Scholomance – Der letzte Absolvent - Naomi Novik - E-Book
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Scholomance – Der letzte Absolvent E-Book

Naomi Novik

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Beschreibung

Willkommen zurück an der Scholomance – der zweite Band der grandiosen New-York-Times-Bestseller-Reihe von Naomi Novik

Für El und Orion beginnt das letzte Jahr an der Scholomance und das tödliche Ritual der gefürchteten Abschlussprüfung wirft seine Schatten voraus. El setzt alles daran, dass ihre Gruppe überlebt. Doch die Chancen stehen von Tag zu Tag schlechter und der Kampf gegen die Schule wird immer brutaler. Bis El herausfindet, dass man manche Spiele nur gewinnen kann, wenn man alle Regeln über den Haufen wirft …
Unzählige Fans lieben die geistreichen, genial erzählten Geschichten der Bestsellerautorin Naomi Novik. Ihre starken Heldinnen widersetzen sich Konventionen und kämpfen für Gerechtigkeit. »Scholomance« bietet dunkle und rasante Abenteuer voller unerwarteter Wendungen.

Alle Bände der »Scholomance«-Trilogie:
Scholomance – Tödliche Lektion
Scholomance – Der letzte Absolvent
Scholomance – Die goldenen Enklaven

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Seitenzahl: 691

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Naomi Novik

Aus dem amerikanischen Englisch von Doris Attwood

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.»Der letzte Absolvent« ist ein fiktionales Werk. Namen, Figuren, Orte und Ereignisse sind entweder ein Produkt der Fantasie der Autorin oder sie sind fiktional gebraucht. Jegliche Ähnlichkeit zu realen – lebenden oder toten – Personen, Ereignissen oder Orten ist vollkommen zufällig.

Text © 2021 by Temeraire LLC

© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die Originalausgabe erschien erstmals 2020 unter dem Titel »The Last Graduate. Lesson Two of The Scholomance« bei Del Rey in der Penguin Random House Verlagsgruppe LLC, New York.

Del Rey is a registered trademark.

This translation is published by arrangement with Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Aus dem amerikanischen Englisch von Doris Attwood

Lektorat: Luitgard Distel

Illustrationen Vor- und Nachsatz: Elwira Pawlikowska, © 2021 by Penguin Random House LLC

Covergestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com (intueri, lena_nikolaeva, jumpingsack, Archiwiz, Nadezhda Shuparskaia, Gleb Guralnyk, Sonja Gebhardt)

kk · Herstellung: AJ

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27028-5V003www.cbj-verlag.de

Kapitel 1 Viperblase

Halte dich fern von Orion Lake.

Die meisten religiösen oder spirituellen Menschen, die ich kenne – und fairerweise muss ich sagen, dass es sich dabei größtenteils entweder um die Sorte Menschen handelt, die in einer gewissen heidnischen Kommune in Wales leben, oder eben um verängstigte Kinder von Hexen und Zauberern, die in eine Schule gesteckt wurden, die versucht sie zu töten –, flehen regelmäßig irgendeine wohlwollende und liebende allwissende Gottheit an, ihnen mittels wundersamer Zeichen und Omen nützliche Ratschläge zu geben. Als Tochter meiner Mutter kann ich mit einiger Gewissheit sagen, dass diese Ratschläge ihnen nicht gefallen würden, wenn sie welche bekämen. Wer will schon mysteriöse, nicht näher erklärte Ratschläge von jemandem, von dem man weiß, dass er nur das Beste für einen will, und dessen Urteil stets unfehlbar, aufrichtig und ehrlich ist? Entweder rät euch dieser jemand genau das, was ihr sowieso tun wolltet – in diesem Fall hättet ihr seinen Rat gar nicht gebraucht –, oder er rät euch das genaue Gegenteil, woraufhin ihr euch entscheiden müsst, ob ihr diesem Rat schmollend folgt – wie ein kleines Kind, dem man sagt, dass es sich die Zähne putzen und zu einer vernünftigen Zeit ins Bett gehen soll –, oder ob ihr ihn ignoriert und grimmig weitermacht wie bisher, wobei ihr wisst, dass euer Handeln am Ende nur zu Schmerz und Schrecken führen wird.

Falls ihr euch fragt, für welche dieser beiden Optionen ich mich entschieden habe, dann kennt ihr mich nicht gerade besonders gut, denn Schmerz und Schrecken sind ganz offensichtlich meine Bestimmung. Ich musste nicht mal darüber nachdenken. Mums Nachricht war unendlich gut gemeint, aber nicht gerade lang: Mein wundervolles Mädchen, ich liebe dich. Habe Mut und halte dich fern von Orion Lake. Ich erfasste den gesamten Text mit einem einzigen Blick und zerriss ihn sofort in mehrere Teile, während ich von aufgeregt umherwuselnden Frischlingen umgeben war. Den Fetzen mit Orions Namen darauf aß ich selbst und verteilte den Rest.

»Was ist das?«, fragte Aadhya. Sie sah mich immer noch entrüstet mit zusammengekniffenen Augen an.

»Es hebt die Stimmung«, antwortete ich. »Meine Mum hat es damit getränkt.«

»Ja, deine Mum, Gwen Higgins«, erwiderte Aadhya noch kühler. »Die du uns allen gegenüber schon so oft erwähnt hast.«

»Oh, jetzt iss es einfach«, sagte ich so gereizt, wie ich noch konnte, nachdem ich mein eigenes Stück gerade hinuntergeschluckt hatte. Allerdings fiel es mir gar nicht so schwer, wie ich es erwartet hätte, gereizt zu sein. Mir fällt nichts ein – weder die Sonne noch der Wind oder die Gewissheit, nachts sicher schlafen zu können –, was ich hier drin auch nur annähernd so sehr vermisse wie Mum. Deshalb hat mir der Zauber auch genau das gegeben: das Gefühl, zusammengekuschelt auf ihrem Bett zu liegen, mein Kopf auf ihrem Schoß, während sie mit einer Hand sanft über mein Haar streichelt, die Luft vom Duft der Kräuter erfüllt, mit denen sie arbeitet, und draußen vor der offenen Tür das leise Quaken von Fröschen und die nasse Erde eines Waliser Frühlings. Ihr Zauber hätte meine Stimmung definitiv unglaublich gehoben, wenn ich mir nicht gleichzeitig so große Sorgen darüber gemacht hätte, was sie mir über Orion zu sagen versuchte.

Die Liste der mich erheiternden Möglichkeiten war endlos. Die günstigste war noch, er sei dazu verdammt, viel zu jung eines grauenvollen Todes zu sterben, was angesichts seiner Vorliebe für Heldentaten ohnehin ziemlich vorhersehbar war. Leider gehört »sich mit einem dem Untergang geweihten Helden auf was auch immer einlassen« nicht zu den Dingen, vor denen meine Mutter mich warnen würde. Sie folgt vielmehr dem Motto »Genieße das Leben, bevor es vergeht«.

Mum würde mich nur vor etwas Bösem warnen, nicht vor etwas Schmerzvollem. Deshalb konnte Orion offensichtlich nur der brillanteste Malefizer aller Zeiten sein, der seine üblen Pläne verbarg, indem er allen anderen immer wieder das Leben rettete, nur damit er sie, keine Ahnung, später selbst töten konnte? Oder vielleicht machte Mum sich Sorgen, er könne so nervtötend sein, dass er mich dazu trieb, die brillanteste Malefizerin aller Zeiten zu werden, was wohl plausibler war, da mir dieses Schicksal angeblich ohnehin bevorstand.

Die wahrscheinlichste Option war natürlich, dass Mum es selbst nicht wusste. Sie hatte vermutlich einfach nur ein schlechtes Gefühl, was Orion betraf, aus irgendeinem unbestimmten Grund, den sie mir noch nicht einmal hätte erklären können, wenn sie mir einen zehnseitigen, doppelseitig beschriebenen Brief geschrieben hätte. Ein so schlechtes Gefühl allerdings, dass sie den ganzen Weg bis nach Cardiff getrampt war, um den am nächsten wohnenden, kurz vor der Einziehung stehenden Frischling ausfindig zu machen, und seine Eltern gebeten hatte, mir ihre ein Gramm schwere Nachricht zu überbringen. Ich streckte eine Hand aus und stieß Aaron an seiner dürren, kleinen Schulter an. »Hey, was hat Mum deinen Eltern dafür gegeben, dass du mir die Nachricht überbringst?«

Er drehte sich zu mir um und antwortete unsicher: »Gar nichts, glaube ich. Sie hat gesagt, dass sie nichts hat, womit sie sie bezahlen könnte. Aber sie hat sie gefragt, ob sie sich unter vier Augen unterhalten können, und dann hat sie mir die Nachricht gegeben und meine Mum hat etwas von meiner Zahnpasta rausgedrückt, um Platz dafür zu schaffen.«

Das mag vielleicht nach nichts klingen, aber niemand würde auch nur ein Gramm seiner ohnehin völlig unzureichenden erlaubten Gepäckmenge für vier Jahre an gewöhnliche Zahnpasta verschwenden. Ich selbst putze mir die Zähne mit Natron aus den Vorratsschränken im Alchemielabor. Wenn Aaron also welche mitgebracht hatte, dann war sie auf irgendeine Weise verzaubert – ziemlich nützlich, wenn man in den nächsten vier Jahren keinen Zahnarzt mehr zu Gesicht bekommt. Er hätte dieses Stückchen rausgequetschte Zahnpasta locker mit jemandem, der üble Zahnschmerzen hat, gegen eine Woche extra Abendessen tauschen können. Und seine Eltern hatten ihrem eigenen Kind diese Möglichkeit genommen – meine Mum hatte seine Eltern gebeten, ihrem eigenen Kind diese Möglichkeit zu nehmen –, nur um mir diese Warnung zukommen zu lassen.

