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Diokletians epochale Regierung bildet den Übergang von der Soldatenkaiserzeit zur Spätantike. Alexander Demandt wirft einen unbefangenen Blick auf Diokletian (284 - 305 n. Chr.), dem er mit dieser quellenorientierten, präzise und anregend geschriebenen Biographie ein literarisches Denkmal setzt. Der reich bebilderte Text behandelt die großen militärischen und administrativen, die ökonomischen und religiösen Themen der Zeit, das Nachleben des Kaisers bis in die Gegenwart und einige noch immer strittige Fragen der Tetrarchie. "Diocletian bleibt, wenn man ihn noch so genau, so kritisch betrachtet, eine großartige, sympathische Person, die Ungeheures geschaffen hat durch bewußte Geistestat. [Die] Neuschöpfung des aus den Fugen gehenden Reiches [erweist ihn als ein] staatsmännisches Genie ersten Ranges." Kein Geringerer als Theodor Mommsen rühmt mit diesen Worten einen römischen Kaiser, der anderen Historikern als orientalischer Despot, ja, dem antiken Kirchenhistoriker Euseb gar als Geißel Gottes erschien. Alexander Demandt - international anerkannter Fachmann für die Spätantike - hat Diokletian (284- 305) eine lange fehlende Biographie gewidmet. Diokletian hat nach fünfzig Jahren außen- und innenpolitischer Wirren das Reich wieder stabilisiert. Er hat durch seine Tetrarchie (Vierkaiserherrschaft) mit zwei Augusti und zwei Caesares in ihren grenznahen Residenzen das allseits, zumal von Germanen und Persern, bedrohte Imperium gesichert, durch seine Reichsreform die Verwaltung dezentralisiert und, ständig unterwegs, weit über tausend dauerhaft gültige, im Corpus Iuris Civilis erhaltene Gesetze erlassen und Rechtsfragen im Geiste Marc Aurels entschieden, mehr als irgendein anderer Kaiser. Gescheitert ist er mit seiner Preiskontrolle, dem Wahlkaisertum und der letzten Christenverfolgung. Er regelte die Nachfolge und zog sich nach zwanzig Jahren inneren Friedens als Gärtner in seinen Alterspalast Spalato/Split zurück.
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Alexander Demandt
DIOKLETIAN
KAISERZWEIERZEITEN
Eine Biographie
C.H.Beck 2022
«Diocletian bleibt, wenn man ihn noch so genau, so kritisch betrachtet, eine großartige, sympathische Person, die Ungeheures geschaffen hat durch bewußte Geistestat. [Die] Neuschöpfung des aus den Fugen gehenden Reiches [erweist ihn als ein] staatsmännisches Genie ersten Ranges.» Kein Geringerer als Theodor Mommsen rühmt mit diesen Worten einen römischen Kaiser, der anderen Historikern als orientalischer Despot, ja, dem antiken Kirchenhistoriker Euseb gar als Geißel Gottes erschien.
Alexander Demandt – international anerkannter Fachmann für die Spätantike – hat Diokletian (284–305 n. Chr.) eine lange fehlende Biographie gewidmet. Diokletian hat nach fünfzig Jahren außen- und innenpolitischer Wirren das Reich wieder stabilisiert. Er hat durch seine Tetrarchie (Vierkaiserherrschaft) mit zwei Augusti und zwei Caesares in ihren grenznahen Residenzen das allseits, zumal von Germanen und Persern, bedrohte Imperium gesichert, durch seine Reichsreform die Verwaltung dezentralisiert und, ständig unterwegs, weit über tausend dauerhaft gültige, im Corpus Iuris Civilis erhaltene Gesetze erlassen und Rechtsfragen im Geiste Marc Aurels entschieden, mehr als irgendein anderer Kaiser. Gescheitert ist er mit seiner Preiskontrolle, dem Wahlkaisertum und der letzten Christenverfolgung. Er regelte die Nachfolge und zog sich nach zwanzig Jahren inneren Friedens als Gärtner in seinen Alterspalast Spalato/Split zurück.
Alexander Demandt lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin. Im Verlag C.H.Beck sind erschienen: Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt (1984/2014); Die Spätantike. Römische Geschichte von Diokletian bis Justinian 284–565 n. Chr. (1989/2007, Handbuch der Altertumswissenschaft III 6); Geschichte der Spätantike (1998/2022) sowie folgende Biographien: Alexander der Große (2009/2013); Pontius Pilatus (2012); Marc Aurel (2018/2020).
