding außerhalb des Unternehmens

4.8Evidenzbasierte Empfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen

Mitarbeiter: Erfolgreich Netzwerken

Zeigen Sie Respekt und Empathie

Geben Sie Energie weiter

Helfen Sie erst anderen

Führungskräfte: Wirklich beziehungsorientiert führen

Zeigen Sie Wertschätzung

Sehen Sie Individuen

Managen Sie Beziehungen im Team

Organisationen: Gemeinschaftsorientierte Organisationskulturen aufbauen

Schaffen Sie ein gemeinsames Ziel

Kommunizieren Sie

Stellen Sie Verbindungen her

5 Big Five #5 Gesundheit muss stärker in den Fokus von Organisationen rücken

5.1Eine kurze Geschichte des Stresses

»Gute« Stressoren und »schlechte« Stressoren

Die zentrale Rolle von Ressourcen

5.2Das eigene Wohlbefinden selbst in die Hand nehmen

Erholung – außerhalb der Arbeit genauso wie bei der Arbeit

Achtsamkeit – nicht so esoterisch, wie viele denken

5.3Die Basis für gesunde Mitarbeiter und Unternehmen schaffen

Flexible Arbeitsmodelle richtig gestalten

Erreichbarkeit begrenzen

Unbegrenzter Urlaub

Für Urlaub bezahlt werden

Jobsharing

Gesunde Organisationen schaffen

Gesunde Arbeit

Gesunde Führung

Gesundheitsförderliches Organisationsklima

5.4Evidenzbasierte Empfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen

Mitarbeiter: vom effektiven Umgang mit arbeitsbezogenen Anforderungen

Planen Sie bewusst aktive Erholungsphasen in Ihrer Freizeit

Erholen Sie sich auch während der Arbeit

Seien Sie achtsam – für den Moment und für sich selbst

Führungskräfte: die Gesundheit von Mitarbeitern im Blick behalten

Seien Sie Vorbild

Achten Sie auf das Wohlbefinden Ihrer Mitarbeiter

Unterstützen Sie die Lebensgestaltung Ihrer Mitarbeiter

Organisationen: das Wohlbefinden der Mitarbeiter in der Organisationskultur verankern

Bauen Sie Hindernisse ab und unterstützen Sie beim Meistern von Herausforderungen

Bieten Sie strukturelle Möglichkeiten zur Erholung

Leisten Sie Hilfe zur Selbsthilfe

6 Fazit und 10-Punkte-Plan

6.110-Punkte-Plan

6.2Selbst-Diagnose-Check

Big Five #1 Der Umgang mit der VUCA-Welt wird zur Kernkompetenz

Big Five #2 Keine Disruption ohne (neue Arten von) Teamarbeit

Big Five #3 Organisationen müssen demokratischer werden

Big Five #4 Die Bedeutung von Beziehungen

Big Five #5 Gesundheit muss stärker in den Fokus von Organisationen rücken

6.3Handlungsempfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen

6.4Schlussworte

Danksagung

Literatur

Einleitung

Big Five #1

Big Five #2

Big Five #3

Big Five #4

Big Five #5

Register

Einleitung

Die Digitalisierung stellt aktuell ohne jeden Zweifel den Megatrend für Unternehmen dar. Wenn wir über die Digitalisierung sprechen, meinen wir zum einen die zunehmende Datenmenge, die wir als Menschheit täglich produzieren, indem wir Inhalte aufzeichnen, unser Essen fotografieren, Kommentare einfügen, Events liken, Präferenzen angeben, Lonelies von uns selbst machen, unseren Puls genauso wie unseren Stadtspaziergang tracken … und damit Datenmengen erzeugen, die so groß sind, dass nicht der Besitz von Daten per se ausreicht, um einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen zu generieren. Erst die Algorithmen, mit denen diese Daten ausgewertet werden können, stellen den eigentlichen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen dar.

Wir meinen mit Digitalisierung aber auch die Datenmenge, welche mittlerweile von »Dingen« produziert wird. Wearables, wie Uhren, Kleidung und Brillen, die wir selbst am Körper tragen, können kontinuierlich Daten über uns und unser Leben aufzeichnen. Zusammengefasst unter dem Stichwort Industrie 4.0 bestehen intelligente Fabriken aus Maschinen, Anlagen, Logistikeinheiten und Produkten, die miteinander kommunizieren, kooperieren und so zu selbstgesteuerten Systemen werden. In intelligenten Häusern können unter anderem Thermostate, Kühlschränke, Waschmaschinen und Staubsauger-Roboter digital angesteuert werden. Sie können per Smartphone prüfen, ob sich Einbrecher in Ihrem Haus befinden. Und Alexa macht das Licht aus. In intelligenten Städten unterstützt die digitale Infrastruktur die Einwohner in Nachhaltigkeit, Sicherheit und Bildungssystemen. Selbst Staub kann in Zukunft intelligent sein, wenn kleinste Partikel als mikroskopische Sensoren Informationen aufnehmen und untereinander austauschen.

Und wir haben mit der Digitalisierung die sozialen Netzwerke im Blick, welche die Welt umspannen, Menschen verbinden, die Kompetenzen von Menschen sichtbar und bewertbar machen, Geschäftsbeziehungen herstellen und Auskunft über Bewerber geben. Soziale Netzwerke geben jedoch auch Informationen von Social Bots weiter. Sie können zu Echokammern führen, in denen die gleichen Inhalte wiederholt werden, sodass sie den Eindruck einer Meinungsmehrheit suggerieren und polarisieren. Sie können zu Filterblasen führen, in denen wir immer wieder die gleichen Informationen angezeigt bekommen. Die Digitalisierung umfasst also auch die positiven und negativen Konsequenzen von sozialen Netzwerken wie Facebook, Google+, Twitter, Instagram, Pinterest, Flickr, Tumblr, Snapchat, YouTube, Vimeo, WhatsApp, Xing und LinkedIn.

Wir meinen all diese Entwicklungen, wenn wir über die Digitalisierung sprechen. Denn sie beeinflussen Unternehmen. So haben sich Unternehmen vor dem Hintergrund der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie in den letzten Jahrzehnten bereits grundlegend verändert (Cascio & Montealegre, 2016). Beginnend mit der Inbetriebnahme von Großrechnern in den 60er-Jahren, über den Einsatz von Desktop Computern, Kommunikationstechnologie und Unternehmenssoftware bis hin zu mittlerweile allgegenwärtigen Computern und Netzwerken, welche die Vereinigung des physischen und elektronischen Raumes immer weiter vorantreiben. Diese Entwicklungen betreffen alle Unternehmen, nicht nur den Informations- und Kommunikationssektor. Landwirtschaft ist genauso betroffen wie Mobilität, Gesundheitswesen genauso wie Bildung, Medizin genauso wie die Lebensmittelindustrie. Es gibt kein Unternehmen, das sich nicht mit der Digitalisierung beschäftigen muss.