»Großartig«, brummte ich finster. »Hier, iss das.« Ich reichte ihm ebenfalls ein Stück von meiner Nachricht. Wahrscheinlich brauchte er es mehr denn je in seinem Leben; schließlich war er gerade erst in die Scholomance eingezogen worden. Diese Schule ist zwar immer noch besser als der praktisch unvermeidliche Tod, der die Kinder von Hexen und Zauberern draußen erwartet, aber nicht viel besser.

In diesem Moment öffnete die Essensausgabe und der einsetzende Ansturm darauf störte meine düsteren Grübeleien.

»Alles okay?«, fragte Liu mich leise, während wir uns anstellten.

Ich starrte sie verblüfft an. Sie konnte keine Gedanken lesen oder so, aber sie hatte einfach ein Auge für Details, dafür, die einzelnen Puzzleteile richtig zusammenzusetzen. Sie zeigte auf meine Tasche, in die ich den letzten Fetzen der Nachricht gesteckt hatte – der Nachricht, deren Inhalt ich mit niemandem geteilt hatte, abgesehen von dem darin enthaltenen Zauber, der jegliche düstere Grübeleien hätte vertreiben sollen. Ich war nur verwundert, weil … sie mich überhaupt gefragt hatte. Ich war nicht daran gewöhnt, dass sich irgendjemand danach erkundigte, wie es mir ging – oder dass es überhaupt jemandem auffiel, wenn ich aufgewühlt war. Es sei denn, ich war so aufgewühlt, dass ich den Eindruck vermittelte, ich würde gleich alle in meiner direkten Umgebung in Flammen aufgehen lassen, was tatsächlich in gar nicht mal so unregelmäßigen Abständen der Fall war.

Ich musste erst über Lius Frage nachdenken, bevor ich mich entschied, dass ich nicht über die Nachricht reden wollte. Diese Möglichkeit hatte ich früher nie. Und sie zu haben, bedeutete, dass es der Wahrheit entsprach, als ich mit dem Kopf nickte und Liu versicherte, ja, alles okay, und sie dabei anlächelte, auch wenn sich das ein wenig seltsam und angespannt für meinen Mund anfühlte, unvertraut. Liu lächelte zurück, und dann waren wir an der Reihe und konzentrierten uns darauf, unsere Tabletts zu füllen.

In der Menge verloren wir unsere Frischlinge aus den Augen. Sie waren – natürlich – erst als Letzte an der Reihe, während wir das zweifelhafte Privileg hatten, als Erste dran zu sein. Niemand kann einen jedoch davon abhalten, eine Extraportion für die Neuen mitzunehmen, wenn man es sich leisten kann, und zumindest heute konnten wir es. Die Wände in der Schule waren nach der Schuljahresendreinigung immer noch ein bisschen warm. Alle Maleficaria, die nicht zu feiner Asche verbrannt worden waren, würden erst ganz langsam wieder aus den verschiedenen dunklen Ecken kriechen, in denen sie sich versteckt hatten. Es war daher unwahrscheinlich, dass das Essen verseucht war wie sonst immer. Also schnappte sich Liu eine Milchtüte für jeden ihrer Cousins, während ich eine Extraportion Pasta für Aaron auf meinen Teller packte, wenn auch ein wenig mürrisch. Eigentlich schuldete ich ihm gar nichts dafür, dass er mir die Nachricht überbracht hatte. Das wird nach der Scholomance-Etikette alles draußen geregelt. Andererseits hatte er draußen schließlich auch nichts dafür gekriegt.

Es war seltsam, fast als Erste den beinahe leeren Speisesaal zu betreten, während sich eine schier endlose Schlange von Kindern entlang der Wände um drei Ecken erstreckte. Die Zehntklässler stießen die Frischlinge an und zeigten auf die Deckenfliesen, die Abflüsse im Boden und die Lüftungsschlitze in den Wänden, auf die sie in Zukunft achten mussten. Die letzten zusammengeklappten Tische krochen wieder zurück auf die freie Fläche, die für die Ankunft der Frischlinge geschaffen worden war, und stellten sich – begleitet von lautem Quietschen und Knarren – an ihre Plätze. Meine Freundin Nkoyo – konnte ich sie wirklich als meine Freundin bezeichnen? Ich nahm es schon an, man hatte mir aber noch keine offizielle, in Stein gemeißelte Bestätigung überreicht, weshalb ich noch eine Weile zweifeln würde – war mit ihren besten Freunden bereits vorgegangen. Sie hatte einen erstklassigen Tisch ergattert, in der Reihe genau zwischen den Wänden und der Essensschlange unter nur zwei Deckenfliesen, der nächste Abfluss vier Tische entfernt. Sie reckte sich in die Höhe, winkte uns zu und war dabei nicht zu übersehen: Sie trug ein brandneues Top und eine weite Hose, beide mit einem wunderschönen Muster aus unterschiedlichen Wellenlinien, und ich war mir ziemlich sicher, dass ein Zauber darin eingewebt war. Das war der Tag des Jahres, an dem alle das eine neue Outfit auspackten, das sie pro Schuljahr mitgebracht hatten – meine eigene zusätzliche Garderobe war unglücklicherweise in meinem ersten Jahr hier in Flammen aufgegangen –, aber Nkoyo hatte diese Kombi eindeutig speziell für ihr Abschlussjahr reserviert. Jowani brachte zwei große Krüge mit Wasser an den Tisch, während Cora die Wächter hexte.

Es war seltsam, durch den Speisesaal zu gehen, um sich zu ihnen zu gesellen. Selbst wenn wir keine offizielle Einladung bekommen hätten, wären immer noch haufenweise gute Tische frei gewesen – und die ganzen schlechten. Es war zwar schon früher vorgekommen, dass ich mir einen Tisch hatte aussuchen können, aber jedes Mal nur aufgrund meiner ziemlich blöden, weil riskanten Idee, viel zu früh in den Speisesaal zu gehen. Wobei es sich für gewöhnlich um einen Akt der Verzweiflung meinerseits gehandelt hatte, weil ich mehrere Tage in Folge außergewöhnliches Pech bei den Mahlzeiten gehabt hatte. Jetzt war es einfach der normale Lauf der Dinge. Alle anderen, die sich ringsum einen Tisch suchten, waren ebenfalls Elftklässler – besser gesagt Zwölftklässler. Ich kannte die meisten von ihnen vom Sehen, aber nicht mit Namen. Unser Jahrgang war mittlerweile auf rund eintausend dezimiert worden, während wir anfangs etwa eintausendsechshundert gewesen waren. Das klingt vielleicht erschreckend, aber normalerweise sind zu Beginn des Abschlussjahres nicht mal mehr achthundert Zwölftklässler übrig. Und normalerweise schafft es nicht einmal die Hälfte von ihnen lebend durch die Abschlussprüfung.

Unsere Stufe hatte dem Ganzen allerdings einen beträchtlichen Strich durch die Rechnung gemacht, und der ließ sich in diesem Moment neben mir am Tisch nieder. Nkoyo wartete kaum ab, bis Orion und ich uns gesetzt hatten, bevor sie herausplatzte: »Hat es funktioniert? Habt ihr den Mechanismus repariert?«

»Wie viele Mals waren da unten?«, wollte Cora gleichzeitig wissen und ließ sich atemlos auf ihren eigenen Platz sinken, den kleinen Tonkrug noch immer in der Hand, mit dem sie den Schutzzauber um den Tisch getröpfelt hatte.

Sie waren nicht unhöflich, nicht nach den Benimmregeln der Scholomance: Es war ihr gutes Recht, uns danach zu fragen, denn schließlich hatten sie den Tisch organisiert. Das war ein mehr als fairer Tausch für ein paar Informationen aus erster Hand. Die restlichen Zwölftklässler füllten eilig die Tische ringsum – und schufen so einen sicheren Bereich um uns –, um besser mithören zu können, wobei sich diejenigen, die weiter entfernt saßen, schamlos nach vorn beugten und die Hände wie Trichter an ihre Ohren legten, während ihre Freunde ihnen den Rücken deckten.

Alle in der Schule verfügten bereits über eine ganz entscheidende Information: Orion und ich hatten es entgegen den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nach unserem entzückenden kleinen Ausflug in den Festsaal an diesem Morgen lebend zurückgeschafft. Ich hatte mich allerdings für den Rest des Tages in meinem Zimmer verkrochen, und Orion mied menschliche Wesen ohnehin meistens, es sei denn, sie wurden gerade von einem Mal verspeist. Deshalb hatten unsere Mitschüler alles andere nur durch die Gerüchteküche der Schule erfahren, die man allerdings nicht als besonders vertrauenswürdige Informationsquelle bezeichnen konnte, vor allem, wenn man sich auf sie stützen musste, um zu überleben.

