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"Angst" ist das Lebensgefühl unserer Zeit, gerade auch der Jugend. Die Corona-Pandemie betrifft nicht nur unsere Gesundheit, sie bedroht viele Menschen in verschiedenen Lebensbereichen und macht uns Angst vor der Zukunft. Als Timothy Keller 2002 zu ersten Mal an Krebs erkrankte, half ihm das Buch "Die Auferstehung des Sohnes Gottes" von N.T. Wright, mit seiner Angst umzugehen und gab ihm Mut. 2020 erkrankte er erneut an Krebs – und wie damals ist es die Auferstehung von Jesus, die ihm Hoffnung für die Zukunft gibt – wie immer sie aussehen wird. Die Auferstehung ändert alles. Sie gibt uns Hoffnung für eigenes Leben, Hoffnung auf Gerechtigkeit, Hoffnung im Leid und angesichts des Todes. Die Hoffnung auf Auferstehung ist das Zentrum des christlichen Glaubens. Voll unerschütterlichen Glaubens, mit intellektueller Klarheit, ehrlich und persönlich zeigt Timothy Keller, wie diese alte Geschichte der Auferstehung, die wir so gut zu kennen glauben, die ganze Welt verändert hat und auch heute die Kraft hat, uns unsere Angst vor dem, was kommt, zu nehmen.
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Seitenzahl: 448
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TIMOTHYKELLER
Wie die Auferstehungdie Welt verändert
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Hope in Times of Fear: The Resurrection and the Meaning of Easter
© 2021 by Timothy Keller
VIKING – An imprint of Penguin Random House LLC.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Friedemann Lux
Bibelstellen sind, wenn nicht anders angegeben,nach der Neuen Genfer Übersetzung (NGÜ) zitiert.
Neues Testament und Psalmen.
Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft;
Sprüche © 2015 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart;
Genesis u. Exodus © 2020 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart,
Brunnen Verlag Gießen.
Sonst: Lutherbibel, revidiert 2017,
© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT);
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 2016 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten (EIN);
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen (NLB);
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen (ELB).
© der deutschen Ausgabe:
2022 Brunnen Verlag GmbH, Gießen
Lektorat: Uwe Bertelmann
Umschlagfoto: Adobe Stock
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
Satz: DTP Brunnen
ISBN Buch 978-3-7655-3736-3
ISBN E-Book 978-3-7655-7631-7
www.brunnen-verlag.de
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1Eine gewisse Hoffnung
Kapitel 2Eine Zukunftshoffnung
Kapitel 3Eine herrliche Hoffnung
Kapitel 4Eine Hoffnung, die die Welt unterwandert
Kapitel 5Die große Umkehrung
Kapitel 6Persönliche Hoffnung: 1
Kapitel 7Persönliche Hoffnung: 2
Kapitel 8Hoffnung für Sie und mich
Kapitel 9Hoffnung für Beziehungen
Kapitel 10Hoffnung auf Gerechtigkeit
Kapitel 11Hoffnung angesichts des Leids
Kapitel 12Hoffnung für die Zukunft
EpilogDer Stein und die Finsternis
Danke!
Anmerkungen
Als ich 2002 Schilddrüsenkrebs hatte, las ich ein dickes Meisterwerk, Die Auferstehung des Sohnes Gottes von N. T. Wright. Das Buch war nicht nur eine enorme Hilfe für meine Theologie, sondern in meiner Situation, die mir meine Sterblichkeit so ganz neu vor Augen führte, auch ein kräftiger Mutmacher. Wright erinnerte mich neu daran, dass der Tod ja durch Jesus besiegt worden war und dass dies auch für meinen irgendwann kommenden Tod galt.
Jetzt, fast zwanzig Jahre danach, schreibe ich mein eigenes Buch über die Auferstehung Jesu, und wieder habe ich eine Krebsdiagnose zu verkraften. Diesmal ist es Bauchspeicheldrüsenkrebs, der sehr viel ernster und schwieriger zu behandeln ist als der Schilddrüsenkrebs.
Und ich schreibe auch mitten in der schlimmsten Pandemie seit einem Jahrhundert. Viele Menschen leben in ständiger Angst vor Ansteckung und Tod. Von meiner Wohnung in New York aus kann ich einige der großen Krankenhäuser der Stadt sehen, und als die Pandemie auf ihrem Höhepunkt war, waren alle ihre Fenster die ganze Nacht hell erleuchtet, und immer wieder hörte man die Sirenen und sah die roten Blinklichter der Krankenwagen. Die Hoffnungen auf eine baldige Besiegung des Virus haben sich wieder und wieder zerschlagen.
Die Pandemie hat noch viel mehr Probleme gebracht als nur die Krankheit. In fast jedem Bereich unserer Gesellschaft müssen wir mit massiven Störungen rechnen, die Jahre andauern werden. In den USA haben wir eine Arbeitslosenquote, wie es sie seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 nicht mehr gegeben hat, zahllose Firmeninsolvenzen, die schmerzliche Schrumpfung ganzer Industrien, massive Ausfälle an Steuereinnahmen, die das Leben und die Renten von Millionen treffen, und Krisen im öffentlichen wie privaten Schulwesen – all dies sind Dinge, die auf uns zukommen können. Und das sind nur die Dinge, die mir heute, wo die Corona-Krise gerade begonnen hat, in den Sinn kommen. Es wird mit Sicherheit noch andere Probleme geben, die wir jetzt noch gar nicht sehen können. Und den höchsten Preis werden die zahlen müssen, die sozial und ökonomisch besonders schwach sind. Dazu noch die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die die soziale Isolation Millionen von Menschen gebracht hat.
Mitten in der Welle der Corona-Todesfälle entlud sich nach der Ermordung von George Floyd durch Polizeibeamte in Minneapolis im Frühsommer 2020 der Protest gegen eine andere Art von Tod auf den Straßen Amerikas. In über zweitausend Städten der USA und in aller Welt brachten Demonstrationen Millionen Menschen auf die Straßen; es waren die größten derartigen Proteste in unserer Geschichte, viel größer als die während der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre unter Dr. Martin Luther King Jr.
