Drowning In You. Nur einen Atemzug entfernt - Elina Krüers - E-Book
SONDERANGEBOT

Drowning In You. Nur einen Atemzug entfernt E-Book

Elina Krüers

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Wenn deine Vergangenheit der Weg in deine neue Zukunft ist**  Als Luna im Rahmen eines Austauschprogramms an die Hood River Valley High School in Oregon wechselt, will sie nur eins: die Vergangenheit hinter sich lassen und endlich einen Neubeginn wagen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn immer wieder werden die dunklen Erinnerungen der ehemaligen Leistungsschwimmerin an die Oberfläche gespült. Einzig in der Gegenwart des attraktiven Kendrick, dem Sohn ihrer Gasteltern, kann sie frei atmen. Aber der Herzensbrecher ist nicht nur ebenfalls ein erfolgreicher Schwimmer, sondern scheint Geheimnisse vor Luna zu haben, die nicht nur ihre Gefühle in Gefahr bringen könnten …  Eine herzergreifende Sports Romance mit Tiefgang für alle, die Meerweh haben! //»Drowning In You. Nur einen Atemzug entfernt« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Elina Krüers

Drowning In You. Nur einen Atemzug entfernt

**Wenn deine Vergangenheit der Weg in deine neue Zukunft ist**

Als Luna im Rahmen eines Austauschprogramms an die Hood River Valley High School in Oregon wechselt, will sie nur eins: die Vergangenheit hinter sich lassen und endlich einen Neubeginn wagen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn immer wieder werden die dunklen Erinnerungen der ehemaligen Leistungsschwimmerin an die Oberfläche gespült. Einzig in der Gegenwart des attraktiven Kendrick, dem Sohn ihrer Gasteltern, kann sie frei atmen. Aber der Herzensbrecher ist nicht nur ebenfalls ein erfolgreicher Schwimmer, sondern scheint Geheimnisse vor Luna zu haben, die nicht nur ihre Gefühle in Gefahr bringen könnten …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Lunas Playlist

Danksagung

© privat

Elina Krüers denkt schon seit früher Kindheit in Geschichten und hat eigentlich immer etwas zum Schreiben dabei. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst und wenn sie nicht gerade über Rechtsgutachten brütet, steckt sie wahrscheinlich in mehr oder weniger sauberen Laufsachen. Als begeisterte Sportlerin fasziniert sie die Welt des Leistungssports, die ihr ständig neue Ideen für tiefgründige, mitreißende und humorvolle Liebesgeschichten liefert.

Für meine Schwester Alissa

Lunas Playlist

Waiting For The Tide – Cody Simpson

Head Above Water – Avril Lavigne

Ain’t It Fun – Paramore

Hard Times – Paramore

Summer Is A Curse – The Faim

Run Like A Rebel – The Score

Fallin’ (Adrenaline) – Why Don’t We

Show ’Em (What You’re Made Of) – Backstreet Boys

Vapor – 5 Seconds Of Summer

Kiss Me – Olly Murs

You Don’t Know Love – Olly Murs

Chlorine – Twenty One Pilots

American Money – BØRNS

Watershed – Giant Rooks

In Too Deep – Why Don’t We

Bleeding Out – Imagine Dragons

Demons – Imagine Dragons

Monster – Paramore

Fire – The Faim

I Like Me Better – Lauv

Chills – Why Don’t We

Underwater – Cody Simpson

Unconditionally – Katy Perry

Sun Go Down – Cody Simpson

Bonustrack:

Sexy And I Know It – LMFAO

Prolog

Es ist endlich Sommer. Der Himmel über Sankt Peter Ording ist strahlend blau, warme Sonnenstrahlen kitzeln auf meiner Haut und der raue Nordseewind fährt mir durch die Haare. Keine andere Jahreszeit liebe ich so sehr – den ganzen Tag schwimmen, kiten, faul im Sand liegen und abends am Strandlagerfeuer Marshmallows rösten. Es gibt nichts Besseres. Und ich kann mir keine schönere Heimat vorstellen als dieses Fleckchen Erde mit seinem breiten Sandstrand und dem endlosen Meer. In Sankt Peter Ording fühle ich mich zu Hause – mit Haut und Haaren und meinem ganzen Herzen.

An diesem Abend fahren wir in Sandros altem VW-Bus raus an den Strand. Im Gepäck hat mein Bruder Surfbretter, einen tragbaren Grill, eine Menge Bier und sechs ausgelassen lachende Mädchen – mich, meine beste Freundin Hannah und noch ein paar Mädels aus dem Schwimmteam. Ich bin Leistungsschwimmerin, seit ich denken kann, und ich habe gerade meine dritte Goldmedaille bei den deutschen Meisterschaften gewonnen. Außerdem habe ich mich mit meiner neuen Rekordzeit geradewegs in die Qualifikationen für Olympia katapultiert und kann es noch immer kaum fassen. Ich bin so glücklich, dass ich meinen Kopf aus dem offenen Autofenster strecke, tief Luft hole und »SPO, ich liebe dich!« in die Straßen von Sankt Peter Ording brülle. Lachend zieht mich Hannah wieder zurück ins Auto und zupft an der glänzenden Medaille, die um meinen Hals baumelt.

»Pass auf, Champion, sonst fällst du noch raus.«

»Quatsch«, lache ich, dann drehe ich das Radio laut auf und wir brüllen den Refrain von Cody Simpsons Waiting For The Tide hinaus in die laue Sommerluft. Dieser Song ist der Soundtrack unseres Sommers. Er fängt perfekt die unbeschwerte Stimmung ein, wie sie nur bei uns Surfern zu finden ist.

Am Strand sind schon alle Mitglieder der SPO-Surf-Crew versammelt. Als wir barfuß durch den Sand auf die Stelle zulaufen, an der ein paar Jungs das Lagerfeuer für später aufschichten, hole ich tief Luft und der salzige Meereswind lässt meine roten Locken wirbeln wie ein Leuchtfeuer. Ich liebe den Strand, das Meer und die raue Seeluft so sehr. Überschwänglich begrüße ich meine Freunde und alle klopfen mir auf den Rücken und gratulieren mir zu meinem Erfolg. Mein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Surfern, Schwimmern, Kitesurfern, Seglern und anderen Wasserverrückten – die meisten sind etwas älter als ich, so wie mein Bruder Sandro. Es hat durchaus seine Vorteile, einen achtzehnjährigen Bruder zu haben. Einer davon ist der einfache Zugang zu Alkohol.

Es wird langsam spät, die Sonne steht jetzt tief am Himmel und taucht unseren Strandabschnitt in rosa-goldenes Licht. Die flackernden Flammen des Lagerfeuers malen glitzernde Tupfen auf die Innenseiten meiner geschlossenen Augenlider und ich wippe im Takt zu den fröhlichen Klängen, die aus einem teuren Lautsprecher schallen. Ich habe es vielleicht ein bisschen übertrieben heute Abend; mein Kopf schwirrt, meine Zunge ist schwer, aber gleichzeitig bin ich so aufgekratzt, dass ich ausgelassen mit Lukas tanze, als unser Lieblingssong läuft. Das viele Bier macht mich noch selbstbewusster und verrückter, als ich es ohnehin schon bin.

»Ich liebe dich, Baby«, flüstert Lukas in mein Ohr und ich küsse ihn, bis mir die Luft wegbleibt.

