Was Wanda will - Lena Hach - E-Book

Was Wanda will E-Book

Lena Hach

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Beschreibung

Wanda ist die "Neue" an der Schule und Wanda will nur Eines: in die Villa im Stadtpark einbrechen und einen ganz bestimmten und bewachten Gegenstand stehlen. Der Plan steht, nur das richtige Team muss noch zusammengestellt werden. Wanda findet an ihrer Schule ein paar Profis, die unterschiedlicher nicht sein könnten - und genau deshalb perfekt zusammenpassen. Doch die wahren Qualitäten dieses Teams zeigen sich erst, als schiefgeht was nur schiefgehen kann ... Erfolgsautorin Lena Hach erzählt eine urkomische und rasante Krimi-Komödie. Mit Sketchnotes genial bebildert.

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Für meine Kinder

© Mixtvision Verlag, 2023

Leopoldstraße 25, 80802 München

www.mixtvision.de

Alle Rechte vorbehalten.

Text: Lena Hach

Sketchnotes: Antonia Christofori

Umschlaggestaltung und Innentypografie: Anke Elbel

E-Book Herstellung: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-95854-991-3

Hinterher kann man viel erzählen. Haben sie auch getan. Was haben sie sich gegenseitig die Hucke vollgelogen. Natürlich habe ich gewusst, worauf das hinausläuft! Mir war von Anfang an klar, worum es geht! Unsinn. Wanda hat sie an der Nase herumgeführt. Als es losging, hatte niemand – wirklich niemand – auch nur den Hauch einer Ahnung. Das war Teil des Plans. Und genau deshalb hat er so verdammt gut funktioniert.

»Hast du das verstanden?«

Wanda nickt. Seit einer halben Stunde tut sie nichts anderes. Mit im Schoß gefalteten Händen sitzt sie vor dem breiten Schreibtisch der schmalen Rektorin und nickt. Die Rektorin redet und redet und redet. Sie scheint gar nicht zu merken, dass sie sich nur noch wiederholt. Vielleicht ist es ihr auch egal. Bestimmt sogar. An ihrer Schule herrschen andere Sitten. An ihrer Schule gelten gewisse Regeln. Und die werden auch eingehalten.

»Hast du das verstanden?«

Die Verlockung ist groß. Gerne würde Wanda sagen, dass ihr dieser letzte Teil noch nicht ganz klar geworden ist. Ob die Rektorin wohl so freundlich sein könnte, ihn ein achtundfünfzigstes Mal zu wiederholen?

Doch Wanda beherrscht sich. Gut möglich, dass ihr vom vielen Nicken bald der Kopf abfällt. Was soll’s. Wichtig ist, dass die Rektorin ihr glaubt. Dass Wanda sie von ihren besten Absichten überzeugt. Sonst setzt die Rektorin das gesamte Kollegium auf sie an. Dann wird Wanda keine ruhige Minute haben. Dann wird sie nicht mehr aus den Augen gelassen, bei keiner verdammten Hofpause. Das Problem an der Sache: Man kann nicht beobachten, wenn man selbst beobachtet wird.

»Also, ich fasse noch mal zusammen: Mach hier keinen Ärger!«

Wanda sieht der Rektorin direkt in die blitzenden Augen.

»Werde ich nicht«, sagt sie mit fester Stimme.

Einen Moment lang herrscht Stille. Die Ader am Hals der Rektorin zuckt. Direkt daneben ein Muttermal, das sich besser mal eine Ärztin ansehen sollte. Wanda muss an ihren Vater denken. Sie fragt sich, was er der Rektorin wohl erzählt hat. Es steht außer Frage, dass er übertrieben hat. Weil er immer übertreibt, wenn es um Wanda geht.

Viel zu schrill klingelt es zur ersten Stunde; die Rektorin entlässt sie mit einer schnellen Handbewegung. Wanda verabschiedet sich höflich, die Rektorin grunzt. Was sie nicht sieht, gar nicht sehen kann: Als Wanda das Büro verlässt, hat sie ein Schmunzeln im Gesicht.

Ehrensache, dass Wanda hält, was sie verspricht. Hat sie schon immer. Deshalb wird sie diese mittelmäßige Schule nicht aufmischen. Warum auch? Wanda hat andere Pläne – größere. Über genau diese Pläne denkt sie nach, als sie den Jungen entdeckt. Der war vorhin definitiv noch nicht hier, in diesem Rollstuhl mit den grellgrünen Reifen, direkt vor dem Büro der Rektorin. Ohne hinzusehen, lässt er Spielkarten von der einen Hand in die andere wandern – in einem beeindruckenden Tempo. Der Junge wirkt mit dem weißen Hemd und der grauen Schieberkappe wie ein klein geratener Erwachsener. Kann sein, dass er gehört hat, was sie besprochen haben. Was die Rektorin gesprochen hat. Auch egal. »Neu hier?«

Wanda nickt.

