Talentmanagement 5.0 - Isabell M. Welpe - E-Book

Talentmanagement 5.0 E-Book

Isabell M. Welpe

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Beschreibung

Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, wechselwillige Angestellte – der Kampf zwischen Unternehmen um die klügsten Köpfe hat bereits begonnen und wird teilweise erbittert geführt. Mit diesem Buch verschaffen sich Unternehmen, Personalverantwortliche und Führungskräfte den entscheidenden Vorteil. Nicholas Folger und Isabell M. Welpe weisen nicht nur nach, dass sich moderne Personalentwicklung positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt, sondern zeigen zudem anhand von praxistauglichen Beispielen unter anderem, wie HR-Abteilungen • Künstliche Intelligenz für zukunftsfeste Personalentwicklung einsetzen, • Digitales Recruiting erfolgreich umsetzen, • und mit Employer-Branding für langfristige Mitarbeiterbindung sorgen. Mit Best-Practices von LinkedIn, Deloitte, SAP, Merck, Einhorn und weiteren Talentmanagement-Vorreitern.

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Über das Buch

Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, wechselwillige Angestellte – der Kampf zwischen Unternehmen um die klügsten Köpfe hat bereits begonnen und wird teilweise erbittert geführt. Mit diesem Buch verschaffen sich Unternehmen, Personalverantwortliche und Führungskräfte den entscheidenden Vorteil.Nicholas Folger und Isabell M. Welpe weisen nicht nur nach, dass sich moderne Personalentwicklung positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt, sondern zeigen zudem anhand von praxistauglichen Beispielen unter anderem, wie HR-Abteilungen• Künstliche Intelligenz für zukunftsfeste Personalentwicklung einsetzen,• Digitales Recruiting erfolgreich umsetzen,• und mit Employer-Branding für langfristige Mitarbeiterbindung sorgen.Mit Best-Practices von LinkedIn, Deloitte, SAP, Merck, Einhorn und weiteren Talentmanagement-Vorreitern.

Vita

Dr. Nicholas Folger hat an der TU München zum Thema Talentmanagement und digitale Transformation promoviert und ist Dozent für diese Themen. Außerdem ist er Co-Gründer von Die Weitergründer – einer Plattform, die Familienunternehmen bei der Suche nach geeigneten Kandidat:innen für die Unternehmensnachfolge unterstützt. Der Fokus liegt hierbei auf der Identifikation und dem Matching von passenden Talenten.

Prof. Dr. Isabell M. Welpe ist seit 2009 Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München und seit 2014 Wissenschaftliche Leiterin des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF). 2017 wurde sie unter die 40 führenden HR-Persönlichkeiten gewählt (Auszeichnung der Zeitschrift Personalmagazin) und 2019 mit der Bayerische Staatsmedaille für besondere Verdienste um die bayerische Wirtschaft ausgezeichnet.

Die Expertise von Professor Welpe umfasst die digitale Transformation von Unternehmen, die Auswirkungen von Blockchain auf Wirtschaft und Organisationen sowie die Zukunft von Führung und Arbeits-/Organisationsgestaltung.

Inhalt

Kapitel 1.Talentmanagement 5.0 – Einleitung

Kapitel 2. Der digitale Status quo in Deutschland, Europa und weltweit

Kapitel 2.1 Digital Life: Wie die Digitalisierung unser Leben grundlegend verändert

Kapitel 2.2 Digital Business: Wie die Digitalisierung unsere Geschäftswelt auf den Kopf stellt

Kapitel 2.3 Digitaler Beschleuniger »Covid-19«: Wie wir die Pandemie als Chance für unsere Zukunftsfähigkeit sehen können

Kapitel 3. Drei Ds als neue Realität für Unternehmen – Digitalisierung, Dezentralisierung, Disruption

Kapitel 3.1 Die Erfolgsfaktoren der Vergangenheit sind heute Risikofaktoren: Worauf es für Unternehmen heute ankommt, um erfolgreich zu sein

Kapitel 3.2 Digitale Geschäftsmodelle: Wie Pain-Points der Kunden und die Customer-Experience den Erfolg bestimmen

Kapitel 3.3 Digitales Organisationsdesign: Das Playbook für digitale Stars

Kapitel 4. Talente – das Gold der digitalen Welt

Kapitel 4.1 Erfolgsfaktor: Warum ein erfolgreiches Talentmanagement der Schlüssel zu langfristigem Erfolg im digitalen Zeitalter ist

Kapitel 4.2 Profil: Was charakterisiert Toptalente heute?

Kapitel 4.3 Anforderungsbildung: Von der eierlegenden Wollmilchsau zu einer realistischen Einschätzung

Kapitel 4.4 Rekrutierung: Wie können die besten Talente heute angezogen werden?

Kapitel 4.5 Auswahl: Wie können die geeignetsten Talente heute ausgewählt werden?

Kapitel 4.6 Beurteilen und behalten: Wie man Toptalente effektiv an das Unternehmen bindet und die Rolle von People-Analytics

Kapitel 4.7 Gehen lassen: Wie kann das Offboarding gewinnbringend für Talente und Arbeitgeber gestaltet werden?

Kapitel 4.8 Lösungen: Talentmanagement-Start-ups in der DACH-Region

Kapitel 5. Ein Resümee und Ausblick

Danksagung

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

NICHOLAS FOLGER / ISABELL M. WELPE

TALENTMANAGEMENT 5.0

Wie Sie die klügsten Köpfe finden und halten

CAMPUS VERLAG

FRANKFURT/NEW YORK

»To win in the marketplace you must first win in the workplace«

– Doug Conant, ehemaliger CEO von Campbell’s Soup

Kapitel 1.Talentmanagement 5.0 – Einleitung

Mitten im Südatlantik, etwa auf halber Strecke zwischen dem afrikanischen und dem südamerikanischen Kontinent liegt die kleine Insel St. Helena. Diese Insel hat einen ganz besonderen und berühmten Einwohner namens Jonathan. Bei Jonathan handelt es sich um den, zum Zeitpunkt der Produktion dieses Buches, ältesten Landbewohner der Welt – er ist eine etwa 190 Jahre alte Riesenschildkröte. Jonathan ist damit nicht nur ein Rekordhalter und ein wahrer Überlebenskünstler, er ist wohl auch der letzte verbleibende Zeuge, der den Übergang in das industrielle Zeitalter Mitte des 19. Jahrhunderts noch erlebt hat. Jonathan war also bereits am Leben, als das Talentmanagement im Sinne der Gewinnung qualifizierter Fachkräfte mit der Entstehung von modernen Fabriken und Unternehmen erstmals an Bedeutung gewann, und er lebt auch heute noch, in einem neuen Zeitalter, in dem das globale Talentmanagement ermöglicht durch eine umfassende Vernetzung und Digitalisierung die nächsten 10 Jahre nochmals an Dynamik und damit einhergehender Disruption bestehender Arbeits- und Zusammenarbeitsmodelle zunehmen wird.

Abbildung 1: Die Entwicklung des Talentmanagements

Der Eintritt in das industrielle Zeitalter um die 1830er Jahre herum und die damit verbundene Entstehung von vielen industriellen Unternehmen, die großen Bedarf an qualifiziertem (Fach-)Personal hatten, markiert auch die erste Phase des Talentmanagements, das Talentmanagement 1.0. Die Frühphase der industriellen Revolution war dadurch gekennzeichnet, dass Mitarbeiter:innen in den Fabriken für die Arbeitgeber leicht ersetzbar waren. Entsprechend gab es keine geregelten Arbeitszeiten, die Arbeit war beschwerlich, und die Löhne reichten zumeist gerade mal für Essen und Unterkunft. Erst über die Jahre hinweg taten sich immer mehr Arbeiter:innen in Gewerkschaften zusammen und kämpften als Gemeinschaft für geregelte Arbeitszeiten, mehr Mitspracherechte und höhere Löhne. Erste Personalabteilungen wurden in dieser Talentmanagementphase zwar in einigen Unternehmen bereits aufgebaut, deren hauptsächliche Aufgaben lagen jedoch zunächst hauptsächlich in der Verwaltung des Personals, der Einsatzplanung und der Organisation der Vergütung (Grosskopf 2018). Nach den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewannen jedoch auch die Themen Rekrutierung und Personalauswahl zunehmend an Bedeutung. Deutschland erholte sich von den desaströsen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und erlebte ab den 1950er Jahre ein Wirtschaftswunder. Um den zunehmenden Personalbedarf, der in der Folge bei den Unternehmen entstand, decken zu können, richteten Talentmanager:innen ihren Fokus auch über die Grenzen Deutschlands hinaus und rekrutierten Gastarbeiter aus dem Ausland.

Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs, die Unternehmen in der westlichen Welt vermehrt in die Entwicklung neuer Technologien investierten, veränderten sich die Tätigkeiten vieler Arbeitnehmer:innen und somit zunehmend auch das Talentmanagement. Durch die neuen Technologien konnten mehr und mehr Tätigkeiten automatisiert werden, wodurch weniger Talente in der Produktion, dafür mehr Talente in Verwaltungs-, Organisations- und Planungstätigkeiten benötigt wurden. Statt Produktionsmitarbeiter:innen wurden entsprechend vermehrt Wissensarbeiter:innen gesucht. Insbesondere Fortschritte in der Computertechnologie und die Kommerzialisierung der ersten Personal Computer (PC) ab Mitte der 1970er Jahre führten dazu, dass sich auch die Kompetenzen und Fähigkeiten, die Arbeitgeber in Talenten suchten, deutlich veränderten. Die Tätigkeiten und somit auch die Anforderungen an Arbeitnehmer:innen wurden komplexer und spezifischer, wodurch Talente auch nicht mehr ohne weiteres durch beliebige andere Talente ersetzt werden konnten. Die Ausbildungen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen der Talente gewannen zunehmend an Bedeutung, wodurch eine neue Ära des Talentmanagements begann – das Talentmanagement 2.0. Neben der anforderungsorientierten Rekrutierung und Personalauswahl rückten in dieser Ära besonders die Themen der Talentbindung und Talententwicklung zunehmend in den Fokus.

Ab den frühen 1990er Jahren eroberte eine neue Technologie die Welt – das Internet. Es vernetzte Menschen weltweit, und der Megatrend Globalisierung erhielt einen deutlichen Schub. In der Folge wurde auch das Talentmanagement vernetzter und globaler. Mithilfe des Internets konnten nicht nur Talente auf der ganzen Welt gesucht werden, auch das gesamte Bewerber:innen- und Mitarbeiter:innenmanagement veränderte sich durch eine zunehmende Kommunikation über digitale Kanäle, wie E-Mails, oder durch die neuen Möglichkeiten, neue Talente über Onlinestellenbörsen anzusprechen oder mittels internetbasierter Auswahltests auszusuchen. Die Arbeitswelt insgesamt und die Arbeit von Talentmanager:innen im Besonderen wurden also flexibler, und die Ära des Talentmanagements 3.0 wurde eingeläutet. Mit zunehmender Flexibilität und zunehmender Erreichbarkeit über das Internet sowie über Mobiltelefone rückte allerdings auch erstmals die Frage in den Vordergrund, wie eine gesunde Balance zwischen Berufsleben und Privatleben erreicht werden kann.

Mit dem Aufkommen von sozialen Medien und Smartphones sowie weiteren mobilen Endgeräten ab Mitte der 2000er Jahre bekamen die Flexibilitäts-, Digitalisierungs- und Globalisierungstrends einen erneuten Schub. Besonders für das Talentmanagement eröffneten sich dadurch neue Möglichkeiten. Informationen über Talente waren nun nicht mehr nur auf die Bewerbungsunterlagen beschränkt. Öffentlich einsehbare Daten auf sozialen Netzwerken konnten von nun ab von Talentmanager:innen genutzt werden, um auch selbst aktiv Talente für die Organisation zu identifizieren und diese selbst anzusprechen. Hinzu kam auch, dass es nun immer einfacher wurde, nach passenden Talenten weltweit zu suchen und diese auch durch Internettechnologien »aus der Ferne« ins eigene Unternehmen einzubinden. Auf der anderen Seite können nun auch Talente die sozialen Medien nutzen, um sich erstmals auch selbst als potenzielle Arbeitnehmer:innen zu präsentieren. Vernetzte Smartphones und mobile Endgeräte erlauben nun noch mehr Flexibilität für viele Arbeitnehmer:innen, da viele Tätigkeiten (vor allem Wissensarbeiten) unabhängig von Zeit und Ort erledigt werden können. Die ständige Erreichbarkeit, die damit einhergeht, ist jedoch nicht nur Segen, sondern oftmals auch Fluch für die Talente. Das gesundheitsfördernde »Abschalten«, also die Vermeidung von arbeitsrelevanten Themen während der privaten Zeit, ist nun nicht mehr generell gegeben, sondern muss aktiv gemanagt werden. Durch die Möglichkeit der flexiblen Arbeit ist auch der Talentpool für viele Organisationen längst nicht mehr nur lokal begrenzt, sondern kann global ausgedehnt werden. In dieser vierten Ära des Talentmanagements führen zunehmende Digitalisierung, mobiles Arbeiten, hohe Flexibilität und der zunehmende Austausch mit Talenten, die auf der ganzen Welt verstreut sind, dazu, dass dem Talentmanagement in vielen Firmen eine wachsende strategische Bedeutung zukommt.

Längst sind die wertvollsten Unternehmen nicht mehr die Produktionsunternehmen oder die Banken, die im 20. Jahrhundert die Wirtschaft bestimmt haben. Seit Ende der 2010er Jahre dominieren Unternehmen wie Google, Facebook (mittlerweile Meta)1, Amazon, Apple oder Tencent, die ihr Geld mit digitalen Geschäftsmodellen verdienen, den Markt. Statt physischer Produkte bieten diese Unternehmen ihren Kund:innen digitale, oftmals individuell zugeschnittene Lösungen an, die die Kund:innen dann erreichen, wann und wo sie gebraucht werden. Ausschlaggebend für den Erfolg dieser Geschäftsmodelle sind dabei nicht mehr Kompetenzen im Bereich der Produktion, sondern wissensintensive und soziale Kompetenzen und Fähigkeiten, die für die Entwicklung, Verbesserung und Vermarktung dieser Lösungen benötigt werden. Kurz gesagt, statt Produktionsstätten sind heute Talente die strategisch entscheidenden Erfolgsfaktoren für Unternehmen. Die zunehmende Vernetzung, exponentiell steigende Datenbestände und rasante Entwicklungen neuer digitaler Technologien eröffnen nun noch mehr Möglichkeiten für das Talentmanagement, die besten Talente weltweit zu finden, sie für die Organisation zu gewinnen und auch langfristig an die Organisation zu binden. Diese Ära des Talentmanagements 5.0, in der wir uns nun befinden, wird dabei durch drei wesentliche Trends in der Arbeitswelt geprägt – Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung.

DIGITALISIERUNG, DEZENTRALISIERUNG UND DEMOKRATISIERUNG. Die Covid-19-Pandemie hat vielen von uns gezeigt, wie das Arbeiten heute aussehen kann. Digitale Technologien wie Kollaborationssoftware, Videokonferenz-Tools oder cloudbasierte Datenspeicherinstrumente ermöglichen es Arbeitnehmer:innen mittlerweile, ortsunabhängig ihre Jobs zu erledigen. Die Arbeit in den eigenen vier Wänden, vom Zug aus, in einem Coworking-Space, im Hotel oder in sogenannten »Third Spaces« ist kein Problem mehr. Viele Arbeitgeber stellen sich bereits darauf ein und ermöglichen vielen ihrer Angestellten teilweise sogar vollständiges mobiles Arbeiten. Durch diese Entwicklung können Talentmanager:innen heute auch Talente auf der ganzen Welt anheuern, ohne dass diese für den Job umziehen müssen. Besonders im Hinblick auf Tech-Talente, die in der westlichen Welt sehr rar sind, ermöglicht es die Digitalisierung Unternehmen, Toptalente schnell auch aus anderen Regionen der Welt, wie aus Asien, Südamerika oder Afrika, zu rekrutieren. Mehr als ein Laptop und ein stabiler Internetzugang ist häufig nicht nötig, um diese Talente in die Entwicklung von digitalen Lösungen miteinzubeziehen.