Diokletian mit Lorbeerkranz
Karte 1: Imperium Romanum um 300
Vorspruch
I: Die Quellen unseres Wissens
1. Die Geschichtsschreibung
2. Die lateinische Panegyrik
3. Die Kirchenväter
4. Die byzantinischen Autoren
5. Inschriften, Münzen, Gesetze
II: Die Anarchie unter den Soldatenkaisern
1. Das Ende der Severer 235
2. Die ersten Soldatenkaiser
3. Der Tiefstand unter Gallienus 260 bis 268
4. Der Beginn der Konsolidierung
III: Die Erhebung Diokletians 284/285
1. Der Perserkrieg 279 bis 284
2. Wahl und Proklamation in Nikomedien
3. Herkunft, Name, Familie
4. Die Ermordung Apers
5. Der Sieg über Carinus 285
6. Kein Marsch auf Rom
7. Der erste Sarmatenkrieg 285
8. Hauptstadt Nikomedien
IV: Das Experiment der Tetrarchie
1. Mehrherrschaft
2. Erbfolge oder Auswahl?
3. Maximian wird 285/286 Mitkaiser
4. Die Tetrarchie 293
5. Die Herkunft der Caesaren
6. Die Aufgabenbereiche
7. Die Tetrarchen in der Kunst
V: Die Kämpfe im Osten
1. Parther und Sassaniden
2. Sarazenen und Sarmaten 288–296. Galerius 1. März 293 Caesar.
3. Galerius in Ägypten 293/295
4. Galerius 296 besiegt und bestraft?
5. Die Königsfamilie 298 gefangen
6. Die Rebellion des Achilleus 296/298
7. Diokletian in Oberägypten 298/299
8. Der Friede von Nisibis 299
9. Die Wettkämpfe in Antiochia 300
10. Diokletian 302 in Alexandria
11. Die Kaiser an der Donau 299 bis 303
12. Die Befestigung der Ostgrenze
VI: Die Sicherung des Westens
1. Bagauden und Rheingermanen in Gallien 285
2. Carausius 286 in Britannien
3. Franken und Laeten 287
4. Rheinübergang, Kaisertreffen in Augsburg 288 und Mailand 291
5. Constantius Caesar an der Nordseeküste 293
6. Das Bleimedaillon aus Lyon
7. Britannien 296 wiedergewonnen
8. Alamannen vor Langres und Vindonissa 300/303
9. Die Rheingrenze
10. Maximian in Africa 296/298
VII: Die Reichsreform
1. Das Hofzeremoniell
2. Der Gottkaiser
3. Das Herrscherbild
4. Die Insignien
5. Die Titulatur
6. Die Staatsfeste
7. Die Zentralverwaltung
8. Provinzen und Diözesen
9. Die Städte
10. Gesetzgebung und Rechtsprechung
VIII: Geld und Wirtschaft
1. Prägestätten und Werteinheiten
2. Münzpropaganda
3. Steuern und Bodenbindung
4. Frondienste
5. Staatsausgaben
6. Das Höchstpreisedikt 301
7. War die Finanzlage fatal?
IX: Die Christenverfolgung
1. Religion in Rom
2. Diokletians Glaube
3. Mani und die Alchemie
4. Nero und Domitian
5. Trajan bis Aurelian
6. Das Edikt von 303
7. Die Verfolgung im Osten. Schonung der Juden
8. Prozesse im Westen
9. Die Zahl der Opfer
10. Das Ende der Verfolgung 311
11. Die christliche Deutung
12. Der geistige Widerstand gegen das Christentum
13. Die Aera Diocletiani
X: Das neue Heer
1. Der Grenzschutz
2. Feldherr und Garde
3. Neue Legionen
4. Die Reiterei
5. Die Bewaffnung und Besoldung
6. Die Sicherheitspolizei
7. Die Flotte
8. Die Rekrutierung
9. Die Germanisierung
XI: Die Bauten der Tetrarchen
1. Rom
2. Sirmium und Nikomedien
3. Antiochia
4. Spalato
5. Mailand
6. Aquileia, Spanien und Africa
7. Trier
8. Thessalonica und Serdica
9. Romuliana und Sharkamen
10. Umbenennungen
XII: Abdankung, Tod und Nachfolge
1. Triumph in Rom 303
2. Die Erkrankung Diokletians 304
3. Kaiser im Ruhestand
4. Die Abdankung und die zweite Tetrarchie 305
5. Die Kaiserkonferenz von Carnuntum 308
6. Der Tod 316
7. Consecratio oder damnatio?
8. Prisca und Valeria
XIII: Diokletian nach Diokletian
1. Christliche Stimmen
2. Altgläubige Autoren
3. Märtyrerlegenden
4. Dichtung und Oper
5. Diokletian in der Geschichtsschreibung
6. Bilanz
ANHANG ZU IV: Die Kaisererhebungen von Maximian und Galerius
ANHANG ZU V: Galerius 297/298 nicht in Ktesiphon
ANHANG ZU VII: Die Prätorianerpräfekten Diokletians
Übersicht
ANHANG ZU XII: Diokletian starb 316
Anhang zu XII Diokletian starb 316
Anmerkungen
I. Die Quellen unseres Wissens
II. Die Anarchie unter den Soldatenkaisern
III. Die Erhebung Diokletians 284/285
IV. Das Experiment der Tetrarchie
V. Die Kämpfe im Osten
VI. Die Sicherung des Westens
VII. Die Reichsreform
VIII. Geld und Wirtschaft
IX. Die Christenverfolgung
X. Das neue Heer
XI. Die Bauten der Tetrarchen
XII. Abdankung, Tod und Nachfolge
XIII. Diokletian nach Diokletian
Tetrarchen-Tabelle
Stammtafel zur Tetrarchie
Chronik
Karten
Abkürzungen
Mehrfach benutzte Literatur
Abbildungsnachweis
Innenteil
Tafelteil
Register
Werner Portmann 1951–2012 zum Gedenken
Tafel I. Diokletian-Kopf aus Nikomedien/Izmir, Istanbul, Archäol. Museum (zu Kap. VII 3).
Tafel II. Die Tetrarchengruppe in Venedig an San Marco. Höhe mit Basis 1,59 m (zu Kap. IV 7).
Tafel III a. Köpfe der Tetrarchengruppe in Venedig. Links der bärtige Augustus (Diokletian oder Maximian), rechts der bartlose Caesar (Galerius oder Constantius).
Tafel III b.c. Argenteus von 294 aus Rom. V: Diokletian mit Lorbeerkranz DIOCLETIANUS AUG. R: Tetrarchen opfern vor einem Kastelltor. VIRTUS MILITUM. Museum Frauenfeld (zu Kap. IV).
Tafel IV. Die Tetrarchensäule im Vatikan. Die beiden Caesaren Constantius und Galerius. (zu Kap. IV 7).
Tafel V. Der Diokletianspalast Spalato. Modell von Ernest Hébrard 1912, hier geschickt ergänzt um die beiden Rundtempel vor dem Juppitertempel (zu Kap. XI 4).
Tafel VI. Der zentrale Säulenhof (Peristyl) im Diokletianspalast. Aquarell von Rudolf von Alt, 1841. Links der Aufgang zum Mausoleum, rechts zum Juppitertempel. Blick nach Südsüdwest auf den Repräsentationstrakt (zu Kap. XI 4).
Tafel VII. Das Mausoleum von Spalato nach L. F. Cassas 1782 (zu Kap. XI 4).
Tafel VIII. Die Innenkuppel im Mausoleum von Spalato (zu Tafel VII und zu Kap. XI 4).
Tafel IX. Porphyrkopf des Galerius aus Romuliana/Gamzigrad, überlebensgroß, um 306. Museum Zajecar, Serbien (zu Kap. XI 9).
Tafel X. Fußbodenmosaik aus Palast I in Romuliana mit einem Labyrinth in einer ummauerten Stadt mit sechs Toren. Der Weg führt von dem einzig offenen Tor oben rechts in den oberen Rhombus, dann in den linken und weiter in den rechten und endet tot im Mittelrondell. In den Ecken Vasen und Amazonenschilde. Heute im Museum Zajecar, Serbien (zu Kap. XI 9).
Tafel XI. Sandstein-Stele aus dem Bucheum bei Luxor. Oben Flügelsonne mit Uraeus-Schlangen und zwei Schakalen. In der Mitte opfert Diokletian als Pharao mit der Doppelkrone für Unter- und Oberägypten dem vergötterten Buchis-Stier. Unten auf der dritten Zeile in den Kartuschen die Namen Diokletian, Maximian und Caesar Maximian (Galerius) und das Regierungsjahr 12 gleich 296/7 n.Chr. (Vgl. Kap. V 7).
Die Fresken im Kaiserkultraum des Juppiter-Ammon-Tempels in Luxor, um 300 (zu Kap. IV 7 und V 7). Tafel XII. Ost- und Südwand mit Apsis. Tafel XIII. a. Südwand linke Hälfte mit Kaiser in der Apsis. b. Südwand rechte Hälfte. c. Ostwand.
Tafel XIV. Die «Pompeius»-Säule Diokletians in Alexandria nach Vivant Denon, der 1798/99 als Maler und Kunstsammler Napoleon nach Ägypten begleitete. 1802 erschien seine zweibändige ‹Voyage dans la Basse et la Haute Egypte› (zu Kap. V 10).
Tafel XV a. Der heilige Menas zu Pferd, russisch 19. Jahrhundert, aus dem Dorf Baniska (zu Kap. XIII 3).
Tafel XV b. Reliquienschrein des heiligen Mauricius in St. Maurice/Agaunum, 1225 (zu Kap. XIII 3).
Tafel XVI. Münzen
Oben: 1. Medaillon zu 5 Aurei, 287 n.Chr. Rom. V: Büsten in Konsularstracht, IMPP (= IMPERATORIBUS) DIOCLETIANO ET MAXIMIANO AVGG (=AUGUSTIS). 2. R: Processus consularis, die Kaiser auf der Elefantenquadriga, daneben Männer mit Palmwedeln, darüber Victoria IMPP (= IMPERATORIBUS) DIOCLETIANO ET MAXIMIANO COSS (= CONSULIBUS) (Zu Kap. VIII 2). Mitte: 3. Medaillon zu 2,5 Aurei, 293 n.Chr. Trier. V: Panzerbüste mit Strahlenkrone IMPERATOR DIOCLETIANUS PIUS FELIX AUGUSTUS. 4. Medaillon zu 10 Aurei, 294 n.Chr. Nikomedien. V: Kopf barhäuptig IMPERATOR CAESAR CAIUS DIOCLETIANUS PIUS FELIX AUGUSTUS. 5. Medaillon zu 1,4 Aurei. V: Juppiterkopf im Lorbeerkranz. IOVI CONSERVATORI. Fund 1975 aus Trier unter der Moselbrücke. Unten: 6. Medaillon zu 5 Aurei, 298/299 n.Chr. Trier. V: Constatius im Löwenskalp des Herkules. FLAVIUS VALERIUS CONSTANTIUS NOBILISSIMUS CAESAR. 7. Medaillon zu 10 Aurei, 296/299 n.Chr. Trier. V: Büste mit Lorbeerkranz im Panzer und Paludamentum (purpurn zu denken). FLAVIUS VALERIUS CONSTANTIUS NOBILISSIMUS CAESAR. 8. R: Constantius zu Pferd wird von einer Frau begrüßt, die vor dem Stadttor von LONdinium kniet. Darunter ein Kriegsschiff. REDDITOR LUCIS AETERNAE – Bringer des ewigen Lichts (zu Kap. VI 7).
