DOPAMINE ISLAND - Robert Fawkes - E-Book

DOPAMINE ISLAND E-Book

Robert Fawkes

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Beschreibung

Abenteuer Satt

 

Eine Goldader, ein Sechser im Lotto, ein Zufall, so selten,

wie ein Kometeneinschlag.
So fühlt sich die Verheissung an, auf die plötzlich alles

hinzudeuten scheint, wie eine magische Kompassnadel.
Doch zehn Kilo Koks, zwischengelagert in einer

atlantischen Grotte, sind kein Pappenstiel.
Und den Stoff zu finden, zu bergen und sich obendrein

noch eine Bande lästiger Schmarotzer vom Leib zu halten,

ebenfalls nicht.
Doch so eine Chance können sich die schrägen Vögel
Lenno und Everest auf keinen Fall entgehen lassen. Und

so beginnt für die beiden Landratten ein abgefahrener Trip

hinaus in nie gekannte Weiten hin zu einer magischen Insel

und hinein in den Rausch eines fulminanten Abenteuers.
Unter Bedingungen allerdings, die ihre Grenzen und
Erwartungen um einiges überschreiten werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Robert Fawkes

DOPAMINE ISLAND

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

.

Robert Fawkes

 

DOPAMINE ISLAND

 

 Roman

 

 

.

 

 

Hinter jedem grossen Vermögen steht ein Verbrechen.

Honoré de Balzac

Manchmal muss man sich auch vom Nichtstun erholen.

Jean Cocteau

Der kommt nicht mehr zurück!

Keanu Reeves / Tödliche Brandung

Babylon

Kapitel 1

Mit sechsundzwanzig sind wir im Bombenhagel treibender Beats durch die Clubnächte ungezählter Wochenenden gezogen und haben es uns ordentlich besorgt. Die Unterstützung durch psychotrope Substanzen war integraler Bestandteil des Vergnügens und auch die Musik war speziell darauf zugeschnitten. Sie war laut, dröhnend, brachial und ausserirdisch schön. Stroboblitze zerhackten die Zeit in Bilder, Scheinwerfer bohrten sich durch wabernden Dunst, Leute tanzten in Trance zum monotonen Lärm der hämmernden Pulse. Und ich war glücklich. Zum ersten mal im Leben war ich wirklich und wahrhaftig glücklich, so verrückt das klingt.
 Dann aber wurde es Montag, der Wirbel war vorbei und die Freizeitmeute taumelte zerschlagen in die Tretmühlen der Leistungsgesellschaft zurück.


In dieser Phase unserer Leben war Sound alles. Ich hatte eine fantastische Zeit und wollte ohne grosse Obstakel in eine Zukunft weiterdriften, die in Ordnung gehen würde; vielleicht was mit Kunst- oder Musikkarriere. Oder von mir aus auch irgendwas anderes. Wir waren immer gut drauf, das Leben war ein Paradies, ein heisser Frühling, ein Schweben auf Wolke sieben. Und ich hab‘ mir massenhaft viel Zeit genommen, hab sie verschenkt und ausgedehnt, vertan oder in blauen Dunst aufgehen lassen. Hab die Nächte durchgemacht, getanzt, gefeiert und gelottert und bin mit den durchgeknalltesten Vögeln tagelang durch hedonistische Traumwelten gezogen, hab in Öl gemalt, hielt mich für einen guten Fotografen und arbeitete überdies in einem Sexshop. Und ich hab Schallplatten aufgelegt, oft bis in den Morgen hinein. Meistens sogar. 
Also bitte, wir waren sechsundzwanzig. Was soll ich sagen?

Vielleicht, dass sich der ganze Rummel schon bald zu einer Abenteuerfahrt ins Blaue verdichten sollte, einer modernen Odyssee, die mich haarsträubend nahe an meine ganz persönlichen inneren Dämonen heranführen würde, das kann man getrost so stehen lassen. Tja und wie das ablief, das bring ich hier und jetzt endlich mal zu Papier, bevor mir irgendwann wirklich der Kalk aus den Hemdsärmeln rieselt.


Ich bummelte damals gerade durch das dritte Semester eines Werbegrafik-Studiums und bildete mir ein, die dort gelehrte Irreführung durch künstlerische Finesse austricksen zu können, um dann später mit irgendwas besonderem ganz gross rauszukommen. Zukunft war etwas weit entferntes, belanglos. Sie war mir scheissegal. Nein, ganz ehrlich, es war wirklich so. Irrationale Ängste hielten mich davon ab, einen Kahn in Fahrt zu bringen, den ich nicht mehr würde stoppen können, ohne dass die Passagiere mit mir untergehen würden. Familie, Verantwortung, und die lebenslange Verpflichtung, die mit sowas einherging? Nein danke, ohne mich.
Ausserhalb der Uni ging ich profaneren Verrichtungen nach. Wir organisierten alle vier Wochen recht ausschweifende Party Events und verdienten ziemlich dabei. Das hatte sich ganz einfach mit der Zeit so ergeben. Mein bester Kumpan Everest war der stolze Besitzer leistungsstarker Boxentürme, die mit überdimensionierten Subwoofern bestückt waren, wohingegen ich mit Plattensammlung, und ordentlich Musikgespür aufwarten konnte. Der Scheiss funktionierte wie von selbst.


Ich trug meist schwarze Kleidung, dazu spitze Schuhe und residierte in einer runtergerockten Hinterhof-Dachbude im fünften Stock eines Altbaus, umgeben von einer kruden Dachlandschaft aus grauem Schiefer. Das Leben war supi, mein Auto uralt, meine Wohnstatt geräumig, spartanisch und minimalistisch eingerichtet. Darüber lag ein versteckter Dachboden, so flach, dass man kaum aufrecht darin stehen konnte. Während der Semesterferien installierte ich dort eine ausgeklügelte Marihuanaplantage unter Kunstlicht, um meine bescheidenen Einkünfte etwas aufzupeppen. Dort oben auf dem Speicher lagerten auch all die Farbdosen, die immer wieder bei diversen nächtlichen Graffiti-Spray-Aktionen zum Einsatz kamen. Ja, ich war kriminell. Okay. Aber mit Ehrgefühl.


Nebenan wohnte in einer völlig überladenen Bude ein kauziges Omilein von Pygmäen-Format, die sonderbar spiritistischen Beschäftigungen nachging. Die gewitzte Alte, eine ungarische Wahrsagerin mit schneeweisser Afro-Krause, legte für die wunderlichsten Einfaltspinsel Karten und ging ausgesprochen kultiviert mit mir um. Überhaupt wohnten in dem Haus allerlei schräge Typen.
 Egal, die Zeit verrann und es gab meist genügend nette Gelegenheiten sich anderswo zu amüsieren. Wiesbaden. Irgendwo fand immer eine Party statt. Oder ein Konzert, ein Frühstück, eine Session, 'ne Vernissage, ein Ausflug oder ein Happening. Hauptsache, es waren interessante Leute daran beteiligt, die noch einigermassen frei im Kopf waren. Junge Menschen eben. Menschen mit Zeit.


Noch war der Anglizismus Selfie nicht aus dem Anus der Dummheit in die Welt entfleucht, Fotos wurden noch auf Rollfilm belichtet und Spielfilme im Vakuum klobiger Bildröhren aus Glas sichtbar gemacht, die in Kästen, schwer wie Panzerschränke, eingelassen waren.
 In dem Jahr beschlossen Jane’s Addiction sich aufzulösen, und gaben eine Abschiedstournee, auf der auch Siouxsie and the Banshees mit auftraten, die USA befanden sich im zweiten Golfkrieg und das Burning Man Festival zog vom Baker Beach in die Salztonebene des eiszeitlichen Lake Lahontan um. Handys gab es zwar schon, jedoch ohne Touch-Screens, Gesichtserkennung, Fotofunktion oder Internet. GPS-Navigationsgeräte waren nicht verfügbar, Wi-Fi, E-Reader oder Beamer waren auch noch nicht erfunden in den frühen Neunzigern, genau so wenig wie die erste Play-Station, Facebook, Street View, Youtube, Flieger, die sich in Bürotürme bohrten, einen durchgeknallten Fettsack im Weissen Haus oder mutierte Fledermausviren, die eine globale Pandemie auslösen sollten. Die wirklich fiesen Zeiten lagen wohl erst noch vor uns. 


Wenn ich einen Startpunkt benennen müsste, der sich zu dieser abgefahrenen Geschichte verdichten sollte, so ist es seltsamerweise jener Morgen, der mir dabei in den Sinn kommt. Ein Freitag im April 1991. 
Für abends war eine Tanzveranstaltung anberaumt, auf der ich für die musikalische Untermalung zu sorgen hatte. Und ich würde dort auf ein hinreissendes Wesen weiblicher Natur treffen, eine zarte Versuchung namens Hellen, die sich mit mir auf eine Liaison eingelassen hatte.

Deswegen war ich an diesem Tag besonders gut gelaunt, - und ging so meiner betagten Nachbarin auf den Leim. Die Alte war hoch angesehen in gewissen Kreisen. Und sie wollte eine professionelle Portraitaufnahme von sich, in vollem Ornat, inmitten ihres Panoptikums magischer Gegenstände. Ich hatte ihr vor einiger Zeit versprochen, mich darum zu kümmern. Sie fing mich im Treppenhaus ab, als ich gerade meine Einkäufe nach oben schleppte.


