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Von mutigen Neuanfängen und dem Finden vom großen Glück
Drei herzerwärmende Liebesgeschichten von Kerstin Sonntag in einem Bundle
Einmal Cornwall und für immer
Ein bisschen Abstand kann einer festgefahrenen Beziehung nur helfen – das denkt zumindest Jonna und folgt der Einladung ihrer Freundin Liz, die sich in einem kleinen Café an der idyllischen Küste Cornwalls niedergelassen hat. Doch schon der Flug dorthin entpuppt sich als Katastrophe und Jonna blamiert sich vor einem attraktiven Fremden bis auf die Knochen. Auch als sie in Liz’ Cottage ankommt, warten mehr Probleme als echte Wohlfühlstimmung auf sie. Und dann läuft ihr auch noch ständig Ryan über den Weg – ausgerechnet der Fremde aus dem Flugzeug, den sie nie wieder sehen wollte. Mit seiner spontanen Art und den sanften braunen Augen stellt er ihre Gefühlswelt allerdings ganz schön auf den Kopf und bald muss Jonna sich darüber klar werden, was sie eigentlich will …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Einmal Cornwall und für immer.
Mein Herz in Alaska
Nach einem Schicksalsschlag in den Flitterwochen zerbricht nicht nur Ivys Ehe, sondern auch ihr Glaube an die Liebe. Körperlich und seelisch gezeichnet, verliert sie sich in ihrer Arbeit und schottet ihr Herz ab. Erst als der Stress zu einem Zusammenbruch führt, nimmt sie sich die dringend nötige Auszeit und zieht in eine Kleinstadt im wunderschönen Südalaska. Zwischen der rauen Wildnis, den Bergen und Wäldern von Tikatna fühlt sich Ivy unerwartet wohl und beginnt zum ersten Mal seit Langem über eine glücklichere Zukunft nachzudenken. Während sie allmählich zu sich selbst findet, begegnet sie immer wieder dem wortkargen Piloten Jack, der ihr, trotz harter Schale, unter die Haut geht. Doch Ivy fühlt sich noch nicht bereit für eine neue Liebe und auch Jack versteckt sich hinter einer Mauer aus Schweigen und Geheimnissen. Können beide die Narben der Vergangenheit heilen und sich noch einmal der Liebe öffnen?
Neuanfang in Angel'sCove
Die 23-jährige Samantha hat das gleichgültige Verhalten ihres Ehemanns Ethan satt. Kurzerhand flüchtet sie zu ihrer ehemaligen Collegefreundin Melissa, die im malerischen Angel’s Cove an der wildromantischen Küste von Maine wohnt. Doch die heiß ersehnte Auszeit währt nicht lange, denn prompt bekommt sie einen Mitbewohner: Melissas Bruder Cole, der sie trotz seiner leichtlebigen Art in seinen Bann zieht. Obwohl ihr Instinkt sie vor dem gutaussehenden Architekten warnt, lässt sie sich auf ihn ein. Die leidenschaftliche Nacht bleibt nicht ohne Folgen. Sam verliert ihr Herz an Cole, und plötzlich steht viel mehr auf dem Spiel als ihre Ehe …
Erste Leser:innenstimmen
„Diese großartigen Liebesgeschichten bringen den Glauben an die Liebe zurück!“
„Emotional, fesselnd und wunderbar romantisch.“
„Dieser Sammelband ist vollgepackt mit Urlaubsfeeling, Romantik und guter Laune!“
„Wem nach viel Gefühl, Herzschmerz und Leidenschaft ist, muss diese drei Liebesromane lesen.“
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Seitenzahl: 1085
Einmal Cornwall und für immer
Ein bisschen Abstand kann einer festgefahrenen Beziehung nur helfen – das denkt zumindest Jonna und folgt der Einladung ihrer Freundin Liz, die sich in einem kleinen Café an der idyllischen Küste Cornwalls niedergelassen hat. Doch schon der Flug dorthin entpuppt sich als Katastrophe und Jonna blamiert sich vor einem attraktiven Fremden bis auf die Knochen. Auch als sie in Liz’ Cottage ankommt, warten mehr Probleme als echte Wohlfühlstimmung auf sie. Und dann läuft ihr auch noch ständig Ryan über den Weg – ausgerechnet der Fremde aus dem Flugzeug, den sie nie wieder sehen wollte. Mit seiner spontanen Art und den sanften braunen Augen stellt er ihre Gefühlswelt allerdings ganz schön auf den Kopf und bald muss Jonna sich darüber klar werden, was sie eigentlich will …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen TitelsEinmal Cornwall und für immer.
Mein Herz in Alaska
Nach einem Schicksalsschlag in den Flitterwochen zerbricht nicht nur Ivys Ehe, sondern auch ihr Glaube an die Liebe. Körperlich und seelisch gezeichnet, verliert sie sich in ihrer Arbeit und schottet ihr Herz ab. Erst als der Stress zu einem Zusammenbruch führt, nimmt sie sich die dringend nötige Auszeit und zieht in eine Kleinstadt im wunderschönen Südalaska. Zwischen der rauen Wildnis, den Bergen und Wäldern von Tikatna fühlt sich Ivy unerwartet wohl und beginnt zum ersten Mal seit Langem über eine glücklichere Zukunft nachzudenken. Während sie allmählich zu sich selbst findet, begegnet sie immer wieder dem wortkargen Piloten Jack, der ihr, trotz harter Schale, unter die Haut geht. Doch Ivy fühlt sich noch nicht bereit für eine neue Liebe und auch Jack versteckt sich hinter einer Mauer aus Schweigen und Geheimnissen. Können beide die Narben der Vergangenheit heilen und sich noch einmal der Liebe öffnen?
Neuanfang in Angel'sCove
Die 23-jährige Samantha hat das gleichgültige Verhalten ihres Ehemanns Ethan satt. Kurzerhand flüchtet sie zu ihrer ehemaligen Collegefreundin Melissa, die im malerischen Angel’s Cove an der wildromantischen Küste von Maine wohnt. Doch die heiß ersehnte Auszeit währt nicht lange, denn prompt bekommt sie einen Mitbewohner: Melissas Bruder Cole, der sie trotz seiner leichtlebigen Art in seinen Bann zieht. Obwohl ihr Instinkt sie vor dem gutaussehenden Architekten warnt, lässt sie sich auf ihn ein. Die leidenschaftliche Nacht bleibt nicht ohne Folgen. Sam verliert ihr Herz an Cole, und plötzlich steht viel mehr auf dem Spiel als ihre Ehe …
Erstausgabe September 2024
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98998-645-9
Dieses Bundle enthält die Romane Mein Herz in Alaska (ISBN 978-3-98637-125-8), Neuanfang in Angel's Cove (ISBN 978-3-96817-918-6und Einmal Cornwall und für immer (ISBN 978-3-98778-512-2), die 2022/2023 im dp Verlag, einem Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH, erschienen sind.
Covergestaltung: Fenja Wächter unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © Dene' Miles, © Maksym, © Drobot Dean, © spiritofamerica, © haveseen, © Jo Ann Snover shutterstock.com: © Doin, © George wei, © djgis, © frog_color, © Pablo77, © sumroeng chinnapan, © PANG WRP, © Parkerspics, © 135pixels, © Artiste2d3d, © Lara Red istockphoto.com: © vorDa depositphotos.com: © brebca Lektorat: Daniela Pusch
E-Book-Version 22.08.2024, 13:26:20.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Geben Sie sich niemals mit weniger zufrieden als dem, nach dem ihr Herz sich sehnt. (Mabel Trevarrian während einer Teestunde zu Jonna)
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich freue mich riesig darüber, dass Einmal Cornwall und für immer mit dieser Neuauflage noch einmal in neuem Glanz erstrahlen darf!
Schon immer wollte ich euch ins romantische Cornwall entführen. So habe ich in dieser Geschichte meine Hauptfigur Jonna (Panikattacken und Flugangst zum Trotz – verzeih mir, Jonna!) in das malerische Hafendorf Penkerris mit seinen engen Kopfsteingassen, weißgetünchten Cottages und liebenswerten, manchmal etwas schrulligen Bewohnern geschickt.
Hoch oben auf den dramatisch zerklüfteten Klippen Cornwalls über dem wild tosenden Meer erfährt Jonna zum ersten Mal ein beglückendes Gefühl von Heimkehr.
Und wenn ihr dieses Buch zuschlagt, dann hoffe ich, dass die Geschichte bei euch genau dieses heimelige Wohlgefühl hinterlässt.
Zauberhafte Lesestunden wünscht euch Kerstin Sonntag
Aufgeben war keine Option.
Man konnte Jonna Madsen so einiges nachsagen, doch sie gab niemals auf. Auch wenn sämtliche Fakten dafürsprachen.
Ihre Handflächen schwitzten und ihr Mund war trocken wie Sandpapier. Die vage Möglichkeit, dass ihr Leben heute endete, war nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Sie presste die Lider zusammen und zählte stumm bis zehn. Im Augenblick bereute sie ihren Entschluss zu fliegen mehr als alles andere, doch sie würde das jetzt durchziehen. Jonna wäre nicht Jonna, wenn sie eine einmal getroffene Entscheidung rückgängig machen würde.
Mit ihrem vierjährigen Jack Russell Mr Gandy, der in einer engen Transportbox leise vor sich hin jaulte, wartete Jonna am Check-in-Schalter im Terminal zwei des Frankfurter Flughafens inmitten einer langen Schlange wildfremder Menschen und gab ihr Bestes, nicht in Panik zu verfallen. Beten wäre vielleicht eine Option. Allerdings waren Jonnas Wünsche schon länger nicht mehr vom Universum erhört worden. Also verwarf sie auch diesen Gedanken und knabberte stattdessen an ihrer Unterlippe. Die Vorstellung, bald hoch oben in der Luft zu sein, ohne festen Boden unter den Füßen, ließ ihre Eingeweide verkrampfen. Nach fünf Jahren Beziehung hatte sie das erste Mal ihren Koffer nur für sich gepackt. Hatte Nick sowie die gemeinsame Altbauwohnung im Heidelberger Stadtteil Handschuhsheim, die sie einst so liebe- und hoffnungsvoll eingerichtet hatte, verlassen – wenn auch zunächst nur vorübergehend. Nick hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sie zum Flughafen zu begleiten. Wichtiger Geschäftstermin, Schnuppel. Kann nicht, hatte er beiläufig gemeint, als sie ihn gefragt hatte, ob er sie fahren würde. Natürlich konnte er nicht. Wie immer war ihm alles andere wichtiger.