Wenig später setzt der Alkohol meine Schaltzentrale endgültig außer Gefecht. Mir ist jetzt so warm, dass ich beschließe mir eine kleine Abkühlung zu gönnen. Ich streife mir mein Kleid über den Kopf und die Jungs pfeifen laut, als ich im Bikini dastehe und die anderen auffordere:

»Los, ihr Landratten, ab ins Wasser!«

»Luna, die Badeverbotsflagge ist gehisst!«, warnt mich Sandro, aber ich winke ab und rufe:

»Sei kein Spaßverderber. Ich habe gerade einen Meistertitel gewonnen, die paar Wellen sind mir so was von pupsegal!«

Sandro funkelt mich an und macht einen großen Schritt auf mich zu. Er hat die Hände ausgestreckt und will mich aufhalten. Aber mir ist viel zu warm und ich muss dringend ins Wasser. Bevor er nach mir greifen kann, drehe ich mich um und sprinte los. Meine Freundinnen, die mindestens ebenso betrunken sind wie ich, folgen mir giggelnd und prustend in Richtung der Brandungslinie.

»Verdammt, Luna!«, höre ich meinen Bruder rufen.

Und für eine lange Zeit sind diese Worte die einzigen, die ich finden kann, wenn ich mich durch den Strudel aus Schmerz und Dunkelheit an diese Nacht zurückerinnere.

Verdammt, Luna.

Eins

»So, meine Lieben, dann wollen wir uns mal euren Hausaufgaben widmen.«

Ein lautes, vielstimmiges Stöhnen folgte den Worten unseres Englischlehrers, als alle ihre Hefte herauskramten und missmutig darin herumblätterten. Mein Aufsatz lag bereits vor mir auf dem Tisch – fünf Seiten in makelloser Handschrift über die Tücken von Shakespeares Dramen. Während Herr Schmitz noch mit Finn diskutierte, der ihm weismachen wollte, sein Hamster habe seinen Aufsatz gefressen, traf mich der Blick von Lukas. Seine grauen Augen ruhten auf mir, mit diesem verächtlichen Ausdruck, der klar und deutlich widerspiegelte, was er schon so oft laut ausgesprochen hatte: Streberin. Freak. Was ist bloß aus dir geworden? Irgendwas stimmt doch mit dir nicht.

Ich rutschte tiefer in meinen Stuhl und vergrub die Hände in den Taschen meines grauen Kapuzenpullovers. Seit jener grauenvollen Nacht vor einem Jahr wollte ich nur noch verschwinden – unsichtbar werden, mich in Luft auflösen. Ich war es leid, dass Leute mich von Kopf bis Fuß musterten, mit variierenden Ausprägungen von Mitleid und Sorge, teilweise sogar Verachtung in ihren Augen. Früher war ich eine beliebte Sportlerin und Wasserratte durch und durch gewesen – Schwimmerin, Surfer Girl, das volle Programm. Und jetzt – war ich nichts mehr. Von meinem früheren Selbst war nur noch eine leere Hülle übrig geblieben, ein kläglicher Schatten.

Während ich Lukas’ Blick entschieden mied, zerrte ich an den Kordeln meines Hoodies und versuchte, den Strudel aus Erinnerungen, den seine grauen Augen in mir auslösten, zu unterdrücken. Es war zwecklos – sie überfielen mich immer wieder, ertränkten alles um mich herum und lähmten mich, bis ich kaum noch atmen konnte. Und zwar immer dann, wenn ich es am wenigsten gebrauchen konnte. Ich atmete schwer ein und aus, als sie mich jetzt überrollten. Kaltes, schwarzes Wasser, das in meine Lungen drang und mir die Orientierung raubte. Dunkelheit. Schmerz. Dann endloses, erdrückendes Nichts. Aufwachen im Krankenhaus. Schläuche in meinen Händen und Unterarmen. Piepende Apparate. Der Geruch von Desinfektionsmittel, Schmerz und Angst. Und Schuld – brennende, lähmende, alles verschlingende Schuld.

Nach dieser Nacht war nichts mehr wie zuvor. Lukas und ich hatten uns getrennt, ich hatte mich vollkommen von meinen Freunden zurückgezogen, das Schwimmen aufgegeben und mich einzig und allein auf die Schule konzentriert. Ich hatte meine Schwimmsachen, meine Medaillen und Pokale in hohem Bogen in die Mülltonne befördert und mir stattdessen Laufschuhe gekauft. Lange Läufe waren das einzige Mittel, das mich von meinem Schmerz ablenken konnte, zumindest für eine kleine Weile. Und ich brauchte nichts dringender als Ablenkung, denn obwohl ich das Meer über alles liebte, brachte ich es nicht über mich, wieder zu schwimmen. Nicht, seit … Meine Augen wurden feucht und ich zwang mich zurück in die Gegenwart, indem ich mit aller Macht die Finger in meinen Oberschenkel krallte. Der Schmerz war nicht mal halb so schlimm wie der, den meine Erinnerungen auslösten, aber er reichte aus, um mich aus ihrem zerstörerischen Strudel zu reißen. Die Stunde war fast vorbei und in weniger als fünf Minuten konnte ich mich in der Mädchentoilette verstecken und versuchen, meine Beherrschung wiederzufinden. Bis dahin musste ich durchhalten. Ich kuschelte mich ein bisschen tiefer in den viel zu großen, grauen Kapuzenpullover, den ich meinem älteren Bruder geklaut hatte, und bekam gerade noch mit, wie Lukas auf eine Frage unseres Lehrers antwortete. Ich zog unwillkürlich eine Grimasse – seine Aussprache war grauenhaft.

»The words are typically medieval. The sentences are short and pregnant and -«

Aber weiter kam Lukas nicht, denn lautes Gelächter zerriss die Stille des Klassenraums. Ich grinste verstohlen in den Kragen meines Hoodies – short and pregnant? Heilige Mutter Gottes, der Junge hatte wirklich keinen Plan von Englisch. Sogar Herr Schmitz musste ein Lachen unterdrücken. Seine Mundwinkel zuckten verdächtig, als er mit betont ernster Miene sagte:

»Ich nehme an, du wolltest prägnant sagen, oder, Lukas? Dann wäre die richtige Vokabel concise. Denn Sprache ist zwar ein sehr kraftvolles Instrument, aber ich bezweifle stark, dass Sätze die Fähigkeit besitzen, schwanger zu sein.«

Das Lachen im Klassenraum wurde lauter und Lukas lief knallrot an.

»Boah, Lukas, wenn jemand das Austauschjahr in Amerika nötig hat, dann du«, prustete Mats auf dem Platz neben mir und die Klasse brach erneut in schallendes Gelächter aus.

»Apropos Austauschjahr« rief Herr Schmitz über den allgemeinen Tumult hinweg. »Ich habe eben erfahren, dass im Austauschprogramm für dieses Jahr noch ein paar Plätze frei sind. Ihr wisst ja, dass die Plätze für die Hood River Valley High School immer extrem beliebt sind, also falls ihr euch noch bewerben wollt, meldet euch bei mir.«

Seine Worte trafen mich wie ein Blitzschlag. Für einen Moment vergaß ich sogar das brennende Schuldgefühl und den Schmerz, den mein Erinnerungsstrudel ausgelöst hatte. Auf einmal sah ich alles ganz klar. Natürlich, warum hatte ich nicht schon vorher daran gedacht? Unsere Schule führte seit ein paar Jahren ein Austauschprogramm mit einer High School in Oregon, und wenn man viel Glück hatte und einen der beliebten Plätze ergatterte, konnte man ein Jahr der Oberstufe dort verbringen und den American Dream leben. Oregon könnte meine Chance sein. Meine Chance, von hier wegzukommen. Weg vom Meer, weg von meinen wasserbegeisterten Freunden, weg von Lukas. Meine Chance, endlich all den Mist hinter mir zu lassen.

