Doc Why Not: Der Arzt, dem die Kiwis vertrauen - Mark Weinert - E-Book

Doc Why Not: Der Arzt, dem die Kiwis vertrauen E-Book

Mark Weinert

0,0

Beschreibung

Die Abenteuer eines Anästhesisten in Neuseeland Im Krankenhaus von Wellington läuft der Kiwi anders: Da bricht ein hektischer Chirurg den Putz aus der Decke, weil er statt in den OP lieber auf den Golfplatz will. Der Chefarzt verlässt mitten im Eingriff den aufgeschnittenen Patienten und führt eine Lagebesprechung durch. Und wenn auf Station mal das Licht ausfällt, scheint das einzig den neu zugewanderten deutschen Narkosearzt zu stören. Doch she'll be right sagt sich Dr. Weinert alias Doc Why Not, wie er von seinen Kollegen bald genannt wird. In Neuseeland ist eben nicht alles auf Effizienz getrimmt, auch bei gröbstem Versagen herrscht ein freundlicher Umgangston, und mit Erdbeben kommt man hier eben besser klar als mit alkoholisierten Mitmenschen. Ohne Blatt vorm Mund schildert der Doc seinen täglichen Culture-Clash am anderen Ende der Welt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 261

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. med. Mark Weinert sorgt als klinisch angestellter Narkosearzt dafür, dass die Menschen nicht mehr sprechen, und als Kommunikations- und Simulationstrainer dafür, dass die Menschen besser miteinander sprechen. Er engagiert sich für Patientensicherheit, und seine Leidenschaft gilt dem Reisen und den Menschen, die er dabei trifft. Mit seiner Familie zog er für zwei Jahre nach Wellington, Neuseeland. Heute lebt und arbeitet Mark Weinert in München. Er ist zu finden unter www.drweinert.com.

MARK WEINERT

Der Arzt, dem die Kiwis vertrauen

© MarkWeinert 2023

Verlagslabel: Why Not Publishing

ISBN Softcover: 978-3-384-04748-9

Druck und Distribution im Auftrag :

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung »Impressumservice«, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

VORBEMERKUNG

»Wir hätten eine Stelle für Sie in Wellington, wissen Sie, wo das ist?«

»In Neuseeland, am Meer glaube ich, die Hauptstadt …«

»Wollen Sie dahin?«

»Berge kenne ich schon, also ja, am Meer ist gut.«

So lief das Gespräch, das uns nach Neuseeland brachte, und es fasst genau zusammen, wie viel ich bis dahin von diesem Land wusste. Wo sonst auf der Welt kann man auf einem Gletscher stehen, über den Regenwald blicken und das Meer sehen? Wo sonst auf der Welt ist es möglich, alle (!) Drehorte für den Herrn der Ringe und den Hobbit zu finden? Ich schweife ab.

Warum Neuseeland? Im Studium konnte ich aus persönlichen Gründen nie ins Ausland gehen, und ich wollte, bevor ich mich auf einer Stelle mit unbefristetem Vertrag auf Lebenszeit – hört sich an, als würde man seine Arbeit heiraten, seltsam – irgendwo niederlasse, raus in die Welt, um dort zu arbeiten. Gereist bin ich immer gerne, das verbindet mich mit meiner Frau. Besonders die Fernziele hatten es uns angetan. Wir dachten uns, Europa können wir dann machen, wenn wir Kinder haben.

So, dass dann logisch und folgerichtig der erste längere Ausflug mit Kindern wohin ging? Nach Neuseeland.

Um im Ausland zu arbeiten, empfiehlt es sich, die Sprache des Landes zu sprechen. Folgerichtig bestehen die meisten Länder auf einem entsprechenden Nachweis. Mit Englisch als einziger relevant beherrschter Fremdsprache schränkte sich das Gebiet ein. Da uns die englische Kultur näherstand als die nordamerikanische, lernte ich auf den IELTS-Test (International English Language Testing System). Einen Test, den jeder absolvieren muss, der in den Commonwealth-Ländern arbeiten will, um seine Sprachkenntnisse nachzuweisen. Mein Schnitt war gut genug, dass uns Neuseeland offenstand. Ich bewarb mich über eine Agentur für eine Stelle in Australien oder Neuseeland, da die bürokratischen Formalitäten erheblich sind, doch davon später mehr. Die Agentur sagt mir, man könne in sechs bis zwölf Monaten mit einem Angebot rechnen. So sage ich das meinem Chef. Nach vier Wochen kommt der Anruf, dem das Gespräch oben folgt. Es ist September, die Stelle wäre ab 1. Dezember. So sage ich das meinem Chef. Ich rechne es ihm bis heute hoch an, dass er sich für einen Auflösungsvertrag unterhalb meiner Kündigungsfrist eingesetzt hat. Obwohl es ihn geschmerzt hat, mich gehen zu lassen, meinte er nur: »Einen Reisenden soll man nicht aufhalten, das ist eine großartige Chance, machen Sie das!« Und so machten wir uns auf den Weg in das unbekannte Land, das und dessen Bewohner wir so lieben gelernt haben. Was ursprünglich nur für sechs Monate geplant war, wurde zu so viel mehr.

