Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Phils Fake Freundin zu werden, ist wirklich das Letzte, was Ruby will. Sie hat die Schnauze voll von ausgelutschten Klischees. Doch schneller, als sie "Happyever after" sagen kann, befindet sie sich inmitten in einer filmreifen Love-Story. Denn Rubys Leidenschaft für die Literatur matcht irgendwie mit Phils Begeisterung für Alien-Filme. Dieses Jugendbuch sprüht vor Esprit, Ironie, Witz und Leichtigkeit und spielt gekonnt mit den bekannten Book-Tropes des Young-Adult-Genres. Eine Geschichte, die zum Schmunzeln einlädt und das Herz erwärmt. •Filmreife Unterhaltung von Bestsellerautorin Lena Hach •"Friends to Lovers", "Fake Lovers" oder "High School Romance" hier tauchen die beliebten Klischees aller Rom-Coms auf •Luftig-leichte Unterhaltung zum Schmökern und Wegträumen
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Liesel
© 2024 Mixtvision Verlag, Leopoldstraße 25, 80802 München
www.mixtvision.de
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: zero-media.net, München
Layout und Satz: Anke Elbel
E-Book Herstellung: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-39584-989-0
Ich binauf dem Weg zu Bio, da heftet sich Guillaume an meine Fersen. Zuerst denke ich, wir sind zufällig unterwegs in die gleiche Richtung. Doch das stellt sich als Irrtum heraus. Ich habe mit Guillaume keinen einzigen Kurs und ich weiß genau drei Dinge über ihn:
1. Er findet sich verdammt toll.
2. Er ist immer dieses eine Dezibel zu laut.
3. Er lässt sich nicht abschütteln.
Ich will gerade im Bio-Saal verschwinden, um Bahnbrechendes über die Zellfunktionen zu erfahren, da ist Guillaume auf einmal nicht mehr hinter, sondern vor mir.
»Hör zu«, sagt er. Was schon mal eine verdammt unhöfliche, weil nicht existente Begrüßung ist. Und dann hat er tatsächlich auch noch die Chuzpe, seinen Arm auszustrecken, um sich an der Wand abzustützen und mir den Weg zu versperren. Ich sage nichts. Ich starre nur auf diesen Unterarm vor meinem Gesicht, so intensiv, dass es mich nicht wundern würde, wenn Guillaumes Langarm-Shirt gleich zu kokeln begänne. Das ist eine Superkraft, die schon cool wäre: der Laserblick. Irgendwann merkt er es selbst. Guillaume folgt meinen Augen und schaut auf seinen Arm wie auf einen Fremdkörper; einen durchtrainierten Ast oder so. Er verlagert sein Gewicht und gibt den Weg wieder frei. Jetzt kann ich zuhören.
»Die Sache ist die«, sagt Guillaume und fährt sich durchs Haar. »Mein bester Freund, Phil, wurde gerade von seiner Freundin verlassen.« Er sieht mich an, was wahrscheinlich bedeutet, dass von meiner Seite nun irgendeine Reaktion kommen sollte. Ich überlege, was angemessen ist, und entscheide mich für ein knappes »Mein Beileid«.
Guillaume zieht die Augenbrauen nach oben.
»War das ironisch?«, fragt er.
»Nein«, sage ich. »Höchstens ein wenig sarkastisch.«
Das geht offenbar klar. Jedenfalls lehnt Guillaume sich vor, um mir mit gesenkter Stimme ein Geheimnis zu verraten: Phil hat beschlossen, Anna zurückzuerobern.
Ich bin jemand, dem Wörter wichtig sind. Und dieses Wort hier nervt mich: zurückerobern. Als wäre Anna eine feindlich besetzte Burg. Aber Guillaume plappert weiter.
»Genau da kommst du ins Spiel«, verkündet er mit vieldeutigem Zwinkern.