Ich war zwar nicht begeistert, dieses jüngste Ereignis noch einmal zu durchleben, wusste aber, dass sie ein Recht darauf hatten, alles zu hören, was ich ihnen berichten konnte. Und unstrittig war ich diejenige, die es ihnen berichten musste, denn bevor die Essensausgabe geöffnet hatte, hatte ich mitbekommen, wie Jermaine, ein Zwölftklässler aus New York, Orion eine ganz ähnliche Frage gestellt hatte und der antwortete: »Ich glaube, es ist gut gelaufen. Ich hab nicht wirklich was mitgekriegt. Ich hab nur die Mals abgewehrt, bis die anderen fertig waren, und dann sind wir wieder nach oben gezappt.« Es war nicht mal Angeberei – genau so hatte er das Ganze erlebt. Tausend Mals im Festsaal abzuschlachten, war für ihn nichts weiter als ein ganz normaler Schultag. Beinahe hätte mir Jermaine leidgetan, der ein Gesicht machte, als versuche er eine äußerst wichtige Unterhaltung mit einer Backsteinmauer zu führen.

»Eine Menge«, antwortete ich Cora trocken. »Der ganze Saal war vollgestopft und sie waren alle total ausgehungert.«

Sie schluckte und kaute auf ihrer Unterlippe herum, nickte dann jedoch.

An Nkoyo gewandt fügte ich hinzu: »Die Erschaffer aus der Zwölften waren sich auf jeden Fall ziemlich sicher, dass sie es geschafft haben. Und sie haben gut eine Stunde gebraucht. Deshalb hoffe ich doch, dass sie nicht nur rumgetrödelt haben.«

Sie nickte, ihre Miene angespannt. Es war alles andere als eine theoretische Frage. Wenn wir die Maschine im Festsaal wirklich repariert hatten, dann hatten dieselben Motoren, die den Reinigungsmechanismus hier oben zweimal im Jahr in Gang setzten, um die Mals – die sämtliche Korridore und Klassenzimmer befielen – zu verbrennen, auch den Mechanismus dort unten ausgelöst und eine beträchtliche Anzahl der viel größeren und schlimmeren Mals ausgelöscht, die im Saal auf ihr Festmahl aus leckeren Zwölftklässlern gewartet hatten. Was bedeutete, dass wahrscheinlich ein Großteil der Abschlussklasse überlebt hatte. Und was noch viel entscheidender war: dass auch ein Großteil unserer Abschlussklasse dadurch bessere Chancen hatte, es zu schaffen.

»Glaubst du, sie haben es wirklich geschafft? Clarita und die anderen?«, fragte Orion und blickte stirnrunzelnd auf das durchgerührte Einerlei aus Kartoffeln, Erbsen und Hackfleisch, das die Essensausgabe als Jägerpfanne bezeichnet hatte, auch wenn es sich dabei zum Glück nur um eine Hack-Kartoffelpfanne handelte. An einem schlechten Tag hätte das Gericht tatsächlich aus Jägern bestanden. Abgesehen vom Namen war es noch immer so heiß, dass es dampfte – nicht dass Orion dieses kleine Wunder auch nur im Geringsten zu schätzen wusste.

»Das werden wir am Ende des Schuljahrs herausfinden, wenn wir mit dem Spießrutenlauf dran sind«, antwortete ich.

Wenn wir es nicht geschafft hatten, die Maschinerie zum Laufen zu bringen, dann waren die diesjährigen Abschlussschüler in einer Horde aus total ausgehungerten, wütenden Maleficaria gelandet und wahrscheinlich massenweise zerfetzt worden, bevor sie auch nur in die Nähe der Tore gekommen waren. Und dann blühte unserer Klasse das Gleiche in genau dreihundertfünfundsechzig Tagen – was eine wirklich entzückende Aussicht war, und mit genau diesem Gedanken im Kopf fügte ich hinzu: »Da wir es sowieso nicht vorher herausfinden können, hat es überhaupt keinen Sinn, darüber nachzugrübeln – also würdest du bitte aufhören, dein unschuldiges Abendessen so zu malträtieren? Das verdirbt mir den Appetit.«

Orion bedachte mich mit einem Augenrollen und stopfte sich als Antwort völlig übertrieben einen riesigen Löffel voll in den Mund – was seinem Gehirn jedoch die Chance gab zu erkennen, dass er ein unterernährter Teenager war, weshalb er urplötzlich begann, das Essen auf seinem Teller mit echter Hingabe in sich reinzuschaufeln.

»Falls es funktioniert hat – was glaubst du, wie lange es hält?«, fragte eine von Nkoyos anderen Freundinnen, ein Mädchen aus der Enklave von Lagos, die sich mit einem Platz am Ende des Tisches zufriedengegeben hatte, um wenigstens alles mitzubekommen. Eine weitere gute Frage, auf die ich keine Antwort hatte, da ich selbst keine Erschafferin war. Über die Reparatur – die hinter mir durchgeführt worden war und außerdem auf Chinesisch, das ich nicht beherrschte –, wusste ich nur, dass die Erschaffer dabei einen mehr oder weniger konstanten Strom an Wörtern von sich gegeben hatten, der verdächtig nach Flüchen geklungen hatte. Orion hatte nicht einmal das mitbekommen: Er hatte sich außerhalb des Schutzschirms vor uns allen aufgebaut und reihenweise Mals erledigt.

Aadhya antwortete an meiner Stelle: »Damals, als noch die Teams aus der Enklave von Manchester den Mechanismus im Festsaal repariert haben, hat er für mindestens zwei Jahre gehalten, manchmal auch für drei, bevor sie wieder ranmussten. Ich würde darauf wetten, dass er zumindest dieses Jahr funktioniert, vielleicht noch nächstes.«

»Aber länger auch nicht«, fügte Liu leise hinzu und blickte quer durch den Raum zu ihren Cousins hinüber, die nun mit Aaron und Pamyla, dem Mädchen, das Aadhyas Brief mitgebracht hatte, an ihrem eigenen Tisch saßen, umgeben von einer ziemlich großen, dichten Traube anderer Frischlinge: die Art von Gesellschaft, in deren Genuss normalerweise nur Kinder aus Enklaven kamen – was mich überraschte. Bis mir aufging, dass – natürlich – ein wenig Glanz von Orion, dem Helden der Stunde, auf sie abgefärbt hatte, allein weil sie sich in seiner Nähe befunden hatten. Und dann ging mir auf, dass ein Teil dieses Glanzes womöglich von mir ausgestrahlt hatte, da mich sämtliche Frischlinge als über ihnen stehende Zwölftklässlerin betrachteten, die noch dazu an der Reparatur im Festsaal beteiligt gewesen war, und nicht als gruselige Außenseiterin, für die mich meine eigene Stufe immer gehalten hatte.

Und – inzwischen betrachtete mich niemand mehr als gruselige Außenseiterin. Ich war mit Aadhya und Liu ein Bündnis für die Abschlussprüfung eingegangen, eins der ersten Bündnisse unserer Stufe. Ich war an einen der sichersten Tische im ganzen Speisesaal eingeladen worden, von jemandem, der durchaus die Wahl gehabt hätte. Ich hatte Freunde, was sich noch unwirklicher anfühlte, als lange genug zu überleben, um es in die Abschlussklasse zu schaffen, was ich – gänzlich und ausschließlich – Orion Lake zu verdanken hatte. Und es war mir offen gestanden egal, welchen Preis ich am Ende dafür bezahlen musste. Denn dass all das seinen Preis hatte, stand außer Frage. Mum hatte mich schließlich nicht ohne Grund gewarnt, aber das kümmerte mich nicht. Ich würde den Preis zahlen, ganz gleich, was es war.

Kaum hatte ich diesen Beschluss gefasst, hörte ich auf, mir wegen Mums Nachricht Sorgen zu machen. Ich brauchte mir nicht mal mehr zu wünschen, sie hätte sie mir nie geschickt. Mum hatte sie mir schicken müssen, weil sie mich liebte, aber schließlich kannte sie Orion überhaupt nicht. Sie konnte nicht anders, als mich warnen, wenn sie glaubte, dass ich seinetwegen auf einem schlechten Weg war. Ich konnte ihre Liebe festhalten, sie spüren und trotzdem beschließen, dass ich bereit war, den Preis zu zahlen. Ich schob die Hand in die Hosentasche, um das letzte Stück der Nachricht, das ich mir aufgespart hatte, mit den Fingerspitzen zu berühren, das Stück, auf dem Mut stand. Später am Abend aß ich es, bevor ich auf meinem schmalen Bett in der untersten Etage der Scholomance einschlief. Dann träumte ich davon, ich sei wieder ein kleines Mädchen, das über weite Felder rannte, umgeben von wucherndem Gras und hohen Blumen mit violetten Glockenblüten, wobei ich wusste, dass meine Mum ganz in der Nähe war, mir zusah und sich freute, dass ich glücklich war.

Das wunderbar warme Gefühl hielt am nächsten Morgen noch fünf Sekunden an, weil ich so lange brauchte, um richtig wach zu werden. In den meisten Schulen beginnen nach dem Schuljahresende die Ferien. Hier findet morgens die Abschlussprüfung statt, am Abend die Einziehung – man gratuliert sich selbst und seinen überlebenden Freunden dazu, so lange durchgehalten zu haben – und am nächsten Tag beginnt das neue Schuljahr. Aber ehrlich gesagt würde in der Scholomance auch nicht wirklich Urlaubsstimmung aufkommen.