Dezentralisierung und Demokratisierung sind Phänomene in Organisationen, die sich unmittelbar auf die Digitalisierung zurückführen lassen. Die Digitalisierung führte nicht nur zu einem zunehmenden Bestand an Daten, aus denen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können, sie hat auch dafür gesorgt, dass Menschen auf der ganzen Welt schnell und effizient miteinander kollaborieren können. Entscheidend hierfür waren zwei scheinbar kleinere technische Innovationen: Das Smartphone und Breitbandinternet. Zusammen ermöglichen diese, die Disruption alter und die Entstehung ganz neuer Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten. Wissensfortschritte sind heute zwar deutlich schneller möglich, als dies früher noch der Fall war. Allerdings verändern sich dadurch auch die äußeren Gegebenheiten und Trends deutlich schneller, wodurch Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen am Markt schwieriger werden. Das gesamte wirtschaftliche Umfeld, in dem wir uns befinden, wird dadurch komplexer. Um mit dieser Komplexität umgehen zu können, ist eine zunehmende Arbeitsteilung erforderlich, wodurch auch das Wissen innerhalb von Unternehmen stärker dezentralisiert verortet ist. Das Wissen, um informierte Entscheidungen treffen zu können, hatten früher in der Regel einige wenige Entscheidungsträger an der Spitze der Unternehmen, die sich hauptsächlich mit den eigenen Unternehmen befassen mussten. Diese sammelten alle relevanten Informationen und trafen darauf basierend Entscheidungen. Das war lange Zeit möglich, da Informationen ein seltenes Gut waren und somit deren Verarbeitung für einzelne Personen möglich war. Das für den Erfolg der Unternehmen entscheidende Wissen war dementsprechend zentralisiert. Dies gilt heute nicht mehr, da zum einen rapide und unvorhersehbare Veränderungen es erfordern, dass in Unternehmen häufiger Richtungsänderungen vorgenommen werden müssen, wodurch auch deutlich öfter Entscheidungen notwendig sind. Zum anderen prasselt auf uns tagtäglich eine Informationsflut ein, die wir nicht mehr verarbeiten können und oftmals befinden sich unternehmensrelevante Informationen außerhalb des eigenen Unternehmens, weshalb Entscheidungsträger:innen sich heute nicht nur mit dem eigenen Unternehmen, sondern dem gesamten Wertschöpfungsnetzwerk befassen müssen. Arbeitsteilung bedeutet heute also auch Wissensteilung. Um die Informationsflut zu bewältigen, ist es erforderlich, dass Personen in Unternehmen die Informationen, die für ihren Job notwendig sind, verarbeiten und darauf basierend auch selbstständig Entscheidungen treffen dürfen. Müssten beispielsweise Kundenservicemitarbeiter:innen bei jedem Problem, das ihnen von Kund:innen mitgeteilt wird oder das sie entdecken, die Führungsspitze des Unternehmens für die Problemlösung kontaktieren, würde dies höchstwahrscheinlich dazu führen, dass das Unternehmen diese Kund:innen schnell verliert. Kund:innen sind heute nicht mehr bereit, wochenlang darauf zu warten, bis ihre Probleme gelöst werden. Schließlich sind die Kosten, die mit einem Wechsel zu einem anderen Anbieter verbunden sind, heute so gering wie noch nie zuvor. Ohne eine Dezentralisierung von Entscheidungen und eine damit einhergehende Bevollmächtigung von Talenten sind Unternehmen heute kaum mehr in der Lage, auf sich ständig verändernde Bedingungen schnell reagieren zu können. Durch eine zunehmende Bevollmächtigung von Talenten verändern sich allerdings auch die Anforderungen der Arbeitgeber an die Talente und vice versa. So wird beispielsweise von Talenten vermehrt unternehmerisches, verantwortungsvolles und selbstständiges Denken und Handeln gefordert, während Talente auf der anderen Seite auch das organisationale Umfeld mit der notwendigen Freiheit benötigen, um entsprechend handeln zu können. Das Talentmanagement wird demnach vermehrt gefordert sein, passende Talente für die neue Welt der Arbeit und Zusammenarbeit mit den gefragten Eigenschaften für Unternehmen anzuziehen und auszuwählen und für die Talente Arbeitsbedingungen zu schaffen, in denen sie ihr Potenzial voll ausschöpfen können und sich längerfristig ans Unternehmen binden wollen. Zwar waren dies auch in der Vergangenheit Tätigkeiten des Talentmanagements, im heutigen digitalen Zeitalter stehen Talentmanager:innen jedoch eine Vielzahl von Daten und Informationen über die Talente zur Verfügung, wodurch Entscheidungen evidenzbasierter und weniger intuitiv getroffen werden können und sollten.

Durch die zunehmende Dezentralisierung der Entscheidungsmacht haben Talente auch mehr Einfluss auf die Ausrichtung der Organisation und gestalten den Weg, den die Organisation einschlägt, aktiv mit. Die Zusammenarbeit in Unternehmen im digitalen Zeitalter wird also demokratischer. Eine zunehmende Demokratisierung kann sich nicht nur positiv auf die Motivation und Zufriedenheit der Talente auswirken, sondern auch die Innovationskraft der Organisation verbessern. Haben Talente nämlich ein gewisses Mitspracherecht, können sie erkannte Probleme auch schneller adressieren. So stammen beispielsweise viele Lösungen der innovationsstärksten Unternehmen der Welt, wie von Google oder W. L. Gore, von internen Talenten, die nicht zwingend in der F&E-Abteilung tätig waren. Einige Firmen, beispielsweise Tesla, haben erkannt, dass es sich lohnen kann, auch auf die Innovationskraft des externen Firmennetzwerks zu setzen. So hat Tesla Patente und Konstruktionspläne seiner elektrischen Autos offengelegt und mit diesem Schritt auf einen Schlag Tausende neuer Entwickler von Soft- und Hardware für die eigenen Produkte gewonnen, die nicht auf der eigenen Gehaltsliste stehen. Aus einer Talentmanagementsicht bedeutet Demokratisierung auch, dass Talente mehr Macht innerhalb der Organisationen haben und entsprechend Toptalente, die über die Jahre spezifisches, auf die Organisation und die Beschäftigten bezogenes Wissen aufgebaut haben, das für das Unternehmen von hoher Relevanz ist, auch schwerer zu ersetzen sind. Die Bindung solcher Talente an das Unternehmen ist also im digitalen Zeitalter von großer Bedeutung, da gute Talente den Wettbewerbsvorteil für Unternehmen darstellen.

Im digitalen Zeitalter, in dem digitale Geschäftsmodelle die physischen Geschäftsmodelle in immer mehr Industrien ablösen, liegt der wesentliche Wettbewerbsvorteil von Unternehmen also in den Talenten, die über das Wissen, die Kompetenzen und die Fähigkeiten verfügen, um die digitalen Lösungen erfolgreich am Markt zu etablieren. Die strategische Bedeutung des Talentmanagements ist so hoch wie noch nie zuvor, da mit der Rekrutierung, der Auswahl und der Bindung von Toptalenten der Erfolg von Organisationen wesentlich beeinflusst werden kann. Wenig überraschend ist daher auch, dass das Personal der deutschen Talentmanagementabteilungen seit Jahren ansteigt (siehe Abbildung 2). Im Gegensatz zu vielen Ressourcen, die Unternehmen in der Vergangenheit großen Erfolg gebracht haben, wie das Gold im 19. Jahrhundert oder das Öl im 20. Jahrhundert, ist Talent eine weltweit verfügbare und teils noch wenig global ausgeschöpfte Ressource. Unternehmen kaufen und verkaufen zwar Produkte weltweit, allerdings beginnen viele erst jetzt mit der Globalisierung ihrer Talentwertschöpfungsketten durch das gezielte globale Rekrutieren von Talenten. Es benötigt aber ein sehr gut ausgebildetes und entwickeltes Talentmanagement, um passende Talente zu erkennen, sie für die Organisation zu gewinnen, sie weiterzuentwickeln und langfristig zu binden.

