Dorftratsch - Oskar Feifar - E-Book

Dorftratsch E-Book

Oskar Feifar

4,8

Beschreibung

Niederösterreich 1971. In dem kleinen Ort Tratschen wird der Trainer der örtlichen Fußballmannschaft tot im Clubhaus aufgefunden. Verhaftet wird Manfred Sedlak, Platzwart des Vereins, der am Vorabend Streit mit dem Opfer hatte. Sofort kursieren im Dorf Gerüchte über das Motiv des angeblichen Mörders. Doch Postenkommandant Leopold Strobel hat Zweifel an der Schuld Sedlaks. Er findet heraus, dass mehrere Personen gute Gründe für den Mord gehabt hätten und stößt auf einen Sumpf aus Scheinheiligkeit, Neid und Korruption hinter der dörflichen Idylle.

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Oskar Feifar

Dorftratsch

Kriminalroman

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2012 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2012

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Christoph Neubert

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © joexx / photocase.com

Druck: Bercker Graphischer Betrieb GmbH & Co. KG, Kevelaer

Für Natascha, die mir jeden Tag versüßt und ohne die es dieses Buch nicht geben würde:

Servus Prinzessin, hier ist also der Roman den ich dir eigentlich zu Weihnachten schenken wollte. Ich hoffe, es ist die Leseabwechslung, die du dir gewünscht hast. Falls nicht, probier ich es halt noch einmal. Küsschen

Für die einzigen Kinder, die ich kenne, die sich über Harry Potter als Ostergeschenk nicht gefreut haben:

1

Bevor ich meine Geschichte erzähle, musst du wissen, dass es ein Irrglaube ist, dass in den kleinen Dörfern auf dem Land ein jeder alles über den anderen weiß. Jeder kennt einen jeden und kann irgendwas über ihn erzählen, aber die Wahrheit, und damit meine ich die richtige Wahrheit, die kennen die wenigsten. Weil, was hinter den verschlossenen Haustüren der Leute passiert, bleibt auch auf dem Land oft im Verborgenen. So und nicht anders war es damals auch bei uns in Tratschen. Ein kleines, abgelegenes Dorf, umgeben von Wiesen, Feldern und Weinbergen, wo die Leute in der Hauptsache von der Landwirtschaft gelebt haben. Der Ort hat fast ein bisschen verschlafen gewirkt damals. Ruhig und friedlich hat er ausgesehen. Das war er im Grunde auch. Vielleicht sogar ein bisschen zu ruhig. Rundherum hat es auch nicht wirklich was Nennenswertes gegeben. Nur sehr viel Gegend, wie man so sagt. Noch dazu war Tratschen fast schon das Ende der Welt. Zumindest an seiner nördlichsten Seite. Denn dort hat der sogenannte Eiserne Vorhang eine unüberwindliche Barriere in Form eines hässlichen Stacheldrahtzaunes gebildet. Das hast du aber, wenn du auf den Ort zugefahren bist, nicht bemerkt. Alles, was du zu sehen gekriegt hast, war Idylle pur.

Eingebettet in die leicht hügelige Landschaft ist der Ort dagelegen. Neben den paar schmalen Straßen sind so viele Kirschbäume gestanden, dass du das Gefühl gehabt hast, du kannst das ganze Land mit den Früchten versorgen. Das Meer von blühenden Sonnenblumen auf den Feldern hat das Bild abgerundet.