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.
MK. 12,17
Die römische Geschichte gliedert sich in zwei Großperioden von je rund einem halben Jahrtausend: in die Zeit der Republik und die Kaiserzeit. Die Republik unter den Konsuln beginnt nach der legendären Königszeit von 753 bis 510 und endet nach der Eroberung des erweiterten Mittelmeergebiets in der «römischen Revolution», gerechnet von den Gracchen 133 bis zur Beendigung des Bürgerkriegs durch den Seesieg des Augustus über Antonius bei Actium 31 v. Chr. Die Kaiserzeit folgt nach der Diktatur Caesars (49 bis 44) seit der Sicherung der Alleinherrschaft des Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.). Das konsolidierte Imperium, die Pax Romana, mündet in die erneuten Bürgerkriege der Reichskrise nach dem Ende der Severerdynastie 235. Die folgende Herrschaft der kurzlebigen Soldatenkaiser bildet den Übergang zur Spätantike und unterteilt damit die Kaiserzeit in die Phasen des Prinzipats und des Dominats. Letzteres beginnt mit Diokletian 284 und Constantin 306, endet im Westen mit Romulus Augustulus 476 und geht im Osten während der Herrschaft Justinians (527 bis 565) über in die byzantinische Zeit.
Diokletian hat in dieser Periodisierung eine Doppelstellung. Wohin gehört er? Rechnen wir ihn nicht mehr im engeren Sinne zur Zeit der Reichskrise, aber auch noch nicht zur Spätantike, die strenggenommen erst mit Constantins Wende zum Christentum beginnt, so steht er zwischen den Zeiten, in einem namenlosen Niemandsland der Periodisierung. Dennoch hat er Anspruch auf eine doppelte Zugehörigkeit, auf eine Position als Kaiser zweier Zeiten. Denn einerseits kann er nach seiner Herkunft aus dem Offizierscorps als der letzte Soldatenkaiser gelten, andererseits aber durch seine folgenreichen Reformen, die Verlagerung der Regierung von Rom an die Grenzen, den Hauptstadtwechsel, die Neugliederung der Provinzen und die Festschreibung des Hofzeremoniells als erster Kaiser der Spätantike firmieren. Seine Regierungszeit erscheint als Schnittmenge der beiden Epochen, die sich hier überlappen. So verbindet sich in ihm janusartig ein Ende mit einem Anfang. Das gemahnt an die Doppelbürgerschaft Caesars in der Abendröte der Republik und in der Morgensonne der Kaiserzeit und an die in beiden Fällen ähnliche Rolle des Wegbereiters – wie Caesars für Augustus, so Diokletians für Constantin.
Daneben gibt es Alleinstellungsmerkmale Diokletians unter den Kaisern. Schon der steile Aufstieg aus dem Sklavenstand über die Freilassung, den Kriegsdienst und die Offizierslaufbahn zum Kaisertum war einzigartig. Aus der Regierungszeit sind singulär die Tetrarchie, das abgestufte regionale Mehrkaisertum der Augusti und Caesares, der letzte Versuch, das mit der gesamtantiken Religiosität unvereinbare Christentum zu beseitigen, die mißlungene umfassende Preiskontrolle und die Abdankung nach einer geplanten Regierungszeit von zwanzig Jahren mit geregelter Nachfolge. Dafür gibt es in der römischen Geschichte keine Parallele.
All dies ist Grund genug, den Kaiser nochmals in Erinnerung zu rufen. Das Wort der Evangelisten über das, was dem Kaiser gebührt, betrifft die Pflicht der Zeitgenossen wie die der Nachgeborenen, dort für das, was für den Fiskus zu leisten ist, hier, was dem Gedenken geschuldet wird. Diokletian stand mir nahe durch meine Besuche in Split bei einer Dalmatienexkursion mit Helmuth Schneider, Werner Portmann und Studenten der Freien Universität Berlin vor 40 Jahren, im September 1981, dann durch einen Vortrag bei Herwig Roggemann 2001, den Kongreß von 2003 bei Karlo Grenc und die Einladung von und zu ihm 2013, als das Diokletiansdenkmal in Arbeit war. Nun steht es vor dem Palast.
Die Idee, mich im Ruhestand mit einer Biographie des Kaisers zu betrauen, stammt von Christian Heucke (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt) auf der Frankfurter Buchmesse 2016, wurde aufgegriffen von Detlef Felken und verwirklicht unter der Ägide von Stefan von der Lahr, assistiert von Andrea Morgan. Meine Verbindung mit dem Hause C.H.Beck seit 1974 führte nun zu meinem dreißigsten Titel in diesem Verlag. Nach Alexander dem Großen (2009) und Marc Aurel (2018) ist es mein dritter und letzter Versuch einer antiken Herrscherbiographie.
Wenn ich hier vielfach auf eigene Vorarbeiten zurückgegriffen habe, zumal auf die beiden Vorträge in Split und den bei Sabine Huebner in Basel 2016 sowie auf mein Handbuch ‹Die Spätantike› (3. Auflage 2018), wird man das dem notorischen Polygraphen nachsehen. Man kann auch aus eigenen Büchern lernen. Es ist manchmal erstaunlich, was man alles gewußt – und vergessen hat und wieviel man immer noch dazulernen muß.
Dank für Hilfe und Hinweise schulde ich wiederum mehreren Kollegen: für Münzen Kay Ehling und Hans-Christian Noeske, für Inschriften Manfred Clauss und Hartwin Brandt, für Iranica Josef Wiesehöfer und Dietrich Huff, für Aegyptiaca Wolfgang Schenkel und Renate Müller-Wollermann, für Judaica Ernst Baltrusch und Peter Schäfer, für Technisches Helmuth Schneider, für Rechtsfragen Detlef Liebs, für die Kirchenväter Beat Näf, für Archäologisches Adolf Borbein, für Literatur Paul Dräger, Klaus Girardet, Elisabeth Hermann-Otto, Ulrich Wiemer und Ingomar Weiler, und immer wieder Alina Soroceanu sowie Wolfgang Kuhoff für sein gigantisches Opus von 2001 und ergänzende Mitteilungen. Während der Korrekturphase verstarb Maria Radnoti-Alföldi in Frankfurt (6. Juni 1926 bis 7. Mai 2022), mit der ich seit über 60 Jahren befreundet war und die mir noch im letzten Winter numismatische Auskünfte erteilte. Gernot Eschrich hat den Text ein erstes Mal, Eva Fürst ein zweites Mal korrigiert. Die – wahrlich! – nicht nur technische Hilfe verdanke ich nun zum sechsten Mal Dir, Hiltrud, Duchessa von Heiligensee, mit deiner wachen Kritik und deiner Engelsgeduld.
