Durch Gottes Gnade verändert leben - Timothy Keller - E-Book

Durch Gottes Gnade verändert leben E-Book

Timothy Keller

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Beschreibung

Timothy Keller geht im zweiten Teil seiner Erklärung des Römerbriefs (Kapitel 8-16) auf faszinierende Weise der Frage nach: Wie kann dieses Evangelium in unseren Herzen wirken, unser Leben prägen und im Alltag konkret werden? Nachdem Timothy Keller im ersten Band, "Gott schenkt uns seine Gnade", den ersten Teil des Römerbriefs mit dem unglaublichen Geschenk der unverdienten Gnade Gottes erklärt hat, möchte er im zweiten Teil mit seinen Lesern die Erfahrung der lebensverändernden Kraft dieser Gnade teilen. Wie kann Gottes Gnade uns die Erfüllung schenken, nach der wir uns alles sehnen? " Dann erfasste ich es, dass die Gerechtigkeit Gottes die ist, durch die Gott in Gnade und bloßem Erbarmen uns rechtfertigt. Da fühlte ich mich völlig neugeboren und durch die offenen Türen in das Paradies eintreten." Mit diesen Worten beschreibt Martin Luther, wie die Lektüre des Römerbriefs von Paulus sein Leben verändert hat. Timothy Keller erklärt den Brief von Paulus an die Römer und möchte bei seinen Lesern dieselbe Erfahrung auslösen, wenn sie mit Hilfe seiner Erklärung diesen Brief lesen: Dass sie das Evangelium Jesu Christi von der unverdienten Gnade, die Gott uns schenkt, wirklich begreifen und dass es ihr Leben verändert. Kellers Erklärung des Römerbriefs ist kein gelehrter Kommentar sondern eine unverzichtbare Hilfe, um beim eigenen Bibellesen oder in der Gruppe die Gedanken von Paulus und ihre Bedeutung für uns heute verstehen und anwenden zu können.

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TIMOTHY KELLER

Durch GOTTESGNADEverändertleben

Der Römerbrief erklärt KAPITEL 8–16

First published in English by

The Good Book Company as Romans 8-16 For You

© 2015 by Timothy Keller

Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben,im Neuen Testament derNeuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen.

Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.

im Alten Testament der Lutherbibel, revidiert 2017,© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT)Sonst:

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM

Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen (ELB)

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart (EÜ)

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM

R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen (NLB)

Dieses E-Book basiert auf der 1. Auflage 2019.

© 2019 Brunnen Verlag Gießen

Übersetzung: Friedemann Lux

Lektorat: Frauke Bielefeldt

Umschlagfoto: shutterstock

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: DTP Brunnen

ISBN Buch 978-3-7655-0706-9

ISBN E-Book 978-3-7655-7728-4

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Einleitung

Römer 8, Vers 1-13

Kapitel 1 Geistlicher Kampf

Römer 8, Vers 14-25

Kapitel 2 Leben als Kinder Gottes

Römer 8, Vers 26-39

Kapitel 3 Leben mit Zuversicht

Römer 9, Vers 1-29

Kapitel 4 Gottes Souveränität

Römer 9,30–10,21

Kapitel 5 Unsere Verantwortung

Römer 11, Vers 1-36

Kapitel 6 Gott und Israel

Römer 12, Vers 1-8

Kapitel 7 Neue Beziehungen: zu Gott und der Gemeinde

Römer 12, Vers 9-21

Kapitel 8 Neue Beziehungen: zu Freund und Feind

Römer 13, Vers 1-14

Kapitel 9 Neue Beziehungen: als Staatsbürger

Römer 14, Vers 1-23

Kapitel 10 Neue Beziehungen: Schwache und Starke

Römer 15, Vers 1-33

Kapitel 11 Einheit und Auftrag

Römer 16, Vers 1-27

Kapitel 12 Gott die Ehre!

Anhang 1: Gliederung von Römer 8-16

Anhang 2: Die Lehre von der Erwählung und der Souveränität Gottes

Bibliografie

Einleitung

Nirgendwo wird das Evangelium gründlicher erklärt als im Römerbrief. Und nirgends werden die Auswirkungen auf unser Herz faszinierender beschrieben als in diesem Brief.

Die ersten sieben Kapitel stellen das Evangelium vor: die Rechtfertigung aus Glauben, die Gemeinschaft mit Christus, die Erlösung durch Christus allein und nicht durch unsere Werke. All dies zeigen diese Kapitel in großer Ausführlichkeit und Tiefe, was Sie im ersten Band zu Römer 1–7 nachlesen können (Gott schenkt uns seine Gnade, Brunnen 2019). Nun kommen wir zur zweiten Hälfte des Römerbriefes. In Kapitel 8–16 beschäftigt sich Paulus weiter mit der Frage, die er in Kapitel 5–7 aufgeworfen hat: Wie verändert der Glaube an das Evangelium Christi unser Leben?

Paulus schreibt der Gemeinde in Rom auf seiner dritten Missionsreise, um das Jahr 57 n. Chr., wahrscheinlich von Korinth aus. Die Gemeinde in Rom bestand aus Juden- und Heidenchristen, die engagiert, aber noch jung im Glauben waren. Paulus war ihren Mitgliedern noch nie persönlich begegnet, aber er wusste, was sie am meisten brauchten: das Evangelium. Sie sollten es nicht nur verstehen, sondern auch lieben und leben. Christsein ist nicht in erster Linie eine Sache des Verstandes oder des Willens, sondern Herzenssache – die Sache eines Herzens, in dem der Heilige Geist wohnt und das vom Evangelium durchdrungen ist. Solch ein Herz führt zu echter Veränderung in unserem Denken und Verhalten.