Als der Pausengong läutete, lief ich entschlossen nach vorn zum Lehrerpult. Herr Schmitz packte gerade einen dicken roten Ordner in seine Tasche und schaute überrascht auf, als er mich neben sich stehen sah.

»Luna. Ist alles in Ordnung?«

Mist, sogar mein Lehrer betrachtete mich mit Besorgnis in den Augen. Ich war diesen Ausdruck so leid. Betont unbekümmert nickte ich und sagte:

»Ich würde mich gern für das Austauschjahr in Oregon bewerben, Herr Schmitz.«

»So.«

Er schaute mich für einen Moment nachdenklich an, dann kramte er in seiner Tasche herum und zog ein paar bunte Flyer und eng bedruckte Blätter heraus.

»Weißt du, ich denke, das ist eine gute Idee. Das Jahr in Hood River wäre sicher ein willkommener Perspektivwechsel für dich. Und da deine Noten ja tadellos sind, dürftest du eigentlich keine Probleme haben, einen Platz zu bekommen.«

Er drückte mir die Zettel in die Hände und sagte:

»Das sind ein paar Prospekte der Hood River Valley High School. Und das hier«, er deutet auf eins der Blätter, »ist das Bewerbungsformular. Füll es zusammen mit deinen Eltern aus und leg es mir bis nächste Woche unterschrieben ins Fach, ja?«

»Okay«, sagte ich und spähte hinunter auf die Flyer. Auf navyblauem Grund war das weiß-gelbe Logo der Hood River Valley High School abgedruckt und im Hintergrund waren Bilder einer umwerfenden Landschaft zu sehen – schneebedeckte Berggipfel, Fichtenwälder und ein glitzernder Fluss, der sich mitten durch eine idyllische Kleinstadt schlängelte. Mein Herz machte einen großen Satz. Das sah absolut perfekt aus. Ich wusste, dass es in Oregon endlose Berge und Wälder, aber auch eine Menge Seen und Flüsse gab. Außerdem war die Küste nicht weit entfernt – eigentlich keine guten Voraussetzungen für jemanden, der panische Angst vor Wasser entwickelt hatte. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mir einen trockeneren Bundesstaat ausgesucht. Colorado oder New Mexico zum Beispiel. Vielleicht auch gleich das Death Valley. Aber der Pazifische Ozean war nicht die Nordsee und Hood River war nicht Sankt Peter Ording. Das war alles, was zählte.

Herr Schmitz betrachtete mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen, dann legte er mir unerwartet eine Hand auf die Schulter und sagte:

»Bewirb dich, Luna. Das wird gut für dich sein, glaub mir.«

Mit diesen Worten schnappte er sich seine Tasche und verschwand durch die Tür. Ich blieb allein im leeren Klassenzimmer zurück und starrte hinunter auf das Logo der High School und die Bilder von Hood River. Zum ersten Mal seit Langem regte sich etwas in mir, das weder lähmende Angst war noch brennende Schuld. Es war Aufregung. Mein Herz pochte wild und mir wurde ganz warm, ich spürte es bis in die Zehenspitzen. Das hier war meine Chance.

***

An einem verregneten, stürmischen Sonntag Ende August war es dann endlich so weit. Ein großer Reisebus sammelte die Schüler, die am Austauschprogramm teilnahmen, an der Bushaltestelle der Nordseeschule Eiderstedt ein, und wir tuckerten los in Richtung Flughafen Hamburg. Dort angekommen machten wir uns in einer lärmenden Prozession auf den Weg zum Check-in-Schalter. Die meisten meiner Mitreisenden kannte ich nur flüchtig vom Sehen und einige Gesichter waren mir völlig unbekannt. Die mussten wohl neu an die Schule gekommen sein. Hatte ich das letzte Jahr wirklich so sehr in Watte gepackt verbracht, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, dass wir Neue in unserem Jahrgang hatten?

»Haltet bitte alle eure Reisepässe und die Personalausweise bereit!«, rief Herr Schmitz und seinen Worten folgte hektisches Gewühl in diversen Taschen und Rucksäcken. Die Schlange rückte ein paar Schritte weiter und ich spürte kribbelnde, prickelnde Aufregung in mir aufsteigen. So langsam drang es wirklich zu mir durch, dass ich das nächste Jahr am anderen Ende der Welt verbringen würde. Aber bevor meine Vorfreude in Nervosität umschlagen konnte, riss mich eine nasale Stimme aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mittlerweile direkt vor dem Check-in-Schalter stand. Ein mürrisch dreinblickender Lufthansamitarbeiter mit schlecht gebundener Krawatte fragte in genervtem Tonfall:

»Hallo, Sie dort! Sind Sie auch geistig anwesend oder nur körperlich?«

»Ups, Entschuldigung«, sagte ich, kramte hastig meine Reiseunterlagen aus dem Rucksack und reichte sie dem ungehalten aussehenden Mann.

»Name?«

»Luna Hansen.«

Der Mann musterte mich skeptisch und sah dann hinab auf meinen Personalausweis.

»Hier steht Calluna Erica Hansen.«

»Ja, das ist richtig.«

»Also was jetzt, Luna oder Calluna Erica?«

Ich schaute ihn ungläubig an. Mittlerweile lauschten auch die Schüler hinter mir neugierig dieser bizarren Unterhaltung.

»Luna ist die Abkürzung für Calluna«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. War das eine so schwierige Schlussfolgerung? Dass meine Mutter eine schrullige Vorliebe für botanische Pflanzennamen hatte, ging nun wirklich niemanden etwas an außer mich. Und anscheinend diesen mies gelaunten Lufthansa-Typen, der mich jetzt ansah, als würde ich chinesisch sprechen, und auch den gesamten Rest meiner Reisegruppe. Na großartig.

»Also sind Sie Calluna Erica Hansen?«

»Ja«, Herrgott noch mal.

Musste er das unbedingt dreimal in voller Lautstärke wiederholen? Meine Wangen waren mittlerweile so rot wie reife Süßkirschen und in der Schlange hinter mir hörte ich ein Kichern. Ich drehte mich um und funkelte das Mädchen, das gelacht hatte, mit einem wütenden Blick in Grund und Boden.

Ich wusste selbst, dass Calluna Erica ein völlig bescheuerter Name war. Ich meine, welche Mutter, die ihr Kind liebt, sucht sich einen Namen aus, der übersetzt »Besenheide« bedeutet? Vielleicht hatte sie mit ihrer Namenswahl hellseherisches Talent bewiesen und vorhergesagt, dass ich rote Korkenzieherlocken und eine Figur wie ein Besenstiel haben würde. Immerhin hatte ich zugenommen, seit ich keinen Leistungssport mehr machte, und hatte jetzt endlich ein paar lang ersehnte Kurven an den richtigen Stellen. Aber was meine widerspenstigen roten Heidehaare anging, war ich machtlos. Trotzdem hatte es mich noch besser getroffen als meinen Bruder. Er hatte die volle Breitseite der zweiten schrulligen Vorliebe unserer Mutter abbekommen (Shakespeare) und sein voller Name lautete Lysander Leonatus. Furchtbar, ich weiß. Aber wenn man mich fragt, konnte Sandro von Glück reden, dass Mama ihn nicht Orchideus Primelius getauft hatte. Das hätte ich ihr nämlich ohne Weiteres zugetraut.

»Gut, Frau Hansen. Das hier ist Ihre Bordkarte. Der Nächste, bitte!«

Endlich. Hastig schnappte ich mir die Bordkarte und mein Gepäck, dann räumte ich mit leuchtend rotem Gesicht das Feld.