Am ersten Tag des Schuljahres müssen wir noch vor dem Frühstück in unser neues Stamm-Klassenzimmer und uns unseren Stundenplan zusammenstellen. Ich fühlte mich immer noch ziemlich fertig – eine halb verheilte Bauchwunde neigt dazu, sich zu verschlimmern, wenn man in bester Bungee-Jumping-Manier mit einem Zapper-Zauber durch die Gegend saust und dergleichen. Ich hatte meinen Wecker absichtlich so gestellt, dass er mich fünf Minuten vor dem Ende der nächtlichen Sperrstunde weckte, weil ich mir absolut sicher war, dass ich, egal wo sich mein Klassenzimmer befand, eine halbe Ewigkeit brauchen würde, um dorthin zu gelangen. Und siehe da: Als der Zettel mit der Mitteilung um 5:59 Uhr unter meiner Tür hindurchflatterte, beorderte er mich zu Zimmer 5013. Ich starrte ihn an. Zwölftklässler kriegen so gut wie nie Klassenzimmer zugeteilt, die oberhalb des dritten Stocks liegen, weshalb ich mich eigentlich hätte freuen sollen – außer dass es sich dabei eben nur um mein Stamm-Klassenzimmer handelte, und ich mir sicher war, dass ich so hoch oben niemals für einen normalen Kurs eingeteilt werden würde. Außerdem gab es auf dieser Etage – jedenfalls soweit ich wusste –, überhaupt keine Klassenzimmer: Im fünften Stock befindet sich nur die Bibliothek. Vermutlich schickte mich die Schule zu irgendeinem tief im Magazin versteckten Aktenschrank, zusammen mit einer Handvoll anderer unglücklicher und mir fremder Schüler.

Ich putzte mir nicht mal die Zähne, sondern spülte mir den Mund einfach mit Wasser aus meinem Krug aus und machte mich auf den Weg, während die ersten anderen Zwölftklässler gerade mal in Richtung Waschraum trotteten. Ich sparte mir auch die Mühe herumzufragen, ob sonst noch jemand denselben Weg hatte wie ich: Ich war mir sicher, dass niemand, den ich gut genug kannte, um mich mit ihm oder ihr zu unterhalten, dasselbe Los getroffen hatte wie mich. Stattdessen winkte ich Aadhya, die gerade mit ihrem Waschbeutel aus ihrem Zimmer kam, nur im Vorbeigehen zu, und sie grüßte mit einem Nicken zurück, weil sie sofort verstand, was los war. Sie gab mir zur Ermutigung zwei Daumen hoch und ging weiter, um Liu abzuholen. Traurigerweise waren wir alle vertraut mit den Gefahren, die ein langer Weg zu einem Klassenzimmer mit sich brachte, und unser Jahrgang hatte nun die längsten Wege von allen.

Für uns gab es kein weiterunten mehr: Gestern, als die Schlafräume der Abschlussklasse zum Festsaal hinabrotiert waren, waren ihnen unsere automatisch gefolgt, um deren Plätze auf der untersten Ebene der Schule einzunehmen. Ich musste einmal rundherum bis zum Treppenabsatz trotten, dann äußerst vorsichtig weiter durch die Werkstattebene schleichen – ja, es war der Tag nach der Reinigung, aber es war nie gut, morgens die Erste auf einer Etage mit Klassenzimmern zu sein – und anschließend fünf steile Doppeltreppen nach oben steigen.

Sie kamen mir alle mindestens doppelt so lang vor wie normalerweise. Entfernungen sind in der Scholomance extrem relativ. Sie können lang sein, quälend lang, sogar ans Unendliche grenzen, was hauptsächlich davon abhängt, wie sehr man sich wünscht, sie wären es nicht. Es half auch nicht, dass ich so früh dran war. Ich sah nicht mal einen einzigen anderen Schüler, bis ich an den Schlafräumen der Zehntklässler vorbeikeuchte, wo die Frühaufsteher, hauptsächlich aus dem Alchemie- und Erschafferzweig, bereits in kleinen Gruppen die Stufen hinuntereilten, weil sie hofften, so einen besseren Platz in der Werkstatt oder in einem der Labors zu ergattern. Als ich die Ebene der Neuntklässler erreichte, war das übliche Morgengetümmel in vollem Gange, aber da sie alle Frischlinge waren, die an ihrem ersten Tag noch keine Ahnung hatten, wo sie hinmussten, machte das die Treppe auch nicht schneller.

Das einzig Gute an dem ganzen mühsamen Aufstieg war, dass ich meinen Speicherkristall die ganze Zeit fest mit meiner Faust umschlossen hielt und mich darauf konzentrierte, ihn mit Mana zu füllen. Auf den letzten Stufen, als mein Bauch bebte und meine Oberschenkel wie Feuer brannten, wurde das Glühen zwischen meinen Fingern mit jedem Schritt deutlich heller, und als ich im vollkommen leeren Lesesaal ankam, hatte ich den Kristall zu gut einem Viertel gefüllt.

Eigentlich brauchte ich dringend eine kleine Verschnaufpause, aber ich war kaum stehen geblieben, als von unten die Fünf-Minuten-Warnglocke ertönte. Erschöpft durchs Magazin zu torkeln und nach einem Klassenzimmer zu suchen, das ich noch nie zuvor gesehen hatte, garantierte praktisch ein Zuspätkommen, was keine gute Idee war. Deshalb gab ich widerwillig etwas von meinem schwer verdienten Mana für einen Findezauber aus, der mich fröhlich direkt in einen stockfinsteren Bereich des Magazins lotste. Ich blickte mich ohne große Hoffnung noch einmal zu den Treppen um, aber es tauchte niemand auf, um sich mir anzuschließen.

Der Grund dafür wurde mir klar, als ich das Klassenzimmer endlich erreichte, das hinter einer einzelnen dunklen Holztür lag, die sich ganz versteckt zwischen zwei großen Schränken voller antiker, vergilbter Landkarten befand. Ich öffnete die Tür und erwartete, etwas wirklich Grauenvolles dahinter vorzufinden, was auch der Fall war: acht Frischlinge, die sich alle zu mir umdrehten und mich anstarrten wie ein Rudel kleiner und besonders bedauernswerter Rehe, die jede Sekunde von einem riesigen Lkw niedergemacht werden würden. Es war nicht mal ein Zehntklässler unter ihnen zu finden. »Das soll wohl ein Witz sein«, stieß ich angewidert aus, bevor ich in die erste Reihe stapfte und mich auf den besten Platz im ganzen Raum setzte – vier Plätze von der Wand entfernt –, den ich mir sichern konnte, ohne irgendjemanden vertreiben zu müssen, weil sie die erste Reihe fast völlig leer gelassen hatten, als seien sie immer noch in der Grundschule und hätten Angst, wie der Liebling der Lehrerin zu wirken. Aber die einzigen Lehrer hier drin sind die Maleficaria, und die wollen keine Lieblinge – die wollen Mittagessen.

Die Pulte waren bezaubernde edwardianische Originalmöbel, also uralt, zu klein für meine 1,78 Meter und unglaublich unbequem. Sie waren aus Schmiedeeisen und würden sich im Notfall nur schwer bewegen lassen. Das an meinem Stuhl befestigte Pult war etwas zu klein für ein normal großes Blatt Papier und vor etwa 120 Jahren wohl sehr schön glatt und glänzend poliert gewesen. Inzwischen war es furchtbar verkratzt, und andere Schüler hatten über die Schmierereien ihrer Vorgänger gekritzelt, um noch irgendwo Platz für ihre Botschaften schierer Verzweiflung zu finden. Irgendwer hatte als ordentliche Umrandung rund um die L-förmige Tischplatte immer wieder LASST MICH RAUS in roter Tinte geschrieben, die jemand anders mit gelbem Textmarker markiert hatte.

Nur eine der Neuen hatte sich in die erste Reihe gewagt und sich den Platz ausgesucht, der eigentlich der beste gewesen wäre, sechs Stühle von der anderen Wand entfernt – es ist immer klüger, sich weiter von der Tür wegzusetzen –, außer dass sich zwei Reihen dahinter ein Lüftungsschacht im Boden befand – der jedoch im Augenblick von der Schultasche eines noch dämlicheren Frischlings blockiert war, weshalb man nicht sehen konnte, dass er da war, es sei denn, man bemerkte, dass die anderen drei Lüftungsschächte im Boden ein Quadrat bildeten, an dem die vierte Ecke fehlte. Sie beobachtete mich, während ich mich ihr näherte, als würde sie erwarten, dass ich sie von ihrem Platz verscheuchte. Ältere haben hier durchaus gewisse Vorrechte, und Zwölftklässler sind selten schüchtern, wenn es darum geht, sie für sich zu nutzen. Als ich mich auf den tatsächlich besten Platz setzte, blickte sie hinter sich, erkannte ihren Fehler, schnappte sich hastig ihre Tasche und ging langsam die Reihe entlang. »Ist der Platz besetzt?«, fragte sie und deutete ziemlich nervös auf den Stuhl neben mir.