Der Ort selbst ist gewesen, wie viele andere auch. Unspektakulär, aber gepflegt. Die Häuser sind links und rechts von der Hauptstraße gestanden und waren so angeordnet, dass man das Gefühl bekommen hat, durch einen großen Schlauch zu fahren. Mit ihren großen Einfahrtstoren haben sie alle fast gleich ausgesehen. Nur die Fassadenfarben und eben diese Tore selbst haben sich voneinander unterschieden. Da hat es alle möglichen Farben, Muster und Materialien gegeben. Die einen haben viel darauf gehalten, ein schönes Tor zu haben, und deshalb jede Menge Geld dafür ausgegeben, es aus Holz machen zu lassen. Teilweise sogar mit netten Schnitzereien. Dann hat es Holztore der schlichten Art, die völlig schmucklos waren, gegeben. Die meisten Leute haben aber eher auf die praktische Seite gesetzt und funktionelle Tore aus Eisen machen lassen. Überhaupt war vielen Bewohnern die Präsentation ihrer Behausungen unheimlich wichtig, und sie haben jedes Frühjahr sehr viel Zeit darauf verwendet, ihre Vorgärten entsprechend herzurichten und Blumenkästen zu bepflanzen, um sie vor die Fenster zu hängen. Nur einige wenige haben offenbar nichts von schönen Toren und repräsentativen Häusern gehalten und sind deswegen als Ortsbildverschandeler ins Gerede gekommen. Zumindest diejenigen unter ihnen, die entlang der Hauptstraße gewohnt haben. Da ist es dann und wann schon einmal vorgekommen, dass der Herr Bürgermeister höchstpersönlich vorgesprochen und die Hausbesitzer mit hoch erhobenem Zeigefinger zur Herstellung einer dekorativen Garten- und Fensteroptik aufgefordert hat. Bei den Häusern abseits der Hauptstraße war es ihm und den anderen Saubermännern und -frauen im Ort allerdings egal.

Insgesamt war es sehr sauber entlang der Hauptstraße. Das war ja damals noch kein so großes Thema mit der Umweltverschmutzung und dem Klimawandel. Zumindest nicht in Tratschen. Dort haben die Menschen noch ein klein wenig umweltbewusster gelebt. Da hast du dich schief anschauen lassen müssen, wenn du ein Stück Papier oder einen Zigarettenstummel auf die Straße geworfen hast. Ja, sogar ein ausgespuckter Kaugummi war Anlass zum Kopfschütteln.

Auch der Straßenverkehr ist damals kein Thema gewesen. Der hat nämlich so gut wie gar nicht stattgefunden. Natürlich haben die Leute in Tratschen auch schon Autos gehabt, aber weil sie halt den ganzen Tag auf den Feldern gearbeitet haben, sind sie nicht so viel herumgefahren. Vielleicht ist das aber nicht nur am Umweltbewusstsein gelegen, sondern auch an der Tatsache, dass es weit und breit keine Tankstelle gegeben hat. Da hast du schon dreißig Kilometer fahren müssen, wenn du Benzin haben wolltest. Da es aber rundherum nichts gegeben hat, das eine Ausfahrt unbedingt nötig gemacht hätte, haben sich das die meisten Autobesitzer gespart und sind brav mit dem Fahrrad gefahren. Der wenige Straßenverkehr war vielleicht auch eine Erklärung dafür, warum man in Tratschen keine Gehsteige angelegt hat. Es gibt nämlich keine. Damals noch nicht und heute auch nicht. An ihrer Stelle hat man irgendwann weiße Linien auf den Asphalt gemalt. Andererseits haben die Ortsbildverschandeler wegen dem wenigen Verkehr nicht verstanden, warum sie ihre Häuser schön herrichten sollten. Es sind sowieso kaum Fremde durch den Ort gekommen. Und wenn doch, sind sie nie geblieben, um die hübschen Häuser zu bewundern.

Die Stadtmenschen, die sich ab und zu doch nach Tratschen verirrt haben, haben oft respektlos Kuhdorf gesagt. Aber das hat gar nicht gepasst. Weil es Kühe nicht wirklich gegeben hat. Ein paar schon, aber nicht so viele, dass die Bezeichnung gerechtfertigt gewesen wäre. Die Bauern haben mehr mit Schweinen zu tun gehabt. Aber das ist jetzt auch schon vorbei. Damals, im Jahr 1971, da hat es noch viele Schweine gegeben.

Das war eine gute Zeit. Zumindest haben das die alten Leute immer gesagt. Ich selbst weiß es nicht so genau, weil ich fast noch ein Kind war. Ich habe aber mitbekommen, dass viele Menschen weggezogen sind aus dem Ort. Möglicherweise war es doch nicht so toll, wie man meinen möchte. Vielleicht ist es auch daran gelegen, dass man beruflich nicht viele Möglichkeiten gehabt hat. Als Mann hast du bestenfalls Bauer oder Förster werden können. Für die Frauen war die Auswahl an Berufen auch nicht viel berauschender. Für die hat es Berufe wie Friseurin oder Verkäuferin in einem der beiden Supermärkte gegeben. Für alles andere hast du den Ort verlassen und in die benachbarten Städte fahren müssen, um Arbeit zu finden. Die waren aber gar nicht so nahe. Dreißig Kilometer waren es bis zur nächsten größeren Stadt. Die war aber auch nicht viel anders wie Tratschen. Nur größer eben. Sei’s drum.