Man kann Römer 8–16 in zwei Teile einteilen. Der erste beginnt mit 8,1: „Müssen wir denn nun noch damit rechnen, verurteilt zu werden? Nein, für die, die mit Jesus Christus verbunden sind, gibt es keine Verurteilung mehr.“ Damit ist das Fundament der christlichen Heilsgewissheit umrissen. Wer an Christus glaubt, der kann vom himmlischen Vater nicht mehr verurteilt oder getrennt werden; dafür steht das Werk seines Sohnes am Kreuz und das Wirken des Heiligen Geistes in unseren Herzen. Wie Paulus in Kapitel 9–11 ausführen wird, liegt unsere Erlösung ganz bei Gott. Das gibt Demut und Gottvertrauen.

Der zweite Teil beginnt mit 12,1-2: „Ich habe euch vor Augen geführt, Geschwister, wie groß Gottes Erbarmen ist. Die einzige angemessene Antwort darauf ist die, dass ihr euch mit eurem ganzen Leben Gott zur Verfügung stellt … Richtet euch nicht länger nach den Maßstäben dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken.“ Hier wird zusammengefasst, wie ein Christ leben soll. Dieses Leben entspringt aus Dankbarkeit. Wir leben, um unserem himmlischen Vater Freude zu machen, indem wir uns an ihn halten, auch wenn es uns etwas kostet. Die letzten Kapitel zeigen, was es konkret heißen kann, wenn wir uns Gott in allen Lebensbereichen „als ein lebendiges und heiliges Opfer darbringen“ (12,1).

Der große britische Prediger D. Martyn Lloyd-Jones (1899–1981) hat über den Römerbrief geschrieben:

Der Römerbrief ist einer der schönsten Juwelen. Jemand hat gesagt, dass er der strahlendste Edelstein (oder eine ganze Sammlung von Steinen) der Bibel ist und dass in diesem Schatz der allerglänzendste Stein Kapitel 8 ist, das am meisten bewegt. (Romans Chapters 7,1–8,4, S. 258-259)

Für mich ist der vielleicht wunderbarste Vers im ganzen Römerbrief 8,5, wo Paulus zusammenfasst, wie Christen von innen heraus verwandelt werden: „Wer sich vom Geist Gottes bestimmen lässt, ist auf das ausgerichtet, was der Geist will.“ Um in Christus zu wachsen und ihm ähnlicher zu werden, müssen wir uns darauf ausrichten, was der Heilige Geist will. Lernen wir, uns so mit dem Evangelium zu beschäftigen, dass es in unseren Herzen lebendig wird und all unser Tun durchzieht!

Ich bin schon immer der Überzeugung gewesen, dass wir in Römer 8 den Schlüssel dazu finden, wie wir durch das Wirken des Evangeliums in unserem Herzen zutiefst andere Menschen werden können. Der übrige Brief zeigt uns, wie diese Veränderung ganz praktisch aussieht. Es ist mein Gebet, dass Ihr Herz beim Lesen dieses zweiten Bandes vom Evangelium ergriffen, Ihr Denken davon geprägt und Ihr Leben dadurch verändert wird.

Der Römerbrief ist möglicherweise das meistkommentierte Buch der ganzen Bibel. Sein Inhalt ist komplex, daher finden Sie im Anhang eine detaillierte Gliederung von Kapitel 8–16. Einer der schwierigsten Abschnitte in der Bibel ist Kapitel 9–11, daher gehe ich im Anhang ausführlicher auf die Lehre von der Erwählung (Prädestination) ein.

Dieses Buch ist nicht das letzte Wort zum Römerbrief. Es schürft auch nicht so tief wie ein Kommentar und bezieht die historische und aktuelle Forschung zum Römerbrief nicht systematisch mit ein. Es ist eine Einführung in den Römerbrief, die den Text erklären und Hilfen zur praktischen Anwendung geben soll.

Römer 8, Vers 1-13

Kapitel 1

Geistlicher Kampf

In Römer 7 hat Paulus uns gezeigt, dass auch Christen noch mit Sünde zu kämpfen haben. Doch gleichzeitig haben Christen eine Revolution in ihrem Bewusstsein erlebt; sie hegen nun tiefe Abneigung gegen die Sünde und finden keine bleibende Freude mehr daran, wie Paulus schreibt: „Ich tue das, was ich verabscheue“ (7,15). Das bewahrt uns vor einer gesetzlichen Einstellung, die sagt: „Ein echter Christ kämpft nicht mehr mit der Sünde!“, wie auch vor Nachlässigkeit, die sagt: „Christen sind auch nur Menschen, also sündigen sie wie jeder andere auch.“ Der Geist Gottes ist in uns hineingekommen und hat unsere „innerste Überzeugung“ (7,22) verwandelt, sodass wir Gott und ein heiliges Leben wollen, aber unsere „eigene Natur“ (LUT u. a.: „Fleisch“) ist immer noch stark genug, um uns davon abzuhalten, unserer neuen Überzeugung zu folgen.

Doch es gibt noch mehr über das Leben als Christ zu sagen. Unser neuer Zustand (unser „doppeltes Wesen“) kann uns das Leben sogar schwerer machen, solange wir uns nicht „vom Geist Gottes bestimmen lassen“ (8,4). Paulus zeigt uns, wie man im Geist leben kann. Sonst werden wir immer wieder tun, was wir eigentlich hassen.

