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Die Bewährungsprobe des Feuerreiters
Captain Will Laurence und sein Himmelsdrache Temeraire wurden wegen Verrats nach Australien verbannt. Doch nun bietet ihnen das Britische Empire die völlige Wiederherstellung ihres Rufs, wenn sie sofort nach Brasilien aufbrechen, um die portugiesische Königsfamilie vor Napoleons Verbündeten zu retten. Laurence ist zwar skeptisch, doch welche Wahl hat er schon? Die Reise nach Rio birgt allerdings unerwartete Gefahren. Nicht nur werden Temeraire und sein Reiter dort bereits von einem alten Feind erwartet. Sie geraten außerdem ins Visier des so mächtigen wie grausamen Inkareichs, das nach der Macht über ganz Südamerika strebt.
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Seitenzahl: 589
Naomi Novik
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Drachengold
Die Feuerreiter Seiner Majestät 7
Roman
Deutsch von Marianne Schmidt
Für die außergewöhnliche Herausgeberin Betsy Mitchell,die Temeraire seine Flügel verliehen hat.
Prolog
Arthur Hammond war stolz auf ein gewisses Maß an Unempfindlichkeit, wenn die Pflicht es verlangte, und auf den Gleichmut, mit dem er körperliche Unannehmlichkeiten und sogar gesellschaftliche Peinlichkeiten ertrug. Er konnte jeden natürlichen Widerwillen unterdrücken, sofern es einem diplomatischen Vorhaben dienlich war. Andere Männer, die mit mehr Taktgefühl gesegnet waren, mochten es sich leisten, zimperlich zu sein – sich selber sah er als ein schlichteres Gemüt, und da dies nun mal so war, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, seine Genügsamkeit auf die Spitze zu treiben. Er musste sich selber gegenüber ebenso rücksichtslos und unnachgiebig sein, wie er es von anderen verlangte, denn nur so war sein Verhalten zu rechtfertigen. Man sollte an ihn denken und zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstoßen: »Oh, Hammond – inakzeptabel, aber er bringt eine Sache zu Ende …«
Und so hatte er aus seinen natürlichen Anlagen eine Tugend gemacht, und er packte ohne alle Bedenken oder irgendwelche Höflichkeiten jede Gelegenheit, die sich ihm bot, beim Schopfe. Das wiederum hatte zur Folge, dass er sich mit noch nicht einmal dreißig Jahren Botschafter mit uneingeschränkten Befugnissen in China nennen durfte – ein Posten, der auf seine Anregung hin ins Leben gerufen worden war. Allerdings hatte sein Hang auch für die beklagenswerte Lage gesorgt, in der er sich augenblicklich befand und die seine entschlossene Selbstvernachlässigung auf eine bittere Probe stellte. Die Wolldecken, die er sich bis über den Kopf gezogen hatte, waren voller Raureif. Und dann waren da noch die heimtückischen, unvorhersehbaren Bewegungen der riesigen, blassblauen Schwingen, sobald der Drache hinabschoss, um etwas zu fressen. Die Abstände zwischen den Senkflügen waren zu groß, um sich daran zu gewöhnen, und sie folgten zu rasch aufeinander, als dass er sich von einem zum nächsten hätte erholen können. Ständig schwankte Hammond zwischen Übelkeit und Hungergefühlen. Zwar befanden sich Trockenfleisch und Reis in seiner Tasche, aber er konnte sich nur einmal am Tag widerwillig dazu überwinden, eine Hand aus seinen Decken zu stecken, um sich etwas Essbares in den Mund zu schieben. Außerdem wurde ohnehin die Hälfte seines Proviants vom Wind davongeweht. Zumeist begnügte er sich mit wohldosierten Schlucken vom starken Reiswein aus seiner Flasche. So hangelte er sich von Tag zu Tag und vegetierte krank und erschöpft dahin – buchstäblich, wie im übertragenen Sinne, in einem verschwommenen Dämmerzustand, denn seine Brille war sorgfältig in der Innentasche seines Mantels verstaut.
Zu seiner inneren Abgestumpftheit gesellte sich nach drei Wochen auch eine rein körperliche Gefühllosigkeit; lange Zeit bemerkte Hammond es überhaupt nicht, dass es stetig abwärtsging. Als das Kurierdrachenweibchen die Flügel zusammenlegte, den Kopf nach hinten drehte und sagte: »Das war ein ausgesprochen angenehmer Flug«, schaffte er es eine geschlagene halbe Stunde lang nicht, sich aus dem Geschirr zu befreien, so zittrig und steif waren seine Hände.
Shen Li sah höflich über seine Schwierigkeiten hinweg. Stattdessen beugte sie sich über ein Wasserloch und trank in tiefen Schlucken; dann hob sie wieder den Kopf und schüttelte sich das Wasser von den Lefzen. »Ich kann den ehrenwerten Lung Tien Xiang nirgends entdecken«, stellte sie fest, während Hammond sich noch immer mühsam an den Haken und Verschlüssen zu schaffen machte, »aber man kann dort drüben auf dem Berg den Pavillon sehen, den er errichten lässt …«
Hammond wusste nicht, wovon sie sprach, bis es ihm gelang, seine Brille aus der Tasche zu angeln, die Gläser zu putzen und mit zusammengekniffenen Augen der Blickrichtung von Shen Li zu folgen. Tatsächlich erkannte er den Pavillon, der sich am Abhang ganz am anderen Ende des Tales erhob, in dem Shen Li gelandet war. Es handelte sich dabei um ein höchst anspruchsvolles, parthenonähnliches Bauwerk. Ringsum wurde es von Säulen aus gelbem Stein gesäumt, allerdings gab es noch kein Dach. Umgeben war das Gebäude von behelfsmäßigen Hütten.
»Ich sehe den Pavillon. Aber sind wir nicht noch sehr weit davon entfernt?«, fragte Hammond. Besser gesagt, er wollte das fragen, brachte aber nicht mehr als ein heiseres Krächzen heraus. So gab er den Versuch einer Unterhaltung schleunigst auf und konzentrierte sich stattdessen wieder auf seinen Kampf mit den Geschirrriemen. Im Augenblick hatte er das Gefühl, er würde mit Freuden die restliche Strecke laufen, notfalls mit bloßen Füßen über Dornen, ehe er sich noch einmal auf dem Drachenrücken in die Lüfte schwingen würde.
Langsam stieg er auf die ungeschickte Art und Weise von Shen Lis Rücken, die man in China nur bei kleinen Kindern oder Gebrechlichen zu sehen bekam. Schwerfällig kraxelte er hinab und setzte immer nur jeweils eine Hand oder einen Fuß auf. Als er endlich unten angekommen war, ließ er sich erleichtert auf einen breiten, glatten Stein am Rande des Wasserlochs sinken.
»Vielleicht sollte ich ein wenig auf die Jagd gehen, ehe wir uns auf den Weg zum Pavillon machen, dann können Sie sich ein bisschen sammeln und herrichten«, bemerkte Shen Li. Hammond war viel zu erschöpft, um sich die spitze Bemerkung zu Herzen zu nehmen. Das Drachenweibchen schüttelte die riesigen Schwingen und flog davon; beim Start wirbelte es Laub und kleine Steine auf. Der zurückgelassene Hammond blieb reglos sitzen, starrte auf die aufgewühlte, dunkle Wasseroberfläche und malte sich sehnsüchtig aus, wie es wäre, etwas zu trinken. Allerdings würde er sich vermutlich noch eine halbe Stunde gedulden müssen, ehe aus dieser Vorstellung Realität werden konnte. Er hatte das Gefühl, er sollte besser nicht darauf vertrauen, dass ihn seine Beine die wenigen Meter, die ihn vom Wasserloch trennten, schon noch tragen würden.
Nach und nach bemerkte er, dass sein Drache und er heute einen ausgesprochen heißen Tag erwischt hatten; die Sonne begann, die Eiseskälte, die sich in ihm festgesetzt hatte, zu durchdringen. In Peking war gerade Winter, und es kam ihm vor, als seien sie nicht nur drei Wochen, sondern monatelang in der Luft gewesen oder als sei er durch Magie mit einem Mal in eine andere Jahreszeit versetzt worden. Erschöpft begann er eine Decke abzulegen, dann noch eine, diesmal energischer, denn auf seinem Rücken sammelte sich bereits der Schweiß und lief in Rinnsalen herunter. Schließlich verabschiedete Hammond sich von jedem Rest Würde, zog den Kopf ein, legte die Arme an und schälte sich mit wilden Verrenkungen aus den verbleibenden wärmenden Hüllen. Als er sich auf diese Weise aus seinem Kokon befreit hatte, war ihm alles egal, und er kroch auf allen vieren über den Stein zum Wasserloch, wo er seufzend den Kopf in das kühle Nass steckte und Erleichterung fand.
Dann richtete er sich wieder auf und ließ sich keuchend auf den Rücken rollen. Er war sich jeder Faser seines Körpers bewusst und unbeschreiblich dankbar für die Wärme und den gestillten Durst. In diesem Augenblick schossen zwei klauenbewehrte, schuppige Gliedmaßen aus dem Buschwerk hinter ihm hervor, packten sich die Decken und zerrten sie außer Sichtweite. Hammond konnte nur einen winzigen Blick auf ein Säbelzahnmaul und glänzende, schwarze Augen werfen, ehe alles wieder verschwunden war. Ungläubig starrte Hammond auf den Fleck, wo eben noch der Wollhaufen gelegen hatte, dann sprang er auf. Seine Beine zitterten und bebten, und er floh in schleppendem, stolperndem Laufschritt. Wann immer ein Zweig oder ein Blatt vom Wind aufgeweht wurde, fuhr er zusammen. Das Entsetzen verlieh ihm ungeahnte Kräfte, ebenso wie das enttäuschte Zischen hinter ihm: Der Fehler war bemerkt worden. Allerdings sah es schlecht für Hammond aus: Er spürte ein seltsames Rütteln unter seinen Füßen, und so blieb er mit einem Ruck stehen. Ein Kopf spähte abwartend aus den Büschen vor ihm, hungrig und bösartig, und es gab nirgendwo einen Ort, an dem Hammond sich hätte verstecken können. Er war völlig auf sich gestellt.
