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Schon seit vielen Monaten ist Mira, die neben ihrem Studium im Café von Starfall jobbt, heimlich in Zac verliebt. So gern würde sie mit ihrem Zwillingsbruder Jase über ihre Gefühle sprechen, doch ihn und Miras Schwarm verbindet eine schwierige Vergangenheit und das letzte, was sie will, ist Jase zu verletzen. Zac ist bekannt für seine raue Art – aber Mira kennt ihn besser: als einen Jungen, der gebrochen war, bevor er der Mann wurde, der er heute ist. Er stützt seine depressive Mutter und trainiert hilfsbedürftige Jugendliche im Boxen. Die Sternenwarte Starfalls ist für ihn sein einziger Rückzugsort, den er mit niemandem teilt, außer mit Mira. Immer mehr verliebt sie sich in Zac und gibt sich schließlich ihren Gefühlen hin. Anvertrauen kann sie sich nur ihrer besten Freundin Enna, bis ihr Bruder hinter ihr Geheimnis kommt …
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EMILY STOPP
EMILY STOPP
Starfall Love 2
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Originalausgabe
1. Auflage 2023
© 2023 by LAGO Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
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80799 München
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Wichtiger Hinweis: Die gewählte männliche Form bezieht sich immer zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf konsequente Mehrfachbezeichnung wurde aufgrund besserer Lesbarkeit verzichtet.
Redaktion: Jil Aimée Bayer
Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch
Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Casey Blackwell, lavendertime
Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-95761-216-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-315-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-316-4
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»Denn wir sind aus Sternenstaub gemacht, sagt das Mädchen aus meinen Träumen, ein bisschen wie Gold, flüssig und warm. Und um uns die Magie, die uns alle verbindet.«
Sophie Bichon
»Be Kind« – Marshmellow & Halsey
»Best of You« – Foo Fighters
»Like I Love you« – Nico Santos, Topic
»You Need To Calm Down« – Taylor Swift
»Dangerous Night« – Thirty Seconds to Mars
»Shivers« – Ed Sheeran
»Love You Better« – John De Sohn, Rasmus Hagen
»Naked« – Christopher
»Bigger Than« – Justin Jesso, Seeb
»High« – Johnny Rollins
»Midnight« – Alesso, Liam Payne
»Who’s Gonna Love Me Now« – Nico Santos
»No Words« – Madeline Juno
»Hope« – Lucidious
»Hopeless Romantics« – James TW
»Biblical« – Calum Scott
»Last One Standing« – Skylar Grey, Polo G, Mozzy, Eminem
»Didn’t I« – OneRepublic
»Kiss My Scars« – August Royals
»Hold Me While You Wait« – Lewis Capaldi
»Be Alright« – Dean Lewis
»Ghost« – Christopher
»brutal« – Olivia Rodrigo
»I Don’t Care« – Ed Sheeran, Justin Bieber
Für meinen Papa. Du bist und bleibst mein Superheld.
Prolog
Kapitel 1: Chaos im Schnee
Kapitel 2: Rasende Gedanken
Kapitel 3: Das perfekte Team
Kapitel 4: Kleine Löwen
Kapitel 5: Ein Kackhaufen-Emoji
Kapitel 6: Fehlende Worte
Kapitel 7: Lügen über Lügen
Kapitel 8: Vier Fragen
Kapitel 9: Die Angst vertreiben
Kapitel 10: Gegenseitiges Stützen
Kapitel 11: Hand in Hand
Kapitel 12: Leben im Hier und Jetzt
Kapitel 13: Wahrheiten
Kapitel 14: Genau jetzt
Kapitel 15: Zu Besuch im Eispalast
Kapitel 16: Hoffnungsschimmer
Kapitel 17: Eine Chance auf Sonne
Kapitel 18: Gewinner und Verlierer
Kapitel 19: Die Mauer ist zurück
Kapitel 20: Endlich wieder atmen
Kapitel 21: Raus aus dem Käfig
Kapitel 22: Winnie-the-Pooh
Kapitel 23: Der Freiheit entgegen
Epilog: Zwölf Monate später
Danksagung
Zac
Liebe hat eine unglaubliche Macht.
Sie kann auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen in dein Leben treten. Im besten Fall bringt sie dir eine Menge Glück und Freude. Im schlimmsten Fall bedeutet sie Schmerz und Leid, Trauer und Finsternis. Für mich war sie schon immer Zweiteres.
Schon als ich ein kleiner Junge war, waren Wut und Trauer meine ständigen Begleiter. Wut über all die Drohungen und Erwartungen, die ich ohnehin nicht erfüllen konnte. Trauer über den Schmerz, den ich jeden Tag in meinem Inneren verspürte. Über die Worte, die ich sprach und doch nicht so meinte, und die Taten, die ich am liebsten rückgängig machen würde.
Mit der Zeit habe ich gelernt, meine Gefühle tief in mir zu verstecken und fest zu verschließen. Dort erscheinen sie mir auch jetzt noch am sichersten. Sie nach außen hin zu zeigen, bedeutet Schwäche. Diese Lektion musste ich schon sehr früh lernen. Wenn das Leben nur aus negativen Gefühlen besteht, wenn es mehr ein Überleben als ein Leben ist, dann vergisst du das Schöne in der Welt. Für mich war sie farblos, meine Welt – an einigen Tagen grau, an anderen schwarz, aber nie mehr.
Mit jedem Tag, der verging, fühlte ich mich gebrochener. Mit den Jahren lernte ich, dem Menschen, den ich auf dieser Welt am meisten verachte, den Rücken zu kehren. Ich lernte, meine Mauer so hoch und dick wie möglich zu bauen, damit niemand mehr dahinterschauen kann.
Mein Plan ist aufgegangen, zumindest für eine Weile. Meine Fassade hatte Bestand, mein Leben lief unkompliziert an mir vorbei. Die Dinge geschahen einfach: Die Frauen kamen und gingen, nie blieb eine länger als für eine Nacht. Mit der Liebe hatte ich schon vor langer Zeit abgeschlossen. Sie war kein Teil meines Lebens mehr.
Bis ich sie zum ersten Mal sah: Das Mädchen mit den blonden Haaren, die in der Sonne wie Gold glänzen. Mit den atemberaubendsten Augen, in denen ich mich immer und immer wieder verliere.
Wie ein Tsunami kam sie in mein Leben und wirbelte alles durcheinander. Die Gefühle, die in mir schrien, versuchte ich, im Keim zu ersticken: vergeblich. Mit jedem Tag, der verging, schien meine Mauer einen Riss mehr zu bekommen.
Nie hätte ich geglaubt, dass ein Mensch ein ganzes Leben verändern kann – ich wurde eines Besseren belehrt. Ich lernte, was es heißt, wirklich zu lieben. Dass das, was ich bisher geglaubt hatte, als Liebe zu kennen, gar keine Liebe war.