Natürlich werden hier Klischees bedient. Ich hoffe, unsere Zuneigung zu Land und den Leuten scheint immer deutlich durch den Spaß hindurch, und es ist eine balancierte Beschreibung, die mich genauso aufs Korn nimmt wie die liebenswerten Eigenschaften der Menschen und die Kultur des schönsten Landes der Welt.

MEIN TELEFONINTERVIEW MIT NEUSEELAND

Wir warteten gespannt, ob und wann das Telefon klingelte. Das war vor Skype Business und Google Hangouts. Telefoninterviews für eine Arztstelle sind auch heute noch eher unüblich in Deutschland, obwohl der Fachkräftemangel zunimmt wie überall auf der Welt. Schuld daran sind die Australier. Wie bitte?

Nun, Menschen, die sich entschieden haben, im Gesundheitswesen zu arbeiten und die Ausbildung, sei es Pflege oder Ärzteschaft, bis zum Ende durchzuziehen und einen Abschluss zu machen, haben eine hohe Motivation, in diesem Beruf zu arbeiten. Nicht weil sie da jetzt einen Abschluss haben, sondern weil sie trotz all der Strapazen und den Arbeitsbedingungen gewillt waren, so lange durchzuhalten. Es muss ihnen persönlich viel geben, sonst macht man das nicht so lange. Was das ist, kann je nach Mensch ganz unterschiedlich sein. Doch die Grundidee, Menschen zu helfen, wenn sie es am nötigsten brauchen, ist schon mal weit verbreitet. Wegen Geld macht niemand Pflege. Jedenfalls nicht, weil man damit so viel Geld verdient und einem das Geld als intrinsischer Motivator so wichtig ist. Oder haben Sie schon mal jemand sagen hören: »Geh doch in die Pflege, da verdienst du super! Und die Arbeitszeiten sind auch klasse!«

Eher nicht. Und die Ärzte? Ich kenne zumindest keinen, der Medizin studiert hat, weil er aufs große Geld aus war. Schon welche, die aus Ärztefamilien kamen und den Plan hatten, Papas Praxis zu übernehmen, oder die ein Einser-Abi hatten und sich dann ein NC-Fach ausgesucht haben, weil sie konnten. Doch das ist am Anfang, viele von denen studieren nicht fertig oder arbeiten dann nicht in dem Beruf. Wer in dem Beruf so lange gearbeitet hat, dass er eine Ausbildung abgeschlossen hat, dem gibt dieser mehr als Geld. So ist das auch bei mir. Einser-Abi? Sicher nicht, ich hatte 3,1. Der Vater Arzt, ja, doch ohne Praxis, mit dem Mantra: »Junge, mach was anderes! Alles, nur nicht Medizin!« Was macht der Junge? Medizin! Hauptsache anders.

Und was haben die Australier jetzt damit zu tun? Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen herrscht weltweit. Qualifizierte Menschen kündigen oftmals aufgrund ihrer direkten Vorgesetzten oder der Unternehmenskultur. Dazu gibt es inzwischen gute Studien. Soll heißen, ich kündige nicht meinen Beruf – kommt ja auch von Berufung –, sondern meinem Arsch von Vorgesetztem. Und falls der zwar okay ist, aber die Kultur meiner Firma bzw. meines Krankenhauses sich ändert, dann kann es sein, dass ich den Job wechseln muss. Weil ich es einfach nicht mehr aushalten kann. So, und wer hat die besten Arbeitsbedingungen für medizinische Fachkräfte? Die Australier! Klasse Arbeitszeiten, klasse Bezahlung, Ansehen. Die Pflege ist komplett akademisiert, das bedeutet: Dort haben Pflegekräfte Nursing studiert. Die Ausbildung für Ärzte und Pflegepersonal gilt als eine der besten weltweit, es wird viel Geld für Fortbildungen bereitgestellt. Ein hervorragendes Arbeitsklima, flache Hierarchien und ein tolles Land. Okay, Spinnen und neun der zehn giftigsten Schlangen weltweit. Genau genommen sogar neun der neun giftigsten Schlangen weltweit. Deshalb wollen viele Neuseeländer nach ihrer Ausbildung nach Australien, nicht wegen der Schlangen, sondern da sie dort, neben den genannten Gründen, auch noch mehr – ungefähr das Doppelte – verdienen. Wer könnte es ihnen verdenken. Deshalb und weil das neuseeländische Studium nicht genug Absolventen abwirft, um den Nachwuchs zu bedienen, entsteht ein Vakuum, das gefüllt werden muss. Gerne mit Engländern. Die gehen dorthin, wenn sie nicht in Australien unterkommen. Und werden auch gerne genommen, da sie eine ähnlich gute Ausbildung haben, die gleiche Sprache sprechen und aus einem Commonwealth-Land kommen, das erleichtert die Bürokratie rund um Visa und Arbeitsgenehmigungen. Das entstehende Vakuum in England wird aus Europa gefüllt. Unter anderem aus Deutschland. Unser Vakuum wird aus … Ja, wer füllt das? Freiwillig? Nahes Osteuropa, bevor sie in der EU waren. Jetzt überspringen sie Deutschland gerne, um gleich nach England zu gehen. Und wer füllt die Lücke jetzt? Die Politik beschäftigt sich damit. Da bedeutet so viel wie: Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, und es wird keine zufriedenstellende Lösung geben, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Immer, wenn ein eigentlich autarkes System es nicht schafft, selbst eine funktionierende Lösung zu finden und ›die Politik‹ sich des Problems annimmt, kann man sicher sein, dass es unerfreulich wird.