Ganz augenscheinlich zog die Kreatur es vor, aus dem Hinterhalt heraus zu jagen, aber sie zögerte auch nicht, sich einer Beute zu stellen, wenn diese schutzlos unterwegs war. Erst schob sich ein Bein aus dem Unterholz, dann noch eines, und das ganze Wesen kam langsam und bedächtig auf ihn zu. An den Vorderbeinen konnte Hammond lange, vielgliedrige Klauen erkennen, die mit Schuppen in dunklen Braun- und Grüntönen bedeckt waren, und die Schultern des Biests hingen weit nach vorne. Als Hammond die Flucht wieder aufnehmen wollte, bemerkte er, dass eine ähnliche Kreatur ein Stückchen bergauf halb aus einem Erdloch ragte und ihm entgegensah, den Kiefer zu einem abscheulichen Grinsen geöffnet. Dahinter erahnte Hammond zwei weitere Köpfe …
Sein eigener Atem klang laut und angestrengt in seinen Ohren, während ihn das Entsetzen einen Moment lang lähmte. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, und aus Leibeskräften, wenn auch wenig hoffnungsvoll, schrie er: »Shen Li! Shen Li!« Während er sich den schmalen, unbewachsenen Pfad über das Gestein den Hang hinaufkämpfte, kamen seine abgehackten Hilferufe nur noch stoßweise. Die geschmeidigen Körper, die ihn verfolgten, schienen ihm ohne jede Anstrengung hinterherzuhuschen.
Hinter sich vernahm er ein hustendes Geräusch, das durch die Reihen der Kreaturen lief und klang, als machten sie sich über ihn lustig. Er geriet wieder ins Straucheln, und sein Fliehen fand ein jähes Ende, als er über den Hügelkamm stolperte und vor den Füßen eines anderen Mannes liegen blieb. Bei diesem handelte es sich um einen abgerissen aussehenden, staubbedeckten Buschjäger mit dichtem Bart. Er trug ein weites Hemd, eine Hose und einen breitkrempigen Hut, und in der Hand hielt er – Gott sei’s gedankt – ein Gewehr. Aber das war nur ein einzelner Mann, und von jenseits des Grates starrten bereits fünf schuppige Köpfe zu ihnen beiden herunter.
Der Jäger vertrödelte keine Zeit; er hob das Gewehr und feuerte, allerdings über die Köpfe der Biester hinweg. Dann ließ er die Waffe sinken und rief: »Das reicht jetzt! Verschwindet! Die ganze Bande. Oder ich werde euer Nest ausheben, das schwöre ich euch.«
Die Kreaturen zischten und zogen sich ebenso rasch zurück, wie sie aufgetaucht waren. Ein furchteinflößender, riesiger Schatten war über sie gefallen, und der Boden bebte. Hammond verschluckte krampfhaft einen furchtsamen Aufschrei, als sein Blick auf zwei lange Reihen von Zähnen entlang einem schier endlosen roten Maul fiel und eine Stimme, die nicht von einem Menschen stammen konnte, sagte: »Oh! Das sollten wir trotzdem tun. Wie können diese Bunyips es wagen, wo sie doch ganz genau wissen, dass es mir zuwider ist, wenn sie hier Jagd auf Menschen machen.«
»Temeraire«, rief Hammond mit kieksender Stimme. »Das ist doch Temeraire. Alles wird gut.« Diese Worte waren vermutlich vor allem zu seiner eigenen Beruhigung gedacht, auch wenn die Überzeugungskraft offensichtlich zu wünschen übrig ließ, denn er schien bis zum Zerreißen angespannt und immer noch von Fluchtgedanken erfüllt.
»Hammond?«, fragte der Jäger.
Hammond starrte ihn an, während er die dargebotene Hand ergriff und schüttelte: eine breite, schwielige Hand. Die Gesichtshaut seines Gegenübers war unter dem zotteligen, blonden Bart tief gebräunt; blaue Augen strahlten ihn an, und Hammond fragte langsam: »Kapitän Laurence? Sind Sie das?«
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»Ich fürchte, er ist in Gedanken viel zu sehr mit materiellen Dingen beschäftigt«, stellte Shen Li mit leisem Tadel fest, während Temeraire in einiger Entfernung damit beschäftigt war, einen großen, behauenen Steinquader emporzuheben, der den Mittelteil vom Fußboden seines Pavillons bilden sollte. Shen Lis Äußerung war insofern bemerkenswert, als sich praktisch alle Drachen ganz außerordentlich zu weltlichem Besitz hingezogen fühlten. Aber vielleicht hatten die langen Flüge hoch in den Lüften über die kargen Gegenden der australischen Wüste und über den südlichen Pazifik hinweg dazu geführt, dass das chinesische Kurierdrachenweibchen mit den riesigen Schwingen zu einer philosophischen Anschauung gelangt war, die einer Aussöhnung mit ihrem eigenen Schicksal dienlich sein mochte.
»Natürlich ist das eine ganz bewundernswerte Arbeit«, fügte sie hinzu, »aber ein solcher Hang führt unvermeidlich zu großem Leid.«
Laurence schenkte ihr nur wenig Aufmerksamkeit. Temeraire war es gelungen, mitsamt seiner Last abzuheben, und Laurence gab nun der kleinen Schar von Männern einen Wink, damit diese die Stützbalken aufrichteten, welche die Endposition für den Klotz markieren sollten. Doch auch diese Aufgabe brachte Laurence’ Gedanken nicht zur Ruhe. Immer wieder wanderten sie zu einer niedrigen Hütte zehn oder zwanzig Meter tiefer, die sich unter einer kleinen Baumgruppe duckte und den kühlsten Ort in ihrem notdürftigen Lager darstellte. Hier lag Hammond und erholte sich. Mit ihm war die ganze Welt wieder an Laurence’ Türschwelle zurückgekehrt, um anzuklopfen, obwohl er immer geglaubt hatte, er hätte ihr endgültig den Rücken gekehrt.
Der Steinquader wurde mitten in der Luft von einem Windstoß erfasst und schwankte, hörte aber auf zu schlingern, als Temeraire die langen Holzleitschienen erreicht hatte. Erleichtert stieß der Drache den Atem aus und ließ sich langsam hinabsinken. Der Stein schabte an den Balken entlang und ließ Rinde und kleine Holzstückchen auf die Arbeiter regnen, während er gemächlich zu Boden gelassen wurde und schließlich aufsetzte, nachdem die Männer sich mit ihren Langhölzern zurückgezogen hatten.
»Also, das grenzt ja geradezu an ein Wunder, dass niemand zerquetscht wurde oder eine Hand verloren hat«, bemerkte Mr O’Dea, nachdem er die Männer mit ihrer regelmäßigen Rumration und einigen Silbermünzen entlohnt hatte, und konnte doch nicht verhindern, dass eine Spur von Enttäuschung in seiner Stimme mitschwang. Er hatte immer wieder großes Unheil vorausgesagt, sollte Temeraire halsstarrig an seinem Entschluss festhalten, diesen riesigen, wunderschön gemaserten Steinquader zum Herzstück seines Pavillons zu machen.
»Es wäre eine Schande gewesen, ihn in kleinere Stücke zu zerteilen und damit das Muster zu zerstören«, bekräftigte Temeraire. »Nicht, dass ich nicht auch voller Bewunderung für Mosaike bin, vor allem, wenn sie aus Edelsteinen gefertigt sind, aber das wäre dann doch unüblich. Manche Leute behaupten allerdings, dass dies hier nur ein ganz gewöhnlicher Steinblock sei.«
Er war eben damit fertig geworden, alle Stützstreben zu begutachten und besorgt am frischen Mörtel zu schnüffeln, um sich nun erleichtert neben Laurence und Shen Li sinken zu lassen und seinen Durst am vorbeifließenden Bach zu löschen. »Was meinen Sie?«
»Der Stein ist wirklich sehr hübsch«, bekräftigte Shen Li, »aber ich kann nichts Schlimmes daran finden, ihn in dem Tal zu bewundern, wo er seinen Ursprung hat.«
»Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, Laurence«, sagte Temeraire leise zur Seite, »aber Shen Li kann manchmal so ernüchternd sein. Auch wenn ich ihr natürlich dankbar sein muss, dass sie so nett war, Briefe und Gäste zu uns zu bringen. Wie freundlich von Mr Hammond, so weit zu reisen, nur um uns zu besuchen.«
»In der Tat«, entgegnete Laurence, während er die Post aus der Umhüllung befreite. Im Innern fand er eine große, schwere Schriftrolle auf zwei Spulen aus Jadestein, die Temeraire von seiner Mutter Qian geschickt worden war, zusammen mit einem Buch über Poesie. Außerdem war da ein dick versiegeltes Paket, welches Laurence mehrere Male herumdrehte, nur um festzustellen, dass es unbeschriftet war. Als er schließlich den Schutzumschlag löste, sah er, dass das Paket Gong Sus Namen trug, allerdings keine weiteren Adressangaben aufwies.