»Nein«, antwortete ich gereizt. Ich war genervt, weil es durchaus sinnvoll war, sie neben mir sitzen zu lassen, da es meine Chancen nur verbesserte, andere Ziele in der Nähe zu haben. Trotzdem wollte ich das nicht unbedingt. Sie war aus einer Enklave, keine Frage. An ihrem Handgelenk befand sich irgendein Schildhalter, bei dem täuschend langweilig aussehenden Ring an ihrem Finger handelte es sich mit ziemlicher Sicherheit um einen Kraftteiler und sie war bereits auf die Scholomance-Taktik gedrillt worden: Sie wusste, wie sie die besten Plätze in einem Raum erkannte – selbst an ihrem allerersten Schultag, wenn man als Neuankömmling noch zu durcheinander ist, um sich an all die Ratschläge zu erinnern, die einem die Eltern mit auf den Weg gegeben haben, und sich stattdessen nur unter all die anderen Frischlinge mischte wie ein Zebra, das versucht, sich in der Herde zu verstecken. Außerdem war das Mathebuch in ihrer Tasche auf Chinesisch und obendrein beherrschte sie Englisch ebenfalls absolut fließend. Das bedeutet viel Arbeit, selbst wenn man mit einer der beiden als Muttersprache aufgewachsen ist, aber das war sie nicht: Ihr Heft hatte ein thailändisches Schildchen. Wahrscheinlich hatte sie schon im Alter von zwei Jahren die teuersten Sprachkurse besucht, die man für Enklaven-Reichtum kaufen konnte. Außerdem plante sie vermutlich, sich gleich umzudrehen und den anderen zu erklären, dass sie auf den schlechten, weil gefährlichen Plätzen saßen, damit sie alle verstanden, wo sie sich in der Hackordnung befanden: unter ihr. Im Grunde war ich nur überrascht, dass sie es ihnen nicht schon längst klargemacht hatte.

Dann sagte einer der anderen Frischlinge hinter uns zaghaft: »Hallo, El?«, und ich erkannte, dass er einer von Lius Cousins war. »Guo Yi Zheng«, fügte er hinzu, was hilfreich war, da ich die Einziehungsfeier mit der absoluten Gewissheit verlassen hatte, keinen der Frischlinge von dort je wiedersehen zu müssen, höchstens rein zufällig. Deshalb hatte ich gar nicht erst versucht, mir ihre Namen zu merken. Hier drin vermischen sich die Klassenstufen nicht wirklich. Dafür sorgen schon unsere Stundenpläne. Die Zwölftklässler verbringen fast ihre gesamte Zeit auf den unteren Ebenen, während die Frischlinge die sichereren Klassenzimmer weiter oben bekommen. Wenn man als Frischling häufiger an den Orten abhängt, an denen sich hauptsächlich Zwölftklässler aufhalten, bettelt man förmlich darum, gefressen zu werden, und es finden sich immer Maleficaria, die dieser Bitte gern nachkommen.

Andererseits hielt man sich lieber in ihrer Nähe auf, wenn man schon mal eine Schülerin aus den höheren Klassen in Reichweite hatte, als es nicht zu tun. Zheng schnappte sich bereits seine Tasche und eilte zu mir, was eine ziemlich gute Idee war, da er bislang am nächsten an der Tür gesessen hatte.

»Darf ich mich zu dir setzen?«

»Ja, klar«, antwortete ich. Er störte mich nicht. Durch die Tatsache, dass Liu meine Bündnispartnerin war, hatte ihr Frischlings-Cousin zwar keinen automatischen Anspruch auf mich, aber den brauchte er auch gar nicht. Sie war meine Freundin. »Behalte die Lüftungsschächte im Auge, auch auf der Bibliotheksebene«, fügte ich hinzu. »Und du warst viel zu nah an der Tür gesessen.«

»Oh. Ja, natürlich, ich war nur –«, stammelte er und blickte sich zu den anderen Kindern um, aber ich schnitt ihm das Wort ab.

»Ich bin nicht deine Mum«, sagte ich absichtlich unhöflich. Man tut Frischlingen keinen Gefallen, wenn man sie in dem Glauben lässt, hier drinnen gebe es irgendwelche Heldenfiguren, von Orion Lake mal abgesehen. Ich konnte ihn nicht retten – ich hatte schon genug damit zu tun, mich selbst zu retten. »Ich brauche keine Erklärung. Ich sage es dir nur. Hör auf mich oder lass es.«

Er hielt die Klappe und setzte sich ein wenig verlegen.

Natürlich war es richtig gewesen, in der Nähe seiner Mitschüler zu bleiben: Es gibt einen Grund, warum Zebras in Herden leben. Aber es ist die Sache nicht wert, wenn man durch die anderen Zebras in eine echt miese Lage gebracht wird. Wenn du Pech hast, lernst du diese Lektion ziemlich schnell, weil der Löwe dich frisst anstatt die anderen – und wenn man ich war, lernte man sie, weil man mit ansah, wie der Löwe jemand anders verspeiste: einen der anderen Loser, der kein so vollkommen hoffnungsloser Fall war wie man selbst und der daher am Ende der Reihe sitzen durfte, zwischen der Tür und den Schülern, die wichtig waren.

Und da Zheng einer von denen war, die wichtig waren – zumindest war er näher dran als alle anderen hier, abgesehen von der Enklavlerin –, sollte er sich nicht ans Ende der Reihe drängen lassen. Es ist allgemein bekannt, dass Lius Familie kurz davor steht, eine eigene Enklave zu errichten. Sie sind bereits eine so große Gruppe, dass Liu von einem entfernten Verwandten eine ganze Kiste mit gebrauchten Sachen geerbt hat, als sie hier ankam, und auch sie hat Zheng und seinem Zwillingsbruder Min jeweils einen Beutel mit Sachen daraus gegeben, wobei sie ihnen am Ende des Schuljahres auch noch den Rest überlassen wird. Sie waren keine Enklavler, aber sie waren auch keine Loser. Trotzdem benahm er sich im Augenblick noch, als sei er ein ganz gewöhnliches menschliches Wesen und kein Schüler der Scholomance.

Von den anderen Frischlingen hörte ich ein Raunen. Während wir uns unterhalten hatten, waren die Entwürfe für unsere Stundenpläne auf unseren Pulten erschienen, auf dieselbe Weise wie immer: Man wendet nur eine Sekunde lang den Blick ab, und wenn man wieder hinschaut, sind sie plötzlich da, als hätten sie schon immer dort gelegen. Wenn du versuchst, besonders clever zu sein, und ohne zu blinzeln auf dein Pult starrst, damit die Schule deinen Stundenplan nicht abliefern kann, passiert höchstwahrscheinlich irgendetwas Unschönes, um eine Gelegenheit dafür zu schaffen – es geht zum Beispiel das Licht aus –, und deshalb fängst du dir von den anderen im Raum mindestens eine ein oder sie halten dir die Augen zu, wenn sie dich bei dem Versuch erwischen, die Schule auszutricksen. Es ist nämlich so, dass man eine Menge mehr Mana einsetzen muss, um anderen Magie auf eine Weise zu zeigen, an die sie instinktiv nicht glauben, weil es bedeutet, dass man sie ihnen ebenso aufzwingen muss wie dem Universum. Das ist auch einer der Gründe, warum Hexen und Zauberer vor Gewöhnlichen fast nie echte Magie anwenden. Es ist viel schwieriger, es sei denn, man tarnt die Magie irgendwie als Show oder macht es vor Leuten, die alles dafür tun, an diese Magie zu glauben, ganz egal, wie sie aussieht – so wie Mum mit ihrem Naturheilkram und all ihren durchgeknallten Freunden draußen im Wald.

Obwohl wir Hexen und Zauberer sind, erwarten wir nicht wirklich, dass Dinge urplötzlich aus dem Nichts auftauchen. Wir wissen zwar, dass es möglich ist – deshalb ist es nicht so schwierig, uns davon zu überzeugen –, doch andererseits besitzen wir mehr eigenes Mana, um dieser Überzeugung entgegenzuwirken. Es kostet die Schule viel weniger, etwas auf unser Pult zu schmuggeln, während wir kurz nicht hinschauen – so als hätte es jemand einfach dort hingelegt –, als uns zusehen zu lassen, wie es sich materialisiert.

Zheng versuchte bereits an mir vorbeizulinsen und einen Blick auf den Stundenplan der Enklavlerin zu werfen.

Ich seufzte und sagte zu ihm: »Geh schon und setz dich neben sie.« Es gefiel mir zwar nicht, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es aus seiner Sicht ganz offensichtlich eine gute Idee war, wenn er sich an sie ranschmiss. Er zögerte noch, wahrscheinlich, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Ich nehme an, dass ihm seine Mutter zu diesem Thema ebenfalls einen Vortrag gehalten hatte. Doch dann erhob er sich, ging zu der Thailänderin hinüber und stellte sich ihr vor.

Fairerweise muss ich sagen, dass sie ihn mit einer höflichen Wai-Geste begrüßte und ihn mit einer freundlichen Handbewegung einlud, sich neben sie zu setzen. Normalerweise muss man schon etwas mehr Energie aufwenden, um sich bei einem Enklavler einzuschleimen. Aber ich nahm an, er hatte bisher einfach keine Konkurrenz. Nachdem er sich gesetzt hatte, standen noch ein paar andere Frischlinge auf und setzten sich auf die Plätze hinter ihnen, und dann begannen sie alle, ihre Stundenpläne zu vergleichen. Die Enklavlerin arbeitete bereits an ihrem eigenen, noch dazu in einer Geschwindigkeit, die vermuten ließ, dass sie genau wusste, was sie tat. Dann begann sie, den anderen ihren zu zeigen und sie auf Probleme bei deren Stundenplänen hinzuweisen. Ich nahm mir vor, mir Zhengs anzuschauen, nachdem er damit fertig war, nur für den Fall, dass sie lediglich so hilfsbereit war, um selbst einen Vorteil daraus zu ziehen.