Fast alle aktuellen Proteste in den USA richten sich gegen den fortdauernden Rassismus in unserer Gesellschaft. Ich habe die Bürgerrechtsbewegung seit den 1960er-Jahren mit eigenen Augen miterlebt, und da ist mir ein Unterschied zu den heutigen Protesten aufgefallen. Die aktuellen Proteste und Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, so ermutigend sie auch in vieler Hinsicht sein mögen, strahlen wenig von der Hoffnung aus, die für die ältere Bürgerrechtsbewegung typisch war.
In seiner einzigartigen Rede „I Have a Dream“ sagte Martin Luther King:
Das ist unsere Hoffnung. Mit diesem Glauben kehre ich in den Süden zurück. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, die schrillen Missklänge in unserer Nation in eine wunderbare Symphonie der Brüderlichkeit zu verwandeln. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, zusammen zu arbeiten, zusammen zu beten, zusammen zu kämpfen, zusammen ins Gefängnis zu gehen, zusammen für die Freiheit aufzustehen, in dem Wissen, dass wir eines Tages frei sein werden.1
Der „Stein“ aus dem Berg der Verzweiflung ist eine Anspielung auf Daniel 2,34-35.45. Daniel 2 berichtet über eine Zukunftsvision, die Gott dem König von Babylon in einem Traum gab. In dieser Vision werden die götzendienerischen Reiche dieser Welt von einem Stein zermalmt, der „ohne Zutun von Menschenhänden“ aus einem Berg herabrollt, um unten zu einem die Welt füllenden Berg der Gerechtigkeit und des Friedens zu werden. Christliche Bibelausleger sehen in diesem Stein das Reich Gottes, das übernatürlichen Ursprungs ist („ohne Zutun von Menschenhänden“) und ganz klein und scheinbar machtlos anfängt, um dann all die stolzen Herrscher und Regierungen, die Repräsentanten des Bösen und der Unterdrückung sind, zu stürzen. Martin Luther King hat dieses Bild rhetorisch äußerst geschickt eingesetzt, aber es ist mehr als bloße Rhetorik. Jesus hat in Matthäus 13,31-32 das Himmelreich mit einem Senfkorn verglichen: „Es ist zwar das kleinste aller Samenkörner“, aber „ein Baum wird daraus, auf dem die Vögel sich niederlassen und in dessen Zweigen sie nisten.“
King ließ sich von der finanziellen und politischen Machtlosigkeit der Afroamerikaner in den USA nicht entmutigen. Der versteckte Rassismus im System und die offene rassistische Ausgrenzung und Gewalt, der die Bürgerrechtsbewegung in den 1950-er- und 1960-er-Jahren gegenüberstand, waren enorm. Aber er wusste, wie Gott typischerweise wirkt: aus kleinen Anfängen und großer Schwäche heraus durch Dienen und Opfer hin zur Veränderung. King war kein sonniger Optimist. Wenn man seine Reden und Briefe liest, spürt man seinen Zorn und seine nur zu berechtigten Ängste – aber auch die nicht kleinzukriegende Hoffnung.
Viele haben darauf hingewiesen, dass an der Spitze der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung afroamerikanische Pastoren und führende Christen standen, sodass die Bibelzitate in ihren Reden und Aufrufen mehr waren als nur hochtrabende Worte; sie waren Ausdruck des Glaubens und einer in Gott verwurzelten Hoffnung.
Und heute? Tod, Pandemien, Ungerechtigkeit, auseinanderbrechende Gesellschaften – wir brauchen wieder einen Stein der Hoffnung. Dringend.
Und es gibt keine größere Hoffnung als den Glauben, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist. Paulus schreibt: „Er war schwach, als er gekreuzigt wurde, doch jetzt lebt er durch Gottes Kraft“ (2. Korinther 13,4). Wenn wir diese gewaltige historische Tatsache begriffen haben, dann wird sie zu unserem großen Hoffnungslicht, wenn alles dunkel wird und alle irdischen Lichter ausgehen. Darum kann Paulus fortfahren: „Wir teilen seine Schwachheit […]. Aber gerade deshalb […] haben wir durch Gottes Kraft auch Anteil an seinem Leben […]“
Dies ist ein Buch über die Auferstehung Jesu. Ich werde und kann in ihm nicht so umfassend und gründlich die historischen Quellen und die Indizien für die Auferstehung untersuchen, wie N. T. Wright das in seinem Buch getan hat, das derzeit konkurrenzlos dasteht und dessen wesentliche Ergebnisse ich zusammenzufassen versuche. Ich schreibe als Pastor und nicht als Akademiker und werde mich daher darauf konzentrieren, dass die Auferstehung Jesu der Schlüssel ist, um die ganze Bibel zu verstehen und um alle Herausforderungen des Lebens zu meistern – Leiden, persönliche Veränderungen, Ungerechtigkeit, ethische Fragen und die Ungewissheit der Zukunft.
Theoretisch wissen wir alle, dass wir im nächsten Augenblick sterben können. Aber eine Krebsdiagnose, Herzkrankheit oder eine Pandemie machen uns plötzlich zu Menschen, denen der Tod greifbar auf die Pelle rückt. Es ist gerade eine dunkle Zeit für den Großteil der Welt, ebenso wie für mich persönlich. Wir alle suchen nach Hoffnung, und der beste Ort, wo wir sie finden können, ist die Auferstehung Jesu Christi.
Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! In seinem großen Erbarmen hat er uns durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ein neues Leben geschenkt. Wir sind von neuem geboren und haben jetzt eine sichere Hoffnung […] und deshalb ruhen jetzt euer Vertrauen und eure Hoffnung auf Gott. (1. Petrus 1,3.21)
Bereits lange vor der COVID-19-Pandemie war in der westlichen Welt eine zunehmende Hoffnungskrise zu verzeichnen.