»Ich danke Ihnen, Kapitän«, sagte Gong Su, nahm es an sich und zog sich in seinen kleinen Schuppen zurück. Laurence konnte kurz sehen, wie Gong Su das chinesische Ritual der Verbeugung durchführte, woraus er schloss, dass es sich bei diesem Päckchen um einen Gruß von seinem Vater handeln müsse.
Des Weiteren hielt Laurence eine ziemlich ungelenk geschriebene Nachricht in den Händen, die verblüffenderweise an einen Mr Richard Shipley gerichtet war. »Könnte dies für Sie bestimmt sein, Mr Shipley?«, erkundigte sich Laurence in zweifelndem Ton, denn er fragte sich, wie ein früherer Strafgefangener zu einem Briefpartner in China gekommen sein sollte.
»Jawohl, Sir«, erwiderte der junge Mann und nahm den Brief entgegen. »Mein Bruder ist mit der Willow Tree auf der Kanton-Route unterwegs. Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.«
Shen Li hatte darüber hinaus einen kleinen Postsack dabeigehabt, der nach Sydney befördert werden sollte; weitere Briefe an Mitglieder ihrer eigenen kleinen Gruppe von Arbeitern gab es nicht.
Laurence knüpfte den Sack wieder zu; O’Dea würde ihn am nächsten Tag nach Port Jackson mitnehmen, und vielleicht würde Hammond ihn begleiten. Es war möglich, dass sein eigentlicher Auftrag ihn dorthin und zu Kapitän Rankin führen würde, der schließlich der ranghöchste Offizier der Truppe in diesem Lande war.
Daran mochte Laurence jedoch beim besten Willen nicht glauben. Während die Kühe für das Abendbrot der Drachen an den Spießen brutzelten, ging er über den frisch verlegten Fußboden des Pavillons bis ganz zum Rand, von wo aus sich ein Ausblick über das breite Tal bot. Man konnte bereits die ersten Getreidesamen sprießen sehen, und die im Licht des Spätnachmittags umherwandernde Herde von Schafen und Rindern blökte und muhte leise vor sich hin. Der Krieg war nichts als ein Sturm in weiter Ferne, der auf der anderen Seite der Berge tobte und kaum zu hören war. Hier gab es nichts als Frieden und echte Arbeit ohne den Ruch von Mord und Verrat, der sich anscheinend von selbst an sein Leben geheftet hatte. Laurence war sehr zufrieden damit, dass er die Welt hinter sich gelassen hatte und im Gegenzug von ihr vergessen worden war.
»Danke, das nehme ich gerne an«, hörte er Hammond sagen und drehte sich um. Endlich war Hammond wieder aus der Hütte herausgekommen, war in den angebotenen Faltstuhl gesunken und hatte sich ein Glas Rum von Mr O’Dea einschenken lassen. Laurence rieb sich mit der Hand übers Kinn, um das vertraute Jucken seines Bartes zu lindern. Nein: Hammond hatte auf keinen Fall den ganzen Weg aus Peking hierher zurückgelegt, um einige Briefe auszuliefern und ein wenig zu plaudern.
»Bitte gestatten Sie mir, noch einmal meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen«, sagte Hammond und sprang wieder auf, als Laurence sich zu ihnen gesellte. »Ich habe den ganzen Tag geschlafen! Und ich bin erstaunt zu sehen, wie weit Sie mit Ihrem Bauvorhaben vorangeschritten sind«, fügte er hinzu und nickte in Richtung des Pavillons.
»Ja, in der Tat«, sagte Temeraire, der bei diesem Kompliment seinen Kopf herumschwang. »Alles entwickelt sich ganz prächtig, und wir haben uns sogar noch einige kleinere Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf einfallen lassen. Das müssen Sie sich ansehen, aber natürlich erst, wenn Sie sich wieder besser fühlen; Ihre Reise dürfte alles andere als komfortabel gewesen sein.«
»Ganz richtig«, bemerkte Hammond mit Nachdruck. »Aber ich sollte mich nicht beklagen. Laurence, können Sie sich das vorstellen – drei Wochen Flug? Heute vor drei Wochen am Sonntag habe ich noch in Peking Tee getrunken, das ist doch wohl kaum zu glauben. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich diese Erfahrung überlebe. Vielen Dank, ja, Sie dürfen nachschütten.«
Hammond war kein kräftig gebauter Mann und trank üblicherweise nicht viel. Die drei Schlückchen des starken, unverwässerten Rums hatten ihn weniger vorsichtig werden lassen; ansonsten hätte er vermutlich kaum so bereitwillig Auskunft gegeben, als Laurence sagte: »Sir, Ihre Gesellschaft ist uns immer höchst willkommen, aber ich muss gestehen, dass ich mir nicht erklären kann, was Sie nun wirklich hierherführt. Sie können doch wohl nicht ohne triftigen Grund solche Strapazen auf sich genommen haben.«
»Oh!«, antwortete Hammond und sah sich vergeblich nach einem Tisch um. Dann entschied er sich dafür, sein Glas auf dem Boden abzustellen, richtete sich auf und strahlte: »Ich sollte es Ihnen rundheraus sagen: Ich bin hier, um Sie in den Dienst zurückzuholen, Kapitän. Sie sind wieder eingesetzt und …« Laurence starrte ihn ungläubig an, während Hammond umständlich in der Innentasche seines Mantels herumkramte. »Ich habe Ihnen sogar die hier mitgebracht.« Damit förderte er die zwei goldenen Litzen zutage, die einen Kapitän des Luftkorps auswiesen.
Laurence zwang sich einen Moment lang zum Innehalten, obwohl er sich fast zu einer unwillkürlichen, hastigen Bewegung hatte hinreißen lassen. Wenn dort nicht zwei Kapitänsstreifen auf Hammonds Handfläche gelegen hätten, hätte er das Ganze für einen schlechten Scherz gehalten, für eine verdrehte Idee, geboren aus Erschöpfung und zu viel Alkohol. Doch so viele Vorkehrungen ließen die Mitteilung ernst gemeint erscheinen – ernst gemeint, aber dadurch keineswegs weniger absurd. Er war ein Verräter. Da er Bemerkenswertes während der französischen Invasion in England geleistet hatte, war die ursprüngliche Strafe für sein Verbrechen abgemildert worden. Anstatt ihn aufzuhängen, hatte man ihm aufgrund der geleisteten Dienste die Gnade der Verbannung gewährt. Seitdem hatte er nichts mehr getan, was ihm die geschätzte Aufmerksamkeit von Whitehall hätte einbringen können, sondern er hatte vielmehr die Befehle eines Marineoffiziers kategorisch abgelehnt.
Temeraire strahlte: »Oh! Oh, Mr Hammond, wie können Sie uns eine solche Nachricht so lange vorenthalten? Aber ich darf Sie nicht tadeln, wo Sie uns doch so fantastische Neuigkeiten mitbringen.« Er hatte seinen Kopf so gesenkt, dass er mit einem seiner riesigen Augen die goldenen Balken begutachten konnte. »Laurence, du musst dir sofort deinen grünen Mantel bringen lassen. Mr Shipley! Mr Shipley, bitte schaffen Sie Laurence’ Kiste her …«
»Nein«, unterbrach ihn Laurence. Dann wandte er sich an Hammond und fuhr mit größerer Höflichkeit, als er in Wahrheit der Situation angemessen fand, fort: »Nein, vielen Dank, Sir. Ich bin mir sehr wohl bewusst, wie freundlich es von Ihnen war, die ganze Strecke zurückzulegen, um mir diese Botschaft zu überbringen, aber ich muss ablehnen.«
Er hatte es ausgesprochen: die einzig denkbare Antwort, die er geben konnte, auch wenn sie bitter für ihn war. Die goldenen Streifen lagen unbeweglich auf Hammonds Hand; so klein und schlicht sie auch waren, standen sie doch für die Möglichkeit, einen dunklen Fleck von seinem Namen und dem seiner Familie zu entfernen. Es hatte ihn so viel Mühe gekostet, nicht an die Schande zu denken, die er über seine Familie gebracht hatte, da ihm keine Möglichkeit blieb, seinen Ruf wiederherzustellen.
Hammond starrte ihn wortlos an, die Hände noch immer ausgestreckt, und Temeraire sagte: »Aber Laurence, das kann doch nicht dein Ernst sein«, während er sehnsüchtig die goldene Verlockung in Hammonds Hand beäugte.
»Es kann nur einen einzigen Grund dafür geben, mir auf diese Weise unter den gegebenen Umständen die Wiedereinsetzung anzubieten«, sagte Laurence mit ausdrucksloser Stimme. »Sie wollen mich damit beauftragen, die Aufstände hier in Sydney niederzuschlagen. Nein. Es tut mir leid, Sir, aber ich werde mich nicht wieder zum Schlächter der Regierung machen lassen. Ich hege keine große Sympathie für Mr MacArthur und seine Unabhängigkeitsbestrebungen, aber er handelt nicht ohne guten Grund oder unvernünftig. Ich werde auf keinen Fall englische Soldaten niedermetzeln, nur um ihn an den Galgen zu liefern.«
»Oh, aber …«, stammelte Hammond. »Nein, nein, Kapitän, ich meine natürlich Mr Laurence, ich sollte nicht voreilig sein, aber … Sir, Sie haben mich missverstanden. Ich selbst muss mich um Gouverneur MacArthur kümmern, denn natürlich ist seine Vorstellung von Unabhängigkeit völliger Humbug und kann auf keinen Fall geduldet werden, aber das ist nicht der Grund … Obwohl Ihre Hilfe natürlich sehr zupasskäme …«
Er machte eine Pause und sammelte sich wieder, während Laurence versuchte, sich gegen die Hoffnung zu wappnen, die in ihm aufzukeimen drohte und der er keinen Platz lassen durfte, wie er wusste. Wenn Hammond einen Auftrag zu überbringen hatte, den man irgendeinem rechtschaffenen Offizier des Korps hätte antragen können, dann wäre ein solcher Offizier längst damit betraut worden. Hammond trat ihm in offizieller Mission gegenüber, und was immer er ihm nun anbieten würde, dürfte verlockend verpackt und deshalb umso schwerer abzulehnen sein.
