DOCH STERBEN MUSS SIE - EIN FALL FÜR ANTONY MAITLAND - Sara Woods - E-Book

DOCH STERBEN MUSS SIE - EIN FALL FÜR ANTONY MAITLAND E-Book

Sara Woods

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Beschreibung

Jeder in Chedcombe weiß, dass sich der Kriminalschriftsteller Jeremy Skelton scheiden lassen möchte. Aber seine Frau Lydia sträubt sich energisch dagegen.

Kurz darauf wird Lydia mit ihrem eigenen Schal erdrosselt. Das Motiv liegt nahe, und die Polizei nimmt Skelton fest.

Nur der Londoner Staranwalt Antony Maitland und Skeltons Freunde suchen weiter nach dem wirklichen Mörder...

 

Der Roman Doch sterben muss sie der britischen Schriftstellerin Sara Woods (eigtl. Lana Hutton Bowen-Judd - * 07. März 1922; † 05. November 1985) erschien erstmals im Jahr 1968; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte im Jahr 1973.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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SARA WOODS

 

 

Doch sterben muss sie

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DOCH STERBEN MUSS SIE 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Epilog 

Das Buch

 

 

Jeder in Chedcombe weiß, dass sich der Kriminalschriftsteller Jeremy Skelton scheiden lassen möchte. Aber seine Frau Lydia sträubt sich energisch dagegen.

Kurz darauf wird Lydia mit ihrem eigenen Schal erdrosselt. Das Motiv liegt nahe, und die Polizei nimmt Skelton fest.

Nur der Londoner Staranwalt Antony Maitland und Skeltons Freunde suchen weiter nach dem wirklichen Mörder...

 

Der Roman Doch sterben muss sie der britischen Schriftstellerin Sara Woods (eigtl. Lana Hutton Bowen-Judd - * 07. März 1922; † 05. November 1985) erschien erstmals im Jahr 1968; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte im Jahr 1973. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  DOCH STERBEN MUSS SIE

 

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

»Es war ja nicht gerade taktvoll, Lydia und Anne einzuladen«, sagte David Russell zu seinem Gastgeber. Es klang eher belustigt als kritisierend, und Godfrey Neale lächelte bei seiner Antwort.

»Sie müssen aber zugeben, dass sich kein Mensch dadurch gehemmt fühlt«, sagte er etwas selbstzufrieden. Der große Raum war voll – vielleicht sogar überfüllt – und der Lärmpegel erschreckend hoch; dreiundvierzig Menschen, alle aus Chedcombe, alle miteinander bekannt, mehr oder weniger intim, und um Gesprächsstoff keinesfalls verlegen.

Russell verfolgte seinen Gedankenweg weiter.

»Aber vielleicht weiß Lydia in Wirklichkeit gar nichts...«

Diesmal lachte der andere laut auf.

»Lydia?«, sagte er. »Ich habe noch nie jemanden behaupten hören, dass sie dumm sei. Oder naiv. Natürlich weiß sie Bescheid.«

»Anzunehmen.« Russells Stimmung schien umzuschlagen, und er ließ Anzeichen von Unbehagen erkennen. »Wie auch immer, sie verdient eine bessere Behandlung, als sie von Jeremy zu erwarten hat.«

Neale sah ihn fragend an.

»Sie müssen es ja wissen«, sagte er. Dann wechselte er prompt das Thema, vielleicht weil ihm bewusst geworden war, dass die Bemerkung nicht eben von gutem Geschmack zeugte.

In einer anderen Ecke des Raumes suchte Celia Thomson die Nähe ihres Mannes. Sie wusste, dass er dann ungeduldig wurde, aber obwohl sie die meisten Anwesenden kannte, kam ihr niemand in den Sinn, mit dem sie sich hätte unterhalten wollen, niemand, der sich freuen würde, sie bei sich zu haben. Damit hatte sie nicht ganz recht; ihre scheue Art machte aus ihr, was man einen guten Zuhörer nennt – das heißt, sie erweckte den Eindruck gespannter Aufmerksamkeit, während ihre Gedanken dabei eigene Wege gingen. Jeremy Skelton zum Beispiel hätte ihr gerne erzählt, welchen Erfolg sein letztes Buch hatte und wie seine Pläne für das nächste aussahen; und es gab noch einige Gäste – nicht mehr und nicht weniger ichbezogen –, die ebenfalls um ein Publikum froh gewesen wären. Inzwischen unterhielt sich Edward, ihr Mann, mit Arthur Lowell, mit dem er oberflächlich befreundet war, hauptsächlich deshalb, weil sie beide Edwards Schwester, Lydia Skelton, nicht leiden konnten.