Lactanz, durch sein Werk De mortibus persecutorum der wichtigste Gewährsmann für die Tetrarchie, beendete seine Schrift über das Wirken Gottes De opificio Dei von 303/304 mit dem Bekenntnis, nullam aliam ob causam vivere optaverim, quam ut aliquid efficiam, quod vita dignum sit et quod utilitatem legentibus … afferat. Aus keinem anderen Grunde wollte er leben als darum, um etwas zu schaffen, was des Lebens würdig ist und Lesern Nutzen bringt. Eben dieses wünsche ich mir zu meinem heutigen 85. Geburtstag.
Lindheim, 6. Juni 2022Alexander Demandt
Tutissimum est ipsos adire fontes.
ERASMUS 1516
I
1. Die Geschichtsschreibung – 2. Die lateinische Panegyrik – 3. Die Kirchenväter – 4. Die byzantinischen Autoren – 5. Inschriften, Münzen, Gesetze
Alles, was wir über die ältere Geschichte wissen oder zu wissen glauben, beruht auf Quellen. Da uns die Vergangenheit verschlossen ist, befragen wir in der Gegenwart vorhandene Dokumente nach den Bedingungen ihrer Entstehung und ihrem Aussagewert für die Geschichte. Eine Quelle ist das Ende eines Vorgangs und der Anfang seiner Erkenntnis. Wir unterscheiden Quellen in solche, die der Nachwelt Kunde vermitteln sollten, so die Historiographie und die Inschriften, und solche, die als bloße Überreste erhalten blieben, so die Gelegenheitsreden, die Papyri und die Münzen.[1] In beiden Fällen bedarf es der Quellenkritik, die im ersten Fall die Verläßlichkeit, im zweiten den Informationsgehalt prüfen muß. Wenn Erasmus in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Neuen Testaments 1516 die Aufforderung Ad fontes! formulierte, so betraf dies die von der Tradition zugewucherte Frohe Botschaft. Wie der Theologe die Quelle des Glaubens sichten muß, so der Historiker die Quellen des Wissens. Wie dabei zu verfahren?
Als die reiche Stadt Kroton in Unteritalien ihren Heratempel mit Gemälden schmücken wollte, gewann sie dafür den Maler Zeuxis, berühmt für seine Darstellung weiblicher Schönheit. Zeuxis schuf eine Galerie und wollte sie mit einem Bildnis der Helena krönen. Zu diesem Zweck ließ er sich von den Krotoniaten die schönsten Jungfrauen der Stadt vorführen. Von diesen wählte er als Modell aber nicht eine einzige, sondern deren fünf. Er erklärte, an keiner Frau seien alle Körperteile gleichermaßen vollkommen, darum suche er sich für jeden das schönste Vorbild unter den fünf Mädchen für seine Helena aus.[2]
Nach diesem Muster, schreibt Cicero, wählte er das Material für seine Schrift ‹Über die Auffindung des Stoffes›, und ebenso geht der Historiker vor. Keine Quelle genügt allein, er muß sammeln und sortieren, das Passende, Verläßliche für sein Thema auswählen und anordnen. Unsere ergiebigsten Quellen sind die erzählenden Texte der antiken Historiker, die – anders als die Inschriften, Münzen und Papyri – nicht im Original, sondern nur als Kopien und als Kopien von Kopien erhalten sind. Was von antiker Literatur überhaupt erhalten blieb, verdanken wir überwiegend den Kopisten in den Klöstern. Die uns vorliegenden Geschichtswerke gehen in der Regel auf einen dort entstandenen verlorenen Archetypus zurück, auf ein einziges Exemplar, das die Völkerwanderungszeit überdauert hat und dann abgeschrieben und vervielfältigt wurde. Hier ist Textkritik gefordert.[3] Unsere historische Literatur der Antike umfaßt kaum ein Zehntel dessen, was es einmal gab.[4]
Die Zeit der Soldatenkaiser und der Tetrarchie, gerechnet vom Ende der Severerdynastie, dem Tod von Severus Alexander 235, bis zum Beginn der Dynastie Constantins 306, ist so ereignisreich wie quellenarm. Sie hat keinen erhaltenen zeitgenössischen Darsteller gefunden. Daß die verlorenen ersten 13 Bücher des Ammianus Marcellinus aus der Zeit um 390 hier einen gewissen Ersatz geboten hätten, zeigen die elf Rückblicke auf Diokletian in den Büchern über die Zeit von 353 bis 378.[5]
Für das dritte Jahrhundert sind wir auf eine gestückelte Quellenbasis angewiesen. Wertvolle Nachrichten über die Jahre bis 229 unter Severus Alexander verdanken wir dem Griechen Cassius Dio aus Nicaea. Sein monumentales Werk ist unsere wichtigste Quelle für die Kaiserzeit. Dio bekleidete seit Commodus (180–192) hohe Reichsämter und verfaßte 80 Bücher über römische Geschichte. Die fortlaufende Erzählung seit Claudius (41–54) ist zwar verloren, doch gibt es ausführliche Exzerpte aus byzantinischer Zeit durch Zonaras und Xiphilinos im 11. Jahrhundert. Jüngerer Zeitgenosse Dios war Herodian. Seine ebenfalls griechische Kaisergeschichte von Marc Aurel (161–180) bis zum Regierungsantritt Gordians III 238 trägt belletristische Züge. Das gilt zumal für die Reden, die seit Thukydides mehr oder weniger rhetorische Zutaten der Historiker sind.
Sprachlich an Thukydides orientierte sich Dexippos. Er stammt aus einer altathenischen Priesterfamilie und trat 267 im Kampf gegen die Heruler hervor.[6] Von seinem umfangreichen Geschichtswerk besitzen wir aus den Skythika, der Gotengeschichte, nur wenige Bruchstücke über die Jahre 238 bis 274.[7] Aufsehen erregte ein 2014 vorgelegter Textfund aus der Wiener Hofbibliothek, die ‹Scythica Vindobonensia›.[8] Es handelt sich um vier Pergamentblätter, die zu den 240 griechischen Handschriften gehören, die der flämische Humanist Ogier Ghiselin von Busbeck 1562 über Venedig aus Konstantinopel nach Wien gebracht hatte. König Ferdinand hatte ihn 1554 als Gesandten mit dem Jahrestribut von zehntausend Dukaten zu Suleiman dem Prächtigen geschickt. Busbeck brachte zudem eine schwere Last antiker Münzen mit, die ersten Tulpen- und Hyazinthenzwiebeln, Fliedersamen und Roßkastanien sowie Sprachzeugnisse der Krimgoten, die er in Ankara getroffen hatte, und die erste Abschrift des Monumentum Ancyranum, des Rechenschaftsberichts des Kaisers Augustus.[9] Die vier Pergamentblätter sind im 13. Jahrhundert überschriebene Palimpseste, auf denen die Slowakin Jana Gruskova den nicht ganz ausgelöschten Dexippostext entdeckte. Er wurde mit modernster Technik entziffert und bereichert unser Wissen über den Goteneinfall von 267.[10]
Kurzgefaßte Berichte über das 3. und frühe 4. Jahrhundert gehen zurück auf die lateinische Enmannsche Kaisergeschichte. Sie ist verloren, wurde aber 1884 überzeugend postuliert von Alexander Enmann aufgrund von inhaltlichen und stilistischen Übereinstimmungen bei mehreren Autoren des 4. Jahrhunderts, die alle dieselbe Quelle benutzen.[11] Sie reichte bis zum Tode Constantins 337, umfaßte mithin die Zeit Diokletians.[12] Zu den Benutzern zählt Aurelius Victor, der unter Julian (361–363) und Theodosius (379–395) hohe Ämter bekleidete und Kurzviten der Kaiser bis 360 schrieb. Eine erweiterte Fassung bietet die Epitome de Caesaribus mit Viten bis 395.[13] Ein hoher Beamter der Zeit war ebenso Eutropius, der gleichfalls ein Breviarium mit Kaiserviten bis zu Jovian 364 hinterließ.[14] Das kleine Werk diente bis in die frühe Neuzeit als Schulbuch der Geschichte und wurde erstaunlicherweise ins Griechische übersetzt. Amtsnachfolger Eutrops war Rufius Festus. Sein kurz gefaßter Überblick über die Geschichte der Provinzen, namentlich die an der Ostgrenze, reicht ebenfalls bis 364.[15] Die genannten Historiker gehören zu den Breviatoren, die in knapper Form Grundwissen vermitteln wollten, das mangels Schulbildung zumal bei den Soldatenkaisern fehlte.