»Und schon bei der D-Rex?«

Wanda nickt wieder.

Der Junge zieht anerkennend die Augenbrauen nach oben.

»Lust auf ein Spielchen?«

Wanda zögert keine Sekunde.

»Klar.«

Der Junge grinst breit, zwischen seinen Schneidezähnen ist eine beeindruckende Lücke zu sehen. Da hat er auch schon einen Atlas aus seinem Rucksack gezogen, der kommt als Unterlage auf seine Knie, darauf drei Karten.

»Aufgepasst, hier ist die Königin.«

Der Junge ist nicht schlecht. Er ist sogar richtig gut. Flinke Hände und eine noch schnellere Zunge. Die zweite Person an diesem Tag, die einfach nicht aufhören kann zu reden. Ob er Wanda damit ablenken will? Spielt keine Rolle, denn Wanda ist auch gut. Sehr gut sogar. Sie besitzt ein scharfes Paar Augen. Wanda findet die Königin dreimal hintereinander, gewinnt erst einen, dann zwei, dann drei Euro. Der Junge setzt seine Kappe ab, streicht sich durchs dunkle Haar.

»Und jetzt ein Zehner?«, schlägt er vor.

Wanda hat schon darauf gewartet. Ohne mit der Wimper zu zucken, kramt sie den Schein hervor. Der Junge nickt zufrieden und wirbelt los. Wanda lässt die Königin nicht aus den Augen, keine Sekunde – sie bemerkt sogar den entscheidenden Moment – bis der Junge atemlos innehält.

»Na, wo hat sich unsere Majestät versteckt?«

»Mitte«, sagt Wanda.

Der Junge schnalzt mit der Zunge.

»Wie heißt es so schön?«, triumphiert er. »Knapp daneben ist auch vorbei.«

Während er mit der einen Hand noch die Karten umdreht – die Königin liegt links – schnappt er sich mit der anderen schon den Zehner.

»Wow«, macht Wanda.

»Ach«, der Junge winkt ab. »Das war noch gar nichts.«

Er klingt verdammt zufrieden mit sich und der Welt. Aber auch Wanda macht nicht den Eindruck, als hätte sie gerade ihr restliches Taschengeld verspielt. Unbekümmert spaziert sie über den Flur davon.

»Wir sehen uns«, ruft sie, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Wanda schaut auf ihren Handrücken. 2.3 steht dort in blauem Fineliner – die Nummer ihres Klassenraums. Da müsste Wanda eigentlich schon seit fünf Minuten sein. Nach einem Blick auf ein Schild an der Wand wird Wanda klar: Sie befindet sich im falschen Gebäude. Als sie gerade durch die Tür und über den Hof gehen will, kommt ihr eine Lehrerin entgegen, die ihrem Outfit nach Sport unterrichtet. Sport und Biologie.

»Es hat längst geklingelt«, sagt die Lehrerin mit tadelndem Unterton.

Wanda seufzt leise. Wo sie auch hinkommt, überall haben Lehrer und Lehrerinnen diese Tendenz, das Offensichtliche zu thematisieren. Und es ist nie eine gute Idee, sie darauf aufmerksam zu machen.

»Bin auf dem Weg«, sagt Wanda freundlich lächelnd. »Hatte mich kurz verirrt.«

Die Lehrerin mustert sie neugierig.

»Ach, du bist die Neue? Wanda –« Nachdenklich legt sie die Stirn in Falten. »Moment, ich komme gleich drauf. Wanda –«

»Fuchsberg, genau«, fällt Wanda ihr ins Wort, woraufhin die Lehrerin einen Moment irritiert scheint.

»Ich heiße wie meine Mutter«, erklärt Wanda.

»Ach so, natürlich«, sagt die Lehrerin bemüht herzlich. »Also. Wo musst du denn hin?«

»In meinen Klassenraum.«

Wanda setzt sich wieder in Bewegung. Sie braucht keine Hilfe, wirklich nicht. Das mag daran liegen, dass Wanda schon ein paar Schulen besucht hat und dass es letztlich immer das gleiche Labyrinth ist, das sie routiniert knackt. Da ist sie auch schon. Neubau, zweite Ebene, dritte Tür, gestrichen in Eitergelb. Wanda greift nach der Türklinke. Mit etwas Glück findet sie gleich hier die richtigen Leute, das wäre praktisch. Sonst vielleicht im Sportkurs oder Spanisch, da mischen sich die Jahrgänge, was von Vorteil ist. Je mehr Leute Wanda kennenlernt, desto eher findet sie die richtigen. Wanda holt tief Luft, dann zieht sie die Tür auf.