Also so viel zu ›die Australier sind schuld‹. Vor dem Interview fragte ich den Anästhesisten, der die Agentur leitet, die mich auf die andere Seite der Welt vermitteln wollte, wie ich mich auf das Gespräch vorbereiten könne. Schließlich ist es ein anderes Gesundheitssystem – wie anders, sollte ich noch zu spüren bekommen. Er antwortete: »Das ist ganz einfach. Medizin unterscheidet sich von Land zu Land unterschiedlich stark, doch die Prinzipien bleiben gleich. Wenn du jede medizinische Frage darauf zurückführst: ›Was ist das Sicherste für den Patienten?‹, wirst du nie falsch liegen. Das ist in allen Ländern das gleiche Prinzip.«

Wow, okay, dachte ich. Klasse, das hört sich so richtig an, warum hat mir das in Deutschland noch nie jemand gesagt? Also niemand bei der Ausbildung an den beiden ›Ivy-League-Universitäten‹, an denen ich studiert, oder den normalen fünf Krankenhäusern, in denen ich bis dahin gearbeitet hatte? Dort stand hinter allem die Frage: Was ist ›richtig‹? Doch ›richtig‹ kann von verschiedenen Standpunkten aus gesehen werden. ›Richtig‹ im Sinne einer Leitlinie – das deckt sich sehr oft auch mit ›sicher‹ –, richtig im Sinne von ›für den Patienten‹, hier ist ›sicher‹ nicht immer gemeint. Richtig im Sinne von ›was will mein Oberarzt‹. Hier geht es manchmal schon weit weg vom sichersten Weg. Und schließlich: Was ist das Richtige, im Sinne von: ›Wo kommt unser Geld her?‹ Davon, dass wir Therapien und Prozeduren abrechnen können! Aus der Sicht von Verwaltung und Chefärzten. Was ist das Effektivste? Was ist das Effizienteste? Was geht am schnellsten? Alles Fragen, die man mir gestellt hat und ich mir in Folge dessen auch oft gestellt habe. ›Was ist das Sicherste für den Patienten?‹, war damals nicht die alles krönende Frage in Deutschland. Jetzt gibt es zumindest ein Patientenrechtegesetz und das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), bei dem ich inzwischen selbst Mitglied bin. Dass es beides braucht, spricht Bände.

Alle diese Fragen gehen mir durch den Kopf, als ich aus meinem Stuhl hochfahre – das Telefon klingelt.

»Hallo, this is Mark Weinert speaking.«

»Hallo, hier ist Judith, deine Schwiegermutter.«

»Jetzt nicht, Judith!«

Ich lege auf und beweise damit wie schon viele Schwiegersöhne vor mir Takt, Feingefühl und das Talent, im richtigen Moment das Falsche zu sagen.

Das Telefon klingelt wieder.

»Es ist jetzt unpassend!«

»Is this Mark Weinert?«

»Yes, it is. I am, meine ich.«

Das fängt ja gut an. Neben der schlechten Verbindung um die ganze Welt und meinem Englisch, das ich bis hierhin für ganz gut gehalten habe, hindert mich, dass ich erstaunlicherweise wirklich nervös bin. Mit jemandem in einer fremden Sprache zu sprechen, den man nicht sehen kann, ist ungleich schwerer. Man hat keine optische Rückmeldung, ob der andere einen verstanden hat und wie das Gesagte bei ihm ankommt. Und hier sind gleich drei am anderen Ende der Leitung. Sandy Garden, der Leiter der Ausbildung, Sally Ure, die Anästhesistin, die mit ihm zusammen über meine Einstellung entscheiden sollte, und eine Maori-Vertreterin, Paige Kaimoana. Deren Aufgabe ist es, darüber zu entscheiden, ob ich mit der Maori-Kultur zurechtkommen würde oder ob ich Probleme hätte, mit Menschen anderer Herkunft respektvoll zusammenzuarbeiten. Nach ein bisschen Small Talk und allgemeinem Vorstellen erzähle ich meinen Lebenslauf, wie ich das schon oft getan habe. Daraufhin bekomme ich ein paar Fragen zu meiner Motivation gestellt, warum ich ans andere Ende der Welt will und auch ein paar fachliche Fragen zu meiner Arbeit als Anästhesist, die ich alle mit »Also das Wichtigste ist, dass es am sichersten für den Patienten ist« beginne … Im Wesentlichen wollen sie wissen, ob ich aus Versehen Patienten umbringe oder ›safe‹ bin. Ich bin ›safe‹. So weit, so gut.

