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Der Autor hat in den 90er Jahren des letzten Jahrtausends etwa zehn Jahre in Irland gelebt. In dieser Zeit wurden die Erzählungen dieser Buchreihe niedergeschrieben. In diesen Erzählungen werden Tatsächliches und Fiktion vermischt. Es geht um das traditionelle Geschichtenerzählen der alten Zeit in Irland. Die Idee dazu kam ihm bei einem Geschichtenerzähler Festival in dem westirischen Städtchen Kiltimagh, dem er hier zum ersten Mal beiwohnte. Seine Anregungen holte er sich aber aus den Erzählungen der Menschen an den knisternden Torffeuern, die zu den Geschichten eine mystische Atmosphäre zauberten. Vor allem aber geht es mal wieder um das Geschichtenerzählen selbst: Wie im ersten Band lässt der Autor auch in diesem zweiten Band fiktive Erzähler zu Wort kommen. Real ist nur die Art der Erzählung, wie sie der Autor erlebt hat, und zum Teil auch der Hintergrund der erzählten Geschichten. Der Autor überlässt es dem aufmerksamen Leser zu beurteilen, welche Geschichten einen realen Hintergrund haben könnten. Aber Vorsicht, man kann sich leicht täuschen. In der ersten Geschichte findet sich der Erzähler in der Todeszelle wieder. Er soll ein Elternmörder sein. In der Titelgeschichte wagt sich der Erzähler eines Tages trotz Höhenangst auf den legendären One Man's Pass an den Klippen des Slieve League und hat ausgerechnet an einer besonders engen Stelle, an der keine zwei Menschen aneinander vorbeikommen, eine gefährliche Begegnung mit einem Hünen von Mann, der sich hier oben sicher bewegt. Keiner will zurückweichen, aber, hat der Protagonist eine Wahl? Er ist voller Misstrauen und Furcht; vor allem möchte er den Fremden beim Zurückgehen nicht hinter sich wissen. Da macht der Fremde einen überraschenden Vorschlag. Er möchte in einer Art von Gottesurteil, dem man sich unbedingt beugen muss, eine Entscheidung herbeiführen. In der dritten Geschichte nimmt der Erzähler in Kinnegad zu später Stunde bei Dunkelheit und stürmischem Wetter eine alte Anhalterin mit nach Moate und wird von ihr in einen Strudel unheimlicher Geschichten hineingezogen, die bis ins sechszehnte Jahrhundert zurückreichen. Ist er etwa in die Nacht des ewigen Blutgerichts geraten, einem Fluch aus der Vergangenheit? In dieser Nacht holt sich der Teufel alle 70 Jahre einen Reisenden durch die Hand einer alten Frau, die ihm unterwegs zusteigt. Anschließend gibt der Autor einem Geschichtenerzähler aus Donegal das Wort. Er erzählt vier Geschichten: Wie wird man ein Traumdesigner? Die erste Geschichte gibt Auskunft darüber. Hier hat sich der Autor ein wenig bei Novalis bedient. In der zweiten Geschichte erzählt er von einem Mann, der sich für einen Augenblick der Nichtigkeit seiner Eitelkeit bewusst geworden sein müsste. Die dritte Geschichte handelt von einem Herrscher, dem Machtgier und Eitelkeit zum Verhängnis werden. Die letzte Geschichte handelt von Sucht, Betrug und Selbsttäuschung. In der letzten Geschichte lässt es der Autor so richtig krachen. Sie ist garantiert ohne tieferen Sinn. Wie sagte Albert Einstein so treffend: Selbst das Sinnlose hat noch einen losen Sinn. Nach den vielen emotionalen Themen dieser Buches wollte der Autor die Sache etwas entspannen und hat dazu einen Serienmord platziert, der uns garantiert nicht herunterzieht. Der Mörder, ein bis dato unbescholtener Mann, hat einfach nur die falschen Leute ermordet. Der eigentliche Erfolg des Osteraufstandes 1916 am GPO war die Beendigung des Serienmords an unschuldigen Augenärzten, die doch wirklich niemandem etwas zuleide tun.
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Seitenzahl: 173
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Erich Romberg
Mystische Geschichten in und über Irland
Über die Geschichten in den Geschichten
Vol. 2
Gefährliche Begegnung auf dem One Man’s Pass
Widmung
The Art
Storytelling is an intimate and interactive art. A storyteller tells from memory rather than reading from a book. A tale is not just the spoken equivalent of a literary short story. It has no set text, but is endlessly re-created in the telling.