Hatte sie ihm nicht mehr als einmal versucht zu erklären, dass es genau diese Gleichgültigkeit war, die sie nun dazu gebracht hatte, der Einladung ihrer alten Studienfreundin Liz nach Cornwall zu folgen und sich todesmutig in ein Flugzeug zu begeben?
Und dann dieses blöde Schnuppel! Sie hatte das Kosewort noch nie gemocht.
„Entschuldigung, Dornröschen, warten Sie auf besseres Wetter?“ Eine männliche Stimme holte sie wieder zurück in die Realität.
Jonna wirbelte herum. Mit ihren knapp Einssiebzig war sie nicht groß, aber gegenüber dem kleinen Mann, der sie unter buschigen Augenbrauen hervor grimmig anstarrte, kam sie sich vor wie ein Riese. Was dem Kerl an Körpergröße fehlte, machte er durch einen furchteinflößenden Umfang wett. Die Knöpfe seiner Weste, die sich wie ein Zelt über dem Bauch spannte, drohten jeden Moment aufzuspringen.
„Wie bitte?“
Der Fremde machte eine Kinnbewegung zum Schalter. „Na, Sie beabsichtigen doch sicher auch, für den Flug nach Manchester einzuchecken. Oder haben Sie es sich anders überlegt?“ Sein Blick glitt unverschämt langsam über ihren Körper hinweg, verweilte ein paar Sekunden zu lang auf ihren Brüsten, die sich gegen den Stoff ihrer Bluse pressten, und blieb schließlich an ihren vollen Lippen hängen.
Sie widerstand dem Drang, sich über den Mund zu lecken. Womöglich klebte dort noch Fruchtfleisch von dem Organgensaft, mit dem sie an einem Snackstand vorhin drei Baldrianpillen heruntergespült hatte?
Nimm unbedingt etwas zur Beruhigung, hatte Tabea, Chefin des kleinen Schmuckladens, für den sie seit drei Jahren aparte Ketten und Armbänder kreierte, geraten. Das wird deine Aufregung etwas dämpfen.
Tabea war praktisch veranlagt und behielt stets einen kühlen Kopf, ganz im Gegensatz zu Jonna. Deshalb hatte sie ihren Rat nur allzu gern angenommen. Die dummen Pillen wirkten allerdings leider nicht. Mehrere Male stellte sie sich vor, mit Mr Gandy unter dem Arm zurück in die Komfortzone ihrer Wohnung zu flüchten. Nur dass sie diesem Impuls nicht nachgeben würde, auch weil sie dort mit Nicks Anwesenheit und der unbequemen Wahrheit, dass sie in ihrer Beziehung am absoluten Nullpunkt angelangt waren, konfrontiert sein würde.
„Also, was denn nun?“, hakte der Mann mit dem beängstigenden Bauchumfang nach.
Fieberhaft durchforstete sie ihr Hirn nach einer passenden Antwort. Vergeblich. Etwas Schlagfertiges wollte ihr um sieben Uhr in der Frühe leider nicht einfallen. Sie war eben kein Morgenmensch. Damit der Kerl jedoch kapierte, wie unverschämt sie sein Benehmen fand, strafte sie ihn mit einem vernichtenden Blick ab. Auch weil er die Frechheit besaß, ihr weiterhin auf den Mund zu starren. Fruchtfleisch hin oder her. Sie schnappte sich den Trolley und setzte sich mit dem inzwischen verstummten Mr Gandy in Bewegung.
Am Schalter raffte sie sich zu einem, wie sie hoffte, selbstsicheren Lächeln auf, als sie der blonden Dame mit der Dolly-Parton-Gedächtnisfrisur ihr Ticket und den Reisepass reichte. Während diese auf ihren Bildschirm starrte und die Daten eingab, wischte Jonna sich mit dem Handrücken unauffällig über die Lippen. Nur zur Sicherheit. Und da war nichts. Kein Fruchtfleisch. Was für ein Glück.
Nachdem sie eingecheckt und sich ein paar Meter vom Schalter entfernt hatte, pustete sie sich innerlich kopfschüttelnd eine mahagonifarbene Locke aus dem Gesicht. Die Begegnung mit dem Hornochsen hatte sie immerhin kurz von der Tatsache abgelenkt, dass der Abflug immer näher rückte. Doch nun kehrte die Panik Stück für Stück zurück. Mit einem flauen Gefühl im Magen verließ sie das Terminal Richtung Gate.
Zu ihrem Erstaunen brachte sie die Sicherheitskontrolle ohne Ohnmachtsanfall hinter sich, allerdings bewegte sie sich auch noch auf sicherem Terrain, wenn man es recht betrachtete. Im Wartebereich am Abfluggate fischte sie das Desinfektionsspray aus der Umhängetasche. Mit glühenden Wangen besprühte sie die Sitzfläche eines der roten Plastikstühle, bemüht, die neugierigen Blicke des Bodybuilders mit der Punkfrisur auf dem Nachbarsitz zu ignorieren. Vermutlich hielt er sie für eine durchgeknallte Endzwanzigerin mit Putzzwang. Es war ihr egal. Mit einem leisen Seufzen ließ sie sich auf den Stuhl sinken und versuchte anschließend flüsternd, Mr Gandy in seinem Gefängnis gut zuzureden. Der Jack Russell hasste es, eingesperrt zu sein, und es tat ihr leid, dass sie ihm das antun musste. Aber niemals hätte sie ihren vierbeinigen Freund zurücklassen können. Vor drei Jahren hatte sie den kleinen Kerl bei einem Besuch im Tierheim entdeckt und sich Hals über Kopf verliebt. Kühn hatte sie sich gegen Nick durchgesetzt und Mr Gandy, der damals noch auf den wenig fantasiereichen Namen Strolch hörte, mit nach Hause genommen. Sie gab es ungern zu, und ja, irgendwie war es ihr auch peinlich, aber der kleine Hund war für Jonna ein Kindersatz.
Die recht einseitige Unterhaltung wurde durch das Summen des Smartphones in ihrer Jackentasche unterbrochen. Vielleicht rief Nick an? Bestimmt würde er sie anflehen, zu ihm zurückzukommen, weil er ohne sie nicht leben konnte. Jonnas Herz machte einen hoffnungsvollen Hüpfer, aber ein rascher Blick aufs Display raubte ihr jegliche Illusion, denn dort stand nicht Nicks, sondern Tabeas Nummer. Sie sollte endlich aufhören, weiter von Zuckerwatte und rosa Glitzerherzen zu träumen. Begreife es endlich, Jonna. Das Leben ist kein Wunschkonzert, und wer wüsste das nicht besser als du? Demonstrativ drehte sie dem Kerl neben sich den Rücken zu, weil er sie noch immer höchst interessiert musterte. Wenn Jonna etwas nicht ausstehen konnte, dann Menschen, für die das Wort Privatsphäre ein Fremdwort zu sein schien. Generell fühlte sie sich allein wohler als in Gesellschaft anderer. Deshalb war der Job als Schmuckdesignerin ideal. Hier konnte sie im Hintergrund agieren. Sie liebte die Abgeschiedenheit ihres Arbeitsbereiches, dieser kleinen zauberhaften Welt, in der sie filigrane, romantische oder flippige Schmuckstücke kreierte, während Tabea im Verkaufsraum die Ware präsentierte und bediente.
„Hey, Tabea“, begrüßte sie ihre Chefin und Freundin in gedämpftem Tonfall am Telefon und gab sich alle Mühe, die Gegenwart des Möchtegern-Hulks auf dem Nachbarsitz auszublenden, der sie weiterhin äußerst interessiert fixierte. „So früh schon auf?“ Montags hatte Tabeas Schmuckkästchen geschlossen, weshalb Tabea an Montagen immer gern ausschlief.
Tabea gähnte herzhaft. „Die Kinder von oben haben mich mit ihrem Getrampel geweckt. Außerdem wollte ich hören, wie dein Date gestern gelaufen ist.“
„Welches Date?“ Jonna entfuhr ein ersticktes Lachen, das sofort von einer knisternden Lautsprecherdurchsage übertönt wurde.
„Wo in aller Welt bist du?“
„Am Frankfurter Flughafen.“
Tabea sog hörbar die Luft ein. „Was? Oh mein Gott! Du ziehst es also jetzt tatsächlich durch?“
„Sieht ganz danach aus.“ Jonna schlug ihre nackten Beine übereinander. „Nick hat den Bogen diesmal echt überspannt. Deswegen kam mir Liz’ Einladung wie gerufen.“
„Was hat er denn angestellt?“
„Er hat unseren Jahrestag verbummelt, nicht zum ersten Mal. Geschlagene anderthalb Stunden saß ich in meinem kleinen, sexy Schwarzen bei unserem Lieblingsitaliener und habe vergeblich auf ihn gewartet. Als ich schließlich vor Enttäuschung und Wut brodelnd nach Hause kam, hat er mich zerknirscht mit seinen himmelblauen Augen angesehen und mir beim Leben seiner Mutter geschworen, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde.“
„Und glaubst du ihm?“
„Ich möchte es gern. Dennoch bin ich natürlich stinksauer.“
„Absolut verständlich.“
„Deswegen musste ich einfach reagieren, Tabea.“
„Und ich drücke alle Daumen, dass deinem Nick endlich ein Licht aufgeht!“
„Du, ich kann dir gar nicht sagen, wie schlecht mir gerade ist. Das mit dem Fliegen …“ Um ihre Hände zu beschäftigen, zupfte sie an der tadellosen Seitennaht ihres Jeansrocks.