Keine Verurteilung mehr

Doch vorher zeigt Paulus uns, wie der Sohn Gottes uns das Leben gegeben hat. V. 1 beginnt mit „Also …“ (ELB; NGÜ: „denn …“). Vielleicht bezieht sich Paulus hier auf Abschnitte wie 3,21-27 zurück (wie John Stott meint), vielleicht aber auch direkter auf Kap. 6–7 (so die Position von Douglas Moo), wo er Christen als Menschen beschrieben hat, in denen die Sünde immer noch stark ist, aber deren „eigentliches Ich“ dem „Gesetz Gottes dient“ (7,25) und die Jesus Christus „aus diesem elenden Zustand befreien“ wird.

Egal, worauf Paulus sich hier nun also konkret zurückbezieht, die große Wahrheit von 8,1 lautet in Kurzform: „keine Verurteilung mehr.“ Das ist unsere Stellung als Christen. „Keine Verurteilung“ (ELB, LUT: „Verdammnis“) ist ein juristischer Ausdruck; d. h. dass jemand frei von jeglicher Schuld oder Strafe ist und keinerlei Klagen gegen ihn vorliegen. Ein Mensch, der in Jesus Christus ist, steht nicht mehr unter Gottes Urteil (vgl. 5,16.18).

Das ist unglaublich! Das bedeutet, dass Gott nichts mehr gegen uns hat! Er findet keinen Fehler an uns; nichts, wofür er uns bestrafen müsste. Doch die Formulierung ist noch stärker, als dass Christen einfach „nicht verdammt“ sind. Paulus sagt, dass es für Christen einfach keine Verurteilung mehr gibt. Wir sind nicht nur jetzt gerade frei von Verurteilung, sondern es wird auch keine mehr geben.

Das ist wichtig zu erwähnen, denn viele glauben, dass ein Christ nur vorübergehend nicht unter Verdammung steht. Viele wollen „keine Verurteilung mehr“ auf unsere Vergangenheit und Gegenwart beschränken. Doch Paulus sagt hier kategorisch, dass es für den Gläubigen keine Verurteilung durch Gott mehr gibt. Sie lauert nicht irgendwo hinter den Kulissen, um zurückzuschlagen und unsere Zukunft zu überschatten!

Viele glauben, dass ein Christ, der seine Sünden bekennt und lässt, für den Augenblick erlöst ist, aber durch die nächste Sünde wieder verurteilt wird – bis er auch diese Sünde bekennt und umkehrt. Dann würde ein Christ verloren gehen, wenn er plötzlich stirbt, bevor er die letzten neuen Sünden bekannt hat. Das würde bedeuten, dass Christen ständig hin- und herpendeln zwischen Heil und Verdammung.

Doch diese Sicht passt überhaupt nicht zur Radikalität, mit der Paulus hier schreibt: „Für die, die mit Jesus Christus verbunden sind, gibt es keine Verurteilung mehr“ (8,1). In dem Augenblick, wo wir zu Jesus kommen, verschwindet die Verurteilung für immer. Es gibt keine Verurteilung mehr für uns! Es kann keine erneute Verurteilung mehr geben, nur noch Annahme.

Vergessliche Christen

Martyn Lloyd-Jones hat über diesen Vers gesagt: „Die meisten unserer Probleme rühren daher, dass uns die Wahrheit dieses Verses nicht bewusst ist.“ Was passiert, wenn wir vergessen, dass es „keine Verurteilung mehr“ gibt?

Einerseits fühlen wir uns viel unwürdiger, schuldiger und kaputter als nötig. Das kann dazu führen, dass wir hektisch versuchen, uns zu beweisen, oder allergisch auf Kritik reagieren. Oder dass wir keine Beziehungen mehr wagen oder die Freude an Gebet und Anbetung verlieren. Selbst Süchte können eine Reaktion auf dieses tiefe Minderwertigkeitsgefühl sein.

Andererseits werden wir deutlich weniger zu einem geheiligten Lebensstil motiviert sein. Selbstbeherrschung fällt uns schwerer. Christen, die dieses „keine Verurteilung mehr“ nicht begriffen haben, gehorchen Gott nur aus Angst und Pflichtgefühl und diese Art von Motivation ist nicht halb so stark, wie wenn sie aus Liebe und Dankbarkeit entspringt. Solange wir nicht das Unglaubliche an dieser Zusage erfassen, werden wir in den folgenden Versen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen! Lloyd-Jones illustriert dies mit einem hilfreichen Bild:

Der Unterschied zwischen einem Nichtchristen, der sündigt, und einem Christen, der sündigt, ist so ähnlich wie der zwischen einem Mann, der die Gesetze seines Landes bricht …, und einem Ehemann, der in der Beziehung zu seiner Frau etwas Falsches getan hat. Er ist kein Gesetzesbrecher, aber er verletzt das Herz seiner Frau. Das ist der Unterschied. Es geht nicht um etwas Juristisches, sondern um die persönliche Beziehung und Liebe. Dieser Mann bleibt juristisch Mann seiner Ehefrau; mit dem Gesetz hat das nichts zu tun … In gewisser Hinsicht ist dies viel schlimmer als eine juristische Verurteilung. Ich verstoße lieber gegen eine objektive Bestimmung im Gesetz meines Landes, als dass ich jemandem wehtue, den ich liebe … Wir haben gegen die Liebe gesündigt … und schämen uns vielleicht (und sollten es auch), aber wir sollten keine Verdammnis empfinden, denn damit würden wir uns zurück „unter das Gesetz“ stellen. (Romans Chapter 7,1–8,4, S. 271-272)

Befreit

V. 1 erinnert also an die zentrale Aussage von Römer 1–7: Wer an Christus glaubt, wird für seine Sünde nicht mehr verdammt. V. 2 erläutert einen zweiten Aspekt dieses Sieges, den Gott für uns über die Sünde errungen hat: Wir stehen jetzt auch nicht mehr unter ihrer Herrschaft. „Wenn du mit Jesus Christus verbunden bist [also an ihn glaubst, V. 2], bist du nicht mehr unter dem Gesetz der Sünde und des Todes; das Gesetz des Geistes, der lebendig macht, hat dich davon befreit.“ Wie wir im ersten Buch in Kapitel 12 sahen, verwendet Paulus das Wort „Gesetz“ in drei Bedeutungen:

a)

für das Gesetz und die Maßstäbe Gottes,

b)

als allgemeines Prinzip,

c)

als Kraft oder Macht.