Jedenfalls sind damals viele junge Leute weggegangen. In die Stadt sind sie gezogen, weil sie geglaubt haben, dass dort alles besser ist. Jetzt könnte man meinen, dass mit der Zeit immer weniger Menschen im Ort gelebt haben, weil so viele gegangen sind. Vom Logischen her ist das auch richtig. Aber so wie auf der einen Seite die Landflucht, war auf der anderen Seite die Stadtflucht in vollem Gange. Es ist bei den Stadtmenschen damals richtig modern geworden, ein Wochenendhaus auf dem Land zu haben. Und so haben die Städter die Häuser aufgekauft, die von den Landfluchtlern geräumt worden sind, und sind in unser Kuhdorf gezogen. Und weil die Stadtmenschen halt so oft Kuhdorf gesagt und Tratschen damit beleidigt haben, haben sich auch die Tratschener einen Namen für die Städter ausgedacht. ›Die Frischluftdepperten‹ haben sie zu ihnen gesagt. Philosophisch betrachtet könnte man sagen, dass das irgendwie gerecht war. Aber nett war es nicht.

Das Leben im Dorf ist größtenteils ereignislos verlaufen. Ich will nicht sagen, dass es fad war. Nein. Es ist halt nur nicht viel passiert. Für die meisten war ein Tag wie der andere. Aber das ist den Menschen gar nicht so recht aufgefallen. Sie haben ja nichts anderes gekannt. Arbeiten, Wirtshaus, Feuerwehr und am Wochenende zuerst Kirche und dann das Fußballmatch vom örtlichen Verein. Mehr hat es eben nicht gegeben. Du darfst nicht vergessen, dass 1971, von der Unterhaltungsseite her gesehen, quasi noch Urzeit gewesen ist. Es war halt noch nichts mit Fernsehen aus dem Weltall. Ich glaube, damals hat die Hälfte der Leute noch gar nicht recht gewusst, was ein Satellit ist. Es hat auch nur zwei Sender gegeben. Keine Spur vom Privatfernsehen mit seinen unzähligen Sendern. Und weil es dadurch keine Konkurrenz gab, haben es sich die Fernsehmacher leisten können, die Sender total fantasielos den Einser und den Zweier zu taufen. Den Zweier hat man noch dazu lange nur fünf Tage pro Woche schauen können. Und mit Farbfernsehen war natürlich auch noch nichts. Alles schwarz-weiß. Damit war das Thema TV schon erledigt. Aber weißt du, was irgendwie witzig ist? Schwarzseher und -hörer hat es damals auch schon gegeben. Na ja, dazu musst du wissen, dass das mit den Gebühren noch recht neu war und die Leute wahrscheinlich nicht verstanden haben, warum sie plötzlich fünf Schilling im Monat fürs Fernsehen und zwei Schilling fürs Radio­hören zahlen sollen, wo es doch bis dahin umsonst gewesen ist. Die Gebühren sind nämlich erst ein Jahr vorher eingeführt worden, wenn ich mich recht erinnere. Zumindest hat es damals ungefähr einen Monat lang die Aktion ›Schwarze Antenne‹ gegeben. Vielleicht waren die Menschen zu diesen Zeiten noch viel ehrlicher als heute. Weil sich insgesamt ziemlich viele Schwarzseher haben bekehren lassen. Möglicherweise ist das im ländlichen Bereich auch daran gelegen, dass der ORF ein Jahr zuvor beim Agrarfilmwettbewerb in Berlin die Goldene Ähre gewonnen hat. Wer weiß.

