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Der Autor hat in den 90er Jahren des letzten Jahrtausends etwa zehn Jahre in Irland gelebt. In dieser Zeit wurden die Erzählungen dieser Buchreihe niedergeschrieben. In diesen Erzählungen werden Tatsächliches und Fiktion vermischt. Es geht um das traditionelle Geschichtenerzählen der alten Zeit in Irland. Die Idee dazu kam ihm bei einem Geschichtenerzähler Festival in dem westirischen Städtchen Kiltimagh, dem er hier zum ersten Mal beiwohnte. Seine Anregungen holte er sich aber aus den Erzählungen der Menschen an den knisternden Torffeuern, die zu den Geschichten eine mystische Atmosphäre zauberten. In diesem 1. Band der geplanten Reihe gibt es drei Rahmenhandlungen, in die diese Geschichten eingebaut werden. Es geht um Selbsterfahrung und Liebe, Vorurteile und Courage sowie den Tod und dem Umgang damit. Vor allem aber geht es um das Geschichtenerzählen selbst: In der 1. Geschichte trifft der Erzähler einen seltsamen alten Mann, der ihn um eine ungewöhnliche Gefälligkeit bittet. In dem Moment, als er diese Gefälligkeit erweist, erkennt er die Bedeutung für seine eigene Zukunft. *** In der zweiten Geschichte trägt ein mystischer Feuervogel alles Bewusstsein der Welt in sich. Er umkreiste die Erde und nach Myriaden von Jahren erkannte er die Bedeutung seines Daseins. Er musste das Bewusstsein verteilen, damit das Sein sich in einer fernen Zeit selbst erkennen kann. Dazu musste der Feuervogel sterben, um mit seiner Asche seine Bestimmung zu vollenden. Und aus der Asche stieg ein Phönix empor, der einen Teil des Bewusstseins in sich trug. Denn ein großer Teil des geschenkten Bewusstseins wird nicht für die Selbsterkenntnis verwendet sondern für törichte Dinge vergeudet. Doch auch der Phönix ist wie sein Vater bereit zu sterben, um dem Leben eine neue Chance zu geben. *** Die dritte Geschichte erzählt vom Nomadenmädchen Saóirse, das gerade sechzehn Jahre alt geworden ist. Sie darf am Wochenende zu Beginn eines Storyteller-Festivals zum ersten Mal unbegleitet Erfahrungen in der kleinen Stadt Kiltimagh sammeln. Es wird eine Zeit voller Geschichten und Saóirse lernt die Liebe kennen. Über all dem wacht die weise alte Méabh, die dem Mädchen den Rat gibt, nur auf den Ruf ihres Herzens zu hören. Das ist gar nicht so einfach, doch infolgedessen trifft sie am Ende eine schwere und schmerzliche Entscheidung. *** In der vierten Geschichte fährt ein übermüdeter Autofahrer über die teils engen Straßen in Richtung Westen nach Galway. Da er einzuschlafen droht verlässt er die Straße um auszuruhen. In der Dunkelheit klopft jemand an die Heckscheibe und bittet im akzentfreien Deutsch darum, mitfahren zu dürfen. Während der Fahrt erkennt er in dem Zugestiegenen einen ehemaligen besten Jugendfreund, und es beginnt eine Zeitreise zurück in eine verdrängte Vergangenheit. *** Als letztes erfährt der Leser die Geschichte eines Geschichtenerzählers, der das Geschichtenerzählen verlernt hatte. Dann gerät der Protagonist unvermittelt in die Rolle eines Scharfrichters und kann, wie durch Zauberhand, wieder Geschichten erzählen.
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Seitenzahl: 162
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Umschlag
Inhalt
Start
Vorwort
Schlafende Kleinstadt (Lyrik)
Altruistisches Zeithexagramm (Figuren Lyrik)
Blick in die Zukunft
Dort, wo der Himmel das Land berührt
Zeitendilemma (Lyrik)
Blick in die Zeiten
Der Feuervogel
Aus der Asche (Lyrik)
Das Nomadenmädchen und die Alte Méabh
Saóirse und Méabh
Allein in der Stadt
Geschichte über Pádraigs Kampf mit dem Teufel
Das Mädchen, das dem Ruf seines Herzes folgte
Das Loch in der Wand
Der Junge, der seinen Schatten suchte
Der friedliebende Krieger und die Elfen von Coillte Maghach
Die Legende
Diamant Valley
Traumgleiter (Lyrik)
Zeitreise nach Knockcroghery
Die Zeitreise
Der Geschichtenerzähler von Tralee
Wenn man keine Geschichten mehr hat.