In 8,2 haben wir es eindeutig mit der dritten Bedeutung zu tun. Der Heilige Geist kommt zu uns, um unser Herz von der Knechtschaft unter der Sünde zu befreien. V. 1 sagt uns, dass wir von der Verurteilung durch das Gesetz frei geworden sind; V. 2, dass wir nun von der Macht, die die Sünde über uns hat, befreit werden. Unsere Erlösung betrifft also sowohl unsere juristische Schuld vor dem Gesetz (V. 1) als auch unsere innere Beschaffenheit (V. 2).

Einige Ausleger fragen sich, wie V. 1 genau zu V. 2 steht. Paulus sagt hier, dass es keine Verurteilung mehr für Christen gibt, weil der Heilige Geist uns von Sünde befreit. Das könnte man so verstehen, dass der Heilige Geist die Ursache oder Grundlage unserer Rechtfertigung ist; indem wir gegen die Sünde kämpfen und Gott gehorchen, werden wir vor Gott gerecht. Aber dieser Auslegung steht der ganze Brief völlig entgegen. Wahrscheinlich meint Paulus etwas wie: „Wir wissen, dass wir nicht mehr verurteilt werden, weil Gott den Heiligen Geist in unser Leben gesandt hat, um uns von der Sünde zu befreien.“

Wie Gott uns befreit

In V. 3-4 zeigt Paulus uns, wie Gott die beiden Aspekte der Erlösung (keine Schuld und keine Knechtschaft mehr) zustande gebracht hat. Gott hat seinen Sohn Mensch werden lassen (als „Mensch von Fleisch und Blut“, V. 3), damit er zum Sühneopfer für uns wird (juristischer Sieg über die Sünde, indem die Schuld bezahlt wird), und seinen Geist gegeben, damit die Sünde effektiv aus unserem Leben verschwindet: „So kann sich nun in unserem Leben die Gerechtigkeit verwirklichen, die das Gesetz fordert, und zwar dadurch, dass wir uns vom Geist Gottes bestimmen lassen“ (V. 4). Das Wirken des Heiligen Geistes in uns befähigt uns, das Gesetz zu befolgen (wenn auch nie perfekt und somit nicht so, dass es zu unserem Heil beitragen oder es sabotieren könnte). Der große britische Pastor John Stott erklärt es so:

Wir sind befreit von dem Gesetz als Methode, von Gott angenommen zu werden, aber verpflichtet, es als Weg zur Heiligung zu halten. In seiner Eigenschaft als Grundlage unserer Rechtfertigung ist das Gesetz nicht mehr bindend für uns … Aber als Maßstab für unser Verhalten ist es nach wie vor verbindlich, und wenn wir im Geist leben, versuchen wir, es zu erfüllen. (Men Made New, S. 82–83)

Was war das Ziel Gottes, seinen Sohn und seinen Geist zu senden? V. 4 sagt uns, dass alles, was Christus für uns getan hat – seine Inkarnation („Menschwerdung“, V. 3), sein Tod und seine Auferstehung – letztlich das Ziel hat, dass wir ein geheiligtes Leben führen können. Das ist wirklich erstaunlich! Der Sinn des Lebens Jesu war, dass er uns heiligt, damit wir „die Gerechtigkeit verwirklichen“ können, „die das Gesetz fordert“. Mit jeder Sünde stellen wir uns gegen Sinn und Ziel des Lebens, Sterbens und Wirkens Jesu Christi! Eine größere Motivation für ein geheiligtes Leben kann es nicht geben.

Du bist, was du denkst

Im übrigen Abschnitt (und Kapitel) konzentriert Paulus sich auf diesen zweiten großen Segen, den die erfahren, die „mit Jesus Christus verbunden sind“: die Überwindung der Sünde in ihrem Leben. In Kapitel 7 hat er ja schmerzhaft genau dargestellt, dass wir uns nicht nur selbst nicht erlösen können, sondern auch nicht aus eigener Kraft Gott gehorchen. Veränderung ist nicht durch eigene Anstrengungen möglich, sondern nur, wie Paulus erklärt, durch das Wirken des Geistes.

Wie überwinden wir die Sünde mit dem Heiligen Geist? Oder anders ausgedrückt, wie führen wir ein Leben, das „sich vom Geist Gottes bestimmen lässt“ (8,5) und dem entspricht, was unser eigentliches, neues Herz will (7,22)? Die Menschen, die dieses Leben führen, sind „auf das ausgerichtet, was der Geist will“ (8,5). Für Paulus sind Leben und Denken eng miteinander verbunden. Wörtlicher (ELB) sagt er hier: „Denn die, die nach dem Fleisch sind, sinnen auf das, was des Fleisches ist; die aber, die nach dem Geist sind, auf das, was des Geistes ist.“ Das, worauf ich mein „Sinnen“ (Denken) ausrichte, prägt meinen Charakter und meinen Lebensstil. Es beschäftigt mich, hat meine volle Aufmerksamkeit und fesselt meine Fantasie.