Eine Doppelstunde später. Wanda stellt sich in die Schlange vor dem Kiosk, um eine Limonade zu kaufen. Vor ihr – was für ein Zufall! – der Typ mit den Kartentricks. Er hat sie noch nicht bemerkt. Als er an der Reihe ist, richtet er sich auf und ordert zwei Schokoriegel und einen Kaffee, schwarz.

Kaffee? Wanda ist sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hat. Der Junge ist doch kaum älter als sie. Aber tatsächlich. Der Mann hinter der Theke greift nach der Kaffeekanne, gießt ein. Der Junge zieht sich also nicht nur an wie ein Erwachsener, er ernährt sich auch so. Also, er versucht es zumindest. Denn den ersten Schluck, den er aus der dampfenden Tasse nimmt, spuckt er sofort wieder aus. Der Kaffee war wohl noch zu heiß.

»Zwoeurofuffzich«, verlangt der Mann hinter der Theke.

Der Junge tastet seine Taschen ab. Da Wanda immer noch direkt hinter ihm steht, sieht sie sein Gesicht nicht. Sie kann sich also nur vorstellen, wie er jetzt, in genau diesem Augenblick, den Mund verzieht.

»Momentchen.«

Der Junge stellt die Tasse auf die Theke, holt seinen Rucksack vor seine Brust und beginnt, mit beiden Händen darin herumzukramen. Der Mann verschränkt die Arme, seufzt einmal, zweimal – bis der Junge schließlich aufgibt.

»Dann verzichte ich wohl heute mal auf meinen gepflegten Kaffeeklatsch«, flötet er. Doch so leicht lässt ihn der Mann hinter der Theke nicht davonkommen.

»Nee, mein Lieber. Du hast ja schon davon getrunken.«

»Ich wollte trinken«, erwidert der Junge. »Tatsächlich hat kein Koffein den Weg in meine Speiseröhre gefunden. Das ist alles wieder in dieser hübschen Tasse da. Die könnten Sie quasi dem Nächsten hier andrehen.«

Er blickt über seine Schulter und entdeckt Wanda.

»Ich übernehme das«, sagt sie großzügig. »Und für mich bitte eine Limo.«

Wanda zückt ein blaues Portemonnaie.

Dem Jungen fallen fast die Augen aus dem Kopf. Nicht wegen der unerwarteten Einladung oder des satten Trinkgelds, das Wanda jetzt gibt. Nein, es liegt allein an dem Portemonnaie. Es ist seins.

Die beiden sitzen in der Sonne vor der Cafeteria.

»Die Runde geht an dich«, sagt der Junge und nippt an seinem Kaffee, der ihm auch im abgekühlten Zustand nicht richtig zu schmecken scheint. »Also, erzähl, wie hast du das gemacht?«

Wanda zuckt mit den Schultern.

»Genauso wie du mit deinen Karten.« Wanda bemerkt, dass die Antwort nicht genügt. Ihr Gegenüber will es genauer wissen. Also fährt sie fort: »Der Trick ist bewusste Irreführung des Publikums. Dabei wird die Aufmerksamkeit auf eine Sache gelenkt, um von einer anderen abzulenken. In Fachkreisen nennt man das –«

»– Misdirection«, beendet der Junge ihren Satz.

Und damit ist alles gesagt. Eine Weile sitzen die beiden nur da und mustern sich schweigend. Bis plötzlich, wie aus dem Nichts, seine Hand nach vorne schnellt. Offenbar hat er beschlossen, dass es an der Zeit für eine anständige Vorstellung ist.

»Ich bin der Meister«, sagt er.

»Wanda«, sagt Wanda und greift zu.

Der Meister gibt Wanda eine Tour durch die Schule. Dafür ist er genau der Richtige. Denn der Meister kennt alle – und alle kennen den Meister. Als sie den Hof durchqueren, stoppen sie immer wieder, weil der Meister hier jemanden begrüßt, dort seine Faust zum Stoß ausstreckt oder dringend einen kleinen Schnack halten muss.

Wanda wird ziemlich schnell klar, wie das hier läuft.

Du brauchst ein Ladekabel?

Frag den Meister.

Dir fehlt die Unterschrift auf einer Entschuldigung?

Geh zum Meister.

Und falls du für Freitagabend schnell noch ein Date brauchst, wer regelt auch das?

Genau. Der Meister.