***

Im Flugzeug hatte ich dankenswerterweise einen Fensterplatz ergattert – ich hasste fliegen, besonders an stürmischen Tagen wie heute, und die Aussicht auf einen Langstreckenflug fand ich nicht besonders erbauend. Während meine Mitreisenden lärmend ihr Handgepäck verstauten und unsere Lehrer Anweisungen durch die Gegend bellten, ließ ich mich mit geschlossenen Augen auf den Sitz plumpsen und atmete tief ein. Ich wollte gerade meine Bluetooth-Kopfhörer mit meinem Handy verbinden und mich mental auf den langen Flug einstellen, da trudelte eine Nachricht von meinem Bruder ein.

Sandro: Guten Flug, Kleine! Und denk dran: Dafür, dass ich Mama und Papa überredet habe, dich gehen zu lassen, stehst du tief in meiner Schuld. Für den Rest deines Lebens, Heidekraut.

Luna: Irgendwann werde ich rausfinden, wie genau du das angestellt hast, verlass dich drauf. Ich kenne deine Schwachstellen. Ich könnte dich mit Ben & Jerry’s bestechen.

Sandro: Nope. Das Geheimnis nehme ich mit ins Grab. Das Ben & Jerry’s auch.

Mit einem Kopfschütteln und einem Lächeln auf den Lippen las ich Sandros Antwort. Mein Bruder war einer der wenigen Menschen, die mich seit jener grauenhaften Nacht noch zum Lachen bringen konnten, und er schaffte es selbst mit einer kleinen Nachricht wie dieser hier. Wir konnten einander ganz schön auf die Nerven gehen, standen uns aber auch sehr nahe und waren bedingungslos füreinander da. Er war mein Fels in der Brandung; ohne ihn hätte ich das vergangene Jahr ganz sicher nicht überstanden. Und ohne ihn hätten meine Eltern mir niemals erlaubt, für das Austauschjahr nach Oregon zu fliegen. Mein Bruder war ein extrem talentierter Regattasegler, ein superschlauer Einserschüler sowie Papas große Hoffnung für seinen Bootsbaubetrieb, und er hatte deutlich mehr Einfluss auf unsere Eltern, als ich es jemals gehabt hatte. Manchmal nervte mich das ganz schön – aber ich konnte es Sandro nie lange übel nehmen, dafür bewunderte ich ihn viel zu sehr. Er hatte sein Leben deutlich besser im Griff als ich.

Gerade unternahm ich einen erneuten Versuch, meine Kopfhörer mit dem Handy zu verbinden und meine Luna-Playlist zu starten, da ließ sich ein dunkelhaariges Mädchen auf den leeren Sitz neben mir fallen.

»Hi!«, sagte sie und strahlte mich an.

»Hey«, erwiderte ich etwas verwirrt – ich hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen.

»Ich bin Pia«, stellte sie sich vor und reichte mir die Hand. Perplex griff ich danach und schüttelte sie.

»Luna«, sagte ich automatisch und betrachtete ihr Gesicht näher. Nein, da klingelte nichts.

»Freut mich«, sagte Pia mit einem aufrichtigen Lächeln.

»Mich auch. Sorry, aber sollten wir uns kennen?«

»Nein«, erwiderte sie unbekümmert, schob ihren Rucksack unter den Vordersitz und kramte darin herum. »Ich bin erst kurz vor den Sommerferien auf die Nordseeschule gekommen. Vorher habe ich in Hamburg gewohnt.«

Das erklärte immerhin, weshalb ich sie noch nie gesehen hatte.

»Ach so«, sagte ich, jetzt schon deutlich weniger verwirrt, und steckte die Kopfhörer zurück in die Taschen meines Hoodies.

»Na ja, ist jedenfalls schön, dich kennenzulernen. Ich kenne noch nicht so wahnsinnig viele Leute und in Amerika wäre ich dankbar für eine Verbündete.« Sie zwinkerte mir zu und zog eine Packung Kekse aus ihrem Rucksack. »Auch einen?«, fragte sie und hielt sie mir hin.

Ich griff zu, dann bissen wir gleichzeitig in unsere Kekse, lächelten einander an und begannen, uns mit vollem Mund zu unterhalten. Ich konnte Pia mit jeder Sekunde mehr leiden. Mal abgesehen davon, dass sie nett war und mir Kekse gab, war sie auch einer der wenigen Menschen in meinem Umfeld, die nichts von meiner Vorgeschichte wussten. Das hoffte ich zumindest; wenn sie erst seit vier Monaten in Sankt Peter Ording war, bestand immerhin die Chance, dass die Geschichte noch nicht bis zu ihr durchgedrungen war.

Wir unterhielten uns, während das Flugzeug auf die Startbahn rollte. Beim Start wurde mir ziemlich flau im Magen, aber zum Glück lenkte Pia mich von meiner Übelkeit ab, sobald wir sicher in der Luft waren.

»Hast du schon viel Kontakt zu deiner Gastfamilie gehabt?«, fragte sie und brachte ihre verrutschte Frisur wieder in Ordnung.

Ich trank einen Schluck Wasser, dann antwortete ich:

»Ja, ich habe ziemlich oft mit meiner Gastschwester Olivia geschrieben. Sie ist wirklich total nett. Und du?«

»Ich noch nicht so richtig. Irgendwie scheint meine Gastschwester es nicht so mit Technik zu haben. Entweder lebt sie mitten in einem Funkloch und kommt nur alle zwei Wochen mal raus, oder sie ist ein Eremit und hat es nicht so mit anderen Menschen.«

»Hoffentlich Ersteres«, sagte ich. »Wenn sie blöd ist, ziehst du einfach mit zu mir. Olivia sagt, ihr älterer Bruder hatte auch schon mal einen Austauschschüler, aus Frankreich. Und sie haben zwei Gästezimmer. Platz genug wäre bei ihnen also.«

Pia hatte anscheinend nur zwei Wörter gehört.

»Oh, ein älterer Bruder?«

Ihre dunklen Augenbrauen verschwanden fast in ihrem Haaransatz, und ihr breites Grinsen ließ meine Mundwinkel ein ganzes Stückchen nach oben wandern. Wirklich, ich mochte Pia mit jeder Sekunde mehr.

»Jetzt guck nicht so!«, sagte ich amüsiert.

»Warum nicht? Ältere Brüder können ein echter Bonuspunkt sein. Vielleicht ist er ja ein Footballstar. Oder ein Baseballspieler. Wie heißt er?«

»Wenn ich mich richtig erinnere, heißt er Kendrick. Kendrick James.«

»Kendrick James.«

Pia ließ sich den Namen genüsslich auf der Zunge zergehen wie ein Stück Schokolade. Ihr entrückter Gesichtsausdruck entlockte mir ein breites Grinsen.

»Sexy Name. Hast du ein Foto?«

»Bestimmt. Olivia hat mir ein paar Familienfotos geschickt, warte mal kurz.«

Immer noch grinsend beugte ich mich vor und kramte mein Handy aus den Tiefen meines Rucksacks hervor. Ich tippte kurz darauf herum, dann hielt ich Pia das hell erleuchtete Display unter die Nase. Pia nahm mir das Handy aus der Hand und studierte das Foto eingehend. Ich beugte mich über meine Armlehne, um auch auf das Bild spähen zu können.

»Nett sehen die aus«, fand Pia und zoomte mit zwei Fingern dichter an Familie James heran.

»Ja, oder? So offen und herzlich.«

»Das stimmt. Das hier ist dann wohl Olivia, oder?«

Sie deutete auf ein dunkelblondes Mädchen mit strahlend blauen Augen, das fröhlich lachend in die Kamera winkte. Ein großer Golden Retriever saß zu ihren Füßen und schnüffelte eingehend an ihren Sandalen herum.