Denn Liebe ist alles. Sie ist Schmerz, Leid, manchmal Finsternis und Trauer, dann wieder Freude und Glück.
Vor allem aber ist Liebe bunt und verrückt, sie wirft dich völlig aus der Bahn und reißt jede Mauer mit sich.
Liebe siegt.
Immer.
Es muss so sein.
Mira
»Was zur Hölle befindet sich in diesem Koffer?«
Mit einem entgeisterten Ausdruck im Gesicht dreht Jase sich zu mir um. Er steht auf der Treppe unseres Hausflurs, hält den Griff meines Reisegepäcks mit seinen Händen umschlungen. Auf eine Antwort wartend sieht er mich an, während er es mit einem lauten Knall neben sich abstellt.
»Das willst du gar nicht wissen«. Lachend sehe ich ihn an und schultere seinen Rucksack. Wir haben vorhin sehr schnell beschlossen, miteinander zu tauschen, denn mir wäre es unmöglich, dieses Monstrum von Koffer, in dem sich all meine Klamotten befinden, allein bis in die WG zu wuchten. Für meinen sehr sportlichen Zwillingsbruder ist das allerdings gar kein Problem.
»Sei froh, dass ich dich so sehr liebe, Schwesterherz. Sonst würde der hier«, sagt er und deutet neben sich auf den Boden, »jetzt nämlich immer noch mutterseelenallein auf dem Bürgersteig stehen.«
Gespielt entsetzt sehe ich ihn an. »Du hättest Gustav einfach so im Stich gelassen?«
Jase lacht. »Warum wundert es mich nicht, dass du selbst diesem Ding einen Namen gegeben hast?«
Ich erwidere sein Lachen. Tatsächlich ist es eine meiner Macken, jedem Gegenstand, der mir etwas bedeutet, einen Namen zu verleihen. Irgendwie fühle ich mich den Dingen dann verbundener. Außerdem verdienen sie meiner Meinung nach einen, wenn sie so treue Begleiter meines Lebens sind.
»Meinst du, du schaffst es, Gustav bis in die Wohnung zu tragen?«, frage ich Jase.
Er stöhnt kurz auf, dann greift er wieder nach dem Griff des Koffers und wuchtet ihn mit all seiner Kraft in die Luft. »Bitte ruf den Notarzt, wenn ich von dieser Bestie erschlagen werde.«
»Wie war noch gleich die Telefonnummer dafür?«, frage ich ihn gespielt ahnungslos. »Ich erinnere mich plötzlich nicht mehr …«
»Miranda Summers, ich warne dich …«
Wenn Jase mich mit meinem vollen Namen anspricht, ist es ernst. Er weiß, wie sehr ich es hasse, so genannt zu werden. Vor lauter Angst um Gustav halte ich also meine Klappe, während mein Bruder sich die letzten Stufen zur WG nach oben kämpft und ich ihm hinterhertrotte.
Kaum sind wir oben angekommen, wird die Tür auch schon von innen aufgezogen. Ein strahlender Finn steht im Türrahmen und breitet seine Arme aus. »Da sind ja endlich meine Lieblingsmitbewohner!«
»Wir sind deine einzigen Mitbewohner«, entgegne ich lachend, während die Jungs sich zur Begrüßung umarmen und dabei freundschaftlich abklatschen. Anschließend zieht Finn auch mich in eine liebevolle Umarmung. Es ist so schön, endlich wieder hier zu sein. An diesem Ort, hier bei meinen Freunden, fühle ich mich wirklich zu Hause.
Finn hilft Jase dabei, meinen Koffer in die Wohnung zu heben. »Meine Güte, Mira. Ihr wart doch nur zwei Wochen weg. Was hast du denn alles hier drin, das ist doch …«
»Bitte, nicht du auch noch!«, rufe ich entsetzt dazwischen. »Es kommt doch nicht auf die Anzahl der Tage an, die man weg ist«, erkläre ich ihm, während ich Jasons Rucksack absetze und mich aus meiner Jacke schäle. »Ich bin eben immer für alle Fälle ausgerüstet, das solltest du inzwischen wissen. Lieber habe ich mehrere Pullover dabei, falls einer …« Weiter komme ich nicht, denn als ich mich in Richtung Wohnzimmer drehe, sehe ich meine beste Freundin.
»Enna!«, rufe ich begeistert. In wenigen Schritten ist sie bei mir. Wir umarmen uns stürmisch und hüpfen auf der Stelle auf und ab.
»Ich hab dich so vermisst!«, rufe ich über ihre Schulter.
»Und ich dich erst. Du hast mir unendlich gefehlt!«
»Hey, dafür war ich ja da«, höre ich Finn hinter uns leise zu Jase murmeln. Sofort löse ich mich von meiner besten Freundin.
»Du meinst also, dass du mich ersetzen kannst, ja?«, frage ich ihn entsetzt.
Finn zuckt nur mit den Schultern. »Du musst schon zugeben, dass ich einige Fähigkeiten habe, die dir fehlen. Enna und ich …«
»Sofort aufhören!« Entgeistert sehe ich ihn an. »Ich will gar nicht wissen, was ihr an den Feiertagen so getrieben habt.«
»Den Fotos im Gruppenchat nach zu urteilen, scheint es in der Wohnung deiner Mom ja wirklich romantisch gewesen zu sein, Finn. Ich kann mir schon vorstellen, wie ihr beide vor dem Kamin …«
»Das reicht!«, empört sich nun auch Enna. Innerhalb weniger Sekunden läuft ihr gesamtes Gesicht rot an. Das passiert ihr immer, wenn ihr etwas unangenehm ist, was ich unfassbar süß finde.
Als wir alle gemeinsam lachen, bemerke ich, wie sehr ich meine Clique in den letzten Wochen vermisst habe. Die Weihnachtstage haben Jase und ich bei unseren Eltern verbracht. Wie immer, so gab es auch dieses Mal anstatt friedlicher Stimmung an den Festtagen endlose Diskussionen über alles, was den beiden an und in unserem Leben nicht gefällt. In erster Linie ging es diesmal um Jase. Sein großer Traum ist es, Musiker zu werden. Seit einigen Monaten spielt er in einer Band an der Uni, um Extra-Credits für sein Musikstudium zu sammeln und einfach aus Leidenschaft zur Musik. Unsere Eltern haben klare Vorstellungen davon, wie seine und meine Zukunft aussehen soll. Ginge es nach den beiden, würden wir irgendwann ihre erfolgreiche Anwaltskanzlei leiten. Im Gegensatz zu meinem Bruder komme ich den beiden entgegen, indem ich meinen Bachelor of Arts in Law an der Starfall University absolviere. Glücklich bin ich damit zwar nicht, aber immerhin kann ich den Familienfrieden somit etwas wahren. An mein Bachelorstudium wird sich dann das erweiterte Jurastudium anschließen. Es fällt mir natürlich nicht leicht, dass mein Bruder seinem eigenen Traum nachgehen kann, während ich mich durch die meisten Module einfach nur quälen muss. Es gibt wenige Vorlesungen und Seminare, die mir wirklich Spaß machen und deren Inhalte ich sehr interessant finde. Doch später als Anwältin zu arbeiten, kann ich mir für mich einfach nicht vorstellen. Dennoch liebe ich meinen Bruder unendlich und gönne ihm seinen Erfolg als Musiker, auch wenn unsere Eltern diesen gar nicht wertzuschätzen wissen. Jase hat schon oft versucht, mich zu überzeugen, meinen eigenen Weg zu gehen, wie auch er es versucht. Doch ich kann die Stärke, die von ihm ausgeht, einfach nicht aufbringen. Ich habe nicht die Kraft für noch weitere Vorwürfe unserer Eltern. Dadurch, dass wenigstens eins ihrer Kinder den Weg einschlägt, den sie sich für uns beide vorstellen, habe ich das Gefühl, zumindest einen Teil der Liebe aufrechterhalten zu können, die in unserer Familie ohnehin viel zu kurz kommt.