»Verstehe«, murmle ich und zwinkere zurück. Im nächsten Moment klopfe ich die Taschen meines geliebten karierten Sakkos ab. Seit ich es vor ein paar Monaten auf dem Dachboden meiner Großeltern gefunden habe, habe ich das Sakko quasi nicht mehr ausgezogen. Es ist abgewetzt und ein paar Nummern zu groß – mit anderen Worten: genau richtig. Und wenn es erst mal Frühling wird, werde ich damit garantiert auch nicht mehr frieren. In der Zwischenzeit behelfe ich mir mit einem kilometerlangen neonfarbenen Schal. Darin wickle ich mich ein wie ein Soja-Würstchen im Schlafrock.
»Hm«, mache ich und stülpe eine Tasche nach außen. »Leider hab ich alle verbraucht.«
Guillaume sieht mich verständnislos an.
»Wovon sprichst du?«
»Na, von den Pfeilen.«
»Von welchen Pfeilen?«
Statt lang zu erklären, ziehe ich einen imaginären Pfeil aus dem imaginären Köcher auf meinem sehr realen Rücken, spanne die Sehne und schieße mitten in Guillaumes Herz. Die erhoffte Reaktion bleibt aus. Guillaume runzelt bloß die Stirn.
»Römische Mythologie?«, helfe ich ihm etwas auf die Sprünge.
Er schüttelt den Kopf.
»Der Gott der Liebe?« Noch mehr Kopfschütteln. Ich räuspere mich. »Hast du echt noch nie von Amor gehört? Dem kleinen Nackedei mit Pfeil und Bogen, der Menschen in die Herzen trifft und süße Liebe erweckt?«
Guillaume antwortet nicht, aber er lächelt. Irgendwas scheint ihm an unserem holprigen Gespräch zu gefallen.
»Zurück zum Thema«, beschließt er. Als wären wir jemals woanders gewesen. »Phil braucht eine Fake-Freundin. Damit Anna eifersüchtig und er wieder glücklich wird. Es ist echt ein Drama, der schlufft nur noch so durch sein Leben.« Guillaume seufzt, ehe er weiterspricht. »Wir haben lange beraten, wer dafür infrage kommt, ein paar Kriterien ausgearbeitet und eine Excel-Tabelle angelegt –«
»Langsam, langsam«, sage ich und hebe eine Hand. »Ihr habt eine Excel-Tabelle angelegt?«
»Ich hab Informatik gewählt«, erwidert Guillaume schulterzuckend. »Da lernt man so was.«
»Ein banales Mindmap hat nicht ausgereicht?«
Guillaume sieht mich an, als verstünde ich nicht die volle Tragweite dessen, worum es hier geht. Und da könnte durchaus etwas dran sein.
»Es ist eine ernste Sache, Rosie.«
»Ruby«, sage ich. »Mein Name ist Ruby.«
Doch Guillaume geht nicht darauf ein.
»Mit der Tabelle haben wir die perfekte Besetzung für die Rolle der Freundin ermittelt. Und dabei handelt es sich um –«, Guillaume macht eine Kunstpause, in der er die Arme ausbreitet wie ein Showmaster, »dich!«
Er strahlt mich an, als hätte er mir gerade das tollste Geschenk der Welt gemacht. Ein in Silberpapier eingeschlagener Kackhaufen, der sogar noch ein bisschen dampft. Ich kann nicht anders; ich pruste los und schlage Guillaume auf die gestählte Schulter.
»Der war gut!«, rufe ich. Doch Guillaume lacht nicht. Er verzieht säuerlich das Gesicht. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Er meint diese Scheiße wirklich ernst.
»Das war kein Scherz?«, frage ich, um ganz sicherzugehen.
Guillaume schüttelt langsam den Kopf.
Oh, okay. Also, wenn das so ist … Ich hole tief Luft.
»Nichts für ungut«, sage ich. »Aber ich denke, ich verzichte.«
Als ich erschöpft neben Jara auf den Stuhl sinke, wirft sie mir einen neugierigen Blick zu. Natürlich hat sie mitgekriegt, dass Guillaume mich angequatscht hat. Der ganze Bio-Kurs hat es mitgekriegt. Es sind ja alle an uns vorbeigelatscht.
»Frag nicht«, sage ich.
Aber sie tut es.