Dann kommt die Maori-Frau dran und fragt, ob ich schon mal in einem kulturell diversen Umfeld gearbeitet habe. Natürlich habe ich das. Drei Jahre habe ich in einem Krankenaus in Oberbayern gearbeitet. Für einen Kölner ist das eine Herausforderung der interkulturellen Diversität. Und dort auf dem bayerischen Lande war die Mehrzahl der Pflegekräfte aus dem Osten Deutschlands. Es wurde also hauptsächlich Sächsisch gesprochen. Sodass ich einmal eine neue Schwester, die aus dem Dorf stammte, in dem das Krankenhaus stand, und die breitestes Bayrisch sprach, gefragt habe, ob sie Probleme habe, den Akzent, der hier gesprochen wird, zu verstehen. Das erzähle ich allerdings nicht. Ich sage, dass München eine sehr multikulturelle Stadt ist und dass circa 20 Prozent der Menschen aus anderen Ländern kommen. Und ob ich in meinem Umfeld auch mit Menschen aus anderen Kulturen arbeite? Ja, durchaus. Der Chefarzt der Gefäßchirurgie ist Perser, seine Oberärzte sind Griechen. Der Gynäkologe ist Ungar, wir haben spanische, ungarische und natürlich viele türkische Pflegekräfte. In unserer Abteilung arbeiten ein Pole, ein Türke, ein Tscheche, eine Türkin, eine Chinesin, eine Spanierin, eine Zypriotin und zwei Bayern, sogar ein echter Münchner. Na, wenn das nicht reicht. Ob ich schon mal mit Maoris zusammengearbeitet hätte? Nein, noch nicht. Nun, man würde mich mit den entscheidenden kulturellen Informationen versorgen, damit ich gut zurechtkäme. Und das war es auch schon. Keine weiteren Fragen, euer Ehren. Zwei Tage später kommt die Zusage, und ich muss meinem Chef erklären, dass er meine Stelle mit jemand anderem besetzen könne. Und zwar schon viel früher als geplant.

BÜROKRATIE IN NEUSEELAND

»Sie haben was, und Sie schlagen was genau vor?«

In Deutschland denkt man, wir hätten eine ausufernde, undurchschaubare Bürokratie, die an Ineffizienz nicht zu schlagen wäre. Weit gefehlt. Inzwischen gibt es zwar sogar eine App, die von Flüchtlingen als Start-up entwickelt wurde, um sich durch den deutschen Bürokratiedschungel zu schlagen, doch das ist alles harmlos im Vergleich mit Neuseeland und der dortigen Bürokratie.

Aber noch mal zurück zu Deutschland: Ich verstehe meine Steuererklärung nicht, und doch unterschreibe ich, dass alle Angaben richtig sind. Und jeder Berufsstand hat seine eigene Logik. Juristen-Logik, zum Beispiel der Gesetzestext zur Scherzerklärung: »Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernsthaftigkeit werde nicht verkannt werden«, eine solche Willenserklärung ist nach deutschem Zivilrecht gemäß § 118 BGB nichtig. Das ist eine fünffache Verneinung. Ärzte haben ebenfalls ihre eigene Logik. Jeder, der einmal einen Arztbrief gelesen hat, versteht, dass er nichts versteht. Beliebt ist der Satz am Anfang: »Die Vorgeschichte dürfen wir als bekannt voraussetzen und verweisen auf den ausführlichen Brief vom …« Das bedeutet: Ich weiß auch nicht, was der Patient sonst hat oder hatte. Der Brief liegt nie irgendwo vor. Und keiner weiß, was da drinstehen soll. Und so haben Automechaniker, IT-Spezialisten, Werber und wahrscheinlich auch Konditoren ihre eigene Sprache, die ihrer eigenen Logik folgt. Und ebenso die Ämter. Mit einem Amt kämpfte ich gerade – und zwar in Neuseeland.

Da ich unvorsichtigerweise angegeben hatte, dass ich drei Jahre in Österreich als Notarzt auf einem Hubschrauber geflogen war, benötigte ich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der dortigen Ärztekammer, dass ich als Arzt in Österreich nicht in Ungnade gefallen war. Das heißt, dass ich nicht wegen eines Berufsverbrechens angeklagt war und kein Verfahren der Ärztekammer gegen mich anhängig war oder ist. Das Schriftstück, das mir meine weiße Weste bestätigte, bekam ich nach einem Anruf prompt und problemlos auf Englisch ausgestellt. Die ›Ösis‹ sind auf Zack. In Deutschland war es völlig unmöglich, die Bescheinigung auf Englisch auszustellen. »Wo kämen wir denn da hin?« Nach Neuseeland käme man, wollte ich schon sagen, hielt mich dann aber doch zurück. Es war nicht möglich, dass ich das österreichische Schriftstück auf Englisch vorformulierte und von der Deutschen Ärztekammer bestätigen ließ.