Eine halbe Stunde später sitzen wir um die Kücheninsel verteilt und unterhalten uns über die nun hinter uns liegenden Ferien. Enna und Finn haben die Zeit mit ihren Familien offensichtlich sehr genossen. Finn erzählt gerade davon, wie er einen Feiertag bei seinem Dad verbracht hat, der sonst eher wenig Zeit für seinen Sohn aufbringt. Die beiden haben sich endlich über viele Dinge unterhalten können und ihr Verhältnis ist seitdem viel entspannter. Ich freue mich für ihn. Enna und Finn hatten es nicht leicht in der Vergangenheit und ich wünsche den beiden nur das Beste.
Irgendwann verabschiede ich mich aus der Runde, schnappe mir meine Jacke und laufe durch die Straßen von Starfall, um mich im Café mit Brian zu treffen. Gemeinsam möchten wir den neuen Schichtplan besprechen, denn bereits vor einigen Tagen habe ich meinen Stundenplan erstellt. Kaum zu glauben, dass ich bereits im dritten Semester studiere und nur noch drei weitere vor mir liegen. Auch in diesem Jahr möchte ich mir etwas dazuverdienen und im Café aushelfen. Ich liebe es, dass ich meine Leidenschaft für das Backen dort ausleben kann.
Während ich über den fast leeren Campus laufe, denke ich an all die Aufgaben, die in diesem und den nächsten Semestern vor mir liegen. Als ich merke, wie mein Magen sich bei dem Gedanken daran zusammenzieht, lenke ich meine Aufmerksamkeit lieber auf mein jetziges Vorhaben. Ich liebe es, im Café zu arbeiten und die Kunden mit meinen Kreationen glücklich zu machen. Das ist es, wofür ich brenne: das Backen und das Café.
Ich biege um die letzte Hausecke in die Straße ein, in der sich das C&C – Coffee & Cake – befindet. Dabei beobachte ich, wie meine Stiefel mit jedem Schritt weiter im tiefen Januarschnee versinken, dann lasse ich meinen Blick über die eingeschneiten Hausdächer wandern. Schnee hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich. Wie eine weiße Decke legt er sich über die Welt und scheint Frieden und Ruhe mit sich zu bringen.
In meine Gedanken versunken laufe ich weiter, bis mein rechter Fuß plötzlich gegen etwas Hartes stößt. Ein erschrockener Schrei entfährt mir, kurz darauf falle ich auch schon.
Zac
Ein lautes Krachen – gefolgt von einem kurzen Schrei! – lässt mich zusammenfahren. Vor lauter Schreck fällt mir das Handy aus der Hand, das ich mir eben noch ans Ohr gehalten habe.
Verfluchte Scheiße, was war das denn?
Ohne weiter auf mein Smartphone zu achten, das nun irgendwo im Schnee liegt, drehe ich mich um. Im ersten Moment kann ich niemanden sehen, doch dann streift mein Blick eine Menge blonde Haare im Schnee vor mir. Daneben stand vor wenigen Sekunden noch einer meiner Kartons. Jetzt liegt er dort und sein Inhalt hat sich auf dem Boden verteilt, ebenfalls im Schnee.
Mit wenigen Schritten erreiche ich die Frau, von der ich nur ein leises Fluchen vernehme, um ihr aufzuhelfen. Neben haufenweise Klamotten liegt sie vor mir in der weißen Pracht und scheint sich nicht zu rühren.
Ob sie sich wehgetan hat? Ich bleibe stehen und beuge mich über sie. Ihr blonder Pony schaut unter einer grauen Wollmütze hervor, darunter starrt sie mich mit ihren strahlend blauen Augen erschrocken an.
Verdammt.
Wie der letzte Vollidiot starre ich zurück und scheine dabei völlig das Sprechen verlernt zu haben.
Was ist nur los mit mir?
Normalerweise bringt mich keine Frau so schnell aus der Fassung, doch bei ihr ist es etwas anderes. Mira Summers ist nicht einfach irgendeine Frau – sie ist die Frau, der ich seit Jahren aus dem Weg zu gehen versuche. Und ausgerechnet sie liegt nun im Schnee vor mir, umringt von meinen Shirts und Socken. Peinlicher geht es kaum.
»Ist es wirklich so spannend?«, fragt Mira mich genervt.
»Was?« Ich bin total perplex, als sie mich aus meinen Gedanken reißt.
»Mich hier liegen zu sehen. Im Schnee.«
»Wieso sollte das spannend sein?«
»Weil du mich nur anstarrst, anstatt mir aufzuhelfen.«
Jetzt weiß ich ganz sicher, dass ich mich nicht nur wie ein Vollidiot benehme. Ich bin gerade auch ein echter.
»Entschuldige«, sage ich, nun wieder selbstsicher, und reiche ihr meine Hand. Mira ergreift sie sofort und lässt sich von mir aufhelfen. »Hast du dir wehgetan?«
Sie klopft sich den Schnee von Jacke und Jeans. »Nein, es geht schon«, murmelt sie, dann lässt sie ihren Blick über den Boden gleiten. »Bin ich über dieses Ding gestolpert?« Sie deutet auf den braunen Karton.
Ich nicke. »Jepp. Wobei ich mich ehrlich frage, wie du ihn nicht hast sehen können. Er stand mitten auf dem Weg und …«
»Ist ja gut.« Mira verdreht die Augen. »Ich war mit meinen Gedanken gerade woanders.« Erst jetzt scheint sie zu bemerken, dass all meine Klamotten kreuz und quer verteilt liegen und inzwischen mit Sicherheit nass sind. »Verdammt, das tut mir leid«, wispert sie und stellt den Karton wieder auf. »Ich helfe dir natürlich …«
»Schon okay, das musst du nicht«, falle ich ihr ins Wort.