»Was war das denn?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Ein unmoralisches Angebot.«
»Uh«, macht Jara mitfühlend. »Traubenzucker?«
Das ist das Wunderbare an Jara. Oder vielmehr: eines der wunderbaren Dinge. Sie ist fest davon überzeugt, dass man mit Traubenzucker Probleme lösen kann. Egal, worum es geht. Da hat sie auch schon zwei knisternde Rollen aus ihrer Federtasche gekramt.
»Limone oder Kirsche?«, fragt Jara.
»Ja«, sage ich.
Meine beste Freundin drückt mir zwei weiße Drops in die Hand.
»Falls du drüber reden willst?«
Ich winke ab. So viel Aufmerksamkeit hat der bescheuerte Vorschlag nicht verdient. Jetzt mal im Ernst: Wie kommen diese Typen überhaupt auf die Idee, dass ich bei so einer Aktion mitmache? Erstens bin ich eine große Verfechterin von Frauensolidarität. Und zweitens: Was denkt dieser Phil eigentlich, wer er ist? Okay, zugegeben, wahrscheinlich hat er eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wer er ist. Und wie er aussieht. Anders gesagt: Bei Phil handelt es sich um einen der begehrtesten Typen des Jahrgangs. Hat wahrscheinlich was mit seinen schönen Haaren zu tun. Haare sind an unserer Schule enorm wichtig.
Langsam beginnt Jaras Wundermittel zu wirken. Als die Drops auf meiner Zunge zu süßem Brei schmelzen, entspanne ich mich. Göttliche drei Sekunden lang. Dann poltert Bio-Heinze in den Saal und lässt uns einen Test schreiben. Unangekündigt, versteht sich.
Eine Stunde später zerbreche ich mir den Kopf nicht mehr über Mitose und Meiose, sondern über die Frage, für welches Mensa-Essen ich mich entscheiden soll. Käsespätzle mit Gouda oder Blumenkohl-Kartoffel-Curry. Zu beidem gibt’s den obligatorischen Teller Rohkost. Leider fällt mir die Wahl nicht schwer, weil beides so unfassbar köstlich wäre. (Das ist es nicht.) Der Mann von der Essensausgabe blinzelt gelangweilt. Es scheint ihn nicht zu stören, dass ich eine halbe Ewigkeit brauche. Ich bin die Letzte in der Schlange, weil ich alle anderen vorgelassen habe. Mich verlässt jegliches Zeitgefühl. Irgendwo wird ein Kind gezeugt und geboren. Irgendwo beginnt und endet die Amtszeit einer Präsidentin. Und ich weiß immer noch nicht, was ich nehmen soll. Spätzle können lecker sein. Sie können sich aber auch als schlabberige Würmer herausstellen. Curry wiederum gibt’s in »genau richtig« und in »viel zu scharf«. Es ist ein verdammt schmaler Grat. Das ist übrigens nur ein Bruchteil der Gedanken, die ich mir dazu mache.
»Die Käsespätzle, bitte«, sage ich schließlich. Einfach, um irgendetwas zu sagen. Und in der Hoffnung, der Grübelei damit ein Ende zu bereiten.
»Du machst einen Fehler.«
Im ersten Moment denke ich, es ist die Stimme aus meinem Hirn, die plötzlich laut und deutlich für alle hörbar ist. Dann realisiere ich, dass da ein Mensch spricht. Und dass dieser Mensch nicht meine Entscheidung für die schwäbische Spezialität meint.
Mit dem Teller in der Hand drehe ich mich um und blicke in Guillaumes Gesicht. Er lächelt, zeigt seine blendend weißen Zähne – und ich glaube mich daran zu erinnern, dass seine Mutter Zahnärztin ist. Oder Proktologin? Jedenfalls hat es was mit einer Körperöffnung zu tun.
»Du nervst langsam«, sage ich.
»Das ist meine Absicht«, gibt er zurück.
Dachte ich mir. Die gute alte Zermürbungstaktik.
Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, bestellt Guillaume »das Zweite«. So was bewundere ich, ernsthaft.
»Wo sitzen wir?«, fragt er.