Die digitale Transformation

Die Veränderungen, die aus der Digitalisierung resultieren, lassen sich darüber hinaus in allen Unternehmensbereichen spezifizieren. Es werden andere Input-Faktoren, das heißt in den Wertschöpfungsprozess eingehende Ressourcen, wichtig. Geschäftsprozesse verändern sich. Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen wandeln sich und werden Konsumenten – und Nutzern – auf andere Weise dargeboten. Es entstehen neue Geschäftsmodelle, die sich nicht mehr in klassischen Unternehmensdarstellungen abbilden lassen und immense Veränderungen von Markt und Wettbewerb bedingen. Abbildung 1 stellt all diese Veränderungen, auf die wir im Folgenden genauer eingehen, im Überblick dar:

Abbildung 1: Veränderungen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation

Veränderung von Input-Faktoren

Nicht überraschend gewinnen Daten als Input-Faktoren eine immer größere Bedeutung für Unternehmen. Mit Input-Faktoren meinen wir all jene Ressourcen in Unternehmen, die zu dessen Wertschöpfung beitragen. Bisher wurden als Input-Faktoren klassischerweise materielle und finanzielle Ressourcen – also alle Vermögensgegenstände – sowie intangible Ressourcen, welche die Unternehmenskultur, Reputation und Technologie einschließen, aufgeführt (Grant, 2010). Auch die menschliche Arbeitskraft mit ihren Fähigkeiten, ihrem Wissen und ihrer Motivation ist eine wichtige Ressource für Unternehmen. Diese Liste an Ressourcen muss nun jedoch um Daten sowie Algorithmen, welche Daten überhaupt erst nutzbar machen, erweitert werden. Denn diese Input-Faktoren sind zunehmend kritisch für die Entscheidungsfindung und Wertschöpfung in Unternehmen. Sie verbessern Entscheidungsprozesse, ermöglichen die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen und können, wenn sie entsprechend aufbereitet sind, auch selbst Produkte darstellen. Dabei ermöglichen Daten jedoch auch völlig neue Wachstumsmuster für Unternehmen.

Ein Beispiel: Google hat 2013 Waze akquiriert. Das Geschäftsmodell von Waze zielt auf die Bereitstellung von Verkehrsinformationen, indem es die Daten der Smartphones seiner Nutzer auswertet. Das Unternehmen benötigt daher keine am Straßenrand aufgestellten Sensoren, um den aktuellen Verkehrsfluss zu erfassen, wie es beispielsweise das 2007 von Nokia akquirierte Start-up Navteq geplant hatte. Während das Geschäftsmodell von Navteq mit hohen Investitionen für die Sensoren verbunden ist, setzt Waze die Daten der eigenen Nutzer wirksam ein, um Verkehrsinformationen zu generieren. Weil durch die Generierung von Verkehrsinformationen über die eigenen Nutzer keine Investitionskosten entstehen, kann Waze exponentiell wachsen, während das Wachstum von Navteq durch die notwendige aufzubauende Infrastruktur eingeschränkt ist (Ismael, Malone & Van Geest, 2017).

Dieses Beispiel macht jedoch nicht nur deutlich, dass Daten und Algorithmen wichtige Input-Faktoren für Unternehmen sind. Die Güte der Verkehrsinformationen von Waze ist von seiner Nutzeranzahl abhängig. Je größer das Nutzernetzwerk, umso mehr Informationen können in den Algorithmus eingehen und umso besser ist die Qualität der verdichteten Verkehrsinformationen. Das Geschäftsmodell hängt also nicht nur von Daten ab, sondern vor allem davon, ob das Nutzernetzwerk von Waze groß genug ist, um Verkehrsinformationen von mindestens der gleichen Güte wie die des sensorbasierten Geschäftsmodells von Navteq zu generieren. Netzwerke sind also vor dem Hintergrund der digitalen Transformation neben Daten und Algorithmen eine weitere wichtige Ressource für Unternehmen.

Veränderung von Geschäftsprozessen

Neben neuen Input-Faktoren wird im digitalen Zeitalter von einer weitreichenden Veränderung von Geschäftsprozessen ausgegangen (Westerman, Calméjane, Bonnet, Ferraris & McAfee, 2011). Dies betrifft einerseits die Automatisierung von Geschäftsprozessen, andererseits aber auch die Vernetzung und Kollaboration zwischen Einheiten innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Diese Kollaboration wird durch neue Medien und Tools zur Zusammenarbeit unterstützt, sodass klassische Standortfaktoren (wie die vor Ort vorhandene Infrastruktur) an Bedeutung verlieren, da Personen über geografische Grenzen hinweg zusammenarbeiten können.

Darüber hinaus können Geschäftsprozesse virtualisiert werden (Overby, 2008). Dies beinhaltet das Herauslösen von physischen Interaktionen aus Geschäftsprozessen, sodass Geschäftsprozesse über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg durchgeführt werden können. So wurde beispielsweise bei Online-Einkäufen die physische Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer herausgelöst. Bankautomaten übernehmen immer mehr Funktionen, die früher von Bankangestellten erfüllt wurden, und werden nun selbst teilweise durch Smartphone-Applikationen ersetzt und durch Kryptowährungen überflüssig. Mit einer Transaktion verbundene Notwendigkeiten wie Sensorik (z. B. wenn ein Kunde ein Produkt riechen muss), Beziehungsqualität (z. B. wenn zwischen Akteuren Vertrauen aufgebaut werden muss), und Identifikation (d. h. wenn ein Akteur eindeutig als Person identifiziert werden muss) schränken die Möglichkeiten für Virtualisierung ein. Jedoch gibt es gleichzeitig immer neue Lösungen in Bezug auf Technologie und Geschäftsmodelle, die eine Virtualisierung trotz dieser Einschränkungen ermöglichen.

Veränderung von Produkten und Dienstleistungen

Wie das Beispiel von Online-Einkäufen bereits vermuten lässt, betrifft die Virtualisierung von Geschäftsprozessen insbesondere Verkaufsprozesse. Diese können vollständig virtualisiert oder durch Augmented-Reality-Anwendungen angereichert werden. Ikea hat beispielsweise eine App entwickelt, mit der 3D-Modelle der Ikea-Möbel in Smartphone-Aufnahmen des heimischen Wohnzimmers eingefügt werden können. Bekleidungsketten wie Uniqlo und Adidas experimentieren mit Apps, welche Kleidungsstücke auf das eigene Spiegelbild projizieren – auf diese Weise muss man ein Kleidungsstück nicht mehr in verschiedenen Farben anprobieren, um herauszufinden, welche man lieber mag. Erste Forschungsergebnisse zu Augmented-Reality-Anwendungen im Bereich Retail zeigen, dass Konsumenten sowohl im Vergleich mit rein virtuellen Anwendungen (wenn ein Möbelstück zum Beispiel zwar gedreht und gewendet, nicht jedoch in das Wohnzimmer gesetzt werden kann) als auch im Vergleich mit statischen Anwendungen (wenn zum Beispiel eine Sonnenbrille auf ein Foto, nicht jedoch auf eine Live-Aufnahme des eigenen Gesichts projiziert werden kann) positiver auf Augmented-Reality-Anwendungen reagieren, weil diese schlichtweg mehr Spaß machen (Javornik, 2016).