The listener is an essential part of the storytelling process.
For stories to live, they need the hearts, minds and ears of listeners. Without the listener there is no story.
www.storytellersofireland.org
Impressum
© 2024 Erich Romberg
Covergrafik von: Freepik
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
Ahrensburg, Germany
ISBN
Paperback 978-3-384-12171-4
Hardcover 978-3-384-12172-1
E-Book
978-3-384-12173-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich.
Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig.
Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung
"Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
Ahrensburg, Deutschland.
Vorwort
Im ersten Band geht der Autor im Vorwort ausführlich auf seine Motivation zur Herausgabe der Erzählreihe ein.
In den folgenden Bänden beschränkt er sich auf den Inhalt des jeweiligen Bandes.
Wie im ersten Band lässt der Autor auch in diesem zweiten Band fiktive Erzähler zu Wort kommen. Real ist nur die Art der Erzählung, wie sie der Autor erlebt hat, und zum Teil auch der Hintergrund der erzählten Geschichten. Der Autor überlässt es dem aufmerksamen Leser zu beurteilen, welche Geschichten einen realen Hintergrund haben könnten. Aber Vorsicht, man kann sich leicht täuschen.
In der ersten Geschichte findet sich der Erzähler in der Todeszelle wieder. Er soll ein Elternmörder sein.
In der Titelgeschichte wagt sich der Erzähler eines Tages trotz Höhenangst auf den legendären One Man’s Pass an den Klippen des Slieve League. Ausgerechnet an einer besonders engen Stelle, an der keine zwei Menschen aneinander vorbeikommen, hat er eine gefährliche Begegnung mit einem Fremden, der sich hier oben sicher bewegt.
Keiner will zurückweichen, aber hat er eine Wahl? Da macht der Fremde einen überraschenden Vorschlag.
In der dritten Geschichte nimmt der Erzähler in Kinnegad zu später Stunde bei Dunkelheit und stürmischem Wetter eine alte Anhalterin mit nach Moate und wird von ihr in einen Strudel unheimlicher Geschichten hineingezogen, die bis ins sechszehnte Jahrhundert zurückreichen. Ist er etwa in die Nacht des ewigen Blutgerichts geraten, einem Fluch aus der Vergangenheit? In dieser Nacht holt sich der Teufel alle 70 Jahre einen Reisenden durch die Hand einer alten Frau, die ihm unterwegs zusteigt.
Anschließend gibt der Autor einem Geschichtenerzähler aus Donegal das Wort. Er erzählt vier Geschichten:
Wie wird man ein Traumdesigner? Die erste Geschichte gibt Auskunft darüber.
Es handelt sich um einen fast ausgestorbenen Beruf, da es in der Gegenwart kaum noch Träume gibt und was die Menschen für Träume halten, sind in der Regel Illusionen. Die Menschen der Gegenwart können nicht mehr zwischen ihnen unterscheiden. Doch der Ruhm eines berühmten Traumdesigners aus der Vergangenheit dringt bis in die Gegenwart.
Ein Mann aus der Gegenwart aber misstraut den Täuschungen der Illusionen, weiß aber noch nicht, dass es keine Träume sind. Da er aber noch im Meer der Möglichkeiten lebt, kann er eine geeignete Möglichkeit ergreifen um in die Vergangenheit zu reisen, um sich vom Traumdesigner einen gewaltigen Traum erschaffen zu lassen. Jedoch den Traumdesigner kann man nicht einfach engagieren, er muss sich zuerst qualifizieren. Durch Befragung der Mitarbeiter findet er heraus, dass er die Blaue Blume suchen muss. Damit beginnt seine Odyssey.
In der zweiten Geschichte erzählt er von einem Mann, der sich für einen Augenblick der Nichtigkeit seiner Eitelkeit bewusst geworden sein müsste.
Die dritte Geschichte handelt von einem Herrscher, dem Machtgier und Eitelkeit zum Verhängnis werden.
Die letzte Geschichte des Erzählers handelt von Sucht, Betrug und Selbsttäuschung.