Computerspiele, Spielekonsolen, den Gameboy und solche Sachen hat es auch nicht gegeben. Nichts war mit Onlinespielen, Chatrooms, Singlebörsen oder so seltsamen Errungenschaften wie Facebook. Die Menschen haben nicht die Möglichkeit gehabt, ihren Kummer via Internet auf Knopfdruck mit anderen Seelenstrippern auf der ganzen Welt zu teilen. Heute fragen sich manche wahrscheinlich, wie man damals hat leben können. Für die heutigen jungen Leute ist es sicher schwer vorstellbar, nicht die Möglichkeit zu haben, irgendeinem nichtsahnenden Fremden in Amerika von den Schmerzen zu berichten, die von kirschgroßen Hämorrhoiden verursacht werden können.

2

Wie schon gesagt, ist das Leben im Dorf nicht besonders abwechslungsreich gewesen. Deshalb war das, was es gegeben hat, eben besonders wichtig für die Leute. Offiziell war natürlich die Kirche das Allerwichtigste. Jeden Sonntag sind die Menschen in Tratschen brav in ihr Gotteshaus gepilgert, um den dicken Pfarrer Römer predigen zu hören. Der hat nämlich wirklich gut gepredigt. Von Nächstenliebe, Treue in der Partnerschaft und zu Gott und über Ehrlichkeit hat er meistens gesprochen, der Herr Pfarrer. Und vom Respekt, den man vor allen Menschen haben sollte. Die Leute haben ihm andächtig zugehört. Zumindest einige von ihnen. Viele waren mit ihren Gedanken in Wirklichkeit schon ganz woanders. Einigen hat der bevorstehende Frühschoppen dieses andächtige Lächeln ins Gesicht gezaubert und anderen natürlich die Vorfreude auf das kommende Fußballspiel. Fußball hat nämlich einen ganz hohen Stellenwert gehabt. Das war aber nicht immer so. Lange Jahre hat der Verein kein Schwein interessiert, weil die Burschen immer verloren haben. Aber seit der Höllerer vor zwei Jahren das Traineramt übernommen hatte, ist es steil bergauf gegangen mit der Mannschaft. In der letzten Meisterschaft waren sie sogar schon am vierten Platz. Darum war der Höllerer Hans auch so was wie ein kleiner Nationalheld und hat viele Fans gehabt.

Im Laufe der Zeit ist er zur örtlichen Prominenz aufgestiegen. Für den Höllerer war das natürlich eine Genugtuung, weil er, bevor er Fußballtrainer geworden ist, nicht viele Freunde gehabt hat. Genau genommen hat ihn keiner leiden können. Das hat aber nichts mit ihm persönlich zu tun gehabt. Er hat halt das Pech gehabt und ist in die falsche Familie hineingeboren worden. Irgendwann, viele Jahre bevor der Höllerer Hans zur Welt gekommen ist, hat es nämlich einen Vorfall gegeben. Sein Großvater, der auch Hans geheißen hat, hat sich nämlich dazu hinreißen lassen, innerhalb von zwei Wochen drei Stadel anzuzünden. Darunter den vom damaligen Bürgermeister, den vom Feuerwehrkommandanten und zum Schluss den vom Kommandanten des Gendarmeriepostens. Wie er dann versucht hat, im Vollrausch das Pfarrhaus in Brand zu setzen, ist er erwischt worden. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für ein Skandal war. Noch dazu musst du wissen, dass die Familie Höllerer sowieso keinen guten Stand gehabt hat, weil sie ursprünglich keine Tratschener waren. Sie sind zugezogen und jahrelang Fremde geblieben. Zumindest der Großvater Hans. Seine Frau, die Irmgard, war irgendwann gar nicht mehr so fremd im Ort. Zumindest nicht den Männern. Die hat es ziemlich bunt getrieben, die Irmgard.

Und weil der Großvater Hans ein bisserl ein Depp war, hat er ziemlich lange nichts davon mitgekriegt. Irgendwann hat ihm dann aber jemand erzählt, was die Irmi, wie sie genannt wurde, so treibt, wenn der Hans am Arbeiten ist, und ein paar ihrer Liebhaber genannt. Da sind dem Großvater Hans ein paar Sicherungen durchgebrannt, und er hat Rachepläne geschmiedet. So ist es dazu gekommen, dass er Brandstifter geworden ist. Jedenfalls haben sie ihn erwischt und eingesperrt. Als er dann irgendwann wieder nüchtern war, ist ihm die Sache anscheinend doch peinlich gewesen, und er hat sich in der Zelle erhängt. Das war einigen Herrschaften gar nicht einmal so unangenehm, weil dadurch alles ein Geheimnis geblieben ist. Genauso wie es ein Geheimnis geblieben ist, wer dem Großvater Hans die Geschichte gesteckt hat.