Nicht nur Verkaufsprozesse, sondern auch Dienstleistungsprozesse können zunehmend digitalisiert sowie durch digitale Komponenten unterstützt werden. Nehmen wir zum Beispiel das Gesundheitswesen. Smartphone-Applikationen ermöglichen das Aufnehmen von Gesundheitsdaten und können sogar Bestandteil von Therapien sein. Gesundheitsinformationen können online eingeholt werden. Sowohl Arztpraxen als auch Krankenversicherungen können online zur Verfügung stehen. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung testet unter anderem intelligente Pflegewagen, die autonom zum Einsatzort fahren, sowie Assistenzfunktionen für Liftersysteme. Die ambulante Pflege kann durch Augmented-Reality-Anwendungen wie Datenbrillen in der Dokumentation und Ausführung der Pflegetätigkeit unterstützt werden.

Neben der Veränderung von Dienstleistungsprozessen entstehen durch die Digitalisierung auch völlig neue digitale Dienstleistungen und Produkte. In diesen Bereich fallen beispielsweise smarte Produkte, die neben physischen Komponenten smarte Komponenten (z. B. Sensoren, Mikroprozessoren, Datenspeicher, Software) und Konnektivität beinhalten (Porter & Heppelmann, 2014). Weitere Beispiele sind vollständig digitale Produkte wie beispielsweise der Verkauf von Avatar-Zubehör in Online-Foren. Vollständig digitale Dienstleistungen beinhalten beispielsweise Rechts- und Gesundheitsberatungen, die über Chatbots implementiert werden können. Die kostenlose Rechtsberatungsplattform DoNotPay von Joshua Browder bietet beispielsweise Unterstützung bei Strafzetteln, Flug- und Zugverspätungen, Sozialwohnungsansprüchen, Reparationsansprüchen, HIV-Offenlegungsberatung sowie Asylanträgen für Flüchtlinge in den USA, UK und Kanada.

Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass Dienstleistungen im Vergleich zu Produkten weiter an Bedeutung gewinnen. So hat beispielsweise eine gemeinsam mit der Telekom durchgeführte Studie der Universität St. Gallen prognostiziert (St. Gallen, 2015), dass insbesondere personenbezogene Dienstleistungen eine Aufwertung erfahren werden. Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden. Was nicht digitalisiert werden kann, gewinnt an Bedeutung. Und da davon ausgegangen wird, dass menschliche Interaktionen nur begrenzt digitalisiert werden können, folgt, dass diese an Bedeutung gewinnen werden.

Neben neuen Produkten und Dienstleistungen verändert sich zudem der Grad, in dem diese personalisiert angeboten werden können. Smarte Komponenten geben Informationen über Nutzer, die wiederum dafür genutzt werden können, Produkte und Dienstleistungen passgenauer anzubieten. Big-Data-Anwendungen erhöhen das Wissen über Nutzerpräferenzen. Digitale Komponenten können für die Personalisierung von Produkten verwendet werden. Insgesamt gewinnt die Frage, welcher zusätzliche Nutzen für Konsumenten generiert werden kann beziehungsweise welche Produkte und Dienstleistungen einen höheren Wert für Konsumenten darstellen, eine zunehmende Bedeutung. Die technologischen Möglichkeiten erhöhen sich exponentiell – die Frage ist, welche von ihnen einen Nutzen stiften und für welche Kunden bereit sind, Geld zu bezahlen.

Neue Geschäftsmodelle

Mit unseren bisherigen Darstellungen in Bezug auf Input-Faktoren, Geschäftsprozesse sowie Produkte und Dienstleistungen sind wir entlang einer klassischen Wertschöpfungskette vorgegangen. Jedoch wird auch diese durch die digitale Transformation aufgebrochen – nämlich durch plattformbasierte Unternehmen. Beispiele für plattformbasierte Unternehmen sind Uber, die Fahrdienstleistungen vermitteln, ohne eigene Taxen zu besitzen, und Airbnb, die Zimmer vermitteln, ohne eigene Immobilien zu besitzen. Plattformbasierte Unternehmen stehen als Vermittler zwischen Anbietern und Käufern. Anbieter und Käufer können dabei sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen sein. Der springende Punkt ist, dass plattformbasierte Unternehmen durch ihre Vermittlungsposition keine eigenen Vermögensgegenstände wie Taxen oder Immobilien besitzen müssen. Ähnlich wie informationsbasierte Geschäftsmodelle können sie daher unbegrenzt wachsen, ohne in zusätzliche Infrastruktur investieren zu müssen.

Der Wandel von klassischen Unternehmen hin zu Plattformen beinhaltet zentrale Veränderungen (Wadhwa, 2016). Anstatt Ressourcen zu kontrollieren, das heißt Vermögensgegenstände zu pflegen, ist die wichtigste Aktivität von Plattformen, Ideen und Daten zu orchestrieren. Dies geht mit einem Wandel von interner Optimierung des Produktionsprozesses zu externen Interaktionen einher. Während in klassischen Unternehmen die Kombination von Input-Faktoren im Vordergrund stand, ist es für Plattformen die Pflege der Netzwerke sowohl aufseiten der Anbieter als auch aufseiten der Käufer. Denn plattformbasierte Unternehmen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie über genügend große Anbieter- und Käufernetzwerke verfügen.

Eine weitere Gruppe von neuen Geschäftsmodellen hört mit den Worten »As-A-Service« auf. Im Kontext von Cloud Computing sind relevante Geschäftsmodelle »Infrastructure-As-A-Service« (die Bereitstellung und Wartung von Serverkapazitäten), »Plattform-As-A-Service« (die Bereitstellung von Softwareentwicklungstechnologie und anschließende Bereithaltung der Software) sowie »Software-As-A-Service« (die Cloud-basierte Bereitstellung von Software) (McAfee, 2011). Unabhängig von der Cloud-basierten Bereitstellung finden sich auch immer mehr Unternehmen, die Produkte unter vergleichbaren Bedingungen anbieten. Bei »Product-As-A-Service«-Geschäftsmodellen kaufen Nutzer ein Produkt nicht mehr, sondern mieten, leasen beziehungsweise bezahlen die Nutzung des Produktes für einen bestimmten Zeitraum.