„Du schaffst das schon.“ Jonna konnte das Grinsen in Tabeas Stimme förmlich hören. „Denk einfach an all die süßen, kleinen Restaurants und Geschenkelädchen, die dich erwarten. An frischen Fisch, Krabben, Lobster und an diesen unvergleichlichen Meeresduft … Und die Blumen, besonders jetzt, im Frühjahr … Gott, Jonna, ich gerate selbst ins Schwärmen. Ich beneide dich, ehrlich. Du wirst es in Cornwall lieben. Hast du nicht immer davon geträumt?“
Cornwall … Sofort sah Jonna dieses zauberhafte Fleckchen Erde vor sich. Verträumte, malerische Fischerdörfer, grüne Hügel, dramatische Meeresklippen und weite Moore. Tabea hatte recht. Schon lange zog es Jonna dorthin. Voller Sehnsucht hatte sie jeden Reisebericht verfolgt, jeden Film, der dort spielte, gesehen. Vermutlich war sie der größte Fan der Rosamunde-Pilcher-Filmreihe überhaupt.
„Und was Nick betrifft“, ergänzte Tabea, „der kommt bestimmt zur Besinnung. Wie heißt es doch so schön: Man weiß die Dinge erst zu schätzen, wenn man sie verloren hat. Du wirst sehen, am Ende wird sich der ganze Stress gelohnt haben.“
„Klar, die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Jonna gab sich Mühe, den kleinen Stich in der Brustgegend zu ignorieren. „Ob er mir jemals diese eine Frage stellen wird?“ Anstatt ihr endlich den ersehnten Antrag zu machen, gammelte ihr langjähriger Lebensgefährte lieber in ausgebeulten Jogginghosen vor dem Fernseher. Sicher, sie hätte das Zepter in die Hand nehmen können, doch in dieser Hinsicht war sie traditionell. Sie träumte von dem ganzen Paket: läutende Kirchenglocken, ein Haus voller lärmender, lachender Kinder und dem unvermeidlichen weißen Gartenzaun.
„Du unverbesserliche Romantikerin. Glaub mir, die Ehe wird komplett überbewertet.“
„Nicht alle Kerle sind wie Marten“, bemerkte Jonna sanft und hoffte, ihre Chefin würde es ihr verzeihen, sie auf ihren Ex angesprochen zu haben. Er hatte Tabea zwei Tage vor der Hochzeit überraschend den Laufpass gegeben und sie auf allen Kosten sitzenlassen, was sie ihm niemals verzeihen würde. Jonna konnte es ihr nicht verdenken. Tabea war in ihren Grundfesten erschüttert worden. Anders als Jonna glaubte Tabea schon lange nicht mehr an Happy Ends. Geschweige denn an die große, einzig wahre Liebe.
„Also ich für meinen Teil bleibe in Zukunft lieber solo“, schnaubte sie nun auch wie erwartet. „Und du, genieße doch einfach deine wilde Ehe!“
„Du vergisst, dass meine sogenannte wilde Ehe ungefähr so wild ist wie das Sexleben einer Schnecke.“
Jetzt kicherte Tabea. „Jonna, ich liebe deinen trockenen Witz. Ich bin sicher, dass die räumliche Trennung wieder Würze in euer Sexleben bringen wird. Nick wäre nicht der erste Mann, bei dem das funktioniert. Genieße deine Auszeit! Und grüße deine Studienfreundin Liz von mir.“
„Mach ich. Übrigens, nochmals lieben Dank, dass du mir für dieses Abenteuer so kurzfristig freigegeben hast.“
„Kein Thema, meine Liebe. Ich hatte dir die Auszeit ja selbst angeboten. Hauptsache, du kommst wieder und lässt mich nicht hängen, sonst werde ich am Ende vor lauter Frustnaschen noch zur gefürchteten Matrone“, scherzte sie, obwohl Tabea mit ihrer Kleidergröße sechsunddreißig plus immer noch in der Jugendabteilung shoppen konnte.
„Natürlich komme ich zurück. Aber abgesehen davon wäre das Naschen für dich kein Drama. Du bist nicht diejenige von uns beiden, die schon beim Ansehen von Süßem zwei Pfund zulegt.“ Jonna grinste.
„Dafür besitzt du beneidenswerte Kurven, Süße.“
Lachend beendeten sie schließlich das Gespräch.
Eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm hastete an Jonna vorbei. Mit dem Handy in der Hand sprang sie auf, als dem Kind ein Stofftier aus den Händen fiel. Mit wenigen Schritten hatte sie die beiden eingeholt und hob das Tier auf, bevor noch jemand aus Versehen drauftrat. Die Kleine weinte inzwischen und verlangte lautstark nach ihrem plüschigen Gefährten, der einem zerzausten Biber ähnelte.
„Entschuldigen Sie, Sie haben etwas verloren“, sprach Jonna die Mutter an, die inzwischen, alarmiert von dem Gebrüll ihrer Tochter, stehengeblieben war, und reichte ihr das Spielzeug.
„Oh, wie lieb von Ihnen.“ Die sichtlich gestresste Frau nahm das Kuscheltier entgegen und drückte es ihrer Tochter in die kleine Hand. „Hier hast du deinen Baba wieder. Jetzt pass aber gut auf ihn auf, Sofie.“ Sofort versiegten die Tränen der Kleinen und ihre Mundwinkel hoben sich zu einem glücklichen Strahlen. Sie war niedlich, mit blondem Wuschelhaar und blauen Kulleraugen.
So ähnlich habe ich mir mein Kind auch immer vorgestellt. Da war erneut dieses dumme Ziehen in ihrer Brust, doch Jonna überspielte den leisen Schmerz mit einem Lächeln. „Gern geschehen. Gute Reise.“
Die junge Frau bedachte sie mit einem dankbaren Blick. „Das wünsche ich Ihnen auch.“
Jonna zwinkerte dem kleinen Mädchen zu und kehrte zu ihrem Platz und zu einem geduldig wartenden Mr Gandy zurück. Leise seufzend scrollte Jonna sich durch ihre Mails. Noch einmal las sie Liz’ Nachricht, um sich in Erinnerung zu rufen, weshalb sie hier gelandet war.
Liebste Jonna,
schon viel zu lange haben wir uns nicht mehr gesehen! Ich vermisse dich. Ich vermisse unsere nächtelangen Gespräche, dein Lachen, deine Mails. Es ist höchste Zeit, dass wir all die Zeit aufholen, die wir uns nicht gesehen haben. Warum wirfst du nicht ein paar Sachen in den Koffer und besuchst mich hier in Penkerris? Du bist jederzeit herzlich willkommen, ein kleines, aber feines Gästezimmer wartet extra auf dich …
Liz’ Worte zupften an Jonnas Herz. Von Beginn an war Liz einer von jenen Menschen gewesen, mit denen sie sich sofort verbunden gefühlt hatte. Während der Studienzeit waren sie unzertrennlich gewesen, zwei Hälften eines Ganzen, auch wenn sie vom Charakter her nicht hätten unterschiedlicher sein können. Liz, die unbekümmerte lässige Frohnatur, Jonna, die nachdenkliche, gefühlvolle Romantikerin. Seit Jonna die Einladung erhalten hatte, hatte sie unablässig darüber nachgedacht, ihre Freundin im fernen England zu besuchen. Ihre dumme Panik vorm Fliegen hatte sie aber bislang davon abgehalten, und ja, wenn sie ehrlich war, hatte Jonna Liz auch ein wenig beneidet. Ihre Freundin hatte sich ihren Lebenstraum von einem kleinen Café in einem pittoresken Fischerdorf an der Küste Cornwalls erfüllt – samt Ehemann und Stieftochter. Anders als in ihrem eigenen Leben, schien bei Liz alles rund zu laufen. Liz hatte ihren Platz gefunden. Ihren Hafen, ihre Heimat. Sie war angekommen. Jetzt, wo sich Jonna tatsächlich auf den Weg gemacht hatte, schämte sie sich für ihre Gefühle und dafür, so lange gebraucht zu haben, das Glück ihrer Freundin neidlos zu akzeptieren. Sie konnte es kaum mehr erwarten, Liz in die Arme zu schließen. Hoffentlich würde Liz ihr das lange Schweigen verzeihen.
Sie war im Begriff, ihr Handy zurück in die Tasche zu stecken, als ein dunkelhaariger Mann, der im Nirvana-Shirt lässig gegen ein Werbeschild lehnte, ihren Blick einfing und ein kleines, schiefes Lächeln aufblitzen ließ. Innerlich Augen rollend wandte sie sich ab. Ihr Bedarf an schrägen Vögeln war für die nächsten zehn Jahre gedeckt, auch wenn dieser hier dank der beeindruckenden Schultern und der engen, stonewashed Jeans eine ziemlich gute Figur machte, wie sie feststellte.
Um sich mit etwas anderem als ihrer stetig wachsenden Panik zu beschäftigen, überlegte sie, ob sie auch nichts vergessen hatte. Personalausweis, Ticket, Geldbeutel. Das Fläschchen mit dem beruhigenden Aromaöl, Desinfektionsspray, arbeitete sie in Gedanken ihre Liste ab. Kaum dachte sie jedoch daran, dass es bald losging, fing ihr Puls erneut an zu rasen. Vielleicht sollte sie sich lieber Mr Gandy unter den Arm klemmen und den Heimweg antreten.
Zum Kuckuck, Kind! Pack das Leben bei den Eiern!