Aber zuerst musste ich mich um meinen eigenen Stundenplan kümmern – und ein Blick genügte, um zu wissen, dass ich mich auf etwas gefasst machen konnte. Ich hatte gewusst, dass ich in meinem Abschlussjahr zwei Seminare würde belegen müssen. Das ist der Preis, den man dafür bezahlt, dass man sich für den Beschwörungszweig entscheidet und so in den ersten drei Jahren seine Zeit auf den unteren Etagen auf ein Minimum beschränken kann. Aber ich war gleich für vier eingeteilt worden – oder für fünf, wenn man das krasse doppelstündige Seminar auch doppelt zählte, das jeden Morgen in den beiden allerersten Stunden stattfinden würde und den schlichten Titel trug: Lektüreseminar für Fortgeschrittene in Sanskrit mit Anweisungen auf Englisch. Die Seminararbeit konnte ich mir laut Beschreibung für Sanskrit und Arabisch anrechnen lassen, was verdächtig wenig Sinn ergab, außer wir würden darin mittelalterliche islamische Versionen von Manuskripten auf Sanskrit studieren – wie etwa das, das ich erst vor zwei Wochen in der Bibliothek bekommen hatte. Und damit wäre das Feld so stark eingeschränkt, dass ich von Glück sagen konnte, wenn mit mir noch drei andere Schüler in diesem verfluchten Klassenzimmer saßen. Ich starrte auf die Beschreibung, die ganz oben einmal quer über den Stundenplan lief, als hätte sich eine Leiste aus Blei darauf manifestiert. Ich hatte damit gerechnet, das Standardseminar Sanskrit auf Englisch zu kriegen, was bedeutet hätte, dass man mich in einen der größeren Seminarräume auf der Alchemielabor-Ebene mit rund einem Dutzend indischer Schüler aus dem Erschaffer- und Alchemiezweig zusammengesteckt hätte, die Sanskrit als Sprachenpflichtfach hatten.

Und ich konnte nicht so einfach eine Überschneidung geltend machen, weil sich in diesem Klassenzimmer nicht ein einziger anderer Schüler der Abschlussklasse befand, mit dem ich meinen Stundenplan hätte vergleichen können. Normalerweise gab es wenigstens ein oder zwei andere Loser, die mich widerwillig einen Blick auf ihren Stundenplan werfen ließen, wenn sie dafür meinen sehen durften. Für gewöhnlich fand ich so mindestens ein oder zwei Kurse, für die ich mich anmelden und die Schule so dazu zwingen konnte, meine schlimmsten Kurse zu tauschen. Man darf bis zu drei Kurse ändern, solange man alle Anforderungen erfüllt, und die Scholomance muss dann den Rest des Stundenplans drum herum arrangieren. Wenn man allerdings keine Ahnung hat, was es sonst noch für Kurse gibt oder wann sie stattfinden, gleicht das Ganze einem reinen Glücksspiel, bei dem man am Ende mit Sicherheit verliert.

Das Lektüreseminar für Fortgeschrittene hätte schon mehr als ausgereicht, um meinen Stundenplan außergewöhnlich mies zu machen; zu allem Überfluss hatte ich aber auch noch einen wirklich wundervollen Kurs mit dem Titel Die Entwicklung der Algebra und ihre Anwendungsmöglichkeiten bei Beschwörungen, den ich mir für Sprachen – die nicht näher definiert waren, was ein ganz übles Vorzeichen dafür war, dass ich haufenweise Primärquellen in unterschiedlichen Sprachen übersetzen durfte – sowie Geschichte und Mathematik als Hauptfach anrechnen lassen konnte. Ansonsten war ich für keine weiteren Mathekurse eingetragen. Deshalb standen meine Chancen, aus dieser speziellen Nummer herauszukommen, äußerst schlecht. Und dann war da noch das einzige elende Seminar, das ich tatsächlich erwartet hatte – Gemeinsame proto-indoeuropäische Wurzeln moderner Zaubersprüche –, das eigentlich nicht mein einfachster Kurs hätte sein sollen, sowie last, but alles andere als least ein Kurs mit dem Titel Die Myrddin-Tradition, den ich mir für Literatur, Latein, modernes Französisch, modernes Walisisch und Alt- und Mittelenglisch anrechnen lassen konnte. Ich wusste schon jetzt, dass ich spätestens in der dritten Woche nur noch altfranzösische und mittelwalisische Zaubersprüche bekommen würde.

Die übrigen Stunden waren mit Unterricht in der Werkstatt gefüllt – wobei ich berechtigterweise hätte verlangen können, davon befreit zu werden, da ich im letzten Schuljahr einen magischen Spiegel hergestellt hatte, der mir hin und wieder immer noch düsteres Zeug zuraunte, obwohl ich ihn mit dem Gesicht zur Wand aufgehängt hatte – und die Schule hatte mich ins Leistungsfach Alchemie gesteckt, wobei mein Unterricht in unterschiedlichen Klassen stattfand: einmal montags und donnerstags, einmal dienstags und freitags. Ich war damit an jedem Tag der Woche mit anderen Schülern zusammen, was es mir noch schwerer machen würde als ohnehin schon, jemanden zu finden, der mal kurz etwas festhielt, das ich verschweißen musste, oder der ein Auge auf meine Tasche hatte, wenn ich etwas aus dem Materialschrank holen musste.

Bis zu diesem Punkt war das wahrscheinlich der schlimmste Stundenplan für einen Zwölftklässler, von dem ich jemals gehört hatte. Nicht mal diejenigen meiner Mitschüler, die um den Titel als Jahrgangsbeste oder -bester wetteiferten, belegten vier Seminare. Doch als wollte die Schule damit alles wiedergutmachen, war ich den gesamten Mittwochnachmittag für rein gar nichts eingeteilt. An der entsprechenden Stelle stand schlicht »Lernen«, genau wie bei der Lernzeit, die wir alle nach dem Mittagessen haben, nur dass mir in diesem speziellen Fall ein Raum zugeteilt wurde. Und zwar dieser hier.

Ich starrte zutiefst misstrauisch auf den Eintrag in meinem Stundenplan und versuchte mir einen Reim darauf zu machen. Ein ganzer Nachmittag Freizeit, hier oben in der Bibliothek, offiziell reserviert, sodass ich nicht mal mein Terrain würde verteidigen müssen, ohne Lektüre, ohne Tests, ohne spezielle Aufgaben. Diese Tatsache allein machte den Stundenplan zum vielleicht besten Zwölftklässler-Stundenplan, von dem ich jemals gehört hatte. Das war den Preis definitiv wert. Ich hatte mir schon die ganze Zeit Sorgen darüber gemacht, wie ich all das Mana wieder aufholen sollte, das ich im vergangenen Schuljahr verbraten hatte, aber mit einer dreifachen Lernzeit einmal die Woche war ich vor dem Schulsporttag vielleicht schon wieder auf Kurs.

Deshalb musste es irgendwo einen monströsen Haken geben, aber ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, worum es sich dabei handelte. Ich stand auf und stieß Zheng an. »Behalt kurz meine Sachen im Auge«, sagte ich zu ihm. »Ich werde den Raum komplett überprüfen. Falls ihr wissen wollt, wie das geht, dann schaut mir genau zu«, fügte ich hinzu, und sie alle hoben die Köpfe und beobachteten mich, während ich das Klassenzimmer abging. Ich begann mit den Lüftungsschächten und vergewisserte mich, dass sie alle festgeschraubt waren, bevor ich eine Skizze auf ein Stück Papier kritzelte, um festzuhalten, wo sie sich im Raum befanden, nur für den Fall, dass irgendetwas besonders Cleveres beschloss, sich ins Zimmer zu schleichen und einen der Schächte zu imitieren. Ich zählte die Stühle und Pulte und schaute unter alle. Ich zog jede Schublade im Schrank an der hinteren Wand heraus, öffnete sämtliche Schranktüren und leuchtete hinein. Ich zog den Schrank von der Wand weg und schaute auch dahinter nach, um sicherzustellen, dass beides, Schrank und Wand, massiv war. Ich leuchtete den ganzen Boden ab, um ihn auf Löcher zu überprüfen, klopfte, so hoch ich kam, sämtliche Wände ab und kontrollierte den Türrahmen, um mich zu vergewissern, dass er oben und unten fest saß. Als ich schließlich fertig war, war ich so sicher, wie ich eben sein konnte, dass es sich um ein ganz gewöhnliches Klassenzimmer handelte.

Womit ich sagen will, dass die Mals auf alle möglichen Arten hier hereingelangen konnten: durch die Lüftungsschächte, unter der Tür hindurch oder indem sie sich durch die Wände nagten. Wenigstens konnten sie sich in diesem Raum nicht einfach von der Decke fallen lassen, weil es keine Decke gab.

Die Scholomance hat kein Dach. Man braucht keins, wenn man seine Zauberschule so erbaut, dass sie aus der Welt hinaus in eine mysteriöse Leere ragt, die keinen Raum im eigentlichen Sinne darstellt. Die Wände der Bibliothek ragen einfach nur nach oben, bis sie sich in der Dunkelheit verlieren. Theoretisch enden sie irgendwo weit oben, aber ich werde sicher nicht hochklettern, um mir diese Theorie selbst zu beweisen. Wie dem auch sei, der Raum war im Moment nicht befallen und es gab auch keine offensichtlichen Schwachstellen. Also, was in aller Welt beabsichtigte die Schule, indem sie mir einen freien Nachmittag hier drin schenkte?