Sogar ein Referendar wendet sich vertrauensvoll an ihn. Wanda glaubt, nicht richtig zu hören: Der angehende Biolehrer mit den verwaschenen Jeans und den roten Flecken im Gesicht steht vor seinem letzten Unterrichtsbesuch. Nun braucht er dringend einen Rat, wie er die allseits gefürchtete 7b für sich gewinnen kann.

»Die sprengen mir sonst meinen Unterricht«, sagt er, während er seine Hände knetet. »Aber ich lass mir das Examen doch nicht von ein paar Kotzbrocken versauen!« Kaum hat er ausgesprochen, wirft der Referendar einen schnellen Blick zu Wanda. Er scheint zu überlegen, ob sie zu diesen speziellen Kotzbrocken gehört, ob er ihr Gesicht in seinem Klassenzimmer schon gesehen hat. Bevor der Referendar zu einem Schluss kommt, winkt Wanda ab.

»Keine Sorge«, sagt sie. »8a.«

Erleichtert wendet sich der Referendar wieder dem Meister zu. Der verspricht, sich was einfallen zu lassen.

»Hauptsache, Sie versuchen zwischenzeitlich nicht, die Klasse mit Süßigkeiten zu bestechen.«

»Auf keinen Fall«, der Referendar schüttelt den Kopf. »Die Schokoriegel haben sie mir beim letzten Mal schon nachgeschmissen.« Er fasst sich an die Stirn. »Buchstäblich.«

Kurz vor dem Mittagessen kommt es zu einem vielleicht noch denkwürdigeren Zwischenfall. Als Wanda von den Toiletten zurückkehrt, steht ein älterer Schüler mit glänzender Lederjacke vor ihrem persönlichen Guide. Mit einer Hand stützt er sich an der Mauer ab, einen Fuß hat er vor eines der Lenkräder des Rollstuhls gestellt, so versperrt er dem Meister wie zufällig den Weg. Der schmale Typ ist Wanda schon heute früh auf dem Parkplatz aufgefallen, als er sein Motorrad hat aufheulen lassen. Wanda kommt zu dem Schluss, dass eine gepflegte Unterhaltung zwischen zwei Kumpels anders aussieht. Sie entscheidet sich zu handeln.

»Leute«, ruft sie über den Flur. »Ihr glaubt’s nicht! Da draußen hat einer eine Honda umgeschmissen.«

Der Typ, der sich gerade heruntergebeugt hat, um dem Meister etwas ins Ohr zu zischen, blickt auf.

»Dunkelblau?«

»War die mal, würde ich sagen. Aber der Lack ist eindeutig ab.«

Der Typ richtet sich schnaubend auf und zieht ab, um nach dem Rechten zu sehen. Sofort hat der Meister wieder ein Grinsen im Gesicht.

»Hey, Wanda-Amanda«, trällert er und richtet seinen Hemdkragen. »Alles easy?«

Wanda runzelt die Stirn. »Bei mir schon«, sagt sie langsam.

»Genauso wie draußen auf dem Parkplatz, wenn ich mich nicht irre. Das nenn ich mal einen Bluff. Respekt!«

Wanda geht nicht darauf ein.

»Und bei dir?«, fragt sie.

»Was bei mir?«

»Bei dir auch alles ... easy?«

»Easy-breezy«, sagt der Meister, ohne Wanda anzusehen. Er ist viel zu beschäftigt damit, sich unsichtbare Fussel von der Schulter zu schnipsen.

Wanda weiß, dass das nicht stimmt. Sie weiß auch, dass der Meister ihr nicht verraten wird, was wirklich Sache ist. Also muss sie etwas nachforschen. Doch das hat sie sowieso vor.

In den nächsten Tagen stellt Wanda immer wieder fest, dass es an der neuen Schule nur so wimmelt vor interessanten Leuten. Oder, besser gesagt: Kandidatinnen und Kandidaten. Um den Überblick zu behalten, macht sich Wanda auf ihrem Tablet immer wieder Notizen. Da ist zum Beispiel Desiree, die mit ihr in die gleiche Klasse geht. Die große, breite Desiree mit ihren vielen Sommersprossen und den ausgeleierten schwarzen Klamotten. Die Ärmel ihrer Oberteile sind so lang gezogen, dass sie den Zweck von Pulswärmern erfüllen könnten. Immer, auch jetzt, kommt Desiree mittags als Letzte in die Cafeteria. Und wie üblich gehen ihr all jene, die noch da sind, aus dem Weg. Ein Grund für Wanda, es nicht zu tun. Sie hat was übrig für einsame Wölfe. Nicht nur, weil Wanda sich selbst dazuzählt. Einzelgänger wissen mehr, als man denkt. Sie können auch mehr, als man denkt. Vielleicht, weil sie keine Leute um sich herum haben, die sie ablenken.