»Junger Mann,« gurrte sie. »Sie haben heute kurz Zeit?«


»Die Aufnahme?«, fragte ich zurück. Sie nickte und sah mich dabei geheimnisvoll lächelnd an. »Okay. Ich bin in zwei Minuten bei Ihnen. Mit Kamera.«
 Sie jubilierte wie ein junges Mädchen und tänzelte in ihre Wohnung. Die Tür liess sie einen Spalt weit offen. Ich stapfte gleich in meinen Atelierraum, fädelte einen neuen Film in die Nikomat und machte mich auf zu dem steinalten Fotomodell, gleich nebenan. An der Wohnungstür war in Kopfhöhe ein würdevolles Täfelchen aus Emaille mit vergoldeten Lettern angebracht;

Mina Fauzana. 
Spirituelle Beratung. Horoskope. Meditation. Karten.
Magische Rituale zur Auflösung negativer Energien.
Entzifferung Magischer Schriften.

Ich klopfte leise und trat ein. Es roch nach Vetiver, Zeder und etwas, das eine Mischung aus Salbeitee und Mottenkugeln zu sein schien. Ihre Bude war ein wüster Mix aus Schreinen, Kandelabern, Laternen, einigen ausgestopften Vögeln, einem ausgestopften Hund und Wandteppichen.


»Hallo? Madame Mina?«, rief ich galant.


»Hier drüben, Lenno«, ihre Stimme kam von Nebenan. Ich positionierte das Stativ vor dem Tischlein, an dem sie ihre Kunden empfing. Sie hatte bereits Platz genommen und rückte eine kitschige Damast-Stola zurecht, die ihr über den Schultern lag. 
Durch das Dachfenster zu ihrer Linken warf der Tag ein derart magisches Seitenlicht auf das Frauchen, dass die Aufnahmen, ohne viel Zutun, ganz grossartig wurden.
 Nach zehn Minuten waren die Bilder im Kasten und wir sassen plaudernd in ihrer Küche. Die war genauso überladen ausstaffiert wie der Rest. Sie hatte einen Tee aufgebrüht und ich bin mir ganz sicher, dass da noch irgendwas anderes mit drin gewesen sein muss. Peyote vielleicht. Überm Küchentisch war ein grünes Filztuch drapiert. Auf dem stand nun, wie von Geisterhand, ein mattsilbernes Kästchen mit mechanischen Riegeln und ausgefeilten Gravuren. Mir war plötzlich ganz seltsam. Ich sah irisierende Farben auf allen Oberflächen.


»Haben sie denn keine Kristallkugel?«, hakte ich nach. Ich war wie paralysiert. Sie war gewitzt, die kleine Hexe.


»Gefällt ihnen der Tulakasten?« Ihre Stimme hatte sich verändert. Sie klang nun leicht hypnotisch, einlullend.

»Recht ungewöhnliches Design«, hörte ich mich sagen. 


»Feine Dinge sind empfindsam«, sagte sie, »Dieses hier besonders. Es will an einem Meridian ausgerichtet sein, ansonsten verliert sich die Wirkung.« Ich war verwirrt,


»Was?« Sie entnahm der Schatulle einen bunten Satz Karten, den sie zu mischen begann, langsam, präzise, 


»Sehen sie auf das Tarot, Lenno. Entspannen sie sich.« 
Ich sah die vollgestopfte Küche wie durch eine Zerrlinse. Nach einer Weile fiel zufällig ein Blatt heraus und blieb verdeckt liegen. Sie mischte weiter, achtete nicht darauf. Eine zweite Karte löste sich aus dem Satz und die fiel so, dass das Bild nach oben zeigte. Ein Typ war darauf zu sehen, ein Bündel Schwerter unter dem Arm. Er schien sich aus einem Feldlager davonzustehlen und blickte sich dabei verschlagen um, wie ein Dieb.
 »Ah ja«, flüsterte sie, »Die ‘Sieben der Schwerter‘. Sehr bedeutungsvoll und ziemlich aussagekräftig, obendrein.«

»Is‘ recht«, ich fand das Orakeln mit Tarotkarten töricht.


»Das andere Blatt wird nun offenbaren, wie sie damit in Berührung kommen werden«, informierte sie mich leise. Sie deckte die erste, blind gefallene Karte auf. Die war ungleich komplizierter, noch undurchschaubarer und zeigte seltsam aufeinander gestapelte Pokale, wobei einer zu fehlen schien. Im Hintergrund war ein Wanderer zu sehen, auf einer Landzunge Richtung Meer unterwegs, an dessen Horizont ein paar düstere Inseln aufragten. Am Himmel schob sich eben der Mond vor die Sonne.


»Die ‘Acht der Kelche‘«, klärte sie mich auf, »Natürlich.«

»Was, meinen sie, hat das wohl zu bedeuten?«, fragte ich so nüchtern es ging. Ihre Küche schien sich zu dehnen.


»Nun, ob sie‘s glauben oder nicht,« lachte sie konziliant, »aber sie werden schon bald eine Reise unternehmen, die ihr Leben verändern wird, mein lieber Junge.« Ich bedankte mich und schwankte grinsend los. 


Wieder zurück in meiner eigenen Wohnung, atmete ich auf, bewässerte noch die Sinsemillaplantage, duschte und schleppte ich mich dann triefend zur Matratze zurück in die stabile Seitenlage. Ein kurzes Nickerchen, mehr nicht.

Draussen begann es zu regnen. Madame Mina, die urige Freundin von nebenan, murmelte leise Beschwörungsformeln und ich driftete weg, begleitet vom Zischen des Regens. Riesige Wolkengesichter gafften verwundert von einem knallblauen Himmel herab, als ginge hier unten in der Welt der Träumer Ertaunliches vor sich. Die Alte hatte mich doch tatsächlich unter Drogen gesetzt. Irgendwann plärrte der Wecker. Ich fuhr hoch und machte mich auf den Weg zu meinem Arbeitsplatz.

Wir hatten beschlossen, eine exklusive Party mit zweihundert Eintrittskarten in der Wohngemeinschaft meines alten Kumpanen und Weggefährten Everest stattfinden zu lassen. Mit dem verband mich eine tiefe Freundschaft, die sowohl von improvisiertem Humor, als auch von spektakulären Verrücktheiten geprägt war. Einer nepalesischen Abstammung mütterlicherseits, hatte er sein feingeschnittenes Gesicht, hohen Wangenknochen und den verrückten Namen zu verdanken. Er war aus dem Stehgreif zu Persiflagen fähig, spielte routiniert Schlagzeug und war ausserdem technisch ziemlich gut. Kaltlöten von Wasserleitungen, Zylinderbänke zerlegen und wieder zusammensetzen, elektrische Schaltungen instalieren oder das Reparieren defekter Fernsehgeräte, stellten für ihn keine grosse Herausforderung dar. Ich war Zeuge gewesen, wie er Autoversicherungen hinters Licht geführt, Motoren frisiert oder illegal Strom für die Musikanlage abgezweigt hatte, ohne das geringste Anzeichen von Reue oder anderer Ängste. Er hatte es in dieser Kunst mit der Zeit zu beachtlicher Versiertheit gebracht. 


Damit uns Moralwächter und Kontrollbehörden nicht in die Suppe spucken konnten, wurden unsere Raves mit Flyern betrieben, auf denen eine Nummer vermerkt war. Vier Stunden vor Beginn konnte man anrufen, um den Ort des Geschehens in Erfahrung zu bringen; ein Parkdeck, ein Gehöft auf dem Lande, eine leerstehende Villa, die Stahlbetonlandschaft im Rohbau eines Hochhauses. Heute allerdings, sollten zwei grosse Wohnungen im sechsten Stock eines viktorianischen Altbaus und der Dachstuhl darüber unser Austragungsort sein. 
Als ich dort eintraf, schwebte Indische Musik durch die Räume und es roch nach Curry und Afganischem Grass. Der endlos lange Flur der labyrinthischen Wohnung war mit hundert Personen verstopft, die sich im Lärm der Musik schreiend unterhielten und wie irre rauchten. Ich kämpfte mich den Korridor hinunter bis zum Ende, dort wo sich Everests Zimmer befand.

Sein Reich, im Nepal-Stil eingerichtet, war mit einem handgewebten, lilafarbenen Teppichknüpfkunstwerk ausgelegt, aus kruden Zinkwannen wucherten Bambuspflanzen bis unter die Decke und ein Aquarium glomm grün vor sich hin. Count Everest, kurz Eve, alternativ auch einfach nur ‘Der Count‘, hockte auf einem Podest, umgeben von Freunden, und war dabei Mate-Tee auszuschenken. Die Gäste lagen rum, wie bei einem griechischen Bachanal, grinsten und das übliche Begrüssungsritual lief ab. Lydia, Everests Freundin, drehte einen mächtigen Joint, Hellen, meine blonde Schönheit aus England, riss sich von der esoterischen Esther los, welche die Leute ständig mit ihrem Geschwafel von Kristallen und Globuli nervte, und fiel mir stürmisch um den Hals.


»Hi! Good to see you!«, flüsterte sie, wobei ihre Lippen mein Ohr berührten. Serotonin flutete mein System. 
»Mate! You‘ve got something in your face. -Me!«. Ihre Lippen trafen meinen Mund. Sie war zärtlich, intelligent und auf clevere Art verdorben. Reines Ambrosia. Doch ich wusste, dass ihre Familie drüben in London in fiese Geschäfte verwickelt war. In üble, schräge Geschäfte. Lydia hatte mir gegenüber vor einiger Zeit ein paar wage Andeutungen gemacht. Es gab dort angeblich einen Clan. Einen von der Art, bei der man nicht dumm rumlabert, wenn man weiss, was gut für einen ist. Ganz besonders dann nicht, wenn man echten Kriminellen wie denen so nahe kommt, und der Kopf des ganzen dann auch noch der Vater einer gewissen Blondine ist, mit der man in der Kiste gelandet war. Ich zwang mich, nicht gross darüber nachzudenken.
 Für mich war es, was das betrifft, längst zu spät. 