Ich setzte mich wieder auf meinen Platz und starrte auf den Stundenplan. Natürlich war mir klar, dass der freie Nachmittag der Köder in dieser Falle war, aber es war ein wirklich guter Köder und eine wirklich gute Falle. Ich konnte keine einzige Verbesserung an meinem Stundenplan vornehmen, da ich nicht wusste, wann irgendwelche anderen Kurse der Abschlussklasse stattfanden. Wenn ich, sagen wir mal, das Standardseminar in Sanskrit auswählte, das ich erwartet hatte, und versuchte, damit dieses entsetzliche Lektüreseminar für Fortgeschrittene loszuwerden, hätte die Scholomance, wenn sie mir das Seminar tatsächlich erließ, damit eine Entschuldigung, mich am Mittwochnachmittag in den Arabischkurs zu stecken. Und wenn ich auch nur versuchte, eine Kleinigkeit zu bekommen wie den passenden Werkunterricht am Donnerstagnachmittag, dann würde ich dafür zweifellos Alchemielabor am Mittwoch und irgendetwas anderes am Freitag haben. Was immer ich tat, ich würde damit das einzig Gute verlieren, was dieser Stundenplan zu bieten hatte, und zwar ohne irgendeine Garantie auf eine Verbesserung.

»Lasst mich eure mal sehen«, sagte ich zu Zheng, wenn auch ohne große Hoffnung. Wenigstens bedeutete die Tatsache, dass ich mit lauter Frischlingen hier festsaß, dass mir alle ihre Stundenpläne freiwillig reichten, ohne dafür einen Gefallen einzufordern. Ich durchsuchte den kompletten Stapel nach irgendeinem Kurs, den ich belegen könnte, aber es war sinnlos. Ich hatte noch nie gehört, dass irgendein Frischling jemals in einen Kurs eingeteilt worden wäre, den jemand aus der Abschlussklasse freiwillig gewählt hätte, und so war es auch hier. Sie würden alle den üblichen Einführungskurs in der Werkstatt und im Labor besuchen. Die Enklavlerin hatte ihnen allen sehr klug geraten, sie direkt vor dem Mittagessen zu belegen – jeweils dienstags und mittwochs –, weil es die besten Stunden waren, die man als Frischling ergattern konnte, da alle aus den höheren Klassen die Nachmittage nahmen. Ebenso hatten sie den Maleficaria-Einsteigerkurs, in dem sie ihren Spaß haben würden. Der Rest ihres Stundenplans bestand aus Literatur, Mathematik und Geschichte, wobei sämtliche Kurse im dritten und vierten Stock stattfanden. Bis auf einen: Ungeheuerlicherweise stand bei ihnen allen am Mittwochnachmittag die gleiche Lernzeit hier oben auf dem Programm wie bei mir – glückliche kleine Rotznasen. Und keiner von ihnen wusste auch nur annähernd zu schätzen, wie unglaublich das war.

Schließlich gab ich es auf und setzte schicksalsergeben meine Unterschrift ganz unten auf den Stundenplan, ohne auch nur zu versuchen, irgendwelche Änderungen vorzunehmen, bevor ich zu dem riesigen antiken Sekretär im vorderen Teil des Klassenzimmers ging, vorsichtig die Rollabdeckung öffnete – heute befand sich nichts darunter, aber wartet’s nur ab – und meinen Stundenplan hineinlegte. In den meisten Klassenzimmern gibt es einen formellen Ort für die Abgabe von Arbeiten: Meistens ist es ein Briefschlitz, der vorgibt, er würde unsere Aufgabenblätter durch ein Netzwerk pneumatischer Röhren zu irgendeiner zentralen Sammelstelle schießen, aber das System ist schon zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts kaputtgegangen und wurde nur mit ein paar Transportzaubern geflickt. Deshalb muss man seine Arbeit in Wahrheit nur an irgendeinem nicht einsehbaren Ort abgeben und sie wird eingesammelt. Ich blickte noch ein letztes Mal auf meinen Stundenplan, atmete dann tief ein und schloss die Rollabdeckung wieder.

Ich war mir sicher, dass ich gleich nach dem Frühstück herausfinden würde, wie gewaltig der Fehler, den ich eben begangen hatte, tatsächlich war, wenn ich mich auf den Weg nach unten zu meinem ersten Seminar machte, aber ich irrte mich. Ich fand es keine Viertelstunde später heraus, ohne den Raum verlassen zu haben. Ich saß mit verkrampftem Kiefer über das verknotete Durcheinander meiner Häkelarbeit gebeugt und ließ noch vor dem Frühstück so viel Mana, wie ich konnte, in meinen Kristall fließen, während ich darüber nachdachte, welche grauenvoll langweiligen Fitnessübungen ich in diesem Zimmer machen konnte, sobald meine Wunde erst etwas besser verheilt war. Ich hasse Sport aus tiefstem Herzen, deshalb ist er in Sachen Mana-Bildung äußerst lukrativ, wenn ich mich trotzdem dazu zwinge. Viel Platz hatte ich hier nicht, ganz davon zu schweigen, die schweren Pulte zu verschieben. Wahrscheinlich würde ich mich quer über zwei Pulte legen müssen, um meine Bauchmuskelübungen zu machen. Aber wen interessierte das? Ich schätzte, dass ich so etwa alle zwei Wochen einen Kristall würde füllen können.

Unterdessen tummelten sich die Frischlinge alle im vorderen Teil des Raums, als müssten sie sich um nichts sorgen, und unterhielten sich munter miteinander. Und um noch eins draufzusetzen: Sie unterhielten sich alle auf Chinesisch, einschließlich des indischen Jungen und des Mädchens und des Jungen aus Russland – ich war mir ziemlich sicher, dass sie Russisch miteinander gesprochen hatten, aber sie hatten sich ohne Probleme der allgemeinen Plaudereien angeschlossen. Zweifellos belegten sie ihre Hauptfächer allesamt auf Chinesisch – hier drin hat man für Fächer wie Mathe und Geschichte die Wahl zwischen Chinesisch und Englisch.

Ich versuchte mein Bestes, ihre Unterhaltung als Hintergrundrauschen an mir vorbeiziehen zu lassen, aber es funktionierte nicht besonders gut.

Eine der Gefahren dabei, dass ich inzwischen bereits eine geradezu lächerliche Anzahl an Sprachen studierte, ist es, dass mein Gehirn der Ansicht ist, dass es, wenn ich etwas nicht verstehe, nur daran liegt, dass ich nicht aufmerksam genug zuhöre, und dass sich mir die Bedeutung schon irgendwie erschließen wird, wenn ich mich nur genug konzentriere. Eigentlich sollte mir die Scholomance mindestens ein Vierteljahr lang keine neue Sprache mehr aufbrummen dürfen, da sie mir vor nicht mal drei Wochen Arabisch beschert hatte. Aber wenn ich jeden Mittwoch zwei Stunden lang mit einem Haufen Frischlinge in einem Raum saß, die alle Chinesisch sprachen, bedeutete das zweifellos, dass ich demnächst auch Zaubersprüche auf Chinesisch bekommen würde.

Es sei denn, sie ließen sich alle hilfreicherweise noch vor dem Monatsende umbringen, was nicht außerhalb des Möglichen lag. Normalerweise läuft es in der ersten Woche des Schuljahrs für alle ganz gut, aber sobald sich die Frischlinge völlig zu Unrecht in Sicherheit wiegen, kriechen die ersten Mals aus ihren Verstecken, ganz zu schweigen von der ersten Welle der frisch geschlüpften Viecher, die Mittel und Wege finden, sich aus dem Erdgeschoss nach oben zu winden.

Natürlich gibt es unter ihnen immer den obligatorischen Überflieger – wie zum Beispiel das Viperblasenbaby, das sich genau in diesem Moment heimlich, still und leise durch den Luftschacht heraufarbeitete. Wahrscheinlich hatte es sich ganz schmal und lang gemacht, um an den Wächtern im Ventilationssystem vorbeizupassen, wodurch es aussah wie ein harmloser kleiner Klecks Flüssigkeit, der sich nun vorsichtig durch das Gitter wand und sich auf dem Boden hinter einer der Schultaschen zusammenrollte, um in aller Ruhe wieder Gestalt anzunehmen. Vermutlich gab es dabei ein paar platschende Geräusche von sich, aber die Frischlinge unterhielten sich so laut, dass sie alles andere übertönten, und ich selbst passte auch nicht richtig auf, weil ich zum vielleicht ersten Mal in meinem Leben das mieseste Ziel im Raum war – mit Riesenabstand –, und mich kein Mal aus dieser Menge herauspicken würde. Ich fing schon an, diesen Raum als eine Art Zuflucht zu betrachten.