»Ich hätte mir ja denken können, dass sie auf die ganze Geschichte absolut unvernünftig reagiert«, sagte Edward verärgert.

Arthur sagte nichts darauf, nickte aber zustimmend. Celia dachte plötzlich, dass er aussah wie ein Storch, mit seinem dünnen Hals und dem spitzen Gesicht, und konnte nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken. Sie wollte aber nicht auffallen, und für Arthur war das Thema Lydia noch heikler als für Edward. Hätte ihr einer von den beiden einen Blick gegönnt, so wäre ihm eine schwache, nicht unkleidsame Rötung der Wangen aufgefallen, aber jeder war mit seinen eigenen Gedanken vollauf beschäftigt.

Jeremy Skelton sprach nicht über seine Frau, war sich ihrer Gegenwart aber nur allzu deutlich bewusst. Das Erscheinen Anne Fabyans hatte ihn verblüfft und ein klein wenig schockiert, weil er geglaubt hatte, Godfrey verfüge über mehr Feingefühl, aber dann dachte er mit weit geringerem Scharfblick als sonst, dass sein Gefühl für Anne anderen vielleicht nicht so kristallklar erschien wie ihm selbst, und dass Godfrey möglicherweise nie etwas bemerkt hatte. So unterhielt er sich mit Myra Duncan über ihren Garten, der ihn nicht im geringsten interessierte, und die ganze Zeit war für sie und alle anderen, die darauf achten wollten, überdeutlich, dass er nur eines wollte, nämlich durch den Saal zu Anne eilen.

Und Anne unterhielt sich mit Peter Martindale und wünschte von ganzem Herzen, nicht hergekommen zu sein. Aber Godfrey hatte die Einladung mit Nachdruck ausgesprochen; sie mochte ihn und hatte ihm schon genug wehgetan, und ihr Ausbleiben hätte eher Anlass zu Bemerkungen gegeben als ihre Anwesenheit hier unter ihren Freunden.

Von ihnen allen schien Lydia Skelton am unbeschwertesten zu sein; sie hielt an einem der hohen Fenster, die strohfarbene Gardine war ein passender Hintergrund für ihr schwarzes Haar und das auffällige schwarze Kleid, und die Gruppe, deren Mittelpunkt sie war, übertraf an Lebhaftigkeit alle anderen. Celia, ihre Schwägerin, deren Aufmerksamkeit wieder von Edwards Gespräch mit Arthur Lowell abgeirrt war, beobachtete sie und fragte sich, was sie in Wirklichkeit empfand – war sie denn gar nicht verletzt? Edward hätte ihr erklärt, dass sie das nichts anging, aber ihr Mitgefühl galt Lydia, der betrogenen Ehefrau. Wenn man Lydia so ansah, fiel es jedoch schwer, die richtige Einstellung zu behalten, so glücklich und sorglos wirkte sie. Und gerade als Celia dachte: Ich möchte doch zu gerne wissen, worüber sie alle reden – wurde ihr Wunsch auf die peinlichste Weise erfüllt. Es wurde plötzlich still, nach dem lauten Stimmengewirr fast unheimlich still, und durch den ganzen Raum tönte Lydias Stimme, hart und grell und selbstsicher. »Nein, ich weiß nicht, was Jeremy im Augenblick schreibt. Er spricht seit einer Woche nicht mit mir.« Sie machte eine Pause und schaute sich um, durchaus nicht betroffen davon, dass alle zuhörten. »Nicht, seitdem ich ihm erklärt habe«, fügte sie mit Betonung hinzu, »dass ich niemals einer Scheidung zustimme, egal, was er sagt oder tut.«

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Jenny Maitland blickte auf das rote Samtkästchen auf ihrem Knie und betrachtete voll Befriedigung die Brosche darin, einen Blütenzweig aus Brillanten und Saphiren.

»Weißt du, was Geoffrey Joan zum Geburtstag geschenkt hat?«, fragte sie plötzlich. »Einen neuen Gasherd.«

»Vielleicht hat sie sich den gewünscht«, meinte ihr Mann sachlich.