Fast zwei Jahrhunderte lang war der Westen von der Hoffnung beflügelt gewesen, dass die Weltgeschichte eine stetige Fortentwicklung sei und die Menschheit sich selber eine Welt schaffen würde, in der es immer größere Sicherheit, mehr Freiheit und wachsenden Wohlstand geben würde. Der Glaube war stark, dass im Großen und Ganzen jede neue Generation eine bessere Welt vorfinden würde als die vorangegangene. Dieser Glaube gehört zum Erbe der europäischen Aufklärung. Zahllose große Denker sagten vorher, dass der vom Aberglauben der Vergangenheit befreite menschliche Verstand mit seinem Erfindungsgeist und der Wissenschaft unweigerlich eine bessere Zukunft heraufführen würde.1
Aber dann kam das 20. Jahrhundert. 1947 schrieb W. H. Auden ein Gedicht so lang wie ein Buch mit dem Titel The Age of Anxiety (deutsche Übersetzung: Das Zeitalter der Angst). In diesem Werk unterhalten sich in einer Bar in Manhattan vier Personen über ihr Leben und über das Leben überhaupt. Das Buch gewann den Pulitzer-Preis, wird aber selten gelesen. Was dagegen einschlug, war sein Titel, der die Stimmung der Zeit einzufangen schien. In weniger als vier Jahrzehnten hatte die Welt zwei Weltkriege, eine Pandemie und die große Weltwirtschaftskrise erlebt und aktuell stand sie am Beginn eines jahrzehntelangen Kalten Kriegs mit der Gefahr eines Atomkriegs zwischen dem Westen und dem Ostblock.
Dann kam das Jahr 1989. Der Kalte Krieg endete. Manche Stimmen verkündeten sogar „das Ende der Geschichte“, da doch das große Ringen zwischen den großen Ideologien – Faschismus, Kommunismus und westliche Demokratie – endlich vorbei war. Die Angst vor einem Weltenbrand legte sich. Der Motor des internationalen Kapitalismus lief, vom Benzin der Globalisierung beflügelt, immer schneller und in vielen Ländern boomte die Wirtschaft. Das Zeitalter der Angst war vorbei, und der alte Optimismus der Aufklärung lebte wieder auf. Der Anteil der Menschen in den USA, die glaubten, dass es ihren Kindern einmal besser gehen würde als ihren Eltern, überschritt die 50-Prozent-Marke.2
Ein führender moderner Denker, der versucht hat, diesen Optimismus empirisch zu untermauern, ist Steven Pinker von der Universität Harvard. In seinen Büchern Gewalt und Aufklärung jetzt präsentiert er Daten, die zeigen sollen, dass Gewalt, Krieg und Armut auf der ganzen Welt auf dem Rückzug sind und dass die Menschen immer gesünder sind und immer länger leben.3
Pinker begnügt sich mit empirischen Daten zu Lebensqualität und Sicherheit. Yuval Noah Harari geht in seinem Bestseller Homo Deus wesentlich weiter. Er argumentiert, dass die Menschen sich früher nur deswegen an Gott oder an Götter wandten, weil sie selber keine Kontrolle über die Welt hatten, in der sie lebten. Aber das sei heute anders:
Doch am Morgen des dritten Jahrtausends wacht die Menschheit auf und macht eine erstaunliche Feststellung. Die meisten Menschen denken selten daran, doch in den letzten Jahrzehnten ist es uns gelungen, Hunger, Krankheit und Krieg im Zaum zu halten. Natürlich sind diese Probleme nicht vollständig gelöst, aber was einmal unbegreifliche und unkontrollierbare Kräfte der Natur waren, sind jetzt Herausforderungen, die sich bewältigen lassen. Wir müssen zu keinem Gott oder Heiligen mehr beten, um davor bewahrt zu werden. Wir wissen ziemlich genau, was zu tun ist, um Hunger, Krankheiten und Krieg zu verhindern – und in der Regel gelingt uns das auch.4
Der Titel des Buchs – Homo Deus – nimmt sein Fazit vorweg. Es ist nicht nur so, dass wir Gott nicht mehr brauchen, sondern die Menschheit ist jetzt Gott. Wir sind unsere eigene Zukunftshoffnung, unser eigener Gott. Ja, wir haben nicht nur Zukunftshoffnung, sondern Zukunftsgewissheit, weil wir all das, was wir für diese Zukunft brauchen, in uns selber haben.
Pinker und Harari haben viele Anhänger, aber sie treffen den Geist der Zeit nicht so gut wie Auden. In der Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ging die Zahl der Menschen, die an ein besseres Leben für ihre Kinder glaubten, wieder zurück,5und in den Jahren danach ist der Zukunftspessimismus noch größer geworden, wie diverse Umfragen und Erhebungen zeigen.6
Dafür gibt es viele Gründe. Manches deutet auf eine Polarisierung und Fragmentierung hin, die weit tiefer gehen als die üblichen politischen Parteinahmen. Es ist eine zunehmende Begrenzung auf die eigene Clique, das eigene Milieu zu beobachten. Das lässt erkennen, dass unserer Kultur ihr Zentrum abhandengekommen ist. Es fehlen die gemeinsamen, dem Gemeinwohl dienenden Grundwerte. Wir erleben einen tiefen Vertrauensverlust, der alle Institutionen trifft, die unsere Gesellschaft traditionell zusammengehalten haben.
Und es gibt noch eine andere Kategorie von Bedrohungen unserer Zukunft – eine Kategorie, die ironischerweise nicht auf zu wenig, sondern auf zu viel wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt beruht. Aufgrund der weltweiten Mobilität durch Flugreisen und der Globalisierung unserer Wirtschaft, die beide erst durch die moderne Technologie möglich wurden, lassen sich Pandemien nicht mehr regional eindämmen. Die steigende Polarisierung und das sinkende Vertrauen in unserer Gesellschaft werden in hohem Maße durch die Sozialen Medien geschürt. Der Klimawandel und die andauernde Bedrohung durch den internationalen Terrorismus werden beide durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt verstärkt. Kurz: Eben das, was uns vor schrecklichen Gefahren schützen sollte, hat neue Risiken geschaffen.