In der letzten Geschichte des Buches geht es um eine Mordserie, bei der ausschließlich Augenärzte getötet wurden. Sie begann kurz nach der Jahrhundertwende und endete im Frühjahr 1916 so plötzlich, wie sie begonnen hatte. Der Ripper wurde nie gefasst. Dem Erzähler sind aber die Hintergründe bekannt, die er aus einer „vertrauensvollen“ Quelle kennt. Auslöser dieser Morde ist ein sensibles hässliches Mädchen mit einer bezaubernden Stimme, in die sich ein blinder Musikmeister verliebt hat. Am Ende kommt heraus, dass all diese Morde ein Irrtum waren; die Opfer hätten eigentlich Psychiater sein müssen. Die Gründe dafür erfahrt ihr in diesem Buch.
Über die Liebe (Lyrik)
Seele, deine schönste Gabe,
die einst Orpheus schon besang,
ist dein heiligstes Verlangen,
ist der Schoß, der uns vereint.
Deine Lyra ist die Freude,
mit der dein schönstes Lied erklingt,
Dein Geschenk, das ist die Liebe,
die aus dem Chaos Leben bringt.
Seele, deine schönste Gabe,
Wesenheit der ersten Zeit,
so wie Gaya, aller Mutter,
hältst den Samen du bereit.
Seele, in der Sommerblüte,
webst du uns ein goldenes Kleid,
geben wir uns in deine Arme,
verweilen dort für alle Zeit.
Zeit und Eitelkeit (Figuren-Lyrik)
Seiner Vergänglichkeit fliehend schafft der Mensch auf dem Jahrmarkt des Lebens.
Ein Monument möchte er errichten, einen Nachweis zu sein, gewesen zu sein.
Wie ein Ertrinkender klammert er sich am Gerippe seiner Individualität.
Extrovertiert zieht er seine Spur, um wahrgenommen zu werden.
Doch die Zeit ist unbestechliche Vollstreckerin der Eitelkeit.
Jahre und Jahrtausende ziehen hinweg über jeden,
über den Menschen und seine Individualität;
über all das, was je er gewesen war,
er gedacht oder geschaffen hat.
Selbst der Größte unter uns
wird verschlungen
vom Raubtier
Zeit.
Ein denkwürdiger Traum
In einer lauen Wochenendnacht im Sommer, als der Trubel hier wegen der Disco im Cill Aodain Court Hotel abgeklungen war, saß ich noch mit ein paar Freunden im Joyce's zusammen. Paul schloss die Tür ab und zog die Vorhänge vor die Fenster. Das Licht wurde gedimmt und ein Torffeuer angezündet. Das Joyce's hatte keine Nachtlizenz. Zuerst wurde noch etwas getrunken. Dann fragte Paul, ob jemand eine Geschichte erzählen wolle.
Ich sagte, dass mir vor Jahren jemand einen Traum erzählt habe, den er, wie sonst üblich, nicht vergessen hatte und auch nie vergessen würde.
Ich fragte in die Runde, wie sie zum vierten Gebot aus dem zweiten Buch Moses stehen. Sehr spontan waren sich alle ziemlich einig, dass es genauso zu befolgen sei, wie es in der Bibel steht. Ich hakte nach:
„Man soll seine Eltern also auf einen Sockel stellen, egal, was sie einem angetan haben?“
„Was tun Eltern einem Kind schon an?“, fragte einer in der Runde, „einen Klaps hinter die Ohren? Das hat niemandem geschadet.“
Woher er denn wisse, dass es keinem geschadet hätte, gibt es da irgendwelche Studien? Da brauche es keine Studien, jeder hätte die eine oder andere Tracht Prügel als Kind erhalten, und sie seien alle gesund und meistern ihr Leben.
Ich fragte, ob jemand einmal etwas vom Münchhausen-Stellvertretersyndrom gehört hätte.
Eltern verletzen absichtlich ihre Kinder um sich dann in der Öffentlichkeit rührend um sie zu kümmern.
So etwas tue doch niemand, war man sich sicher.