»Ausgeschlossen«, sagte Jenny, den Blick auf der Brosche. Sie drehte die Brosche ein wenig, damit sie funkelte. »So etwas wünscht sich kein Mensch.«

»Ich habe sie von Father William«, sagte Antony und atmete auf, als er von Jennys Freude überzeugt war.

»Wirklich? Wie geht es ihm?«

»Er ist älter geworden, aber gebessert hat er sich nicht.«

Jenny sah lachend zu ihm auf.

»Du glaubst doch nicht...«

»Nein, nein. Er ist zu klug, um Hehlereigut offen zu verkaufen. Außerdem wusste er, dass das Schmuckstück für dich ist.«

»Würde das einen Unterschied machen?«

»Selbstverständlich. Weißt du nicht, dass er dich gernhat? Und mich übrigens auch, obwohl ich nicht begreife, wieso.«

»Es ist wohl besser so. Es wäre peinlich, wenn ich mir vornehmen müsste, sie nicht zu tragen, sobald Inspektor Sykes zum Essen kommt.«

»Wäre das deine ganze Sorge?«

Jenny riss die Augen weit auf.

»Aber sicher!«, sagte sie unschuldig.

Antony lachte und sagte: »Sehr unmoralisch, Liebling.«

Dann läutete das Telefon, und Jenny stellte das rote Kästchen auf das Sofa und stand auf, um den Hörer abzunehmen.

Sie reichte ihn einen Augenblick später an Antony weiter, und ihr Blick verriet, dass sie den Anrufer mochte, aber trotzdem ein wenig besorgt war.

»Vera Langhorne, Antony.«

Er griff nach dem Hörer mit dem etwas mulmigen Gefühl, das berufliche Anrufe Veras für gewöhnlich begleitete, denn wenn er mit ihr zu tun hatte, gerieten die Dinge oft außer Kontrolle. Eigentlich merkwürdig, wenn man an ihre außerordentliche Achtbarkeit dachte.

Miss Langhorne war sehr direkt.

»Brauche Ihre Hilfe«, sagte sie auf sein eher vorsichtiges Hallo hin. Es fiel ihm nicht schwer, sie sich vorzustellen: eine hochgewachsene, breitgebaute Frau, die auf die Sechzig zugehen musste, falls sie sie nicht schon erreicht hatte. Und er hätte wetten mögen, dass sie dasselbe, eher sackartige Kleidungsstück unbestimmbarer Farbe trug, das sie bei ihrer letzten Begegnung angehabt hatte. »Liegt auf Ihrer Linie«, fuhr sie fort und bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.

»Ein Fall?«, fragte er.

Aber die Antwort darauf wusste er schon, und ihr barsches »Liegt nahe, nicht?« setzte ihn nicht in Erstaunen.

»Stimmt.« Es klang nicht so, als sei ihm die Bestätigung ein Trost. »In Chedcombe?«, fragte er.

»Weiß, dass Sie den Ort nicht mögen.«

»Das ist es nicht.« Das war es eigentlich nicht. Chedcombe war auf den ersten Blick eine sehr anziehende Marktstadt, aber die Erlebnisse bei seinem letzten Besuch dort hatten eine Abneigung in ihm hervorgerufen.

»Sollten sich davon nicht beeinflussen lassen«, meinte Vera missbilligend, ohne seinen Widerspruch zu beachten. »Sind Sie frei?«

»Ich könnte es einrichten«, gab er zu. »Was ist es für ein Fall?«

»Mord.«

»Ist wieder ein anständiges Mädchen angeklagt?«, fragte er, ohne den Sarkasmus in seiner Stimme ganz zu verbergen.

Vera lachte kurz.

»Ein Mann. Das Dumme ist, ich verstehe ihn nicht. Seltsamer Kauz.«

»Und da glauben Sie, dass ich besser mit ihm zurechtkomme?«

Früher einmal hätte Vera eine solche Bemerkung ernst genommen. Jetzt wusste sie immerhin schon besser Bescheid.

»Eigenartige Geschichte«, bekräftigte sie. »Ihre Art von Fall.«

»Wieso?«

»Weil er größere persönliche Aufmerksamkeit verlangt, als bei einem Mandat sonst üblich.«

»Verstehe. Wer sind die Solicitors?« Während er das sagte, wusste er, dass er sich damit schon festlegte, aber der springende Punkt war eben der, dass er Vera gernhatte, und Vera besaß ein Gewissen, und wenn sie sich Sorgen machte...