William Temple, 1942–1944 Erzbischof von Canterbury, hat einmal gesagt: „Deine Religion ist das, was du machst, wenn keiner zuschaut.“ Das, wohin meine Gedanken schweifen, wenn es nichts anderes gibt, was mich ablenkt – das ist das, wofür ich eigentlich lebe. Das ist meine Religion. Mein Leben wird von dem geprägt, woran ich denken muss. Der Sieg über die Sünde in meinem Leben beginnt in meinen Gedanken; er ist die Frucht eines Denkens, das auf das ausgerichtet ist, was der Geist will.

Zum Nachdenken

Fühlen Sie sich manchmal von Gott verurteilt? Wie kommt es dazu und wie können Sie sich das nächste Mal daran erinnern, dass es für Sie

„keine Verurteilung mehr“

gibt?

Jesus kam auf die Erde, um uns zu heiligen – wie kann Sie das motivieren, heute anders zu leben?

Was machen Sie, wenn Sie alleine sind und keiner zuschaut? Wie können Sie heute Ihre Gedanken auf das Evangelium ausrichten?

Teil 2

Was der Geist will

Ein erfolgreicher Kampf gegen die Sünde beginnt also damit, dass ich mein Denken auf das ausrichte, was der Geist will bzw. „was dem Geist entspricht“ (EÜ, 8,5). Das ist mehr, als eifrig über Religion oder Theologie nachzudenken. Es geht darum, meine ganze Aufmerksamkeit auf das zu richten, was den Heiligen Geist beschäftigt.

Welche Themen sind das? Im Verlauf von Kapitel 8 werden wir sehen, dass der Geist uns zeigt, dass wir Söhne und Töchter des Herrn sind. Im nächsten Kapitel dieses Buches werden wir das vertiefen, aber hier schon einmal eine kleine Vorschau:

»

V. 14 wird uns zeigen, dass

„alle, die sich von Gottes Geist leiten lassen, seine Söhne und Töchter“

sind.

»

V. 15-16 wird uns zeigen, dass der Geist uns die Angst nimmt, dass Gott uns ablehnen könnte, und uns versichert, dass wir seine geliebten Kinder sind.

»

V. 26-27 wird uns zeigen, dass der Geist uns die Zuversicht gibt, im Gebet vor Gott zu treten.

Römer 8 erklärt uns also, was dem Geist wichtig ist: wie Gott uns in Christus adoptiert, liebt und willkommen heißt. Eine Parallelstelle dazu ist Kolosser 3,1-4: „Da ihr nun also zusammen mit Christus auferweckt worden seid, sollt ihr euch ganz auf die himmlische Welt ausrichten … euer neues Leben ist ein Leben mit Christus in der Gegenwart Gottes.“ Hier fordert Paulus uns auf, uns auf „die himmlische Welt“ zu konzentrieren. Wir sollen uns daran erinnern, dass wir zusammen mit Christus auferweckt und in ihm vom Vater angenommen sind. Der Heilige Geist wird hier nicht genannt, aber das Prinzip ist das gleiche: Wir sollen uns der Gottesbeziehung bewusst sein, die wir in Christus bekommen haben. Es soll sich tief in uns verankern, dass er uns in seiner Liebe als seine Kinder angenommen hat. Sich auf das auszurichten, was der Geist will, heißt: nie unser Vorrecht als geliebte Kinder Gottes vergessen, sondern unser ganzes Denken und damit auch Reden und Verhalten davon beherrschen lassen.

Worauf richten wir uns aus?

Jeder ist nach Paulus in seinem Leben auf etwas ausgerichtet: Entweder kreisen wir um die Dinge des Geistes oder um uns selbst („die eigene Natur“, V. 5). Das griechische Wort sarx wird traditionell mit „Fleisch“ übersetzt. Gemeint sind die Wünsche und Manipulationsversuche unseres alten Menschen – eine Sicht, die auf die Welt und nicht auf Gott ausgerichtet ist und die um mich und nicht um Christus kreist.

Worum mein Denken kreist, das beherrscht mein Leben. Das eine Zentrum des Denkens führt zum Tod, das andere zu Leben und Frieden (V. 6). Jemand, der den Geist Gottes nicht hat und somit kein Christ ist (V. 9b), geht dem ewigen Tod entgegen. Aber Paulus denkt hier nicht in erster Linie an unsere ferne Zukunft, sondern an das Elend und die Verirrung hier und jetzt, wenn man auf das ausgerichtet ist, „was die eigene [sündige] Natur will“ (V. 5). Gott hat uns dazu erschaffen, dass wir unser Leben in dieser Welt mit ihm leben und genießen. Lassen wir uns von eigenen Wünschen beherrschen statt von seinen, kann das Ergebnis nur ein Leben sein, das hinter dem zurückbleibt, was es sein könnte und sollte. Es führt unweigerlich zu Konflikten (mit uns selbst und anderen) statt zum Frieden, zu Gebundenheit statt Freiheit (vgl. Römer 6), zum Tod statt zum Leben.

Nehmen wir etwa an, ich mache mir wegen irgendeiner Sache große Sorgen. Sorgen sind unvermeidlich, solange einem nicht alles egal ist. Wenn mir Menschen, Projekte oder Ziele wichtig sind, mache ich mir meine Gedanken darüber. Aber wenn diese Sorgen mich kaputt machen, dann habe ich vergessen, dass ich ein Kind Gottes bin und mein himmlischer Vater die Welt letztlich zum Guten für die Seinen regiert. Übermäßige Sorge zeigt, dass ich den Heiligen Geist vergessen habe.