»Klar doch. Ich habe deinen Karton umgerannt, also helfe ich dir auch, die Sachen wieder einzuräumen.«
Ergeben hebe ich die Hände. »Also schön.«
Gemeinsam machen wir uns daran, meine Sachen wieder in den Karton zu packen. Mira greift sich ein paar meiner Socken und schüttelt sie aus, damit der Schnee abfällt. Verdutzt betrachtet sie die drei Stück, die sie in der Hand hält, ehe sie forschend über den Boden blickt.
»Suchst du was?«
»Ja«, antwortet Mira. »Die passenden Socken zu diesen hier, aber irgendwie …«
Ein lautes Lachen entfährt mir, bevor ich mich daran hindern kann. Noch im gleichen Moment frage ich mich, wann ich zum letzten Mal gelacht habe. Ehrlich und aus vollem Hals. Es muss Wochen her sein. Beinahe fühlt es sich seltsam an, wie sich meine Mundwinkel nach oben ziehen, als hätten sie es ewig nicht getan.
»Was ist so lustig?«, reißt sie mich nun schon zum zweiten Mal aus meinen Gedanken. Es verwundert mich, wie viel Macht diese Frau über mich hat, obwohl wir uns kaum kennen. Sonst bin ich nicht so. Für gewöhnlich bin ich eher verschlossen. Und sie ist definitiv die letzte Frau, die mich zum Lachen bringen sollte.
»Ach, vergiss es«, sage ich nur und nehme ihr die Socken aus der Hand. Mira zuckt nur mit den Schultern und reicht mir dann zwei meiner Shirts. Ich lege sie zu den anderen Klamotten in den Karton und schließe ihn wieder.
»Wozu all die Kisten?«, fragt sie mich und deutet auf die weiteren Kartons, die sich an der Hauswand stapeln.
»Ich ziehe um«, antworte ich knapp.
Fragend sieht Mira mich an. »In dieses Haus?« Sie deutet auf den weißen Altbau neben uns.
Ich nicke. Die Entscheidung, endlich auszuziehen, ist mir alles andere als leichtgefallen. Zu Hause habe ich Verpflichtungen, denen ich mich auch so nicht entziehen kann. Dennoch erhoffe ich mir von den fünfzig Quadratmetern in diesem Haus ein Stück Normalität. Etwas Eigenes. Einen Bereich ganz für mich, in dem ich einfach ich sein kann, ohne funktionieren zu müssen.
»Cool«, entgegnet Mira ebenso knapp wie ich zuvor.
Ich meine, für einen kurzen Moment eine gewisse Anspannung in ihrem Gesicht lesen zu können, bin mir aber bereits zwei Sekunden später nicht mehr sicher, ob ich es mir nicht doch nur eingebildet habe.
Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Mit einer lockeren Bewegung hebe ich den Karton an und trage ihn zu den anderen, um ihn auf den Stapel an der Hauswand zu stellen, der einzigen trockenen Stelle weit und breit. Das harte Training der letzten Monate macht sich bezahlbar. Meine Kraft kann ich für den Umzug und die Renovierung meiner Wohnung gut gebrauchen, denn Hilfe werde ich dabei von niemandem bekommen. Soll mir aber recht sein. So muss ich mir keine nervigen Fragen oder Vorschläge anhören. Ich bin es ohnehin gewohnt, mich um die Dinge in meinem Leben allein zu kümmern. Das kann und soll auch so bleiben, denn nur so kann ich sichergehen, niemandem etwas schuldig zu sein.
»Sorry noch mal, dass deine Sachen jetzt wegen mir nass sind.« Schuldbewusst sieht Mira mich an, als ich mich ihr wieder zuwende.
Ich winke ab. »Ach, das sind nur Klamotten, die trocknen schnell wieder.«
Auf dem Boden suche ich nach meinem Handy, das ich in den letzten Minuten völlig vergessen habe. In wenigen Sekunden habe ich es gefunden und stecke es in meine Jeanstasche, nachdem ich mich vergewissert habe, dass es noch funktionstüchtig ist. Da ich davon ausgehe, dass unser Gespräch beendet ist, hebe ich eine der Kisten an und trage sie in Richtung Haustür. Gerade will ich den Hausflur durch die bereits offen stehende Tür betreten, als Miras Stimme mich noch einmal innehalten lässt.
»Ich würde dir ja helfen, wäre ich nicht schon so spät dran, aber ich muss zu einer Besprechung im C&C, dort arbeite ich nämlich!«, ruft sie mir nach und räuspert sich daraufhin. »Wir machen wirklich tollen Kaffee. Ich weiß ja nicht, ob du Kaffee trinkst, aber wir haben auch fruchtige Torten und …«
Fruchtige Torten? Schmunzelnd schüttle ich den Kopf, gehe aber nicht weiter auf ihr indirektes Angebot ein. Stattdessen bedanke ich mich kurz, bevor ich mich umdrehe und das Haus betrete.
In meiner Wohnung angekommen, stelle ich den Karton im Wohnzimmer ab, gehe zum Fenster und werfe einen letzten Blick auf die Straße. Mira ist verschwunden und hat nur die Abdrücke ihrer Stiefel im Schnee hinterlassen. Eigentlich hasse ich den Winter, doch seltsamerweise stört mich die weiße Pampe da draußen heute etwas weniger.
Mira
»Du siehst aus, als hättest du ein Schneemonster gesehen.« Mit diesen Worten begrüßt Brian mich, als ich, von einem kalten Windstoß begleitet, das Café betrete.
»So falsch liegst du damit gar nicht«, murmle ich in meinen Schal, während ich mich aus meiner Jacke schäle. Zusammen mit meiner Mütze hänge ich sie an der Garderobe des C&C auf, dann wende ich mich meinem Chef zu. Mit einem Grinsen im Gesicht lehnt er an der Kuchentheke und sieht mich amüsiert an.
»War es ein großes Schneemonster?«, fragt er mich gespielt ernst. »Ich habe mal gehört, dass es auch kleine gibt, die nicht so gefährlich sein sollen.«
Ich lache. Manchmal liebe ich es, dass Brian bereits über fünfzig ist, denn in all den Jahren, die er schon auf dieser Erde wandelt, scheint er mit jedem Tag mehr an Humor dazugewonnen zu haben. Er macht die wirklich schlechtesten Witze überhaupt, doch gerade die finde ich immer am lustigsten.
Was das wohl über mich aussagt?