Ergiebig für das 3. Jahrhundert ist die Biographiensammlung der Scriptores Historiae Augustae, angeblich verfaßt von sechs unbekannten Autoren. Sie behandeln die 30 Kaiser von Hadrian (117–138) bis zu Carinus (283–285), dem Vorgänger Diokletians, also die Zeit von 117 bis 285 mit einer Lücke von 244 bis 253. Die Widmungen an Diokletian und Constantin (306–337) enthalten auch Aussagen über sie. 1889 wies Hermann Dessau nach, daß die Sammlung von einem einzigen Autor aus dem späteren 4. Jahrhundert stammt, dessen Identität, Zeit und Tendenz strittig sind. Während die ersten Viten verläßlich berichten, sind die späteren romanhaft ausgestaltet.[16] Aus der Zeit um 390 stammt die propagandistisch gefärbte Origo Constantini.[17] Knapp berichtet der Augustinus-Schüler Orosius 418 über die Tetrarchen.[18]
Zum kaiserlichen Zeremoniell gehörte die Panegyrik. Griechisch panēgyris bezeichnet das Volksfest, wenn «alle» auf der «Agora» versammelt sind. Daraus entstand der Name für eine Literaturgattung, für Lobreden, wie sie schon um 400 v. Chr. von dem Sophisten Gorgias und dem Rhetor Isokrates gehalten wurden. Die Griechen in ihrer «leichtfertigen Geschwätzigkeit» nennt Isidor von Sevilla (†636) die Erfinder der Gattung, ein Übel, wegen der lügnerischen Schmeichelei.[19] Im 3. Jahrhundert n. Chr. verfaßte Menander von Laodikaia eine Musterschrift für die Abfassung von Preisreden auf Herrscher, die in Rom bei Hofe zu festlichen Anlässen auf den Kaiser gehalten wurden. Gefeiert wurden Geburtstage des Herrschers, der Stadt Rom oder der jeweiligen Residenz, der Jahrestag der Regierungsübernahme, der Konsulatsantritt zu Neujahr, eine Hochzeit im Kaiserhaus oder sonst ein erfreuliches Ereignis. Über Name, Stellung und Entlohnung des Redners ist wenig bekannt.[20]
Aus der Zeit von Diokletian bis Justinian sind fast sechzig dieser Kaiserreden in Prosa oder Poesie erhalten.[21] Der Herrscher wird gepriesen wegen seiner mustergültigen Eigenschaften und seiner berühmten Ahnen, die nicht immer echt sind, wegen seiner Leistungen und Siege. Oft wird an ältere historische oder mythische Ereignisse und Erfolge erinnert, die der Jubilar wiederholt oder in den Schatten gestellt habe. Die von ihm berichteten Siege sind oft übertrieben, die erlittenen Niederlagen werden verschwiegen, innenpolitische Gegner unterliegen der Namensstrafe, sie bleiben anonym.
All dieses gilt für die auf die Tetrarchen und auf Constantin gehaltenen Preisreden, die Panegyrici Latini.[22] Entkleiden wir sie des gattungsbedingt rhetorischen Schmucks, so lassen sich ihnen wertvolle Angaben entnehmen. Die in Gallien, vermutlich in Trier, entstandene Sammlung wurde 1433 von dem Humanisten Johannes Aurispa in der Mainzer Dombibliothek entdeckt und 1482 zuerst in Mailand gedruckt. Sie enthält zwölf Reden, beginnend mit der als Lehrbeispiel vorangestellten langen Preisrede auf Kaiser und Reich, die der jüngere Plinius am 1. Januar 100 zum Dank für die Verleihung des Konsulats vor und auf Trajan (98–117) gehalten hat. Vier Reden der Kollektion betreffen Tetrarchen. Am 21. April, am «Geburtstag» Roms 289 pries der unbekannte Rhetor Mamertinus in Trier den Augustus Maximianus (X/II) und 291 ebenfalls in Trier wiederum den gleichen Kaiser zu seinem Geburtstag am 21. Juli (XI/III). Ihm gilt auch das dort 297 am 1. März, seinem dies imperii, gespendete Lob des Rhetors Eumenius aus Autun (VIII/V), der sich 298 bei ihm für ein hohes Jahresgehalt von 600.000 Sesterzen bedankt, das er für den Neubau der Schule stiftet (IX/IV 3,4; 11,1 ff.).
Vier unbekannte Redner sprachen vor Constantin, 307 in Trier zu seiner Hochzeit mit Fausta, der Tochter Maximians, der ihm den Augustus-Rang bestätigte (VII/XI), dann 310 ebendort nach der Beseitigung Maximians und der Konstruktion eines edleren Stammbaums (VI/VII), weiter 311 zu den Quinquennalien Constantins am 25. Juli (V/VIII) und 313 nach dem Sieg über den Schwager Maxentius (XII/IX). Wohlbekannt ist der Redner Nazarius, der 321 in Rom die Laudatio hielt auf den Kaiser und die Quinquennalien seiner Söhne und Caesaren Crispus und Constantin II (IV/X). Der verabredungsgemäß 317 gleichzeitig mit ihnen erhobene Sohn des Licinius (Licinianus 317–326) wurde ignoriert. Die Redner schmücken die Kaiser gemäß dem Herrscherideal der Tetrarchie mit allen Tugenden,[23] sie respektieren die Devisen und Tabus der Kaiser. Die Aussagen über sie sind bisweilen mit ihnen abgesprochen, Propaganda, ja Pseudologie.[24]
Ausführlich über das 3. Jahrhundert und die Tetrarchie berichtet der Kirchenvater Lactanz. Ihn hatte Diokletian aus Africa auf einen Lehrstuhl für Latein nach Nikomedien berufen, wo er konvertierte. Fehlende Lateinschüler verschafften ihm Zeit für seine Schriftstellerei.[25] Bei der Christenverfolgung 303 geschah ihm nichts. Nach dem Tode Diokletians 316[26] schrieb er sein «sadistisches Pamphlet»[27] De mortibus persecutorum, in dem er zeigen wollte, daß die Verfolger von Gott durch einen bösen Tod gestraft worden seien. Lactanz liefert unentbehrliche Informationen, aber schreckt in seinem blinden Haß gegen die Christenfeinde vor «gezielter Geschichtsfälschung» nicht zurück.[28] Diokletian wird als Verbrecher behandelt,[29] andere wie Galerius und Daia werden in einer derart üblen, unsauberen Weise geschmäht, daß die Zuweisung der erst 1678 im Kloster Moissac am Tarn entdeckten Invektive lange – bis 1902 – dem Kirchenmann nicht zumutbar erschien.[30]
