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Verschiedene Erzählungen, zu verschiedenen Zeiten geschrieben und in der Schublade gelagert und hier bunt zusammen gewürfelt. Von realitätsnahen und gesellschaftskritischen und fiktiven Erzählungen bis hin zu kritischenBetrachtungen ist alles drin
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Ein Tag mehr
Bevor die ersten wärmenden Sonnenstrahlen über die Dächer blinzelten, standen die Ersten schon zitternd und frierend vor dem Tor und wünschten, der Tag wäre schon vorbei. Aber leider verdiente man im Schlaf kein Geld und was zu essen und zu trinken brauchte man ja auch.m Mit zittrigen, kalten Fingern rauchten die Männer mühsam gerollte Zigaretten. Ihre Kleider waren abgetragen und an den Taschen ausgebeult. Die wettergegerbten, faltigen Gesichter waren meist unrasiert und wirkten müde, in ihren Augen glänzte die Gier nach Alkohol, während andere kräftige Züge aus Wein- oder Bierflaschen nahmen, um das ärgste Zittern und Frieren zu mildern. Wer kein Geld und auch nichts zu trinken hatte, mußte warten und hoffen, dass einer ihm zu trinken gab oder Geld lieh.Um sechs Uhr begann das Pokerspiel um Angebote und Nachfrage, wobei die Nachfrage die Zahl der Angebote weit überstieg. Eingehüllt in Bierdunst und Zigarettenrauch harrten die Männer aus, bis hinter dem Schalter ein Glasfenster geöffnet wurde und der Beamte Arbeit anzubieten hatte. Im Nu verstummten alle Gespräche und jeder konzentrierte sich auf die Stimme des Beamten. Je nachdem, welches Angebot verlesen wurde, meldeten sich die Bewerber, der Schalterbeamte wählte die Leute aus, schrieb ihre Namen auf eine Formular, das beim Arbeitgeber abzugeben war. Oft wurde kurz danach das nächste Angebot verlesen, sehr oft aber blieb das Fenster für längere Zeit geschlossen und unter den Männern machte sich Unmut breit. Die Gespräche wurden fortgesetzt, vom Stehimbiß um die Ecke wurde Bier geholt und derweil noch mehr geraucht. Man redete über Arbeit, über die Firmen, über Jobs, die gut waren und solche die weniger gut bis schlecht waren. Manche wollten nicht als Spüler in Restaurants arbeiten oder als Wagenschieber in Großmärkten, nicht in dieser oder jener Spedition, schlecht bezahlte Jobs wurden abgelehnt, der Mann am Schalter wußte das. Es gab Arbeit für ein paar Stunden, für einen oder mehrere Tage, manchmal für Wochen. Die Männer vertrieben sich die Zeit, schimpften über die harten Stühle und machten Witze, was wohl der beste, der Idealjob wäre. Sie dachten an Matratzentester in Kaufhäusern, an Spitzenjobs wie Manager oder Direktor. Am liebsten hätten sie ihr Geld im Schlaf verdient, ohne dieses Warten und Hoffen auf einen Job, ohne die schwere Arbeit, die sie manchmal machen mussten. So wurde die wartezeit überbrückt, erfahrungen ausgetauscht, ;Meinungen und Kommentare abgegeben, unterbrochen vom Quietschen des Schalterfensters, wenn es der Beamte öffnete und neue Arbeit anbot. Oft genug waren es diesselben Firmennamen, die er vorlas, die gleiche Tätigkeit zu vergeben, er sah die gleichen Gesichtter, aber auch immer wieder neue Namen, neue Gesichter, ältere und jüngere, manche sah er einmal und nie wieder. Die meisten sah er jeden Tag.