Abbildung 2: Anzahl der Beschäftigten im Bereich Personalwesen in Deutschland 2012 bis 2020

Quelle: Statistisches Bundesamt

EIN AUSBLICK AUF DAS, WAS SIE ERWARTET. In diesem Buch möchten wir darstellen, unter welchen Bedingungen, mit welchen Maßnahmen und unter Einbezug welcher (digitalen) Instrumente es Talentmanager:innen heute gelingen kann, die besten Talente für die Organisation zu gewinnen und zu halten. Dabei geben wir Einblick in aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, beleuchten aktuelle Trends am Markt und beziehen Beispiele aus der Praxis ein, die zeigen, wie Talentmanagement 5.0 aussehen kann.

Um eine Grundlage zu schaffen, gehen wir in Kapitel 2 zunächst darauf ein, wie die digitale Welt, in der wir leben und arbeiten, charakterisiert ist. Wir fokussieren uns dabei zunächst auf die Veränderungen, die durch verschiedene neue digitale Technologien in unserem Leben angestoßen wurden. Dann betrachten wir die digitalen Veränderungen in der Geschäftswelt näher, und anschließend runden wir Kapitel 2 mit einem Rückblick auf die Covid-19-Pandemie und deren Einfluss auf digitalisierungsbedingte Veränderungen in der Arbeitswelt ab. Nach der Darstellung dieser Umweltbedingungen gehen wir in Kapitel 3 näher darauf ein, wie Organisationen sich erfolgreich im digitalen Zeitalter aufstellen können. Zunächst beleuchten wir dabei die Erfolgsfaktoren des digitalen Zeitalters, die sich zum Teil deutlich von den Erfolgsfaktoren der Vergangenheit unterscheiden. Anschließend stellen wir die bedeutende Rolle von digitalen Geschäftsmodellen dar und runden das Kapitel damit ab, wie das organisationale Design, ausgedrückt in organisationalen Strukturen, Kultur und Leadership, gestaltet werden kann, um als Arbeitgeber für Toptalente im digitalen Zeitalter attraktiv zu sein und um unter den digitalen Bedingungen in der Organisationsumwelt erfolgreich zu sein. In Kapitel 4 geht es dann ans Eingemachte. Neben einer Betrachtung, warum das Talentmanagement im 21. Jahrhundert ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Organisationen sein kann, werden wir in das Thema Talentmanagement tiefer eintauchen. Wir werden sehen, was Toptalente im digitalen Zeitalter auszeichnet, wie Anforderungsprofile gestaltet werden können, damit Toptalente sich angesprochen fühlen. Außerdem werden wir aufzeigen, wie diese rekrutiert und ausgewählt, wie sie beurteilt und ans Unternehmen gebunden werden können und wie man auch im Fall einer Trennung ein gewinnbringendes Verhältnis zwischen ehemaligem Arbeitgeber und Talenten pflegen kann. Zum Abschluss von Kapitel 4 werfen wir dann noch einen Blick auf digitale Lösungen, die Talentmanager:innen in ihrer Arbeit unterstützen können. Über das gesamte 4. Kapitel hinweg beleuchten wir einige Fallbeispiele aus der Praxis, die aufzeigen, wie Talentmanagement in Organisationen heute gestaltet werden kann. Wir runden dieses Buch mit einem Resümee und einem Ausblick in die Zukunft des Talentmanagements in Kapitel 5 ab.

Kapitel 2. Der digitale Status quo in Deutschland, Europa und weltweit

Kapitel 2.1 Digital Life: Wie die Digitalisierung unser Leben grundlegend verändert

Am Abend des 6. Juni 2003 betraten die Rolling Stones das Münchener Olympiastadion, um ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum mit ihren Fans in Deutschland zu feiern. Bei der Suche nach Bildern zu diesem Ereignis in gängigen Suchmaschinen erscheinen Fotos, die Mick Jagger dabei zeigen, wie er von der Bühne aus der Menge einheizt. In der Retrospektive, also knapp zwanzig Jahre danach, fällt schnell auf, dass so gut wie alle Menschen im Publikum ihre Arme nach oben strecken und der Band ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Dieser Schnappschuss zeigt eine Welt, in der Nokia noch Marktführer für Mobiltelefone war (Smith 2004), deutsche Haushalte die stationären Computer noch den mobilen Endgeräten vorzogen (Brintrup 2013) und Apple erst in den Planungen zur Vermarktung des iPod war. Es sollte noch weitere vier Jahre dauern, bis das »iPhone« die Welt revolutionierte und das Smartphone zum ständigen Begleiter von Milliarden von Menschen wurde.

Im Jahr 2017, also ungefähr zehn Jahre nachdem Steve Jobs der Welt das erste iPhone vorstellte, kamen die Rolling Stones zurück für ein Konzert im Münchener Olympiastadion. Auch diesmal war das Stadion mit an die 70.000 Zuschauer:innen gefüllt. Der Unterschied zu 2003: Mithilfe von Smartphones, die mittlerweile im Besitz von annähernd 78 Prozent der deutschen Bevölkerung waren (Ametsreiter 2017), konnte das Erlebnis dauerhaft festgehalten und mit der ganzen Welt geteilt werden. So lässt sich das Konzert mittels mehrerer Hundert YouTube-Videos aus den verschiedensten Perspektiven nacherleben. Die digitale Revolution, die durch die Innovationen des Smartphones und des mobilen Internets ins Rollen gebracht wurde, hat Erlebnisse wie Rockkonzerte verändert, indem ehemals exklusive Events der breiten Öffentlichkeit für so gut wie keine Kosten zugänglich gemacht werden können.

Drei weitere Jahre »fast forward«, mitten in der ersten Welle der Covid-19-Pandemie, konnten Zuschauer:innen auf der ganzen Welt, die Zugang zu einem Internetanschluss hatten, Zeuge werden, wie die Rolling Stones ihren Hit »You can’t always get what you want« live vortrugen. Das Besondere daran: Im Gegensatz zu den zahlreichen Liveperformances aus der Vergangenheit traten die Künstler diesmal nicht auf einer Bühne in einem Stadion einer Großstadt irgendwo auf der Erde auf, sondern spielten in ihren eigenen vier Wänden. Die Liveperformance wurde diesmal mittels Zoom-Splitscreens direkt in die Haushalte von Fans aus der gesamten Welt gestreamt. Während dieser Auftritt eher aus der Not heraus entstanden ist, da weltweite Lockdowns Live-Events unmöglich machten, zeigt er dennoch, welche Möglichkeiten die Digitalisierung mit sich bringt. Während vor der Erfindung des Smartphones ein Konzertbesuch an einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit und einen oftmals hohen Geldbetrag gebunden sowie nur einer begrenzten Anzahl an Zuhörer:innen vergönnt war, lassen sich Konzerte mittlerweile überall auf der Welt für marginale Kosten live von Millionen von Menschen in den unterschiedlichsten Zeitzonen verfolgen.