»Neale und Tupper. Godfrey Neale hat mich gebeten, Sie anzurufen. Er wusste, dass ich Sie kenne, und auch, dass man Sie erst überreden muss.«

Er lächelte. Veras Vorstellung von Überredungskunst ermangelte zumindest der Raffinesse.

»Erzählen Sie lieber«, sagte er. »Wer ist überhaupt ermordet worden?«

»Eine junge Frau namens Lydia Skelton. Übrigens eine Nachbarin von mir – aus einem der großen Häuser am Causeway.«

»Und der Beschuldigte?«

»Ihr Ehemann. Haben Sie schon einmal von Jeremy Skelton gehört?«

»Ja, sicher. Er schreibt recht amüsante Detektivgeschichten.«

»Satirische«, sagte Vera.

»Ja, mag sein...«

»Hab’ selbst nie eine gelesen. Sagte ich schon, dass ich ihn nicht verstehe?«

»Hat er es getan?«

»Er sagt nein.«

»Dann also – glauben Sie ihm?«

»Möchte Ihre Meinung hören.« Und das war auch eine Methode, die eigene zu verschweigen. »Ist ja wohl der ganze Zweck der Übung. Sehen Sie sich ihn lieber selbst an«, sagte Vera.

Antony folgte ihrem Beispiel und vergeudete keine Worte mehr, weil er sich schon entschieden hatte.

»Wann?«, fragte er, und es klang nicht einmal resigniert. Jenny, die in ihrer Lieblingssofaecke saß, schnitt hinter seinem Rücken eine Grimasse.

»Je früher, desto besser«, erwiderte Vera.

»Also gut. Ich stimme mich mit Mallory ab und rufe Sie heute Abend an. Genügt das?«

»Vielen Dank.« Er hätte auflegen können, aber irgendetwas in ihrer Stimme verriet ihm, dass sie noch nicht ganz fertig war. Nach kurzem Zögern sagte sie nicht ganz so abrupt: »Noch etwas...«

»Ja?«

»Wenn Sie feststellen, dass Sie nicht zurechtkommen, mit dem Mandat und den Ermittlungen...«

»Werden die so beschwerlich sein?«

»Schwer zu sagen. Erwähnte schon, dass es eine merkwürdige Situation ist.«

»Ja, aber...«

»Zeit genug, wenn ich Sie sehe«, erklärte Miss Langhorne entschieden. Er kam auf den Gedanken, dass das Ferngespräch immer teurer wurde, und dass sie das vielleicht störte.

»Gut«, meinte er. »Wenn ich nicht zurechtkomme...« Er machte eine einladende Pause.

»Könnte Sir Nicholas bitten...«

»Allerdings.« Wenn sie hier gewesen wäre, hätte er Lust gehabt, sie ein bisschen aufzuziehen. Aber so... »Ich nehme an, dass er gerne helfen würde«, sagte er. »Wenn Neale und Tupper nicht warten, bis Mallory ihm einen vollen Terminkalender präsentiert.«

»Entscheide ich, wenn ich Sie sehe«, sagte Vera. »Umso mehr Grund...«

»Ja, ich komme, sobald ich kann.« Aber als sie sich verabschiedet hatte und er sich umdrehte, zweifelte er schon an der Weisheit seines Entschlusses. »Ich wollte nie mehr nach Chedcombe«, sagte er zu Jenny. »Das Problem ist, ich mag Vera.«

»Will sie Onkel Nick auch haben?«

»Wahrscheinlich.«

»Er reist nicht gern.«

»Nein, aber – ich glaube, er schätzt Vera auch. Er sagte, sie sei eine bewundernswerte Frau. Erinnerst du dich?«

»Ich gebe zu, dass das für ihn hohes Lob ist.«

»Na ja, es hängt alles davon ab, was ich dort vorfinde. Vielleicht gibt es nichts, was sich aufzuklären lohnt, vielleicht bleibt nichts zu tun, als vor Gericht das Beste aus der Sache zu machen.«

»Wenn Vera besorgt ist...«

»Sie ist in diesen Dingen empfindsamer, als sie selbst weiß«, räumte er ein. »Außerdem lernt man nie aus. Ich muss gehen, Jenny. Ich bin schon spät dran.«

»In der Kanne ist noch Kaffee.«

»Führe mich nicht in Versuchung.« Er ging zur Tür, aber als Jenny ihm folgte, sagte er über die Schulter: »Was machst du heute noch, Liebling?«

»Das liegt doch nahe. Ich gehe einkaufen.«

»So?« Irgendetwas an ihrem Tonfall erweckte sein Interesse. Er blieb stehen und sah sie fragend an.