In dem Moment wünsche ich mir, meine beste Freundin wäre etwas weniger engagiert. Dann wäre sie jetzt nicht bei irgendeinem Schüler*innenvertretungstreffen, sondern hier, bei mir, und könnte mich seelisch unterstützen. Ich blicke über meine Schulter, aber auch von Matteo ist nichts zu sehen. Schade. Matteo hätte garantiert so viel geredet, dass Guillaume nicht mehr zu Wort gekommen wäre. Und damit wäre mir schon verdammt geholfen.
Etwas ratlos steuere ich meinen Lieblingsplatz hinter den Kübeln mit den künstlichen Pflanzen an. Für viele ist es nur »die Ecke«, für mich ist es eine Oase der Ruhe, ein Idyll inmitten umgestoßener Gläser und durchweichter Pizzaränder. Manchmal gelingt es mir hier sogar, den Geruch von Frittierfett und Schweiß auszublenden, der sich durch die ganze Schule zieht – außer im Mai und Juni, wenn draußen die Fliederbüsche blühen. Schuld daran ist (neben einer defekten Küchenabluft) die Mittelstufe, die komplett aus Achselhöhlen zu bestehen scheint.
Guillaume hat einen dynamisch gut gelaunten Schritt drauf. Typisch Sportler. Ein bisschen erinnert er mich an Jaras Hund Pauli beim Gassigehen. Ob Guillaume sich auch auf den Boden schmeißt, wenn ich mit dem Zeigefinger auf ihn deute und »Peng« rufe?
Als wir am Tisch seiner Freunde vorbeilaufen, macht er das Daumen-hoch-Zeichen. Phil ist der Einzige, der nicht zu uns guckt. Leicht vorgebeugt und mit hochgezogenen Schultern starrt er auf sein Handy. Vielleicht ist das die offizielle Trauer-Pose. Mir kann es egal sein. Davon mal abgesehen: Liebeskummer ist zwar scheiße, aber Teil des Deals. Wahrscheinlich manövrieren sich nur wenige so ganz ohne durchs Leben. Und ob die zu beneiden sind, keine Ahnung.
In meiner präferierten Ecke angekommen, beginne ich sofort, die Spätzle zu untersuchen. Es sind Würmer. Fuck. Ich schiebe den Teller zur Seite. Also wieder nur Rohkost.
Guillaume mustert mich.
»Warum hast du was genommen, das du nicht magst?«
Eine sehr gute Frage, auf die ich nicht mal eine schlechte Antwort habe.
»Nimm meins«, sagt er.
Ich sehe auf, runzle die Stirn.
»Du weißt nicht, was du bestellt hast, oder?«
»Stimmt«, gibt Guillaume fröhlich zu. »Aber ich mochte die Farbe.«
Wir starren auf das unappetitliche Braun in seiner Suppentasse, gekrönt von einigen ockerfarbenen Stückchen, die oben schwimmen. Und ich erweitere meine »Dinge, die ich über Guillaume weiß«-Liste um einen vierten Punkt: Er hat Humor.
Das Curry schmeckt. Es schmeckt sogar überraschend gut. Guillaume scheinen auch die Spätzle keine Probleme zu bereiten. Unbekümmert schaufelt er sie in sich hinein. Eigentlich bräuchte er zwei Gabeln.
»Was ich sagen wollte«, beginnt Guillaume mit vollem Mund. »Die Sache mit Phil. Da machst du einen Fehler.«
»Kann schon sein«, erwidere ich. »Aber weißt du was: Ich mag Fehler. Aus ihnen lernt man.« Das ist eine glatte Lüge. Fehler mögen zwar einen gewissen Lerneffekt mit sich bringen, aber ich hasse sie trotzdem – vor allem meine eigenen. Deshalb habe ich es mir auch zur Aufgabe gemacht, so wenige wie möglich zu begehen. Natürlich kann ich nicht abstreiten, dass mich das hin und wieder ziemlich blockiert. Wenn es eine Entf-Taste fürs Leben gäbe, oder diesen Shortcut, mit dem man die letzte Eingabe rückgängig machen kann, wäre es vielleicht anders.