Doch, sagte ich, der englische Kinderarzt Roy Meadow hat als erster im Jahre 1977 in ‚The Lancet‘ über derartige Fälle aus seiner Praxis geschrieben. Inzwischen sind Tausende von Fällen bekannt. Dann sagte ich:
„Nun gut, darüber wollte ich eigentlich nicht reden, das machen schon Leute, die sich damit besser auskennen. Ich brauchte nur einen Übergang zu meiner folgenden Geschichte. Ich erzähle so, als hätte ich den Traum selbst gehabt. Ich kann nicht garantieren, dass er genau so erzählt wurde, aber das Wesentliche ist enthalten. Stellt euch einfach vor, dem Protagonisten des Traums ist das widerfahren, wovon ich oben erzählt habe. Oder er hat andere triftige Gründe, warum er Vater und Mutter nicht in Ehren halten kann, wie es das vierte Gebot fordert. Das zu beurteilen darf sich kein Dritter erlauben; nur der Betroffene selbst kann urteilen. Ich schicke das voraus, damit ihr meinen Protagonisten nicht zu schnell verurteilt. Er hat schließlich seine Eltern nicht ermordet, er hat geträumt, es getan zu haben. Ich habe den Eindruck, das Unterbewusstsein des Träumenden hat etwas angestoßen, was er lange verdrängt hatte. Eine Tin-Whistle ist in diesem Traum seltsam verwoben. Ich habe diese Geschichte deshalb ‚Die Flöte‘ genannt:“
Die Flöte
Ich kann Sie nicht einmal richtig spielen. Versteht mich nicht falsch, ich kann sie spielen, aber nicht so, wie ich möchte.
Meine Flöte ist handgemacht, eine echte Overton Tin-Whistle. Ich besitze viele Tin-Whistles, englische aus Stahl, irische aus Messing, in C-Dur, in D-Dur, in jeder Tonart. Sie klingen blechern und schrill, aber keine ist wie Sie.
Wenn ich meine Flöte in die Hände nehme, fühlt Sie sich weich und warm an. Sie ist aus mattem Aluminium und hat eben die sechs Löcher einer Tin-Whistle, aber Sie ist etwas Besonderes. So wie Sie sich anfühlt, so klingt sie auch. Nicht, dass man denkt, Sie sei leicht zu spielen. Ich meine, Sie ist so einfach zu spielen wie eine Tin-Whistle - technisch, aber es ist nicht einfach, ihre Seele anzusprechen. Meine Tin-Whistle hat eine Seele. Man muss Sie also mit Seele spielen, um ihre Wärme und ihr Feuer zu entfachen. Ohne Gefühl benutzt, blockiert Sie. Sie hört einfach auf, Töne von sich zu geben. Dann klopfe ich Sie aus, denn Sie ist mit Speichel verstopft. Dann spielt Sie eine Weile, aber dann verweigert Sie sich wieder. Sie kann sehr dickköpfig sein, aber an diesen Tagen, wenn Sie sich weich und warm anfühlt, ist Sie willig, dann lässt Sie mich glauben, dass ich Sie spiele, aber Sie spielt mich. Ich schließe meine Augen und halte Sie in meinen Händen, weich und warm. In mir schwingt eine Melodie, die Sie projiziert, eine Wärme, die Sie ausstrahlt, ein Feuer, das den Raum erfüllt. In diesen Momenten sind wir eins, nicht Flöte und Flötist, sondern nur Ich.
***
Nun sitze ich hier, in einer Todeszelle - ohne Sie. Man hatte mir nicht die Zeit gelassen, Sie zu suchen. Ja, ihr könnt mir glauben, im entscheidenden Moment hätte ich Sie suchen müssen. Sie zu vergessen war normal für mich, wie oft hatte ich Sie verlegt. Ich habe zeitweise nicht einmal an Sie gedacht, hatte mein Leben gelebt ohne Sie. Doch von Zeit zu Zeit, nicht selten in schweren Stunden, habe ich Sie vermisst. Ich wurde unruhig und unausstehlich. Ich wollte nur noch meine Flöte finden. Wie ein Besessener habe ich dann nach ihr gesucht, Wohnungen umgekrempelt und Freunde des Diebstahls bezichtigt. In diesen Augenblicken wurde mir bewusst, dass ich ohne Sie nicht leben kann.
Ich habe Sie immer wieder gefunden, Sie hat mich dann verwöhnt mit ihren schönsten Klängen, weich und warm hatte Sie sich dann angefühlt. Nie hatte Sie mir diese Vernachlässigungen übelgenommen. Wie oft war Sie gerade nach einer langen Zeit der Unachtsamkeit besonders liebevoll zu mir. In jenen Zeiten schwangen ihre Klänge in einer Resonanz mit den Schwingungen meiner Seele.