Lateinisch erhalten ist die Weltchronik des Eusebios, des griechischen Kirchenvaters und seit 313 Bischofs von Caesarea Maritima in Palästina.[31] Sie enthält zwar nur stichwortartige Nachrichten, bildet aber die Grundlage für die antike Chronologie überhaupt. Sie endet 327 und wurde von Hieronymus ins Lateinische übersetzt und bis 379 fortgeführt.[32] Sehr ausführlich, wenn auch vielfach legendär und polemisch, ist Eusebs griechische Historia Ecclesiastica (HE)[33] zu den Christenverfolgungen, denen ebenso die Schrift über die Märtyrer in Palästina (MP) gewidmet ist. Die Vita Constantins (VC), mit dem Euseb auch persönlich verbunden war, ist eine Lobschrift in kaum erträglicher Schmeichelei.[34] Mommsen nannte Euseb einen «der verlogensten Skribenten».[35] Tendenziös im Stil der Kirchenväter sind die Äußerungen Constantins über Diokletian.[36]
Zu den kirchlichen Quellen für die diokletianische Christenverfolgung gehören die sogenannten Märtyrerakten.[37] Der Begriff geht zurück auf den römischen Kirchenhistoriker Caesar Baronius (†1607). Seine monumentalen ‹Annales ecclesiastici› verschafften ihm die Leitung der Vatikanischen Bibliothek. 1586 publizierte er sein ‹Martyrologium Romanum› mit den ‹Acta Martyrum›. Neben ganzen Heiligenviten gibt es dort Gerichtsprotokolle von Christenprozessen, die im Kern als authentisch gelten. Sie wurden von notarii in Kurzschrift, notae, auf Papyrus mitgeschrieben und gelangten irgendwie zur Kenntnis der örtlichen Gemeinde. Für den liturgischen Gebrauch wurden sie – falls erforderlich – aus der lateinischen Gerichtssprache ins Griechische übersetzt, erbaulich angereichert und für die Verbreitung stilistisch geglättet. Viele Akten lassen sich nicht sicher datieren oder sind überhaupt legendär. Ein knappes Dutzend fällt in die Zeit Diokletians.[38]
Einzelne, aber wichtige Nachrichten auf Griechisch verdanken wir byzantinischen Autoren. Zwei von ihnen waren Heiden geblieben: der Philosophiehistoriker Eunap von Sardes um 400, dessen Weltgeschichte als ganze verloren ist, und der advocatus fisci Zosimos unter Anastasius um 500 in Konstantinopel, in dessen Kaisergeschichte die Zeit Diokletians nicht erhalten ist. Ein allenfalls lauer Christ war Prokop, der letzte große Historiker der Antike. Sein Thema war die Zeit Justinians, doch vermerkt er auch einiges zu den Kämpfen im Osten, desgleichen der magister officiorum und Diplomat Petros Patrikios um 550 in Konstantinopel, er bringt einiges von der Perserfront, überliefert in den umfangreichen Beispielsammlungen, die vor 913 Constantinus VII Porphyrogenitus noch als «arbeitsloser» Kronprinz anlegen ließ. Sie dienten dem praktischen Brauch unter den Stichwörtern ‹Über die Gesandtschaften› und ‹Bemerkenswerte Aussprüche›, publiziert in den noch immer unersetzten ‹Fragmenta Historicorum Gracecorum› (IV 1868) von Carl Wilhelm Ludwig Müller. Aus dem 10. Jahrhundert stammt der «Suidas», das monumentale byzantinische Lexikon, die Suda, wo unter den 30.000 Begriffen auch Nachrichten über Diokletian stehen.
Mehrere Weltchroniken bieten Stoff. Die Fragmente des Johannes Malalas im 6. Jahrhundert betreffen seine Heimatstadt Antiochia. Zum 3. Jahrhundert erfahren wir Zusätzliches von Georgios Synkellos, dem Sekretär des Patriarchen Tarasios in Konstantinopel, als unter Kaiserin Irene auf dem letzten ökumenischen Konzil 787 zu Nicaea der Bilderdienst erneuert und der Ikonoklasmus, der den Osten seit 730 zerrüttet hatte, als Ketzerei verdammt wurde. Die Fortsetzung ab 284 unternahmen Theophanes, der im 8. Jahrhundert Abt in Kyzikos war, und Zonaras, der im 12. Jahrhundert in einem der Klöster auf der bewaldeten Marmorinsel Insel Prinkipo im Marmarameer lebte. Der Name «Prinzeninsel» erinnert an den Verbannungsort byzantinischer Thronanwärter, so seit 802 die verbannte Kaiserin Irene.
Die Inschriften zu Diokletian, seinen Kollegen und Vorgängern[39] sind weniger zahlreich und minder aussagehaltig als die der Zeit zuvor. Die Ausführung ist meist weniger akkurat. Der Rückgang der Weihinschriften der Soldaten entspricht der geringen Kenntnis des Schreibens im Heer, zumal bei den germanischen Einheiten. Die immerhin noch etwa 300 Inschriften der Tetrarchen sind bedeutsam durch die jeweils aktualisierten Siegerbeinamen der Kaiser – bei Diokletian in 18 Varianten.[40] Sie erleichtern eine Zeitbestimmung der Kriege. Unschätzbar ist die Inschrift mit dem Höchstpreisedikt,[41] neben dem Tatenbericht des Augustus auf dem Monumentum Ancyranum und der Lex de Imperio Vespasiani das bedeutsamste epigraphische Zeugnis der Kaiserzeit überhaupt.
Die einschlägigen Münzen und Gesetze, die Papyri und Denkmäler[42] sind unten im Text genannt. Zurückblickend auf die Quellenlage zeigt sich, wie sich unser Bild von Diokletian und seiner Zeit aus Elementen verschiedenster Herkunft und unterschiedlichstem Gehalt zu einem Ganzen zusammenfügt. Das aber gilt nicht nur hier. Paulus schreibt an die Korinther: ek merous gignōskomen, «aus Teilen gewinnen wir Erkenntnis».[43] Und wenn Luther übersetzt «Unser Wissen ist Stückwerk», sagt er, daß unser Wissen dann noch immer Stückwerk bleibt.
Passim confusaque omnia
AURELIUS VICTOR
II
1. Das Ende der Severer 235 – 2. Die ersten Soldatenkaiser – 3. Der Tiefstand unter Gallienus 260 bis 268 – 4. Der Beginn der Konsolidierung
Edward Gibbon schrieb 1776 in seiner monumentalen ‹History of the Decline and Fall of the Roman Empire› (ch. III): If a man were called to fix the period in the history of the world, during which the condition of the human race was most happy and prosperous, he would without hesitation name that which elapsed from the death of Domitian to the accession of Commodus. Mit diesen Worten beschrieb er die Glanzperiode der römischen Kaiserzeit.[1] Ein blühendes Städtewesen, eine geordnete Verwaltung, eine hochgradig arbeitsteilige Wirtschaft, ein lebhafter Verkehr auf einem engmaschigen Straßennetz in dem gesamten Raum zwischen Nordsee und Rotem Meer – derartiges hatte die Alte Welt noch nicht erlebt – und die Neue noch nicht wieder. Städte und Villen standen unbefestigt im Lande, kaum ein Prozent der Reichsbevölkerung trug Waffen, das Militär lag an Rhein, Donau und Euphrat und sicherte die Pax Romana.