»Nein, kein Monster, Brian. Nur jemand, den ich sonst eher zu meiden versuche.«
»Verstehe«, entgegnet er knapp. Er kennt mich lange und gut genug, um zu wissen, wann es besser ist, auf etwas nicht genauer einzugehen. Auch jetzt scheint er zu spüren, dass ich das Thema nicht vertiefen möchte, und dafür liebe ich ihn umso mehr. Die Begegnung mit Zac eben hat mich wahnsinnig aufgewühlt. Schon seit Monaten versuche ich, das kleine Hüpfen meines Herzens zu ignorieren, wann immer ich ihn in der Uni oder auf dem Campus sehe. Ich tue es als etwas ab, das es nicht wert ist, näher betrachtet zu werden, und verdränge dieses Gefühl in mir, wenn ich seine Stimme höre. Diese raue, tiefe Stimme, die mein Herz zum Rasen bringt. Das Kribbeln, das mich überkommt, wenn er den Raum betritt …
Ich arbeite schon seit meiner ersten Woche in Starfall im C&C. Die Arbeit hier macht mir unglaublich viel Spaß, ebenso all die Gespräche mit Brian. Das C&C ist ein sehr kleines Café, in das nur wenige Gäste passen, weshalb es ausreicht, wenn nur einer von uns die Bedienung übernimmt. Doch genau deswegen liebe ich es hier: Es ist klein, gemütlich und einfach ein absoluter Wohlfühlort mit all den gepolsterten Stühlen, Sitznischen und der großen Fensterfront. Mein persönliches Highlight ist allerdings die Theke, in der sich stets auch meine eigenen Backwaren befinden. Einer der Gründe, weshalb ich den Aushilfsjob damals so schnell angenommen habe, war das Versprechen von Brian, dass ich meine eigenen Kuchen und Muffins verkaufen darf. Ich liebe es, mich in der Küche auszuprobieren, doch ebenso erfüllt es mich mit Freude, in die lachenden Gesichter der Gäste zu schauen, wenn sie voller Begeisterung meine Leckereien essen. Es tut gut, sehen zu dürfen, wie etwas von mir Geschaffenes einem anderen Menschen Glück bescheren kann. In sehr stressigen Uni-Phasen wird das C&C von einer Firma mit Backwaren beliefert, doch Brian beteuert immer wieder, dass meine Kreationen in ihrem Geschmack einfach nicht zu übertreffen sind, was mich mehr als glücklich macht. Er schätzt mein Talent und vertraut mir, obwohl es sein Café ist und ich hier nur aushelfe. Doch es fühlt sich nach viel mehr an als nur nach einem Nebenjob: Vielmehr sind wir ein eingespieltes Team, eine Einheit. Ich fühle mich gebraucht und geschätzt. Meine regelmäßigen kleinen Gespräche mit Brian schenken mir immer wieder viel Kraft und natürlich werde ich zudem wegen meiner Extraleistung auch wirklich gut bezahlt, was ebenso nicht unwichtig für mich ist. Meine Eltern finanzieren zwar mein Studium, doch meine sonstigen Lebenshaltungskosten stemme ich allein. Dieses Stück Unabhängigkeit war mir schon immer sehr wichtig und ich habe sehr dafür gekämpft, mir diese Freiheit zu ermöglichen.
»Sterne an Mira!«, reißt Brian mich schließlich aus meinen Gedanken.
»Entschuldige. Was hast du gesagt?« Ich werfe ihm ein Lächeln zu.
»Ich habe dich gefragt, wie die Ferien waren. Natürlich weiß ich, dass du nicht besonders gern zu deinen Eltern fährst, und du musst auch nichts Genaueres erzählen. Ich habe mich nur gewundert …«
»Ist in Ordnung, Brian«, unterbreche ich seine Erklärungsnot. »Ich gebe dir eine Kurzfassung, wenn das okay ist?«
Er nickt, also entschließe ich mich dazu, ihm mit möglichst wenigen Worten von meinen unglaublich tollen – natürlich ironisch gemeint! – Ferien zu berichten.
»Jase und ich waren ganze zwei Wochen bei meinen Eltern. In den ersten Tagen waren sie tatsächlich supernett, was unter anderem daran lag, dass sie sich die wirklich ernsten Gesprächsthemen bis nach den Feiertagen aufgehoben haben.« Ich seufze einmal kurz auf. »Wir hatten wirklich schöne Weihnachten und ein tolles Silvester. Die darauffolgenden Tage liefen weniger harmonisch ab.«
Brian nickt verständnisvoll. »Welcher Satz war diesmal am einfallsreichsten?«, fragt er mich wie immer, wenn ich von einem Aufeinandertreffen mit meinen Eltern erzähle.
Über die Antwort auf diese Frage muss ich nicht eine Sekunde lang nachdenken. »Es waren diesmal zwei Sätze.«
»Klingt spannend«, kommentiert Brian lachend. Er weiß genau, dass ich lieber mit einer Prise Humor über meine Eltern spreche, weshalb ich ihm für die Auflockerung sehr dankbar bin. »Welcher ist dein Favorit?«
Ich erwidere sein Lachen und gebe mir dann die größte Mühe, die Tonlage meiner Mom nachzuahmen. »›Mit Törtchen verdient es sich noch lang keinen Lebensunterhalt, Miranda.‹«
Sofort bricht Brian in schallendes Gelächter aus, woraus ich schließe, dass mir meine Imitation meiner Mutter gelungen ist. Brian kennt sie zwar nicht persönlich, doch ich habe so oft von ihrer Art berichtet, dass er sich mittlerweile schon ein sehr gutes Bild von ihr machen kann, da bin ich mir sicher. Ich steige in sein Lachen mit ein. Auch jetzt verletzen die Worte meiner Mom mich sehr, doch mit Brian darüber zu scherzen, macht es schon wesentlich besser. Es war dumm von mir, meine berufliche Zukunft erneut bei meinen Eltern anzubringen und zu glauben, dass sie diesmal anders darüber denken würden. Mittlerweile bezweifle ich, dass sie ihre Meinung überhaupt irgendwann ändern werden.
»Und der zweite Satz?«, fragt Brian mich, als wir uns halbwegs beruhigt haben. Er wischt sich eine Lachträne von der Wange.
»›Die Musik spielt nicht in Starfall, sondern hier in der Kanzlei.‹«
»Das ist ein wirklich schlechter Wortwitz«, erwidert mein Chef und zieht eine Augenbraue nach oben.
»Mein Dad fand ihn passend. Aber du kennst ja Jase. Nach außen hin wirkte es, als habe er Dads Worte mit Humor genommen. Doch ich weiß, dass sie ihn dennoch verletzt haben. Die Musik ist …«
»… seine Leidenschaft«, beendet Brian meinen Satz.
Ich nicke. »Mein Bruder liebt seine Musik. Von den eigenen Eltern zu hören, dass er seinen Traum aufgeben soll, muss schrecklich für ihn sein.«
»Ebenso musst du dich fühlen.« Brian legt mir in einer väterlichen Geste seine raue, aber angenehm warme Hand auf die Schulter.
»Es ist okay.« Ich setze ein Lächeln auf, doch wie immer merkt er sofort, dass es keines ist, das aus meinem Herzen kommt. Nach all den Monaten fühlt es sich für mich nicht mehr so an, als wäre Brian nur mein Chef. Vielmehr ist er zu einem wirklich guten Freund für mich geworden, dem ich mich trotz des großen Altersunterschieds sehr gut anvertrauen kann.