Opas Stimme. Fast schien es, als säße er hier im Raum und würde ihr verschwörerisch zuzwinkern. Ihm hatte Jonna, die eigentlich Johanna hieß, ihren Rufnamen zu verdanken. Von Geburt an hatte er, dessen Wurzeln in Kopenhagen lagen, sie stets nur mit der dänischen Kurzform angesprochen. Zudem war Henry Paul Madsen der patenteste Mensch gewesen, den sie je gekannt hatte. Niemals hatte er gejammert, obwohl ihn das Leben nicht mit Samthandschuhen angepackt hatte. Probleme sind dazu da, gelöst zu werden, hatte er stets mit einem spitzbübischen Lächeln verkündet, das seine von tausend Lachfältchen umgebenen Augen zum Strahlen brachte. Himmel, wie sie Opa vermisste! Was würde sie nicht alles dafür geben, wenn er jetzt neben ihr sitzen und ihr die Hand tätscheln würde. Opa hatte sich immer viel mehr um ihr Seelenleben gekümmert, als Mama es je getan hatte. Andererseits, wer konnte es ihrer Mutter verübeln? Als alleinerziehende Berufstätige hatte sie alle Hände voll zu tun gehabt – und dann noch mit einem komplizierten Kind wie Jonna. Die meiste Erinnerung an ihre Kindheit war verschwommen, doch das Gefühl, wie sie allein auf dem kalten Boden in einer Ecke des dunklen Hausflurs kauerte und darauf gewartet hatte, dass ihre Mutter spätabends von der Arbeit heimkehrte, hatte sich in ihr Gedächtnis eingegraben. Da waren Schatten gewesen, diese Geräusche, das Ächzen und Knacken des alten Hauses. Jonna zitterte vor Kälte und hatte sich dennoch nicht von der Stelle gerührt, zu groß war ihre Angst gewesen. Ihre Therapeutin glaubte, dass in jenen Nächten Jonnas Panikattacken wurzelten, genau wie die tiefe, verzweifelte Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit, die sie auf Schritt und Tritt begleitete. Auch wenn Jonna im Lauf der Jahre ihren Frieden geschlossen hatte, dass diese Eigenschaften, genau wie die wilden Locken, die tausend Sommersprossen über ihrer Nase und die grünen Augen ein Teil von ihr waren, war sie fest entschlossen, in dieses verdammte Flugzeug zu steigen und nach England zu fliegen.
Sie straffte ihre Schultern. Diesmal würde sie sich ihrer Angst stellen. „Für dich, Opa“, wisperte sie. In dem Moment erklang der Aufruf für den Flug BA 8294 nach Cornwall.
Unaufhörlich schob sich die Menschenschlange in der Gangway Richtung Flugzeug weiter. Mr Gandy und Jonna mittendrin, eingepfercht wie Sardinen in der Dose. Entsetzt stellte Jonna fest, dass der Boden unter ihren Füßen vibrierte, als sie die Maschine betrat. Sie versuchte, ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen. Jonna, du schaffst das. Einatmen, ausatmen. Ein … Sie war so weit gekommen, den Rest würde sie auch noch schaffen.
„Willkommen an Bord.“ Eine uniformierte Flugbegleiterin mit sonnengelbem Halstuch schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und ließ sich von Jonna die Bordkarte zeigen.
Innerlich aufseufzend ergab sich Jonna ihrem Schicksal und suchte mit Mr Gandy im Schlepptau den ihr zugewiesenen Platz.
„Entschuldigung“, bat sie die füllige Dame, mit deren ausladendem Dekolleté sie unfreiwillig Bekanntschaft schloss, als ihr jemand im Vorbeigehen seinen spitzen Ellenbogen in die Seite stieß. Die Frau bedachte sie mit einem säuerlichen Lächeln, und Jonna atmete auf, als sie ihre Sitzreihe erreichte. Noch saß niemand dort, sie war die Erste. Sie schob sich auf den Platz am Fenster, setzte den Transportkorb zu ihren Füßen ab und machte es sich bequem. Vielleicht zeigte sich das Universum gnädig und der Platz neben ihr blieb frei? Die Aussicht, über eine Stunde auf engstem Raum in Gesellschaft einer wildfremden Person verbringen zu müssen, hob nicht gerade ihre Laune. Das metallische Klicken des sich schließenden Gurts über ihrer Hüfte ließ das Bild von Handschellen, die sich wie Eisenringe um ihre Gelenke schlossen, aufblitzen. Klick! Prompt stolperte Jonnas Puls, Schweiß prickelte auf ihrer Stirn. Plötzlich fühlte sie sich wie in einem eisernen Kokon gefangen. Konnte nicht mehr atmen. Sie kniff die Augen zusammen, um die Realität um sich herum auszublenden und ließ den Kopf gegen die Stütze sinken. Ganz ruhig, Jonna. Ein … und aus … Ein … Oh nein! Sie riss die Augen auf und beugte sich vor. Dort, wo eben ihr Hinterkopf die Rücklehne berührt hatte, hatten schon unzählige andere Köpfe gelehnt. Hektisch wühlte sie in ihrer Umhängetasche nach dem Desinfektionsspray, erstarrte jedoch in der Bewegung, als sich jemand auf den freien Platz neben ihr fallenließ, und gab ihr Vorhaben auf. In der Enge der Kabine wäre es ihr irgendwie peinlich, dabei erwischt zu werden, mit dem Spray zu hantieren. Ein Hauch von Aftershave stieg ihr in die Nase und sie hob den Blick, um das knappe Nicken ihres neuen Sitznachbarn zu erwidern. Erleichtert stellte sie fest, dass es sich weder um den Hornochsen vom Check-in noch den Möchtegern-Hulk am Gate handelte, und dennoch kam ihr der Mann irgendwie bekannt vor. Um ein Haar hätte sie einen überraschten Laut von sich gegeben, als ihr Blick sein schwarzes Nirvana-Shirt streifte. Er war derjenige, der sie, lässig gegen das Werbeplakat gelehnt, beobachtet hatte. Du lieber Himmel, der Kerl war doch hoffentlich kein Stalker?
Mit einem Gefühl des Unbehagens ließ sie ihre Tasche auf den Boden sinken und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er sich abmühte, seine langen Beine zu verstauen, was sich als schwieriges Unterfangen erwies. Er fluchte leise, und es dauerte, bis er sich in Position gebracht hatte, um seinen Gurt zu befestigen. Während er sich in seinem Sitzplatz einrichtete, schnupperte sie unauffällig. Was Gerüche anbelangte, war sie sehr empfindlich. Erleichtert stellte sie jedoch fest, dass der Mann gepflegt roch. In dieser Hinsicht konnte man ihm nichts vorwerfen. Sein Duft war herb und frisch zugleich, gekrönt von einem holzigen, moschusartigen Akzent. Männlich, kam es ihr in den Sinn. Sein Geruch brachte irgendeine Saite in ihr zum Klingen. Etwas, das tief in ihr vergraben lag und ihr ein beunruhigendes Kribbeln in der Magengegend bescherte. Die Erkenntnis, dass er gut duftete, trug allerdings nicht dazu bei, dass sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlte. Es machte ihn leider auch nicht sympathischer.
„Um es gleich deutlich zu machen, ich lege keinen Wert auf Smalltalk“, stellte sie vorsorglich klar, als er seinen Blick auf sie richtete. Nur damit er nicht auf dumme Gedanken kam. Als erwachsene Frau, die sehr gut allein zurechtkam, konnte sie auf einen Begleiter, der sich während des Fluges an sie hängte, gut und gern verzichten, sagte sie sich, wobei sie beiläufig eine kleine Narbe, die seine rechte Braue teilte, sowie den Bartschatten auf Kinn und Wangen registrierte. Sein Haar lockte sich im Nacken, und es war einen Tick zu lang.
Als Reaktion auf ihre Worte verdunkelte das Kaffeebraun seiner Augen sich und sein Blick durchbohrte sie förmlich. So als sei er in der Lage, all ihre tiefsten Geheimnisse zu ergründen. Nicht dass Jonna derartige Geheimnisse besitzen würde.
Er hob eine Braue. Die mit der kleinen Narbe. „Ich habe gewiss nicht vor, Sie zu belästigen.“ Obwohl er aufrichtig klang, nahm sie es ihm nicht ab, denn sie bemerkte das leicht amüsierte Zucken seines linken Mundwinkels.
Leider konnte man sich seinen Sitznachbarn nicht aussuchen. Nun, sie würde ihn einfach ignorieren. Mit gerecktem Kinn richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Rollfeld, wo die Flughafenmitarbeiter fleißig dabei waren, die Maschine mit den letzten Gepäckstücken zu beladen. Sie schluckte schwer und atmete tief durch.
„In dem Netz an Ihrem Vordersitz befindet sich übrigens eine Spucktüte“, meldete sich ihr Sitznachbar ungefragt. „Nur für den Fall der Fälle.“ Bildete sie sich das ein oder schwang in seiner Stimme ein Fünkchen Belustigung mit?
Eine Sekunde lang erwog sie, ihm ein paar entsprechende Worte an den Kopf zu werfen, entschied sich dann jedoch dagegen. Es war der Mühe nicht wert. In wenigen Stunden würden sich ihre Wege trennen, und der Mann würde im Nirwana verschwinden. Das passende Shirt trug er ja bereits, dachte sie trocken. Liz hätte sicher über dieses Gedankenspiel geschmunzelt.
Jonna wurde rasch in die Gegenwart zurückgeholt, als die Anschnallzeichen über ihren Köpfen mit einem unüberhörbaren Pling aufleuchteten. Als sich anschließend die kleinen Monitore einschalteten und die Videos mit den Sicherheitseinweisungen starteten, geriet ihr Herz ins Stolpern. Grundgütiger, es ging los! Halt, rief sie stumm, ich bin noch nicht bereit! Mit aller Macht kämpfte sie gegen das aufblubbernde Gefühl der Panik an. Die Maschine setzte sich ruckelnd in Bewegung und Jonna verflocht ihre Finger im Schoß. Ungeachtet der problematischen Sitzbezüge ließ sie sich ins Polster zurücksinken. In ihrem Kopf startete eine Endlosschleife von Highway to hell.
„Wenn es Ihnen keine allzu großen Umstände macht, hätte ich gern meine Hand zurück.“
Die dunkle Stimme riss Jonna aus ihrer Schockstarre. Sie drehte den Kopf und begegnete dem amüsierten Blick ihres Sitznachbarn. „Wie bitte?“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht abstürzen werden.“ Ein Grinsen spielte um seine Lippen, als er eine Kinnbewegung zu ihren miteinander verflochtenen Fingern machte.
Augenblicklich ließ sie ihn los. „Oh lieber Himmel, entschuldigen Sie!“ Unauffällig wischte sie ihre klatschnassen Hände am Jeansrock ab. Irgendwie hatte sich ihre Hand beim Start verselbstständigt und hilfesuchend die ihres Sitznachbarn ergriffen. Wo zum Teufel war das sprichwörtliche Loch zum Hineinkriechen, wenn man es mal brauchte?