All diesen Geschäftsmodellen gemein ist, dass sie die operativen Zyklen in Unternehmen drastisch verkürzen. Nutzer entscheiden sich nur noch für einen kurzen Zeitraum für ein Produkt und müssen für das Produkt immer wieder zurückgewonnen werden. Um zurückgewonnen zu werden, möchten sie kontinuierliche Updates, sodass sich der gesamte Produkt- und Entwicklungszyklus in Unternehmen hin zu kontinuierlichen Produkt- und Serviceupdates verkürzt. Wie für plattformbasierte Unternehmen gewinnt daher auch für »As-A-Service«-Unternehmen die Pflege des Nutzernetzwerkes eine zentrale Bedeutung. Je treuer das Netzwerk, desto höher die Verstetigung der Einnahmen. Beziehungsorientierte Netzwerkpflege und die Bildung einer Community sind daher für »As-A-Service«-Unternehmen von hoher Bedeutung.

Veränderungen von Markt und Wettbewerb

Die beschriebenen Veränderungen im Rahmen der digitalen Transformation führen zu weitreichenden Veränderungen des Marktes und des Wettbewerbs. Unternehmen mit plattformbasierten Geschäftsmodellen sind oftmals neue Wettbewerber in bestehenden Märkten. Sie schieben sich zwischen den bisherigen Branchenführer und dessen Kunden – aus Marktführern werden so plötzlich Zulieferer. Aufgrund der »Pole-Position« beim Kunden haben Unternehmen mit plattformbasierten Geschäftsmodellen eine bessere Übersicht über die Präferenzen und die Entwicklung ihrer Kunden. Sie verfügen über Primärdaten, welche nicht nur die Verkaufszahlen ihres Unternehmens, sondern unter Umständen sogar jene einer ganzen Branche widerspiegeln. Wettbewerb im Zeitalter der Digitalisierung wird daher oftmals nicht als Technologiewettbewerb gesehen, sondern als der Wettbewerb um die »Pole-Position« beim Kunden.

Informationsbasierte und plattformbasierte Unternehmen sind darüber hinaus beinahe beliebig skalierbar. Da sie keine oder drastisch weniger Vermögensgegenstände benötigen als traditionelle Unternehmen, zeigen sie – wenn sie beginnen, in einem Markt erfolgreich zu sein – ein extrem hohes Wachstum. Sie können innerhalb von kurzer Zeit etablierte Unternehmen aus dem Markt drängen. Diese Entwicklung wird häufig als Disruption bezeichnet. Dabei ist Disruption keine Erfindung der digitalen Transformation. Sie beschreibt eine in vielen Branchen und Industrien beobachtbare Marktmechanik (Christensen, Raynor & McDonald, 2015): Am Markt bestehende Unternehmen entwickeln ihre Produkte kontinuierlich – jedoch meist nur marginal – weiter, um höhere Margen zu erzielen. Durch die kontinuierlichen Weiterentwicklungen und Verbesserungen entstehen bei einfacheren Produkten neue Marktnischen, die von neuen Marktteilnehmern genutzt werden. Wenn entgegen den Erwartungen einer dieser Nischenanbieter oder ein Anbieter von einem ganz anderen Markt für die bestehenden Anbieter gefährlich wird, spricht man von Disruption. Der Unterschied zwischen Disruption im klassischen Sinne und Disruption in der digitalen Transformation ist jedoch, dass informationsbasierte und plattformbasierte Unternehmen so schnell und unbegrenzt wachsen können, dass sie schneller als bisherige neue Marktteilnehmer bestehende Anbieter verdrängen können.

Bestehende Marktteilnehmer müssen daher schnell auf neue Marktteilnehmer reagieren. Dies wird vor allem dadurch erschwert, dass bestehende Unternehmen dafür häufig das eigene Geschäftsmodell verändern müssen. Auf Disruption zu reagieren bedeutet also nicht einfach, »nur« Produkte oder Dienstleistungen anzupassen, sondern auch das eigene Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen und unter Umständen Veränderungen herbeizuführen, die das gesamte Unternehmen betreffen. Veränderungen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation sind entsprechend nicht nur strategische Entscheidungen. Und die Frage ist, ob bestehende Unternehmen es schaffen, adäquat auf diese Veränderungen zu reagieren: Werden sie Daten, Algorithmen und Netzwerke als Unternehmensressourcen gewinnen und aufbauen können, werden sie Geschäftsprozesse verändern, Produkte und Dienstleistungen anpassen und neu erfinden sowie Geschäftsmodelle überdenken und erneuern können?

Die zentrale Bedeutung von Arbeit, Führung und Organisation im digitalen Zeitalter

Wenn Unternehmen diese Fragen mit »Ja« beantworten möchten, müssen sie alle Unternehmensebenen (d. h. ihre Mitarbeiter und Führungskräfte, aber auch die Organisationskultur und -struktur) involvieren und verändern. Nur wenn Prozesse, Strukturen, Werte und Normen im Unternehmen passend ausgestaltet sind, kann die digitale Transformation gelingen. Gleichzeitig sind per se alle Unternehmensebenen zwangsläufig von den aufgezeigten Veränderungen durch die Digitalisierung betroffen. Genau aus diesem Grund haben wir es uns in unserem zweijährigen Forschungsprojekt »Digital Work Design – Turning Risks into Chances« zum Ziel gemacht, herauszufinden, wie sich Arbeit, Führung und Organisation in Unternehmen im Zusammenhang mit der digitalen Transformation verändern (müssen). Dabei war es uns wichtig, ein ganzheitliches Bild zu generieren, welches insbesondere die »nicht technischen« Aspekte der digitalen Transformation beleuchtet. Arbeit, Führung und Organisation sind für die erfolgreiche Gestaltung der digitalen Transformation essenziell, sie werden jedoch in vielen bisherigen Betrachtungen zum Thema nicht ausreichend beachtet. Entsprechend wollten wir bereits vorhandene Puzzleteile in diesem Bereich zusammenfügen und neue Puzzleteile identifizieren, um einen umfassenden Gesamtblick zu erhalten.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir in unserem Forschungsprojekt in drei Untersuchungsphasen mehrere umfangreiche Studien durchgeführt. In Phase 1 haben wir zunächst 49 Digitalisierungsexperten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik dazu befragt, wie Arbeit, Führung und Organisationen sich ihrer Einschätzung nach durch die digitale Transformation verändern werden und verändern müssen. Die gesammelten Ergebnisse aus dieser ersten Befragungsrunde wurden den Experten anschließend wieder vorgelegt, um sie ergänzen sowie mögliche Chancen und Risiken dieser Entwicklungen erarbeiten zu können. In Phase 2 haben wir in einer für deutsche Berufstätige repräsentativen Befragung mit mehr als 2000 Teilnehmern untersucht, inwieweit die im ersten Schritt identifizierten Veränderungsdimensionen von Arbeit und Führung bereits in Organisationen beobachtbar sind. Außerdem haben wir dabei analysiert, ob es tatsächlich Zusammenhänge zwischen diesen Veränderungen und den von unseren Experten erwarteten Chancen und Risiken gibt. In Phase 3 haben wir uns schließlich spezifische Veränderungsdimensionen noch einmal genauer angeschaut. Dazu haben wir 465 Berufstätige quasi »live« in ihrem Alltag beobachtet, indem wir sie gebeten haben, mehrmals täglich kurze Fragebögen über eine von uns entwickelte Smartphone-Applikation zu beantworten. Dabei wollten wir vor allem wissen, welches Führungsverhalten und welche Organisationskultur für Mitarbeiter wichtig sind, um mit den Veränderungsdimensionen im Rahmen der digitalen Transformation gut umgehen zu können.