Überraschenderweise hat dann der damalige Pfarrer einen Akt der Nächstenliebe vollzogen und erlaubt, den Großvater Hans im Familiengrab beizusetzen. Das hat, mit Ausnahme von der Irmi, doch viele sehr gewundert, weil Selbstmörder sonst nicht so nett behandelt worden sind. Immerhin waren sie ja Sünder. Und weil sich der Großvater Hans umgebracht und die Irmi bis kurz vor ihrem Tod auch nichts gesagt hat, ist der arme Narr als Brandstifter und Selbstmörder in die Dorfgeschichte eingegangen. Sein Sohn, der ja logischerweise der Vater vom Trainer Hans war, hat das dann fast sein ganzes Leben lang büßen müssen. Zwar hat ihm die Irmi, bevor sie gestorben ist, die Wahrheit erzählt, aber er hat es vorgezogen, derart brisante Informationen für sich zu behalten. Beweisen hätte er es sowieso nicht können, und gelebt hat außer dem Pfarrer auch keiner mehr. So ist es halt gekommen, dass auch der Hans Höllerer Junior noch viel von der Verachtung der Menschen im Ort abgekriegt hat. Weil, vergessen haben die Leute die Sache freilich nicht. Verziehen schon gar nicht. Das ist ein Nachteil vom Leben in einem Dorf. Wenn dich die Leute nicht von Anfang an lieb haben, dann musst du schon ein mittleres Wunder bewirken, damit sich das ändert und du nicht dein Leben lang ein Fremder bleibst.

Dass der Hans Junior gar nichts mit der Sache von damals zu tun gehabt hat, weil er noch gar nicht geboren war, hat in diesem Zusammenhang keinen interessiert. Und so hat auch der Hans leiden müssen. Bis er dann das Traineramt übernommen hat. Damals wollte nämlich kein anderer den Posten haben, weil jeder der Meinung war, dass die Mannschaft aus einer Sammlung von Flaschen besteht, die nicht Fußball spielen können. Das hat so aber nicht gestimmt. Den Burschen hat nur die Motivation gefehlt. Man könnte auch sagen, dass sie einfach mehr gefeiert als trainiert haben. Nach jedem Training haben die im Clubhaus bis zum Abwinken gesoffen. Ja, sogar an den Tagen vor den Spielen hat sich die halbe Mannschaft fleißig in der Kunst des Alkoholvernichtens geübt. Da brauchst du kein Professor sein, um zu wissen, dass man verkatert nicht gerade wie ein Weltmeister spielt. Nach spätestens einer halben Stunde war dann im Match die Luft draußen, und die Jungs haben sich halbtot über die restliche Spielzeit geschleppt. Dementsprechend haben auch die Ergebnisse ausgeschaut. Glücklicherweise hat der Verein aber nicht absteigen können, weil er sowieso schon in der untersten Spielklasse gespielt hat.

Irgendwann ist dann der Gratzer Franz, der damals Trainer gewesen ist, mit seiner Familie in die Stadt gezogen, weil er dort eine Arbeit gefunden hat, und hat damit auch sein Amt niedergelegt. Jetzt hat der Verein einen neuen Trainer gebraucht. Aber keiner der Männer im Ort, die am Wirtshaustisch immer alle so gut gewusst haben, wie man es machen müsste, wollte die Mannschaft übernehmen. Den Höllerer Hans hat aber auch niemand gefragt. Der war ja damals immer noch persona non grata wegen seinem Brandstifteropa. So ist dann halt die Zeit gekommen, wo gar nix mehr gegangen ist. Da sind dann am Sonntag nicht einmal mehr alle zum Spiel erschienen. Eines Tages hat also die Gemeinde einen Aufruf ans Schwarze Brett genagelt, in dem sie ganz offiziell einen neuen Trainer für die Juxtruppe gesucht haben, und stell dir vor, der Höllerer Hans war der Einzige, der sich gemeldet hat. Ich kann nur spekulieren, was da in seinem Kopf vorgegangen ist. Ich glaube aber, er hat sich gedacht, dass er sich so vielleicht in der Dorfgemeinschaft etablieren kann. Egal war es für ihn wahrscheinlich sowieso. Weil er, was die Einstellung der Leute zu ihm und seiner Familie betrifft, wirklich nix mehr zu verlieren gehabt hat. Das Teeren und Federn war ja schon genauso abgeschafft wie die Verbannung. Also was hat ihm noch passieren können?