»Ich weiß, dass du stark sein möchtest, Mira.« Brian sieht mich ernst an. »Doch ich weiß auch, wie es wirklich in dir aussieht. Und ich finde, dass du es verdienst, deine Gefühle zuzulassen. Wir können nicht immer stark sein.«
Wie immer dringen seine Worte sofort in mein Inneres. Ich lege sehr viel Wert auf Brians Meinung und versuche, mir seine Ratschläge stets zu Herzen zu nehmen. »Danke, Brian.«
Er legt einen Arm um mich und zieht mich liebevoll an seine Seite. »Ich bin immer für dich da, Mira«, sagt er mit seiner beruhigenden Stimme. »Und ich rette dich gern vor jedem Schneemonster dieser Welt.«
Lachend löse ich mich von ihm. »Das weiß ich zu schätzen.« Manchmal wünschte ich, mein Vater hätte mehr von Brian.
Kurz lächeln wir uns an, dann geht Brian zur Kuchentheke und kramt in den Fächern unterhalb des Tresens nach seinem Terminplaner. Ich laufe zu meiner Jacke, krame mein Smartphone hervor und geselle mich dann zu ihm.
In der kommenden halben Stunde vergleichen wir unsere Termine und legen einen Schichtplan für das anstehende halbe Jahr fest. Ebenso teile ich Brian mit, welche Kuchenkreationen ich für die nächsten Wochen eingeplant habe. Wir freuen uns beide sehr darauf, nach der Weihnachtszeit, über die das Café geschlossen war, nun endlich wieder verkaufen zu können. Brian hat die Feiertage mit seiner Frau verbracht und obwohl er mir erzählt, dass er die Zeit sehr genossen hat, schließt er das C&C nicht gern für länger, das weiß ich. Ihm liegt sehr viel an diesem Ort und an den Menschen, die ihn so regelmäßig besuchen.
»Ich würde in der Woche darauf gern ein neues Cupcake-Rezept ausprobieren. Es gibt da dieses megageniale Frosting. Man mischt Schokolade mit Buttermilch und einigen anderen Zutaten. Für das Topping dachte ich an bunte Streusel. Erst letzte Woche habe ich in diesem coolen Back-Store eine halbe Stunde von hier …«
Brians amüsiertes Grinsen lässt mich in meinen Worten innehalten. »Ich plappere schon wieder zu viel, oder?«
»Mich begeisterst du immer wieder damit. Du musst innerhalb von drei Sätzen nicht einmal Luft holen, wenn es um das Backen geht.«
Wie recht er doch hat, denke ich und zwinkere ihm zu. »Ich bin eben mit voller Leidenschaft dabei.«
Brian nickt. »Das klingt alles ganz wundervoll. Ich vertraue auf deinen Geschmack und dein Talent. Du kannst zur Backwarenauswahl beisteuern, was immer du magst. Aber eine Bedingung gibt es.«
Wissend nicke ich. »Du möchtest alle Kreationen vorher probieren, damit die Gäste dir nicht alles wegessen. Richtig?«
Brians Augen werden groß. »So ist es, Mira.«
Wir unterhalten uns noch eine Weile und weichen dabei geschickt dem unangenehmen Thema von eben aus. Es tut unheimlich gut, nach all den Wochen voller Zwang endlich wieder unbeschwert mit jemandem über die Dinge sprechen zu können, die mich glücklich machen.
Eine Stunde später verlasse ich glücklich das Café. Ich denke an all die Torten, die ich in den kommenden Tagen backen will. An Brian und welch großen Platz er in meinem Herzen einnimmt.
Und ich erwische mich dabei, wie ich auch an Zac denke, während meine Wangen zu glühen beginnen. Ich denke an Zac und an all die bunten Socken im Schnee, was mich zum Schmunzeln bringt.
Mist.
Zac
Während ich meine Sockensammlung im Kleiderschrank verstaue, den ich schon vor einigen Tagen aufgebaut habe, wandern meine Gedanken immer wieder zu Mira, die wie ein blonder Engel im Schnee vor mir lag.
Ich verfluche mich selbst dafür, wie heftig mein Körper auf sie reagiert. Ein Blick in ihre Augen reicht, um all die Gefühle, die ich immer zu unterdrücken versuche, mit einem Mal zum Vorschein zu bringen. Wie ein Strudel brauen sie sich in mir zusammen und sammeln sich an den empfindsamsten Stellen meines Körpers. Ich bin ein Meister darin, dem Sog des Strudels auszuweichen. Normalerweise.
»Verfluchte Scheiße!«
Die letzten Socken werfe ich nur noch achtlos in die Schublade, dann lasse ich mich einfach rückwärts auf mein Bett fallen. Ich brauche Ablenkung, und das wirklich dringend. Ich weiß sofort, dass dafür nur ein paar Drinks, laute Musik und Frauen in knappen Hotpants notwendig sind, die um mich herumtanzen. Vielleicht auch eine, mit der ich die Nacht verbringen kann, die aber definitiv am Morgen danach wieder verschwunden ist.
Ich bin kein Player. Bei mir wissen die Frauen im Vorhinein, worauf sie sich einlassen, aber ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich gern genieße und kurzen Spaß habe. Die meisten sind ohnehin nicht an mir als Mensch interessiert, sondern nur an meinem Körper, was mir mehr als recht ist. Beim Sex geht es für mich um Lust und Hingabe, nicht um Gefühle. Bei mir geht es nie um Gefühle. Zumindest nicht um meine eigenen.
Kurzerhand krame ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy. Als ich darauf zwei verpasste Anrufe meiner Mom sehe, bleibt mir kurz das Herz stehen. Sofort rufe ich sie zurück.
»Hallo?«, ertönt es wenige Sekunden später am anderen Ende der Leitung. Mom klingt wie so oft leise, zerbrechlich. Ich gebe mir die größte Mühe, den aufkommenden Schmerz zu unterdrücken, das Ziehen in meinem Magen zu ignorieren.
»Ich bin es, Mom. Was ist los?« Ich setze mich auf meinem Bett auf.
»Was soll denn los sein?«, fragt sie mich verwundert.
»Du hast mich zweimal angerufen. Ist etwas passiert? Geht es dir wieder schlechter?« So ganz gelingt es mir nicht, ruhig zu bleiben. Ich merke, wie sich mein Herzschlag beschleunigt.
Ein leises Seufzen ist am anderen Ende zu hören. »Ich wollte dich fragen, ob du morgen vorbeikommen kannst.«
»Natürlich kann ich das«, antworte ich sofort, stelle das Telefonat auf laut und durchforste den Terminplaner auf meinem Handy. Morgen ist Freitag, also muss ich um fünfzehn Uhr beim Training sein. »Wann passt es dir?«
»Ich habe doch immer Zeit, Zac. Was soll ich schon vorhaben?«
Bei der Trauer in ihrer Stimme zerreißt es mir beinahe das Herz. Ich liebe meine Mutter über alles. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Meine Aufgabe ist es, sie zu beschützen. Das war schon immer so und es wird auch immer so bleiben. Andere würden vielleicht sagen, sie sei mein wunder Punkt, aber das ist sie nicht. Sie ist meine Mutter, verdammt. Ich verdanke ihr mein Leben. Und natürlich tue ich alles für sie.