Hammond begann: »Zuerst lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich Ihre Zurückhaltung voll und ganz verstehen kann, Sir. Ich bitte um Verzeihung, dass ich mich nicht klarer ausgedrückt habe. Ich will außerdem nicht verhehlen, dass in manchen Kreisen Mr MacArthurs Bestrebungen in durchaus bedenkenswertem Licht erscheinen. Ich hoffe, Sie können sich vorstellen, dass kühlere Gemüter die Aussicht eines ansonsten unausweichlichen Krieges mit China als schieren Wahnsinn erachten. Und dazu hätte Kapitän Willoughbys Vorhaben – aus Höflichkeit will ich nicht sagen törichtes Vorhaben – geführt. Zudem sind viele der Ansicht, dass seine Entscheidungen sich in keiner Weise mit seinen Befehlen in Einklang bringen lassen.«
Laurence nickte mit ernster Miene. Er hatte praktisch die gleiche Einschätzung der Lage in seinem Bericht an Jane Roland zum Ausdruck gebracht, und auch wenn dieser natürlich nicht offiziell gewürdigt worden war, war er doch mit Sicherheit zur Kenntnis genommen worden. Hammond hatte keine großen Nachforschungen anstellen müssen, um zu seiner Einschätzung der Lage zu kommen.
»In Anbetracht der Tatsache, dass Mr MacArthur mit dieser Rebellion ein gutes Urteilsvermögen bewiesen hat und damit einen desaströsen Ausgang der Angelegenheit vermeiden konnte, könnte er sogar begnadigt werden, obwohl er zu solch extremen Mitteln gegriffen hat«, fuhr Hammond fort. »Vorausgesetzt natürlich, dass er seinen Fehler zugibt und öffentlich widerruft. Sie, Laurence, kennen diesen Gentleman gut und vermögen einzuschätzen, ob er vernünftigen Argumenten gegenüber zugänglich ist. Ich versichere Ihnen aber, dass ich nicht mit dem Vorhaben hierhergekommen bin, ihm mit Gewalt zu begegnen oder ihn lediglich als Verbrecher zu brandmarken.«
»Ich bin mir ganz sicher, dass sich MacArthur einsichtig zeigen wird«, warf Temeraire mit ängstlichem Übereifer ein. Seine Flügel waren flach auf seinem Rücken angelegt, ebenso wie seine ausdrucksstarke Halskrause. Laurence wusste, dass Temeraire Laurence’ aberkannten Rang umso mehr betrauerte, als er sich selbst für dessen Verlust und die Einbuße eines Großteils seines Vermögens die Schuld gab. Laurence hingegen schätzte beides weitaus geringer ein als die Ehre, die er geopfert hatte, aber es hatte sich gezeigt, dass Temeraire Laurence’ Beteuerungen keinen Glauben schenkte. Vielleicht lag das daran, dass dieser die Chance der Wiederherstellung des alten Zustands bei seiner Einschätzung für höher hielt.
Aber was auch immer Laurence von MacArthur hielt – einem zweitklassigen Napoleon, dessen Talente keineswegs größer als sein Ehrgeiz waren –, so traute er ihm auf jeden Fall doch eine gewisse Einsicht zu, auch wenn es möglicherweise nur eine Unterstellung war: Wenn ihm Hammond tatsächlich ein solches Angebot unterbreiten würde, dann ging Laurence davon aus, dass er es auch annehmen würde. MacArthur hatte häufig genug behauptet, nicht aus eigenem Antrieb und aus eigennützigen Gründen heraus zu rebellieren, sondern einzig, um die Kolonie zu schützen. Ganz ohne Zweifel war das nicht die volle Wahrheit, aber auf diese Weise hatte sich MacArthur wohlweislich ein Schlupfloch gelassen, das ihn nicht direkt zum Galgen führte. Und selbst wenn er sich keineswegs so zugänglich zeigen sollte, wie Temeraire es hoffte, dann wäre da noch seine Gattin, eine kluge Frau, die ihn wahrscheinlich zum Einlenken bringen würde, um seinen Hals zu retten.
»Welchen Grund gibt es denn stattdessen dafür, dass Sie mich als Kapitän brauchen, obwohl ich hier als einfacher Farmer lebe?«, fragte Laurence.
»Es hat überhaupt nichts mit dem Aufstand zu tun«, entgegnete Hammond, berichtigte sich aber sogleich. »Nun ja, vielleicht … Ich will mir nicht vorwerfen lassen, Sie zu täuschen, Sir. Sie selbst haben ja bereits entsprechende Überlegungen geäußert. Man würde es natürlich schon als glückliche Fügung bewerten, sollte Ihre Wiedereinsetzung meinen Gesprächen mit Mr MacArthur vielleicht ein … ein gewisses Maß an … sagen wir mal Nachdruck verleihen …«
»Verstehe«, sagte Laurence trocken.
Hammond räusperte sich. »Aber das ist nicht unser Hauptanliegen. Jeder erstklassige Drache könnte für solche Zwecke hier stationiert werden, wenn es nötig wäre. Und wenn Sie irgendwelche Bedenken haben, dann betrachte ich mich als befugt … Das bedeutet, Sie müssen sich dieser Sache nicht selber verschreiben. Schließlich gibt es keinen unmittelbaren Handlungsbedarf in dieser Angelegenheit, solange Mr MacArthur auch weiterhin die Gefangenentransporte aufnimmt, wie es bislang der Fall war. Nein: Es geht um die Lage in Brasilien. Vielleicht haben Sie schon davon gehört?«
Laurence antwortete nicht sofort; ihm waren bislang nur die wildesten Gerüchte zu Ohren gekommen, mit denen ihn ein amerikanischer Schiffskapitän versorgt hatte. »Napoleon soll eine Anzahl der Tswana-Drachen dort hingeschafft haben, um die Kolonie anzugreifen. Er soll es auf Rio abgesehen haben, wenn das Gerede wahr ist.« In ihrem kleinen, abgeschiedenen Tal erreichten Laurence nur wenige Nachrichten, und er hatte sich auch nicht bemüht, das, was ihm erzählt wurde, weiter zu verfolgen.
»Nein, nein, das sind keine Gerüchte«, sagte Hammond. »Letzten Berichten zufolge hat Bonaparte mehr als ein Dutzend Scheusale der fürchterlichsten Sorte nach Rio gebracht und die Stadt heimgesucht. Man erwartet, dass er mit Sicherheit noch weitere dieser Drachen mit seinen Schiffen hinüberschafft, sobald er seine Transporter nach Afrika gebracht hat, um die Drachen dort abzuholen.«
Laurence begann zu dämmern, was Hammond wohl zu ihm geführt hatte und was sein besorgter Blick zu bedeuten haben mochte. »Ich war allerdings nur als Gefangener bei ihnen, Sir«, sagte Laurence langsam und erinnerte sich an seine vollkommen unerwartete und schreckliche Gefangenschaft. Man hatte ihn Tausende von Meilen ins Innere des Kontinents gebracht und ohne Vorwarnung von Temeraire getrennt. Zu dieser Zeit waren für ihn keinerlei Gründe für diese Freiheitsberaubung ersichtlich gewesen.
»Damit sind Sie mit den Tswana vertrauter, als irgendjemand sonst von sich behaupten kann«, erklärte Hammond, »ganz besonders, was ihre Sprache und ihre Sitten anbelangt …«
Er geriet ins Stottern, und Laurence lauschte ihm mit wachsender Skepsis: Was immer er im Laufe der monatelangen Gefangenschaft gelernt hatte – die er zudem zum größten Teil in einer Höhle für Gefangene zugebracht hatte –, hatte er alles in seinen Berichten niedergeschrieben. Es fiel ihm nun schwer zu glauben, dass seine wenigen Erfahrungen mit den Tswana ihn zu einem angemessenen Botschafter für Ihre Lordschaften machen sollten.
Als er diese Bedenken äußerte, erwiderte Hammond: »Ich denke – will sagen, ich habe gehört –, dass Seine Hoheit, der Herzog von Wellington es für ratsam hält …«
»Es würde mich sehr erstaunen zu hören, dass Wellington mir selber oder Temeraire gegenüber irgendwelche anderen Gefühle als ausgesprochene Abneigung hegt«, warf Laurence ein.
»Nun ja«, sagte Hammond, »soweit ich das verstanden habe, deutete er an …«
Hammond versuchte noch eine Weile, um den heißen Brei herumzureden, doch schließlich ließ er sich dazu hinreißen, Wellingtons genaue Worte wiederzugeben, die Laurence weitaus plausibler erschienen. Anscheinend hatte Wellington die Ansicht geäußert, dass Laurence und Temeraire die einzigen beiden seien, bei denen die vage Hoffnung bestünde, sie könnten eine Bande unkontrollierbarer Drachen zur Räson bringen. Allerdings müsste man jemanden mitschicken, der ein Auge darauf hätte, dass sie bei dem ganzen Vorgang nicht drei Viertel der Kolonie abtreten würden.