Ein anderes Beispiel ist jemand, der von dem Gefühl beherrscht ist, sündig und wertlos zu sein. Das kann sich z. B. darin äußern, dass er sich chronisch überarbeitet und eine Aufgabe nach dem anderen annimmt, um seine Sünde irgendwie abzuarbeiten. Auch er hat vergessen, was der Heilige Geist will. In 1. Johannes 3,20 heißt es: „Denn wann immer unser Gewissen uns anklagt, dürfen wir wissen: Gott in seiner Größe ist barmherziger als unser eigenes Herz.“ Wenn uns bewusst ist, dass Gott uns als seine Kinder angenommen hat, können wir uns getrost über unser Herz mit seinen Minderwertigkeitsgefühlen hinwegsetzen.

Feinde Gottes

Römer 8,7 erklärt klipp und klar: „Denn der menschliche Eigenwille [ELB: die Gesinnung des Fleisches] steht dem Willen Gottes feindlich gegenüber.“ Unser Denken ist kein neutrales Territorium; es kann nicht das eine lieben, ohne das andere zu hassen. Ein Denken, das von unserer sündigen Natur beherrscht ist, muss Gott und dem, was der Geist will, feindlich gegenüberstehen. Deshalb können wir nicht aus eigener Kraft mit der Sünde fertigwerden. Wir mögen einsehen, dass dieser Impuls oder jene Verhaltensweise problematisch oder destruktiv ist; vielleicht nehmen wir sogar den Kampf dagegen auf und gewinnen ihn womöglich. Aber die tiefste Wurzel der Sünde steckt nach wie vor in unserem Denken: die Feindschaft gegen Gott. Und so wächst Sünde in unserem Leben munter weiter.

Diese Feindschaft macht uns unfähig, Gott zu gefallen. V. 8 sagt ohne Umschweife: „Darum kann Gott an dem, der sich von seiner eigenen Natur beherrschen lässt, keine Freude haben.“ Aus uns selbst heraus können wir nicht so leben, dass unser Schöpfer Freude daran hat, denn unser Denken, das unsere Handlungen steuert, steht Gott feindselig gegenüber. Der von seinem sündigen Wesen beherrschte Mensch kann durchaus gute Gedanken haben oder richtig handeln. Aber Gott kann er damit nicht gefallen, weil er alles als Gottes Feind unternimmt.

Dazu eine Illustration: Ein Soldat in einer Rebellenarmee kann sich um seine Kameraden kümmern, seine Uniform sauber halten usw. – lauter „gute“ Dinge. Aber sie geschehen im Rahmen des Kampfes gegen die rechtmäßige Regierung und wir können nicht erwarten, dass diese sich darüber freut, wie vorbildlich dieser Mann den Aufständischen dient.

Doch so müssen und sollen Christen nicht leben („Ihr jedoch …“, V. 9). Ein Christ „steht nicht mehr unter der Herrschaft [seiner] eigenen Natur, sondern unter der Herrschaft des Geistes“, der in jedem wohnt, der zu Christus gehört. Als wir Christus in unser Leben aufgenommen haben und vor Gott gerecht wurden, kam der Heilige Geist in uns und hat uns geistlich lebendig gemacht. Der Körper eines Christen ist dem Tod verfallen (V. 10), aber er hat auch einen lebendigen Geist.

Nun steht unser Geist nicht mehr unter dem Zwang, unserem alten Wesen („Fleisch“) zu folgen, und eines Tages wird auch unser altes Wesen diesem Geist folgen. Im antiken griechischen Denken war der Körper etwas Böses, Minderwertiges, das man bekämpfen musste und von dem man (hoffentlich) eines Tages frei werden würde, im Gegensatz zum Geist, der gut war. V. 11 wirft das über den Haufen: „Und weil Gott Christus von den Toten auferweckt hat, wird er auch euren sterblichen Körper durch seinen Geist lebendig machen, durch den Geist, der in euch wohnt.“ Eines Tages wird Gottes Geist auch unseren Leib völlig erneuern und ihm ewiges Leben geben. Im christlichen Denken gibt es keinen Leib-Seele-Dualismus („hier der schnöde Leib, dort die edle Seele“), sondern eines Tages werden beide vollkommen sein.

Doch noch tragen wir in uns unser altes sündiges Wesen, das gegen unser neues geistliches Leben kämpft. So freuen wir uns darauf, dass unser Körper einst lebendig werden wird (V. 11), aber gleichzeitig ist es wichtig, dass „ihr die alten Verhaltensweisen tötet“ (V. 13). Wie John Stott argumentiert, spricht Paulus hier wahrscheinlich nach wie vor von einem „Leben“ und „Sterben“ in unserem jetzigen Leben und nicht in der fernen Zukunft. Dann sagt er praktisch: „Wenn ihr eurem sündigen, alten Ich freien Lauf lasst, sodass es machen kann, was es will, bekommt ihr riesige Probleme. Nein, ihr müsst in der Kraft des Geistes den Kampf dagegen aufnehmen. Je mehr ihr euer sündiges Wesen tötet, umso mehr werdet ihr vom Heiligen Geist haben – Leben und Frieden“ (V. 6).

In den Tod geben

Was sagt uns V. 12-13 über diesen Kampf? Wie führt man ihn? Zunächst einmal bedeutet dieses „Töten“ ein entschlossenes Nein zur Sünde. Das hier mit „tötet“ übersetzte griechische Wort thanatoute meint ein gewalttätiges, kompromissloses Vorgehen. Es bedeutet, dass wir allem, was wir als böse und falsch erkannt haben, entschlossen entgegentreten. Wir erklären falschen Einstellungen und Verhaltensweisen den Krieg, ohne Pardon und Halbheiten.