Das Haar flog ihr um die Ohren, als sie den Kopf wand und sich lachend einer Freundin in die Arme stürzte, die ich noch nie gesehen hatte und ich machte mich auf den Weg, denn meine Plattenkisten warteten noch immer unten im Cabriolet. Mein wertvollster Besitz.
 Dort vor dem Hauseingang stauten sich düstere Gäste, blass geschminkt, Haare schwarz glänzend wie Rabenfedern, krasse Tätowierungen und Silberschmuck, Nasenringe, Totenkopfringe, Augenringe, schwarze Mäntel, schwarze Schuhe, schwarze Hosen, alles schwarz. Ganz anders als oben die Leute. Irgendwie eitel und subtil herablassend. Es ging das Gerücht, dass der harte Kern der okkulten Szene hier, schwarze Messen oben im leerstehenden Neroberg-Hotel im Wald abhielt. Nachts. Mit Blut und so. Egal, die historische Architektur Wiesbadens ging jedenfalls gut mit dem Vampirfasching zusammen, auf den die standen. Ein schwarzes Gefährt schlich heran und kam bei den Gruftis am Bordstein zum Stehen. Der Fahrertür entstieg ein Knilch in einem Ledermantel, schwarz, genau wie die senkrecht aufgebimste Frisur, oben abgeflacht. Das Gesicht, im Griff von axtförmigen Koteletten, war bleich, sein Auftreten ostentativ wichtig. Ein Aufschneider par excellence. 
Wie auf ein geheimes Zeichen hin, betrat er, umringt von seinen Jüngern, unheimlich leise das Treppenhaus, das hinauf zu unserer Party führte. Ich wartete kurz und folgte ihnen dann.
 Als die Leute sahen, dass ich meine Plattenkisten dabei hatte, besserte sich die Stimmung noch etwas mehr. Innerhalb von zwanzig Minuten war das Dach bis zum Bersten angefüllt. 
I wan‘na be free to do what I want any ol‘ time!, dröhnten die Soup Dragons mit Wucht aus den Lautsprechern. Der Bombast kam nun in Fahrt. Sogar die esoterische Esther schwang die blassen Arme wild um ihr starrendes Medusenhaupt. Die meisten waren da schon voll drauf.
 Stunden später erschien Gregor, meine Deejay-Ablösung und war sichtlich beeindruckt vom Vibe der Party. Nach kurzem Fachgesimpel übergab ich ihm die Plattenteller und konnte mich wieder der süssen Hellen in die Arme werfen. Sie lächelte wie Aphrodite persönlich und wir warfen uns zwei knallrosa Tabletten ein, die sie irgendwo besorgt hatte.

Hellen verfügte über Geld. Sie war oft unterwegs. Rom, Venedig, Marseille, Paris, Kapstadt, Adelaide, Wien. Parties, Vernissagen, Night-Clubs, Gourmettempel, Défilés, Fotoshootings, Strandurlaube. Mich persönlich machte das nicht gross an. Ich wollte nur sie. Keine Andere. Ich hab damals nicht über verzwickte Beziehungsstrategien oder Ansprüche nachgegrübelt. Hauptsache, wir waren zusammen. So wie jetzt. Das Extasy begann zu wirken. Wir tanzten losgelöst, extatisch, übermütig wie Kinder, bis wir irgendwann genug hatten. Ganz oben, auf dem flachen Teil des Daches hatte wer einen imposanten Perserteppich ausgebreitet, auf dem noch ein kleines Plätzchen frei war. Hier fummelten alle miteinander rum. Eng bei einander liegend, starrten wir in die Unendlichkeit. Das All war mit unserer Nacht verschränkt und breit wie ich war, war mir nach reden.


»Ich war heute bei einer Wahrsagerin«, flüsterte ich in ihr Ohr, »und die hat mir meine Zukunft vorausgesagt.«


»No way!«, sie lachte, »seriously?«


»Hmm, weil ich Portraitaufnahmen von ihr geschossen habe. Als Honorar sozusagen. Es war recht sonderbar, wenn sie verstehen was ich meine.« 


»Whew, that‘s awesome! So has the old fortune-lady been predicting you fame and fortune, then?«


»Na, sie hat orakelt, dass ich auf eine Reise gehen solle, um zu ergründen, was es damit auf sich habe, sowas in der Art. Klang ziemlich abgedreht.«


»Oh, you can say That again«, sprach sie mit gespielter Überzeugung. 


»We wan‘na be free to do what we want any ol‘ time«, sang ich ihr leise ins Ohr. Sie grinste ganz bezaubernd.


»You said 'We'«, flüsterte sie pfiffig und ich antwortete, indem ich ihr eine Haarsträhne von der Wange strich. Sie kam ganz nah, »You!«, ihre Stimme das Innere einer Kathedrale. 


»Yes, Miss Moneypenny?«, der Weltraum lauschte gespannt.


»You are different«, hauchte sie. Sie war high. Wir waren high. Kontinuierlich durchströmte uns zuversichtliches Wohlbehagen wie solare Energie. Ich fuhr ihr sanft durchs Haar und registrierte, dass ich mich ziemlich seltsam benahm. Sie schien das nicht zu kümmern. »What are you up to?«, sagte sie kaum hörbar. Und, »It is so good to be alive, Lenn.« Ganz unerwartet liefen ihr Tränen die Wangen hinab. Das war seltsam. Was war hier los? War sie in Ordnung? 


»Heey England, Miss Marple, are you okay?« fragte ich leise und war sofort bereit ihr beizustehen.


»Don‘t you worry. Es ist alles okay, really«, flüsterte sie, »Never mind.« Sie drückte mir einen sanften Kuss auf, »It‘s so nice here. Meine Existenz war ein riesen Chaos, in London. Meine Familie, mein Vater, he...«, sie suchte nach den richtigen Worten, »...he is a Monstrum. In the truest sense of the word, you hear me? He is fuckin‘ evil. I don‘t want to ever see him again.« 
Das Thema war schon krass, doch ich schwebte über den Dächern und diese Laune war durch nichts zu trüben.


»Listen, queen Lizzabuth«, flüsterte ich, »you don‘t have to...«, ich spürte, wie ihre Hände durch mein Haar fuhren, wie sie bebte,

»Hey, I just want you to know who I really am, Lenno.« Das war gut und langte mir als Begründung völlig aus.
 Normalerweise wäre ich an dieser Stelle vielleicht etwas nervös geworden, doch unter dem Einfluss der Happy-Pille kam mir die Sache zwar recht sonderbar, aber doch ehrlich vor, was sie ja auch war. Dachte ich. Damals.
 Mir kam der Gedanke, dass sie ein Leben in London geführt haben mochte, das vermutlich weit jenseits von dem lag, was wir uns hier so unter normalen gesicherten Verhältnissen vorzustellen hatten. Etwas Humor schien mir daher angebracht,


»Folks, I am super scared right now!«, winselte ich und drückte sie schlotternd an mich. Brandungswellen reinen Wohlbehagens überspülten mich. Wir verwendeten oft einem scherzhaften Englisch-Deutsch Mix. 


»Oh shutt up, Moron!«, lächelte sie und küsste mich so leidenschaftlich, dass die Zeit still stand. Hey, wir waren sechsundzwanzig und auf Extasy. Da funktioniert sowas noch. Danach sah sie mir plötzlich tief in die Augen, »But thats not the whole story, Lenn. There is more to come.«, sagte sie, etwas ernster jetzt, »This will knock you off of your Feet, honey.« Doch ich fühlte mich nicht, als ob mich irgend etwas aus den Latschen hätte hauen können, keineswegs. Hätte sie mir offenbart, nachtsüber Leichen zu exhumieren oder im Auftrag des Britischen Geheimdienstes waffenfähiges Plutonium anzukaufen, ich wäre damit fertig geworden. Es ging mir fantastisch.


»Hör mal,« versprach ich, »du kannst mir alles sagen, ist gar kein Problem. Du wirst dich viel besser fühlen. Lass es nur raus.« Ich driftete davon mit geschlossenen Augen. Die Musik aus dem Keil des Dachbodens war perfekt und ich beschloss, meiner Euphorie nun einfach freien Lauf zu lassen. Zum Teufel mit all den schlechten Vibes! Ich vernahm das sanfte Lachen und Raunen von Stimmen und konnte mich entspannt auf die akustische Energie wohltönender Frequenzbereiche konzentrieren, deren Rauschanteile über allem lagen und mit dem leisen Geplapper korrespondierten, den Obertönen und Resonanzen und dem Wispern des Windes an meinen Ohren. Buddhas Frieden war bei mir eingezogen. All die anderen Leute, die in kleinen Gruppen um uns verteilt waren, befanden sich wohl im gleichen Zustand. Leise Unterhaltungen wurden geführt, Geplauder und Gelächter, begleitet von Musik. Die Zeit schien sich auszudehnen und dann perlte Hellens Stimme durch die faszinierende Klangkulisse wieder in den Vordergrund meiner Wahrnehmung zurück,


»...it was about a guy I used to know.«


»A guy?«


»Yes, babes. His name was Jason. And this devil, who happens to be my father, is probably responsible for his disappearance.« Ein Ruck ging durch die Raumzeit. Jason. Ich war ganz schön drauf. Und doch war mir klar, dass dieses Bekenntnis von ziemlicher Brisanz sein musste, genauso wie mir im selben Moment dämmerte, dass sie jemanden brauchte, dem sie sich anvertrauen konnte und just diesen Moment dafür ausgewählt hatte; diesen Schwebezustand völliger Vertrautheit und Nähe, in dem wir uns befanden. Jason. Ich öffnete die Augen. 