»Ich bin mir sicher, wir würden ganz hervorragende Botschafter abgeben«, mischte sich Temeraire ein und bedachte Laurence mit hoffnungsvollen Blicken. »Auch wenn sich Wellington vielleicht wenig respektvoll über uns geäußert hat. Nicht, dass ich seinerzeit nicht ausgesprochen ärgerlich auf die Tswana gewesen wäre, denn schließlich hatten sie kein Recht, dich zu entführen, Laurence. Aber man darf nicht vergessen, dass ihr eigenes Volk in die Sklaverei verkauft wurde, und ich bin mir sicher, dass auch die Tswana vernünftig sein können. Ich weiß nicht, warum wir ihnen nicht auf der Stelle entgegenkommen können und ihnen ihre Leute zurückbringen, die ihnen gestohlen worden sind.«
»Ähem«, bemerkte Hammond unbehaglich, »ja, nun denn, natürlich dürfen die Interessen unserer Alliierten nicht vergessen werden … Und dann sind da noch die Schwierigkeiten, Einzelpersonen aufzuspüren … Und natürlich wären da noch die Haltung der Regierung … die Besitzrechte …«
»Oh! Besitzrechte! Wie kann man denn so etwas Absurdes von sich geben«, ereiferte sich Temeraire. »Wenn ich mir eine Kuh hole, um sie zu fressen, sobald niemand zusieht, dann würden Sie das zu Recht als Diebstahl bezeichnen. Und wenn ich die Kuh dann Kulingile überlasse und dafür einige Opale von ihm erhalte, dann würden Sie wohl kaum behaupten, er habe nun irgendwelche Besitzrechte erworben, da bin ich mir sicher. Und das gilt noch viel mehr, wenn er die ganze Zeit über sehr genau wusste, dass es sich zum Zeitpunkt der Überlassung nicht um meine eigene Kuh gehandelt hat.«
Auf Hammonds Gesicht zeichnete sich der gequälte Ausdruck ab, den Laurence von ihrer ersten gemeinsamen Mission in China her kannte. Laurence konnte nicht anders und fragte sich amüsiert, ob Hammond nicht sehr schnell voller Reue zu der Einsicht kommen würde, dass die Zeit offenbar die Erinnerung an ihre Differenzen in der Vergangenheit hatte verblassen lassen. Vermutlich dürfte er sich schon bald verwünschen, dass er sich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, offenbar freiwillig dazu bereit erklärt hatte, der Mann zu sein, der Temeraire und ihn beim vorgeschlagenen Unterfangen an der kurzen Leine halten sollte.
Laurence für sein Teil war sich vollkommen sicher, dass die Anzahl der Sklaven, die in einer solchen Aktion, wie sie Temeraire im Sinn hatte, zurückgeschifft würden, die Tswana keineswegs zufriedenstellen würde. Selbst wenn sich die Portugiesen bereit erklärten, ihre Sklaven wieder freizulassen, konnten sie die Toten, die der grausamen Arbeit in den Minen und auf den Plantagen oder der Hoffnungslosigkeit ihrer Gefangenschaft zum Opfer gefallen waren, nicht wieder lebendig machen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, selber Kontakt zu den Sklavenbesitzern aufzunehmen, was Hammond hätte wissen müssen. Selbst wenn er es nicht von Laurence selbst erfahren hatte, dann hätte ihm der Ruf seines Vaters bekannt sein sollen: Lord Allendale war schon seit Langem ein leidenschaftlicher Verfechter der Abschaffung der Sklaverei.
»Augenblicklich ist nichts dergleichen geplant«, protestierte Hammond. »Ich würde allerdings so weit gehen zu behaupten, dass die Portugiesen bereit sind … sich unter den gegebenen Umständen eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber Kompromissen …« Er stockte und wollte ganz offensichtlich keinerlei Versprechungen machen, dann fuhr er fort: »Aber auf jeden Fall sollen Sie nicht deren Interessen, sondern unsere Interessen vertreten.«
»Und wie genau lauten unsere Interessen in dieser Angelegenheit?«, erkundigte sich Laurence.
»Es muss für Frieden gesorgt werden«, sagte Hammond. »Sicherlich werden Sie nicht leugnen, wie wünschenswert dies wäre.«
»Frieden ist keineswegs so unangenehm oder langweilig, wie man gemeinhin vermuten möchte«, sagte Temeraire mit einem leicht wehmütigen Unterton, was ihn als Schwindler entlarvte. »Ich verstehe nur nicht, woher dieses ausgesprochene Interesse an Frieden in Brasilien kommt. Wenn Sie darauf solchen Wert legen, warum sorgen Sie dann nicht erst mal für Frieden mit Napoleon in Europa? Nicht, dass ich das für richtig halten würde«, fügte er rasch hinzu, »jedenfalls nicht, solange Lien sich in Frankreich als Herrscherin aufspielt. Ich hoffe, dass wir niemals mit ihr Frieden schließen müssen.«
»Ah«, sagte Hammond stockend. Er zögerte und war sich sichtlich unschlüssig, ob er fortfahren sollte oder besser nicht, entschied sich dann aber zu den Worten: »Sir, wenn ich mich auf Ihre vollkommene Verschwiegenheit verlassen kann … Es erfordert absolute Geheimhaltung …«
»Natürlich können Sie darauf bauen«, mischte sich Temeraire eilig und höchst interessiert ein. Seine Halskrause stellte sich auf, als er sich neugierig nach vorne beugte. Hammonds Blick wurde noch unsicherer, da die Vorstellung eines Drachen von einem vertraulichen Tuschelgespräch in einem Flüstern bestand, das auch in gut zehn Metern Entfernung Wort für Wort zu verstehen war.
»Sie können darauf zählen, soweit es in unserer Macht steht«, sagte Laurence. »Aber auch, wo es sich unserer Kontrolle entzieht, können Sie davon ausgehen, dass Ihre Neuigkeiten von geringem lokalen Interesse sind. Das macht es höchst unwahrscheinlich, dass sie weiterverbreitet werden und an ein feindliches Ohr gelangen.«
Letzterer Punkt war nur allzu wahr. Zwar gab es Handelsbeziehungen zwischen Port Jackson und dem hiesigen Tal, aber es gab keinen Arbeiter hier, bei dem ernsthaft davon auszugehen war, dass er dieses Land je wieder verlassen würde. Wenn nicht Armut und ständige Trunkenheit die Hinderungsgründe waren, dann war es das Gesetz: Die Männer saßen ebenso fest, wie Laurence es immer von sich und Temeraire auch angenommen hatte.
England war eine andere Welt, der Krieg eine Mär aus weiter Ferne, und sollte sie jemand belauschen, dann wäre ihm das Besprochene vollkommen gleichgültig.
»Dann will ich es wagen und Ihnen Folgendes anvertrauen«, sagte Hammond. »Napoleon ist über das Ziel hinausgeschossen. Erst erwies sich seine geplante Invasion als Fehlschlag, und nun erwartet ihn endlich die weit geöffnete Falle: Wir werden schon bald mit unseren eigenen Truppen in Portugal landen. Wir wollen ihn von Süden her ausbluten lassen, während die Russen und die Preußen von Osten her kommen. Wellington ist davon überzeugt, dass wir endlich den Sieg davontragen werden.«
Ein außerordentlich kühner Plan, fürwahr. Laurence aber konnte nur daran denken, wie sich der beabsichtigte Krieg in die Länge ziehen würde, während sich ihre Truppen im Schneckentempo über die Halbinsel durch Portugal, Spanien und über die Pyrenäen dahinschleppen würden, ehe sie schließlich Frankreich erreichten. Tatsächlich hatte Napoleon in England entsetzliche Verluste erlitten und eine ganz Armee von Gefangenen zurückgelassen, um selber fliehen zu können. Laurence war sich jedoch bei Weitem nicht so sicher, ob diese Einbußen ausreichten und ihn so verletzlich machten, dass er in einem zermürbenden Feldzug am Ende entscheidend geschlagen werden konnte.
»Aber ohne einen sicheren Stützpunkt kann es keinerlei Aussicht auf einen Sieg geben«, gab Laurence zu bedenken.
»Ja«, stimmte Hammond zu. »Wir brauchen Portugal. Und wenn der Prinzregent aus Brasilien fliehen und zurückkehren muss, während Napoleon bereits Spanien besetzt hält …«
»Sie bezweifeln, dass man uns dann noch weiterhin den Durchmarsch gestatten würde«, sagte Laurence.
Hammond nickte. »Wir brauchen Portugal«, wiederholte er.
Zuerst hatte Temeraire gar nicht richtig verstanden, was Hammond im Sinn hatte. Es erschien ihm ausgesprochen unvernünftig, etwas so Bedeutsames ohne viel Brimborium oder Aufhebens über die Bühne zu bringen. Aber dann fiel ihm ein, dass es auch andersherum so abgelaufen war, als Laurence seinen Rang verloren hatte. Temeraire hatte überhaupt nichts davon mitbekommen, bis er eines Nachmittags die Anrede »Mr Laurence« hörte und die goldenen Balken verschwunden waren. Und nun tauchten sie hier genauso überraschend wieder auf und glänzten so wunderbar auf Hammonds Händchen.
Laurence schwieg zunächst, als Hammond seinen Vortrag über die bevorstehende Mission beendet hatte; Temeraire musterte ihn bekümmert. »Es scheint mir nicht so, als ob Hammond uns um irgendetwas Unangenehmes bittet«, wagte er zu bemerken. Natürlich wollte er nicht, dass Laurence sein Patent zurückerhielt, nur um sofort wieder zu irgendetwas Schrecklichem gezwungen zu werden, wogegen sie sich verwahren müssten, sodass sie von Neuem den ganzen Ärger am Hals hätten und als Verräter beschimpft würden. Aber es war sehr hart, eine solche Chance auf dem Silbertablett serviert zu bekommen und dann nicht zugreifen zu dürfen.