Dieses Buch und die darin enthaltenen Big Five für Arbeit, Führung und Organisation basieren auf den Ergebnissen dieser Untersuchungen. Zusätzlich haben wir für jede der Big Five die bestehende Literatur zusammengefasst, um Ihnen einen umfassenden Blick auf jene bieten zu können. Wir haben zu diesem Zweck sowohl die in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizierten Beiträge als auch Bücher sowie praxisorientierte Artikel und Ratgeber gelesen. Auf dieser Basis konnten wir für Sie ein wissenschaftlich fundiertes und gleichzeitig in die Praxis übertragbares Gesamtbild erarbeiten. Auch haben wir unsere Ergebnisse und deren Implikationen im Rahmen von zwei selbst organisierten Konferenzen sowie unzähligen Vorträgen und Veranstaltungen in Unternehmen vorgestellt und mit Unternehmensvertretern diskutiert. Wir haben diese um Ergänzungen gebeten, Lösungsansätze mit ihnen besprochen und Anregungen aufgenommen, um Ihnen ein detailliertes und praxisorientiertes Buch an die Hand geben zu können.

Wir haben uns dabei (dem gängigen Stereotyp von Wissenschaftlern zum Trotz) angestrengt, möglichst präzise und gleichzeitig unterhaltsam zu schreiben, weil wir glauben, dass unsere Inhalte wichtig sind und sie von Ihnen gelesen werden sollten. Das wollten wir Ihnen so angenehm wie möglich machen. Wir hoffen, Ihnen in diesem Buch entsprechend Anregungen für Ihre Arbeit, für die Führungskultur, die Sie erleben beziehungsweise mitprägen, und für die Organisationsstruktur und -kultur in Ihrem Unternehmen mitgeben zu können. Wir hoffen auch, dass wir mit diesem Buch Freude an den notwendigen Veränderungen und Herausforderungen in Ihnen wecken und Ihnen Wege aufzeigen können, wie Sie Veränderungen in Ihrem Unternehmen implementieren.

Wie beschrieben ist die digitale Transformation ein strategischer Imperativ für Unternehmen. Sie bedeutet aber vor allem auch eine Kulturveränderung in Unternehmen, welche sich auf der Arbeitsebene jedes einzelnen Mitarbeiters vollzieht. Peter Drucker, US-Ökonom österreichischer Herkunft und ein Pionier der modernen Managementlehre, soll einmal gesagt haben: »Culture eats strategy for breakfast.« Kultur umfasst dabei die gemeinsamen Werte, Überzeugungen, Normen und Erwartungen, die Mitglieder eines Unternehmens haben (Hartnell, Ou & Kinicki, 2011). Sie manifestiert sich unter anderem in Symbolen, Regeln, Ritualen, Gewohnheiten und im Denken von Mitarbeitern. Daher haben wir die Veränderungsdimensionen im digitalen Zeitalter bis auf die Ebene des einzelnen Mitarbeiters heruntergebrochen, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, diese mit den in Ihrem Unternehmen vorhandenen Werten, Überzeugungen, Normen und Erwartungen abzugleichen. Auch wenn die Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation für das Topmanagement unausweichlich ist, findet sie doch am Arbeitsplatz jedes einzelnen Mitarbeiters statt.

Beim Lesen werden Sie sich eventuell an einigen Stellen wundern, ob wir noch über die digitale Transformation sprechen. Vielleicht bekommen Sie sogar Lust, mit rotem Stift »Themaverfehlung« an den Rand zu schreiben, weil Sie Worte wie Digitalisierung oder Technologie schon zu lange nicht mehr gelesen haben. Es geht bei der digitalen Transformation aber wie erwähnt eben gerade nicht (allein) um Technologie, sondern vor allem um neue Kultur, neue Geschäftsmodelle und neues Denken. Die digitale Transformation bringt so viele Paradigmenwechsel und Marktveränderungen mit sich, dass kulturelle Veränderungen notwendig sind, um sie erfolgreich gestalten zu können. In welchen Dimensionen diese Veränderungen notwendig sind, das beschreiben wir in diesem Buch.

Die Big Five für Arbeit, Führung und Organisation

Wir haben alle Big Five auf Implikationen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen heruntergebrochen. Spezifisch beinhalten die Big Five die folgenden Inhalte.

Big Five #1 Der Umgang mit der VUCA-Welt wird zur Kernkompetenz

Big Five #1 bezieht sich auf den Umgang mit der sogenannten VUCA-Welt. VUCA steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Veränderungen von Markt und Wettbewerb wird davon ausgegangen, dass sich diese vier Dimensionen für Unternehmen (und entsprechend für ihre Mitarbeiter und Führungskräfte) erhöhen werden. Das Marktumfeld wird volatiler, unsicherer, komplexer und unklarer. Damit möchten wir nicht sagen, dass Unternehmen bisher in einem Umfeld agierten, in dem sie alle Entwicklungen vorhersagen konnten. Jedoch wird dies im digitalen Zeitalter noch deutlich schwieriger. Daher müssen Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter Wege finden, mit VUCA-Welten umzugehen. Um diese Herausforderungen zu adressieren, beschreiben wir unter Big Five #1, wie Organisationsstrukturen flexibler werden können – weil Flexibilität im Umgang mit VUCA hilft und wir annehmen können, dass die meisten deutschen Unternehmen kein Problem mit Stabilität haben. Wir beschreiben zudem, wie trotz VUCA Klarheit und Übersicht in Unternehmen hergestellt werden kann. Wir stellen Experimente als Alternative zur Planung vor. Denn wenn die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, hilft es, Ansätze zu testen und Projekte einzustellen, wenn sie nicht funktionieren. Dabei möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auch auf Fehler lenken. Natürlich kann es schlimm sein, Fehler zu machen. Doch noch schlimmer ist es, nicht aus Fehlern zu lernen. Und da Lernen unbedingt notwendig ist, um sich auf Veränderungen einzustellen, werden wir das Kapitel mit einer ausführlichen Betrachtung dessen, wie Lernen in Organisationen unterstützt werden kann und wie Organisationen lernen können, abschließen.