»Holy shittballs on fire! Ich kann nicht glauben was ich da höre«, sprach ich leise, »What? I mean... wie kam das zustande?« Ich versuchte mich so klar wie möglich zu artikulieren, was in dem Zustand erstaunlicherweise ziemlich problemlos von statten ging, denn immerhin hatte sie ja wohl gerade angedeutet, dass ihr Vater ihren damaligen Lover hatte verschwinden lassen oder was? Ich zog sie enger zu mir hin, »Okay, schiess los.«Eine Träne sauste ihre Wange hinab,


»That‘s why I left London.«, flüsterte sie kaum hörbar. Ich nahm sie fester in den Arm. Was denn auch sonst? Ich war ziemlich breit. Und ich fand die Tatsache, dass sie  mich in ihr geheimnisumwittertes Vorleben einzubeziehen gedachte, aufrichtig und couragiert. Zeitgleich schwante mir, dass diese Wendung einen Pfad in Gefilde frei schlug, in denen ich so gar nicht zuhause war. Doch das Serotonin, das unsere Nervensysteme in der Ausgelassenheit dieser Nacht flutete, sorgte dafür, dass wir ziemlich gelöst über alles reden konnten, was eben so anfiel. 
In der Dunkelheit leuchtete hier und da orangefarbene Zigarettenglut auf. Die Stimmung war unbeschreiblich.

Und dann geschah etwas erstaunliches: sie förderte aus einer Handtasche das feinlederne Kunstwerk einer Louis Vuitton Geldbörse zutage. Ein Geheimfach hinter einer getarnten Lasche gab einen blassgelben Papierstreifen frei, den sie entfaltete und geheimnisvoll lächelnd hochhielt. Ich glotzte fragend,


»Was ist das? Der Entwurf für ein abstraktes Werk?«


»Nope.« Sie lächelte jetzt und ich sah mir das Ding genauer an: der Abriss-Zettel eines Londoner Pubs, ‚The Grenadier‘, schon etwas speckig. Auf der Rückseite schien mit blauen Kugelschreiberlinien eine Art Kinderzeichnung gekritzelt worden zu sein. Bögen, Quadrate und ein ‚X‘.


»Sieht aus wie ‘ne Schnitzeljagd.«, überlegte ich laut, »wie sagt man doch gleich? Äh, scavenger hunt, denk‘ ich oder paper chase?« Ihre bezaubernden Augen schwebten auf mich zu, bis sie so nahe war, dass sich unsere Gesichter an der Stirn berührten,


»It is a huge clump of cocain, Lenn. Right there. A map. A treasure map!«, sprach die Tochter des Dogenbarons, wohlgemerkt. Mir wurde plötzlich ganz seltsam zumute, denn ein Energiestrahl schoss durch mein Gehirn.


»No Shitt.«, flüsterte ich argwöhnisch und liftete eine Braue, um das Corpus Delicti einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Sie sah mich abwartend an. Die Zeichnung auf dem zerknitterten Fetzen Papier hatte ein Erwachsener angefertigt, soviel war klar. Es hätte ein Torbogen sein können, eine Bucht oder auch ein Hügel, genau war das nicht ersichtlich. Entlang der Aussenseite eines Halbkreises, dem grössten Element der Zeichnung, befanden sich in einigem Abstand fünf gleiche Kästen, die sich am Verlauf des Bogens orientierten. In der Mitte war ein gleichschenkliges Quadrat eingezeichnet, dessen Zentrum mit dem X markiert war. Darunter ein wirres Gekringel, eine ausgeleierte Federspirale, neben etwas, das ein Lattenzaun oder auch ein Schienenstrang hätte sein können, das war‘s. Ich meine, vielleicht lag es an der Anordnung der Elemente oder der Bestimmtheit, mit der die Linien in das Papier geradezu eingeprägt waren, es schien mir nicht frei erfunden zu sein, nein, und ich kann bis heute nicht wirklich erklären warum, aber das Ding, es wirkte absolut überzeugend.


»Da steckt eine durchgeknallte Story dahinter, nicht?«, fragte ich und starrte auf den Streifen Papier und von dem hastig improvisierten Lageplan ging ein Sog aus, ein Rätsel, eine subversive Aufforderung, ein Nichts, aus dem Alles werden konnte. A huge clump of cocain. 
Mein Bewusstsein schloss im Hintergrund rasch einen Stromkreis. Mir kam ein schräger Vogel in den Sinn, den ich aus Spanien kannte; Felipe, Besitzer eines Hafenrestaurants und einer Yacht. Das war kein Zufall. Die Gäste dort koksten wie die Nasenbären.


»An absurd Pack of this wicked poison«, entgegnete sie, »und ich muss wissen, ob es noch immer dort ist.«


»Dort?«, seltsame Lichtreflexe umspielten ihre Wangen.


»La Palma«, erwiderte Hellen abwesend.


»Du meinst die Insel? La Isla Verde glaube ich. Eine der Kanarischen Inseln im Atlantik?«, mir wurde heiss und kalt zugleich, »Die soll wirklich traumhaft sein.«


»Exactly, yes, Atlantis...«, sie lachte, »...I mean, La Palma. In the Atlantic Ocean.« Wir waren noch immer ziemlich am Schweben, wegen der Märchentablette und ich sponn den lustigen Faden weiter, 


»Hm, I see, du meinst Atlantis, das im Meer versank, weil die Atlantanier damals mit ausserirdischer Technik rumgemacht haben sollen«, zwinkerte ich ihr zu. Sie runzelte die Stirn,


»I am talking about the guy who made this little plan that shows the location of an enormous block of cocain in a remote cave arch somwhere in the inaccessible cliffs of the vulcanic island of La Palma.« Ein enormer Batzen Koks in einer Grotte auf La Palma. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Mit einem mal war ich ziemlich nüchtern. Ich ahnte, dass die Geschichte stimmen könnte. Es lag an der Art wie sie es gesagt hatte. Und ob ich wollte oder nicht, dort oben auf dem Dach, während wir die Sterne betrachteten, fügte sich ein neuer Tetris-Strang in das Nintendo meiner Existenz ein, und ich begann zu ahnen, dass die alte Wahrsagerin wohl doch nicht so weit danebengeschossen hatte, mit ihrer abgefahrenen Prophezeiung, so seltsam das auch klingen mag. 
Hellen verstaute ihre kleine Schatzkarte wieder in dem Geheimfach der Geldbörse.


»Crazy story«, sprach sie leise vor sich hin, »But let‘s deal with it later. It‘s party time, right?« Da hatte sie recht. Die Euphorie kehrte zurück wie eine sanfte Welle, ich erinnerte mich noch an das grossartige Gefühl. Wir lagen auf dem Teppich und betrachteten weggespult die Sterne. Sie legte ihr Ohr an meinen Brustkasten.


»Jason«, ich sprach den Namen gefasst aus und spürte, wie sie nickte. In dem Augenblick war alles gesagt. Das High kam noch einmal wieder, ein wenig sanfter jetzt, aber durchdrungen von etwas neuem. Hellen, sie hatte mich. Und sie wusste es. 


»Lenn, keiner weiss es. No one has the slightest idea«, hauchte sie, »Has to stay a secret between you and me.« 


»No question«, ein cooles Geheimnis, »Keine Frage.« Und ja. Na klar. Es gab da diesen Moment der Irritation, diesen Anflug von Unbehagen, gepaart mit der Ahnung an ein grosses Ereignis, sicher. Aber genauso war es auch nur ein Fantasiegebilde, eine vage und konturlose Vorstellung, nicht meine Liga aber auch nicht ganz und gar unmöglich. Dass eine solche Gelegenheit, eine so obskure Geschichte, ausgerechnet mir offenbart werden sollte, reichte eigentlich fast schon. Beinahe zu gut, um wahr zu sein. Doch das war mir in dem Moment egal. Ich schwebte. Und wir würden uns noch viel zu erzählen haben. Später. 
Wir feierten, tanzten mit den anderen auf dem Dach umher, immer in der Nähe des Teppichs. Der Vertigo der sechs Stockwerke war doch gar zu schrecklich.


»Let‘s go and get ourselfes another drink.«, lachte Hellen.


»Gute Idee.«. Als die Wirkung der Feelgoodpille langsam nachliess, machten wir uns auf den Weg. Hellen traf auf ein paar Briten und wurde mit Fragen bombardiert. Ich liess die Gruppe hinter mir und schlug mich durch die Menge, die den Korridor verstopfte. 
In Everests Privatbude war Seltsames im Gange. Zähne und Augen der Leute stachen im Schwarzlichtschein hervor wie ausgestanzt. Merlin, den ich flüchtig kannte, stand halb in einer der Bambusstauden und streichelte dessen Blätter. Everest war völlig weggetreten. Jemand hatte ihm einen krassen Totenkopf á la Día de Muertos ins Gesicht geschminkt. Ich dachte an Ayahuasca, Peyote, an Mescalin. Sofort fiel mir auf, dass sein Wohnzimmer von einem Grossteil der seltsamen Vögel aus der Dark-Wave-Szene belagert war, die sich anschickten, unsere Feier in eine Acid-Party zu verwandeln und sich dabei aufführten wie die Axt im Walde. Es stank übel nach Schweiss.
 Bisher hatte ich das verschrobene Gedankengut immer als ganz okay empfunden, aber die hier waren anders. Sie grölten laut umher, benahmen sich wie Rockstars, die dabei waren ein Hotelzimmer zu verwüsten, während nervenzehrend laut apokalyptische Musikl durch den Raum dröhnte. Was war das? Die sahen aus, wie fahle Statisten, wie Penner, die ihre Klammotten aus einer Altkleidersammlung entwendet hatten oder dem Fundus eines abgebrannten Theaters. Und sie rochen auch so. Enge Westen, Rüschenhemden, speckige Melonen und gepuderte Gesichter, aus denen geschminkte Augenhöhlen hervorstarrten. Die Typen machten auf Charles Manson, die Weiber auf Voodoo-Schlampe. Ein verkommener Fasching, und das auf die ganz Schräge. Mir war fast, als läge eine gezielte Absicht hinter dem Zauber. So war das nicht gedacht. Die hatten den Ort regelrecht in zwei Zonen aufgespalten, indem sie sich rotzfrech bei uns installiert hatten. Genervt stapfte ich zur Musikanlage hinüber, schaltete die Höllenmusik ab und ersetzte sie durch angenehmere Klänge.