Andrew Sullivan weist auf einen weiteren Grund für die zunehmende Atmosphäre der Angst und Hoffnungslosigkeit hin, die so typisch für unsere Zeit ist. Sullivan outet sich als großer Bewunderer von Pinker, und in seiner Rezension von dessen Buch Aufklärung jetzt hat er an seinen empirischen Schlussfolgerungen nichts zu bemängeln. Aber dann fährt er fort: „[Pinker] kann nicht erklären, warum es zum Beispiel so viel tiefe Unzufriedenheit, Depressionen, Drogenmissbrauch, Verzweiflung, Süchte und Einsamkeit gerade in den fortschrittlichsten liberalen Gesellschaften gibt.“ Und er bemerkt: „Auf unserem langsamen, aber sicheren Weg zu immer mehr Fortschritt haben wir etwas verloren, was das Fundament von allem ist: Sinn, Zusammenhalt und eine Zufriedenheit, die tiefer geht als die Befriedigung all unserer irdischen Bedürfnisse.“7
Harari glaubt, dass die Menschen früher Hoffnung bei Gott suchten, weil sie die Natur nicht verstehen bzw. beherrschen konnten. Aber bei der Religion geht es um etwas, das wesentlich tiefer geht. Die große Herausforderung des Menschen besteht seit Urzeiten nicht bloß darin, die Natur „da draußen“ in den Griff zu bekommen, sondern auch – und dies ist noch viel schwieriger – die Natur „drinnen“, also die vielen Rätsel und Probleme der menschlichen Natur selbst. Wir brauchen ein Ziel für unser Leben und haben einen Hunger nach Sinn. Wir erkennen, dass Dinge, die uns eigentlich satt machen sollten, dies nicht leisten können. Wir stehen mit Entsetzen vor dem Bösen, zu dem Menschen (uns selbst eingeschlossen!) fähig sind. Wie können wir uns heilen? Wie Sullivan zu Recht bemerkt, genügt es nicht, die Natur „da draußen“ in den Griff zu bekommen – und COVID 19 zeigt uns gerade, dass wir offenbar selbst das nicht schaffen.
Für Pinker und Harari bedeutet Fortschritt unter anderem, sich von der Religion zu verabschieden. Der bekannte Philosoph Jürgen Habermas vertritt seit zwanzig Jahren eine andere Position. Er erkennt an, dass die säkulare Vernunft an ihre Grenzen stößt, wenn sie uns moralische Absolutheiten oder Gründe liefern soll, die uns motivieren, die Interessen des Ichs hinter denen der Allgemeinheit zurückzustellen. Obwohl Habermas selber kein Christ ist, glaubt er, dass die Religion die Grundlage bilden kann für die Heiligkeit allen menschlichen Lebens und dass sie uns zu aufopferungsvoller Liebe in menschlichen Beziehungen motivieren kann – etwas, was der Wissenschaft nicht möglich ist.8 Die größte Bedrohung unserer Hoffnung auf eine bessere Welt kommt nicht von der Natur, sondern von all den bösen Dingen, die ständig neu aus dem menschlichen Herzen hervorbrechen. Die Wissenschaft ist nicht imstande, das Böse im Menschen auszulöschen, ja sie liefert ihm sogar noch neue Werkzeuge zur Ausübung dieses Bösen. Und mit „Böse“ meine ich nicht nur die ganz großen Verbrechen wie den Holocaust, sondern auch die ganz alltägliche Ellenbogenmentalität im Geschäftsleben, den Rassismus, Arroganz und Stolz, Unehrlichkeit und Korruption und die zahllosen täglichen Akte des Egoismus, die unsere Gesellschaft nach unten ziehen.
Einer der Gründe für die erstaunliche Ausbreitung des Christentums in seinen ersten Jahrhunderten war die Tatsache, dass es Hoffnung bot in den zahlreichen Epidemien, die in den Städten des Römischen Reiches wüteten. Kyle Harper, ein Historiker, der über die Epidemien der Antike geschrieben hat, wurde in einem Interview gefragt, wie das Christentum es schaffte, in diesen schweren Zeiten zur Blüte zu kommen. Seine Antwort:
Für [die Christen] war es ein positives Programm. Dieses Leben war immer schon als vergänglich, als nur ein Teil einer größeren Geschichte angesehen worden. Worauf es für den Christen ankam, war, sein Leben auf diese größere Geschichte auszurichten – die kosmische Geschichte, die Geschichte der Ewigkeit. Die Christen lebten in dieser Welt und sie erlebten Schmerzliches und liebten ihre Mitmenschen. Aber Christen jener Zeit sahen die Geschichte dieses Lebens als nur eine der Geschichten, in denen sie lebten. Es gab ein größeres Bild, und das war die geheime Landkarte, nach der sie sich orientierten.9
Die „geheime Landkarte“ der Christen ging über üblichen religiösen Trost weit hinaus. Andere Religionen sprachen zum Beispiel von der vagen Aussicht auf ein besseres Leben im Jenseits, wenn die moralische Leistung stimmte. Die Hoffnung der Christen bot weit mehr als dieses ängstliche Wunschdenken. Das im Deutschen mit dem relativ schwachen Wort „Hoffnung“ übersetzte biblische Wort elpida meint eine tiefe, absolut gewisse Zuversicht. Christen betrachten selbst die widrigsten Dinge als Teil einer Geschichte, die bei jeder neuen Episode von Gott zu einem Ziel geleitet wird. Und dieses Ziel ist nicht eine nebulöse Erwartung irgendeiner Art von Leben nach dem Tod, sondern die Auferstehung von Leib und Seele in einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Und diese Hoffnung dreht sich um ein einziges, welterschütterndes Ereignis – den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Das ist das, was der Glaube der Christen einer Welt ohne Hoffnung zu bieten hat.