»Sir, Sie müssen nach Ihrer Reise sehr erschöpft sein«, sagte Laurence zu Hammond. »Wenn Sie sich gerne frisch machen wollen, dann steht Ihnen meine Hütte zur Verfügung. Und hier gibt es auch frisches Wasser in der Nähe, oberhalb der Wasserfälle. Ich hoffe, Mr Shipley ist so gut und zeigt Ihnen den Weg.« Er gab dem Mann ein Zeichen.
»Oh … Oh, ja, natürlich«, sagte Hammond und brach auf. Trotz des unebenen Bodens schaute er mehr als ein Mal über die Schulter zurück, als könne er Laurence seine Gedanken vom Gesicht ablesen.
»Auf keinen Fall solltest du etwas gegen deine Überzeugung tun, Laurence«, sagte Temeraire, als Hammond endgültig verschwunden war und sie wieder unter sich waren. »Es ist nur so, dass ich nicht sehe, was dagegensprechen sollte, nach Brasilien zu gehen. Dann bekommst du auch deinen Titel und deinen Rang zurück.«
»Das, mein Lieber, wäre nichts weiter als eine höfliche Formalie«, erklärte Laurence. »Ich kann nicht so tun, als sei ich ein ernst zu nehmender Offizier irgendeines Korps, solange ich entschlossen bin, mich niemals wieder Befehlen zu beugen, die ich für unmoralisch halte.«
Eine Formalie, die ihm immerhin zu goldenen Streifen auf den Schultern verhelfen und die ganze Art und Weise verändern würde, in der andere Menschen ihn ansprächen – das war für Temeraires Geschmack allemal ausreichend. »Außerdem ist es ja nicht so, dass sie dir schreckliche Befehle erteilen müssen. Vielleicht haben sie ihre Lektion ja auch gelernt und überlegen sich die Sache in Zukunft zweimal«, fuhr er hoffnungsvoll fort. Er gab zwar nicht viel auf die Weisheit der Regierung, aber inzwischen durfte nach unzähligen Beweisen wohl so ziemlich jeder mitbekommen haben, dass er und Laurence sich nicht mir nichts, dir nichts zu etwas drängen ließen, was sie als unrecht ansahen.
»Ich bin mir auf jeden Fall sicher, sie werden sich auf keinen von uns beiden mehr verlassen, als es unbedingt nötig ist«, sagte Laurence.
Dann schwieg er wieder. Er stand regungslos da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und ließ den Blick über das weite Tal schweifen. Selbst in seiner einfachen Kleidung waren seine Schultern straff, als würden dort noch immer die goldenen Epauletten glänzen, die Temeraire schon beim ersten Anblick bei ihm gesehen hatte. Es bedurfte nur ein wenig Einbildungskraft, um sich ihn wieder in seiner Uniform und seinem grünen Mantel vorzustellen und sich das lederne Geschirr und die goldenen Streifen dazuzudenken. Laurence wartete noch einen Augenblick ab, dann fragte er: »Dann würdest du also gerne aufbrechen?«
Erst in diesem Moment dämmerte es Temeraire, dass die Mission es natürlich erfordern würde, ihr Tal zu verlassen. Er drehte sich um und sah zu seinem Pavillon und der Rinderherde, die darunter im Gras weidete. Vor ihnen erstreckten sich die baumbewachsenen Schluchten, die sich durch das gelbe und ockerfarbene Gestein des Gebirges wanden. Er rollte sich zusammen, aber er konnte nicht verhindern, dass seine Schwanzspitze unruhig in der Luft zuckte. Es kam ihm plötzlich so vor, als seien sie gerade erst gekommen, um mit der Arbeit zu beginnen.
Vielleicht war das Leben hier nicht so aufregend wie wilde Schlachten, das konnte Temeraire nicht bestreiten, aber es hatte etwas Wunderbares an sich, Pflanzen beim Wachsen zuzuschauen, wenn man dabei geholfen hatte, die Felder zu bestellen. Und der halb fertige Pavillon erschien ihm schon beim bloßen Gedanken an ein Fortgehen einsam und verlassen.
»Ich glaube, wir waren hier sehr glücklich, oder?«, sagte Temeraire, und es klang weniger wie eine Frage als wie eine Feststellung. »Und ich will die Dinge eigentlich nicht unvollendet zurücklassen, aber …« Er schaute Laurence an. »Willst du denn lieber hierbleiben?«
Ein paar Stunden später döste Temeraire ein. Eine Handvoll kleinerer Feuer in der Nähe des Lagers brannte herunter und hinterließ cremig gelbe Glutasche. Über ihren Köpfen spannte sich das weite Netz der südlichen Sterne. Von der anderen Seite des Tales her hörte Laurence schwach die Melodie eines Liedes, das zu weit entfernt war, als dass er die Worte hätte verstehen können. Es stammte von den Wiradjuri, die ihr Sommerlager am Fluss aufgeschlagen hatten.
Morgen war Dienstag. Normalerweise würde er hinuntergehen, um sich mit ihnen zu treffen und mit ihnen Waren auszutauschen. Außerdem würde er sie um ihre Zustimmung für Temeraires nächsten Schritt beim Bau seines Pavillons bitten. Er hatte vor, Bauholz aus einer Gruppe großer, alter Bäume im Norden des Landes zu gewinnen, um die Wände zu verkleiden und die Räume auszustatten, die er selbst und ihre menschlichen Gäste bewohnen sollten.
O’Dea würde mit der Post nach Sydney aufbrechen und eine Woche später vielleicht mit ein paar neuen Büchern zurückkehren. In der Zwischenzeit würden sie den restlichen Fußboden verlegen, und zwei Männer waren bereits dafür ausgesucht worden, die Schindeln für das vorgesehene Dach anzufertigen. In einigen Tagen musste das Vieh auf eine andere Weide gebracht werden. An den Abenden wollte sich Laurence dann unter Temeraires Anleitung durch den neuen chinesischen Poesieband kämpfen. Das Leben würde seinen gewohnten Gang gehen.
Stattdessen könnten sie sich aber auch in die Luft schwingen und erst nach Port Jackson und dann nach Brasilien fliegen, als wären sie ein paar Kieselsteine, die an Land gespült worden waren, wo sie kurze Zeit liegen blieben, ehe sie von der heranrückenden Flut wieder ins Meer zurückgeholt wurden.
Laurence wusste, dass die Entscheidung längst getroffen war, vielleicht sogar schon, bevor Hammond zu sprechen angesetzt hatte. Er wünschte, sich sicher sein zu können, dass seine Wahl nicht von seinem Stolz und von der schmerzhaft auf ihm lastenden Schande beeinflusst worden war. Mehr als einmal hatte er sich bemüht, seinen Frieden mit seinem eigenen Verrat zu schließen, weil es ein notwendiges Übel gewesen war. Aber er kam nicht umhin zuzugeben, dass Hammond ihn mit einem reizvollen Angebot erpresste. Es war nun so leicht, zu hoffen und zu planen, dass Temeraire und er in den weiteren Kreisen der Welt mehr Gutes als Schlechtes bewirken würden, wenn sie wieder in diese Sphäre zurückkehrten. Noch leichter kam es ihm allerdings vor, falschen Hoffnungen hinterherzujagen.
Am allerleichtesten jedoch war es zuzulassen, dass diese Ängste ihnen mehr zum Gefängnis wurden als die vielen Meilen des Meeres, das sie umgab. Laurence legte eine Hand auf die warmen Schuppen von Temeraires Vorderbein. Wenn sonst schon nichts zählte: Temeraire war nicht dazu geeignet, faul in einem friedlichen Tal am weit entfernten Ende der Welt herumzuliegen.
Temeraire öffnete eines seiner blauen Augen einen Spalt weit und stieß einen verschlafenen, fragenden Laut aus.
»Nein, nein, schlaf weiter, alles ist gut«, sagte Laurence, und als sich das Lid wieder geschlossen hatte, stand er auf und ging hinab zum Fluss, um sich den Bart abzurasieren.
2
»Ich finde einen Pavillon ohne Dach nicht besonders überzeugend«, sagte Iskierka mit schier unerträglichem Hochmut. »Außerdem kannst du ihn nicht mitnehmen. Er wäre also auch dann völlig überflüssig, wenn er bereits fertiggestellt wäre. Ich denke, niemand wird mir widersprechen, wenn ich behaupte, dass ich meine Zeit besser zu nutzen gewusst habe.«
Temeraire hätte sehr gerne voller Inbrunst widersprochen. Iskierka hatte jedoch bereits einige ihrer Mannschaftsmitglieder – die in Madras frisch an Bord genommen worden waren – losgescheucht, um ihre Truhen aus dem Schiffsrumpf heraufzuschaffen, damit sie die Deckel öffnen und somit das Sonnenlicht die angehäuften goldenen Schätze zum Funkeln bringen konnte. Temeraire entdeckte sogar eine kleine Schatulle voller wunderschön geschliffener Edelsteine, und mit einem Mal kamen ihm seine kämpferischen Argumente, die ihm bei Iskierkas Bemerkung auf der Zunge gelegen hatten, schal vor. Obwohl die Allegiance für gewöhnlich nur recht langsam vorankam, hatte das Schiff es offenbar geschafft, auf dem Weg nach Madras nicht nur in Reichweite einer, sondern gleich dreier rechtmäßiger Prisen zu gelangen, nur um auf dem überstürzten Rückweg noch ein weiteres Schiff aufzubringen. Hammond brauchte dringend einen Transporter, der Temeraire nach Rio bringen konnte, sodass die Allegiance eine Kehrtwendung gemacht und Kurs in entgegengesetzter Richtung genommen hatte.