Lydia quietschte begeistert auf und schnellte hoch, Merlin verlies seine Bambusstaude und rockte los, denn der Bann war gebrochen und die Meute entspannte sich nun langsam wieder. Der zugedröhnte Everest kam durch die schwankende Menge auf mich zu, seinen neonfarbenen Totenschädel noch im Gesicht, und schrie gegen den Lärm an,


»Danke mein Alter! Perfektes Timing! Hätte ich auch selbst drauf kommen können. Wie die abgehen!« Sein Doppelbett hatte sich in ein Trampolin verwandelt, der Schweiss kondensierte an den Wänden. Musik dröhnte. Ich nahm ihn beiseite,


»Die Zombies nerven total. Bekloppte Stinker! Alles gut bei dir? Wo habt ihr die Teufelspilze denn her?« Er legte mir seinen Arm um die Schulter, mit einem guten Rest seines Gewichts daran. Er brauchte eine Weile für die Antwort,


»Ja... hm, hat jemand aus Amsterdam mitgebracht. Einen ganzen Sack voll, der Wahnsinnige. Äh, wart‘ mal, der Typ dahinten im Ledermantel.«. Er deutete mit seinem Totenkopf unauffällig in Richtung der dicht zusammenstehenden Gruppe seltsamer Gestalten auf der anderen Seite des Raumes. Ich konnte die esoterische Esther und einen zwergenwüchsigen Bela-Lugosi-Typ ausmachen. Und noch einen anderen Vogel, der in einem schwarzen Ledermantel mit riesigen Metallschliessen steckte.
 Es war der Poser, der zuvor unten vor dem Hauseingang dem ebenso schwarzen Camaro entstiegen war. Ich wandte mich an Everest,


»Den Rasputin kenn‘ ich nicht. Wer ist das noch mal?«
 Everests Gesichtsausdruck war hinter der diabolischen  Schminke schwer zu deuten,

»Na das ist der Kauz. Das ist Antonov.« 



 

Ich erwachte und realisierte, dass ich rücklings auf einer Matratze lag. Die Decke kam mir seltsam schwer vor, bis mir aufging, dass Hellen auf mir klebte und fest schlief. Umgekrempelte Kleidungsstücke lagen am Boden umher und eine raumhohe orangefarbene Gardine schirmte das Zimmer gegen die sengenden Todesstrahlen draussen ab. 
Hellens Doppelzimmer war verrückt, aber mit viel Liebe eingerichtet und am auffälligsten war ein hoch an einer Wand angebrachter Vogelkäfig, in welchem reglos zwei weisse Tauben hockten, die ab und zu leise gurrten. Ein übergrosses Klaus Nomi Portrait starrte bedeutungsvoll von der Wand herab. Ich hatte einen üblen Kater. Nach und nach woben sich die Erinnerungsfetzen der vergangenen Nacht in umgekehrter Reihenfolge wieder zusammen, angefangen bei einer furiosen Sexnummer mit Hellen, dem Ritt auf einem alten Damenrad runter zu ihrer Wohnung und schliesslich noch weiter zurück bis hin zu der verrückten Party in Everests Bude, die in einer echt durchgedrehten Pilzorgie ihren Höhepunkt gefunden hatte. Sowas war bisher nicht vorgekommen. Als ich in der bedröhnten Menge nach Hellen Ausschau gehalten hatte, war mein Blick zufällig auch auf diesen seltsamen Antonov gefallen. Er war in eine ungehaltene Diskussion mit einer dieser morbiden Satans-Schnepfen vertieft. Die Frau hatte auf schräge Weise aufregend ausgesehen. Seitlich über den Hals zog sich ein filigran gearbeitetes Spinnennetz-Tatoo. Beide waren Teil einer obskuren Mischpoke von Leuten, zu der auch ein gewisser Ruben gehörte, der aussah, wie ein zu klein geratener Nosferatu mit tuntigen Kajalstrichen unter den Augen. Was auffiel war, dass sie nicht lachten wie die Anderen. Sie betrachteten das ausgelassene Feier-Chaos eher wie ein Team von Experimentatoren, deren Versuch nun aus dem Ruder gelaufen war. Irgend ein Störfaktor musste diesen Unheilspropheten in die Quere gekommen sein. In dem Augenblick ging mir ein Licht auf. Die Typen hatten sich den Verlauf der Nacht vollkommen anders vorgestellt, na klar! Es war schliesslich dieser Antonov gewesen, der kostenlos all die Rauschpilze unters Volk gebracht hatte. Sie hatten geplant ‘Underground Attic‘ zu übernehmen, uns die Show zu stehlen. Schon des Namens wegen hätte sich das gelohnt. 


Die Schnepfe mit dem Netz-Tatoo hatte aufgehört dem martialischen Antonov ins Ohr zu brüllen. Der wandte sich einfach ab und verliess den Raum, seine Jünger ihm dicht auf den Fersen. Spinnennetz schenkte mir zum Abschied einen Blick, der vor Verachtung nur so troff. Dann war die irre Adams Family endlich verschwunden.


Kurz darauf entdeckte ich Hellens blonden Haarschopf in der Menge und es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich zu ihrer Position hin durchgeschlagen hatte. Sie schlang mir die Arme um den Hals und schenkte mir einen so feurigen Kuss, dass die Augenzeugen dieser Handlung in begeisterten Jubel ausbrachen. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir schon bald in der Kiste landen würden. Sie sah mich an, mit einem Blick der sagte, ›Let‘s get out of here! Now!‹


Zehn Minuten später gondelten wir auf ihrem uralten Fahrrad wie zwei Zirkusartisten durch die Nacht und ein wenig  später standen wir vor ihrem Haus. Teure Gegend, Treppenhaus, Marmor, Eingangstür, Flur, Zimmer, eine lila bezogene Matratze auf dem Boden. Ich spürte ihre Lippen an meinem Nacken, ihre Zungenspitze am Ohr und das sanfte, feuchte Geräusch war unbeschreiblich nahe und aufregend. Der weitere Verlauf war unaufhaltsam. Die Intensität ihrer Nähe drängte die profane Realität auf eine Ebene ausserhalb meiner Wahrnehmung zurück. Ich glaub' ich hab ihr die Kleider ziemlich heftig vom Leib gerissen.
 Sie mir auch. Und es kann gut sein, dass wir peinlich berührt gewesen wären, hätten wir uns selbst beobachten können, aber in dem Augenblick war alles Andere vollkommen egal.

Als ich acht Stunden später erwachte, lag sie bäuchlings auf mir, wie eine gestrandete Schiffbrüchige. Die blonden Haare standen ihr lustig vom Kopf ab, als sie verschlafen aufsah. Etwas später schlichen wir hinüber ins Bad, um ihre Untermieterin Gila nicht zu wecken. Die Wohnung war riesig, gepflegt, und von einem teueren, abgenutzten Appeal beseelt. Allein der enorme Flur hätte ausgereicht um zwei rote Doppeldecker-Busse darin unterzubringen. Das Bad, ausgekleidet mit exquisitesten Mosaikarbeiten, musste von einem schwulen Designer entworfen worden sein. Es waren vergoldete Armaturen und dunkelblaue Glassteine verbaut worden, die Wand der Duschkabine bestand aus bunten, in Blei gefassten Elementen antiker Kirchenfenster, die Küchenwände waren mit portugiesischen Kacheln verkleidet und auch hier sah die Ausstattung kostspielig aus. Der Gedanke lag nahe, dass aus einem stabilen finanziellen Hintergrund ein Haufen Geld aus Richtung des Empire in die originelle Einrichtung geflossen sein musste, aber natürlich stellte ich keine deplatzierten Fragen. Wir teilten uns einen bleistiftdünnen Joint und schlüpften dann wieder ins Bett in dem Raum mit dem Vogelkäfig, wo der orangefarbene Vorhang im Luftzug flappte. Doch ich war in Sorge um die Schallplatten, die ich auf dem überfüllten Party-Dachboden zurückgelassen hatte. Leise rappelte ich mich hoch, um meine Klamotten zusammenzusuchen und nachdem ich ihr eine Nachricht hinterlassen hatte, stand ich barfuss und verkatert im Flur. 