Konkret bedeutet dies erstens, dass ein Christ nicht mit der Sünde spielt. Er versucht nicht, sie sich irgendwie abzugewöhnen, und sagt nicht: „Halb so schlimm, ich habe das schon im Griff!“, sondern geht so weit auf Abstand wie irgend möglich. Er meidet nicht nur die Dinge, die er als Sünde erkannt hat, sondern auch das, was dorthin führt, und hält sich von den Grauzonen fern. Das ist kein Spiel, sondern Krieg!

Zweitens bedeutet es, dass man die Motive angeht, die einen zur Sünde verleiten, indem man das Evangelium in seinem Leben lebendig werden lässt. „Töten der Sünde“ reicht tiefer, als lediglich entsprechende Verhaltensweisen zu vermeiden. Dieser Prozess nimmt sich die innersten Motive des Herzens vor. In V. 12 heißt es: „All das, liebe Geschwister, verpflichtet uns – aber nicht unserer eigenen Natur gegenüber.“ Das ist ein wichtiger Satz. „All das“ bezieht sich auf das Vorausgegangene, dass wir durch die Gerechtigkeit Christi erlöst sind und einst, bei der Auferstehung des Leibes, die völlige Befreiung von allem Bösen und allem Leid erleben werden. Andere Bibelübersetzungen fahren so fort (z. B. ELB): „So sind wir nun, Brüder, nicht dem Fleisch Schuldner.“Paulus will sagen: Wenn wir bedenken, was Christus für uns getan hat und noch tun wird, werden wir uns aus schierer Liebe und Dankbarkeit verpflichten, ihm zu dienen.

Wir können Sünde also nur dann an der Wurzel packen und ausreißen, wenn wir uns beständig der Sonne der unbeschreiblichen Liebe Christi aussetzen. Diese „Bestrahlung“ lässt uns immer wieder neu dankbar werden. Sünde gedeiht nur auf dem Boden des Selbstmitleids, das sich zurückgesetzt fühlt und jammert: „Ich kriege nicht das, was mir zusteht! Keiner kümmert sich um mich! Ich habe mehr verdient – von Gott, von den Menschen, von mir selbst!“ Das ist die Herzenshaltung des Anspruchsdenkens. Paulus erinnert uns daran, dass wir in Wirklichkeit Schuldner sind. Wenn wir nicht im Selbstmitleid baden, sondern in der Gnade Gottes, wird die Sünde auf der Motivationsebene geschwächt und „getötet“.

Das „Töten“ aus V. 13 gehört also zur Ausrichtung auf das, was der Geist will (V. 5). Es hungert die Macht der Sünde aus, indem es uns unsere Erlösung durch Christus so vor Augen malt, dass unser Herz aus Dankbarkeit und Liebe weich wird. Wir beginnen, die Sünde als Sünde zu hassen, und damit verliert sie ihre Macht und Anziehungskraft.

Fassen wir zusammen: Wir töten Sünde mit dem Geist, indem wir uns entschlossen von sündigen Haltungen und Verhaltensweisen abkehren, uns auf den Geist Gottes ausrichten und uns immer wieder die Liebe und Gnade Gottes bewusst machen, in deren Schuld wir stehen.

Predige dir Gottes Gnade!

Wenn es uns ernst damit ist, die Sünde in uns zu töten (und V. 6 und 13 dürften uns genügend dazu motivieren), müssen wir uns selbst also kontinuierlich Gottes Gnade predigen.

Wir erinnern uns: Unser Leben ist Ausdruck unseres Denkens (V. 5). Viele Christen predigen sich ständig Gesetz, um sich im Griff zu haben: „Wenn ich das tue, wird Gott sauer auf mich.“ Oder: „Das geht gegen meine Prinzipien als Christ.“ Oder: „Damit tue ich den und den Menschen weh.“ Oder: „Nachher schäme ich mich nur.“ Oder: „Das ist nicht gut für meine Selbstachtung.“

Vieles davon (vielleicht sogar alles) mag stimmen, aber Paulus sagt uns, dass es nicht reicht! Es tötet die Sünde nicht. Ich schleppe meine Versuchung vor das Gesetz, in der Hoffnung, dass die Angst genügend abschreckt. Aber wir sollen uns nicht in die Logik des Gesetzes flüchten, sondern in das Evangelium: „Schau dir an, was Gott für dich getan hat! Wie kannst du dann so etwas machen?“ Wir müssen unsere Versuchungen zum Evangelium bringen und dort Gottes Liebe zu uns erkennen, die seinen Sohn ans Kreuz gehen und seinen Geist in unser Herz kommen ließ. Nur so werden wir die Schäbigkeit der Sünde erkennen, die da anklopft, und dahin kommen, unseren Heiland zu lieben; nur so werden wir den Drang los, nach unserer alten Natur zu leben.

John Owen, ein bekannter puritanischer Geistlicher aus dem 17. Jahrhundert, hat seinem Herzen das Evangelium so gepredigt:

Was habe ich da getan? Welch eine Liebe und Güte, welches Blut und welche Gnade habe ich verachtet und mit Füßen getreten? Ist das der Dank, den ich dem Vater für seine Liebe, dem Sohn für sein Blut, dem Heiligen Geist für seine Gnade erweise? Vergelte ich so die Liebe meines Herrn? Wie konnte ich das Herz, zu dessen Reinigung Christus starb, so beschmutzen? … Was kann ich meinem lieben Herrn Jesus sagen? … Achte ich die Gemeinschaft mit ihm so gering? … Sollte ich im Ernst danach trachten, den [Sinn] des Todes Christi zunichtezumachen? (John Owen, On the Mortification of Sin in Believers)

Zum Nachdenken

Wo vergessen Sie, was der Geist will? Wo haben Sie diesen „Tod“ schon erlebt und wo das „Leben“ und den Frieden, wenn man sich dem Geist öffnet?