Epilog
Erich Romberg
Mystische Geschichten in und über Irland
Über die Geschichten in den Geschichten
Vol. 1
Storytelling is an intimate and interactive art. A storyteller tells from memory rather than reading from a book. A tale is not just the spoken equivalent of a literary short story. It has no set text, but is endlessly re-created in the telling.
The listener is an essential part of the storytelling process.
For stories to live, they need the hearts, minds and ears of listeners. Without the listener there is no story.
www.storytellersofireland.org
Erich Romberg
Mystische Geschichten in und über Irland
Über die Geschichten in den Geschichten
Vol. 1
Dort, wo der Himmel das Land berührt
Impressum
© 2024 Erich Romberg
Covergrafik von: Freepik
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
Ahrensburg, Germany
ISBN:
Paperback 978-3-384-11705-2
Hardcover 978-3-384-11706-9
E-Book
978-3-384-11707-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich.
Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig.
Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung
"Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
Ahrensburg, Deutschland.
Vorwort
Ab 1993 lebte der Erzähler etwa 10 Jahre in Kiltimagh, einer kleinen Stadt im Westen Irlands. Das ist auch der Zeitraum, in dem die Geschichten der geplanten Buchreihe erzählt werden. Das vorliegende Buch ist das erste dieser Reihe, und es handelt sich nicht um eine Erzählung über sein Leben in Irland, auch wenn einige Episoden an realen Orten spielen, aber in der Regel einen fiktiven Inhalt haben. Man kann diese Zeit als Brücke zwischen dem alten und dem modernen Irland sehen. Das moderne Irland ist nicht unbedingt schlechter, in vielen Dingen sogar besser als das alte. Aber es ist vor allem anders. Er hat Irland in dieser Übergangszeit kennen gelernt. Viel hatte er über das alte Irland gehört. Dieses alte, von Armut geprägte Irland spiegelt sich wohl eher in Heinrich Bölls ‚Irischem Tagebuch‘ von 1957 - aus deutscher Sicht - oder aus irischer Sicht in ‚Angela 's Ashes‘ des irisch-amerikanischen Autors Frank McCourt von 1996. Zu seiner Zeit war das Land bereits Mitglied der EU und auf dem Weg zum Wirtschaftswunderland der 90er Jahre. Der Begriff ‚keltischer Tiger‘ wurde geprägt und in den Köpfen der Menschen entwickelte sich die Vorstellung von unbegrenztem Wachstum. Einen ersten Dämpfer erlebten die Menschen mit dem Absturz der Telekom-Aktie 2001. Viele hatten Häuser, Grundstücke und Immobilien verkauft, die sie jahrelang wie Sauerbier zu Dumpingpreisen angeboten hatten. Ein bis dahin unbekannter Bauboom ließ den Wert ihrer Immobilien explodieren und spülte Geld in die Kassen der ehemals Armen. Viele witterten enorme Renditemöglichkeiten im Kauf von Telekom-Aktien. Sie verkauften ihr Land unter Wert, um für das große Glück liquide zu sein. Viele fielen zurück in die Armut, aus der sie gekommen waren. Nur besaßen sie jetzt kein Land mehr. Familien und Freundschaften zerbrachen. Das hatte er persönlich miterleben müssen. Er ist also weit davon entfernt, dieses Land zu romantisieren. Mit der weltweiten Wirtschafts-und Finanzkrise 2008 kam die Erfahrung der Endlichkeit endgültig zurück. Zu diesem Zeitpunkt lebte er nicht mehr in Irland, aber natürlich besuchte er ab und zu seine alte Heimatstadt Kiltimagh. Der Traum vom Wohlstand ist für viele ausgeträumt. In seinen Geschichten vermischt er Realität und Fiktion.
Es geht ihm um das traditionelle Geschichtenerzählen aus alten Zeiten in diesem bemerkenswerten Land. Die Geschichten, die er hier aufschreibt, sind unter anderem in seiner Zeit in Irland entstanden. Ursprünglich dachte er nicht daran, sie zu veröffentlichen. Es war die reine Lust am Erzählen, die ihn dazu brachte, sie aufzuschreiben. Die Idee entstand bei einem Erzählfestival in seiner Heimatstadt Kiltimagh, das einmal im Jahr stattfand. Die Zeit der Märchenerzähler war eigentlich vorbei, längst hatte das Fernsehen die Funktion der Unterhaltung übernommen, Smartphones mussten erst noch erfunden werden. Aber einmal im Jahr lebte diese Tradition wieder auf. Die Geschichtenerzähler zogen von Ort zu Ort, um ihre Kunst zu präsentieren und ihr Können unter Beweis zu stellen. Der Erzähler bedauert es ein wenig, die Tradition der Geschichtenerzähler nicht mehr richtig miterlebt zu haben. Aber er hat viel von irischen Freunden gehört, die noch mit dieser Tradition aufgewachsen sind.