Die Wohnung war unaufgeräumt, aber nicht dreckig. Überall lag abgeworfene Kleidung verteilt. Ausgefallene Sachen, teure Sachen, Frauenkram. In einem hellen Raum, der sowohl als Wohnzimmer, als auch als Ausstellungsfläche für prätentiöse Einrichtungsobjekte zu dienen schien, zog ein irres Gemälde den grössten Teil der Achtsamkeit  auf sich. Daneben lag ein Kaminzimmer, dessen Flügeltür offen stand. Britischer Stil, sehr erlesen, vermengte sich darin mit allerlei grellbunten Sammelobjekten, die es so sicherlich nur in London zu kaufen gegeben hatte. Auf einem Sideboard am Fenster stand ein mit zähflüssigem Öl und blau eingefärbtem Wasser befüllter Design-Quader aus Plexiglas, der langsame Kippbewegungen vollführte und so eine zähflüssig schwappende Welle erzeugte. Da stand ein Eames-Chair unter einem kecken runden Spiegel mit vergoldeten Sonnenstrahlen neben teuren Skulpturen und einer Hifi-Anlage, flankiert von zwei riesigen Boxen mit trompetenförmigen Lautsprecheröffnungen, die ausserordentlich teuer aussahen. Auf dem Kaminsims lehnten mehrere Fotorahmen und verschiedene kleinere Bilder, mit irgendwie krude und unheimlich wirkenden Leuten darauf, die alle in London aufgenommen worden sein mussten. Eine andere Welt: Pittbulls mit massigen Schädeln, Gruppenfotos aus der Clubszene, Hellen entsteigt mit Einkäufen überladen einem Bentley, während ihr die Wagentür von einem Chauffeur in Uniform aufgehalten wird, und so weiter. Auf einem der Schwarzweiss-Fotos war ein Kerl zu sehen, der wie ein Lord in einem Clubsessel thronte, während seine Hand auf der Lehne ruhte. Gepflegte Fingernägel, massgeschneiderter Anzug, schneeweisses Hemd, hoch aufstützender Kragen, von einer Silbernadel durchbohrt, die Krawatte festgenagelt wie ein Insekt. Hier war er, der gerissene Teufel der im Hintergrund agierenden Kräfte. Ein apodiktisches Grinsen legte mehrere Goldzähne frei, er starrte aber so brutal und eisig wie ein waschechter SS-Mann. Der krasse Typ war Hellens Vater und eine vage Ähnlichkeit war doch unverkennbar, besonders weil sie mit auf der Aufnahme war. Sie stand seitlich versetzt hinter der Lehne und steckte in einer dieser bigotten englischen Schul-Uniformen. Auf dem Bild war sie um einige Jahre jünger. Doch sie sah nicht unglücklich aus. Seltsam. Eher völlig teilnahmslos. 
Dann gab es noch die Fotografie eines jungen Kerls mit recht markantem Gesicht, die allerdings schwarz gerahmt war. Davor lag ein massiver silberner Totenkopf-Ring auf dem Kaminsims, ein sehr geil gearbeitetes Einzelstück. Auf dem Innenband war ein Name eingearbeitet: Jason Cochrane. Bam! Und ich hatte plötzlich das Gefühl Teil einer Posse zu sein.

Es war der verschollene Typ von dem Hellen erzählt hatte. Jason, gleich hier vor mir, auf dem Kamin. Der Typ sah gut aus, hatte aber den Blick eines Rindes. Wie hatte so ein Spaten nur ihr Herz erobern können? Mit einem mal hatte ich keine Lust mehr, die Wohnung zu erkunden. Ich wollte weg, raus auf die Strasse, mich von der Sonne wärmen lassen, frei atmen, doch im Flur stand ich ganz unvermittelt vor Hellens geheimnisvoller Mitbewohnerin. 


Gila war weiss wie Porzellan. Schwarzes Haar floss in Kurven um ihr Gesicht. Sie war aufgedonnert wie eine Burlesque-Tännzerin, lehnte abwartend am Türrahmen zum Bad und trug ein karmesinrotes Nachthemd, das ihr bis zu den Knien reichte und so durchscheinend war, dass sie genauso gut völlig unbekleidet hätte vor mir stehen können. Tätowierungen mit schrägen okkulten Motiven bedeckten beide Oberschenkel und seitlich des Halses passte sich ein Spinnennetz aus feinen grünen Linien den Konturen ihrer Haut an. Ohne Bemalung und das Gothic-Outfit hätte ich sie nicht gleich wiedererkannt, aber das Netz-Tatoo war doch zu markant. Schlagartig wurde mir klar, dass Hellens Mitbewohnerin und die aufregende Schnepfe im Vampyrella-Outfit, die sich auf unserer Party mit jenem ominösen Antonov abgegeben hatte, ein und dieselbe Person waren. Sie schien nicht verwundert, mich zu sehen, sondern wirkte eher genervt.

»Hi, see you.«, zischte sie nur, und sah mich dabei an, als handle es sich bei mir um eine Art Nacktmull oder eine Muräne etwa. Ich hasse oste ntative Geringschätzung und ohne sie weiter zu beachten, verliess ich die Wohnung. 


Draussen war der neue Tag bereits zu einem ätherischen Nachmittag geworden. Ich sah mich um. Stand dort vor der Einfahrt gegenüber etwa der schwarze Camaro von gestern Nacht? Kackfrech kauerte der Kahn vor einem Jugendstil-Tor im Parkverbot. Er war es eindeutig.
 »Die Welt ist klein.«, dachte ich und grinste. Sicher lag dieser Kauz Antonov oben in Gila‘s Schlafzimmer. So ein abgebrühtes Luder! Ich machte mich auf den Weg. Die verrückte Party musste schon vor Stunden langsam ausgeklungen sein. Ich hoffte, dass bereits wieder jemand auf den Beinen war, um mich reinzulassen. Ich fühlte mich klasse. Federnden Schrittes spazierte ich bergauf in Richtung Wohngemeinschaft. Doch ein merkwürdig strenger Geruch lag in der Luft. Ein leichter, aber grossvolumiger Mief nach verkohltem Holz. Ein flaues Gefühl kroch näher. Sah der Bereich da vorne nicht irgendwie anders aus als sonst? Ich rannte jetzt. Ein kleiner Bagger schaufelte Schutt beiseite. Ich glaubte jeden Augenblick aus einem irren Albtraum zu erwachen. Es hatte einen Brand gegeben! Ein Feuer war ausgebrochen. Und zwar in dem Haus, in dem unser Fest stattgefunden hatte! Dem Haus voller Leute!


Ich dachte an das klaustrophobische Gedränge, die enge Stiege, Holz, Kerzen, knochentrockene Dachbalken, an Panik, Chaos und Tot durch verbrennen bei lebendigem Leibe. Unkontrollierbar verkrampfte sich mein Gesicht zu einer Maske des Jammers. Ich sah zum Dach hinauf. Es tropfte noch immer Löschwasser die Fassade herab. Aus dem Winkel konnte man nicht viel erkennen, aber weit oben fehlte ein beachtliches Stück Dachkante und schwarz ragte eine Reihe angekohlter Streben vor dem Himmel auf, wie Rippen eines versteinerten Urtiers. Ich wunderte mich, dass so wenig Polizei vor Ort war, keine Krankenwagen und auch nur dieser lächerliche Mini-Laster der Feuerwehr, bis mir klar wurde, dass seit der Katastrophe sicher über zehn Stunden vergangen sein mochten. Die Szene wurde zur Unterwasserzeitlupe. Wie ein Geist näherte ich mich dem Eingang. Vor der Bude im Erdgeschoss standen die Flügeltüren offen. Die selbsternannte Consierge, die dort hauste, stand auf der Schwelle und trug ihren dreckigen, augenverkleisterten Pudel auf dem Arm. Ihre Nachbarn gegenüber wurden gerade von Jemandem im Anzug befragt, der Aussagen aufnahm und dabei Formulare auf einem Klemmbrett ausfüllte. Im Vorbeirennen schnappte ich Fetzen auf. 
Worte wie ‘Lebensgefahr‘ und ‘Knast‘, kamen darin vor. Ich raste das Treppenhaus hinauf wie ein Wahnsinniger. Was war mit meinen Leuten? Everest, Rashid, Sabrina, Lydia, Michel und all den Anderen? 
Dann entdeckte ich Rashid. Er sah so erschöpft aus, wie ein Sklavenarbeiter aus den Schwefelminen Roms und nuckelte kraftlos an einer Flasche Portwein. Ich stürzte auf ihn zu,


»Alter! Was ist denn hier los? Ich glaub‘ ich träume! Wo sind die Anderen? Seid ihr okay?!« Ich war ziemlich durch den Wind und hätte fast das Flennen angefangen. Er sah mich nur an und reichte mir die Flasche. Seine Nasenlöcher waren schwarz umrandet.


»Alles okay, Len. Nur n‘ paar leichte Rauchvergiftungen. Everest und Lydia sind wohl noch auf der Polizeiwache. Aber ansonsten ist Alles im Arsch, Meister.«, flüsterte er resigniert. Mir war fast, als würde ich gleich aufwachen.

Die Story war haarsträubend und wie mir später aufging, gab es wohl nur deshalb keine verkohlten Leichen, weil sich der Dachboden gegen vier Uhr schon sehr geleert hatte und Jeder an der Sensation des verpeilten Psylo-Happenings in Everests Bude beteiligt gewesen war. Die Meisten waren da wohl schon auf dem Nachhauseweg gewesen. 
Das war ein unglaubliches Glück, denn wäre der Brand bei vollbesetztem Dachstuhl ausgebrochen, hätte das zu einer so entsetzlichen Tragödie führen können, wie ich sie mir nicht mal ansatzweise hätte vorstellen wollen. Anscheinend war wohl um vier Uhr morgens irgendwie schlagartig ein Feuer in einem der hinteren Winkel des Dachbodens aufgeflammt und hatte sich dann binnen Minuten zu einem horrenden Brand ausgeweitet, der das halbe Dach weggefressen hatte.

Ich riss mich von Rachid los und stiess über die arg in Mittleidenschaft gezogene Treppe in die Region der Zerstörung vor. Der schlauchartige Flur war vollkommen versaut. Es hatte hier nicht gebrannt, doch es musste Löschwasser durch die Decke gedrungen sein. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr waren mit Äxten zu Werke gegangen und hatten die Tür zur Stiege nach oben eingeschlagen. In Everests Raum war sonderbarerweise fast alles heil geblieben, sogar in dem Aquarium zog der beharrliche Wels unbeeindruckt seine Bahnen durch die immergrüne Fischsuppe. Die absurde Hoffnung, dass irgendein tapferes Genie meine beiden Plattenkisten noch rechtzeitig aus dem Chaos gerettet haben mochte, verflog immer mehr.
 Ich betrat leise die gegenüberliegende Wohnung. Sie war arg verwüstet. Die schmale Stiege zum Dachboden war noch vorhanden, aber mit Absperrbändern verhängt. Ich schlüpfte hindurch und auf dem Weg nach oben fiel mir sofort auf, wie windig es war. Ein schartiges Loch von der Grösse eines Fussballtors klaffte im schwarz der verkohlten Dachschräge. Man konnte weit über die Stadt hinweg sehen und bis auf einen Stapel Planen, mit denen man das Loch wohl provisorisch abzudecken gedachte, war der Boden leer. Ich sah mich genauer um. Alles war schwarz, als hätte ein verrückter Graffity-Sprayer jedes noch so kleine Detail mit Farbe überzogen, und an vielen Stellen hatten die Flammen schlimm gewütet, bevor die Feuerwehr sie hatte eindämmen können. 
Bei genauerem Hinsehen, fiel mir eine seltsam glasige Masse auf, die in zwei sich überlagernden Vinylklumpen verschmolzen war und einen kleinen Hügel bildete. Ein eisiger Hauch umwehte mich, denn das war alles, was von den zweihundert besten Sahnestückchen der genialsten und am sorgfältigsten arrangierten Plattensammlung übrig geblieben war, die ich je besessen hatte.