Die Lobreden, die 100 n. Chr. der jüngere Plinius, ein Mann aus Oberitalien keltischer Herkunft, und 143 n. Chr. Aelius Aristides, ein Grieche aus Kleinasien, auf Kaiser und Reich gehalten haben,[2] zeigen uns vielleicht nicht die ganze Wirklichkeit, gewiß aber die Ideale eines Wohlfahrts- und Rechtsstaates, an denen das Imperium Romanum sich messen lassen konnte. Das war im Jahr 180 vorbei. Den Herrscherwechsel von Marc Aurel zu Commodus kennzeichnete schon Cassius Dio 222 n. Chr. als Zäsur, als Umschlag einer goldenen Herrschaft in eine solche von Eisen und Rost.[3]
Im dritten Jahrhundert vollzog sich der Übergang von der Zeit des Prinzipats in die Spätantike. Einfälle an allen Grenzen, Verteidigungs- und Bürgerkriege schwächten das Reich, zeitweilig drohte es zu zerfallen. Wir sprechen seit Léon Homo 1913 von der Reichskrise unter den Soldatenkaisern. Der Begriff kommt von griechisch krinein – «entscheiden». Die hippokratische Medizin verwendete das Wort krisis für die Zeit, in der sich entscheidet, ob ein Patient stirbt oder überlebt. Für die Reichseinheit stand das auf dem Spiel. Es fehlt nicht an entsprechenden Befürchtungen bei den Zeitgenossen. Jacob Burckhardt hat in seinen ‹Weltgeschichtlichen Betrachtungen› 1868 den geschichtlichen Krisen ein grundlegendes Kapitel gewidmet. Er versteht sie als «beschleunigte Prozesse» in der Politik, als «vitale Umgestaltung», sein Musterfall ist die Völkerwanderung, zu der das 3. Jahrhundert das Vorspiel darstellt.[4] Dazu ein Abriß:
Der grausame Commodus wurde Silvester 192 ermordet. Dem folgten Bürgerkriege, bis 194 Septimius Severus das Reich wieder stabilisierte. Sein Sohn Caracalla (211–217) sicherte 211 die Monarchie, indem er seinen Bruder und Mitherrscher in den Armen der Mutter erdolchte. Zukunftweisend war innenpolitisch seine Constitutio Antoniniana 212, die Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle freien Reichsangehörigen,[5] und außenpolitisch das Auftauchen eines neuen Feindes von europäischem Rang, der Alamannen. Aus mehreren germanischen Stämmen an der unteren Elbe hatte sich eine Kampfgemeinschaft gebildet, die sich «Alle Männer» nannte.[6] Ihre Reiter erschienen am Main, im Hinterland des Limes, wo mit Rom verbündete Kelten lebten. 213 zog Caracalla gegen sie, bekam sie aber nicht zu fassen. Die für seinen Triumph benötigten Gefangenen kaufte er bei den Chatten. Er wurde 217 von seinem Gardepräfekten und Nachfolger Macrinus umgebracht, den es 218 ebenso traf. Die Jahre unter dem Baalspriester aus Emesa/Homs Elagabal (218–222), seiner Großmutter Julia Maesa und seiner Mutter Julia Soemias sind durch die sexuellen Exzesse ein Schandfleck in der römischen Geschichte. Auch er starb mit seiner Mutter 222 den gewaltsamen Kaisertod.
Unter seinem Vetter und Nachfolger Severus Alexander (222–235) und seiner Mutter Julia Mamaea erschütterten mehrere Militärrevolten den inneren Frieden. Gefährlicher aber wurde eine äußere Bedrohung. Denn im Osten erhob sich ein neuer Dauerfeind. Im Jahre 224 besiegte der Sassanide Ardaschir, griechisch Artaxerxes, den letzten Partherkönig und übernahm die Macht in Persien.[7] Er erneuerte den Anspruch des Achämeniden Xerxes auf Asien und drang in die Provinz (Nord-)Mesopotamien ein.[8] Nisibis konnte er nicht nehmen, Severus Alexander schlug ihn zurück. Das feierte er 233 mit einem glänzenden Triumph in Rom, doch schon 234 mußte er wieder an die Front, diesmal an den Rhein, wie in Persien gemeinsam mit seiner herrschsüchtigen Mutter. Sie hatte ihm als Vierzehnjährigem durch eine Lüge den Purpur verschafft. Sie erklärte ihn zu einem unehelichen Sohn Kaiser Caracallas.[9]
Severus Alexander hatte für den Perserkrieg Truppen vom Rhein abgezogen und das nutzten – wie immer – die Germanen zu Raubzügen ins Reich. Zum ersten Mal durchbrachen die Alamannen im Jahre 233 den Limes und beraubten die Wetterau, das Decumatland nördlich und Raetien südlich der oberen Donau. Das belegen die Brandschichten und die zahlreichen vergrabenen Münzschätze. Die jeweils jüngsten Stücke stammen aus den Regierungsjahren von Severus Alexander. Die Rheinfront erforderte somit die Präsenz des Kaisers. In Mainz warteten die Truppen für die Strafexpedition, die der thrakische Präfekt Maximinus dort zusammengezogen hatte. Als der Kaiser mit weiteren Truppen von der Donau erschien, beschloß er nach dem Rat seiner Mutter, auf den Kampf zu verzichten. Er bot den Alamannen für eine hohe Summe Goldes einen Friedensvertrag an. Das empörte die kriegsbereiten Legionäre. Sie haßten die «Weiberherrschaft» und erhoben Maximinus Thrax (235–238) zum Kaiser. Er ließ Mutter und Sohn am 19. März 235 töten[10] und zahlte aus dem für die Alamannen bestimmten Geld das fällige Donativ an die Soldaten.
Mit dem Tod des Severus Alexander endete die Severerdynastie. Es folgte die turbulente Reichskrise der Soldatenkaiser,[11] die, zumeist als Usurpatoren vom Heer erhoben, keine Bestätigung durch den Senat mehr erbaten oder benötigten.[12] Er hat die Kaiser von sich aus anerkannt.[13] Da der Kaiser nicht an allen Brennpunkten zugleich sein konnte, mußte er die Abwehr der Barbaren den örtlichen Generalen überlassen, die nach einem Sieg dann oft die acclamatio imperatoria erhielten. In den fünfzig Jahren seit 235, bis Diokletian das Reich wieder festigen konnte, zählen wir 26 Herrscher, die als legitime Augusti gelten können; drei Caesaren, die untergeordnete Mitregenten geblieben sind, und 41 Usurpatoren von bloß regionaler Bedeutung, die sich nicht durchzusetzen vermochten, zusammen also 70 Kaiser.[14] Für den Zustand der betroffenen Provinzen hatte all das verheerende Folgen.
Im Regierungswechsel von Severus Alexander zu Maximinus Thrax sah Aurelius Victor den Beginn der Soldatenkaiserzeit. Unter Caracalla habe die von Septimius Severus gefestigte res publica Romana ihren Höhepunkt erreicht, unter Severus Alexander ihn noch wahren können, doch dann sei der status Romanus gleichsam jählings abgestürzt. Die Kaiser seien mehr darauf bedacht gewesen, ihre Herrschaft zu erhalten als das Reich zu sichern, gute und schlechte, vornehme und niedrige, ja barbarische Herrscher in rascher Folge. «Überall Durcheinander und Verwirrung», passim confusaque omnia.[15] Maximinus, der semibarbarus,[16] sei der erste ex militaribus von den Legionen erhobene, so gut wie ungebildete Kaiser gewesen, litterarum fere rudis.[17] Der Senat habe notgedrungen zugestimmt. Die Funktion des amplissimus ordo, der traditionell höchsten Autorität im Reich, beschränkte sich hinfort auf das Totengericht, die Entscheidung zwischen consecratio und damnatio memoriae. Einzelne Senatoren indes bekleideten noch hohe Ämter in der Zivilverwaltung.