Vor allem an den langen Winterabenden traf man sich in den Pubs, um den Geschichtenerzählern zu lauschen, die es fast in jedem Dorf gab. Nicht selten zogen sich die Geschichten über mehrere Abende hin. Viele konnten den nächsten Abend kaum erwarten, um am knisternden Torffeuer der Fortsetzung einer Geschichte vom Vorabend zu lauschen. Die Erzähler waren die Medien der Vergangenheit. Oft begannen die Geschichten mit „Zu Großvaters Zeiten...“. Nicht selten reichten die Geschichten weit in die Vergangenheit zurück und handelten von Ereignissen, die sich angeblich vor Generationen zugetragen hatten. Wahres und Geheimnisvolles wechselten sich ab. Fast immer hatten die wahren Geschichten auch ein Geheimnis. Nirgendwo hat er den Glauben an das Übernatürliche so lebendig erlebt wie in Irland. In Gesprächen mit Freunden hörte er oft von Geistererscheinungen, die mit einer solchen Ernsthaftigkeit erzählt wurden, dass man kaum an der Wahrheit der Erlebnisse zweifeln konnte. Auch wenn er bei weniger ernsthaften Erzählungen oft den Verdacht hatte, dass man ihn auf den Arm nehme, ist er jetzt überzeugt, dass die Menschen in Irland mit solchen Dingen wirklich nicht scherzen. Vielleicht kann man das daran ermessen, dass die Berücksichtigung von Elfengebieten Teil der irischen Straßen- und Bauplanung war. Man verhielt sich so, dass man es sich mit den Elfen nicht verscherzte. In Irland nahm man auf sie Rücksicht, und auch wenn man als Nicht-Ire in Irland bauen wollte, war es ratsam, dies zu tun. Der Glaube an das Übernatürliche war in Irland tief verwurzelt. So war es nur natürlich, dass er sich auch in den Geschichten der Iren widerspiegelte. Wenn man also Geschichten in oder über Irland erzählt, dann sollten sie neben dem Alltäglichen auch eine mehr oder weniger große Portion Mystik enthalten. Am besten, man lässt sich von der Magie der Geschichten, die in Irland erzählt werden, anstecken. Nicht alles im Leben lässt sich mit Logik erfassen, so wie sich auch Geschehnisse im Nachhinein nicht immer eindeutig mit dem so genannten „gesunden Menschenverstand“ erklären lassen. Eine irische Geschichte hat am besten beides, das Natürliche und das Mystische. Es ist dann dem Leser überlassen, welche Interpretation er zulässt. Den Erzähler selbst fesseln mystische Deutungen von Geschichten weitaus mehr als die banale Realität, von der man im Alltag genug hat.
In seiner irischen Zeit gab es in seiner kleinen Stadt noch zwei Pubs, in denen diese Tradition des Geschichtenerzählens - zumindest zeitweise - gepflegt wurde. In diesen Pubs ereigneten sich manchmal auch die Geschichten des Erzählers selbst. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm Joycès Bar, in der flackernde Torffeuer immer wieder zum Erzählen animierten. Die unvergessliche alte Landlady Anne Joe hat einen festen Platz in der Erinnerung des Erzählers, sie ist einige Male Protagonistin in den Erzählungen. Als sie starb, konnte er sich noch von ihr verabschieden. Sie starb mit ihrem typischen Lächeln und den Worten:
„Ich gehe jetzt nach Hause.“
Vor etwa drei Jahren erinnerte sich jemand - ins Deutsche übersetzt - in etwa so an Joyce's Bar:
„JOYCE'S war unsere „Feenfestung“, immer lag Magie in der Luft, von der Dämmerung bis zum Morgengrauen, Seelennahrung ... lange Geschichten und Märchen, meine Vision vom Himmel...“. Besser kann man es nicht ausdrücken.