Zuerst wollte ihn natürlich keiner haben. Weil sich aber kein anderer gemeldet hat, haben sie ihn dann trotzdem nehmen müssen. Und nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten ist es mit dem Verein dann deutlich aufwärts gegangen. Und weil Fußball trotz allem so etwas wie die heilige Kuh war, die man halt nur eine Zeit lang nicht gestreichelt hatte, ist der Plan vom Höllerer mit jedem kleinen Fortschritt, den die Mannschaft gemacht hat, mehr und mehr aufgegangen. Der Höllerer ist quasi immer höher am Dorfhimmel aufgestiegen, wie der sprichwörtliche Stern, und immer mehr von den Leuten haben angefangen, mit ihm zu reden. Ja, sogar im Wirtshaus hat man ihm auf einmal einen Sitzplatz angeboten, wenn er gekommen ist, um ein Bier zu trinken. Das war eine große Genugtuung für den Mann. Das kannst du dir sicher vorstellen.

Natürlich hat es auch welche gegeben, die auf den Ruhm vom Höllerer neidisch waren und deswegen blöd dahergeredet haben, aber dem Hans war das egal. Er war Schlimmeres gewöhnt. Ich meine, er hat zwar schon gewusst, dass die Mannschaft deswegen so gut gespielt hat, weil so viele junge Burschen dabei waren, die fleißig gelaufen sind, aber trotzdem war er auch überzeugt, dass es an seinen Methoden gelegen ist, dass der Verein auf einmal so viele Spiele gewonnen hat. Immerhin hat er großen Wert auf Disziplin gelegt. Da hat er wirklich total darauf geschaut. Disziplin auf dem Platz und beim Training ist der halbe Erfolg, hat er immer gesagt. Und natürlich die Kondition. Der Höllerer hat seine Mannschaft am Anfang ziemlich geschunden. Darum haben die nach einer Weile eine Kondition gehabt wie die Büffel. Dazu ist noch gekommen, dass der FC Tratschen ein paar wirklich gute Spieler gehabt hat. So wie den jungen Sedlak Jakob. Sein Vater, ein großer und ziemlich dicker Mann, der literweise Bier in sich hineinschütten konnte und auch ein wirklich guter Esser war, was man an seiner Figur deutlich hat sehen können, war bei der Gemeinde angestellt und hat sich als Platzwart vom Verein ein bisserl was dazu verdient. Und weil er jeden Sonntag zu Mittag im Wirtshaus zwei Schnitzel gegessen hat, hat er schon in früheren Jahren den Spitznamen Mampfi gekriegt. Aber das haben nur seine Freunde sagen dürfen. Bei allen anderen ist er ganz schön böse geworden und hat gleich mit ein paar Watschen gedroht.

Na, jedenfalls hat der Mampfi überall herumerzählt, dass sein Bub, der Jakob, so gut Fußball spielt, dass er genausogut bei Rapid Wien hätte spielen können. Und tatsächlich haben das viele Leute in Tratschen auch so gesehen. Weil du musst wissen, dass der Jakob wirklich gut war im Umgang mit dem runden Leder und die meisten Tore in der Meisterschaft geschossen hat. Der Junge hat nicht nur einfach gut gedribbelt. Nein, er ist förmlich durch die Reihen der Gegner durchgetanzt. Es hat wirklich ausgesehen, als würde der Jakob tanzen, wenn er mit dem Ball in Richtung gegnerisches Tor unterwegs war. Nur mit der Disziplin hat es der Jakob halt nicht so gehalten, weil er so etwas wie Starallüren gehabt hat und oft einfach nicht zum Training gekommen ist. Deshalb hat er vom Trainer immer wieder einen Anschiss bekommen. Aber das war ihm egal, weil er sowieso gewusst hat, dass er so gut ist, dass er trotzdem spielen darf.