Zweifellos unterscheidet sich das Konzerterlebnis vor Ort auch heute noch von einem digitalen Live-Event. Die Gespräche über die Erwartungen an das bevorstehende Ereignis, die man von anderen Konzertbesucher:innen auf dem Weg zum Veranstaltungsort mitbekommt, die sich anspannende Stimmung in der Menge, kurz bevor die Musiker:innen die Bühne betreten, oder die gefühlte räumliche Nähe, die man zu den Musiker:innen während der Performance wahrnimmt – all dies lässt sich nur schwer auf die Bildschirme von mobilen Endgeräten oder Fernsehern zu Hause übertragen. Doch auch hier könnten Innovationen, die auf digitalen Technologien aufbauen, Abhilfe schaffen. So gewannen im Jahr 2020 – im Besonderen bedingt durch Social Distancing aufgrund der Covid-19-Pandemie – Virtual-Reality-Konzerte zunehmend an Bedeutung. Das 2017 in den USA gegründete Virtual-Reality-Start-up Wave beispielsweise kooperierte im Juni 2020 mit dem R&B-Musiker John Legend, der in Gestalt eines ihn verkörpernden Avatars ein Livekonzert für knapp eine halbe Millionen Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt gab (Millman 2020; Chidekel 2021). Dabei konnten die Zuschauer:innen mittels Virtual-Reality-Headsets die Performance des Künstlers, dessen Stimme und Bewegungen live vom Avatar widergespiegelt wurden, nicht nur hautnah direkt vor der virtuellen Bühne erleben, sondern sie konnten auch eigene Avatare kreieren und damit miteinander während des Konzerts interagieren. Während für das volle Virtual-Reality-Erlebnis allerdings noch eine bestimmte Hardware in Form von Virtual-Reality-Headsets notwendig ist2, ermöglichen sogenannte Mixed-Reality-Technologien, bei denen Datenpunkte in Hologramme übersetzt werden, die dann wiederum in unser reales Umfeld transportiert werden, ein Erlebnis, das der realen Welt deutlich näher ist. Dabei können Musikfans ihre Lieblingskünstler:innen nicht nur als Avatare, sondern als reale Abbilder »hautnah« erleben, ohne dass diese live vor Ort sind. Die Hologrammtechnologie ermöglicht es sogar, bereits sich in Ruhestand befindende oder verstorbene Künstler:innen wieder auf die Bühne zu bringen. So konnten beispielsweise im Februar und März 2020 Fans im Vereinigten Königreich Zeuge davon werden, wie die US-amerikanische Künstlerin Whitney Houston, acht Jahre nach ihrem Tod, wieder auf der Bühne erschien und ihre Hits performte (Dosanjh 2021). Auch die schwedische Band ABBA hat angekündigt, dass sie im Jahr 2022 eine Konzertreihe plant, bei der jedoch nicht die Musiker:innen selbst, sondern deren digitale Abbilder auftreten werden (McStay 2021). Fans der Rolling Stones, die besorgt sind, die Musiker könnten sich eventuell doch bald zur Ruhe setzen und keine Konzerte mehr live spielen, können dank dieser Technologien also beruhigt der Zukunft entgegensehen.

Auch wenn Entertainmentevents wie Rockkonzerte nur einen sehr kleinen Ausschnitt unseres alltäglichen Lebens bilden, so zeigt die dargestellte Entwicklung dennoch, dass seit der Einführung und Massenverbreitung der Smartphones vor fünfzehn Jahren grundlegende Veränderungen in unserem alltäglichen Leben zu beobachten sind, die nicht nur unsere Art, wie wir erleben, sondern auch unser Zusammenleben und gemeinsames Arbeiten revolutionieren. Bevor wir in den Aspekt des Zusammenarbeitens mit der besonderen Rolle des Talentmanagements im digitalen Zeitalter tiefer eintauchen, möchten wir zunächst einen Blick darauf werfen, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unseren Alltag hat. Da unsere Arbeit ein integraler Bestandteil unseres Alltags ist und dieser somit auch einen Einfluss darauf hat, wie wir zusammenarbeiten, hilft uns dieser Kurzüberblick, ein generelles Bild davon zu zeichnen, wie die Welt aussieht, in der unsere Talente, die unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft maßgeblich bestimmen werden, leben, und insbesondere wie sich diese Welt durch die Digitalisierung verändert.

Um ein besseres Verständnis davon zu erlangen, wie weit die Digitalisierung bereits in unserem Alltag angelangt ist, lohnt es sich, zunächst einen Blick auf die Ausbreitung zweier dafür zentraler Technologien zu werfen: das Internet und Smartphones. Die Kommerzialisierung des Internets hat dazu geführt, dass wir weltweit und in Echtzeit Informationen austauschen und miteinander kooperieren können, und die Einführung des Smartphones ermöglicht uns dies sogar, während wir unterwegs sind und ohne dass wir an einen bestimmten Ort gebunden sind. Während wir also in der Prä-Internet-Ära noch Postkarten von unseren Urlaubsdestinationen verschickten, konnten wir nach der Einführung des Internets unseren Freunden zu Hause bereits abends im Hotel über die dort verfügbare Internetleitung eine Mail mit unseren Eindrücken der erlebten Safaritour schreiben. Und heute können wir die gesamte Welt in Echtzeit an unseren Erlebnissen teilnehmen lassen, indem wir über unser Smartphone die Bilder live über das World Wide Web streamen.

Während die Nutzung von Internet und Smartphones für den Großteil der Bevölkerung der westlichen Welt integraler Bestandteil des Alltags ist, zeigt Abbildung 3, dass dieser Fortschritt ein weltweites Phänomen ist. Zwar hatten im Jahr 2020 schätzungsweise noch 38 Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zum Internet und 55 Prozent nutzten keine Smartphones, die konstante lineare Entwicklung seit 2012 deutet jedoch darauf hin, dass in den nächsten Jahren auch die entlegensten und am wenigsten entwickelten Regionen der Welt Zugang zu diesen Technologien erhalten werden. Dies wird dazu führen, dass nicht nur weitere Milliarden von Menschen auf weltweite Informationen und Kooperationsmöglichkeiten zugreifen können, sondern dass auch Organisationen auf der ganzen Welt Zugang zu einem gigantischen Pool an Talenten erhalten werden. Im Gegensatz zu Wohlstand ist Talent über die Welt hinweg gleich verteilt. Die weltweite Digitalisierung bietet daher eine noch nie dagewesene Möglichkeit, weltweit Talente aus den verschiedensten Bereichen – sei es in der Wissenschaft, der Medizin, der Wirtschaft, dem Sport, der Kunst und vielen mehr – zu identifizieren und zu nutzen, um uns als Weltgesellschaft und -wirtschaft nachhaltig weiterzuentwickeln.

Abbildung 3: Anzahl Internet- und Smartphonenutzer:innen weltweit (2012–2020; Schätzung)

Quellen: Internet World Stats, Statistisches Bundesamt, Newzoo, VuMa Touchpoints 2021

Durch die zunehmende digitale Vernetzung der Welt, gepaart mit stets wachsenden Rechenleistungskapazitäten, steigt auch die Datenmenge auf dieser Welt in exponentieller Weise. Laut dem Onlinelexikon von Meriam Webster handelt es sich bei Daten um Informationen in digitaler Form, die übertragen oder verarbeitet werden können. Wann immer wir also das Internet oder vernetzte Geräte nutzen, produzieren und/oder konsumieren wir Daten. Das Statistikportal Statista schätzte, dass im Jahr 2011 bis zu 14 Exabyte, also 14 Milliarden Gigabyte, an Daten pro Tag produziert und repliziert wurden (Holst 2021). Im Jahr 2020 belief sich dieser Wert Schätzungen von Statista zufolge auf an die 180 Exabyte, was einer mehr als 12-fachen Vermehrung im Vergleich zu 2011 entspricht. Anders ausgedrückt beläuft sich die Menge an Daten, die jeder Mensch auf der Erde pro Tag produziert oder repliziert mittlerweile auf gute 23 Gigabyte. Um diese abstrakte Menge besser greifen zu können, hilft ein Vergleich: Eine Stunde eines Netflix-Films in Standardqualität (SD-Qualität) umfasst ungefähr 1 Gigabyte (Eggermont 2020). Das heißt im Jahr 2020 wurde alleine an einem Tag pro Kopf Datenmaterial produziert, das mehr als 23 Stunden (fast ein ganzer Tag!) Filmmaterial auf Netflix entspricht.