Gibt es bei Ihnen eine Sünde, mit der Sie „spielen“, anstatt sie ernsthaft zu bekämpfen?

Welche „Predigt der Gnade“ brauchen Sie heute für sich?

Römer 8, Vers 14-25

Kapitel 2

Leben als Kinder Gottes

Um zu verstehen, was Christsein ist und welches Vorrecht darin liegt, ist es wichtig, unsere Adoption durch Gott verstehen und schätzen zu lernen. Erkennen wir die ganze Größe von Aussagen wie: „Alle, die sich von Gottes Geist leiten lassen, sind seine Söhne und Töchter“ (8,14) und „dass wir Gottes Kinder sind“ (8,16)?

Das Wissen darum, dass wir Kinder Gottes sind, seine eigenen Söhne und Töchter … ist die große Triebfeder im Leben eines Christen … Unsere Gotteskindschaft ist die Krone der Schöpfung und das Ziel der Erlösung. (Sinclair Ferguson, Children of the Living God, S. 5-6)

In der römischen Kultur war Adoption sehr viel geläufiger als in Israel und im Nahen Osten. Als römischer Bürger wird Paulus damit vertraut gewesen sein. Zur Adoption kam es gewöhnlich dann, wenn ein wohlhabender Erwachsener keinen Erben hatte. Dann adoptierte er eine (männliche) Person von außen, sei es ein Kind, Jugendlicher oder sogar Erwachsener.

Mit der Adoption traten für den neuen Sohn umgehend Veränderungen in Kraft: Seine alten Schulden und gesetzlichen Verpflichtungen waren beglichen. Außerdem bekam er einen neuen Namen und erbte alles, was sein Vater besaß. Sein Adoptivvater haftete ab sofort für alles, was er tat (seine Schulden, Vergehen usw.). Außerdem bekam der neue Sohn auch Pflichten: Er hatte seinen Vater zu ehren und ihm Freude zu machen. All das steht hinter diesen Aussagen im Römerbrief.

In diesem Abschnitt werden die Christen im Urtext drei Mal Gottes „Söhne“ genannt (griech. huioi, V. 14.15.19, vgl. ELB) und drei Mal Gottes „Kinder“ (tekna, V. 16.17.21, vgl. ELB). Heute wird hier in manchen Kreisen nur eine geschlechtsneutrale Ausdrucksweise als korrekt empfunden („Kinder“ bzw. „Söhne und Töchter“); die Bezeichnung von Mädchen und Frauen als Söhne gilt als „unsensibel“. Viele neuere Bibelübersetzungen berücksichtigen dies.

Doch wir sollten nicht versuchen, den Bibeltext zu „korrigieren“. Im alten Rom war die „Sohnschaft“ nun einmal ein Privileg, das prinzipiell nur Männern zukam – und das Paulus nun auf alle Gläubigen ausweitet, Männer wie Frauen! Bei Gott gibt es kein Ansehen der Person. Alle Christen, Männer wie Frauen, sind jetzt seine Erben. Es ist geradezu subversiv, wie Paulus hier eine Institution (die Einrichtung der Adoption) nimmt und zeigt, dass sie in Christus ohne Unterschied für Männer wie Frauen gilt. Christinnen sollten es daher nicht als Zumutung empfinden, „Söhne“ genannt zu werden – genauso wie gläubige Männer sich nicht dagegen sträuben sollten, zur „Braut Christi“ zu gehören (vgl. Offb 21,2). Alle Christen sind Söhne Gottes und Braut Christi; Gott ist auch im Gebrauch dieser Metaphern (Bilder) ausgewogen und jedes Bild sagt uns etwas Neues über unsere Beziehung zu Christus.

Wer Gottes Kinder sind

Was macht uns zu Gottes Kindern? Römer 8,14 ist eindeutig: dass wir seinen Geist haben. „Alle, die sich von Gottes Geist leiten lassen, sind seine Söhne und Töchter.“ Das Griechische ist hier ganz klar: „Alle“ sind griechisch hosoi, also „alle diese“ oder „jeder, der“. Paulus sagt hier also: Die Kategorie der Söhne Gottes fällt zusammen mit der Kategorie der Menschen, die den Heiligen Geist haben. Jeder Mensch, der den Geist hat, ist vom himmlischen Vater adoptiert, und jeder, der vom Vater adoptiert ist, hat den Heiligen Geist bzw. lässt sich von ihm leiten.

Viele Christen verstehen darunter, dass der Geist uns hilft, die richtigen Entscheidungen im Leben zu treffen – z. B. für den richtigen Ehepartner, Beruf oder Wohnort. Doch eine solche Deutung übersieht die enge Verbindung zwischen V. 14 und V. 13. Im Griechischen beginnt V. 14 mit dem Wort gar („weil“/„da“/„denn“), was seinen Inhalt mit dem vorigen Vers verknüpft: dass wir in der Kraft des Geistes über die Sünde in uns siegen können. Nun fährt Paulus fort und erklärt, warum uns diese große Kraft zur Verfügung steht: weil wir Söhne bzw. Kinder Gottes sind. „Sich von Gottes Geist leiten lassen“ in V. 14 muss also zusammengehören mit „in der Kraft von Gottes Geist die alten Verhaltensweisen töte[n]“ in V. 13. Der Geist führt („leitet“) uns dahin, das zu hassen, was er hasst (Sünde), und das zu lieben, was er liebt (Christus). Das ist die Leitung durch den Heiligen Geist!