»Dann komme ich um zwölf Uhr zum Mittagessen. Kochst du uns etwas?« Ihr Brummen deute ich als Ja. »Kommst du bis dahin zurecht?«, frage ich sie schließlich unsicher. Plötzlich kommt mir mein Auszug wieder wie ein fataler Fehler vor. Nun kann ich nicht mehr rund um die Uhr bei ihr sein und auf sie achtgeben.
»Klar«, antwortet sie knapp.
Plötzlich fällt mir wieder ein, dass heute Abend ihre Lieblingssendung im Fernsehen läuft. Ich beschließe, sie daran zu erinnern. So kann ich mir sicher sein, dass sie eine Beschäftigung für den Abend hat.
»Später läuft wieder diese Arztserie im TV, die du so gern schaust. Vielleicht magst du sie dir ansehen? Ich kann dir gern das Programm schicken und …«
»Das ist lieb, mein Schatz«, unterbricht sie mich. »Aber ich glaube, dass ich mich gleich schlafen lege. Bin sehr müde heute.«
Ich werfe einen Blick auf die Zeitangabe meines Handys. Es ist gerade mal siebzehn Uhr. Doch ich weiß, dass Zeit für meine Mom schon länger keine Rolle mehr spielt. Für sie geht jeder Tag nahtlos in den anderen über.
»In Ordnung, Mom«, sage ich also nur. »Bitte melde dich, wenn etwas ist.« Als sie nichts darauf erwidert, schließe ich für einen Moment die Augen. »Ich liebe dich, Mom.«
»Ich liebe dich auch, Zac.«
Kurz darauf verrät mir ein kurzes Piepen, dass sie das Telefonat beendet hat. Ich versichere mich noch einmal, dass mein Handy auf laut gestellt ist, und will es gerade beiseitelegen, als mir einfällt, weshalb ich es überhaupt zur Hand genommen habe. Ich öffne meinen WhatsApp-Chat mit Steve und schreibe ihm eine Nachricht.
Bock auf Feiern heute Abend?
Es ist Donnerstag, also steigt was im Stardust.
21:oo Uhr vorm Club?
Seine Antwort kommt bereits wenige Minuten später. Ich ziehe mir gerade meine Bikerjacke über, als mein Handy vibriert. In einer fließenden Bewegung greife ich danach, denn mit seiner Antwort habe ich schon gerechnet.
Klar, Bro. Bin dabei!
Zufrieden stecke ich das Handy zurück in meine Hosentasche, hole meinen Helm sowie die Schlüssel und verlasse kurz darauf meine Wohnung, die noch immer im Chaos liegt. Doch gerade habe ich keine Kraft dafür, weiter meine Kartons auszuräumen. Die Begegnung mit Mira hat mir schon genug den Kopf verdreht, aber zu hören, wie schlecht es meiner Mom geht, ausgerechnet am Tag meines endgültigen Auszugs, bringt das Fass der Verzweiflung in mir zum Überlaufen. Ich gebe mir die Schuld daran, dass heute einer ihrer schlechten Tage ist. Wie könnte ich das nicht tun? Immerhin habe ich mich dazu entschieden, sie allein zu lassen. Aus egoistischen Gründen bin ich ausgezogen und obwohl ich weiß, dass es der richtige Schritt für mich war, zerbricht es mir das Herz, dass sie so sehr darunter leidet. Doch ich kann nicht ewig bei ihr bleiben, das wissen wir beide. Nur, um das Leben meiner Mom zu schützen, darf ich mein eigenes nicht verpassen. Das würden wir uns beide irgendwann nicht vergeben können, also musste ich diesen Schritt gehen – für sie und für mich selbst.
Ich laufe die Straße entlang bis zu der Lücke, in der ich mein schwarzes Motorrad geparkt habe. Dort angekommen, schwinge ich mein Bein darüber, stecke den Schlüssel ins Zündschloss und schließe die Augen, als der laute Klang des Motors ertönt. Zweimal lasse ich ihn laut aufheulen, genieße das Geräusch dabei, werfe einen Blick über meine Schulter, um mich zu vergewissern, dass alles frei ist, dann lenke ich die Maschine auf die Fahrbahn.
Erst als ich die Straßen von Starfall verlasse und auf den Highway einbiege, habe ich das Gefühl, endlich wieder frei atmen zu können. Mit jedem Kilometer fällt ein weiteres Stück Last von mir ab. Jetzt zählen nur noch die Bäume, die links und rechts an mir vorbeifliegen, und die Nadel meines Tachos, die immer weiter wandert, bis ich die Höchstgeschwindigkeit, die bei diesem Wetter angemessen ist, erreiche und beibehalte.
Während ich durch den Wald rase, rasen die Gedanken in mir. Die meisten davon kann ich zurücklassen, mit jeder Kurve, die ich nehme. Dennoch geht mir dabei ein Bild nicht aus meinem Kopf.
Das Bild eines blonden Engels im Schnee.
Mira
Mit Halseys »Be Kind« auf den Ohren betrete ich am Freitagmorgen den Vorlesungssaal. Die Veranstaltungen von Professor Johnson sind meine liebsten.
Diese neunzig Minuten sind für mich mit Abstand die schönsten, die ich in der Uni verbringe. Neben für mich eher langweiligen Modulen ist dieses mein Favorit. Hierbei gibt es immerhin einen spannenden Praxisbezug. Professor Johnson gestaltet seine Vorlesungen sehr einfallsreich. Wir schauen neben all der zu behandelnden Theorie auch mal einen Film oder führen Diskussionsrunden, an denen ich mich hin und wieder gern beteilige, wenn es um ein Thema geht, das mich interessiert. Einmal haben wir eine Gerichtsverhandlung live miterlebt, und obwohl ich mir dabei kaum vorstellen konnte, später selbst als Anwältin einen Mandanten zu verteidigen, empfand ich die Zeit dort als wirklich spannend und bewegend.
Da ich lieber am Rand sitze, suche ich mir auch heute dort einen Sitzplatz aus, so kann ich den Hörsaal jederzeit verlassen, ohne mindestens ein paar Handvoll Studenten zum Aufstehen zwingen zu müssen. Neben meiner wirklich schwachen Blase, die mich mindestens einmal während der Vorlesungszeit auf die Toilette zwingt, mag ich es einfach nicht, zwischen all den vielen Menschen eingequetscht zu sein. Außerdem gibt es die eine oder andere Veranstaltung, die ich eher verlasse, weil sie mich entweder zu Tode langweilt oder ich für mich beschließe, den Stoff zu Hause allein zu erarbeiten.