Zurückhaltung fällt mir oft schwer. Ich bin als Kind mehr als einmal vom Wickeltisch gefallen, dabei ist der Filter, durch den bei den meisten Menschen alles geht, was sie sagen, kaputtgegangen. Ich sage oft genau das, was ich in dem Moment gerade denke. Das geht bei mir ganz ohne Alkohol und wird selten zu meinen Gunsten ausgelegt. Mühevolle dreißig Jahre hat es gebraucht, wieder einen halbwegs funktionierenden Filter zu installieren. Er funktioniert nicht immer:

»Da könnten Sie ja reinschreiben, was Sie wollen!«

»Das sind nur zwei Sätze auf Englisch!«

»Sie können von mir nicht erwarten, dass ich das lesen kann.«

Konnte ich das? Offensichtlich nicht. »Es sind nur zwei Sätze!«

»Nein, das geht nicht. Wir stellen Ihnen das auf Deutsch aus, und dann können Sie das übersetzen lassen.«

Übersetzen, natürlich nicht selbst, sondern von einer geprüften Übersetzerin. Sonst könnte ich ja irgendwas reinschreiben. Und dann kopieren und beglaubigen lassen. Und wie ich jetzt weiß, ist beglaubigt nicht gleich beglaubigt. Es gibt mehr als ›wahr‹. Dass es verschiedene Auffassungen von der Wahrheit gibt, ist nichts Neues. Seit Donald Trump wissen wir, dass es Menschen gibt, die nicht nur verschiedene Auffassungen von der Wahrheit haben, sondern dass sie glauben, es gäbe zwei verschiedene Wahrheiten, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Seit dem Ringen mit den neuseeländischen Behörden weiß ich, dass es nicht nur ›wahr‹ (beglaubigt), sondern mehr als ›wahr‹ gibt. Dann, wenn sie es selbst beglaubigt haben. Das heißt konkret, für manche Dokumente, wie zum Beispiel unsere Reisepässe, reichte eine normale notarielle Beglaubigung nicht aus. Es muss mehr als richtig und ›wahr‹ sein. Und wann ist etwas mehr als wahr? Sie können es sich schon denken: dann, wenn man es selbst macht – oder die Regierung. Wie bitte? Ja, das ist fast so gut wie selbst machen. Und genau an dem Punkt waren wir. Wir brauchten eine behördliche Beglaubigung unserer Reisepässe, da die notarielle Beglaubigung, die wir nach Neuseeland geschickt hatten, nicht genug war, doch davon später mehr.

Damit wir als Familie ein Visum bekommen konnten, brauchte ich ein Arbeitsvisum. Dafür brauchte ich die Arbeitserlaubnis des Medical Council, das entspricht der Ärztekammer in Deutschland. Mit einem Touristenvisum einzureisen, wie das jeder Deutsche ohne Antrag könnte, um dann dort zu arbeiten, ist eine Straftat. Auch wenn das Verfahren für das Arbeitsvisum schon läuft. Gerade dann darf man mit seinem Touristenvisum nicht einreisen. Würde man erst mit dem Touristenvisum einreisen und sich dann plötzlich überlegen, hey, klasse Land, hier würde ich gerne arbeiten, ginge das natürlich. Aber da das Arbeitsvisum schon beantragt war, war dem ein Riegel vorgeschoben. Man hatte mir gesagt, dass man mit einigen Schwierigkeiten und Verzögerungen und alles in allem mit einem Vorlauf von sechs Monaten bis zu einem Jahr rechnen musste, um alle Genehmigungen beisammen zu haben. Wir hatten zehn Monate Vorlauf, und deshalb waren wir anfangs guter Dinge. Da die Unterlagen, die ich aus Österreich brauchte, so schnell kamen, dachte ich nicht, dass es zu ernsthaften Verzögerungen kommen würde. Doch langsam wurde es knapp. Wir wollten am 1. November fliegen, und ich sollte am 1. Dezember anfangen zu arbeiten. Vorher wollten wir ein bisschen das Land erkunden.

Das Medical Council entscheidet über meine Arbeitserlaubnis und gibt dann der Botschaft grünes Licht, den Stempel mit dem Arbeitsvisum in den Pass zu klopfen. Die Arbeitserlaubnis hängt von vielen Dingen ab. Habe ich eine Ausbildung, die in Neuseeland gesucht wird (ja), habe ich einen Arbeitsvertrag (ja). Komme ich aus einem vergleichbaren Gesundheitssystem (ja). Wie weit bin ich in meiner Ausbildung (Zeugnisse aller Arbeitgeber übersetzt und beglaubigt), Approbation als Arzt (übersetzt und beglaubigt). Schulzeugnis (übersetzt und beglaubigt), Geburtsurkunde (übersetzt und beglaubigt), Gesundheitszeugnis für mich und die ganze Familie bei einem speziellen Arzt, der dafür zugelassen ist, das für Neuseeland zu erstellen. Also nicht ich selbst oder jemand aus meinem Krankenhaus (da könnte ich ja irgendwas reinschreiben). Bin ich gegen Hepatitis B geimpft? (Ja.) Röntgen der Lunge, habe ich oder meine Familie Tuberkulose? (Nein.) Hatte ich Kontakt zu Patienten mit Tuberkulose? (Nein.) Na ja, ich fahre S-Bahn in einer Großstadt, das bedeutet eigentlich ja, doch nie bestätigt, also ›nein‹. Das wollten Sie jetzt wahrscheinlich nicht wissen. Auch dass Sie, wenn Sie S-Bahn oder U-Bahn fahren, Hautschuppen anderer Menschen einatmen, wollten Sie nicht wissen. Das ist einer der Gründe warum wir nach Neuseeland wollten. Also nicht, dass Sie das nicht wissen wollten, sondern die klare Luft. Ich bin vor zehn Jahren an einem gutartigen Speicheldrüsentumor operiert worden: Eine Bestätigung des operierenden (!) Arztes, dass der nicht wiederkommt (Er kommt nicht wieder.) Ob ich Kommunist bin, hat mich niemand gefragt (nein). Ein sauberes Führungszeugnis (ganz weiß), eines aus Österreich (rot-weiß-rot). Die Unbedenklichkeitsbescheinigung meiner Ärztekammer (übersetzt und beglaubigt), das hatten wir schon. Drei persönliche Referenzen von Ärzten, unter denen ich gearbeitet habe. Die sie dann persönlich sprechen wollten (haben sie). Und nachdem alle Unterlagen vorliegen, dauert der ›Prozess‹, ich musste unweigerlich an Kafka denken, siebzehn Tage, bis die Entscheidung gefallen ist, ob ich gut genug für den Stempel bin, der dann wieder zu einem anderen, dem Visumsstempel, führt. Die Kommunikation über E-Mail ist einigermaßen schnell, und uns erwartet morgens beim Aufstehen oft eine E-Mail, in der steht, was noch fehlt oder was nicht passt.