Die Christen, an die Petrus seinen ersten Brief schrieb, hatten bereits „Prüfungen verschiedenster Art“ durchgemacht und befanden sich gerade in einem „Feuersturm“ der Leiden (1. Petrus 4,12). Aber gerade in dieser Situation erinnert Petrus sie an Folgendes: „In seinem großen Erbarmen hat [Gott] uns durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ein neues Leben geschenkt. Wir sind von neuem geboren und haben jetzt eine sichere Hoffnung […] deshalb ruhen jetzt euer Vertrauen und eure Hoffnung auf Gott“ (1. Petrus 1,3.21). Die Tatsache der Auferstehung bedeutet, dass wir eine Zukunftshoffnung haben, die nicht vom Fortschritt der Wissenschaft oder der Gesellschaft abhängt, sondern von Gott selber (1. Petrus 1,21). Und dies ist nicht bloß eine abstrakte, intellektuelle Glaubensaussage. Es ist, wie Petrus es ausdrückt, eine lebendige und „sichere Hoffnung“, die zentral zu dem neuen geistlichen Leben gehört, das der Christ durch den Heiligen Geist erhält. Das Neue Testament bezeichnet dieses Leben als „Wiedergeburt“. Der Glaube an die Auferstehung pflanzt diese Hoffnung tief in unsere Seele ein – sie wird so sehr ein Teil von uns, dass wir mit ihr alles, was uns begegnet, bewältigen können.
Aber was genau ist dieser Glaube an die Auferstehung, der zu einer lebendigen Hoffnung wird, die in uns brennt wie ein wärmendes, Kraft gebendes Feuer? Und wie bekommen wir diesen Glauben?
Der erste Schritt besteht darin, dass wir davon ausgehen, dass die Auferstehung Jesu eine historische Tatsache ist. Als bloßes Symbol taugt sie wenig und wir werden noch sehen, dass der Glaube an sie den Menschen zur Zeit Jesu nicht leichter fiel als uns heute. Nicht nur das moderne, sondern auch das antike Weltbild hat für Totenauferweckungen keinen Platz. Aber die Indizien dafür, dass Jesus tatsächlich auferstanden war, waren gewaltig. Sie haben damals alle Einwände des Verstandes entkräftet und können dies auch heute noch tun.
Aber dadurch, dass ich die Tatsache der Auferstehung bejahe, wird sie noch nicht automatisch zu einer lebendigen Hoffnung. Wenn die Auferstehung eine historische Tatsache ist, dann stellt sich die Frage, was sie bedeutet. Wann haben Sie zum letzten Mal eine Predigt über die Bedeutung der Auferstehung gehört? Wenn, dann war das vermutlich am Ostersonntag. Auf den Kanzeln des protestantischen Mainstreams ist die Auferstehung dann meistens ein abstraktes Symbol dafür, dass irgendwie das Gute über das Böse triumphieren wird, und in vielen evangelikalen Gemeinden ist die Osterpredigt ein langer Vortrag darüber, dass die Auferstehung Jesu tatsächlich geschehen ist. Es ist eine Sache zu wissen, dass die Auferstehung tatsächlich passiert ist, aber eine ganz andere Sache, wie Paulus schreibt, die Kraft dieser Auferstehung an mir selber zu erfahren (vgl. Philipper 3,10) – persönlich und mit meiner ganzen Existenz. Und hier gibt die Kirche uns erstaunlicherweise wenig Hilfestellung.
Ich komme aus der presbyterianisch-reformierten Tradition und dort befasst sich die klassische Systematische Theologie viel mehr mit dem Kreuzestod Jesu als mit seiner Auferstehung. Charles Hodge von der Princeton University widmet dem Tod Jesu am Kreuz 127 Seiten – der Auferstehung ganze vier. Bei anderen Theologen sieht es ähnlich aus.10 Sam Allberry schreibt, dass viele Christen an die Auferstehung glauben und diesen Glauben an jedem Ostersonntag bekräftigen, nur um „ihn anschließend für den Rest des Jahres zurück in die Schublade zu legen“, weil sie „nicht recht wissen, was sie damit anfangen sollen“.11 Aber Bibelstellen wie Römer 4,25 („… dessen Auferstehung uns den Freispruch bringt“) zeigen uns, dass wir nicht allein durch den Tod von Jesus, sondern auch durch seine Auferstehung erlöst sind. Aber viele Christen, die zu erklären versuchen, wie man erlöst wird, reden nur über das Kreuz und erwähnen die Auferstehung entweder nur als Fußnote oder überhaupt nicht.
Die Auferstehung ist nicht ein Zaubertrick, sondern eine Invasion. Das Ereignis, das uns gerettet hat – die auf das Kreuz folgende Auferstehung –, krempelt das Leben der Christen total um, durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Das Kreuz und die Auferstehung zusammen – und nur zusammen! – bringen die neue Schöpfung in unsere Gegenwart hinein. Diese neue Schöpfung ist die allmächtige Kraft, durch die Gott die ganze Welt neu macht und heilt. Als Christus am Kreuz den Preis für die Sünde zahlte, riss der Vorhang im Tempel von oben nach unten entzwei (Matthäus 27,51). Dieser Vorhang war ein Zeichen für die Trennung der Menschen von der heiligen Gegenwart Gottes. Diese Gegenwart hatte einst die Erde zum Paradies gemacht; durch den Tod Christi kann sie jetzt zu uns kommen, und durch seine Auferstehung kommt sie auch tatsächlich zu uns. Der auferstandene Christus sendet uns den Heiligen Geist, und beide – Christus und der Geist – sind die „Erstlingsgabe“ (Römer 8,2312; 1. Korinther 15,20-23), die „Anzahlung“ und das „Unterpfand“ (Epheser 1,13-14; 2. Korinther 1,22-23; 5,5), gewissermaßen die erste Rate des kommenden Triumphes über den Tod und einer neuen, geheilten physischen Welt. Diese erneuernde Kraft der Zukunft haben wir jetzt erst teilweise, aber sie ist echt, sie ist da, sie ist in unsere gegenwärtige Welt eingebrochen.