„Kein Problem.“
Sie schluckte und gab sich Mühe, das beunruhigende Vibrieren unter ihren Fußsohlen zu ignorieren. „Wissen Sie, ich fliege zum ersten Mal.“ Obwohl sie fest vorgehabt hatte, den Mann zu ignorieren, überfiel sie unvermittelt der unerklärliche Drang, sich ihm anzuvertrauen.
„Nach Manchester?“
„Nach England – ich meine, überhaupt irgendwohin. Bislang hat mich meine Flugangst immer davon abgehalten, in eine Maschine zu steigen. Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber mit neunundzwanzig Jahren sitze ich tatsächlich zum allerersten Mal in einem Flugzeug. Ich hätte nie gedacht, dass das einmal passieren würde.“ Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie es selbst kaum glauben. „Als meine Freundin Liz mich vor ein paar Tagen zu sich nach Cornwall einlud, dachte ich noch, dass es ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Dass ich sie je besuchen werde, meine ich. Doch ehrlich gesagt, kam ihre Einladung genau zum rechten Zeitpunkt. Ich brauche unbedingt diesen Tapetenwechsel, auch wenn …“ Sie verstummte. Himmel, sie plapperte. Ein deutliches Zeichen für ihre Anspannung. Bestimmt interessierte sich dieser Fremde, den sie auf Mitte dreißig schätzte und nicht einmal besonders sympathisch fand, brennend für ihre Probleme und Unzulänglichkeiten.
„Ich bin übrigens Ryan Bennett“, stellte er sich vor. „Vielleicht fühlen Sie sich besser, wenn Sie wissen, an wessen Hand Sie sich geklammert haben“, meinte er mit einem Schmunzeln.
Hörte sie da schon wieder leise Ironie in seiner vermeintlich freundlichen Bemerkung? Sie ging nicht darauf ein, denn in diesem Augenblick neigte die Maschine sich und gab die Sicht auf die bewaldeten Hügel des Taunus frei. In der Ferne glitzerte der Rhein als silbernes Band in der Sonne. „Ich glaube, mir wird schlecht.“ Jonnas Magen machte einen Satz. „Du lieber Himmel, Scheiße!“, entfuhr es ihr.
Ryan spähte ungerührt an ihr vorbei. „Also, ich persönlich finde diesen Anblick jedes Mal beeindruckend.“ Seine Miene verriet keine Regung, als er den Blick wieder auf Jonna richtete.
Sie war sich nicht sicher, ob er sich lustig über sie machte oder versuchte, sie abzulenken. Der Kerl war schwer zu durchschauen. Andererseits war es ihr egal.
Sie verzichtete darauf, seine Aussage zu kommentieren, schloss die Lider und zählte bis zehn. Sie war gerade im Begriff, sich zu entspannen, da sackte das Flugzeug überraschend ab. Ein heftiges Rütteln setzte ein, als würde die Maschine jeden Moment in ihre Einzelteile auseinanderbrechen. Jonnas Herz schlug wild gegen die Rippen. Es war ein Fehler gewesen, in dieses Ding zu steigen. Instinktiv schloss sie ihre Finger um den Gurt.
„Das sind nur harmlose thermische Turbulenzen“, erklärte Ryan, als ob er ahnte, was gerade in ihr vorging. „Sie müssen wirklich keine Angst haben. Das passiert gelegentlich, wenn ein Flugzeug durch aufsteigende, wärmere Luftmassen fliegt.“
Oha. Ein Mister Alleswisser war er also auch.
„Hm“, machte sie. Immerhin wollte sie nicht beeindruckt klingen.
„Ich muss mal!“ Eine forsche Kinderstimme drang durch den Flieger.
Dankbar für die Ablenkung reckte Jonna den Hals.
„Dringend!“, rief die Stimme, die, wie sie jetzt feststellte, zu einem Knirps zwei Reihen vor ihnen auf der linken Gangseite gehörte.
Die brünette Flugbegleiterin, die mit ihrem Kollegen vor dem Kind auf den ausklappbaren Plätzen für das Personal saß, bedachte den Kleinen mit einem gequälten Lächeln. „Sobald wir die Flughöhe erreicht haben, kannst du dich abschnallen und mit deiner Mama auf die Toilette gehen.“
„Das ist nicht meine Mama“, quengelte der Junge. „Das ist meine doofe Schwester. Und ich muss wirklich ganz doll.“
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst vor dem Einsteigen noch mal Pipi machen“, schaltete die Schwester sich augenrollend ein.
„Aber ich muss nicht Pipi, ich muss groß!“
Das Lächeln der Flugbegleiterin gefror. Sie suchte den Blickkontakt zu ihrem Kollegen, dessen Mund sich zu einem breiten Grinsen verzog.
Weil das kleine Drama von ihrer eigenen Misere ablenkte, erhoffte Jonna sich weitere Toilettengeschichten.
„Kinder“, bemerkte ihr Sitznachbar bedeutungsvoll und stieß ein leises Lachen aus.
Sie streifte ihn mit einem Seitenblick. Jemand wie er hatte garantiert keinen Nachwuchs. Seine Kinder hätten ihr tiefstes Mitgefühl verdient. Dieser Kerl schien ihr einer von der Sorte zu sein, die an jedem Finger und in jedem Hafen eine Frau hatte.
Noch immer verspürte sie keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. Normalerweise war es nicht ihre Art, unhöflich zu sein. Ihre wachsende Nervosität machte es ihr jedoch unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, und die Tatsache, dass sie sich in ihrer bodenlosen Panik an einen fremden Mann geklammert hatte, war ihr nach wie vor schrecklich peinlich.
Sie machte in Gedanken drei Kreuze, als ihr Nachbar die Tageszeitung aufschlug und seine Nase darin vergrub, und sie versuchte, so gut es ging, seine Anwesenheit auszublenden.
Der kleine Jack Russell zu ihren Füßen stieß ein zaghaftes Jaulen aus.
„Alles gut, Mr Gandy“, tröstete sie ihn, obwohl sie sich da selbst nicht so sicher war.
„Mr Gandy?“ Ryan lugte hinter seiner Zeitung hervor.
„Das ist sein Name, ja.“ Konnte der Kerl sie nicht endlich in Ruhe lassen? Sie bemerkte, wie seine Mundwinkel erneut zuckten. „Was ist so komisch daran?“
„Sie besitzen also eine Schwäche für den überaus talentierten David.“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
„Und wenn schon.“ Was ging es ihn überhaupt an, ob sie David Gandy anziehend fand oder nicht? Jonna rollte innerlich mit den Augen.
„Selbst als Mann muss ich zugeben, dass der gute Gandy seine Unterwäsche rockt wie kaum ein anderer.“
„Freut mich für Sie.“ Sie atmete auf, als sein dunkler Haarschopf wieder hinter der Zeitung verschwand.
„Ich hoffe, ihr Hund kommt damit klar, den Namen eines international gefeierten, männlichen Models zu tragen“, ließ er sich nicht nehmen, nachzusetzen und beendete den Satz mit einem erstickten Laut, als würde er sich ein Lachen verbeißen.
Schön, dass sie ihn zu erheitern vermochte. Jonna verzichtete auf eine Antwort, denn sie hatte gewiss nicht vor, dieses seltsame Unterhosengespräch fortzuführen. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie nah seine Beine den ihren waren, und sie rückte unmerklich ein Stückchen ab.
Ihre Handflächen trieften förmlich vor Schweiß, als die Maschine endlich ruhigere Luftmassen erreichte. Die Anschnallzeichen erloschen über den Sitzen, und sofort brach hektische Betriebsamkeit in der Maschine aus. Als hätten sich alle verabredet, setzte ein kollektiver Marsch Richtung Toilette ein.
In Frankfurt war es frühlingswarm gewesen und Jonna hatte nicht einkalkuliert, dass es im Flieger wegen der Klimaanlage kühl sein würde. Schnell bereute sie ihre Entscheidung, einen Jeansrock nebst Sandalen angezogen zu haben. Inzwischen glichen ihre Füße zwei Eisklötzen. Den unangenehmen Druck in ihrer Blase versuchte sie zu ignorieren, solange es ging, aber irgendwann kapitulierte auch sie. „Entschuldigen Sie, aber ich …“ Sie entknotete ihre Beine und fixierte ihren Sitznachbarn eindringlich.
„Ja?“
Lieber Himmel, es war doch mehr als offensichtlich, dass sie ein dringendes Bedürfnis quälte. Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick, bevor sie sich erhob. „Ich würde gern meine Nase pudern gehen.“
„Warum sagen Sie das nicht gleich?“ Ryan drehte sich zur Seite, um sie vorbeizulassen.
Blödmann.
Ihre nackten Beine streiften seine Knie, als sie sich an ihm vorbeiquetschte. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die erlösende Toilettentür und zupfte dabei unauffällig an ihrem Rock, der ihr plötzlich viel zu kurz schien. Sie bildete sich ein, Ryans Blick auf ihrem Hintern zu spüren. Ach, sollte er doch starren. Zumindest dieses Körperteil war, wenn sie Nick Glauben schenken durfte, perfekt geraten.Ich liebe deinen süßen, runden Arsch, hatte er früher immer gesagt und sie dabei liebevoll in die Kehrseite gekniffen. Aber das war Ewigkeiten her. Ein Kompliment aus dem Mund ihres Liebsten war inzwischen so häufig wie Schneefall im Hochsommer.
Viel ausladender hätte ihr perfektes Hinterteil allerdings auch nicht sein dürfen, stellte sie kurz darauf fest, als sie versuchte, sich in der winzigen Nasszelle zu positionieren, ohne dabei mit etwas in Berührung zu kommen, das ein gemütliches Zuhause für Einzeller bot.