Gerade beuge ich mich über meine Tasche, um meinen Laptop herauszukramen, als mich sein Duft innehalten lässt. Ich muss nicht einmal den Kopf heben, um zu wissen, wer da an mir vorbeigelaufen ist. Diesen einzigartigen Geruch würde ich immer und überall sofort wiedererkennen.
Zac.
Schon oft habe ich versucht, seinen Geruch für mich zu definieren. Er riecht nach etwas Frischem, wie eine kühle Brise. Ich meine, dass eine sehr würzige Note darin liegt. Würzig und dennoch angenehm. Es erinnert mich an einen Waldspaziergang, genau das trifft es am besten. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und versuche, möglichst unauffällig einzuatmen. Und obwohl ich Zac nahezu immer aus dem Weg gehe, erdet mich sein Geruch. Seltsam, oder?
Als ich merke, wie meine Gedanken mir mehr und mehr entrinnen, öffne ich meine Augen wieder. Mit einem kurzen Blick nach rechts vergewissere ich mich, dass er sich bereits einen Platz oberhalb meiner Reihe gesucht hat und nicht immer noch neben mir steht. Eigentlich wäre dieser Blick gar nicht nötig gewesen, denn sein Duft ist mittlerweile wieder verschwunden.
Wenige Minuten später füllt sich der Saal mit den restlichen Studenten, bis kaum noch Plätze übrig sind. Der Bachelor of Arts in Law ist ein sehr beliebter Studiengang an der Starfall University. Die meisten Studenten, die hier mit mir sitzen, haben den Wunsch, im Anschluss noch eins draufzusetzen, bis sie ihre juristische Ausbildung mit dem Bestehen des Bar-Examens krönen können. Dieses Bachelorstudium ist eine gern gesehene Grundlage für alle, die dieses Ziel verfolgen, denn die Kurse und Veranstaltungen bereiten uns perfekt auf die Inhalte vor, die dann im Anschluss im erweiterten Jurastudium eine Rolle spielen. Immer wieder frage ich mich, ob ich der einzige Mensch in diesem Raum bin, der gern woanders wäre. So auch jetzt, als Professor Johnson den Saal betritt. Für ihn typisch, trägt er eine Jeans und ein weißes Hemd. Ihm steht dieser Look ausgesprochen gut. Er sieht nicht zu schick aus, dennoch kleidet er sich sehr modern. Ich würde ihm nur dringend ein paar andere Schuhe dazu empfehlen. Über seine ausgelatschten Sneaker muss ich jedes Mal aufs Neue grinsen.
»Einen wunderschönen guten Morgen allerseits!«, ruft er uns entgegen und stellt anschließend seine schwarze Aktentasche auf dem Podium ab. »Ich hoffe, Sie hatten schöne Weihnachtstage. Heute möchte ich mit …« Er unterbricht seine Ansprache, als er verzweifelt versucht, das Beamerkabel in den Laptop zu stecken. Drei Versuche und zwei Seufzer später beugt er sich etwas näher zum Mikrofon. »Eugen, sind Sie heute anwesend?«, fragt er in die Runde. Einige Reihen vor mir erhebt er sich: Eugen, das Computergenie unseres Jahrgangs. Schon oft hat er Professor Johnson während der Vorlesung bei technischen Problemen geholfen.
Er schlängelt sich aus seiner Sitzreihe und stellt sich neben den Professor hinter das Podium. »Kein Problem ist zu groß für mich«, sagt er ins Mikrofon, gefolgt von einem kurzen Zwinkern. Ein amüsiertes Lachen geht durch den Raum, ich muss ebenfalls grinsen. Eugen scheint ein wirklich herzlicher Mensch zu sein, dazu hat er zudem noch einen außerordentlich schrägen Humor.
»Ich danke Ihnen«, sagt Professor Johnson Eugen gewandt, der das Problem mit nur wenigen Handgriffen behoben hat und sich kurz darauf wieder auf seinen Platz fallen lässt. Durch einen Tastenklick des Professors öffnet sich die heutige Präsentation. Ich rücke schon meinen Laptop zurecht und will gerade meine Finger auf die Tastatur legen, als seine nächsten Worte mich davon abhalten. »Heute müssen Sie nichts mitschreiben, liebe Studierende. Sie können sich entspannt zurücklehnen und mir lauschen.«
Die Studenten in den Reihen vor mir werfen sich erstaunte Blicke zu, ehe sich alle wieder zurücklehnen. Das Geräusch von zuklappenden Laptops tönt durch den Raum, ehe der Professor fortfährt.
»In diesem Semester habe ich etwas ganz Besonderes mit Ihnen vor«, beginnt er seinen Vortrag. »Sie sind es gewohnt, dass wir in diesem Modul viele theoretische Inhalte erarbeiten. Doch wie immer, so gibt es auch dieses Mal bei mir viele Bezüge zur Praxis. Diese sind in der Vergangenheit stets gut bei Ihnen angekommen, das konnte ich der Umfrage zum letzten Semesterende entnehmen.« Das Nicken vieler meiner Kommilitonen bestätigt ihn in seinen Worten. Mit sich und seiner Arbeit zufrieden, ergänzt er: »Im nächsten halben Jahr plane ich, eine etwas andere praktische Aufgabe mit Ihnen durchzuführen. Ein Projekt, das wirklich bedeutend für diese Universität ist und außerdem eine große Chance für Sie darstellt.« Professor Johnson läuft um sein Pult herum, bleibt schließlich davor stehen und lehnt sich mit dem Rücken dagegen. »Dieses Semester wird aus Gruppenarbeiten bestehen. Ihnen wird jeweils ein Partner zugeteilt, mit dem sie in den kommenden Wochen und Monaten an einem Projekt arbeiten. An Ihrem eigenen Projekt.«
Ein begeistertes Raunen geht durch die Reihen, während ich innerlich die Hände vor mein Gesicht schlage. Ich habe kein Problem damit, ab und an als Teil einer Gruppe zu arbeiten. Dennoch bin ich eher so gestrickt, dass ich meine Aufgaben lieber allein erledige, vor allem solche, die von so einer großen Bedeutung zu sein scheinen wie diese. Außerdem habe ich in den letzten Jahren noch keinen Anschluss an meinen Studiengang gefunden. Ich weiß, dass ich daran selbst schuld bin, und bisher hat es mich auch nie gestört. Immerhin wohne ich mit meinem Bruder und Finn zusammen und habe in Enna eine enge Vertraute gefunden. Ebenso in Harlow, die einige Kurse mit Enna belegt und zudem noch die beste Freundin von Rachel, Finns Ex-Freundin, ist. Aber in diesem Augenblick bereue ich es sehr, sonst an der Uni noch keinen Zugang zu anderen gefunden zu haben, doch die nächsten Worte des Professors beenden meinen kurzen Moment des Selbstmitleids jäh.