Der enorme Anstieg dieser Datenmenge lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass zum einen immer mehr Menschen Zugang zum Internet und zu mobilen Endgeräten wie Smartphones haben und zum anderen die Anzahl der vernetzten Geräte mit eigener IP-Adresse, die unabhängig vom Menschen ebenfalls Daten produzieren, stetig zunimmt. Immer mehr alltägliche Handlungen werden auf digitale Applikationen übertragen. Wir kommunizieren heute nicht mehr nur von Angesicht zu Angesicht oder über Telefon mit unseren Bekannten, sondern nutzen Direct-Messaging-Dienste, wie WhatsApp und WeChat, sowie Videotelefoniedienste, wie Zoom oder Facetime. Um unsere Erlebnisse mit unseren Freund:innen zu teilen, müssen wir keine Diaabende mehr veranstalten, sondern posten unsere Fotos und Videos online auf Instagram, Snapchat, TikTok oder Facebook. Für einen Filmeabend müssen wir nicht mehr ins Kino oder in die nächste Videothek, sondern streamen auf Netflix, Amazon Prime Video, Disney+, Apple TV+ oder YouTube. Und statt unseren Traumpartner oder unsere Traumpartnerin in einer Bar anzusprechen, swipen wir uns durch Profile potenzieller Kandidat:innen auf Tinder oder Bumble. Abbildung 4 liefert anhand der sechs Applikationen Instagram, YouTube, E-Mail, WhatsApp, Tinder und Google einen Eindruck, wie viele Daten alleine in einer Minute produziert werden.

Abbildung 4: Weltweite Nutzung verschiedener digitaler Applikationen pro Minute

Quellen: Jenik 2021; Internet Live Stats

Nach diesem kurzen Streifzug durch die allgemeinen Veränderungen in unserem Alltag, die seit der Kommerzialisierung des Internets und der Verbreitung mobiler Endgeräte zu beobachten sind, wollen wir nun einen tieferen Blick auf die bedeutendsten digitalen Technologien werfen, die dafür verantwortlich sind: Big Data, Cloud-Computing, Internet der Dinge & Wearables, Augmented und Virtual Reality, Blockchain und künstliche Intelligenz.

BIG DATA. Mitte des 17. Jahrhunderts setzte ein Londoner Kurzwarenhändler namens John Graunt einen Meilenstein für eine Methode, die nachhaltig beeinflussen sollte, wie wir ein fundiertes Verständnis von den Dingen, die um uns herum passieren, entwickeln. In einem Jahrhundert, das durch die Pest geprägt war, sammelte und analysierte Graunt Daten zu Sterbefällen und -arten in der Region rund um London. Die Zahlen wurden jährlich im sogenannten »Bill of Mortality« veröffentlicht und gaben Hinweise darauf, wie viele Menschen in einem Jahr verstorben waren und was der Grund für ihr Ableben war. Durch die Anwendung von deskriptiven statistischen Methoden konnte Graunt in seinem Werk Natural and Political Observations Made Upon the Bills of Mortality unter anderem Aussagen darüber treffen, wie sich die Kindersterblichkeit entwickelte, wie die Sterbefallzahlen in London im Vergleich zu anderen Regionen des Vereinigten Königreichs aussahen oder dass die Anzahl der Menschen, die an der Pest verstarben, in Wirklichkeit höher war, als sie im »Bill of Mortality« berichtet wurde (Sutherland 1963). Durch seine datenbasierte Analysearbeit ebnete John Graunt den Weg dafür, wie Statistiker:innen heute Aussagen zu Demografien treffen und wie Epidemiolog:innen Daten zu epidemischen und pandemischen Entwicklungen auswerten. Zwar wird der Begriff »Big Data« heute mit weitaus größeren Datenmengen verbunden, als sie John Graunt zur Verfügung hatte, die Arbeit des Kurzwarenhändlers wird aber heute häufig als der erste dokumentierte Versuch einer Big-Data-Analyse angesehen (Phillips 2021).

Auch wenn über das genaue Verständnis des Begriffs Big Data Uneinigkeit unter Forscher:innen und Praktiker:innen herrscht (Favaretto u. a. 2020), lässt sich darunter generell die Speicherung, Verarbeitung und Analyse von sehr großen Datenmengen zusammenfassen. Charakteristisch für Big Data sind die drei Vs – Volume (Menge), Variety (Vielfalt) und Velocity (Geschwindigkeit der Datenerstellung) (McAfee/Brynjolfsson 2012):

Volume: Während John Graunt seine Datenmengen noch in Tabellen, die wenige Blätter Papier benötigten, speichern konnte, umfassen die Datenbanken, auf die Big-Data-Analysten heute zugreifen, mehrere Terrabytes (1.000 Gigabytes) oder sogar Petabytes (1 Millionen Gigabytes) an Speicherkapazitäten. Der US-amerikanische Handelskonzern Walmart beispielsweise nutzt eine 40-Petabyte große Datenbank mit Transaktionsdaten aus seinem On- und Offline-Geschäft, um wöchentliche Veränderungen in Kundenpräferenzen zu analysieren (Marr 2016).

Variety: Zu John Graunts Zeiten war die einzige Möglichkeit, Daten zu speichern, diese schriftlich und strukturiert auf Papier festzuhalten. Heute können Daten in vielfältigen Formen und Typen vorliegen, zum Beispiel als Bilder, Videos, Audiodateien oder Sensordaten. Neben strukturierten Datentypen, wie zum Beispiel E-Mail-Adressen oder Namen, die sich einfach und ohne weitere Verarbeitungsschritte in ein Spalten- und Zeilensystem in Datenbanken speichern lassen, sind viele der heute verfügbaren Daten unstrukturiert. So müssen beispielsweise Kundenrezensionen auf E-Commerce-Seiten, wie Amazon oder Zalando, zunächst daraufhin analysiert werden, ob diese positiv, negativ oder neutral formuliert wurden, bevor sie für weitere Analysen zur Kundenzufriedenheit genutzt werden können.

Velocity: Die Geschwindigkeit, in der John Graunt neue Daten zur Verfügung gestellt bekam, war für eine Einzelperson ohne technische Rechenkapazitäten als Unterstützung noch gut zu stemmen, da die Sterblichkeitsdaten einmal jährlich publiziert wurden. Zwar halfen diese Daten John Graunt, ein besseres Verständnis über die Pestepidemie in London zu erhalten, aufgrund der geringen Geschwindigkeit des Dateneingangs war es jedoch nicht möglich, schnelle Gegenmaßnahmen auf Basis der Datenanalysen zu definieren. Im Gegensatz dazu wurden während der Covid-19-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 in vielen Ländern über sogenannte »Contact-Tracing-Apps« Millionen an Daten zu Bewegungen von infizierten und nicht infizierten Personen in Sekundenbruchteilen gesammelt und analysiert, um somit das Ausbruchsgeschehen der Pandemie besser zu verstehen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten (Agbehadji u. a. 2020).

Zusammenfassend verstehen wir unter Big Data also große Mengen an unstrukturierten und strukturierten Daten, die sich mit einer sehr hohen Geschwindigkeit vermehren und verändern und aus deren Analyse sich Aussagen zu verschiedenen Anwendungsgebieten treffen lassen. Weltweit gesehen befinden wir uns immer noch in einer Ära der Datensammlung und noch nicht in der Ära ihrer Auswertung, die aber sicherlich unterstützt von künstlicher Intelligenz zeitnah einsetzen wird.

Eines der Anwendungsgebiete von Big Data, das vielen von uns tagtäglich abends auf dem Sofa begegnet, findet sich im Bereich von Medien und Unterhaltung. Während viele Kund:innen vor allem das große Angebot an Filmen und Musik von On-Demand-Video- und Audiostreamingdiensten, wie Netflix, Spotify oder Amazon Prime, schätzen, sammeln die Anbieter Daten zum Nutzungsverhalten der Konsument:innen und werten diese so aus, dass sie noch passgenauere Angebote unterbreiten können. So bietet uns beispielsweise der Musikstreaminganbieter Spotify personalisierte Playlists an, in denen uns unsere beliebtesten sowie zu unserem Hörverhalten passenden Songs vorgespielt werden, ohne dass wir selbst aktiv werden müssen (Spotify 2021). Der Videostreaminganbieter Netflix nutzt die Daten mittlerweile sogar, um herauszufinden, welche Arten von Filmen und Serien am meisten Anklang bei den Zuschauer:innen finden, um so die nächsten unternehmenseigenen Produktionen zu bestimmen (Marr 2016). Den erfolgreichen Umgang des Unternehmens mit den Daten sieht man daran, dass im Jahr 2020 die drei Serien, die weltweit die höchsten Suchanfragen in einem Monat bekommen haben, jeweils exklusiv auf Netflix erhältlich waren: Tiger King, The Queen’s Gambit und Emily in Paris (Angulo 2020).