Ich sitze hier und warte auf den Tod. Ich glaube, ich habe meinen Vater umgebracht, oder meine Mutter.
Vielleicht habe ich sie beide getötet, ich weiß es nicht genau. Man sagte mir, ich sei ein Elternmörder und deshalb müsse ich sterben. Das habe ich eingesehen, denn hier in diesem Land müssen Elternmörder sterben.
Dabei haben sie mir beigebracht, dass man Eltern nicht tötet. Ich habe es dennoch getan. Sie haben mich gelehrt, dass man Vater und Mutter ehren und lieben muss, dennoch habe ich sie umgebracht. Nun sitze ich hier und warte auf meine gerechte Strafe. Gestern besuchten mich mein Bruder und meine Schwester. Ich bat sie darum, mir meine Flöte zu bringen, doch sie haben gesagt, dass ich böse bin, weil ich Vater und Mutter getötet habe. Diese hätten mich sehr geliebt, aber ich habe es ihnen nicht gedankt. Deshalb verdiene ich es zu sterben. Das habe ich eingesehen. Sie wollten nicht nach meiner Flöte suchen.
Das war gestern, und sie sagten, dass sie nicht wiederkommen werden - vorher.
Ich sitze hier einsam, warte auf meinen Tod, und vermisse meine Flöte. Ich höre Schritte, von denen ich weiß, dass sie zu mir kommen.
Es ist mein Wärter. Er schaut mich voller Mitgefühl an.
„Am Montag wirst du hingerichtet. Das Begnadigungsgesuch ist abgelehnt worden.“
Ich schaue diesem armen Mann in die Augen, er ist sichtlich betroffen.
„Es ist doch nur ein kleiner Schritt“, versuche ich ihn zu trösten.
„Ich weiß“, sagt er, „aber es wäre so leicht, das zu ändern. Mir ist schon so lange bewusst, dass man niemanden hinrichten muss, aber ich kann nichts dagegen tun.“
Ich schaue zu meinem Wärter. Er sitzt zusammengekauert auf meiner Pritsche, ein Häufchen Elend ist er. Er tut mir sehr leid, dieser arme Mann.
Plötzlich ändert sich seine Gesichtsfarbe, er scheint entschlossen zu sein, aber dennoch zeigen seine Augen Hoffnungslosigkeit.
„Lass mich etwas für dich tun - bitte.“
Ich muss nicht überlegen:
„Ich brauche meine Flöte, eine Tin-Whistle aus Aluminium. Ich konnte sie nicht finden, als sie mich abholten.“
In diesem Moment hellt sich das Gesicht des Wärters auf.
„Ist es eine Overton, die sich manchmal weich und warm anfühlt?“
Hoffnungsfroh sieht er mich an. Ich muss ihm nichts mehr erläutern, er ist ebenfalls ein Flötenspieler.
„Ich finde Sie!“, sagt er.
Es sind noch drei Nächte bis Montag, aber ich mache mir keine Sorgen. Mein Wärter wird sie finden.
Am Samstag kommt ein anderer Wärter - er ist kein Flötenspieler. Er berichtet mir, dass sein Kollege etwas Wichtiges suche, er wisse aber nicht was.
Am Sonntagabend höre ich wieder diese Schritte, von denen ich weiß, dass sie zu mir kommen. Mit strahlendem Gesicht reicht mein Wärter mir die Flöte.
„Nun wird alles gut“, sagt er. Ich nehme Sie und sage:
„Ja!“
Er schaut mich an und mahnt:
„Spiele Sie aber erst morgen, wenn sie dich abgeholt haben. Ich werde bei dir sein.“
Ich schaue ihn liebevoll an und beruhige ihn:
„Du kannst jetzt gehen, es ist alles getan.“
Am nächsten Morgen höre ich viele Schritte, von denen ich ebenfalls weiß, dass sie zu mir kommen. Ich halte meine Flöte fest umklammert. Die Zellentür fliegt auf und grimmige Gesichter schauen mich an. Ein wichtig aussehender, schwarz gekleideter Mann liest mir aus einem wichtig aussehenden Dokument vor, dass ich meinen Vater oder meine Mutter, oder beide umgebracht habe. Auf jeden Fall würde ich am Hals aufgehängt, bis dass der Tod eintritt. Sie führen mich durch einen langen dunklen Gang. Eine unbestimmte Anzahl an Leuten gehen vor mir und eine andere unbestimmte Anzahl gehen hinter mir. Wir betreten einen hohen Raum, in dessen Mitte ein Podest aufgebaut ist. Daraus ragt ein Galgen mit einer etwa fünfzig Zentimeter über dem Boden des Podests baumelnden Schlinge, die aus dickem Seil besteht. Ich weiß, das ist die Schlinge, die um meinen Hals gelegt wird.