»Süßer Hund! Und – oh! Aber hallo!«

Pia machte große Augen und hob den Blick vom Handydisplay.

»Ich nehme an, das ist der große Bruder?«

Sie deutete auf eine Person am linken Bildrand. Ich kniff die Augen zusammen – die grelle Kabinenbeleuchtung beeinträchtigte den Bildschirmkontrast und ließ das Foto unscharf wirken. Aber vielleicht brauchte ich auch einfach eine Brille.

»Ich nehme es an«, sagte ich.

»Holla die Waldfee, das ist aber ein Hottie«, fand Pia und fächelte sich demonstrativ Luft zu. Ich musste lachen (vor allem über das Wort »Hottie«) und nahm ihr das Telefon aus der Hand. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich das Bild näher und zoomte so dicht heran wie möglich. Der Junge, der wohl Olivias Bruder Kendrick sein musste, war tatsächlich unbestreitbar attraktiv. Groß, breitschultrig, mit dunkelblondem, zerzaustem Haar und einer ziemlich ungewöhnlichen Augenfarbe – eine Mischung aus Grün und Dunkelblau. Außerdem hatte er ein sehr einnehmendes Lächeln. Er sah ganz genauso aus wie der attraktive, charmante Quarterback in einer klischeeüberladenen High-School-Romanze.

»Und? Hübsch, oder?«

»Stimmt. Ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen«, sagte ich und verstaute das Handy wieder in meinem Rucksack.

Pia warf mir einen ungläubigen Blick zu, so als könne sie nicht fassen, wie ich so ein ansprechendes Exemplar von Jungen hatte übersehen können. Wenn sie wüsste, was in meinem Leben so alles abging, würde sie meinen Tunnelblick wahrscheinlich verstehen. Aber ich mochte ihren unbeschwerten Umgang mit mir und ihre fröhliche, unbekümmerte Art war Balsam für meine Seele. Ich würde mich hüten, auch nur eine Silbe über meine Vergangenheit fallen zu lassen.

Zwei

Die Reise von Hamburg in die USA dauerte eine Ewigkeit. Zuerst flogen wir nach New York, wo wir in eine Maschine nach Seattle umsteigen mussten, und von dort aus fuhren wir im Reisebus dreieinhalb Stunden lang quer durch Oregon nach Hood River. Ich war völlig erschöpft – wir hatten so viele Zeitzonen durchquert, dass mein Rhythmus jetzt schon völlig durcheinander war. Meine innere Uhr kam überhaupt nicht mehr hinterher und ich wusste weder wie spät es war noch welchen Wochentag oder welches Datum wir hatten. Obwohl wir nun endlich in Oregon waren und die Landschaft draußen vor den Fenstern wirklich beeindruckend war, schlief ich ein, sobald wir den Highway erreicht hatten.

Erst, als wir kurz vor unserem Ziel waren, wachte ich wieder auf. Ich reckte mich, rieb mir die müden Augen und schaute mich im Reisebus um. Es war dunkel und still, dunkelrote Samtvorhänge verdeckten die Fenster, und die meisten anderen schliefen noch. Pia neben mir hatte ihren Sitz bis ganz nach hinten zurückgeklappt, lag eingerollt wie eine Katze auf der Seite und schlief seelenruhig. Ich öffnete den Vorhang vor dem Busfenster einen Spaltbreit, um nach draußen spähen zu können. Augenblicklich war ich hellwach.

Der Bus rollte über eine breite, sich endlos in ein malerisches Tal windende Straße, die von beiden Seiten von Fichtenwäldern gesäumt wurde. Weit unten im Tal schlängelte sich ein glitzernder Fluss mitten durch eine Stadt und an den Stellen, wo der Wald sich lichtete, gab er den atemberaubenden Blick auf einen schneebedeckten Berg in der Ferne frei. Das musste der Mount Hood sein, dem das Hood Valley und die Kleinstadt Hood River ihren Namen zu verdanken hatten. Die Aussicht war absolut unbeschreiblich. Vergessen war meine Müdigkeit und an ihre Stelle trat ein aufgeregtes Kribbeln. Kaum zu fassen, dass ich wirklich hier sein durfte. Es war unglaublich schön und ich konnte es kaum erwarten, endlich auszusteigen und die Gegend zu erkunden. Über dem Tal ging gerade die Sonne auf, was auch die Frage nach der Tageszeit beantwortete. Während der Bus seinen Weg die gewundene Straße hinab fortsetzte, gingen Herr Schmitz und die anderen Lehrer durch die Sitzreihen, um meine schlafenden Mitschüler aufzuwecken. Als alle mehr oder weniger wach waren, stellte sich Herr Schmitz vorne in den Gang und verkündete über das laute Motorengeräusch hinweg:

»In zehn Minuten erreichen wir die Hood River Valley High School. Eure Gastfamilien warten auf dem Parkplatz auf euch, ich schlage also vor, dass ihr euch alle ein bisschen frischmacht und zuseht, dass ihr präsentabel seid.«

Er lächelte in die Runde, wobei sein amüsierter Blick über die zerzausten Haare, die zerknautschten Gesichter und die missmutigen Mienen seiner Schützlinge glitt.

»Der hat gut reden«, stöhnte Pia auf dem Platz neben mir und drückte ihren Rücken durch. Es knackte unheilvoll. »Der hat bestimmt irgendein Aufputschmittel eingeworfen, sonst kann man doch nicht um diese Uhrzeit schon so fit sein. Und das nach einer verdammten Vierundzwanzigstundenreise.« Sie gähnte abgrundtief. »Wie spät ist es überhaupt?«

»Keine Ahnung«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir nur sagen, dass die Sonne gerade aufgeht. Ich bin total durcheinander, weil wir in so vielen verschiedenen Zeitzonen waren.«

»Ich auch«, stimmte Pia mir zu und dann machte sie sich daran, in meinen Locken herumzuzupfen. »Du siehst aus, als wärst du in einen Tornado der Stärke fünf gekommen«, teilte sie mir taktvoll mit und zog vergeblich an einer meiner Strähnen.

»Vielen Dank auch«, erwiderte ich trocken und nahm eine Flasche Haaröl aus meinem Rucksack. Gott sei Dank hatte ich das Zeug in mein Handgepäck gepackt; ich wollte beim ersten Zusammentreffen mit meiner Gastfamilie auf keinen Fall aussehen, als habe ich einen Topfreiniger aus roter Stahlwolle auf dem Kopf. Im Gegensatz zu meinen widerspenstigen Locken sahen Pias glatte dunkle Haare selbst nach der langen Reise makellos aus. Während ich das fruchtig duftende Haaröl in meinen Spitzen verteilte, tupfte sie sich Concealer auf die tiefen Augenringe, und als der Bus wenig später auf einen großen Parkplatz rollte, sahen wir wieder aus wie zwei Mädchen, nicht mehr wie Zombies. Aufgeregt drückten wir unsere Gesichter gegen die Scheibe, um einen ersten Blick auf unsere Gastfamilien zu erhaschen.

Der Parkplatz vor der ziemlich modern aussehenden und mitten im Grünen gelegenen High School war rappelvoll. Überall standen Familien herum, die trotz der frühen Stunde fit und munter aussahen. Viele von ihnen trugen große, bunt bepinselte Namensschilder bei sich und alle winkten aufgeregt, als der Bus vor der Sporthalle zum Stehen kam. Der Fahrer stellte den Motor aus und in die plötzliche Stille hinein erhob sich lautes, aufgeregtes Geschnatter. Wir sprangen von unseren Sitzen auf und die ersten Schüler begannen, sich nach vorne in Richtung Ausgang zu drängen. Die Lehrer hatten ihre liebe Mühe, uns alle geordnet aus dem Bus zu bekommen. Pia und ich schulterten unsere Rucksäcke, dann stürzten wir uns ins Getümmel.