Mittlerweile rückt der Abflugtermin immer näher, und eines Tages kommt die E-Mail vom Medical Council, dass sie die Kopien unserer Reisepässe verschlampt hätten, dass das aber nicht so schlimm sei – dass sie sie verloren haben –, da die notarielle Beglaubigung ohnehin nicht ausreichend sei und wir ihnen deshalb sowieso eine neue schicken müssten. Diesmal rufe ich an. Ein weiteres Problem, das sich ergibt, ist: Unsere Pässe liegen schon in der neuseeländischen Botschaft und warten auf das Okay des Medical Council, damit sie gestempelt werden können. Die Botschaft ist in Berlin. Wir wohnen in München.

»Was brauchen Sie denn für eine Beglaubigung, wenn eine notarielle nicht ausreicht?«

»Nun, es muss eine Regierungsstelle sein – oder wir könnten das machen. Wenn Sie uns die Pässe schicken.«

Wir haben einen fest gebuchten Flug in zwanzig Tagen.

»Nur, damit ich Sie richtig verstanden habe: Sie haben gerade die Kopien unserer Pässe verloren und schlagen vor, dass wir Ihnen unsere Original-Reisepässe nach Neuseeland schicken, damit Sie sie kopieren können und Sie sie dann wieder in die Botschaft nach Berlin schicken, damit sie dort gestempelt werden?«

»Ja.«

»Die Pässe liegen aktuell in Berlin bei der Botschaft. Können Sie nicht einfach dort anrufen, dass die eine Kopie machen, schließlich ist das ja eine Regierungsbehörde?«

»Nein, wir können da nicht anrufen, das ist weder deren noch unsere Aufgabe.«

»Wie lange dauert der Prozess noch einmal, wenn alles vorliegt?«

»Der dauert, im Allgemeinen, siebzehn Tage.«

»Danke, ich werde mir etwas einfallen lassen …«

Glücklicherweise arbeitet ein Freund von uns im Außenministerium in Berlin.

»Thomas, kannst du unsere Pässe aus der neuseeländischen Botschaft holen, eine Kopie erstellen und einen Stempel aus deinem Büro drauf machen, dass es irgendwie offiziell aussieht?«

»Klar.«

Innerhalb eines Tages waren die ›behördlich beglaubigten‹ Kopien per Einschreiben auf dem Weg nach Neuseeland.

Diese Kopien waren gut genug. Jetzt fehlte nur noch der ›Stundenplan‹ für meinen ersten Tag im Krankenhaus, auf dem vermerkt stehen musste, dass es mindestens eine Stunde Sicherheitseinweisung und Rundgang für mich gibt. So wollte das Medical Council sicherstellen, dass ich nicht am ersten Tag in den OP geworfen werde – wie das im Übrigen hier so üblich ist – und man mir gezeigt hat, wo die Notausgänge sind und die Feuerwehrschläuche hängen. Kein Witz. Ich rufe im Krankenhaus an, Sally, meine ›Verbindungsoffizierin‹, mittlerweile Chefin des Anästhesie-Departments, kennt das und sagt: »Kein Problem, mache ich sofort. Wann fliegst du?«

»Wenn das jetzt ausreicht, in neun Tagen …«

»Na, viel Glück!«

Zu Hause sitzen wir auf Kartons und Koffern. Ansonsten ist die Wohnung leer und bereit für unseren Nachmieter. Frisch geweißelt.

Ich rufe wieder beim Medical Council an: »Fehlt noch etwas? Haben Sie jetzt alles?«

»Ja, jetzt ist alles vollständig.«

»Wann können Sie der Botschaft das Okay geben?«

»Jetzt, wo wir alles haben, dauert es: siebzehn Tage.«

Wir packen wieder aus. Den Flug haben wir verschoben.

IELTS ODER: WIE DRUCKE ICH GELD?