»Ich brauche ein neues Kleid«, sagte Jenny lächelnd. »Das zur Brosche passt.« Er nahm an, dass sie für einen Augenblick ihre Abneigung gegen seine nicht zu häufige Abwesenheit vergessen hatte, und machte sich beruhigt auf den Weg.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Seit Jahren bewohnten die Maitlands die oberen Stockwerke des Hauses am Kempenfeldt Square, das Sir Nicholas Harding gehörte. Sir Nicholas war sowohl Antonys Onkel wie Senior der Anwaltskanzlei im Inner Temple, der auch Antony angehörte, und diese Einrichtung hatte sich als praktisch erwiesen, auch wenn sie von Zeit zu Zeit ihre Nachteile hatte.

An diesem Abend, einem Dienstag, an dem Mrs. Stokes immer frei hatte, aß Sir Nicholas bei ihnen; da Jenny Geburtstag hatte, hätte er es wohl auf jeden Fall getan. Er bewunderte pflichtgemäß das Schmuckstück, ließ sich über die Herkunft, selbst wenn er sie erraten hatte, nichts anmerken, und überreichte sein eigenes Geschenk, eine Krokodillederhandtasche.

»Das bedeutet wohl auch einen neuen Mantel«, meinte Antony düster. Jenny lächelte ruhig, ließ sich aber nicht aus der Reserve locken; Sir Nicholas sah vom einen zum anderen und fragte sich laut, ob er in irgendeiner Weise einen Mangel an Takt bewiesen habe. Auch das war eine bewusste Herausforderung.

Erst nach dem Essen brachte Antony Vera Langhornes Anruf zur Sprache. Sie tranken Kaffee, und Jenny hatte entschieden, dass es kalt genug war, um zum ersten Mal in diesem Herbst das Kaminfeuer anzuzünden.

»Ich kann nicht behaupten, dass ich scharf darauf bin, wieder nach Chedcombe zu fahren«, sagte Antony und fügte nicht ganz ehrlich hinzu: »mir ist aber keine plausible Ausrede eingefallen.«

Sir Nicholas traf die sorgfältigen Vorbereitungen, die dem Genuss einer Zigarre stets vorangingen.

»Es hätte deine Phantasie sicher nicht überanstrengt«, meinte er, ohne aufzusehen, »wenn du ihr erklärt hättest, dass du völlig ausgelastet bist.«

»Das wäre nicht die Wahrheit gewesen.«

»Noch nicht.« Sir Nicholas hob kurz den Kopf und lächelte. »Es ist natürlich erfreulich zu wissen, dass du keine Lüge über die Lippen bringst, aber du verzeihst mir die Überlegung, ob Miss Langhorne nicht einen zusätzlichen Anreiz geboten hat, damit du den Fall übernimmst.«

»Sie sagte, er sei merkwürdig und sie brauche meine Hilfe.«

Die Zigarre konnte jetzt angezündet werden, und Sir Nicholas ließ sich Zeit damit. Schließlich sagte er: »Mit anderen Worten – sie hat dir einen Freibrief gegeben, dass du dich überall einmischen kannst, wenn dich die Lust anwandelt.«

»Wenn du es so nennen willst.«

»Allerdings«, sagte Sir Nicholas ruhig.

»Es war kein Anreiz.« Das entsprach der Wahrheit.

»Nein? Du hast aber zugestimmt.«

»Ich sagte, ich fahre hin und sehe mir den Beschuldigten an. Ich kann nichts entscheiden, bis ich nicht weiß...«

»Ob du den Fall übernehmen sollst?«

»Ob ich mich einmischen soll – wie du das nennst.«

Sir Nicholas, hatte diesen und ähnliche Ausdrücke oft genug gebraucht, ohne eine Reaktion hervorzurufen. Er kam deshalb zu dem Schluss, dass seinen Neffen über die mitgeteilten Tatsachen hinaus noch etwas anderes beschäftigte.