Die tote Schwärze des verkohlten Gebälks war Ausdruck meiner Frustration, denn Geld würde ich mit Plattenlegen nun kaum noch verdienen. Ich fing gar nicht erst mit Überlegungen an, wie ich all die Raritäten je wieder zusammenbekommen würde. Es war schlicht unmöglich. Amazon, Soundcloud, Spotify lagen noch Jahre in der Zukunft, existierten allenfalls als eine utopische Idee. Ausserdem waren die teuren Technics Turntables, beide Boxentürme und die Verstärkeranlage der Feuersbrunst zum Opfer gefallen. Endstation. Ganz betäubt wanderte ich nach unten an allen vorbei auf die Strasse hinaus. All das würde uns sehr teuer zu stehen kommen. Wir würden in Kürze nur eines wirklich brauchen: Geld. Die Scheisse hatte den Ventilator getroffen, die Bombe war geplatzt, die Karre sass im Dreck. Und der Dreck begann sich zu verhärten, würde bald zu Lehm werden, zu Beton.

Kapitel 2

Ich wanderte ziellos in der Altstadt umher und schleppte mich durch diverse Gassen bergauf und bergab, ohne gross auf den Weg zu achten. Der Verkehr rauschte in Zeitraffergeschwindigkeit durch die Arterien der Stadt, deren Schatten wie Blutlachen über die Strassen krochen, als die Sonne hinter den Horizont stürzte. Am nördlichen Siedlungsrand des Stadtgewimmels kam ich wieder zu mir, durch ein ruhiges Tal schlurfend, einen üppigen Park, umgeben von ostentativem Luxus. Das war jetzt wieder genau das andere Extrem. Ruhe, Immobilienbesitz, stabile Sicherheit, alles gepflegt und vom Feinsten.

Die steil aufragenden Flanken des Grundes wurden von grossartigen Villen gesäumt, zwischen denen sich Wege und Stufen schlängelten. Drinnen strahlten Kronleuchter hinter Panoramafenstern, die in Kaskaden den Berghang  überzogen, auf dem die Villen in viktorianischer Grandezza still vor sich hindämmerten. Ich sah überladene Portale, Dienstboteneingänge und Freitreppen, Alkoven, Pagoden und Brüstungen, alles grösser, schwerer, satter. Hier wohnte man stilvoll und für sich.

Am entfernten Ende der Anlage mit ihren Weihern und prunkvoll gestalteten Brücken, stieg das Viadukt einer Bergbahn steil in den Wald hinauf. Exotische Pflanzen flankierten die Wege. Es war ein botanischer Garten, ein Elysium, die Gefilde der Seeligen.Und Geld. Geld transformiert zu Luxus. Der Zaster aus Erbschaften, Stiftungen und Vorstandsetagen, angelegt in festungsartigen Liegenschaften und Palästen, um den stinkenden Atem des Pöbels auf Abstand zu halten. Den Pesthauch von Leuten wie mir, von Pleitegeiern. Ich liess mich auf einer Parkbank nieder und betrachtete den feudalen Pomp mit einer schrägen Gefühlsmischung aus Frustration und Gleichmut. Oder war es Neid? Keine Ahnung, doch ich fühlte mich niedergeschlagen und entzündete den Joint mit schwarzem Afghanen, den Rashid mir vor drei Tagen zugesteckt hatte. Mit jedem Zug wurde mir klarer, dass Grossverdiener, die es sich leisten konnten in einer solchen Enklave zu residieren, nur ambitionierte, eiskalte Kapitalisten sein konnten oder mit solchen verheiratet waren oder einfach nur geerbt hatten oder schlicht Verbrecher waren. Sehr viel mehr Varianten gab es da nicht, es sei denn, man ist Sohn von Beruf. Und das war ich nicht. Mein Vater hatte sich vor vier Jahren das Leben genommen. Das löste eine noch schrägere Erinnerungskette aus, die nur kurz darauf von einem unerwarteten Ereignis unterbrochen wurde.

Ich hatte wohl gut eine halbe Stunde auf der Parkbank  zugebracht und mich gewundert, wie die Zeit vorbei gerauscht war. Die üblichen Besucher; Frisbee-Werfer, Jogger und Rentner, sassen schon längst wieder vor der Glotze und mir ging auf, dass ich doch ziemlich stoned war. Der Abendhimmel war dabei, von tintenblau in schwarz überzugehen. Laternen schalteten sich flirrend ein und zeichneten den Verlauf der Wege nach. Der Park wirkte dadurch noch schwülstiger. Beschwingt von der Tüte, die ich geraucht hatte, wanderte mein Blick umher. Und genau in dem Moment erspähte ich sie. Drüben, auf der gegenüberliegenden Seite der Rasenfläche, keine fünfzig Schritte entfernt, den Lichtkegel einer der Parklaternen durchschreitend: Gila, die Braut des Leibhaftigen.

Sie war ohne Begleitung zu Fuss unterwegs und bewegte sich in Richtung Waldgrenze, dort wo die Stadt endete. Und sie konnte mich nicht gesehen haben, da die Bank auf der ich gekifft hatte, inzwischen längst im Dunkeln lag. Wow, dachte ich, schon wieder du. Ich weiss nicht, was über mich kam. Vielleicht war es die klandestine Aura, die das durchgeknallte Luder umgab, wie ein schweres Parfüm oder die Art wie sie sich in Szene setzte. Vielleicht war es auch nur der erstaunliche Zufall an sich, den es zu nutzen galt, zusammen mit dem Dope in meiner Blutbahn. Jedenfalls beschloss ich, sie zu stalken.  

Ich wollte wissen, was die Pomeranze so trieb. Die Vögel hatten immerhin versucht, unser ambitioniertes Fest  zu sprengen, wie‘s aussah, hatten uns ganz offen verarschen wollen. Die wussten recht gut, wie wir drauf waren, wir aber hatten keinen Schimmer von denen. Vielleicht war sie ja zu diesem Troll Antonov unterwegs, dorthin wo der seine Wohngruft eingerichtet hatte. Und noch was; eher eine vage Ahnung nur, als ein Verdacht; vielleicht hatten die Arschlöcher ja ein wenig auf unserer Party herum gezündelt.

Ich fühlte mich auf einmal ganz gut. Neugierig. Unbemerkt. Überlegen. Ich stolperte hinter ihr her, aufgedreht, stoned und breit wie ein Rastafari. Ich sah, wie sie kurz stehenblieb, um Zigaretten aus der Handtasche zu wühlen. Die Hüften wurden von einer Art taillierten Reitmantel eingeschnürt. Sie sah sich um und stakste dann los. Ich kam mir vor wie ein Spanner, ein Geilspecht, der im Schutze der Nacht dem Objekt seiner Begierde nachstellt. Doch das war jetzt unwichtig.

Sie verliess den Park am äussersten Ende und überquerte rasch die Strasse, an der Stelle, wo sich das Viadukt der  alten Zahnradbahn befand, deren Gleise hinauf in den stockdunklen Wald führten. Unter einem dieser Bögen wartete wer. Eine leise zischende Unterhaltung wurde geführt, ohne Begrüssung. Der Andere schaltete für eine Sekunde eine Taschenlampe ein, so als wolle er nur die Funktion überprüfen, und verschwand dann unter dem Viadukt hindurch in Richtung Wald. Sie wartete eine Minute und tat genau das gleiche. Die haben ein linkes Ding vor, blühte mir begeistert auf, da laus‘ mich doch der Affe! Die Sache wurde langsam spannend.

Ich schälte mich lautlos aus der Düsternis des Parks und umrundete das Gebäude der Bergbahn, um ebenfalls auf die andere Seite des Viaduktes zu gelangen. Hier war nun kaum noch etwas zu erkennen. Es war vollkommen still und abgeschieden. Von einer kleinen Asphaltfläche aus führte ein ausgelatschter Pfad bergauf in den Wald, dem sie folgte. Ich hinterher, leise, mit einigem Abstand. Nach dreissig Metern stand ich völlig blind in absoluter Finsternis, doch kurz darauf begann sich mein Blick auf die Umgebung einzustellen. Ein Stück weiter oben, an einer Biegung, näherte sich der Pfad den Schienen der Bergbahn an. Vorsichtig trat ich auf die Schwellen hinaus und peilte nach oben in Richtung der Endstation. Die Strecke führte in schnurgerader Linie steil bergauf, in eine Schwärze, so stockdunkel wie ein Minenschacht. Ein winziger, kaum zu erkennender, Lichtpunkt tanzte dort hin und her. Gila‘s Fehler war, eine Zigarette zu entzünden, während sie auf den Gleisen unterwegs war.

Der Weg nach oben war anstrengend. Nach dreihundert Metern ging mir die Pumpe, und der Joint, den ich kurz zuvor geraucht hatte, kam in der frischen Nachtluft mit Macht zurück. Ich sah Farbschlieren und musste meinen Aufstieg unterbrechen, wobei ich seitwärts in den Wald taumelte, bis ich nach fünf, sechs Metern einen Baum ertastete. Ich war total weg. In totaler Dunkelheit. Mitten im Wald. Auf der Spur von Leuten, die nicht mehr ganz dicht waren und begann meinen Entschluss zu bereuen.