Guillaume reißt mich aus meinen Gedanken. »Ich finde, du solltest schon allein deinetwegen mitmachen.«
»Meinetwegen?!«
Guillaume nickt ernst.
»Jetzt nur mal angenommen, du lässt dich auf die Sache ein: Du würdest hier im Ansehen enorm steigen.«
»Ob du es glaubst oder nicht«, sage ich und lege meinen Löffel zur Seite. »Ich bin mit meiner Position auf der Beliebtheitsskala recht zufrieden. Gesundes Mittelmaß, mehr brauche ich nicht.«
Guillaume zieht eine Augenbraue nach oben.
»Du weißt nicht, was du verpasst.«
»Du auch nicht«, gebe ich zurück.
Ich beschließe, das Ganze abzukürzen. Dafür bediene ich mich eines ebenso simplen wie selten genutzten Mittels: der Wahrheit.
»Kann schon sein, dass es eine nette Abwechslung wäre, in den Pausen mit euch beliebten Kids abzuhängen«, sage ich. Dabei betone ich Kids absichtlich so, wie es nur jemand tun würde, der längst vergessen hat, wie es sich anfühlt, ein Kid zu sein. »Aber das Problem ist ein anderes: Was du mir vorschlägst, ist verdammt ausgelutscht.«
Mit Guillaumes Gesicht geschieht etwas Merkwürdiges. Er presst die Lippen aufeinander, sämtliche Muskeln seiner markanten Kieferpartie sind angespannt und leicht verzogen. Was wird das? Unterdrückt er einen Rülpser, hat er einen Schlaganfall oder –
»Ausgelutscht!«, platzt es aus ihm heraus.
Ich fasse es nicht.
»Ernsthaft?«
Guillaume zuckt entschuldigend mit den Schultern, aber er kann nicht aufhören zu lachen.
»Ich versuche, dir einen Typen anzudrehen, und du sagst, er ist zu ausgelutscht.«
Es. Darf. Nicht. Wahr. Sein.
»Willst du vielleicht lieber bei denen dort sitzen?« Ich mache eine vage Handbewegung zur Empore, die die jüngeren Klassen in Beschlag genommen haben.
»Ich hab’s versucht«, sagt Guillaume. »Sie lassen mich nicht.«
Ich beschließe, es noch einmal anders anzugehen. »Dann sagen wir eben abgedroschen. Die Fake-Dating-Nummer ist total abgedroschen. Kommt in jedem zweiten Liebesroman oder Liebesfilm vor. Ist quasi das einfallsloseste Trope der Welt.«
»Erklär«, sagt Guillaume, als er sich wieder einigermaßen beruhigt hat. Mit dem Handrücken wischt er sich eine Träne aus dem Gesicht.
Ich sehe Guillaume skeptisch an.
»Das interessiert mich echt«, beteuert er. »Deutsch ist mein schwächstes Fach. Vielleicht kann ich was lernen.«
Er braucht mich gar nicht lange zu bitten. Denn das ist genau mein Thema. Und ich liebe es. Lässig schlage ich meine Ärmel zurück – weil das in meiner Vorstellung auch ultrakluge Literaturwissenschaftsprofessorinnen tun, bevor sie im Hörsaal ans Pult treten –, dann lege ich los.
Ich schnappe mir eine Gurke und eine Karotte vom Rohkost-Teller, denn ich bin ein großer Fan von Anschauungsmaterial. War ich schon immer. Daher halte ich es auch für eine gute Idee, im Aufklärungsunterricht notfalls auf Bananen zurückzugreifen. Allerdings unter der Bedingung, dass auch ein anständiges Klitoris-Modell zum Einsatz kommt. Tragischerweise weiß ja kaum jemand, wie die aussieht. (Gigantisch!) Und was sie alles kann! (Alles! Außer Subjonctif. Aber wer kann schon Subjonctif.)
»Also«, beginne ich meinen Vortrag. »Es gibt verschiedene Anfangsszenarien. Nehmen wir mal an, dass unsere Gurke hier gegen ihren Willen mit einem anderen Gemüseverkuppelt werden soll.«
»Gurken sind Obst«, unterbricht mich Guillaume.