»Hast du einen besonderen Grund dafür gehabt, mir das zu erzählen?«, fragte er.

»Ich fahre morgen nach Chedcombe. Es geht nicht anders, weil ich am Donnerstag eine Besprechung habe, und Geoffrey brütet etwas aus, weshalb er mich am Freitag sprechen will.«

»Verstehe.« Sir Nicholas rauchte eine Zeitlang gelassen. »Deine Abwesenheit wäre mir vermutlich aufgefallen.«

»Es hört sich interessant an, Onkel Nick«, sagte Jenny, ließ sich die Tasse ihres Mannes geben, um nachzufüllen, und sah Sir Nicholas an. »Ich habe vorige Woche in der Zeitung gelesen, dass Jeremy Skeltons Frau ermordet worden ist, aber wir wussten nicht, dass man ihn verhaftet hatte, bis Vera anrief.«

»Wer ist Jeremy Skelton?«

»Er schreibt Kriminalromane – das weißt du doch. Liest du nie Krimis?«

»Nur im Bett. Ich kenne die Bücher von Miss Agatha Christie«, fügte er wie jemand hinzu, der ein Zugeständnis macht.

»Jeremy Skeltons Bücher sind eher Satiren als richtige Krimis«, sagte Antony. »Das letzte hieß Durchbohrt von Dolchen, wir hatten es erst vor ein, zwei Wochen ausgeliehen.«

»Der Titel ist nicht gerade anziehend.«

»Nein? Ich fand ihn ganz originell. Die Sache ist aber die, Onkel Nick – Vera sagt, dass sie ihn nicht versteht.«

»Das wundert mich eigentlich nicht. Hält sie ihn für unschuldig?«

»Sie sagt, sie weiß es nicht. Das Problem ist, sie hat schon immer Bedenken wegen ihrer eigenen Meinung gehabt, aber ihr Instinkt hat sie in den beiden früheren Fällen nicht betrogen...«

»Ich scheine bei dir eine gewisse Scheu zu entdecken, zur Sache zu kommen, Antony.«

»Nun, Sir...«

»Mein Instinkt sagt mir, dass dein Gespräch mit Miss Langhorne an dieser Stelle noch nicht beendet war.«

»Es war nur so, dass ich für sie feststellen sollte, ob du einverstanden wärst... Nur, falls die Nachforschungen meine Zeit zu sehr in Anspruch nehmen sollten.«

Sir Nicholas gab nicht vor, ihn misszuverstehen, aber es eilte ihm mit der Antwort auch nicht.

»Du weißt sehr gut, dass Mallory es nicht schätzt, wenn ich auswärts bin«, sagte er schließlich nachdenklich.

»Gewiss«, sagte Antony pflichtgemäß. Beide wussten, dass das eine reine Fiktion war, die Sir Nicholas Vergnügen bereitete. Mallorys Einmischung wurde in Wahrheit nur geduldet, soweit es seinem Arbeitgeber angenehm war. »Nichtsdestoweniger...« Er machte eine Pause und wartete.

»...bist du der Ansicht, dass ich eine Ablehnung nicht überstürzen sollte. Nun, vielleicht hast du recht.« Sir Nicholas streifte sorgfältig Asche ab. »Wir dürfen nicht vergessen, dass Miss Langhorne eine scharfsichtige Frau ist, wie du schon betont hast.«

»Stimmt, Onkel Nick«, bestätigte Maitland. Es bestand keine Gefahr, dass er es vergaß, wenngleich Scharfsichtigkeit wohl das letzte Attribut war, das Vera für sich in Anspruch genommen hätte.

»Falls es also notwendig werden sollte...«

»Ich weiß Bescheid, sobald ich mit Skelton gesprochen habe«, sagte Antony erleichtert. Bei Onkel Nick wusste man nie genau Bescheid. »Neale und Tupper – sie sind die Solicitors – könnten sich vor dem Wochenende mit Mallory in Verbindung setzen.« Jenny hatte darauf hingewiesen, dass der Fall vielleicht nicht uninteressant war, und mit vorübergehendem Optimismus dachte Antony, dass das wirklich sein könnte, und dass sich sogar für Chedcombe etwas ins Treffen führen ließ...