Im Vollstreckungsraum sitzen viele Menschen, alle wollen einen Elternmörder sterben sehen. In der ersten Reihe sehe ich meinen Bruder und meine Schwester. In ihrer Nähe sitzen Neffen, Nichten, Onkel und Tanten.
Sie alle warten darauf, dass der Bruder, der Onkel oder der Neffe für die Tötung der Eltern, der Tante, des Onkels, des Bruders oder der Schwester hingerichtet wird. Sie alle wissen, dass ich diese Strafe verdient habe.
Als ich oben auf dem Podest stehe, liest dieser wichtig aussehende Beamte aus dem wichtig aussehenden Dokument vor, dass ich den Vater, oder die Mutter, oder beide umgebracht hätte und daher solange am Hals aufgehängt werde, bis dass der Tod eintritt. In der ersten Zuschauerreihe sehe ich Bruder und Schwester applaudieren. Meine Augen suchen nach meinem Wärter, aber sie können ihn nicht finden. Die ganze Zeit halte ich meine Flöte mit der rechten Hand fest umklammert, aber die Abwesenheit meines Wärters beunruhigt mich. Der wichtig aussehende Beamte hat soeben seine Lesung aus eben jenem Dokument beendet. Er schaut mich an und fragt, ob ich noch einen Wunsch habe.
In diesem Moment tippt mir jemand auf die Schulter.
Ich blicke mich um und erkenne meinen Wärter, er ist der Henker. Er schaut mir gütig in die Augen und sagt:
„Bitte sie, ein letztes Stück auf deiner Flöte spielen zu dürfen.“
Es wird mir gestattet, und mein Wärter legt mir die Schlinge um den Hals.
„Habe Vertrauen zu mir und zu deiner Flöte“, sagt er.
Ich nehme Sie in beide Hände und Sie fühlt sich weich und warm an. Unbeirrt spielt Sie ‚Das Lied vom Tod’, an dessen Melodie ich mich nie erinnern konnte.
„Vertraue deiner Flöte“, wiederholt mein Henker und zieht den Hebel zur Falltür.
Die Klappe öffnet sich, und einsam verweht die Melodie des Todes im Wind.
***
„Dann erwachte mein Protagonist und die Melodie ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ lag noch in seinen Ohren.“
Das erlöste Selbst (Lyrik)
Weltlichkeit entgleitet dem Ich,
haltlos fließt sie dahin.
Die karge Nahrung ist verzehrt.
Verzweifelt klammert es am Jetzt.
Die Maya ist essenzfrei,
Verwandlung bis zur Dissipation.
Erlösung verheißt ein Widerschein am Horizont,
lumineszierender Mythos.
Projektion aus der Unendlichkeit.
Sehnend strebt das Sein,
hin zum Absoluten, schaffend,
um seiner Auflösung zu entgehen.
Sich satt essen am unerreichbaren Ziel,
einem Stück Ewigkeit.
Dilatation zum eigenen Schöpfer,
schöpfend aus der Asche.
Phönixgleich emporsteigen.
Der Mythos lockt aus der Unendlichkeit.
Die Ahnung des Absoluten
spricht aus seinen Schöpfungen.
Doch, der Horizont leuchtet nicht selbst;
das Denken endet nicht am Horizont,
ihn zu überschreiten,
ist ein erster Schritt in die Unendlichkeit.
Dieser Schritt ist das Werk
und jeder Schritt ist ein neuer Horizont.
Der Schaffende blickt in die Unendlichkeit,
Blick ohne Akkommodation.
Suche mit irdischen Werken,
manifestiert im Irdischen.
Allegorisierte Ewigkeit,
um der Ich-Dissipation zu entkommen.