»Was?«
»Botanisch gesehen sind Gurken Obst.«
»Realistisch gesehen spielt es keine Rolle«, sage ich. »Aber trotzdem vielen Dank für den Beitrag zu unserer beliebten Kategorie Unnützes Partywissen.«
»Jederzeit.«
Ich atme tief durch. Wie soll man so bitte arbeiten?
»Um der Misere zu entkommen, will Gürkchen nun den Anschein erwecken, bereits vergeben zu sein. Dann hätten wir noch Karotti. Karotti geht es nicht gut, denn sie wurde gerade von ihrer Freundin verlassen. Doch Karotti hat einen genialen Einfall: Sie will ihre Ex eifersüchtig machen, um sie zurückzugewinnen!«
Guillaume hat schon wieder einen Einwand. Das kann ich an seinem Gesicht erkennen.
»Ja?«, frage ich leicht ungehalten.
»Nur für’s Protokoll«, sagt er. »Den genialen Einfall hatte nicht Karotti, sondern Mister Blumenkohl.«
Ich runzle die Stirn.
»Du … siehst dich als Blumenkohl?«
»Ja«, sagt Guillaume langsam nickend. »Irgendwie schon.«
Ich muss zugeben, dass mich diese Selbsteinschätzung beeindruckt. Keine Ahnung, warum, aber Blumenkohl ist ein ziemlicher Volltreffer. Doch darum geht es jetzt nicht. Mit gebührendem Abstand zueinander halte ich Gemüse und Obst in die Luft und lasse sie plaudern.
Karotti: Hey, wollen wir so tun, als wären wir zusammen? Dann wären unsere Probleme gelöst!
Gürkchen: Oh, ja! Super Plan.
Karotti: Aber wir brauchen Regeln. Kein Küssen! Und keinen Sex!
Gürkchen: Und nach vier Wochen ist Schluss! Deal?
Karotti: Deal!
Ich lasse die beiden gemeinsam über den Tisch spazieren.
Karotti: Die in der Salattheke gucken schon alle!
Gürkchen: Hihi! Stimmt.
Karotti: Meinst du, es klappt?
»Spoiler«, sage ich mit meiner normalen Stimme. »Es klappt. Und wie es klappt! Niemand versucht mehr, Gürkchen zu verkuppeln, und Karottis Ex findet Karotti auf einmal wieder superhot. Die beiden haben sich aber auch mächtig ins Zeug gelegt. Um alle zu täuschen, haben sie verdammt viel Zeit miteinander verbracht und sich nebenbei kennen- und schätzen gelernt. Vor allem Letzteres.« Ich werfe Guillaume einen prüfenden Blick zu. »Wenn du verstehst, was ich meine.«
»Ja, klar«, sagt er. »Aber was passiert dann?«
»Dann ist es Zeit für den Abschied.«
Karotti: Warum guckst du denn so?
Gürkchen: Die … die vier Wochen sind um.
Karotti: Was, schon?
Gürkchen: Ja …
Karotti: Oh. Dann –
Gürkchen: – war’s das?
Karotti: Ja, das war’s dann wohl.
Gürkchen: Okay, ähm … also, tschüss.
Karotti: Tschüss.
Ich lasse Gurke und Karotte sichtlich niedergeschlagen getrennte Wege gehen. Die eine spaziert nach links über die schmutzigen Teller, die andere nach rechts. Mal dreht sich die Gurke um, mal die Karotte. Kaum merklich baut sich etwas auf, die Luft zwischen ihnen beginnt zu flirren. Bis sich endlich ihre Blicke treffen. Und da passiert es: Sie rennen aufeinander zu – und lassen ihren angestauten Gefühlen freien Lauf.
»Ähm.« Guillaume räuspert sich. »Was machst du da?«
»Die Frage ist nicht, was ich mache«, sage ich. »Sondern was die beiden da machen.« Und das ist eigentlich ziemlich klar. Gürkchen sitzt rittlings auf Karotti und bewegt sich heftig auf und ab. Da beginnt Karotti zu stöhnen. Ja, zu unser aller Überraschung kann sich die unscheinbare Wurzel so richtig gehen lassen.