Nachdem sie ihrer Blase Erleichterung verschafft hatte, wusch sie sich die Hände und starrte ihr Spiegelbild an. Schatten lagen unter ihren grünen Augen und die Sommersprossen über ihrer Nase stachen aus ihrem blassen Gesicht hervor. Im Augenblick würde sie gewiss keinen Schönheitspreis gewinnen. Sie zog sich das Haargummi vom Handgelenk, das sie sich in weiser Voraussicht umgebunden hatte, und zwang ihre störrischen Locken mehr oder weniger erfolgreich in einen Pferdeschwanz. Anschließend kramte sie in ihrer Tasche nach den Baldrianpillen und spülte zwei weitere Tabletten mit einer Handvoll Wasser, die sie dem vor sich hin tröpfelnden Wasserhahn abrang, hinunter. Die Tabletten versagten noch immer ihren Dienst. Sie machte sich eine mentale Notiz, später mit Tabea über diese sogenannten Wunderpillen zu reden.
Dennoch fühlte sie sich besser, als sie an ihren Sitzplatz zurückkehrte. Ryan hatte sich Kopfhörer in die Ohren gestöpselt und sah nicht mal auf, als sie sich an ihm vorbei zum Fensterplatz schlängelte. Was für ein Glück, dass er offensichtlich beschlossen hatte, einen Schlussstrich unter ihre Konversation zu ziehen. Vielleicht konnte sie jetzt ein wenig entspannen. Zum Glück hatte der Flieger sich beruhigt, Jonna spürte kaum mehr als ein gelegentliches, kaum wahrnehmbares Ruckeln unter den Fußsohlen. Vielleicht war das Schlimmste überstanden. Nachdem sie es sich bequem gemacht hatte, wagte sie es, die Augen zu schließen.
Ein neuerliches Pling schreckte sie allerdings nach wenigen Minuten wieder auf. Die Anschnallzeichen über ihren Köpfen leuchteten und Jonna zuckte regelrecht zusammen, als eine blechern klingende Stimme ertönte.
„Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Flugkapitän. Da wir in unruhige Turbulenzen geraten werden, habe ich die Anschnallzeichen angewiesen. Bitte begeben Sie sich umgehend zu Ihrem Sitzplatz und schnallen Sie sich an.“
Turbulenzen? Sollte das ein Witz sein? Jonnas Herzschlag setzte eine Sekunde lang aus. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie Mühe hatte, ihren Gurt anzulegen.
Ryan fing ihren panischen Blick ein, zog die Kopfhörer aus seinen Ohren und hob fragend eine Braue.
„Wir sollen uns anschnallen“, erklärte sie und räusperte sich, um das Beben in ihrer Stimme zu kaschieren. „Turbulenzen.“
Umgehend befestigte er ebenfalls seinen Gurt. „Reine Vorsichtsmaßnahme“, meinte er gelassen. „Diese Turbulenzen sind nichts weiter als ein kleiner Pups in den unendlichen Weiten des Universums.“
Echt jetzt? Hatte er das eben wirklich gesagt? „Pups?“, wiederholte sie schwach.
Ryan zuckte mit den Schultern. „Ich versuche lediglich …“
Er verstummte, als in diesem Moment die Maschine um gefühlte hundert Meter absackte. Einige Passagiere schrien auf, und ein kollektives Raunen schwebte durch die Sitzreihen. Jonna krallte ihre Finger in die Armlehnen und presste die Lippen aufeinander, bis sie schmerzten. Niemals in ihrem bisherigen Leben hatte sie auch nur einen Fuß in eine Achterbahn gesetzt. Sie wusste warum. Genauso musste es sich anfühlen, hunderte von Metern ungebremst in die Tiefe zu stürzen. Leider gab ihr das Universum keine Chance, sich von dem Schreck zu erholen, denn abermals verlor die Maschine abrupt an Höhe. Zu viel für ihren Magen. Er vollführte einen zirkusreifen Salto.
„Grundgütiger“, rief Jonna und drehte sich verzweifelt ihrem Sitznachbarn zu.
„Grundgütiger“, echote Ryan, als zeitgleich ihr Frühstück von heute früh inklusive des im Flughafen verzehrten Orangensafts und der Baldrianpillen in seinem Schritt landete.
„Hatte ich Sie nicht darauf hingewiesen, dass sich die Spucktüte am Sitz vor Ihnen befindet“, bemerkte Ryan wenige Sekunden später und offensichtlich ziemlich angepisst. Fassungslos starrte er auf die Sauerei, die seine Jeans jetzt an einer äußerst delikaten Stelle zierte.
„Das … irgendwie habe ich nicht mehr daran gedacht“, stammelte Jonna in dem Versuch, den Schaden zu begrenzen.
Ryans Pupillen verengten sich. „Was Sie nicht sagen.“ Seine Stimme troff vor Sarkasmus. Er bemühte sich, die Überreste ihrer Verdauung mit den Fingern wegzuwischen, doch rasch gab er auf, schnallte sich trotz Anschnallaufforderung ab und begab sich eiligen Schrittes Richtung Bordtoilette.
Diese Reise entpuppte sich als der reinste Horror! Verzweifelt und mit zitternden Fingern öffnete Jonna ihre Handtasche, um sich eins von den Babypflegetüchern herauszunehmen und sich über die Lippen zu wischen. Jetzt hatte sie zwar den Geschmack von Kamille im Mund und duftete gepflegt nach Babypopo, aber das war definitiv besser als vorher. Erschöpft ließ sie ihren Kopf gegen die Stütze sinken und schloss die Augen. In weniger als einer halben Stunde würden sie in Manchester landen. Was für ein Glück, dass sie Ryan Bennett niemals im Leben wieder über den Weg laufen würde.
Nach einer etwas steifen und knappen Verabschiedung von Ryan Bennett floh Jonna mit Mr Gandys Transportkiste unter dem Arm aus der Maschine. Sie war erleichtert, dass sie die erste Etappe der Flugreise hinter sich gebracht und wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Am liebsten wäre sie vor Dankbarkeit auf die Knie gesunken, um den Steinboden des Flughafengebäudes zu küssen. Andererseits – nein, besser nicht. Vermutlich hätte ihr das nicht nur verstörte Blicke eingebracht, sondern auch den unfreiwilligen Kontakt zu einer Unmenge von Bakterien. Kontakt, der unweigerlich den Ausbruch von Krankheiten oder Seuchen zufolge hätte. Ihr Bedarf an Aufmerksamkeit war für heute gedeckt. Mit weichen Knien passierte sie den Zoll und machte sich anschließend auf den Weg zum Abfluggate nach Newquay, wo sie erneut eincheckte.
Zu ihrem Horror entdeckte sie auch ihren ehemaligen Sitznachbarn in der Schlange. Sie konnte ihr Pech kaum fassen. Das Universum, oder wer auch immer dort oben schaltete und waltete, musste einen schrägen Sinn für Humor besitzen. Sie verlor Ryan jedoch aus den Augen, und zu ihrer großen Erleichterung entpuppte sich ihre neue Flugbegleitung als eine nette, englische Dame in den Fünfzigern. Die kurze Strecke nach Newquay verlief ohne weitere Zwischenfälle. Diesmal gab es weder Turbulenzen, noch musste Jonna die beengte Flugzeugtoilette aufsuchen. Mrs Donahue, ihre Reisegefährtin, verwickelte Jonna in ein Gespräch über Mr Gandy, der die ältere Dame mit seinen treuen Knopfaugen und seinem Charme verzauberte. Ehe Jonna sich versah, waren sie in Newquay angekommen und sie folgte den anderen Passagieren zur Gepäckausgabe. Ihre neue Glückssträhne schien anzuhalten. Sie musste nicht lange auf ihren Koffer warten, und vermied es erfolgreich, Ryan wiederzusehen. Nachdem sie ihre Siebensachen eingesammelt hatte, entschied sie, statt des Busses ein Taxi zu nehmen. Schon viel zu lange waren sie und Mr Gandy unterwegs. Per Taxi würde sie schneller an ihr Ziel gelangen, deshalb hielt sie vor dem Flughafengebäude Ausschau nach einem Wagen. Der Jack Russell hatte sich zuvor auf einem schmalen Grünstreifen erleichtert und sie hatte ihn ein paar Minuten herumschnüffeln lassen und mit Wasser versorgt, ihn dann aber wieder – unter lautem Protest seinerseits – in seine Behausung verfrachtet. Jetzt wollte sie nichts mehr als sich so rasch wie möglich nach Penkerris zu Liz begeben. Ein gutes Essen genießen, die Füße hochlegen und die schreckliche Reise vergessen. Vergeblich unterdrückte sie ein Gähnen. Mit einem Mal überfiel bleierne Müdigkeit sie. Außerdem hatte sie inzwischen einen Bärenhunger. Liz hatte sie wissen lassen, dass sie sich heute freigenommen hatte und mit dem Essen auf sie wartete, und die Aussicht, in Kürze eine leckere Mahlzeit in Gesellschaft lieber Menschen zu genießen, hob Jonnas Laune merklich.
Mehrere Taxis fuhren vorbei, ohne anzuhalten, obwohl Jonna jedes Mal mit eifrigem Winken auf sich aufmerksam machte. Hatten sich sämtliche Taxifahrer gegen sie verschworen? Oder war es der Transportkorb, der die Fahrer davon abhielt, sie mitzunehmen? Flüchtig erwog sie, doch zur Bushaltestelle zu laufen, doch dann gab sie sich einen Ruck. So schnell würde sie nicht die Segel streichen. Unauffällig schob sie Mr Gandys mobiles Zuhause hinter den Trolley, sodass er von der Straße aus nicht gleich zu sehen war. Tatsächlich näherte sich fünf Minuten später ein Taxi. Der Fahrer hatte sie bemerkt. Am liebsten hätte Jonna laut gejubelt. Noch einmal winkte sie dem Mann, damit er es sich auch in letzter Minute nicht anders überlegte.
„Ach wie schön! Da habe ich ja mal Glück“, hörte sie eine weibliche Stimme in ihrem Rücken ausrufen. „Das ging ja schnell!“ Schwerkeuchend blieb eine alte Dame neben ihr stehen. „Taxi?“ Mit ihrer Lederhandtasche wedelte sie Richtung Straße.