Analog zu den Streaminganbietern nutzen auch Onlinehändler die Daten, die wir in ihren Onlineshops hinterlassen. Die Unternehmen analysieren unsere Daten und verwenden sie, um unsere Interessen und Vorlieben auszuwerten und Prognosen darüber zu erstellen, was wir in Zukunft kaufen könnten. Dies beeinflusst sowohl deren Werbetaktiken als auch das, was wir sehen, wenn wir einkaufen. Onlinehändler wie Amazon nutzen die Daten, die sie über uns haben (beispielsweise Kaufhistorie, Lieferadresse, Produkte, die wir uns angesehen haben), um ein Profil von uns zu erstellen (Marr 2016). Auf Basis dieses Profils kann dann ermittelt werden, welche anderen Kund:innen uns ähnlich sind. Dies ermöglicht es dem Einzelhändler, Vorhersagen darüber zu treffen, welche Artikel uns interessieren könnten. Diese Artikel werden uns dann beim nächsten Besuch der Website als Vorschlag für den nächsten Kauf angezeigt. Während Konsument:innen dadurch Produktempfehlungen erhalten, die ihren Interessen entsprechen, können Onlinehändler nicht nur ihre Umsätze steigern, sondern die Kunden weiter an sich binden. So fanden die Wirtschaftsinformatiker Anuj Kumar und Kartik Hosanager in einer 2019 veröffentlichten Studie an dem Beispiel eines mittelständischen US-amerikanischen Fashion-Onlinehändlers heraus, dass Produktempfehlungen zu einem durchschnittlichen Anstieg des Umsatzes in Höhe von 11 Prozent führten.

Verfolgen Sie Ihre Bewegung oder andere Aspekte Ihrer persönlichen Gesundheit über eine Smartwatch oder über Apps auf Ihrem Telefon? Dann könnten Sie auch zu einem der Beispiele für Big Data im Gesundheitswesen auf eine unmittelbarere Weise beitragen. Immer mehr Hersteller und Entwickler von entsprechenden Fitnesstrackern und Gesundheitsapps teilen die gesammelten Daten, sofern die Nutzer:innen damit einverstanden sind, mit Fachleuten und Forscher:innen, und helfen somit, wichtige Gesundheitstrends zu verfolgen, die den medizinischen Fortschritt beeinflussen. Ein Beispiel dafür liefert die sogenannte »Warrior Watch-Study«, bei der die Gesundheitsdaten von 297 Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens in New York während der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 durch den Einsatz von Smartwatches gesammelt und von Forscher:innen analysiert wurden (Hirten u. a. 2021). Die Forscher:innen fanden dabei heraus, dass spezifische Veränderungen in der Herzfrequenzvariabilität, die über die Smartwatches aufgezeichnet werden, bereits mehrere Tage vor einer positiven Covid-19-Diagnose einen Hinweis auf eine Infizierung mit dem Virus gaben und dies unabhängig davon, ob die Infizierung symptomatisch oder asymptomatisch verlief.

Ein weiterer Anwendungsfall von Big Data, der in unserem Alltag seit mehreren Jahren weit verbreitet ist, lässt sich im Bereich der Transportnavigation finden. Viele von uns haben wahrscheinlich schon lange keine physische Karte mehr in der Hand gehabt. Was früher ein normaler Bestandteil war, wenn man beispielsweise von München nach Rom gefahren ist, ist heute entweder auf eingebaute GPS-Systeme oder Smart-Maps-Programme auf Telefonen verlagert worden. Dank dieser Technologien müssen wir nicht mehr auf unsere Intuition und beste Schätzungen vertrauen, wenn wir ermessen, wie lange unsere Reise dauern wird, wann wir ankommen werden oder auf welche Verkehrsbedingungen wir treffen könnten. Genauso ersparen wir uns den Ärger, den Streit mit Beifahrer:innen und die zusätzliche vergeudete Zeit, wenn wir nach 60 Kilometern merken, dass wir bei der letzten Kreuzung in Verona nach links und nicht nach rechts hätten abbiegen müssen. Während wir also auf der einen Seite diese Navigationsdienste konsumieren, liefern wir auf der anderen Seite auch die entsprechenden Daten (beispielsweise Aufenthaltsorte, Start- und Zielorte, Geschwindigkeit) an Navigationsanbieter wie Google oder Apple. Die Dienstleister analysieren diese Daten und nutzen die Ergebnisse, um uns Informationen über optimierte Routen, Staus oder Attraktionen auf der Strecke, die uns interessieren könnten, in Echtzeit zu übermitteln.

Auch im zwischenmenschlichen Bereich spielen Big-Data-Analysen mittlerweile eine wesentliche Rolle. Speziell Dating-Apps, wie Tinder, Parship, Bumble oder OkCupid, die Kund:innen ein algorithmusbasiertes Matching mit passenden Partner:innen versprechen, gewinnen immer mehr an Beliebtheit. Einer Umfrage von Bitkom Research aus dem Jahr 2020 zufolge haben knapp die Hälfte aller 16- bis 29-jährigen Befragten in Deutschland bereits einmal einen Online-Dating-Dienst genutzt (Bitkom 2020a). Bei den 30- bis 64-Jährigen betrug der Anteil auch noch über ein Drittel. Der Dating-App-Dienstleister Tinder, der zur Match Group gehört, nutzt die Daten, die er über seine Nutzer:innen zu deren Präferenzen im Hinblick auf romantische Partner:innen sammelt, um datenbasierte Vorschläge für potenzielle Partner:innen anzubieten. So wird im Hintergrund detailliert analysiert, bei welchen Profilen, die im Wesentlichen Bilder, Ortsangaben, Alterspräferenzen und gegebenenfalls Kurzbiografien enthalten, nach rechts (Interesse an Profil) und bei welchen nach links (kein Interesse an Profil) »geswiped« wird und wann »Matches« (beide Seiten zeigen Interesse) zustande kommen. Anhand entsprechender Daten von Millionen von Nutzer:innen macht der Anbieter Vorhersagen dazu, welche anderen Nutzer:innen auf der Plattform am ehesten als romantische Partner:innen infrage kommen könnten, und zeigt deren Profile bei der Nutzung der App präferiert an (Tiffany 2019).

Aber auch im Arbeitsumfeld und insbesondere im Talentmanagement spielt Big Data eine immer bedeutendere Rolle. So können Big-Data-Analysen beispielsweise als Unterstützungsinstrumente im Bereich der Personalauswahl, der Teamzusammenstellungen, des Weiterbildungsmanagements oder der Leistungsbewertung eingesetzt werden. Wie dies konkret aussehen kann und welche Chancen und Risiken damit verbunden sind, werden wir in Kapitel 4 näher beleuchten.

Wenn wir also in Zukunft Big Data als sinnvolles und wertstiftendes Instrument für unsere Wirtschaft und Gesellschaft nutzen möchten, benötigen wir Talente, die technische und statistische Fähigkeiten mitbringen, um fundierte Erkenntnisse aus den Daten ziehen zu können und die entsprechenden moralischen Kompetenzen aufweisen, wodurch die ethischen Herausforderungen gelöst werden können.