Am Fusse des Baumes erfühlte ich kühles Moos, weich und duftend. Die Rinde des Stamms war surreal rauh und doch nachgiebig. Dort sank ich zusammen wie ein ausgezählter Boxer. Ich hätte die Reggae-Zigarette wohl doch nicht ganz alleine wegrauchen sollen. Nach einer Weile beruhigte sich mein jagender Puls und ich fühlte mich auf wundersame Weise mit der Natur verbunden. Ich lag da, wie gelähmt, doch ich registrierte jedes noch so leise Geräusch. Am geilsten aber war das Rauschen des Windes in den Bäumen. Ich war high. Ich spürte, wie ich Teil der Natur werden würde, wenn ich jetzt stürbe. Flechten würden auf mir wachsen und feinstes Pilzgespinst streckte sich bereits nach mir aus. Die Laute des stockdunklen Waldes erzeugten in meiner Vorstellung ein dreidimensionales Bild der Umgebung in Purpur und Magenta. Ich lag halluzinierend im Laub. Wow, dachte ich, eine Überdosis mit afghanischem Dope. Jetzt bloss nicht durchdrehen. Immer schön locker. Das war leichter gesagt als getan. Ich spürte so etwas, wie eine Aufspaltung in zwei Körper. Eine leichtere, transparente Version meines Ichs war dabei, sich von mir zu trennen. Das kam mir irgendwie ungewöhnlich vor, hatte ich ja gleiches noch nie zuvor erlebt. Ich war sowohl der, der am Boden lag, als auch der Transparente, der sich schon aufgesetzt hatte und gerade versuchte, sich von dem Festkörper zu lösen.

Selbstverständlich war mir klar, dass ich nicht einfach per Astral-Leib spazieren gehen konnte, und dass diese Empfindung nur ein drogeninduzierter Flash war. Soviel Grips muss man sich schon erhalten, wenn man Rauschmittel zu sich nimmt, dachte ich mir. Und ausserdem hatte ich eine Mission zu erfüllen. Ich lag noch eine ganze Weile reglos in der Dunkelheit, während auf den Schienen Leute nach oben wanderten.  Dann, von einer Sekunde auf die andere, war ich wieder einigermassen klar.

Ein dünner Mond war aufgegangen. Ich hörte eindeutig eine weitere Person herannahen und spähte aus meinem Versteck heraus auf die Diagonale der Gleise. Der Kerl war dunkel gekleidet, ziemlich wuchtig. Deutlich hörte man die schweren Lederstiefel knarren. Haare, senkrecht nach oben stehend, endeten in einer Plattform. Frisur und Ledermantel waren unverkennbar. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Antonov stieg auf der Schanze der Zahnradbahn den Berg hinauf. Ich wollte wissen, wohin. Nachts war nie jemand da oben, schon gar nicht unter der Woche. Es gab dort nur einen kleinen Aussichtstempel und ein baufälliges Hotel, das schon tagsüber so grausig wirkte, wie ein Spukschloss im Herz der Karpaten. Und ich würde meine eigenen Socken fressen, wenn die da oben nichts spiritistisches auszuhecken hatten. Ich setzte meinen Weg fort.

Die Hälfte der Strecke war geschafft. Rechts öffnete sich der Wald für ein kurzes Stück und gab die Sicht auf im Mondlicht glänzende Weinberghänge frei. Es konnten von hier aus nicht mehr als zweihundert Meter bis ganz nach oben sein. Dann war der Schatten der Bergstation zu erkennen, weswegen ich die Strecke wieder verliess, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden. Erneut tappte ich beinahe blindlings durch den Forst, bis ich endlich auf einen Bauzaun aus Eisengeflecht stiess, der die Ruine des Hotels gegen Touristen und jugendliche Vandalen abschirmte, dem Hotel, das schon seit Jahren leer stand.

Eine Zeitlang geschah nichts. Doch plötzlich bebte das Metall, als an anderer Stelle mehrere Personen heimlich irgendwo durch eine Lücke schlüpften, und der Zaun die Schwingungen weiterleitete. Das war einfache Physik. Ich war nur mit einem Feuerzeug bewaffnet. Hätte ich eine Taschenlampe bei mir gehabt, eine Streitaxt oder besser noch, eine abgesägte Schrotflinte, ich wäre denen in die Bude gefolgt. So aber, beschloss ich abzuwarten. Drinnen flackerten im Erdgeschoss hinter verschiedenen Fensteröffnungen Lichter auf, als die Typen durch das verlassene Waldschloss schlichen. Das einstige Luxushotel war ein altes Gebäudeensemble mit Wandelhallen und Galerien. Darüber ein steiles, mit Gauben gespicktes Dach, das von einem unheimlichen Treppenturm sogar noch überragt wurde. Brände hatten die riesenhafte Bude über die Jahre angefressen.

Meiner Einschätzung nach, mussten sich wohl so um die fünf bis zehn Personen in dem schaurigen Laden aufhalten. Ich hatte eine derbe Punk-Party erwartet, Lärm mit Besäufnis, begleitet vom Zertrümmern alter Möbel unter Drogeneinfluss. Doch nichts davon trat ein. Es war unheimlich still geworden. Nur ein fahler Lichtschein war zu erkennen. Ich stand bekifft unschlüssig herum. Plötzlich war ein seltsames Raunen zu vernehmen, eine Art monotoner Singsang, mehrere Stimmen, dunkel und fiebernd, begleitet von Ausrufen echter Verzückung, ein unheimlicher Rosenkranz, wobei ein Vorbeter immer wieder flehende Anrufungen ausstiess, wie bei einer übergeschnappten Erweckungspredigt, die rückwärts aufgesagt wurde. Antonov, dachte ich. Ich konnte es nicht fassen. Den Bekloppten war es ernst, mit ihrem psychopathischen Teufelsalarm. Und die gute Gila war tatsächlich so irrsinnig, wie ein Hutmacher auf Crack! Ich hatte genug gesehen. Mehr war hier nicht auszurichten. Gemütskranke, die sich zusammenrotten, um den Satan anzurufen? Nein danke.

Ich wollte mich gerade auf den Rückweg machen, als ein so entsetzlicher Schrei aus dem Gebäude drang, dass ich beinahe einen Herzschlag erlitten hätte; ein heulendes Kreischen, vehement und schrill, in dem sich irrsinniger Schmerz und phrenetische Wut die Waage hielten. Eine Katze! Die miesen Dreckschweine massakrierten da drin Katzen, brieten sie am Spiess, so wie das klang! Ich war ausser mir vor Wut. Das grausige Todeskreischen steigerte sich zu einem unerträglichen Wehklagen. Ich stand unter Schock. Das musste enden. Sofort.

Es gab deswegen nur eines zu tun. Ich formte die Hände zum Trichter und brüllte, schrie so laut ich nur konnte, so laut, dass es mir beinahe die Stimmbänder zerfetzte,

»ACHTUNG, ACHTUNG! HIER SPRICHT DIE POLIZEI! DAS GEBÄUDE IST UMSTELLT! KOMMEN SIE MIT ERHOBENEN HÄNDEN HERAUS, ODER WIR MACHEN VON DER SCHUSSWAFFE GEBRAUCH!« Das war irrational, und natürlich vollkommen idiotisch, doch die Wirkung trat unmittelbar ein. Wimmernd erstarb der grässliche Katzenjammer und ging in ein wütendes Fauchen über. Dann war es vollkommen Still.

Das Pechschwarze Anwesen lag vor mir, wie ein riesiger Sarkophag. Und das war mindestens genauso gruselig. Doch die geisteskranken Vögel würden nun keine fünf  Minuten mehr brauchen, um den Bluff zu durchschauen. Ich hörte irgendein kleines Tier in den Wald davon rasen und sich im Unterholz zusammenkauern.

»Ihr kranken Wichser!«, flüsterte ich, und machte mich auf leisen Sohlen davon. Der Rückweg bergab war ein Kinderspiel. Ich trabte auf den Schwellen der Bergbahn in nicht mal zehn Minuten bis ganz ins Tal hinunter, angespornt von dem Gedanken, dass ich diesen Verrückten eins ausgewischt hatte. Ein hysterischer Lachanfall wollte sich meine Kehle hinaufarbeiten. Ich stellte mir deren Gesichtsausdrücke vor, als ihnen aufging, dass sie verarscht worden waren, ohne die leiseste Ahnung davon zu haben, wer ihnen da auf die Schliche gekommen war, sah sie vor mir, lauernd in der Dunkelheit verharrend, sich fragend, wie es weitergehen würde.

Es war nun klar, dass wir es hier mit echten Irren zu tun hatten und dass diese verdrehte Gila zu ihnen gehörte. Nicht zu fassen, wie krank Menschen drauf sein können! Nur langsam beruhigte sich mein aufgewühltes Gemüt wieder. Erneut durchquerte ich den nächtlichen Park, in entgegengesetzter Richtung, dieses mal, wobei ich mich immer wieder misstrauisch umsah. Niemand war da. Die Düsternis wich langsam dem Schein der Laternen. Ich wandte mich nach Südosten in Richtung Stadtkern, froh, wieder im Strom der Normalität mitzutreiben, im Nachleben der Clubs, Bars und Fussgängerzonen. Nach einem halbstündigen Fussmarsch stand ich vor Hellens Wohnung. Sie war zuhause, nahm mich in den Arm und zog mich zur Tür hinein. Und das war genau das, was ich gebraucht hatte. Aus dem Zimmer mit der fulminanten Hifi-Anlage erklang leise Musik und erst jetzt fiel mir auf, wie erschöpft ich war.