„Ähm ja“, meinte Jonna mit einem entschuldigenden Lächeln. „Das ist meins.“
Sichtlich bestürzt musterte die Frau sie aus wasserblauen Augen, die Jonna prompt an übervolle Stauseen erinnerten. „Ach nein! Sagen Sie nicht, das ist Ihr Wagen?“ Ihre Gesichtszüge erschlafften. „Womöglich ist es jetzt zu spät. Oh, mein Enkelchen!“
Inzwischen hatte das Taxi angehalten. Der Fahrer, ein untersetzter Mann mit zurückweichendem Haaransatz, schob sich hinter dem Steuer hervor und fixierte Jonna. „Wohin soll’s gehen?“
„Penkerris, bitte“, informierte sie ihn freundlich.
„An die Küste?“
„Genau“, bestätigte sie, dankbar für die Semester Englisch, die sie an der Uni belegt hatte. Der Mann besaß zwar einen starken Akzent, doch sie war in der Lage, mit ihm zu kommunizieren. Sie nahm ihr Gepäck auf und setzte sich in Bewegung, in dem Bewusstsein, dass die alte Dame sich an ihre Fersen heftete. „Was ist denn mit Ihrem Enkelchen?“, hakte Jonna schließlich nach und blieb stehen, obwohl sie ahnte, dass dies ein Fehler war.
Zarte, knochige Finger legten sich um ihren Unterarm. „Ach wissen Sie, meine Schwiegertochter, Posie, liegt im Krankenhaus und erwartet ihr erstes Kind. Ich hätte ja nie gedacht, dass Geoff noch einmal eine Frau findet, geschweige denn eine Familie gründet. In seinem Alter! Mein Geoff war immer so ein Eigenbrötler, verstehen Sie?“
Bei Jonna schrillten sämtliche Alarmglocken los. Weil der Taxifahrer langsam ungeduldig wurde, signalisierte sie ihm, dass sie in Kürze einzusteigen gedachte.
„Posie ist auch nicht mehr die Jüngste“, fuhr das Mütterchen fort. „Nach zwei Fehlgeburten hat sie sich deshalb entschieden, das Kind im Krankenhaus zur Welt zu bringen, obwohl alle Frauen in ihrer Familie …“
„Warten Sie“, unterbrach Jonna seufzend den Wortschwall. „Nehmen Sie das Taxi. Und alles Gute für Ihr Enkelchen.“
Du bist bescheuert, konstatierte das Teufelchen in ihrem Kopf.
„Darling, Sie sind ein Engel!“ Gold blitzte zwischen den elfenbeinfarbenen Zähnen der alten Dame auf, und die Faltenkränze um ihre Augen vertieften sich. „Ich werde für Sie beten, Kind.“
„Wie nett“, krächzte Jonna mit dem letzten Rest an Enthusiasmus, den sie aufbringen konnte, und rang sich ein Lächeln ab. Vielleicht konnte die alte Dame ja dafür beten, dass in Kürze ein neues Taxi auftauchte. Der Magen hing ihr mittlerweile in den Kniekehlen. Wenn sie noch länger hier herumstand, würde sie vermutlich einfach umkippen. Frustriert verfolgte sie, wie Geoffs Mum überraschend sportlich ins Taxi stieg und ihr fröhlich durch das Rückfenster zuwinkte, während sich der Wagen in den Verkehr einfädelte. Jonna winkte zurück. Sekunden, Minuten verstrichen. Etliche Privatwagen fuhren vorbei, drei hielten an, um jemanden aus- oder einsteigen zu lassen. Weit und breit ließ sich jedoch kein Taxi blicken. An ihrer Unterlippe nagend, strich Jonna sich eine Locke aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so schwierig sein würde, von hier wegzukommen. Nicht mal eine Müslischnitte hatte sie sich eingepackt! Sie hätte es besser wissen müssen. Ihr Magen protestierte zunehmend mit lauteren Knurrgeräuschen. Bestimmt erging es Mr Gandy nicht anders. Mit einem leisen Stöhnen ging Jonna in die Knie, um einen Blick in den Transportkorb zu werfen, als sie im Augenwinkel auf der Straße eine Bewegung wahrnahm. Es war ein Taxi – ein geräumiger Kasten-Kombi. Hastig schoss sie hoch. „Hier“, rief sie, mit beiden Armen wild gestikulierend. Dieses Taxi war ihres. Dieses Mal würde sie nichts davon abhalten einzusteigen, und wenn Queen Mum höchstpersönlich auftauchen und den nationalen Notstand erklärte.
„Miss?“
Jonna murmelte etwas Unverständliches, versuchte die Hand, die sie an der Schulter berührte, abzuschütteln. Sie träumte gerade so schön, war nicht bereit, dieses wunderbar wohlige Schwebegefühl zwischen Himmel und Erde zu verlassen.
„Aufwachen, Miss!“
Jetzt schreckte sie hoch und riss die Augen auf. Der Taxifahrer, der sich ihr am Airport als Perran vorgestellt hatte, stand neben dem Wagen und hielt ihr erwartungsvoll die Tür auf.
„Wir sind da“, teilte er ihr in seinem weichen, kornischen Akzent mit, wobei er eine breite Zahnlücke entblößte.
Sie richtete sich auf und spähte blinzelnd durch die Windschutzscheibe. Der Wagen hatte auf einem Feldweg vor einer mit Moos bewachsenen Natursteinmauer, die sich zu beiden Seiten eines Viehgitters erhob, gehalten. „Wir sind da?“, wiederholte sie. Sie musste unterwegs eingenickt sein und tief und fest geschlummert haben.
„Aber ja. 31 Rosemary Lane“, versicherte Perran und betonte jedes einzelne Wort überdeutlich, als spräche er mit einem Kind.
Vielleicht sollte sie seine Geduld nicht überstrapazieren. „Vielen Dank.“ Sie schenkte ihm ein extrabreites Lächeln, bevor sie nach dem Transportkorb griff und sich vom Sitz schob.
Während Perran zum Kofferraum trabte, um ihren Trolley zu holen, ließ sie den Blick schweifen. Das Cottage ihrer Freundin lag etwas oberhalb von Penkerris, eingebettet zwischen grüne Hügel und mit Blick auf die kleine hufeisenförmige Bucht und den Hafen. Mit seinem dunklen Schindeldach und den weinrot gestrichenen Fensterläden, die mit der Haustür um die Wette leuchteten, duckte sich das Haus gegen den Westwind. Kletterrosen und Glyzinien rankten an der weißgetünchten Steinfassade hoch und eine Ansammlung von bunten Frühlingsblumen in Terrakottatöpfen schmückte den Eingang. Inmitten von Hecken, die das Grundstück säumten, blitzte sonnengelber Stechginster hervor, und im Schatten hoher, alter Ulmen sah Jonna das Blech eines grünen Autos aufblitzen. Unverkennbar Liz’ Wagen. Jonna hatte das Gefühl, dieses Fleckchen Erde wie ihre eigene Westentasche zu kennen, denn sie hatte es schon auf unzähligen Bildern gesehen, die die Freundin ihr per E-Mail hatte zukommen lassen. Aufregung stieg wie Champagnerblubberbläschen in ihr empor. Plötzlich waren die Müdigkeit und die sich anbahnenden Kopfschmerzen wie weggeblasen und wichen einem Gefühl der Dankbarkeit für Perran, der sie und Mr Gandy sicher hierhergebracht hatte. Sie fragte Perran nach dem Preis für die Fahrt, kramte in ihrer Umhängetasche nach dem Geldbeutel und drückte dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld in die Hand.
„Danke, meine Liebe. Haben Sie einen guten Aufenthalt.” Erneut ließ er sie seine Zahnlücke sehen und tippte gegen eine imaginäre Kappe, bevor er sich hinter das Steuer seines Taxis klemmte.
Jonna sah dem Taxi hinterher, wie es langsam den Weg hinunterrollte und um die nächste Biegung verschwand. Ein tiefes Glücksgefühl erfasste sie. Sie hatte es geschafft! Trotz Panikattacke und Herzklopfen war sie in Cornwall angekommen. Sie fischte das Handy aus ihrer Tasche, um Tabea wissen zu lassen, dass sie gut angekommen war. Anschließend schloss sie mit einem leisen Lächeln die Augen und genoss, wie der Seewind über ihr Gesicht strich. Während sie sich von der frühen Mittagssonne das Gesicht wärmen ließ, lauschte sie dem fernen Tuckern von Fischerbooten und dem Geschrei der über dem Meer kreisenden Möwen. Mein Gott, war das schön! Es war geradezu perfekt. Noch vor ein paar Tagen hätte sie sich niemals träumen lassen, dies hier je zu erleben.
Rumpelnd folgte ihr der Trolley über das Viehgitter, als Jonna dem geschwungenen Kiesweg zum Cottage folgte. Vor der roten Tür blieb sie stehen, um sich für die Begegnung zu wappnen. Sie betätigte den gusseisernen, verschnörkelten Türklopfer, doch da sich nichts rührte, drückte sie kurzerhand die Klinke herunter. Mit einem Knarren gab die Tür nach, und Jonna trat in den Vorraum, wo ein herrlicher Duft von Äpfeln, Zimt und frischem Backwerk sie empfing, vermengt mit dem appetitlichen Geruch eines Auflaufs.
„Jonna!“ Liz kam ihr strahlend entgegengelaufen. „Oh mein Gott, dass du endlich da bist! Ich kann es kaum glauben, oh mein Gott!“ Liz zog Jonna in eine stürmische Umarmung.
Jonna atmete das Parfum ihrer Freundin ein, diesen vertrauten Duft nach Erinnerungen vergangener Jahre, und drängte die Tränen zurück. Wie sehr sie Liz vermisst hatte, wurde ihr erst jetzt schmerzlich bewusst. „Sachte, du erwürgst mich noch.“ Halb lachend und halb weinend befreite sie sich.
Ein paar Augenblicke standen sie da und sahen einander an, als könnten sie es beide nicht fassen, sich endlich wieder gegenüberzustehen. Waren sie nicht gestern erst zusammen durch die Heidelberger Altstadt gebummelt, hatten brütend über ihrer Semesterabschlussarbeit gesessen oder es sich auf der abgewetzten Couch in Jonnas winzigem Studentenzimmer vor dem Fernseher gemütlich gemacht? Hatten sie nicht gestern erst die Nächte durchgequatscht? Wie in aller Welt hatte es passieren können, dass sie einander so aus den Augen verloren hatten? Jonna konnte gar nicht begreifen, dass sie nicht schon viel früher hier gelandet war.