Big Five #2 Keine Disruption ohne (neue Arten von) Teamarbeit

Big Five #2 beinhaltet (neue Arten von) Teamarbeit. Hintergrund ist, dass insbesondere disruptive Innovationen durch das Zusammenkommen von Menschen aus unterschiedlichen (Unternehmens-)Bereichen mit unterschiedlichen Sichtweisen und unterschiedlichen Herangehensweisen gefördert werden. Gleichzeitig entsteht Innovation in Teams aber nicht automatisch, sondern nur dann, wenn Teams Innovationen auch zulassen. Daher werden wir in diesem Kapitel zuerst auf die Voraussetzungen eingehen, die in Teams vorhanden sein müssen, damit diese tatsächlich innovativ sind. Anschließend werden wir verschiedene spezifische Arten von Teamarbeit näher betrachten. Wir werden die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit von diversen Talenten beschreiben. Außerdem haben wir Ansätze für die erfolgreiche Zusammenarbeit in virtuellen Teams zusammengestellt. Dabei werden wir insbesondere Lösungen, welche durch die Digitalisierung ermöglicht werden, vorstellen. Wir zeigen Ansätze auf, durch die bereichs- und schnittstellenübergreifende Zusammenarbeit in Unternehmen gefördert werden kann. Und wir gehen darauf ein, wie Zusammenarbeit über die Grenzen der Organisation hinweg erfolgen kann. Dabei zeigen wir, wie Unternehmen offener werden können, um Ideen aufzunehmen und für sich nutzbar zu machen.

Big Five #3 Organisationen müssen demokratischer werden

In Big Five #3 fordern wir, dass Organisationen demokratischer werden müssen. Spezifisch möchten wir mit Ihnen über Empowerment diskutieren, wollten Sie aber nicht direkt in der Überschrift des Kapitels mit einem Anglizismus nerven. Wir haben lange darüber diskutiert, wie wir Empowerment ins Deutsche übersetzen sollen. Das Problem ist, dass Power im Kontext von Empowerment nicht mit Macht gleichzusetzen ist. Denn Power ist positiver besetzt als Macht. Dies liegt wohl auch daran, dass Power nicht nur die Macht über andere Personen beinhaltet, sondern auch die persönliche Macht oder Energie, Einfluss auszuüben. Daher umfasst psychologisches Empowerment die empfundene Sinnhaftigkeit von Arbeit sowie Kompetenzerleben, Selbstbestimmung und Einflussnahme. Diese Dimensionen können auf allen Ebenen der Organisation gefördert werden. Auf der Arbeitsebene werden wir daher über Autonomie, Feedback und Informationstransparenz sprechen. Auf der Teamebene werden wir Ihnen bestehende Ansätze zu geteilter Führung und Holokratie vorstellen. Wir werden über empowerndes Führungsverhalten sprechen und auf Organisationsebene den Abbau von Statusunterschieden und die Einbindung von Mitarbeitern in strategische Entscheidungen diskutieren.

Big Five #4 Beziehungsmanagement auf allen Ebenen

Big Five #4 beinhaltet Beziehungsmanagement auf allen Ebenen. Man könnte sich fragen, warum wir ausgerechnet vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Technologie mit Ihnen über Beziehungen sprechen wollen. Jedoch sind Beziehungen die Basis für die im VUCA-Zeitalter notwendige Flexibilität von und in Unternehmen. Beziehungen sind ein wichtiger Treiber für Innovation, das Fundament für gute Teamarbeit und eine Notwendigkeit für Netzwerke. Zusätzlich geben Beziehungen uns täglich Energie für unsere Arbeit. Genau aus diesen Gründen halten wir es für unbedingt notwendig, Beziehungen im digitalen Zeitalter ein separates Kapitel in unserem Buch zu widmen. Wir werden mit beziehungsfördernder Arbeitsgestaltung, die Unterstützung, Feedback, Aufgabenabhängigkeiten und Interaktionen umfasst, beginnen. Wir werden Sie zur Förderung von positiven Beziehungen mit den Themen Liebe und Energie konfrontieren. Wir werden über individualisierte Führung sprechen und zur Förderung von Teamarbeit sowohl über den Aufbau von positiven Beziehungen als auch über Arbeitsorganisation und den Schutz von Privatsphäre diskutieren. Zum Abschluss des Kapitels werden wir Beziehungen noch unter dem Gesichtspunkt von Netzwerken und dem Aufbau von Communities beleuchten.

Big Five #5 Gesundheit muss stärker in den Fokus rücken

In Big Five #5 zeigen wir Ihnen auf, dass Gesundheit stärker in den Fokus von Organisationen rücken muss. Als wir im Rahmen unseres Projektes die Chancen und Risiken der digitalen Transformation untersucht haben, haben wir eine zentrale Risikodimension identifiziert: Stress. Diese Dimension wurde in Bezug auf die Technologisierung von Arbeit ebenso genannt wie als Konsequenz von VUCA-Welten, virtueller Zusammenarbeit, zunehmenden Herausforderungen, Aufbau von IT-Kompetenzen und erhöhter Transparenz in der Leistungsbewertung. Tatsächlich haben wir Stress auch in unseren quantitativen Untersuchungen als eine zentrale Konsequenz vieler dieser Dimensionen identifizieren können. Aus diesem Grund werden wir im letzten Kapitel dieses Buches zunächst in einer kurzen Geschichte des Stresses auf das Zusammenspiel von Herausforderungen, Hindernissen und Ressourcen bei der Arbeit eingehen. Darauf aufbauend werden wir beschreiben, was Sie selbst bei der Koordination Ihrer Arbeit für Ihre Gesundheit tun können. Dafür werden wir mit Ihnen über Erholungsphasen und ganz unesotherisch über Achtsamkeit sprechen. Abschließend werden wir die Rolle von Führungskräften und Organisationen beleuchten. Dabei werden wir insbesondere auf Arbeitsflexibilität und die Förderung eines gesunden Arbeitsklimas eingehen.