Die Geschichten beginnen mit einem Gedicht über Kiltimagh. Hier hat er das Erzählen gelernt. Er versucht dem Leser die selbst gefühlte Atmosphäre zu vermitteln, wenn man mit Freunden um ein knisterndes Torffeuer sitzt und jemand eine dieser Geschichten erzählt, wie sie Irland in so großer Zahl hervorgebracht hat.
Die erste Geschichte in diesem Band entsteht in einem seiner beiden Lieblingspubs, Lil's Bar, an einem knisternden Torffeuer. Wo sonst? Als einzigem Gast zu dieser Tageszeit wird dem Erzähler gestattet, eine Geschichte am Stammtisch zu schreiben. Es entsteht die Titelgeschichte. Sie handelt von einer seltsamen Begegnung mit einem alten Mann, der einen ebenso seltsamen Wunsch äußert. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass der Erzähler sich selbst begegnet.
Als er die Geschichte abgeschlossen hat, hat sich das Pub mit Gästen weiter gefüllt und die Stammtischfreunde laden ihn ein, weiter am Stammtisch zu bleiben, um die niedergeschriebene Geschichte zu erzählen. Im Anschluss diskutieren die Männer am Stammtisch und erraten schnell die Bedeutung der Geschichte. Da ihnen die Geschichte gefallen hat, fragen sie den Erzähler, ob er weitere Geschichten erzählen kann. Er erzählt die zweite Geschichte über einen seltsamen Feuervogel, der zu Beginn der Zeit das gesamte Bewusstsein der Welt in sich trägt.
Die Idee zur nächsten Geschichte entstand in Joyce’s Bar, an einem der Tage eines Erzählfestivals, dem ersten des Erzählers in diesem Land. Auch die Geschichte von Saóirse und Méabh beginnt an einem Wochenende während eines Storyteller-Wettbewerbs. Sie erzählt vom Nomadenmädchen Saóirse, das gerade sechzehn Jahre alt geworden ist. Sie darf am ersten Tag des Festivals zum ersten Mal unbegleitet Erfahrungen in der kleinen Stadt Kiltimagh sammeln. Es wird eine Zeit voller Geschichten, und Saóirse lernt die Liebe kennen. Über all dem wacht die weise alte Méabh, die dem Mädchen den Rat gibt, nur auf ihr Herz zu hören. Das ist nicht so einfach und infolgedessen trifft sie am Ende eine schwere und schmerzliche Entscheidung
Der Erzähler spricht aus der Perspektive von Saóirse, die von Méabh so ausgestattet wird, dass sie nicht als Nomadenmädchen erkannt wird.
In Irland nennt man die Nomaden Tinker oder Traveller, das fahrende Volk. Die Nomaden selbst bevorzugen die Bezeichnung Traveller und nennen sich Pavee. Die Pavee sind ethnisch selbst Iren und wurden historisch durch sozioökonomische Prozesse von der
Mehrheitsbevölkerung ausgeschlossen. In der Zeit vor den modernen Medien spielten sie eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten, Geschichten und Musik.
Auch der Irish Folk geht zu einem großen Teil auf sie zurück. Ohne sie wäre die irische Kultur nicht das, was sie heute ist.
Die Pavee lebten in großen Familienverbänden, meist in Wagenburgen. In der irischen Gesellschaft gab es tiefe Vorurteile gegen diesen Teil ihres Volkes. Die kleine Episode in einem Laden aus der Sicht Saóirses zu Beginn der Erzählung hat der Erzähler auch so erlebt, nur dass er auf der anderen Seite stand, in diesem Laden.
Die alte Méabh ist die Big Mama in ihrem Familienverband und war auch bei den anderen Familien der Pavees hoch angesehen. Nicht nur für Saóirse war sie ein absolutes Vorbild. Man nennt sie die ‚alte Méabh‘, wobei ‚alt‘ weniger ihre Lebensjahre als vielmehr ihre Weisheit meint. Ihre Autorität beruht nicht auf Strenge, sondern auf ihrer gütigen Weisheit.
In der vierten Geschichte fährt ein übermüdeter Autofahrer über die teils engen Straßen in Richtung Westen nach Galway. Da er einzuschlafen droht verlässt er die Straße um auszuruhen. In der Dunkelheit klopft jemand an die Heckscheibe und bittet im akzentfreien Deutsch darum, mitfahren zu dürfen. Während der Fahrt erkennt er in dem Zugestiegenen einen ehemaligen besten Jugendfreund, und es beginnt eine Zeitreise zurück in eine verdrängte Vergangenheit.