Viele Leute überlegen sich, wie sie Geld drucken können. Die Bundesbank kann das legal. Die amerikanische Notenbank auch, und die kann so viel Geld drucken, dass sie eine Inflation provoziert, wenn sie das will. Anderen Menschen ist das verboten – das bedeutet natürlich nicht, dass das niemand versucht, doch es ist schwierig. Wie hat Bertolt Brecht gesagt: »Nur Amateure überfallen eine Bank; Profis gründen eine.« Wem dazu das Geld fehlt und bei wem Crowdfunding auch nicht funktioniert, der muss sich etwas anderes einfallen lassen. Beliebt ist es, Dinge zu produzieren, die Menschen brauchen. Besser Dinge, die sie immer brauchen. Noch besser Dinge, von denen sie abhängig sind. Noch mal besser Dinge, die teuer sind. Da fallen Ihnen sicher viele Sachen ein. Wenn Sie jetzt ein Monopol auf den Verkauf haben, super! Auch gut: Ihr Produkt nimmt keinen Speicherplatz ein. Physisch, meine ich. Und Sie müssen es nicht herstellen. Am besten wäre doch, Sie hätten ein Produkt, das Sie in der Herstellung nichts kostet, das keinen Lagerraum einnimmt, das nur Sie vertreiben, das die Menschen brauchen und das sie immer wieder verkaufen können. Dass es völlig legal ist, ist ein weiteres Plus. Es dient sogar der Sicherheit.

Wovon spreche ich hier? Ganz einfach: von der Kontrolle über einen Sprachkenntnistest. Wenn ich in einem anderen Land arbeiten will, ist es sinnvoll, dass ich die Sprache des Landes auf einem meiner Arbeit entsprechend hohem Niveau beherrsche. So weit, so gut. Wenn jemand in Deutschland arbeiten will, muss er den europäischen Sprachtest mit einem Niveau von C1 ablegen. Mit C1 kann man sich unterhalten und höhere Konzepte können vermittelt werden. In die Medizin übersetzt: Kann ich Medikamente in der richtigen Dosierung aufziehen, und verstehe ich, warum ich das jetzt tun soll? Für Englisch gibt es verschiede Testsysteme, die das Sprachniveau nachweisen. Vielen ist der TOEFL-Test (Test of English as a Foreign Language) bekannt, den die Amerikaner fordern, wenn man dort arbeiten möchte. Der prüft amerikanisches Englisch. Für Europa gibt es das Common European Framework of Reference for Languages (CEFRL). Es stellt sich heraus, dass nicht nur Deutsche Abkürzungen lieben. Da der TOEFL amerikanisches Englisch prüft, kann man den natürlich auf gar keinen Fall für England, Australien oder Neuseeland verwenden, das wäre ja so, als ob Deutsche auch Österreicher verstehen würden. Und deshalb gibt es den IELTS. Das steht für International English Language Testing System. Da der amerikanisches und britisches Englisch prüft, ist der am besten und nach Ansicht mancher Länder als Einziges geeignet, das richtige Sprachniveau nachzuweisen. Der Test hat vier Teile:

1. Listening (circa 30 Minuten)

2. Academic Reading bzw. General Training Reading (circa 60 Minuten)

3. Academic Writing bzw. General Training Writing (circa 60 Minuten)

4. Speaking (circa 10–15 Minuten)

Er wird in 0–9 unterteilt. 9 entspricht einem ›Native Speaker‹, bedeutet, so gut wie ein Muttersprachler. Man kann den Test als ›general‹ oder ›academic‹ ablegen, je nachdem, in was für einem Umfeld man zu arbeiten gedenkt.

Um in Australien zu arbeiten, muss man 7,0 im Schnitt durch alle vier Teile erreichen und darf nirgendwo unter 7,0, liegen. Für Neuseeland muss man im Schnitt 7,5 erreichen und darf nicht unter 7,0 in den einzelnen Bereichen liegen. Ich kenne einen Anästhesisten, der den Test direkt im Land ablegen wollte, weil er meinte, dann würde sein Englisch automatisch besser. Sein Englisch wurde besser, aber ein Test misst selten das, was er soll, und nachdem er viermal durchgefallen war, surfte er für den Rest des Jahres, während seine Frau das Geld verdiente, bis sie wieder nach Deutschland zurückgingen. Nicht die schlechteste Variante, wenn Sie mich fragen. Ich lerne seit der siebten Klasse Englisch, habe an zwei Sprachschüleraustauschprogrammen teilgenommen, gehe im Kino meistens in die englische Originalversion und lese sowohl Romane als auch wissenschaftliche Literatur auf Englisch. Trotzdem entschließe ich mich dazu, Nachhilfe zu nehmen, nachdem ich mir den Test näher angesehen habe. Bei jemandem, der den Test selbst lange Jahre abgenommen hat und mir beibringt, wie man mit speziellen Sätzen seine Grammatikkenntnisse zeigen kann. Dennoch ist der Test für mich schwieriger, als erwartet. Aber egal: Am Ende kommt eine 7,5 heraus, und mir stehen beide Länder in Down Under offen. Für die nächsten zwei Jahre. Richtig, der Test hat ein Verfallsdatum. Clever. Nach zwei Jahren muss man den wiederholen, wenn man das Land verlassen hat. Womit wir wieder beim anfangs angesprochenen Gelddrucken wären. Der Test ist nämlich nicht billig. Und er wird zum Beispiel in England von jedem gefordert, der da arbeiten möchte. Von jedem? Ja. Stellen Sie sich vor, Sie sind eine südafrikanische Anästhesistin. Ihre Muttersprache ist Englisch. Englisch ist die Landessprache, Sie haben auf Englisch studiert und immigrieren dann nach Neuseeland. Dort sprechen und arbeiten Sie nur auf Englisch, und Sie haben einen britischen Pass – alle Einwohner der Commonwealth-Staaten können einen britischen Pass beantragen.