Der Übergang der Herrschaft ans Militär entspricht einer langen Entwicklung, der sich ausbreitenden Teilhabe an der Staatsmacht. Sie spiegelt sich in der Zusammensetzung von Heer, Beamtenschaft und Senat. Diese staatstragenden Körperschaften ergänzten sich immer stärker aus immer entfernteren Gebieten.[18] Das läßt sich am deutlichsten an der regionalen Herkunft der Kaiser ablesen.[19] Nachdem in den julisch-claudischen Kaisern (14–68) ein stadtrömisches Geschlecht an der Spitze des Reiches gestanden hatte, übernahm mit den Flaviern (69–96) eine italische Familie die Herrschaft. Trajan und Hadrian stammten aus Spanien. Mit Septimius Severus erhielt (193–211) ein dunkelhäutiger Afrikaner[20] aus Lepcis Magna die Kaiserwürde, seine Frau gehörte einer syrischen Familie an. Die Soldatenkaiser der Zeit nach 235 kamen zumeist aus den Donauprovinzen, dem «kaiserschwangeren Pannonien».[21] Andreas Alföldi[22] sprach von der «staatsrettenden Rolle der Illyrier».
Mit der regionalen erweiterte sich die soziale Herkunft. Die Kaiser von Caesar bis Nero (49 v. Chr.–68 n. Chr.) waren Patrizier, gehörten somit dem altrömischen Geburtsadel an. Die Flavier, Vespasian und seine Söhne, stammten aus dem senatorischen Amtsadel. Die Adoptivkaiser (96–180) sind ebenfalls aus dem Munizipalbürgertum in den Reichsdienst aufgestiegen; auch sie waren, so wie noch die Severer (193–235), Senatoren. In Pescennius Niger (193–194) und Opellius Macrinus (217–218) finden wir zum ersten Male Männer aus dem Ritterstande auf dem Thron. So erweckt die innere Geschichte des Imperiums den Eindruck eines stetigen Ausgleichs der regionalen und sozialen Differenzen, einer Entwicklung hin zu einem völkerübergreifenden Gemeinwesen.
Der senatorisch gesinnte, bildungsstolze Aurelius Victor beklagt diesen Wandel zu dem Halbbarbaren Maximinus, räumt aber ein, er habe «nicht unvorteilhaft» gegen die Germanen gekämpft, und spielt damit auf den Feldzug an, den der Kaiser sofort nach dem Mord an Alexander unternommen hat.[23] Er führte allerdings nicht südwärts nach Württemberg,[24] sondern nordwärts durch das hessische Chattenland.[25] Die Römer zogen auf der schon 15 n. Chr. von Germanicus genutzten Trasse durch die Wetterau lahnaufwärts ins Fritzlarer Becken, dann an die Werra, vorbei am ehemaligen römischen Marschlager Hedemünden, angelegt 11 v. Chr. durch Drusus, und bogen dann ostwärts ab. Südlich vom Harz hatten sie es mit den Hermunduren zu tun. Irgendwo an der unteren Elbe, im Herkunftsgebiet der Alamannen, kam es zur «Schlacht im Moor», wo Maximinus in den Sumpf geriet, aber Heldentaten vollbrachte.[26]
Den Rückweg nahm der Kaiser am Nordrand des Harzes westwärts und gelangte hier ans Harzhorn, wo seit 2008 römische Funde gemacht werden, die uns über den Feldzug informieren. Es handelt sich um einen Engpaß zwischen einem Ausläufer des Harzes und einem Höhenrücken zehn Kilometer östlich von Gandersheim. Die Ausgräber entdeckten hier das neben dem Ort der Varus-Schlacht (9 n. Chr.) bei Kalkriese bislang größte archäologisch dokumentierte Schlachtfeld der Antike in Europa.[27] Aberhunderte von Rüstungsgegenständen und Kriegsgerät aller Art kamen, im Wald bewahrt, zutage. Münzen sichern die Datierung des Zuges auf 235/236; weit über tausend Schuhnägel zeigen den Abmarsch der Überlebenden in Richtung Mainz. Die Germanen hatten den Römern auf dem Rückweg aufgelauert, ganz ähnlich wie Arminius dem Varus bei Kalkriese. Wenn kaum germanische Waffen gefunden wurden, so deutet dies darauf, daß auch die Alamannen mit römischen Waffen kämpften. Das bestätigen zahlreiche Bodenfunde der Zeit vor und um 300, zumal von römischen Schwertern, massiert im Bereich der mittleren Elbe.[28] Die Gräber liefern zudem Luxuswaren aus Beutegut, sogar Brettspiele, die an die germanische Spielsucht erinnern.[29]
Zurück in Mainz, verkündete der Kaiser seinen «Sieg» durch den Beinamen GERMANICUS MAXIMUS, Münzparolen und ein Gemälde, das er vor die Senatskurie stellte.[30] Der Feldzug aber sicherte weder das Reich noch den Kaiser. Für die folgenden Kriege an der Donau gegen Sarmaten und Daker benötigte er Geld. Er begünstigte die Soldaten und bedrückte die Städte durch Steuerforderungen. In der russischen Forschung galt dies als Bestätigung des weltgeschichtlichen Klassenkampfes, der letztlich auch zum Ende des Imperiums geführt habe.[31] Aus dem Stadtbürgertum erhob sich jedenfalls Widerstand, indem im März 238 der Senator Gordianus I als Prokonsul von Africa zum Gegenkaiser erhoben wurde. Er ernannte seinen Sohn Gordianus II zum Mitherrscher, doch erlagen beide nach 22 Tagen dem Statthalter von Numidien.
Der Senat, der die Gordiane anerkannt hatte, kürte nun in Pupienus und Balbinus zwei Standesgenossen gegen Maximinus,[32] die nach 99 Tagen im Juni 238 im Kampf mit Maximinus Thrax umkamen. Daraufhin erhoben Volk, Senat und Prätorianer den dreizehnjährigen bisherigen Caesar Gordian III, den Enkel des I., zum Kaiser (238–244).[33] Maximinus Thrax und sein zum Caesar ernannter Sohn wurden nach einer vergeblichen Belagerung von Aquileia noch im Sechskaiserjahr[34] 238 Opfer einer Meuterei.[35] Im selben Jahr plünderten die Goten Olbia westlich der Krim und Histria südlich der Donaumündung. Sie ließen sich den Frieden und die Gefangenen durch Jahrgelder abkaufen. Im Perserkrieg 242 führte Gordian dann gotische Hilfstruppen,[36] fiel aber 244 mit 19 Jahren nach der Rückeroberung von Carrhae und Nisibis im Kampf gegen Sapor I bei Ktesiphon.[37] Möglicherweise wurde er von seinem Prätorianerpräfekten und Nachfolger Philippus Arabs (244–249) ermordet.[38] Dieser Sohn eines Araberscheichs erkaufte einen Friedensvertrag mit den Persern mit 500.000 Denaren, so Sapor, und zelebrierte 248[39] die Tausendjahrfeier Roms mit den vielen hundert Jagdtieren, die Gordian für seinen Triumph zum Schautöten im Colosseum mitgebracht hatte.
Mit den Pronunciamentos unter Philippus Arabs begann eine rasche Folge von Usurpatoren, meist illyrischer Herkunft. Während große Scharen von Goten, griechisch «Skythen», unter ihrem Anführer Ostrogotha die untere Donau überquerten, 248 Marcianopel belagerten und Moesien und Thrakien verwüsteten, fiel 249 Philippus bei Verona gegen Decius (249–251). Dieser erließ in der großen Bedrängnis einen allgemeinen Opferbefehl, um die Loyalität der Bevölkerung und die Gunst der Götter zu sichern. Christen, die das verweigerten, wurden bestraft, viele hingerichtet,[40] das Christentum darüber hinaus aber nicht verboten.