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Als Maitland am nächsten Vormittag dort ankam, zeigte sich die Stadt jedenfalls von ihrer besten Seite. Es war einer von den angenehmeren Septembertagen, und die grauen Gebäude wirkten im Sonnenschein freundlich. Als ihn das Taxi vor dem Hotel George am Market Square absetzte, freute er sich schon auf das Mittagessen mit Vera, und den Gedanken an den Besuch im Gefängnis, der folgen musste, hatte er verdrängt.

Vera Langhorne, die in der Fensternische des Aufenthaltsraumes stand, beobachtete ihn, als er ausstieg und den Fahrer bezahlte. Ein hochgewachsener, schlanker Mann, dunkelhaarig, mit einer legeren Haltung, die sie schon vor langer Zeit als Pose erkannt hatte, und einem entwaffnenden Lächeln, das ebenfalls zu täuschen vermochte. Er war intelligent, das wusste sie. Sie sollte ihm eigentlich vertrauen – sie vertraute ihm auch, da sie ihn für ehrlich und gewissenhafter hielt, als gut für ihn war, aber er gehörte zu den Menschen, bei denen sich immer etwas tat, und manchmal dachte sie ein bisschen wehmütig, dass ein anderer dasselbe unter weniger aufregenden Umständen erreichen würde. Sie betrachtete ihn jetzt also befriedigt, weil sie sein Interesse geweckt hatte, aber auch mit einigem Bangen.

Antony steckte seine Brieftasche ein und trat in die düstere Halle. Als sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er den Empfangschef grinsen und hob grüßend die Hand; der Mann erinnerte sich offensichtlich an ihn, und das ohne Groll. Der Geschäftsführer hätte sich vielleicht nicht so freundlich gezeigt, auch wenn es im Grunde unfair war, einem Gast die Schuld an zerbrochenen Fenstern oder unflätigen, auf den Gehsteig vor dem Hotel geschmierten Botschaften die Schuld zu geben.

Antony betrat den Aufenthaltsraum und sah Vera am Fenster sitzen. Er dachte an den Januartag, an dem er sie kennengelernt hatte, und erinnerte sich, wie er sich damals gewünscht hatte, dass sie statt der kältesten Ecke des Raumes einen Sessel am Kaminfeuer gewählt hätte. Heute war ihr Verhalten verständlicher; es war ihm sogar in seinem Regenmantel zu warm gewesen, den er jetzt über dem Arm trug. Vera hatte, wie erwartet, das sackartige, mausgraue Kleid an, aber der leichte Mantel über der Stuhllehne neben ihr war von erstaunlichem Hellblau – erstaunlich deshalb, weil Antony früher bei ihr so etwas nie gesehen hatte.

Er hatte damit gerechnet, das Material gegen Jeremy Skelton beim Essen serviert zu bekommen, und war zuerst erfreut und dann betroffen, als sie das Thema mied. Als er versuchte, es selbst zu Sprache zu bringen, sagte sie nur: »Sehen Sie selbst. Besser so.« Dann fuhr sie fort, von einer Aufführung von Beethovens Missa Solemnis zu berichten, die im vergangenen Monat in der Stadt stattgefunden hatte.

Maitland trödelte beim Kaffee, weil seine Abneigung gegen den Besuch im Gefängnis wieder in den Vordergrund getreten war. Ob Miss Langhorne seine Empfindungen vorhergesehen hatte oder nicht, sie hatte jedenfalls dafür gesorgt, dass Godfrey Neale sie pünktlich um zwei Uhr mit dem Wagen abholte. Als Neale eintraf, bestand sie darauf, dass Antony sich zum Fahrer setzte, während sie hinten einstieg.

»Gelegenheit zur Unterhaltung«, sagte sie. »Wenn Sie wollen.«

Neale war Mitte Vierzig, mittelgroß, kompakt, mit aschblondem Haar und gesträubtem Schnurrbart. Er drückte seine Dankbarkeit für Maitlands Kommen aus, ließ das Thema aber fallen, bevor es lästig wurde.