Obwohl Wanda schon gegessen hat, nimmt sie ein Tablett. Sie steuert direkt auf Desiree zu.

»Pasta oder Pizza?«

»Hä?«

Wanda deutet zur Tafel, auf der das Menü des Tages lieblos angepriesen wird.

»Ich hab keine Ahnung, was besser schmeckt.« Wanda hebt beide Hände in die Luft. »Ich bin neu hier.«

»Ach was«, brummt Desiree. Das bringt Wanda für einen Moment aus dem Konzept. Sarkasmus hat bei ihr immer diesen Effekt. Eine Sache, die sie eindeutig ihrem Vater – dem selbst ernannten König des Sarkasmus – zu verdanken hat. Genau wie den unfreiwilligen Schulwechsel mitten im ersten Halbjahr. Desiree schnaubt.

»Es ist klar, dass du neu bist. Sonst würdest du nicht mit mir reden. Mit mir wird nämlich nicht geredet.«

Oh, also doch keine Einzelgängerin. Eine Außenseiterin! Da hätte Wanda früher draufkommen können. Wobei es letztlich keinen großen Unterschied macht. Sie deutet zur Menütafel.

»Also, sag schon, was kannst du empfehlen?«

»Den Döner an der Ecke.«

Desiree streicht sich eine blonde Strähne aus der Stirn und Wanda bemerkt, dass Desirees Handrücken bunt bemalt sind – mit feinen Schnörkeln und verschlungenen Buchstaben. Wanda ist davon so überrascht, von der Farbexplosion zum einen und der Kunstfertigkeit zum anderen, dass sie einen Fehler macht. Einen blöden Fehler, einen richtigen Anfängerfehler: Sie guckt zu lange hin. Das bemerkt natürlich auch Desiree, die nun zwei Dinge tut. Erstens zieht sie die Ärmel schnell wieder bis zu ihren Fingerknöcheln. Zweitens, sie haut ab. Und Letzteres ist besonders bedauerlich.

Wanda blickt Desiree eine Weile hinterher, dann nimmt sie sich einen Schokopudding aus der Vitrine. Nachtisch geht immer.

»Du kannst es nicht wissen«, sagt da eine helle Stimme hinter ihr. »Aber der gehen wir aus dem Weg.«

»Wer, wir?«, fragt Wanda und dreht sich um. Dort stehen zwei Mädchen. Die größere von den beiden könnte direkt von einem Mode-Shooting kommen. Von den Schuhen bis zum Kopftuch ist sie perfekt farblich abgestimmt.

»Wir alle«, sagt das Mädchen und senkt ihre Stimme. »Desiree ist ... gewalttätig.«

Ihre Freundin nickt so begeistert, dass ihr beinahe der gelbe Haarreif vom Kopf rutscht. Und dann erfährt Wanda, dass Desiree im letzten Schuljahr einen ganzen Monat suspendiert war, weil sie erst Oleg Holzer und dann irgendeinem Andre oder Andreas – hier gehen die Meinungen auseinander – auf den Kopf gehauen hat.

»Einfach so, bums, mit der Faust rauf auf den Schädel«, erklärt das größere Mädchen, während das andere zu Demonstrationszwecken in die Luft schlägt.

»Bums«, wiederholt Wanda nicht unbeeindruckt.

»Die sind zusammengesunken wie dein Soufflé da.«

»Das ist Schokopudding«, erklärt Wanda.

Ihr Gegenüber zieht die Augenbrauen zusammen. Offenbar ist sie es nicht gewohnt, dass man ihr widerspricht.

»Ich mein ja nur«, sagt sie. »Nicht, dass du hinterher behauptest, dich hätte keiner gewarnt.«

Wanda will etwas fragen, doch bevor sie auch nur den Mund aufmacht, kommt es an einem der Tische hinter ihnen zum Tumult.

»Das Schwein hat mir auf die Hose geblutet!«

»Iiih, das geht bestimmt nie wieder raus!«

Zwei, drei Leute springen auf und verlassen fluchtartig ihren Platz.

Wanda reckt den Hals, sie will das Schwein sehen.

»Schulze«, stellen die zwei Mädchen ihr gegenüber gleichzeitig fest. »Wer auch sonst.«

Schulze ist ein blasser Junge mit kinnlangem Haar, dem es rot aus der Nase läuft. Der Junge schielt hoch, zum Tisch nebenan. Dort sitzt ein Mädchen mit blauer Brille, kurzem Afro und Save the planet