Die „überwältigend große Kraft“, mit der Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, wirkt hier und jetzt in uns (Epheser 1,19-20). Und so haben wir die Aufgabe, im „Licht“ der kommenden neuen Schöpfung zu leben (Römer 13,11-13; Galater 6,15; vgl. 1. Korinther 6,1-2), d. h. an dem künftigen Leben der Auferstehung durch die Art, wie wir leben, bereits hier und jetzt teilzuhaben. Wenn Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden ist, verändert das alles: die Art, wie wir Beziehungen leben, unseren Umgang mit Reichtum und Macht, unsere Arbeit, wie wir Sexualität verstehen und leben, wie wir mit Konflikten zwischen ethnischen Gruppen umgehen und uns für Gerechtigkeit einsetzen.
Das Kreuz und die Auferstehung zusammen – und nur zusammen! – liefern uns das Grundmuster, nach dem wir als Christen im Lichte der neuen Schöpfung leben. Kreuz und Auferstehung sind die große Umkehrung. Christus erlöst uns dadurch, dass er schwach ist, sich seiner Macht entkleidet und sich einer scheinbaren Niederlage beugt. Und gerade dadurch triumphiert er – nicht trotz dieses Schwachseins und Aufgebens der Macht, sondern in dieser Schwäche und durch sie. Die große Umkehrung wird zu einer dynamischen Kraft, „die zu einem Lebensrhythmus wird, einer Ethik und einer Art, die Welt mit allem, was dazugehört, zu sehen und in ihr zu leben“.13 Durch das Ausleben dieses Prinzips von Tod und Auferstehung erneuern wir das Leben der Menschen in dieser unserer Welt – nur teilweise, aber sehr spürbar. Die bereits vorhandene, aber noch nicht vollendete Gegenwart der neuen Schöpfung bewahrt uns vor beidem: vor Naivität und Zynismus, vor Utopie und Defätismus.
Die Grundthese dieses Buchs ist: Die Auferstehung ist die große Umkehrung der Weltgeschichte, die uns sowohl die Kraft als auch die Vorlage für ein Leben gibt, das in der Gegenwart stattfindet, aber bereits mit Gottes künftiger neuer Schöpfung verbunden ist.
Um dieses Thema zu entfalten, werde ich in Kapitel 1 zunächst einmal die Auferstehung als historische Tatsache untersuchen. Die Auferstehung ist natürlich noch viel mehr – aber sie ist eben auch nicht weniger. Die moderne Skepsis gegenüber dem Übernatürlichen erschwert vielen Zeitgenossen den Glauben an die leibliche Auferstehung Jesu als wirklichem historischem Ereignis. Aber ohne das Wunder der Auferstehung löst sich jede Hoffnung auf einen künftigen Triumph über das Böse und den Tod in nichts auf. In Kapitel 2 bis 5 werde ich untersuchen, inwiefern die Auferstehung als die große Umkehrung der Schlüssel für das Verständnis der Gesamtstruktur der Bibel ist sowie das Grundmodell für das Leben des Christen. In Kapitel 6 und 7 werde ich der Frage nachgehen, wie der persönliche Auferstehungsglaube beginnt, und dazu fünf berühmte Fallstudien heranziehen: Maria Magdalena, den Jünger Johannes, Thomas, Petrus und Paulus. Und in den letzten fünf Kapiteln werde ich bestimmte Bereiche unseres Lebens herausgreifen und untersuchen, wie die Auferstehung uns fähig macht, in jedem dieser Bereiche auf eine Art zu leben, die konsequent und erkennbar „anders“ ist.
Der vielleicht direkteste, alltäglichste Nutzen, den die Auferstehung uns bringt, ist, dass Christen nicht einem hochverehrten, aber toten Lehrer folgen, sondern einem auferstandenen Herrn, der hier und jetzt an ihrer Seite ist. In Offenbarung 3,20 sagt Jesus: „Merkst du nicht, dass ich vor der Tür stehe und anklopfe? Wer meine Stimme hört und mir öffnet, zu dem werde ich hineingehen, und wir werden miteinander essen – ich mit ihm und er mit mir.“ Dieser Vers wird oft als Einladung an Nichtchristen verstanden, „Jesus in ihr Herz einzulassen“, aber der Zusammenhang von Offenbarung 3 macht deutlich, dass Jesus hier zu einer Gemeinde redet, also zu Menschen, die bereits Christen sind. Mit jemandem eine Mahlzeit einzunehmen bedeutet heute wie damals, Gemeinschaft mit ihm zu haben. Jesus sagt denen, die an ihn glauben, dass es Möglichkeiten der innigen Gemeinschaft mit ihm gibt, durch die wir ihn erkennen und seine Liebe erfahren. Wir machen von dieser Möglichkeit nur meistens keinen Gebrauch.
Weil Jesus von den Toten auferstanden ist, ist er kein längst verstorbener Weiser, den wir nur durch seine Aussprüche kennen. Er lebt und er ruft uns zu: „Hier bin ich! Ich stehe vor deiner Tür!“ Öffnen Sie ihm, lieben Sie ihn, hören Sie ihm zu. Wer das tut, wird zu denen gehören, die „erwachten aus der Verzweiflung und die Eingebungen der Dunkelheit von sich abtaten“.14
Geschwister, ich möchte euch an das Evangelium erinnern, das ich euch verkündet habe. […] Zu dieser Botschaft, die ich so an euch weitergegeben habe, wie ich selbst sie empfing, gehören folgende entscheidenden Punkte:
Christus ist – in Übereinstimmung mit den Aussagen der Schrift – für unsere Sünden gestorben. Er wurde begraben, und drei Tage danach hat Gott ihn von den Toten auferweckt – auch das in Übereinstimmung mit der Schrift. Als der Auferstandene hat er sich zunächst Petrus gezeigt und dann dem ganzen Kreis der Zwölf.