„Willkommen im Hollyhock Cottage.“ Liz drückte sie noch einmal fest, ehe sie sich löste und Jonna eine Armlänge von sich hielt, um sie anzusehen. „Ich freue mich riesig, dass du endlich hier bist.“
„Ich mich auch, Liz. Und es … tut mir leid.“ In einer hilflosen Geste hob Jonna die Schultern.
Ein Ausdruck des Erstaunens huschte über Liz’ Gesicht. „Was meinst du?“
„Dass ich so lange gebraucht habe, um mich endlich dazu durchzuringen, dich zu besuchen.“ Jonna biss sich auf die Unterlippe, denn inzwischen schämte sie sich für den Anflug von Neid, den sie angesichts von Liz’ Leben verspürt hatte.
„Jetzt bist du ja hier.“ Liz’ veilchenblaue Augen funkelten. „Du hast Glück mit dem Wetter. Gestern pfiff uns noch ein eiskalter Wind um die Ohren, und geregnet hat es auch. Das Wetter hier an der Küste kann im Frühling schnell umschlagen.“
„Ich bin auf alle Eventualitäten vorbereitet und habe eine dicke Strick- und natürlich auch eine Regenjacke dabei.“
„Perfekt. Gut schaust du übrigens aus.“ Liz musterte sie anerkennend. Obwohl sie jetzt schon sechs Jahre in Cornwall lebte, besaß sie noch immer ihren markanten, bayerischen Akzent.
„Und du erst“, gab Jonna das Kompliment zurück. Liz schien keinen Tag gealtert zu sein, seitdem sie die Freundin zuletzt bei ihrer Hochzeit in Rosenheim gesehen hatte. Wie damals trug sie einen frechen Kurzhaarschnitt, und die ausgewaschenen Boyfriend-Latzhosen, in denen ihre knabenhafte Figur steckte, hätten genauso gut ihrer gemeinsamen Studentenzeit entstammen können.
„Ist mit dir alles in Ordnung?“ Liz war nicht entgangen, dass Jonna vergeblich versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken.
„Es geht mir gut. Ich bin lediglich etwas erledigt von der Reise.“
„Kein Wunder, du Arme“, tröstete Liz sie. „Zumal du ja noch nie zuvor geflogen bist.“
Stimmt, das war ein Novum. Genau wie die Tatsache, dass sie einem wildfremden Mann in den Schritt gekotzt hatte.
„Jetzt entspanne dich erstmal bei einem guten Essen und einem Glas Wein. Ich hoffe, du hast einen ordentlichen Appetit mitgebracht?“
Das war das Stichwort für Mr Gandy, der mit einem kräftigen Bellen auf sich aufmerksam machte.
Liz spähte in den Transportkorb. „Oje, das arme Hascherl. Lass uns ins Wohnzimmer gehen, dort stehen Futter und Wasser bereit.“
„Liz Pengelly, du bist ein Schatz.“ Bereitwillig ließ sich Jonna von Liz das Gepäck abnehmen. Die Bodendielen knarrten unter ihren Schritten, als sie ihrer Freundin durch eine Diele mit blau-weißer Blümchentapete in einen gemütlichen Raum hinein folgte. Sie blieb stehen und bewunderte die dunklen Holzbalken an der Decke, die halbhoch mit Holz verkleideten Wände in gebrochenem Weiß und die warmen, freundlichen Farbtöne. Es gab einige wenige Bauernmöbel, einen gusseisernen Holzofen sowie ein bequemes Polstersofa, aufgepeppt durch Kissen mit floralen Mustern, sowie einen sandfarbenen Teppich und ein paar hübsche Topfpflanzen vor den geteilten Fenstern. Die perfekte Mischung aus Romantik und Gemütlichkeit. Typisch Liz. Sie hatte schon immer ein Faible für den englischen Cottagestil gehabt. „Dein Haus ist wunderschön, Liz“, bemerkte Jonna.
„Schön, dass es dir gefällt.“ Liz glitt mit der Hand liebevoll über die Holzvertäfelung an der Wand. Dieses Haus bedeutete ihr viel. Sie und Lowen hatten es, kurz nachdem sie ihm nach Cornwall gefolgt war, während eines Ausflugs entdeckt und sie hatte sich sofort in das Anwesen verliebt. Zusammen hatten sie es voller Hingabe restauriert und mit Liebe eingerichtet, und eigentlich hätte dieses Cottage ein Zuhause bis zum Rest ihres gemeinsamen Lebens bleiben sollen. Sie stieß einen kleinen, kaum hörbaren Seufzer aus und verwies Jonna auf zwei auf dem Boden stehende Kunststoffschälchen. „Hundefutter und Wasser für deinen Süßen. Zeig ihm, was Tante Liz für ihn vorbereitet hat, dann verzichtet er hoffentlich darauf, an mir herumzuknabbern.“
Schmunzelnd ging Jonna in die Knie und öffnete den Transportkorb. „Mr Gandy ist wohlerzogen, Liz, er beißt nicht.“
„Wenn du das sagst.“ Liz fuhr sich durchs Haar. „Hör zu, ich organisiere uns rasch das Essen. Bin gleich zurück!“
Sie verschwand Richtung Küche und Jonna widmete sich nun dem Jack Russell, der misstrauisch aus seinem Gefängnis hervorlugte. „Na komm schon raus, mein Kleiner“, lockte sie ihn.
Schwanzwedelnd erhob er sich, stupste seine feuchte Schnauze in ihre Hand und ließ sich von ihr streicheln. Kaum jedoch entdeckte er den Fressnapf, sauste er davon und Jonna war vergessen. Gegen saftige Häppchen in Soße kam sie nun mal nicht an.
Während ihr vierbeiniger Freund fraß, trat Jonna an das deckenhohe Bücherregal und betrachtete die umfangreiche Auswahl. Sie zog erst einen, dann einen weiteren Band heraus, blätterte darin und verlor sich in den ersten Seiten. Bücher waren ihre Freunde. Ihre Rückzugsmöglichkeit aus einem zuweilen verwirrenden und beängstigenden Alltag, wo sie in ferne, fremde Welten und Universen eintauchen konnte. Wenn sie las, vergaß sie die Zeit und zu Nicks Unmut auch zuweilen alles andere um sich herum.
„Setz dich doch bitte.“ Liz tauchte auf, zwischen ihren in dicken Ofenhandschuhen steckenden Händen eine dampfende Auflaufform balancierend.
Jonna blickte von ihrer Lektüre auf und schob das Buch mit leisem Bedauern zurück. „Kate Morton, Rosie Thomas, Lucinda Riley … du hast eine beeindruckende Bibliothek, Liz“, zählte sie einige der Werke auf. „Ganz nach meinem Geschmack.“
Liz platzierte das Essen auf dem weißen Holztisch mit den filigran gedrechselten Beinen, entledigte sich ihrer Handschuhe und wandte sich Jonna zu. „Du kannst sie dir gern ausleihen. Oder besser noch, komm nächsten Dienstag zu mir ins Café. Meine liebe Freundin Mabel gründete vor einigen Monaten einen Lesezirkel und hat es zur Tradition gemacht, dass wir Frauen uns jeden zweiten Dienstag im Monat treffen und gemeinsam lesen und diskutieren.“
„Das hört sich wundervoll an.“ Vielleicht würde sie das tatsächlich tun. Unter Menschen, die Bücher liebten, fühlte sie sich grundsätzlich wohl.
„Ich hoffe, du magst Krabbenpastete?“, erkundigte sich Liz, nachdem sie es sich am Esstisch gemütlich gemacht hatten.
„So herrlich wie es duftet, werde ich sie ganz bestimmt lieben“, versicherte Jonna und schnupperte verzückt, während sie ihr Besteck in die Hand nahm. Ihre Freundin hatte schon immer ein Händchen fürs Kochen und Backen besessen. Sie dagegen interessierte sich mehr fürs Naschen. Was die Pölsterchen an ihrer Hüfte auch unschwer erkennen ließen, wie Nick stets betonte. Entschieden fegte sie sein Bild beiseite. Sie schob sich einen Stuhl zurecht und setzte sich, woraufhin Mister Gandy herbeitrottete und sich zu ihren Füßen einrollte.
„Ehrlich gesagt, muss ich dir etwas gestehen“, sagte Liz zögerlich, während sie die Pastete anschnitt und auf die Teller verteilte. „Diese Pastete hat Corey für mich zubereitet. Er ist ein guter Freund und besitzt ein zauberhaftes kleines Lokal, das Crab Shack im Dorf. Ich habe momentan einfach so viel um die Ohren, deshalb …“ Sie zuckte mit den Achseln.
„Liz, du musst dich doch nicht entschuldigen.“ Jonna nahm sich die bereits geöffnete Weinflasche vom Tisch, um das Etikett zu studieren.
„Ein Camel Valley Rosé“, bemerkte Liz und reichte Jonna eine großzügige Portion Pastete. „Bin gespannt, wie er dir schmeckt.“
„Hauptsache, es ist Alkohol drin.“ Jonna seufzte.
„So schlimm?“ Belustigt hob Liz eine feine Braue.
„Schlimmer.“ Sie schob sich eine Haarlocke hinters Ohr. „Du ahnst ja nicht, was ich hinter mir habe. Aber Frau Bialek wäre stolz auf mich. Ich habe mich aufgerafft und bin tatsächlich geflogen.“
„Frau Bialek?“
„Meine Therapeutin. Sie behandelt mich seit einiger Zeit wegen meiner Panikattacken.“ Seltsam, wie leicht es ihr fiel, in Liz’ Gegenwart darüber zu sprechen.
Liz ließ das Geständnis unkommentiert, wofür Jonna ihr dankbar war, denn sie war noch nicht in der Stimmung, sich auf schwieriges Terrain zu begeben. Nicht nach dieser nervenaufreibenden Reise.