»Miss Langhorne hat Ihnen vielleicht erzählt, dass ich nicht nur Jeremys Solicitor, sondern auch sein Freund bin.«

»Verstehe«, sagte Antony und dachte bei sich, dass das unter gewissen Umständen auch peinlich werden konnte. »Ich weiß noch nichts als die nackten Tatsachen über den Tod seiner Frau, so wie sie in den Zeitungen berichtet wurden. Sie ist erwürgt worden, nicht?«

»Mit einem Nylonschal – ihrem eigenen.«

»Da die Festnahme so schnell erfolgte, nehme ich an, dass zumindest die Gelegenheit zur Tat bestanden hat.«

»Ich glaube, dazu soll sich Jeremy lieber selbst äußern«, meinte Godfrey ausweichend.

Antony blickte sein Spiegelbild in der Windschutzscheibe grimmig an und sagte mit einiger Schärfe: »Irgendein Motiv?«

»Das hatte er allerdings«, erwiderte Neale dumpf. Er zögerte und wählte seine Worte mit Bedacht. »Überdies wusste jedermann davon.«

»Jedermann?«, sagte Maitland skeptisch.

»Nun, praktisch jedermann. Man könnte sagen, es sei meine Schuld gewesen, obwohl ich nicht voraussehen konnte, was geschehen würde.«

Er verstummte, und nach einigen Augenblicken sagte Vera: »Erklären Sie das lieber.«

»Ja, gewiss. Ich habe eine Party gegeben, eine Cocktailparty, in einem Saal im George. Revanche für Gastfreundschaft – seitdem meine Frau tot ist, die beste Lösung für mich. Es waren genug Leute da, um sicherzustellen, dass die Geschichte in der ganzen Stadt bekannt wurde.«

»Was für eine Geschichte?«, fragte Antony nicht ganz so ungeduldig, wie ihm zumute war.

»Entschuldigen Sie, ich erzähle das schlecht. Ich hatte natürlich schon seit geraumer Zeit gewusst, dass Jeremy und Lydia sich nicht verstanden.«

»An wem lag das?«

»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen das sagen kann.«

»Nicht kann oder nicht will?« Da Vera nicht mehr eingreifen zu wollen schien, war etwas Offenheit angebracht.

»Ich weiß nicht, wie es angefangen hat. Um gerecht zu sein, es ist sicher nicht einfach, mit Jeremy zusammenzuleben. Und dann verliebte er sich in eine andere Frau.«

»Und das wusste Jedermann«?«

»Viele Leute haben es vermutet, glaube ich. Aber ich wollte von der Party erzählen. Jeremy und Lydia waren auch dabei. Es herrschte ein ziemlicher Lärm, wie meist bei solchen Veranstaltungen, und schlagartig wurde es ganz still. Sie wissen ja, wie so etwas passieren kann.«

»Sicher«, sagte Maitland aufmunternd. Er begann sich zu wundern, und das lag ebenso an dem, was Godfrey nicht sagte, wie an dem, was er berichtete. »Es wurde still – und was geschah dann? Haben sie gestritten?«

»Durchaus nicht. Irgendjemand hatte Lydia offenbar nach dem Buch gefragt, an dem Jeremy arbeitete, und sie erklärte rundheraus, sodass jeder es hören konnte, dass sie keine Ahnung habe... er spreche nicht mit ihr, seitdem sie ihm erklärt habe, sie sei mit einer Scheidung nicht einverstanden.«

»Ja – verstehe. Peinlich«, meinte Antony und fragte sich, wo die Sympathien des anderen nun wirklich lagen. Er fragte sich auch, weshalb Vera ihm nicht wenigstens soviel erzählt hatte. »Wie lange war das vor dem Mord?«

»Die Party war am Sonntag vor einer Woche – am zehnten. Lydia wurde am folgenden Mittwoch getötet, und am Freitag nahm man Jeremy fest.«

»Vor fünf Tagen.«

»Hm – ja.« Die Bemerkung war nicht ganz das, was Godfrey erwartet hatte.

Vor fünf Tagen – oder vor einer Ewigkeit. Wenn der Mann wirklich unschuldig war... Aber der Fall schien ganz klar zu sein. Die naheliegende Lösung war auch meistens die richtige, das konnte einem jeder Polizeibeamte erklären.

»Wie viele Personen waren bei der Party?«

»Ich weiß nicht genau. Ich habe an die fünfzig eingeladen, aber ein paar sind nicht gekommen.«

»Die Polizei hat Sie nicht danach gefragt – nicht gebeten, eine Liste aufzustellen?«

»Nein.«

»Woher hat sie dann Bescheid gewusst, glauben Sie? Wenn sie davon gehört hat.«