Die fünfte und letzte Erzählung schließlich handelt von einem Geschichtenerzähler, der das Erzählen verlernt hat.
Er verbringt eine Nacht im früheren Joyce’s und findet sich unversehens in die Rolle eines Scharfrichters genötigt. Wie durch Zauberhand findet er seine Fähigkeit zum Geschichtenerzählen wieder. Warten wir ab, wie viel Mystik und Magie wirklich darin steckt.
Schlafende Kleinstadt (Lyrik)
Altruistisches Zeithexagramm (Figuren Lyrik)
Zeit um noch zu bleiben und beizeiten dann fort zu gehen. Zeit ist Leben, Lieben, Lachen und Leiden, fließendes Leben - entstehend, vergehend, verwehend und fort bis ans Ende von Zeit. Ewig neu gebärende, sonnendurchflutete, die Lebenslust verlachende Unendlichkeit. Lebe und Liebe, Lache und Leide um zu verweilen in der Zeit.
Blick in die Zukunft
Es war ein regnerischer Sonntagmorgen und ich saß in Lil's Bar. Außer Vera, Tom und mir war niemand hier. Vera mochte etwa Mittesiebzig sein, ihr Bruder vielleicht ein Jahr älter, ich hatte sie nie danach gefragt. Als hätte ich eine Vorahnung gehabt, hatte ich meine Schreibutensilien dabei. Ich bestellte ein Pint Guinness und erzählte Vera, dass ich Lust hätte, eine Geschichte zu schreiben. Geschichten prägen dieses Land und die Menschen hier lieben es, Geschichten zu hören und zu erzählen. Sie lachen über die lustigen, werden ernst bei den nachdenklichen und gruseln sich bei den schaurigen. Geschichtenerzählen ist eine ernste Angelegenheit, die Spaß macht. So war es nur folgerichtig, dass Vera gleich mit der Zeremonie begann und ein Torffeuer im Kamin entfachte. Tatsächlich verbreitete das flackernde und knisternde Feuer eine Atmosphäre, die mein Schreiben anregte. Ich durfte den Platz am Feuer einnehmen, der eigentlich für besondere Gäste reserviert war und in deren Abwesenheit leer blieb.
Es war also eine Ehre, hier sitzen zu dürfen. Es gab nur eine Bedingung: In etwa zwei Stunden würden die Stammgäste kommen, dann müsse ich mir einen anderen Tisch nehmen. Tom gehörte eigentlich auch dazu, aber er saß lieber an oder hinter der Theke, wenn die anderen nicht da waren. Er nickte nur zustimmend, als Vera das Bier auf den heiligen Tisch stellte. Meine Geschichte durfte also nicht zu lang werden, denn ich erwartete, sie erzählen zu müssen. Da ich sie auf Deutsch schrieb, machte ich mir ein paar Notizen auf Englisch am Rand.
Ich hatte neben einem Deutsch-Englisch Wörterbuch auch immer ein Englisch-Irisches dabei, weil ich hin und wieder irische Begriffe benutzte - Smartphones gab es damals noch nicht. Mir war da noch nicht bewusst, dass das irische Wörterbuch für diese Geschichte so wichtig werden würde.
Ich wusste nie, was ich schreiben würde, wenn ich mich hinsetzte. Also begann ich mit einem Spaziergang von Cultrasna, dem Stadtteil, in dem ich damals wohnte, den oft begangenen Weg hinunter zum Fluss Glore, natürlich mit meinem Hund. Damit etwas passieren konnte, musste ich jemanden treffen. Im Laufe der Geschichte wurde mir klar, dass ich einen passenden Namen für meine Begegnung aus dem Wörterbuch heraussuchen musste.
Dort, wo der Himmel das Land berührt
Die Nacht ist klar und kalt. Fühlbar hat sich Stille über das Land gelegt, nur Leos vertrautes Hecheln durchbricht sie. Er sucht meine Nähe und manchmal spüre ich seinen Körper an meinem Bein. Die Sterne des Universums erfüllen heute eine ganz private Aufgabe; ich weiß, dass sie heute nur für Leo und mich dort oben leuchten.
Verstreut liegen Häuser und Hütten, von einem ästhetischen Gott in die Landschaft gemalt. Den Blick noch in das Licht der Unendlichkeit gerichtet tragen mich meine Schritte weiter. In der Nacht lässt der Weg hinunter zum Glore River tausend Dinge in mir entstehen und vergessen; deshalb liebe ich diese späten Spaziergänge.