»Das kommt mir aber sehr ungerecht vor«, beklagte sich Temeraire bei Laurence, »wenn man bedenkt, wie viele Seereisen wir unternommen haben, ohne dass auch nur ein einziges französisches Handelsschiff in Sichtweite gekommen wäre. Und Riley scheint nicht davon auszugehen, dass uns auf dem Weg nach Brasilien irgendwelche Franzosen begegnen werden.«
»Nein, aber vielleicht stoßen wir auf einen oder zwei Walfänger«, erwiderte Laurence gedankenverloren. Temeraire war alles andere als ausgesöhnt. Wale waren vollkommen akzeptable Tiere, zwar nicht besonders groß, aber ausgesprochen schmackhaft. Allerdings konnten sie wohl kaum mit Wagenladungen von Edelsteinen und Gold mithalten, und Temeraire gefiel weder ihre graue Färbung sonderlich, noch behagte ihm ihr Geruch.
Laurence war momentan damit beschäftigt, Gespräche mit den Fliegern auf dem Stützpunkt zu führen, um eine neue Besatzung zusammenzustellen. Zur Auswahl stand eine kleine und nicht gerade vielversprechende Gruppe, obwohl sie zwischenzeitlich noch durch andere Männer aufgestockt worden war, die Granby aus Madras mitgebracht hatte. Die Stützpunkte dort hatten die Hälfte ihrer Drachen durch eine Epidemie verloren. Aber offensichtlich hatte sich Iskierka bereits die besten der zur Verfügung stehenden Kandidaten für ihre eigene Mannschaft gesichert – weshalb für Temeraire und Laurence nur noch die verschmähten Reste blieben. Temeraire war der Meinung, ihnen hätte das Vorrecht bei der Auswahl zugestanden, weil er älter war und außerdem den größeren Bedarf hatte, denn auf Iskierkas Rücken ließen sich wegen ihrer ständig Dampf ausstoßenden Stacheln nur wenige Männer unterbringen.
Temeraire konnte sich nur damit trösten, dass er wenigstens Fellowes als Geschirrmeister bekommen hatte, und Emily Roland war erneut ganz offiziell zu Laurence’ Fähnrich bestimmt worden. Davon abgesehen waren ihm beinahe alle alten Gefährten abhandengekommen. Immerhin war Gong Su die ganze Zeit über bei ihnen geblieben, sodass sich Temeraire wenigstens noch auf ein weiteres absolut loyales Mannschaftsmitglied verlassen konnte. Dorset jedoch hatte sich ohne guten Grund gegen sie entschieden. Angeblich sei es seine Pflicht, auf dem Stützpunkt zu bleiben, der über keinen anderen Arzt verfügte. Temeraire allerdings sah überhaupt nicht ein, weshalb Dorset nicht mitkommen konnte, wo doch Iskierkas neuer Arzt stattdessen die Stellung hätte halten können.
»Sir«, sagte Leutnant Blincoln, der ziemlich verlegen am Rande der Lichtung stand, auf der Laurence an seinem Schreibpult saß. »Sir, ich habe gehofft, ich könnte Sie kurz sprechen.«
Laurence sah von seinen Aufzeichnungen auf, und Blincoln setzte zu einer unbeholfenen Entschuldigungsrede an – es täte ihm sehr leid, wenn er es je an angemessenem Respekt hätte mangeln lassen; er habe stets versucht, seine Pflicht, so gut es ging, zu erfüllen; er hoffe, er dürfe sich die Freiheit erlauben und Kapitän Laurence darum bitten, wohlwollend zu erwägen …
»Mr Blincoln«, unterbrach ihn Laurence, »angesichts der zurückliegenden Umstände kann ich mich wegen Ihres Verhaltens mir gegenüber nicht beklagen. Falls Sie allerdings eine Entschuldigung diesbezüglich für unabdingbar halten, dann sei sie nun hiermit angenommen. Es bereitet mir keinerlei Schwierigkeiten, einen Mann in den Dienst zu nehmen, der sich nach meiner rechtmäßigen Verurteilung offen von mir abgewandt hat. Allerdings lege ich keinen Wert auf jemanden, von dem ich mit Sicherheit weiß, dass er sich in schändlicher und heimtückischer Weise einem jungen Offizier gegenüber aufgeführt hat, was sich durch weitere glaubhafte Berichte bestätigt hat. Dieser junge Offizier hatte keine Freunde und musste ohne die Verteidigung durch die Vorgesetzten, die ihm zugestanden hätte, auskommen. Ich habe keine Verwendung für jemanden, der sich wohlweislich und in egoistischer Absicht in die Aufzucht eines Tieres eingemischt hat, das nicht ihm gehört.«
Mit dem jungen Offizier meinte Laurence Demane. Zweifelsohne hatten die Flieger in Sydney ihre Versuche, ihm Kulingile abspenstig zu machen, fortgesetzt, und es hatte Temeraire nicht überrascht, dass Rankin nichts unternommen hatte, ein solches Verhalten zu unterbinden. Temeraire selbst hätte es nicht so furchtbar schrecklich gefunden, wenn einer der anderen Flieger Erfolg gehabt hätte. Schließlich hätte er Demane mit Freuden wieder in seine eigene Mannschaft aufgenommen, was ohnehin besser für den Jungen gewesen wäre, falls sich sein Drache als so treulos erwiesen hätte. Natürlich hatte Temeraire nicht auf einen solchen Ausgang der Geschichte gehofft; aber nur für den Fall, dass es dazu gekommen wäre … Nun ja, es war nicht dazu gekommen. Temeraire seufzte und spähte zu der erbärmlich kurzen Liste von Offizieren hinunter, die Laurence zu Papier gebracht hatte.
Blincoln hatte in der Zwischenzeit zu Einwänden und Erklärungen angehoben, aber Laurence schnitt ihm das Wort ab. »Nein«, sagte er, »ich will nicht hören, welche Rechtfertigungen Sie anführen wollen. Dass Ihre Versuche, den Drachen wegzulocken, von Ihrem Vorgesetzten geduldet und von vielen Ihrer Kameraden nachgeahmt wurden, ist keine Entschuldigung für Sie und lässt auch alle anderen in keinem guten Licht dastehen. Sie haben sich schändlich verhalten, und das wissen Sie genau. Deshalb muss ich Ihnen und jedem anderen Mann, der ähnlich gehandelt hat, mitteilen, dass Sie nichts als die schärfste Verurteilung von mir zu erwarten haben.«
Hastig trat Blincoln den Rückzug an, und Laurence legte seine Feder aus der Hand. »Ich merke, dass ich mich in den letzten Tagen zu übereilten Entscheidungen hinreißen lasse; ich hatte mich einfach zu sehr an eine handverlesene Besatzung gewöhnt«, sagte er wehmütig zu Temeraire.
»Blincoln hat ganz ohne Zweifel genau das bekommen, was er verdient hat«, bestätigte Temeraire. »Allein, dass er auf die Idee gekommen ist, wir könnten ihn in meine Mannschaft aufnehmen! Ich habe bestimmt nicht vergessen, wie ungehörig er sich dir gegenüber verhalten hat.«
»Ich könnte es den Männern ja zugutehalten, dass sie sich lediglich gegen Hochverrat verwahrt haben«, sagte Laurence und zeigte sich damit toleranter, als es Temeraire für angemessen hielt. Immerhin waren sie keine wirklichen Verräter gewesen, was jetzt schließlich sogar seitens der Regierung eingeräumt wurde. »Aber diese rücksichtslosen und heimlichen Versuche, sich einen Vorteil zu verschaffen, sind eine andere Sache. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, wird mir klar, dass wir Kulingile und Demane auf keinen Fall unter Rankins Kommando hier zurücklassen können. Ich muss mit Hammond sprechen: Ich denke, Granby und ich verfügen über genügend Autorität, die Begleitung durch diesen Schwergewichtsdrachen einzufordern, vor allem, da er seit seinem Schlüpfen mit keinerlei offiziellen Befehlen versorgt worden ist. Nehmen wir die beiden nicht mit, werden diese Männer sie nie in Ruhe lassen. Wenn sie nämlich erst mal auf die Idee kommen, meine Wiedereinsetzung könnte zur Folge haben, dass man meinen Beschwerden über sie größeren Glauben schenken wird, dann werden sie sich nur noch bösartiger aufführen, weil sie meinen, dass sie jetzt nichts mehr zu verlieren haben.«
»Natürlich muss Demane mit uns mitkommen«, sagte Temeraire strahlend, »und wenn auch Kulingile sich dafür entscheidet, dann wüsste ich nicht, was dagegen sprechen sollte. Vielleicht könnte er ja Iskierka ersetzen«, schlug er mit kaum verhohlener Hoffnung in der Stimme vor. Unglücklicherweise schien Hammond sich nicht davon abbringen zu lassen, dass Iskierka unbedingt mitkommen müsse, was ein weiterer Beweis für die völlig haltlose Bevorzugung von Feuerspuckern war.
Aber wenn Kulingile ebenfalls an ihrer Seite wäre, würde das immerhin bedeuten, dass sich Temeraire nicht von Demane und Sipho trennen müsste. Letzteres Mannschaftsmitglied wollte er auf keinen Fall an irgendjemanden abtreten, auch wenn der als Demanes Bruder durchaus für einen Einsatz auf dessen Drachen infrage käme. »Aber ich habe doch auch ein Zuchtgeschwister in China, und es ist mitnichten so, dass wir ständig in der Nähe des anderen sind. Also muss Sipho auf keinen Fall automatisch zu seinem Bruder überwechseln«, murmelte Temeraire vor sich hin.