Jetzt sollen Sie einen IELTS machen, für Ihr Jahr in England. Und zwar, obwohl Sie den vor drei Jahren schon mal gemacht haben. Und ohne den Test gibt es keine Arbeitserlaubnis. Das nenne ich eine legale Gelddruckmaschine.

OFFICER GOODBOY

Die Reise von Deutschland nach Neuseeland ist lang. Egal, wie man es dreht und wendet, ob man über Asien oder über Amerika fliegt, man muss auf die andere Seite der Kugel – weiter weg geht nicht. Dabei fällt mir ein: Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wenn Sie sich auf der Erde von Norden nach Süden bewegen und immer weiter fliegen, bewegen Sie sich irgendwann wieder nach Norden. Wenn Sie aber von Ost nach West fliegen, egal wie weit, fliegen Sie immer weiter nach Westen. Und so weit ist der Flug, dass man sich über solche Sachen Gedanken machen kann. Als Zwischenstationen bieten sich zurzeit und je nach persönlichem Gusto Singapur, Hongkong, Houston oder L.A. an. Danach ist man mit Umsteigen und circa 26 bis 30 Stunden Flug schon da. Neuseeland ist ein Einwanderungsland, und seine Bewohner haben ein spezielles Verhältnis zu unerwünschten Tieren oder Pflanzen. Da es dort bis zur Besiedelung durch die Europäer keine Landraubtiere gab, haben die Vögel teilweise evolutionsbedingt ihre Fähigkeit zu fliegen verloren: Der Kiwi als Nationalvogel kann das zum Beispiel nicht mehr. So wurde er bedauerlicherweise zu einer leichten Beute für eingeschleppte Hunde, Katzen und Ratten.

Mit der Flora ist das ähnlich: Die Schotten brachten den Ginster mit, um ihre Schafweiden damit zu begrenzen. Wie man heute auf Luftaufnahmen sehen kann, gefällt es dem gelben Ginster sehr gut in Neuseeland, und im Sommer sind große Teile des Landes gelb anstatt wie ursprünglich grün. Aus diesem Grund gibt es neben der Passkontrolle und dem Zoll zusätzlich eine Biosecurity. Diese dient nicht dazu, Zombies aus dem Land fernzuhalten, sondern, das Einschleppen von Schädlingen für Flora und Fauna zu verhindern. Schon im Flugzeug bekommt man einen Film zu sehen, der einen auf all das hinweist, was verboten ist und bei der Einreise unbedingt angegeben werden muss: Früchte, Fleisch, Holz, unverarbeitete Nahrungsmittel, Nüsse, Wanderschuhe oder Outdoor-Equipment, das man schon in einem anderen Land benutzt hat.

Die Nichtabgabe führt zu einer sofortigen Strafe, und damit man erwischt wird, gibt es Officer Goodboy, einen Beagle, der einem im Film alles erklärt. In den USA fragen sie einen auf dem Einreise-Wisch, ob man Mitglied einer kommunistischen Partei war, ob man Terrorist ist, oder ob man vorhat, auf dem Boden der USA Verbrechen zu begehen. Dort steht in großen Schildern bei der Passkontrolle: No Jokes! In Neuseeland wird man nach Äpfeln gefragt. Dass das andere für Neuseeland nicht interessant erscheint, spricht meiner Meinung nach für das Land.

Was aber hatten wir dabei? Haribo-Goldbären und Lebkuchenherzen als Gastgeschenke. Beides war damals nicht in Neuseeland erhältlich. Nach 30 Stunden auf Achse standen wir mehr neben uns als in uns. Eine weitere spirituelle Erfahrung, nach dem Ost-West-Nord-Süd-Zen-Koan. Dennoch dachten wir daran, diese ›Nahrungsmittel‹ zu deklarieren. Nach der Passkontrolle kamen wir mit unserem Gepäck zur Biosecurity. Ein gefühlt zwei Meter dreißig großer Maori guckte uns mit grimmigen Gesicht an. Wir fühlten uns wie ein französisches Rugby-Team, das den All Blacks, der neuseeländischen Nationalmannschaft, vor dem Spiel gegenübersteht. Klein.

»Was für Nahrungsmittel haben Sie dabei?«

»Äh … Haribo gummy bears and … gingerbread hearts …«

»Lebkuchenherzen?«

»Äh, ja … die sind verpackt … eingeschweißt … und so.«