Lepke versuchte, das ärgste Zittern zu unterdrücken, aber da ihn obendrein noch fror, zitterte er noch stärker. Er war ab- und ausgebrannt, hatte die letzten Groschen für ein Bier ausgegeben, das aber sein Zittern nicht lindern konnte.Mühsam drehte er sich eine Zigarette, eine Menge trockener Krümel fielen zu Boden. Seit seinem letzten Job waren einige Tage vergangen und das dabei verdiente Geld schnell ausgegeben. Er rauchte mit gierigen Zügen, schaute nach den anderen, die ebenso wie er zitterten und nach jenen, die sich etwas zu trinken leisten konnten. Von denen kriegste nichts, dachte er. Hoffnungslos machte er sich auf den weg zur Halle und kaum quetschte er sich durch die Tür,schlug ihm Zigarettenrauch und Bierdunst entgegen. Ich brauch ´nen Job, dachte er, wenigstens für heute. Verzweiflung machte sich in ihm breit, die trockene Luft im Raum machte ihn noch durstiger. Mit fiebrigen Augen sah er in die Runde und entdeckte schließlich in den vorderen Reihen einen Bekannten, mit dem er schon gearbeitet und der sich als guter Kumpel erwiesen hatte. Er bahnte sich einen Weg durch die Herumstehenden, verpaßte dabei einen Job. Nur nicht zugeben, dass du blank bist, überlegte er, sein Hirn arbeitete mit halber Kraft, der Rest seines Denkens war darauf fixiert, den Durst zu stillen. Schwer atmend kam er ans Ziel, sagte Hallo zu dem anderen und sah die Plastiktüte zwischen den Beinen seines Kumpels. „Wie geht´s“, fragte der andere und gleich darauf: „Magst ´n Bier?.“ Lepke hatte kaum genickt, da öffnete sein Nachbar schon eine Flasche und gab sie ihm. Er nahm einen kräftigen Schluck und fühlte sich wesentlich besser. Sein Nachbar gab ihm auch noch eine Zigarette und nach ein paar Zügen kehrte so etwas wie Zufriedenheit bei ihm ein. Kumpels braucht man, überlegte er, die einem helfen, wenn´s schlecht geht. Wenn ich jetzt noch einen Job krieg´, ist der Tag gerettet.Irgendwann mußte er Glück haben, egal, was gerade angeboten wurde. Zwei Jahre machte er schon diese Tour und er sah einige Vorteile darin. Zum Beispiel muß man nicht unbedingt einen guten Eindruck machen, auch die Vergangenheit blieb unberührt. Man braucht auch nicht anderweitig zu betteln, dass man Stütze bekommt. Nachteile blendete er aus. Seit er damals wegen der Kurzarbeit und dem Streit mit dem Meister entlassen worden war, lief nichts mehr mit geregelter Arbeit. Woran es lag, darüber dachte er nicht nach. Entweder es gab keine Arbeit oder die Chefs wollten niemand einstellen. Hauptsache, er konnte hierund da arbeiten und bekam danach die Kohle.Eine Weile wird er schon noch diese Tour machen müssen, früh am Morgen raus aus den Federn, mit dem Bus zum Arbeitsamt und warten. Solange es nicht zu kalt war und er gut ausgestattet mit Geld und was zum trinken, konnte es ganz angenehm sein. Unruhig schielte er nach der Uhr seines Nachbarn, es war sieben vorbei. Die beste Zeit, um einen Job zu ergattern, war zwischen halb sieben und neun, nach zehn lief praktisch nichts mehr. Dann war Warten nur noch Zeitverschwendung, auch das hatte er schon hinter sich. Brutal wurde er durch einen Stoß aus seinen Gedanken gerissen. Er begriff, dass er die Hand heben musste. Kaum hatte er diese oben, zeigte auch schon der Kugelschreiber des Beamten auf ihn und seinen Kumpel. Sie erhoben sich und zwängten sich durch die Herumstehenden. Heilfroh, endlich drangekommen zu sein, zeigte er seinen Ausweis vor. Sein Name wurde auf den Schein geschrieben, den der Beamte seinem Kumpel gab. Der steckte ihn in die Jackentasche und anschließend verließen sie den Raum. Draußen im Freien war es immer noch kühl und Lepke fror wieder. Die Sonne schien zwar schon durch die Baumkronen, aber die Straßenseite lag noch im Schatten der hohen Gebäude. Ihm fiel ein, dass er eigentlich eine Fahrkarte bräuchte, denn wenn er beim Schwarzfahren erwischt würde, kostete ihm das vierzig Mark und wenn man nichts hat, ist das ziemlich viel Geld. „Hast du eine Fahrkarte“ fragte er seinen Kumpel, dessen Vorname ihm entfallen war. „Klar doch“, gab der zur Antwort. Lepke atmete auf und dachte, gut, dass ich ihn gefunden habe, bei Gelegenheit werd´ ich es ihm zurück geben. Er blinzelte in die Sonne und dachte kurz an vergangene Zeiten. Der Bus kam, Leute stiegen aus und hasteten weiter. Sein Kumpel und er stiegen ein und setzten sich. Brummend und schaukelnd setzte sich der Bus wieder in Bewegung. Sich seiner Zufriedenheit hin. Für einen Tag brauchte er sich keine Sorgen und Gedanken zu machen. Sein Kumpel öffnete zwei Flaschen Bier und gab eine weiter an Lepke.