»Ich denke, auch Mr O’Dea wird uns begleiten«, sagte Laurence. »Er ist sehr zuverlässig geworden in den letzten Monaten, und wir hätten dann wenigstens einen Mann mit leserlicher Handschrift für das Logbuch, Mr Shipley nicht zu vergessen. Ja, Roland?«
Emily Roland war auf die Lichtung gekommen und sagte mit leiser Stimme: »Sir, ich bitte um Entschuldigung; man will ihn nicht vorlassen, aber ich dachte … Ich bin mir sicher, Sie würden gerne …«
Temeraire sah den Hügel hinunter, wo das völlig überflüssige Eingangstor zum Stützpunkt eher deshalb bewacht wurde, damit die Flieger eine Beschäftigung hatten, als dass irgendwelche Eindringlinge aus der Stadt abgehalten werden sollten. Einem Mann in normaler Kleidung wurde jedoch gerade der Eintritt verwehrt. »Oh!«, sagte Temeraire freudestrahlend, nachdem er die Augen zusammengekniffen hatte, um auch ganz sicherzugehen, dass er sich nicht verguckt hatte, obwohl der rötlich blonde Haarschopf unverkennbar war. »Ich denke, da ist Leutnant Ferris. Warum, um alles in der Welt, wollen sie ihn nicht zu uns lassen?«
Laurence war sehr blass geworden und sagte leise: »Roland, bitte seien Sie so gut: Rennen Sie hinunter und sagen Sie diesen Männern, dass sie den Weg freigeben sollen. Mr Ferris ist mein Gast.«
Sie nickte und stürmte davon; kurz darauf betrat Ferris die Lichtung. Er hatte sich sehr verändert, wie Temeraire bei genauerer Musterung feststellte. Er war schwerer und vor allem um die Schultern herum breiter geworden. Vielleicht hatte er sich so oft einen Sonnenbrand zugezogen, dass sich die Farbe schließlich festgesetzt hatte, denn seine Wangen waren rot, und er wirkte älter, als er eigentlich sein dürfte. Trotzdem freute sich Temeraire: Ferris hatte sich vielleicht als nicht ganz so guter Leutnant wie Granby erwiesen, aber er war damals auch noch sehr jung gewesen, und er wäre auf jeden Fall eine immense Verbesserung gegenüber jedem verfügbaren Offizier hier, Iskierkas gesamte Mannschaft eingeschlossen.
Der arme Ferris sah ausgesprochen krank aus, dachte Laurence unwillkürlich, als er sich erhob, um ihn zu begrüßen. Zwar war er erst dreiundzwanzig Jahre alt, jedoch weit vor seiner Zeit gealtert, und Laurence stellte mit Bedauern fest, dass sein Gesicht die Züge eines starken Trinkers aufzuweisen begann.
»Ich bin sehr froh, Sie wiederzusehen, Mr Ferris, was auch immer Sie hierherführt«, sagte Temeraire und senkte den Kopf auf die Höhe des Gastes. »Sind Sie gerade erst angekommen?«
Ferris erwiderte recht stockend, dass er erst kürzlich mit einem Kolonialschiff angekommen sei; er habe gehört … An dieser Stelle brach er ab. Laurence sagte: »Temeraire, wenn du uns entschuldigen würdest; Mr Ferris, vielleicht wollen Sie mich auf einen kurzen Spaziergang begleiten?«
Gemeinsam mit Laurence ging Ferris zu dem kleinen Zelt, in das sich dieser gewöhnlich zurückzog. Es lag etwas abgeschieden von den Unterkünften der übrigen Flieger, damit Laurence nicht ständig mit Rankin aneinandergeriet. Jetzt war er doppelt dankbar für die Möglichkeit, eine private Unterredung führen zu können. Er bedeutete Ferris, auf einem der schmalen Faltstühle Platz zu nehmen, und als sie beide saßen, sagte er ruhig: »Ich bin ebenfalls sehr erfreut, Sie wiederzusehen und die Gelegenheit zu haben, mich bei Ihnen zu entschuldigen und auf Ihre Vergebung zu hoffen. Ich kenne keinen Mann, dem ich größeres Unrecht zugefügt habe.« Ferris’ Wangen nahmen einen noch dunkleren Rotton an, während er Laurence’ entgegengestreckte Hand ergriff und leise und kaum verständlich etwas vor sich hinmurmelte.
Laurence wartete ab, aber Ferris sprach nicht weiter, sondern saß weiterhin mit gesenktem Blick da. Auch Laurence wusste nicht, wie er fortfahren sollte, denn mit einem Mal erschien es ihm unmöglich und geradezu beleidigend, eine Wiedergutmachung anzubieten. Damals hatte er geglaubt, Ferris und die anderen Offiziere zu schützen, indem er seinen und Temeraires Verrat vor ihnen verheimlicht hatte. Das Kriegsgericht jedoch hatte zugegriffen, wo immer es ein Ziel finden konnte, und Ferris war aus dem Dienst entlassen worden, weil man ihm vorwarf, er hätte etwas bemerken müssen. Eine vielversprechende Karriere hatte auf diese Weise ein jähes Ende gefunden, eine ehrbare Familie war in Ungnade gefallen, und das Einzige, was Laurence sich nicht vorwerfen musste, war die Tatsache, dass man Ferris nicht auch noch gehenkt hatte.
»Wir hatten gehofft, etwas von Ihnen zu hören«, sagte Laurence schließlich, »… aber natürlich durfte ich nicht an Ihre Familie schreiben …«
»Nein, das war selbstverständlich unmöglich«, sagte Ferris leise. »Ich wusste, dass Sie im Gefängnis saßen, und …« Beide verfielen wieder in Schweigen.
»Ich kann Ihnen nichts anbieten, was den erlittenen Schaden ausgleichen würde«, fuhr Laurence endlich fort. So unangemessen ein Angebot von ihm auch sein mochte, er musste es Ferris wenigstens unterbreiten. »Was immer in meiner Macht steht, um Ihnen … Wenn Sie hierhergekommen sind, weil Sie Land erwerben wollen, dann werde ich …« Laurence schluckte seinen Widerwillen hinunter. »Ich bin mit Gouverneur MacArthur bekannt; sollten Sie also …«
»Nein, Sir, das will ich nicht. Ich habe gehört, dass Sie und Temeraire hier ein Zuchtgehege anlegen wollen«, sagte Ferris. »Ich dachte, da Sie doch selber kein Offizier mehr sind, könnten Sie vielleicht … könnte ich mich vielleicht nützlich machen, wenn ich käme. Auf jeden Fall …« Er brach ab, und tatsächlich bedurfte es auch keiner weiteren Worte, um mehr als deutlich zu machen, welche anderen Gründe es dafür gegeben hatte, dass Ferris aufgrund einer vagen Hoffnung mit einem Schiff einmal um die Welt zu einer winzigen und schlecht geführten Strafkolonie aufgebrochen war. Er hatte ein Leben in Schmach und Kränkung gelebt und das Dasein eines Ausgestoßenen gefristet. »Aber ich habe gehört, dass Sie wieder eingesetzt wurden, Sir.«
Laurence konnte nicht verhindern, dass er bei diesen Worten zusammenzuckte. Er, der eigentliche Verräter, war wieder in seinen alten Rang erhoben worden, ganz im Gegensatz zu dem vollkommen unschuldigen Ferris. Und ebendiese Ungerechtigkeit führte auch noch dazu, dass Laurence nun die Hände gebunden waren. Als Kapitän des Luftkorps durfte er in Temeraires Besatzung nur Flieger aufnehmen, sodass es ihm unmöglich war, Ferris seinen rechtmäßigen Platz anzubieten. Er konnte ihm lediglich eine inoffizielle Position antragen und ihn als eine Art freiwilligen Gefolgsmann mitnehmen. Aber eine solche Situation würde Ferris nur Leid bringen, denn er würde tagtäglich mit Fliegern zusammen sein, die weit weniger befähigt waren als er und ihm mit der Verachtung begegnen würden, die eigentlich Laurence treffen müsste, wenn der Gerechtigkeit Genüge getan werden sollte.
Trotzdem machte er ihm das Angebot. »Wenn Sie sich einer solchen Aufgabe stellen wollen, die sich nun bietet«, sagte er und ließ die Einzelheiten über den Grund für die Vordringlichkeit dieser Mission im Dunklen, »und wenn die Reise Sie nicht abschreckt, dann wäre ich dankbar für Ihre …« Er hielt inne und beendete den Satz etwas ungeschickt: »… Gesellschaft.« Das schien ihm von allen unpassenden Alternativen noch die treffendste Formulierung.
»Und ich wäre dankbar für … für diese Gelegenheit«, entgegnete Ferris nicht weniger steif. Dass er all die Unannehmlichkeiten, die Laurence voraussah, ebenfalls erwartete, war offenkundig, und ebenso spürbar war die Tatsache, dass er an Repressalien gewöhnt war. Laurence war klar, dass Ferris keine Wahl blieb. Es war eine elendige Situation, in der er selbst einem Mann eine unangemessene Arbeit anbot, in dem Wissen, dass dieser sie nicht würde ablehnen können.
»Ich werde die Allegiance darüber informieren. Wenn Sie so freundlich wären und Ihr Gepäck hierherbringen lassen würden«, sagte Laurence. »Wir legen ab, sobald sich uns die nächste Möglichkeit bietet.«