Draußen auf dem Parkplatz fiel mir als Erstes auf, wie frisch und kühl die Luft hier war. Sie duftete zugleich süß und würzig herb, und ein deutlicher Hauch kalter Bergluft ließ mich frösteln. Inmitten des Gewusels auf dem Parkplatz verlor ich Pia sofort aus den Augen. Herr Schmitz lief mit einem Klemmbrett herum und hakte die Namen jener Schüler ab, die ihre Gastfamilie schon gefunden hatten. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und sah mich suchend um. Erst jetzt merkte ich, dass meine Handflächen vor Aufregung feucht waren, dass mein Herz heftig pochte und dass ich zitterte, was wohl nicht nur an der kühlen Luft lag. Pia winkte mir über die Köpfe einer rothaarigen Familie hinweg fröhlich zu; sie hatte ihre Gastfamilie offensichtlich gefunden. Ich sah, wie sie inmitten der Rothaarigen auf einen großen, schwarzen Cadillac zulief und musste unwillkürlich schlucken. In Pias Gegenwart hatte meine Nervosität keine Chance gehabt, aber jetzt, wo meine Verbündete nicht mehr direkt neben mir war, drängte sie sich mit aller Macht in den Vordergrund meines Bewusstseins.

Der Parkplatz leerte sich zusehends, als immer mehr Familien und ihre Gastschüler sich auf den Heimweg machten. Ich wurde jetzt wirklich nervös. Was, wenn ich als Einzige übrigbleiben würde? Was, wenn Familie James nicht kommen würde? Hoffentlich kam jetzt nicht gleich Herr Schmitz auf mich zu und teilte mir mit, dass es sich um einen Irrtum gehandelt habe und ich schleunigst wieder zurück nach Deutschland fliegen sollte. Ich wollte auf keinen Fall zurück nach Sankt Peter Ording. Allein der Gedanke daran ließ mein Herz eiskalt werden und meine Glieder schwer wie Blei. Aber bevor ich mich weiter in meine düsteren Gedanken hineinsteigern konnte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Es war eine helle Mädchenstimme und im nächsten Moment raubte mir eine beachtliche Menge dunkelblonder Haare die Sicht.

»Luna!«, quiekte das Mädchen, das mir um den Hals gefallen war, und drückte mich so fest an sich, dass ich japste. »Es ist so schön, dich endlich kennenzulernen!«, sagte sie strahlend und ließ von mir ab. »Kendrick wollte eigentlich auch mitkommen und dich abholen, aber er hat Training und ist schon seit fünf Uhr unterwegs, der Verrückte. Bestimmt kreuzt er erst wieder auf, wenn der Frühstückstisch schon gedeckt ist und er seinen faulen Hintern nur noch auf einen Stuhl fallen lassen muss. Oh, und ich bin übrigens Olivia.«

Das alles war in wahnsinniger Geschwindigkeit aus ihr herausgesprudelt und jetzt schnappte sie nach Luft. Mein Gehirn auch.

»Schön, dich endlich zu treffen, Olivia«, brachte ich immerhin in etwas holprigem Englisch hervor.

Inzwischen waren auch eine kleine, dunkelblonde Frau mit herzförmigem Gesicht und ein hochgewachsener, schlanker Mann zu uns gestoßen. Beide lächelten mich warm an und ihre Augen vermittelten mir sofort ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit.

»Livvy, fall doch nicht immer gleich mit der Tür ins Haus«, lachte die Frau und hielt mir ihre Hand hin. »Hallo, Liebes, du musst Luna sein.«

Ich nickte, noch ein wenig überrumpelt von Olivias übersprudelnder Energie, und schüttelte ihre Hand.

»Es freut mich wirklich, dass du hier bist. Ich bin Macie James, Olivias Mutter und deine Adoptivmama für das nächste Jahr. Du kannst mich gern Macie nennen.«

»Und ich bin Dan, der Vater dieses Energiebündels und Herrscher über das Chaos bei Familie James«, sagte der Mann und zwinkerte mir zu. Macie stieß ihm einen Ellbogen in die Seite, aber ich musste kichern. Sofort schrumpfte meine Nervosität von vorhin in sich zusammen. Olivia wippte vor mir auf der Stelle auf und ab und strahlte mich breit an.

»Hast du schon deinen Koffer?«, fragte sie, ohne mir die Möglichkeit zu geben, ihren Eltern zu sagen, wie sehr es mich freute, sie kennenzulernen.

»Nein, der ist noch im Bus.«

»Welche Farbe?«, wollte Olivia wissen.

»Schwarz mit türkisem Blumenmuster«, erklärte ich. Ich wollte noch hinzufügen, dass sie sich keine Mühe machen sollte und ich mein Gepäck selbst holen würde. Aber bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, drehte Olivia sich um und verschwand im Getümmel.

»An dieses hohe Energielevel am frühen Morgen muss man sich erst mal gewöhnen«, sagte Mrs James zu mir und nahm mir den Rucksack ab. »Komm, wir warten im Auto.«

Gute Idee. Allmählich war mir wirklich eiskalt. Weil es in Deutschland so warm gewesen war, trug ich nur eine Jeans, ein T-Shirt und einen von Sandros Hoodies; mit der kalten Bergluft in Hood River würde ich mich erst anfreunden müssen.

Ich meldete mich bei Herrn Schmitz ab (dankbar dafür, dass er »Viel Spaß und bis nächsten Montag« zu mir sagte statt »Ab zurück nach Deutschland«) und folgte dann Mrs James zum Auto. Mr James war in der Menge verschwunden, um Olivia mit meinem Koffer zu helfen. Als ich im Wagen saß – einem gigantischen, burgunderroten Jeep Wrangler – fragte mich Mrs James über den Flug und mein Zuhause aus und ich antwortete, so gut ich konnte. Mein Englisch war zwar ganz passabel, aber die lange Reise und die Müdigkeit schienen meine Schaltzentrale beeinträchtigt zu haben. Die Worte flossen nicht so, wie ich es gern gehabt hätte, aber Mrs James versicherte mir, dass das ganz normal sei und dass ich in ein paar Tagen so fließend Englisch sprechen würde, als ob ich nie etwas anderes getan hätte. Dann reichte sie mir eine große, dampfende Thermoskanne mit Kaffee und einen Vollkornmuffin nach hinten. Ich war sicher, dass ich in diesem Moment verliebte Cartoon-Kulleraugen machte, und das war auch der Moment, in dem Mrs James sich auf direktem Wege einen Platz in meinem Herzen sicherte. Koffein! Kohlenhydrate! Göttlich.

Während der Fahrt zum Haus der James’ versuchte ich, gleichzeitig meinen Kaffee zu trinken, Olivias Fragen über mich und mein Zuhause zu beantworten und möglichst viel von der Umgebung in mich aufzunehmen. Familie James wohnte nicht weit von der Hood River Valley High entfernt in einem idyllischen, grünen Wohngebiet, das unmittelbar an den Phelps Creek angrenzte. Das Haus im Summitview Drive lag am Ende einer ruhigen Straße und etwas abseits des Wegs einen Hügel hinunter. Es war dreistöckig, aus olivgrün lackiertem Holz, verfügte über eine große Fensterfront zur rechten Seite, die sich über zwei Stockwerke zog, und über einen Erker, der im dritten Stock in einem spitzen Giebel mündete. Hinter dem Haus konnte ich die Umrisse eines hohen Bergs erkennen. Mir blieb der Mund offen stehen, so beeindruckt war ich. Das war mal ein Haus.