Der zweite Stürmer war der Konrad Peter. Der wieder hat unheimlich schnell laufen können. Kaum hat man nicht hingeschaut, ist der einmal über den ganzen Platz gelaufen. Das hat voll lustig ausgeschaut, wenn der Peter gelaufen ist. Weil er dabei so ein ex­tremes Hohlkreuz gemacht hat, wenn er über den Platz geschossen ist wie ein geölter Blitz. Viel später haben sie dann diesen Film gezeigt. Forrest Gump hat der geheißen. Der Hauptdarsteller ist genauso gelaufen wie der Konrad Peter. Das sag ich jetzt nur, damit du dir vorstellen kannst, wie das ausgeschaut hat. Nur leider hat der Konrad immer den Kopf in der Höhe gehabt und nicht auf den Ball geschaut. Seine Sturmläufe haben oft nichts gebracht, weil er irgendwo auf dem Weg zum gegnerischen Tor vergessen hat, den Ball mitzunehmen. Er hat ihn quasi ohne Feindeinwirkung verloren. Sein Paradestück hat er in der letzten Saison geliefert. Da ist der Peter wieder einmal in einem ganz wilden Tempo über den Platz geflitzt und hat, du glaubst es nicht, den Ball einmal nicht vergessen, sondern immer vor sich hergetrieben, bis er an den Verteidigern und sogar am Torwart vorbei war. Die Leute haben geschrien wie verrückt, wie der Peter ganz allein vier Meter vor dem Tor war und aus vollem Lauf geschossen hat. Aber es hat nicht sein sollen. Der Ball ist tatsächlich aus vier Metern Entfernung am Tor vorbeigegangen! Der Peter selbst hat so ein irres Tempo draufgehabt, dass er sich nicht mehr hat bremsen können und voll gegen die rechte Torstange gelaufen ist. Die Zuschauer waren entsetzt und belustigt zugleich. Nach diesem Spiel haben die Tratschener dem Peter aus purem Spott den Spitznamen Torjäger gegeben. Und weil die Leute auch ein bisserl nachtragend sind und so schnell nichts vergessen, hat der Peter den Spitznamen heute noch. Obwohl schon vierzig Jahre vergangen sind.

Dann muss ich noch den Tormann erwähnen. Das war nämlich der Friedel Charlie. Eigentlich hat er ja Karl geheißen, aber alle haben Charlie gesagt, weil sie sonst nie gewusst hätten, ob sie jetzt über den Vater oder über den Sohn reden. Weil der Vater vom Charlie auch Karl hieß und der Bürgermeister von Tratschen war. Deshalb haben viele gemeint, dass der Charlie nur mitspielen darf, weil sein Vater dem Verein sonst kein Geld mehr aus der Gemeindekasse gibt. Und viele haben gesagt, dass der Charlie ein Fliegenfänger ist. Das war schon ein bisserl gemein, weil der Bub als Tormann gar nicht so schlecht war.

3

Genauso emotional wie auf dem Fußballplatz ist es manchmal auch in den Wirtshäusern zugegangen. Obwohl in Tratschen nur achthundert Menschen gewohnt haben, hat es vier Wirte gegeben. Den Hübner, den Thaler, den Platzer und den Wenger. Jetzt könnte man denken, dass die Leute auf diese Weise eine Abwechslung gehabt haben, aber so war es nicht. Jeder von den Wirtshausgehern hat sein Stammlokal gehabt, in das er gegangen ist und wo er auch Karten gespielt hat. Alle vier Wochen hat es am Samstag ein Preisschnapsen gegeben, bei dem die Mannschaften der vier Wirtshäuser gegeneinander gespielt haben. Gegangen ist es um die Ehre und um einen Wanderpokal aus Messing. Allerdings waren die Kräfte irgendwie ungerecht verteilt, weil fast immer die Spieler vom Platzer gewonnen haben. Die anderen haben sich die übrigen Plätze ausspielen dürfen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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