Der Schöpfende strebt zum Absoluten,
hin zur Ich-Expansion,
Schritt für Schritt,
von Horizont zu Horizont.
Erlösung ersehnt sich das Ich,
vom Irdischen, vom Tode.
Ein Teil möchte es werden,
ein Teil vom ewigen Mythos.
Auf den Klippen des Slieve Leagues
An einem gemütlichen Torffeuer in einer Wochenendnacht in Kiltimagh gehörte ich wieder zum harten Kern der Übriggebliebenen. Aus irgendeinem Grund kamen wir auf den Slieve League und seinen One Man’s Pass zu sprechen, den keiner der Anwesenden je begangen hatte. Man erzählte sich abenteuerliche Geschichten, die nur vom Hörensagen stammten.
„Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt, den One Man’s Pass zu begehen“, sagte ich in die Runde. „Bis jetzt wusste ich nur, dass dieser seltsame Pass mit einem enormen Auf und Ab zum Gipfel des Slieve Leagues verbunden ist.“
Tatsächlich ist der One Man’s Pass Teil eines größeren Netzes von mehr oder weniger anspruchsvollen Pfaden, die über die steilen Klippen der Slieve Leagues führen.
Diese Klippe in Donegal ist eine der höchsten in Europa.
An vielen Stellen kann sich kaum eine Person fortbewegen, so dass es besser ist, keinen Gegenverkehr mit Leuten zu riskieren, die vom 601 m hohen Gipfel zurückkehren, wenn man ihn besteigt. Ich bin kein großer Freund von großen, steilen Höhen mit unsicheren Wegen, nicht zuletzt deshalb bin ich nie bis ganz nach oben gestiegen. Auch der Respekt vor dem Namen, der besagt, dass die Breite des Weges nur einer Person erlaubt, ihn zu begehen, hat mich immer wieder umkehren lassen. Ich bin ihn nie wirklich gegangen und habe mich für meine Wanderungen mit den weniger riskanten Pfaden des Slieve Leagues begnügt, die auch ohne dieses Risiko wunderschöne Aussichtspunkte bieten. Nun sind solche Wanderungen zwar schön, aber wenig spektakulär zum Erzählen. Deshalb gehe ich diesen Weg in der folgenden Geschichte zusammen mit meinen Zuhörern und Lesern.
Ich hatte die Story bereits fertig geschrieben in meiner Tasche; ich musste also nicht aus dem Stegreif erzählen.
Ich erzählte die Geschichte anhand meines Manuskripts: One Man’s Pass
Gefährliche Begegnung auf dem One Man’s Pass
Ich habe immer versucht, meine Ehrfurcht vor diesem Weg zu überwinden. Vom One Man’s Pass geht es an vielen Stellen mehr als fünfhundert Meter steil in die Tiefe. Oft weht dort oben ein heftiger Wind und auf der Westseite klatscht der Atlantik an die Küste. Einmal konnte ich beobachten, wie Fetzen der Brandung bis hoch zu diesem Weg gesaugt wurden. Es gibt sicher Tage, an denen mir der Mut gefehlt hätte.
Aber an diesem Tag schien das Wetter für ein solches Unternehmen günstig. Hier im Dorf wehte nur ein laues Lüftchen und auch dort an der Westküste in Donegal sollte es an diesem Tag nicht allzu stürmisch werden.
Außerdem war es Wochenmitte und außerhalb der Ferien, so dass eine unangenehme Begegnung an ungünstigen Stellen unwahrscheinlich war.
Ich brauchte gut zwei Stunden bis Teelin und fuhr direkt über die Serpentinen zum Bunglass Point und von dort hinauf zum Amharic Mor am Slieve Leagues, wo ich schon oft mein Auto abgestellt hatte. Von hier aus geht es nur zu Fuß weiter, und ich musste etwa fünfundzwanzig Minuten aufsteigen, um den seltsamen Pfad zu erreichen. Nun stand ich vor dem kurzen steilen Abhang, den ich noch zu überwinden hatte, und setzte zum ersten Mal meinen Fuß darauf.
Der Wind hier oben hatte eine Stärke von drei bis vier, das Wetter war stabil, so dass ich keine Schwierigkeiten erwartete. Nur wegen des starken Windes hatte ich mich schon oft nicht auf dieses Wagnis eingelassen.