»So, da sind wir«, sagte Mrs James fröhlich und stellte den Motor aus. Ich kletterte unbeholfen aus dem Auto und folgte Mr James, der meinen Koffer trug, über die Türschwelle. Auch von innen war das Haus wunderhübsch. Es war gemütlich eingerichtet in Weiß- und Naturtönen, mit viel Holz, und in jeder Ecke standen Utensilien für verschiedene Sportarten herum. Als ich in den Flur trat, schlitterte ein großer Golden Retriever um die Ecke, kam schwanzwedelnd vor mir zum Stehen und hechelte mich fröhlich an.

»Hey, wer bist denn du?«, fragte ich verzückt und ging in die Hocke, um seine flauschigen Schlappohren zu kraulen. Der Hund schmiss sich gleich in meine Arme und ich musste lachen, als ich nach hinten kippte und auf dem Hintern landete.

»Das ist Goldie«, sagte Olivia und tätschelte dem Hund den Kopf. »Lass dich nicht von ihren großen Kulleraugen täuschen, sie kann ein echter Teufelsbraten sein, wenn sie will. Sie liebt es, Schuhe zu verschleppen und rückt sie dann wochenlang nicht mehr raus.«

»Ach Quatsch«, winkte Mrs James ab und kam hinter uns ins Haus. »Das macht sie bloß mit den Schuhen, die wir ohnehin aussortieren müssten. Ist doch praktisch, so wissen wir immer, wann das nächste Paar Laufschuhe verschlissen ist.«

»Ja, klar. Goldie sorgt sich nur um unsere Gesundheit«, sagte Olivia ironisch.

Mr James brachte meinen Koffer direkt die Treppe hoch ins erste Geschoss, aber Olivia führte mich durch einen Seitengang in eine geräumige Wohnküche.

»Ich dachte mir, vielleicht willst du erst einmal ordentlich frühstücken nach der langen Reise«, sagte sie und schenkte mir ein Lächeln. »Danach zeige ich dir gern das ganze Haus und dein Zimmer. Aber ich konnte die ganze Fahrt über deinen Magen knurren hören und will nicht riskieren, dass du meinetwegen eine Unterzuckerung bekommst.«

Sie grinste mich an und fügte hinzu: »Mit mir kann man es nämlich erst richtig aufnehmen, wenn man ordentlich gegessen hat. Ich höre öfter mal, dass ich Leute überwältige.«

Sie gab ihrer Mutter einen Rippenstoß, was diese mit einem Zupfen an Olivias blondem Pferdeschwanz quittierte.

»Wenigstens siehst du es selbst ein, Livvy«, sagte sie und ich kicherte verstohlen in meinen Hoodie. Diese Familie war echt eine Nummer für sich. Total verrückt, allesamt. Ich liebte sie jetzt schon.

Mrs James bedeutete mir, auf einem Barhocker an der Frühstückstheke Platz zu nehmen und Olivia ließ sich auf den Stuhl neben mir plumpsen. Sie schob mir einen dampfenden, gepunkteten Kaffeebecher unter die Nase und ich nahm einen gierigen Schluck. Mein Körper konnte sich noch nicht mit der Tatsache anfreunden, dass es auf dieser Seite der Erde gerade halb acht am Morgen war, und ich brauchte dringend mehr Koffein.

»Also, Luna«, begann Mrs James und warf mir vom Kühlschrank aus einen Blick über ihre Schuler zu. »Wir sind eine Sportlerfamilie und ernähren uns möglichst gesund und vollwertig. Von daher wirst du die typisch amerikanischen Breakfast Foods, die du vielleicht kennst, bei uns nicht finden. Wir haben weder Pancakes und Sirup noch Weißbrot oder zuckrige Cornflakes. Aber dafür haben wir Vollkornmuffins, Oatmeal oder Müsli. Oder auch Eier und Avocados. Ich könnte auch Frittata machen. Worauf hast du Lust?«

»Was ist denn Oatmeal?«, fragte ich neugierig.

»Das ist so ein Brei aus mit Wasser gekochten Haferflocken«, erklärte mir Olivia bereitwillig. »Mama macht den mit Kokosöl und Chiasamen und sie macht total leckere Toppings darauf.«

»Das klingt gut«, fand ich. Während Mrs James Oatmeal für uns alle zubereitete, unterhielt ich mich mit Olivia über die Schule, unsere Hobbys und unsere Freunde. Ich blieb absichtlich oberflächlich, erzählte ihr bloß von meinem Bruder Sandro, meiner Liebe zum Laufen und davon, wie sehr ich Mathe verabscheute.

»Dito«, sagte Olivia nachdrücklich und pustete auf ihren Kaffee. »Aber das mit dem Laufen ist echt cool. Mom und Dad sind auch totale Lauffans und an unserer Schule gibt es ein echt gutes Cross-Country-Team, die HRV Sea Hawks. Da solltest du auf jeden Fall mitmachen.«

»Cool! Das werde ich mir bestimmt mal angucken«, sagte ich. »Bist du auch im Cross-Country-Team?«

»Nein«, sagte Olivia. »Ich war früher Kunstturnerin, aber seit – seit einer Weile nicht mehr.«

Ihr Gesicht verdüsterte sich für einen Moment, bevor ihr Lächeln wieder zurückkehrte.

»Leistungssport mache ich nicht mehr, jetzt schwimme ich nur noch. Allerdings eher in der Hundewelpen- oder Gummientenliga. Ich bin ein echter Lahmarsch. Mit Kendrick kann ich nicht mithalten.«

Sie lachte unbekümmert, aber ich spürte, dass sie mir etwas verschwieg. Da steckte mehr dahinter, das merkte ich sofort. Allerdings war ich die Letzte, die anderen schmerzvolle Geschichten aus der Nase ziehen würde. Daher ging ich über den Schatten auf Olivias Gesicht hinweg und fragte:

»Dein Bruder schwimmt auch?«

»Oh ja«, sagte sie mit Nachdruck. Ich schloss meine Finger fest um meinen Kaffeebecher – war ja klar, dass meine Gastgeschwister ausgerechnet Schwimmer sein mussten. So viel Glück konnte auch nur Calluna Erica Hansen haben.

»Und Kendrick schwimmt nicht nur. Er schwimmt.«

Das letzte Wort betonte Olivia mit so viel Nachdruck, dass sie wohl noch mehr damit ausdrücken wollte als dass ihr Bruder die Fähigkeit besaß, sich über Wasser zu halten.

»Was meinst du?«, wollte ich wissen. Jetzt war ich neugierig geworden.

»Er ist der Star der Hood River Valley High, der Kapitän der Schwimmmannschaft und das größte Nachwuchstalent der Schule. Dieses Jahr macht er seinen Abschluss und hat jetzt schon unglaublich viele Angebote von Colleges, die ihn unbedingt für ein Sportstipendium als Schwimmer nehmen wollen.«

Ich machte große Augen.

»Wow, nicht übel«, sagte ich. Dabei versuchte ich krampfhaft, nicht an meinen Meistertitel zu denken und an die Tatsache, dass das genau der Weg gewesen wäre, den ich eingeschlagen hätte, wenn das Schicksal nicht auf so grauenhafte Weise zugeschlagen und mich und meine Träume zerstört hätte. Um mich abzulenken, versenkte ich meinen Löffel in dem Heidelbeer-Kokos-Oatmeal, das Mrs James mir gerade unter die Nase geschoben hatte. Ich nahm einen Bissen und schloss sogleich verzückt die Augen. Mhmm, köstlich. So schön cremig und warm und einfach perfekt.