Plötzlich steht da ein altes, verschrumpeltes Männlein.
Begegnungen zu solch später Stunde sind hier selten.
„Ich habe dich erwartet, wie geht es dir? “ spricht es mich an. Eine seltsame Begrüßung; ich kenne ihn nicht.
„Nicht schlecht“, antworte ich überrumpelt und versuche mich zu erinnern, falls es etwas zu erinnern gibt.
„Es ist schon spät, der Fluss da unten wartet auf uns“, fährt es fort.
„Die Glore?“, frage ich überflüssigerweise. Das Männlein verharrt eine Weile, dann sagt es:
„Ja, ja, mein Fluss, unser Fluss.“
Ich habe mich gefangen und sage, dass ich mich nicht an ihn erinnere.
„Ich bin, wer ich bin - Támé tú Féin.“
Seltsame Worte und ein seltsamer Name, ich weiß, dass ich ihn noch nie gehört habe. Ich frage ihn, wo er wohnt.
„Dort, wo der Himmel das Land berührt“, spricht der Alte mehr zu sich selbst als zu mir.
Er scheint es zu lieben, vage zu bleiben und deutet mit seinem knochigen Finger auf Leo:
„Das ist ein netter Hund.“
Als hätte Leo ihn verstanden, schmiegt er sich an ihn.
Er scheint den Alten zu mögen, denn diese Zutraulichkeit zu Fremden ist ungewöhnlich für ihn.
Der Alte tätschelt seinen Kopf. Wir reden über meinen Hund, über das Wetter in dieser Gegend und über diese schöne Nacht. Dann blitzen mich die Augen des Alten mit einem Feuer an, das selbst das Leuchten der Sterne zu übertreffen scheint.
„Wir begegnen uns, weil wir für eine kleine Weile die Zeit zwischen uns überwunden haben“, sagt er geheimnisvoll, „wir müssen sie nutzen, indem du mir einen kleinen Gefallen tust, der auch dir nützt.“
Dieses geheimnisvolle Rätselspiel beginnt mir zu gefallen, oder ist es gar kein Spiel? Ich frage vorsichtig, ob ich dazu in der Lage wäre.
„Ganz gewiss, vom Aufwand her ist es wirklich nur eine Kleinigkeit, kaum der Rede wert. Aber es ist sehr wichtig.“
Es fühlt sich seltsam an und ich sage:
„Kleiner Aufwand und große Bedeutung, was ist es?“
„Das möchte ich dir wegen der Bedeutung des Augenblicks erst kurz vorher mitteilen. Aber so viel kann ich sagen: Es ist etwas Gutes. In dem Moment, in dem du es tust, wirst du die Bedeutung erkennen und danach frei sein.“
„Wenn es gut ist, dann soll es so sein.“
„Großartig“, sagt der Alte, „lass uns zur Glore hinuntergehen.“
Er greift mein Handgelenk und zieht mich mit sich. Als ich neben ihm gehe, lässt er es wieder los. Sein Gang ist entschlossen, die Arme schwingen forsch an seinem Körper. Seine Schritte sind lautlos wie die eines Schattens. Die Stille wird wieder nur durch Leo's Trippeln und seinem Hecheln durchbrochen, Gedanken rasen durch meinen Kopf. Verstohlen beobachte ich den hutzeligen Schatten neben mir, nichts an ihm deutet darauf hin, was er von mir erwarten könnte. Dann erreicht uns das vertraute Rauschen der Glore, die hier im Tal mit beachtlicher Geschwindigkeit fließt. Leos Hecheln wird nun vom Rauschen des Flusses verschluckt und wenig später stehen wir auf der schmalen Brücke. Der Alte ist mir vorausgeeilt, hat das andere Ufer erreicht und schwingt sich mit einer Leichtigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, über die hier hüfthohe Bruchsteinmauer auf das dahinter liegende Feld. Leo folgt ihm schwanzwedelnd, er liebt diesen Ort. Ich folge ihm und wir laufen eine Weile in Richtung des Flusses auf dem Feld, der Alte immer drei Schritte voraus. Jetzt springt er über eine niedrige Felskante und bleibt nach wenigen Schritten stehen.
Der Alte hat sein Gesicht nach Westen gewandt und blickt stumm in die Strömung. Wie angewurzelt, ein knorriger kleiner Baum, steht er da. Ich habe ihn erreicht, traue mich aber nicht, ihn anzusprechen.