»Okay, okay«, zischt Guilaume. »Hör auf.«
»Warum?«, frage ich unschuldig. »Ist einvernehmlich. Und an Verhütung haben sie auch gedacht. Gibt definintiv keine kleinen Gurotten.«
Karotti stöhnt noch ein bisschen lauter. Die ersten Leute drehen sich schon zu uns um. Peinlich berührt schaut Guillaume über seine Schulter. Also ehrlich, das sind mir ja die Liebsten: sich nicht mehr einkriegen, wenn eine »ausgelutscht« sagt, aber von etwas Action gleich rote Wangen kriegen. Schließlich hat er genug: Guillaume stoppt Karotti und Gürkchen in flagranti, indem er sie mir aus der Hand nimmt.
»Ich hab’s verstanden«, sagt er. »Die beiden kommen zusammen. Immer?«
»Immer«, sage ich. »Das ist quasi das Gesetz beim Fake Dating.«
Guillaume kratzt sich an der Nase.
»Aber ... was ist da das Problem?«
Ich sage nichts, denn vielleicht kommt er ja selbst drauf. Und tatsächlich: Kurze Zeit später weiten sich Guillaumes Augen und ich kann quasi dabei zusehen, wie ihm ein Licht aufgeht. Allerdings das falsche.
»Du magst Mädchen?«
Na klar. In Guillaumes Welt ist das natürlich die einzige Erklärung.
»Ba-damm«, mache ich. »Leider falsch.«
»Okay«, sagt Guillaume. »Aber was zur Hölle ist dann dein Problem? Alle anderen würden sich freuen, wenn sie mit Phil –«
Ich unterbreche ihn, bevor er diesen fürchterlichen Satz zu Ende sprechen kann.
»Das Problem ist«, sage ich und hole mir meine Karotte zurück, »dass Phil einfach nicht mein Typ ist.« Und damit beiße ich Karotti genüsslich ins Hinterteil.
Auf dem Weg nach Hause denke ich über meinen Vortrag nach. Im Großen und Ganzen finde ich, dass er mir recht gut gelungen ist. Obwohl ich Guillaume in einem entscheidenden Punkt ziemlichen Blödsinn erzählt habe. Denn natürlich lässt sich das, was in Liebesromanen oder Liebesfilmen passiert, nicht eins zu eins auf das echte Leben übertragen. Das ist ja genau der Fehler, den alle gerne machen. Und dann wundern sie sich, dass es nicht gut ankommt, wenn sie beim Schulbandkonzert mitten in We will rock you die Bühne stürmen und eine Liebeserklärung ins Mikro plärren. (Liebe Grüße an Benjamin R.! Wir erinnern uns alle noch schmerzhaft gut daran.) Von solchen Grand Gestures sollte man lieber absehen.
Eines ist klar: Grand Gestures können für den oder die Adressatin eine echte Zumutung sein. Ich meine, geht noch mehr Druck? Angebracht ist so etwas meines Erachtens nur, wenn es darum geht, einer Person zu beweisen, dass man zu ihr und der bereits ausgesprochenen, gemeinsamen Liebe steht.
Deshalb bin ich dafür, dass auf Liebesromanen vorne so ein fetter Aufkleber prangt, ähnlich wie bei Zigarettenschachteln: Wenn Sie das lesen, schaden Sie möglicherweise sich und Ihrem Umfeld. Oder treffender: Der unreflektierte Konsum dieses Erzeugnisses führt zu falschen Erwartungen. Bei Thrillern oder Actionfilmen passiert die Verwechslung mit der Realität übrigens weniger leicht. Wahrscheinlich, weil man selten von einem Serienkiller verfolgt wird oder die Welt vor ihrem plötzlichen Untergang retten muss. Aber Verlieben tun sich zumindest die meisten Leute schon hin und wieder mal. Egal. Soll Guillaume doch denken, was er will. Hauptsache, er hat kapiert, dass ich bei ihrem blöden Plan nicht mitmache. Mit diesem Gedanken schließe ich die Haustür auf.