Später zeigte er sich mehr als fünfhundert von seinen Nachfolgern auf einmal; einige sind inzwischen gestorben, aber die meisten leben noch. Danach zeigte er sich Jakobus und dann allen Aposteln. Als Letztem von allen hat er sich auch mir gezeigt; ich war wie einer, für den es keine Hoffnung mehr gibt, so wenig wie für eine Fehlgeburt. Ja, ich bin der unwürdigste von allen Aposteln. Eigentlich verdiene ich es überhaupt nicht, ein Apostel zu sein, denn ich habe die Gemeinde Gottes verfolgt. Dass ich trotzdem ein Apostel geworden bin, verdanke ich ausschließlich der Gnade Gottes. Und dass Gott mir seine Gnade erwiesen hat, ist nicht vergeblich gewesen. Keiner von allen anderen Aposteln hat so viel gearbeitet wie ich. Aber wie ich schon sagte: Nicht mir verdanke ich das Erreichte, sondern der Gnade Gottes, die mit mir war. (1. Korinther 15,1.3-10)
Das Herz des christlichen Glaubens ist das Evangelium. Paulus nennt es in Römer 1,16 „die Kraft Gottes, die jedem, der glaubt, Rettung bringt“. Das Evangelium birgt unendliche Reichtümer und Tiefen, wie wir im Galater- und im Römerbrief sehen. Der Wert dieses kurzen Abschnitts aus dem 1. Korintherbrief liegt darin, dass er das Evangelium knapp auf den Punkt bringt, was uns einen deutlicheren Blick auf all seine verschiedenen Aspekte ermöglicht. Der christliche Glaube – so die Botschaft dieses Abschnitts – ist ein Glaube, der a) historisch, b) vernünftig und c) von Gnade geprägt ist.
Das Evangelium ist zunächst einmal ein Bericht über ganz bestimmte historische Ereignisse. Es stimmt, dass der christliche Glaube eine Erfahrung ist, die das ganze Leben verändert. Aber zu dieser Veränderung wird es nur dann kommen, wenn ich es als wahr akzeptiere, dass sich in der Geschichte der Welt bestimmte Dinge ereignet haben.
Als Student besuchte ich unter anderem Seminare über die Weltreligionen. Dort habe ich gelernt, dass nur der christliche Glaube mit dem Satz beginnt: „Das Allererste, was du glauben musst, ist, dass sich diese Ereignisse historisch zugetragen haben.“ Natürlich kennen auch die anderen Religionen Geschichten darüber, wie alles anfing, und über verschiedene Helden des jeweiligen Glaubens. Aber diese Geschichten dienen in erster Linie als Vorbilder, denen man nacheifern soll, und die große Botschaft lautet: „Wenn du so lebst und den Weg der Weisheit findest, gelangst du zu der großen Vereinigung mit dem Unendlichen.“
Der christliche Glaube beginnt nicht mit dem Satz: „So und so musst du leben“, sondern: „Das ist das, was Jesus ganz real für dich getan hat.“ Und was hat er getan? Erstens ist er für meine Sünden gestorben und begraben worden. Und zweitens wurde er am dritten Tag von den Toten auferweckt und erschien zahlreichen Augenzeugen.
Wenn ich die Historizität der Kreuzigung und Auferstehung Jesu so betone, tue ich das unter anderem, um zur Vorsicht zu mahnen gegenüber einem Projekt, das vor zwei Jahrhunderten begann und das in der Schaffung eines „liberalen“ christlichen Glaubens bestand, der sich mehr den anderen Religionen anpasst.
Im frühen 19. Jahrhundert gab es eine theologische Bewegung, die versuchte, den christlichen Glauben von seinen übernatürlichen Elementen zu reinigen, um ihn mit dem modernen Lebensgefühl und Denken besser vereinbar zu machen. Für Friedrich Schleiermacher ging es beim Glauben nicht um historische Ereignisse, sondern vielmehr um das innere Bewusstsein der „schlechthinnigen Abhängigkeit“ von Gott. Albrecht Ritschl lehrte, dass man nicht mehr an Wunder glauben könne und dass wir folglich die Texte über die Jungfrauengeburt Jesu, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung nicht als Berichte über historische Begebenheiten zu lesen hätten, sondern als Legenden, Bilder und Beispiele dafür, wie man leben soll. Der Grundgedanke dieser Bewegung lautete ungefähr so: „Es gibt im Christentum viel Glauben an Übernatürliches und an Wunder. Moderne Menschen können nicht mehr glauben, dass diese Dinge wirklich passiert sind. Wenn wir sie erreichen wollen, müssen wir diese Dinge als Erzählungen, als Mythen, interpretieren, aber als Erzählungen, die die wesentlichen Lebensprinzipien bewahren, die sich im christlichen Glauben finden.“
Was machte dieses Modernisierungsprogramm mit Ostern, also der Lehre, dass Christus leibhaftig von den Toten auferstanden ist? Die neue Version lautete: „An eine buchstäbliche, physische, historisch geschehene Auferstehung können wir nicht mehr glauben. Aber wir haben doch immer noch die große Idee von Ostern. Lehrt uns nicht schon die Natur, dass nach dem Winter der Frühling kommt? Dass es selbst nach Katastrophen und Tod einen Neuanfang geben kann? Dass wir selbst aus den Widrigkeiten des Lebens etwas lernen können, sodass wir wachsen und neue Schritte tun können? Das ist das Prinzip von Ostern.“
Das liberale Christentum sagt uns, dass es nicht so wichtig ist, ob die Auferstehung Jesu wirklich passiert ist. Worauf es ankommt, ist, dass Christen gute, anständige Menschen sind, die die anderen lieben und die Welt zu einem besseren Ort machen. So versuchen sie, einen unhistorischen Glauben zu schaffen, der nicht in dem gründet, was Gott in der Geschichte getan hat, sondern nur in dem, was wir tun und wie wir leben. Die liberale Theologie versucht sogar, ihre Auffassung als das historische Original, das ursprüngliche Christentum darzustellen. Demnach war der historische Jesus ein bloßer Mensch, der für Gerechtigkeit und Liebe eintrat, und erst Jahrzehnte später entstanden die „Legenden“ über sein Leben und erst dann wurde er als Sohn Gottes gesehen, der von den Toten auferstanden war. In dieser Jesus-Darstellung ging es bei dem ursprünglichen christlichen Glauben nicht um außergewöhnliche historische Ereignisse und Wunder, sondern schlicht um eine Ethik der Liebe.