1 Big Five #1 Der Umgang mit der VUCA-Welt wird zur Kernkompetenz

Wir würden VUCA gerne als das Unwort des Jahres vorschlagen. Streng genommen als das Un-Akronym des Jahres. Es gibt fast keinen Beitrag zur digitalen Transformation, der ohne das wundersame Akronym auskommt. Keine Präsentation, die nicht mindestens einmal auf VUCA verweist. Meist wird VUCA zu Beginn eingeführt – um die Angst vor den im Zusammenhang mit VUCA stehenden Umbrüchen zu schüren und so auf die Dringlichkeit der digitalen Transformation zu verweisen. Das ergibt auch Sinn. Wenn wir Menschen zu Veränderungen motivieren möchten, können wir die Dringlichkeit dieser Veränderungen aufzeigen, indem wir die Folgen einer passiven Reaktion, Trägheit und Beharren auf dem Status quo aufzeigen (wenn wir uns jetzt nicht bewegen, werden wir von dem Monster, das auf uns zukommt, aufgefressen). Wir möchten aber auch die positiven Folgen der Veränderungen vor Augen führen, die aus einer aktiven Reaktion, Unternehmungslust und Freude am Gestalten der Zukunft hervorgehen (wir können den Schatz erreichen und – auf dem Weg – auch noch Abenteuer erleben). Am Ende trifft wohl beides zu. Beginnen wir also erst einmal damit, VUCA besser zu verstehen.

VUCA wurde als Begriff vom U.S. Army War College eingeführt, um die nach dem Kalten Krieg durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägte Welt zu beschreiben (Lawrence, 2013). Volatilität bezieht sich auf die Geschwindigkeit und die Stärke von Veränderungen, welche, je höher die Volatilität, mit Instabilität und Turbulenzen einhergehen. Unsicherheit beinhaltet das Fehlen von Informationen über die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Konsequenzen von Ereignissen. Komplexität bedeutet im Kontext von VUCA, dass es eine Vielzahl von Zusammenhängen in einem Netzwerk von Informationen und Prozessen gibt, sodass es schwierig ist, die Konsequenzen einer Handlung abzuschätzen. Ambiguität bezieht sich auf das Fehlen von Klarheit über die Ursachen, Konsequenzen und Bedeutung eines Ereignisses (Lawrence, 2013; Bennett & Lemoine, 2014). Das Akronym VUCA begann, sich nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 zu verbreiten, und, wie beschrieben, wird es zunehmend im Kontext der digitalen Transformation verwendet. Abbildung 2 zeigt diese Entwicklung exemplarisch über die Ergebnisse einer Google Scholar Suche nach »VUCA«.

Abbildung 2: Kumulierte Ergebnisse über Google Scholar nach Erscheinungsjahr seit 2000

Seit Beginn der Diskussion um die digitale Transformation können wir ab 2011 auch eine zunehmende Diskussion über VUCA beobachten. Jedoch bedeutet die Tatsache, dass wir erst seit Kurzem über VUCA sprechen, nicht, dass vorher noch niemand über Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität der Umwelt nachgedacht hat. Ganz im Gegenteil – Sie finden diese Begriffe beziehungsweise eng verwandte Konstrukte wie Umweltkomplexität, Umweltdynamik und Umweltdruck in jedem guten Buch zu Organisationstheorie. Der Einfachheit halber werden wir im Folgenden weiter den Begriff VUCA verwenden und nicht einzelne Facetten aufgliedern.

Tatsächlich sind die VUCA-Dimensionen für viele Mitarbeiter und Führungskräfte bereits Realität. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes haben wir in einer für Deutschland repräsentativen Umfrage von Mitarbeitern und Führungskräften gefragt, inwieweit die Dimensionen der VUCA-Arbeitswelt heute bereits existent sind. Abbildung 3 illustriert die Ergebnisse dieser Befragung, welche bereits relativ hohe Werte in Bezug auf Volatilität, Unsicherheit und Komplexität zeigen.

Abbildung 3: Grad, in dem repräsentativ ausgewählte deutsche Berufstätige in ihrem Arbeitsleben mit VUCA konfrontiert sind

Trotz der bereits relativ hohen Werte können wir dennoch davon ausgehen, dass VUCA-Umweltbedingungen noch weiter zunehmen werden. Die im Zusammenhang mit der digitalen Transformation entstehenden Geschäftsmodelle wie Plattformorganisationen und das durch die digitale Transformation ermöglichte exponentielle Wachstum von informationsbasierten und plattformbasierten Unternehmen führen zu einer weiter ansteigenden Marktdynamik in Form von Volatilität und Unsicherheit. Die durch die Digitalisierung erhöhten globalen Zusammenhänge, Interdependenzen zwischen Märkten und der Eintritt von neuen Marktteilnehmern erhöhen die Komplexität. In Bezug auf viele der neu eingeführten Technologien ist es schwierig, abzuschätzen, welche Möglichkeiten und Risiken mit ihnen verbunden sind – dies erhöht die Ambiguität. Dementsprechend gehen auch CEOs davon aus, dass insbesondere die Komplexität weiter zunehmen wird. So gaben 79 Prozent von 1500 CEOs, die von IBM befragt wurden, an, dass die Zunahme an Komplexität die größte Herausforderung für Unternehmen ist (IBM, 2010). Gleichzeitig zweifeln viele der CEOs an ihren eigenen Fähigkeiten, diese Komplexität managen zu können.

Dabei ist es durchaus eine gute Nachricht, dass unter den CEOs Zweifel an der Fähigkeit, Komplexität managen zu können, herrschen. Denn die Forschung über menschliches Entscheidungsverhalten spricht generell eher dagegen, dass wir rationale Entscheidungen treffen und über Zeiträume von drei Jahren (welche der in der klassischen Betriebswirtschaftslehre referenzierte Zeithorizont für strategische Entscheidungen sind) planen können. Daniel Kahneman und Amos Tversky haben 2002 den Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften für ihre Erkenntnisse über menschliches Entscheidungsverhalten und Entscheidungen unter Unsicherheit erhalten. Insbesondere wenn Entscheidungssituationen zu komplex werden, beginnen wir, Heuristiken (auch »Daumenregeln« genannt) anzuwenden, um unsere kognitiven Ressourcen zu schonen. Dabei wird unser Entscheidungsverhalten beispielsweise von der Formulierung der gegebenen Optionen beeinflusst (Tversky & Kahneman, 1981). Wenn wir bereits (unbewusst) eine Entscheidung gefällt haben, suchen wir nur noch nach unterstützender Evidenz und blenden widersprüchliche Informationen aus. Wir gewichten Informationen, die wir erst kürzlich erhalten haben, stärker als Informationen, die schon vorher bekannt waren. Wir sehen Zusammenhänge, wo keine sind, sind irrational optimistisch und unterschätzen Unsicherheit systematisch (Mintzberg, Ahlstrand & Lampel, 2009).