»Ja, ist schon ziemlich cool«, sagte Olivia und schob sich ein Stück Banane in den Mund. »Allerdings hat es auch Nachteile, wenn man einen Leistungsschwimmer als Bruder hat. Ständig verschwinden sämtliche Snacks aus der Küche, und wenn ich mir was Leckeres kaufe, hat Kendrick es garantiert innerhalb von ein paar Stunden aufgefuttert. Dieser Junge hat einfach ständig Hunger.«

»Ja, das kenne ich sehr gut«, sagte ich, anscheinend etwas zu leidenschaftlich. Olivia betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf.

»Schwimmst du auch?«

»Nein«, sagte ich hastig. Mir wurde eiskalt, das Blut wich aus meinen Wangen und ich überlegte fieberhaft, wie ich aus der Nummer wieder herauskam.

»Mein Bruder ist Regattasegler. Der futtert auch so viel.« Das war noch nicht einmal gelogen. Für Sandro könnte man einen Privatkoch einstellen.

»Ach so. Schwimmst du denn ab und zu mal? Das wäre ganz cool, dann könnten wir mal zusammen gehen.«

Auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen! Würde mich dieser blöde Sport denn für den Rest meines Lebens verfolgen? Während ich mein Gehirn nach einer glaubwürdigen Ausrede durchforstete, hörte ich mit halbem Ohr, wie die Haustür sich öffnete und wieder schloss. Gleich darauf folgte der unmissverständlich dumpfe Laut einer Sporttasche, die unfeierlich in die Ecke geworfen wurde.

»Ich kann nicht schwimmen«, log ich und schob mir noch einen großen Löffel von meinem Frühstück in den Mund.

»Oh, wie schade«, fand Olivia und sah aufrichtig betrübt aus. Ich nickte möglichst geknickt, dann stand ich auf, um meinen leeren Kaffeebecher aufzufüllen.

»Ich könnte es dir beibringen«, ertönte eine tiefe Stimme von der Tür her. Olivia und ich drehten uns um, und ich blieb wie angewurzelt neben meinem Barhocker stehen.

Im Türrahmen lehnte ein hochgewachsener, durchtrainierter Junge mit dunkelblonden Haaren, die noch nass waren, frech funkelnden Augen und einem verschmitzten Grinsen auf dem Gesicht. Er hatte einen Arm lässig über dem Kopf am Türrahmen abgestützt, was seinen Bizeps betonte, die andere Hand steckte in der Tasche seiner tiefsitzenden Jeans.

»Hi«, sagte er. »Sorry, dass ich so spät dran bin, aber der Coach hat uns Extrarunden auf den Treppen in der Arena sprinten lassen, bis wir fast gekotzt haben.«

»Ganz so bildlich hätten wir es nicht gebraucht«, murmelte Olivia augenrollend, dann deutete sie auf mich und fügte in normaler Lautstärke hinzu:

»So, Bruderherz, jetzt zeig dich bitte mal von deiner kultivierten Seite und sag Hallo zu unserer Gastschwester. Luna, das ist Kendrick, mein Bruder.«

Ich konnte Kendrick nur einfältig anstarren. Das Wort »Hottie«, mit dem Pia Olivias älteren Bruder bedacht hatte, wurde ihm nicht einmal annähernd gerecht. Kendrick betrachtete mich mindestens so eingehend wie ich ihn, bevor sich langsam ein Lächeln über sein Gesicht zog. Zwei tiefe Wangengrübchen kamen zum Vorschein und als das Lächeln sich bis auf seine Augen ausdehnte, fiel mir auf, dass sie dunkelblau schimmerten wie klare Bergseen. Mir wurde warm. Oh, verdammt.

»Hi, Luna«, sagte Kendrick mit seiner tiefen Stimme und drückte sich ein wenig vom Türrahmen ab. Meine Augen huschten sofort zu seinem Oberarm, dessen Muskeln sich bei der Bewegung angespannt hatten, und dann wieder zurück zu seinem perfekten Gesicht. O Mann, solche Wangenknochen in Kombination mit so schönen Augen sollten verboten werden.

Ich rang verzweifelt nach Worten, aber irgendwie war mein Kopf vollkommen leer gefegt.

»Hi«, brachte ich heiser hervor, und dann passierte es. Meine Knie gaben nach und ich plumpste wenig elegant zurück auf meinen Hocker. Kendricks Lächeln wurde einen Ticken breiter (und selbstgefälliger), dann zwinkerte er mir zu.

»Das Angebot steht, German Girl«, sagte er wie selbstverständlich und verschwand aus der Küche. Olivia musterte mich mit gerunzelter Stirn. Sie öffnete den Mund, aber bevor sie nachhaken konnte, wurde sie von ihrer Mutter unterbrochen.

»Seid ihr fertig mit essen? Wenn ja, sei doch so gut und zeig Luna ihr Zimmer, Olivia, damit sie sich ein bisschen ausruhen kann. Sie muss völlig erschöpft sein nach der langen Reise.«

Mrs James lächelte mich warm an; sie schien meinen kleinen Schwächeanfall schlicht der Müdigkeit zuzuschreiben. Vielleicht war sie aber auch einfach daran gewöhnt, dass Mädchen beim Anblick ihres attraktiven Sohns reihenweise in Ohnmacht fielen. Olivias Blick blieb für eine Sekunde neugierig und forschend zugleich an meinem Gesicht hängen, dann zuckte sie mit den Schultern, rutschte von ihrem Stuhl und bedeutete mir, ihr zu folgen.

»Du solltest Kendricks Angebot wirklich annehmen«, sagte sie, als wir die Küche verließen. »In Oregon kann es gefährlich werden, wenn man nicht schwimmen kann. Und Kendrick ist ein echt guter Lehrer.«

»Ja, ich überlege es mir mal«, murmelte ich. Dabei dachte ich insgeheim, dass ich auf gar keinen Fall in ein Schwimmbecken steigen würde. Und schon gar nicht zusammen mit einem Kerl, dessen Anblick meine Gliedmaßen in unbrauchbare Gummistelzen verwandelte.

Drei

Nach dem Frühstück führte Olivia mich durch ihr Haus. Im Erdgeschoss gab es neben der geräumigen Wohnküche auch ein lichtdurchflutetes Wohnzimmer, ein Arbeitszimmer und ein kleines Gästezimmer mit Bad. Olivia erklärte mir, dass dieses Zimmer meist für Übernachtungsgäste genutzt wurde und dass ich im zweiten, größeren Gästezimmer oben auf ihrer und Kendricks Etage wohnen würde. Ich folgte ihr eine breite, hölzerne Treppe hinauf in den ersten Stock, wo ich geblendet die Augen zusammenkniff. Die Morgensonne schien mit aller Kraft durch die große Fensterfront, die ich schon von außen gesehen hatte. Dazu kam, dass die Etage mit cremeweißem Schurwollteppich ausgelegt war, der im Sonnenlicht so hell leuchtete, dass ich fast fürchtete, davon schneeblind zu werden. Olivia wies auf eine schmale Treppe, die vom Flur weiter nach oben führte, und sagte:

»Meine Eltern schlafen oben auf dem Dachboden. Das da drüben«, sie zeigte auf eine geschlossene Tür am anderen Ende des Korridors, »ist Kendricks Zimmer. Es ist über der Garage und deswegen wird es im Winter arschkalt da drinnen. Mein Zimmer liegt zum Glück auf der Südseite.«