Dann entdeckte einer der Frischlinge das Ding und kreischte erschrocken. Ich machte mir nicht einmal die Mühe nachzusehen, warum er kreischte, sondern war bereits von meinem Stuhl aufgesprungen, hatte die Tasche über die Schulter geworfen und war auf halbem Weg zur Tür – der Junge hatte panisch in die hinterste Ecke des Raumes gestarrt –, bevor ich die Viperblase überhaupt sah, die bereits komplett aufgeblasen über der vierten Stuhlreihe schwebte wie ein pinkfarbener Luftballon, dem irgendjemand Jackson-Pollock-mäßig ein paar blaue Spritzer verpasst hatte. Seine Blasepfeilrohre ragten bereits aus der Hülle heraus. Die anderen Frischlinge brüllten wie am Spieß, krallten sich aneinander fest oder versteckten sich hinter dem großen Sekretär – ein klassischer Anfängerfehler: Wie lange hatten sie vor, dort zu bleiben? Die Viperblase würde bei einem derartigen Festmahl garantiert nirgendwo hingehen, und in dem Moment, in dem sie den Kopf rausstreckten, um einen Blick zu riskieren, würde sie sie erwischen.

Das war natürlich ihr Problem, und wenn sie selbst keine Lösung dafür fanden, würden sie es an ihrem allerersten Schultag nicht mal aus ihrem Stamm-Klassenzimmer schaffen, was wahrscheinlich bedeutete, dass sie sowieso nicht lange durchgehalten hätten. Jedenfalls war das nicht im Geringsten mein Problem. Mein Problem war, dass ich vier extrem üble Seminare zugeteilt bekommen hatte und sowieso schon weit hinter meinem Mana-Sparplan für die Abschlussprüfung zurücklag. Ich würde jede einzelne Minute meiner Zeit in diesem Raum brauchen, um genügend Mana zu bilden, damit ich diesen Rückstand aufholte. Ich hatte nicht mal die Energie einer einzigen Häkelmasche für einen Haufen dahergelaufener Frischlinge zu verschwenden, die mich nicht im Mindesten interessierten.

Abgesehen von einem. Nachdem ich die Tür des Klassenzimmers mit einem Tritt aufgestoßen hatte, drehte ich mich noch einmal um und brüllte: »Zheng! Raus hier, sofort!« Er machte hinter dem großen Sekretär eine Kehrtwende und rannte zu mir. Die anderen hatten mich vielleicht nicht alle verstanden, aber sie waren immerhin schlau genug, ihm zu folgen, und die meisten von ihnen waren sogar schlau genug, dabei ihre Schultaschen zurückzulassen. Abgesehen von der Enklavlerin – ausgerechnet. Sie hätte zweifellos den gesamten Inhalt ihrer Tasche mit Leichtigkeit ersetzen können, indem sie einfach einen der älteren Schüler aus ihrer Enklave darum bat, doch stattdessen schnappte sie sich ihre Tasche, bevor sie weiterrannte, sodass sie nun die Nachhut bildete. Die Viperblase hatte sich inzwischen so prall aufgebläht, dass ihre drei Stielaugen herausploppten, und sie begann sich zu drehen, um das letzte ihrer beweglichen Ziele zu verfolgen. Sobald sie sich die Kleine geschnappt haben würde, garantierte das allen anderen die sichere Flucht: Sie war nur ein wenig größer als ein Fußball, und so frisch geschlüpft würde sie vermutlich sofort anfangen zu fressen.

Ich wollte gerade durch die Tür verschwinden und meinen eigenen Hals retten, was ich definitiv hätte tun sollen – und schon viele Male zuvor getan hatte. Regel Nummer eins lautet: Das Einzige, worum du dir Sorgen machen musst, wenn hier drin irgendwas schiefläuft, ist, wie du deine eigene Haut retten kannst. Das ist noch nicht mal selbstsüchtig. Wenn du versuchst, anderen zu helfen, bist du am Ende selbst tot und machst dabei vermutlich noch zunichte, was immer sie vorhatten, um sich zu retten. Falls du Verbündete oder Freunde hast, kannst du ihnen vorher helfen. Teile etwas Mana mit ihnen, gib ihnen einen Zauberspruch, erschaffe irgendeine Schöpfung für sie oder mische ihnen ein Elixier, das ihnen aus der Klemme hilft. Aber jeder, der einen Angriff nicht auf eigene Faust übersteht, wird nicht überleben. Das wissen alle. Der einzige Mensch, den ich kenne, der eine Ausnahme von der Regel macht, ist Orion, und der ist ein Volltrottel, im Gegensatz zu mir.

Nur dass ich trotzdem nicht durch die Tür verschwand. Ich blieb, wo ich war, und ließ stattdessen die komplette Meute der Frischlinge an mir vorbei hinausstürmen. Die Viperblase wurde hellrosa, als sie sich bereit machte, einen Schuss auf Miss Enklave abzufeuern – aber dann drehte sie sich mit einem abrupten Ruck urplötzlich zur Tür um, als Orion – absoluter Volltrottel, sag ich doch – in die völlig falsche Richtung durch die Tür stürmte. Zwei Sekunden später wäre er mit Gift vollgepumpt und höchstwahrscheinlich tot gewesen.

Nur hatte ich bereits mit einer Beschwörung begonnen.

Der Zauber, den ich benutzte, war ein ziemlich düsterer altenglischer Fluch. Ich bin womöglich die Einzige auf der Welt, die ihn besitzt. Am Anfang der zehnten Klasse, nachdem ich gerade mit Altenglisch angefangen hatte, habe ich in der Bibliothek zufällig drei Zwölftklässler ertappt, die ein Mädchen aus der Elften im Magazin in eine Ecke gedrängt hatten. Eine Loserin, genau wie ich, außer dass Jungs so was bei mir nie versuchten – irgendetwas an meiner Aura einer zukünftigen dunklen Hexe mit gewaltiger Macht muss sie wohl abschrecken. Sogar als kleine Zehntklässlerin überzeugte ich die drei – allein durch mein Auftauchen –, das Mädchen in Ruhe zu lassen. Die Typen verzogen sich, und das Mädchen flitzte in die entgegengesetzte Richtung davon, während ich mir das erstbeste Buch aus dem Regal schnappte, noch immer brodelnd vor Wut. Daher bekam ich nicht das Buch, nach dem ich gegriffen hatte, sondern einen Band aus bereits zerfallendem handgeschöpftem Papier voller handschriftlicher Flüche, die sich irgendeine besonders charmante alte Dame vor tausend Jahren oder so ausgedacht hatte. Das Buch öffnete sich in meiner Hand auf der Seite mit dem eben erwähnten Fluch, und ich sah nach unten und erhaschte einen flüchtigen Blick darauf, bevor ich das Buch wieder zuschlug und zurück ins Regal stellte.

Die meisten Leute müssen jeden Zauberspruch lange üben, bevor sie ihn im Kopf haben. Ich muss das auch, wenn es ein wirklich nützlicher Zauber ist. Ist es allerdings ein Zauberspruch, mit dem man Städte zerstören, Armeen abschlachten oder Menschen auf grauenvolle Weise foltern kann – oder, zum Beispiel, einen bestimmten Teil der Anatomie von Jungs so winzig zusammenschrumpfen lassen kann, dass nur noch ein qualvoll schmerzender Klumpen zurückbleibt –, genügt mir ein einziger Blick und er ist auf ewig in meinem Gehirn abgespeichert.

Ich hatte den Fluch noch nie zuvor benutzt, aber er funktionierte in dieser Situation wirklich sehr effektiv. Die Viperblase schrumpfte sofort auf die Größe einer normalen Eichel zusammen. Sie plumpste aus der Luft, landete klappernd auf dem Gitter des Lüftungsschachts und rutschte hindurch wie eine wertvolle Murmel, die in einem Gully verschwindet. Und mein gesamter Mana-Vorrat dieses Morgens verschwand gleich mit.

Orion war in der Tür stehen geblieben, schaute ihr nach und schrumpfte im Prinzip genauso zusammen. Er war bereit gewesen, irgendeine gewaltige Explosion zu zünden, die die Viperblase ausgelöscht hätte – ebenso wie uns drei und sämtliche entflammbaren Teile der Klassenzimmereinrichtung, da die Gase dieser Mals leicht entzündlich sind. Die Enklavlerin warf Orion und mir einen Blick zu wie ein verschrecktes Kaninchen und schoss an ihm vorbei zur Tür hinaus, obwohl es überhaupt keinen Grund mehr gab wegzurennen. Orion schaute ihr einen Moment nach und dann wieder mich an. Ich warf einen deprimierten Blick auf meinen eingetrübten Mana-Kristall – ja, er sah wieder vollkommen stumpf aus –, bevor ich ihn sinken ließ.

»Was machst du überhaupt hier?«, fragte ich gereizt, drängte mich an ihm vorbei ins Magazin hinaus und steuerte auf das Treppenhaus zu.

»Du warst nicht beim Frühstück«, antwortete er und schloss zu mir auf.

So fand ich heraus, dass die Glocken in diesem Klassenzimmer in der Bibliothek nicht zu hören waren – was im Augenblick bedeutete, dass ich das Frühstück entweder ausfallen lassen oder zu spät zur ersten Stunde meines schrecklichsten Seminars kommen konnte. Dabei hatte ich höchstwahrscheinlich nicht einmal den Hauch einer Chance, irgendjemanden zu finden, der mir sagen würde, wie unsere erste Arbeitsaufgabe aussah.

Ich mahlte mit dem Kiefer und begann die Stufen hinunterzustampfen.

»Ist alles okay mit dir?«, fragte Orion nach einem Moment, obwohl ich gerade ihn gerettet hatte. Ich schätze, er hatte das ganze Konzept noch immer nicht wirklich verstanden.

»Nein«, antwortete ich bitter. »Ich bin eine absolute Vollidiotin.«