CLOUD-COMPUTING. Unter Cloud-Computing versteht man die Bereitstellung von IT-Infrastruktur, also Rechenleistung, Speicherkapazitäten oder (Software-)Applikationen über das Internet (Armbrust u. a. 2010). Diese dezentrale Bereitstellung ermöglicht auch die parallele Nutzung der IT-Infrastruktur durch mehrere Personen. Cloud-Computing-Dienste wie Dropbox, Google Drive oder Microsofts SharePoint ermöglichen es beispielsweise mehreren Nutzer:innen, gleichzeitig in einem Dokument zu arbeiten, wobei alle Änderungen in Echtzeit gespeichert werden, ohne dass dafür Speicherkapazitäten der einzelnen Nutzer:innen notwendig sind. Beim Cloud-Computing sind also Nutzer:innen und Eigentümer:innen der IT-Infrastruktur nicht mehr eine Instanz, wie es lange Zeit der Status quo war, sondern die IT-Infrastruktur wird als Dienstleistung von Cloud-Computing-Anbietern angeboten, die dann von den Nutzer:innen je nach Bedarf eingekauft werden kann. Dabei lassen sich folgende drei wesentliche Angebotsmodelle des Cloud- Computing unterscheiden (McAfee 2011):

Infrastructure as a Service (IAAS) ist ein Modell, bei dem grundlegende IT-Ressourcen wie Rechenleistungen oder Speicherkapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Betriebssysteme, Entwicklerwerkzeuge und Applikationen werden bei diesem Modell von den Nutzer:innen selbst verwaltet und sind nicht im Leistungsspektrum des Anbieters enthalten. Typische Anbieter von IAAS sind Amazon Web Services und Microsoft Azure.

Platform as a Service (PAAS) wird hauptsächlich von Software-Entwicklern in Anspruch genommen, da hier zusätzlich zu dem IAAS-Modell auch Programmiermodelle und Entwicklerwerkzeuge zur Verfügung gestellt werden, die es ermöglichen, über die Cloud-Software (unter anderem Apps) zu entwickeln. Zu den Anbietern von PAAS zählen beispielsweise Google App Engine oder Heroku.

Software as a Service (SAAS) ist das umfassendste und den meisten Endnutzer:innen vertrauteste Modell. Dabei handelt es sich um komplette Software-Anwendungen, die Nutzer:innen über die Cloud bereitgestellt werden. Eine Installation auf dem Endgerät ist dabei nicht notwendig und Software-Updates und -Wartungsarbeiten werden vom Anbieter übernommen. Bekannte Beispiele von SAAS sind Dropbox, Google Workspace, Microsoft 365 oder Slack. SAAS-Lösungen spielen auch im Bereich des Talentmanagements eine immer größere Rolle. So zeigte eine repräsentative Befragung des Marktforschungsinstituts Information Services Group aus dem Jahr 2021, die unter 260 internationalen Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeiter:innen durchgeführt wurde, dass 46 Prozent der Unternehmen bereits Software as a Service in der Personalabteilung nutzen (Cadigan u. a. 2021). Bis 2023 planen, gemäß der Studie, weitere 11 Prozent der Unternehmen den Einsatz von SAAS-Lösungen für Personalprozesse. Bekannte Beispiele von SAAS-Talentmanagementlösungen sind SAP SuccessFactors und Personio

Es ist allerdings zu erwarten, dass anstelle von zentralen Anbietern solcher Lösungen, die mit der zentralen Speicherung von Daten einhergehen, im Rahmen von Web 3 zunehmend dezentrale Speicher- und Dienstleistungsarchitekturen entstehen werden.

INTERNET DER DINGE & WEARABLES. Der Begriff »Internet der Dinge« steht für die Vernetzung von physischen Objekten mittels Sensoren, Software oder anderen Technologien. Charakteristisch dabei ist, dass traditionell physische Produkte und Objekte, wie Uhren, Autos, Kleidung, Maschinen, Reifen, Thermostate, Kühlschränke, Zahnbürsten oder sogar tierische und menschliche Körper, mit Sensoren ausgestattet werden, die unter anderem Informationen zu Nutzung, Alterung oder Umweltbedingungen sammeln und diese mit anderen Objekten und Geräten, die mit dem Internet verbunden sind, teilen (Greengard 2015). Analysen, die auf den gesammelten Daten aufbauen, ermöglichen es dann, Aussagen dazu zu treffen, wie die Objekte einzeln, aber auch im Zusammenspiel miteinander bestmöglich genutzt werden können.

Im industriellen Bereich ist häufig die Rede von Industrie 4.0, wenn es um die Vernetzung von Logistik und Produktion geht, um Effizienzsteigerungen zu erzielen, aber auch im alltäglichen Bereich ist das Internet der Dinge heute allgegenwertig. Während selbstfahrende Autos, die ohne Fahrer:innen auskommen, oder smarte Städte, bei denen die Vernetzung der Objekte genutzt wird, um beispielsweise den innerstädtischen Transport oder die Wasser- und Energieversorgung zu organisieren, noch getestet werden und sich bis dato noch nicht flächendeckend ausgebreitet haben, gewinnt das smarte Wohnen in Deutschland immer mehr an Beliebtheit (Bitkom 2020b). Waschmaschinen, Staubsauger, Rasenmäher oder Heizungen, die sich von überall und zu jeder Zeit über eine App im Smartphone ein-, ausschalten und regulieren lassen, sind keine Utopie mehr, sondern für viele von uns bereits die Regel. Kaum mehr jemand von uns wundert sich, wer denn nun Alexa sei, wenn unser:e Gastgeber:in bei einem Dinner diese auffordert, das Licht zu dimmen.

Aus einer Talentmanagementsicht ist das Internet der Dinge insbesondere mit Veränderungen in der Art und Weise, wie wir unsere Arbeit verrichten, verbunden. Die Vernetzung der Maschinen ermöglicht in immer mehr Jobs eine Remote-Arbeit. So können mittlerweile nicht mehr nur viele Bürojobs durch standortunabhängige Serverzugriffe, Internetzugang und Videocalls von verschiedenen Orten via Smartphone, Tablet oder Laptop erledigt werden, sondern auch Produktionsarbeiten, wie das Kontrollieren und Warten von Maschinen, die ans Internet angeschlossen sind. Diese technologische Errungenschaft führte auch dazu, dass während der Covid-19-Pandemie, in der die hauptsächliche Maßnahme, zumindest zu Beginn der Krise, das Social Distancing war, 80 Prozent der deutschen Arbeitnehmer:innen theoretisch von zu Hause aus arbeiten konnten. 61 Prozent der Arbeitnehmer:innen nahmen dieses Angebot laut einer Personalleiterbefragung, die durch das ifo-Institut im zweiten Quartal 2020 durchgeführt wurde, auch an (ifo Institut 2020).

Wenn sich die mit Sensoren ausgestatteten physischen Geräte in der Nähe, auf unserer Hautoberfläche oder in manchen Fällen sogar in unserem Körper befinden, dann handelt es sich dabei um »Wearables«. Wearables gibt es heute in den unterschiedlichsten Formen, von smarten Armbanduhren (Smartwatches) über smarte Kleidung und Schuhe, smarte Ringe und Brillen (Rodrigues u. a. 2018) bis hin zu smarten Pflastern und Sensoren, die in unseren Körper eingesetzt werden (Spehr 2018). Einer der prominentesten und am intensivsten beforschte Anwendungsbereiche liegt dabei im Leistungssport (Düking u. a. 2016). Wearables geben Leistungssportler:innen Echtzeitfeedback zu bestimmten Leistungsindikatoren, wie zum Beispiel ihrer Herzfrequenz oder maximaler Sauerstoffaufnahme. Aber auch im Amateursport sieht man immer mehr Freizeitsportler:innen, die auf Wearables vertrauen, wenn es beispielsweise um das Monitoring des Workouts oder die Analyse der täglichen Schritte oder des Kalorienverbrauchs geht. Wie wir bei den Ausführungen zu Big Data bereits gesehen haben, sind Wearables auch im Gesundheitssektor von großer Bedeutung. So können viele Smartwatches mittlerweile neben der Messung des Herzschlages auch kurzzeitige Elektrokardiogramme aufzeichnen, und die Informationen können dann mit Hausärzt:innen oder Kardiolog:innen geteilt werden. Genauso gibt es implantierbare Sensoren für Diabetiker:innen, die kontinuierlich den Blutzuckerspiegel messen und sofort Warnungen abgeben, sobald sich dieser in einem kritischen Bereich bewegt (Christiansen 2020).