Zudem verlassen wir uns, wenn eine Entscheidungssituation zu komplex wird, auf Defaults (Johnson & Goldstein, 2003). Der Default ist jeweils die Option, die den Standard einer Entscheidung darstellt beziehungsweise daraus resultiert, dass Individuen sich nicht entscheiden. In anderen Worten: Wenn wir uns nicht entscheiden können, welches der nächste Schritt für die Zukunft ist, bleiben wir lieber stehen. Oder wir entscheiden uns für den Schritt, den auch alle anderen gemacht haben. Für Unternehmen bedeutet dies, dass notwendige Veränderungen entweder nicht angegangen werden oder Unternehmen – ohne zu prüfen, ob eine bestimmte Handlung auch tatsächlich zielführend ist – das machen, was alle anderen Unternehmen machen. Zum Beispiel vor dem Hintergrund der Digitalisierung erst einmal einen Think Tank oder Accelerator gründen.

Neben diesen kognitiven Verzerrungen zeigt die Forschung auch, dass sich unser Entscheidungsverhalten ändert, wenn wir Entscheidungen für die Zukunft treffen. Wenn wir für die Zukunft planen, denken wir abstrakter, simplifizieren Zusammenhänge, sehen diese strukturierter und betrachten Situationen unabhängig vom jeweiligen Kontext (Trope & Liberman, 2003). Erst wenn Ereignisse näher an die Gegenwart rücken, sehen wir diese konkret, erkennen Komplexität und betrachten den Kontext von Situationen. Basierend auf dieser Annahme konnte beispielsweise Andranik Tumasjan gemeinsam mit Isabell Welpe und Matthias Spörrle zeigen, dass sich Unternehmer vor einem kurzfristigen Planungshorizont eher für eine durchführbare, aber weniger attraktive Geschäftsoption entscheiden, während sie sich bei einem langfristigen Planungshorizont eher für eine attraktive, aber schwer durchführbare Option aussprechen (Tumasjan, Welpe & Spörrle, 2013).

Entscheidungen für die Zukunft sind also nicht unbedingt schlechter – manchmal sind mutige Entscheidungen notwendig, für die es auch gut sein kann, noch nicht alle Konsequenzen und Hürden im Detail zu kennen. Unternehmen des Silicon Valley und insbesondere der Unternehmer und Investor Elon Musk (bekannt für PayPal, Tesla und SpaceX) zeigen, was man erreichen kann, wenn man ungeachtet der operativen Hürden versucht, die Zukunft der Menschheit in positiver Weise zu beeinflussen. Man kann zum Beispiel versuchen, CO2-Emissionen durch die Entwicklung und erfolgreiche Einführung von Elektromobilität zu reduzieren, während der Rest der Welt noch an der Durchführbarkeit der Idee zweifelt. Man kann auch einen Studentenwettbewerb für ein Hyperloop-Modell (ein Hochgeschwindigkeitstransportsystem in einer Röhre) auf die Beine stellen, der dann von Studierenden der Technischen Universität München mit einem Temporekord beantwortet wird.

Zurück zum Thema: Entscheidungen für die Zukunft sind nicht unbedingt schlechter, aber anders. Und das bedeutet, dass es gute Gründe dafür gibt, warum Pläne häufig angepasst werden müssen beziehungsweise warum die bestehende Praxis einer detaillierten und langfristigen Planung nicht unbedingt eine Stärke der menschlichen Natur widerspiegelt. VUCA-Welten stellen nun eine zusätzliche Herausforderung dar, da sie strategische Entscheidungen und die Planbarkeit für Unternehmen erschweren. Eine Antwort auf diese Herausforderung könnte sein, alle möglichen Variablen und Zusammenhänge in Entscheidungen aufzunehmen, die Konsequenzen von Volatilität und Unsicherheit durch Szenarioanalysen abzuschätzen und Ambiguitäten aufzulösen. In anderen Worten, wir können mit bestehender Organisation und vorhandenen Instrumenten versuchen, VUCA-Welten beherrschbar zu machen. Aufgrund der oben beschriebenen Grenzen der menschlichen Rationalität und Fähigkeit, Komplexität zu managen, sollte dies aber zumindest nicht der einzige Ansatz sein. Vor dem Hintergrund von VUCA muss das Management realistisch einschätzen, was sie kontrollieren können und inwieweit sie Veränderungen überhaupt vorhersagen können (Reeves, Levin & Ueda, 2016).

Die Art und Weise, wie Unternehmen organisiert sind und Entscheidungen fällen, sollte also an die Herausforderungen der VUCA-Welt angepasst werden. Charles Darwin hat nicht postuliert, dass die stärkste, schnellste oder intelligenteste Spezies überlebt, sondern diejenige, die sich am besten an Veränderungen anpassen kann. Die Boston Consulting Group hat beispielsweise gezeigt, dass Adaptivität, das heißt die Fähigkeit von Unternehmen, sich schneller und besser an sich verändernde Umweltbedingungen anzupassen, einen kompetitiven Wettbewerbsvorteil für Unternehmen darstellt (Reeves, Love & Tillmanns, 2012). Aus diesem Grund werden wir Ihnen in diesem Kapitel die Dimensionen vorstellen, die Unternehmen dabei helfen können, adaptiver und flexibler zu werden und so besser mit den Herausforderungen der VUCA-Welten umzugehen.

Ein letzter Hinweis, bevor wir die Dimensionen vorstellen: Neben den beschriebenen Herausforderungen haben VUCA-Welten auch positive Seiten. Stellen Sie sich im Gegenentwurf mal eine Nicht-VUCA-Welt vor. In dieser sind alle Entwicklungen geradlinig ohne irgendwelche Abweichungen. Die Zukunft ist klar vorsehbar. Sie wissen genau, wann welches Ereignis eintreten wird. Es gibt nur wenige Zusammenhänge zwischen Akteuren, Informationen und Prozessen, sodass Sie die Konsequenzen einer Handlung ganz genau abschätzen können. Und Sie wissen ganz genau, ob ein Ereignis positiv oder negativ ist. Kurz: In dieser Welt wird nichts und niemand Sie überraschen können (Fontaine, Scherer, Roesch & Ellsworth, 2007). Sie brauchen Ihren Puls nicht mehr zu messen, denn es gibt keinen Grund, weshalb dieser überhaupt steigen sollte. Sie werden sich nicht aufregen und keine Herausforderungen haben, an denen Sie wachsen können – da Sie ja alle Konsequenzen frühzeitig absehen können. Das wird schnell langweilig, und zwar sehr langweilig. Denn bei allen Herausforderungen, welche die VUCA-Welt an uns stellt, und dem Stress, den sie in Menschen auslösen kann, macht sie unsere Arbeit interessanter und abwechslungsreicher. Je herausfordernder eine Aufgabe ist, desto mehr Freude und intrinsische Motivation erleben wir bei ihrer Lösung (Amabile, Hill, Hennessey & Tighe, 1994). In diesem Sinne möchten wir Ihnen mit VUCA keine Angst machen, sondern einen alternativen und gleichzeitig energiegeladenen Umgang mit der VUCA-Welt anregen.

1.1Flexible Organisationsstrukturen