Doch dieses liberale Narrativ ist nicht ein Update des christlichen Glaubens, sondern faktisch eine andere Religion, in der das christliche Evangelium – dass ich nicht durch das gerettet werde, was ich tun muss, sondern durch das, was Gott getan hat – verschwunden ist, sodass die erdrückende Last der Selbsterlösung, von dem das historische Evangelium uns frei macht, dem Gläubigen wieder aufgebürdet wird.
H. Richard Niebuhr hat den fundamentalen Unterschied zwischen liberaler Theologie und dem ursprünglichen christlichen Glauben so beschrieben: „Ein Gott ohne Zorn hat Menschen ohne Sünde in ein Himmelreich ohne Gericht gebracht, und all dies durch einen Christus ohne Kreuz.“1 Und, wie man hinzufügen muss, ohne Auferstehung. Das liberale Christentum, dessen Botschaft eine allgemeine Ethik der Liebe und der Hoffnung ist, hätte nie und nimmer das Leben auch nur eines Menschen auf den Kopf stellen können – geschweige denn die ganze römische Welt.
Die elektrisierende ursprüngliche Botschaft war, dass Gottes Kraft von außerhalb der Geschichte in unsere Welt eingebrochen ist. Jesus ist an unserer Stelle für unsere Sünden gestorben, sodass wir durch den Glauben an ihn seine Liebe erfahren und das Geschenk des ewigen Lebens empfangen. Und danach ist er auferstanden, um in unsere Geschichte die Kraft des kommenden Zeitalters zu bringen – die Kraft der zukünftigen Welt, in der alle auferstehen werden und in dem alle Tränen abgewischt werden (Hebräer 6,5; 2. Petrus 3,13; Römer 8,18-25). Weil Jesus für die Sünde am Kreuz starb und seine Auferstehung historisch geschehen ist, darum ist alles anders geworden. Alles.
In 1. Korinther 15,14 schreibt Paulus: „Und wenn Christus nicht auferstanden ist, ist es sinnlos, dass wir das Evangelium verkünden […].“ Im Griechischen steht hier für „sinnlos“ das Wort kenos („ohne Kraft“). Paulus sagt hier: Bloße moralische Appelle – „wir müssen etwas gegen die Ungerechtigkeit tun“ oder „Wir dürfen angesichts der Angst die Hoffnung niemals aufgeben“ –, so richtig sie sind, bleiben letztlich ohne Kraft, wenn es keine historische Tatsache ist, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Wenn er aber auferstanden ist, dann haben wir nicht nur jeden Grund der Welt, uns für das Gute einzusetzen, sondern auch die innere Kraft, dies zu tun. Wenn er aber nicht auferstanden ist, dann wird, wie uns sowohl die alten Philosophen wie die modernen Wissenschaftler versichern, die Welt eines Tages im Feuer vergehen und niemand wird mehr da sein, der sie in trauerndem Andenken hält, und nichts, das irgendjemand auf der Welt getan hat, wird letztlich irgendeine Bedeutung haben.
Das liberale Christentum verliert heute in der Bevölkerung massiv an Boden, erfreut sich aber in den modernen Medien, die es als die einzig „richtige“ Version des Glaubens betrachten, ungebrochener Beliebtheit.2 Aber von einem nichthistorischen Glauben, für den es nichts Übernatürliches gibt, hat niemand etwas. Er hat in seinen ersten Tagen die Menschen und die Welt nicht verändert und er wird es auch heute nicht tun. John Updike hat es in seinem Gedicht „Sieben Strophen zu Ostern“ so beschrieben:
Täusche dich nicht: Wenn überhaupt, so ist Er auferstanden
als Sein Leib. Hätte nicht die Auflösung der Zellen
sich umgekehrt, hätten nicht wieder sich verstrickt
die Moleküle, die Amino-Säuren wieder sich entzündet,
dann stürzte die Kirche.
Es war nicht so wie bei den Blumen,
die jeden zarten Frühling wiederkehren;
es war nicht wie Sein Geist im Munde seiner Jünger
und in ihren trunknen Augen,
es war Sein Fleisch: das unsere.
Dieselben Zehen und derselbe Daumen, so gelenkig,
dasselbe Herz mit seinen Klappen.
das – durchbohrt – starb, verdorrte, innehielt und dann
aus ew’ger Allmacht wieder Kraft gewann,
uns zu umarmen.
Lasst uns nicht Gottes spotten mit Metaphern,
Vergleichen, Ausflüchten, mit Transzendentem,
macht dies Ereignis nicht zur Parabel, zum blassen Zeichen der
Glaubenseinfalt früh’rer Zeiten:
Durchschreiten wir die Tür.
Der Stein ward weggewälzt und kein Papiermaché,
kein legendärer Stein,
nein, der gewalt’ge Fels, der, langsam mahlend in der Zeit,
jedem von uns des Tages Helle
verdunkeln wird.
Wenn wir am Grab denn einen Engel wollen,
so lasst es einen Engel sein, der wirklich ist,
schwer von Plancks Quanten, munter mit Haar,
opak im Dämmerlicht, in echtem Linnen,
von wohlbekanntem Webstuhl.
Versuchet nicht, es weniger monströs zu machen,
nach eigenem Belieben, eignem Schönheitssinn,
sonst werden wir, erweckt in unfassbarer Stunde, vom Wunder
jäh erschreckt, und dann zermalmt uns
der Beweis der Wahrheit.3
Weil das Christentum ein historischer Glaube ist, ist es auch ein vernünftiger Glaube. 1. Korinther 15 ist bis zum Rand gefüllt mit guten Gründen für den Glauben an die Auferstehung Jesu. Viele moderne Theorien sind entwickelt worden, um die Tatsache der Auferstehung wegzuerklären, aber diese Verse haben eine Antwort für sie alle.
Eine der ältesten Theorien besagt, dass die Auferstehung Jesu eine Legende ist, die erst einige Jahrzehnte später aufkam – in einer Zeit, als sich keiner mehr an das erinnern konnte, was wirklich geschehen war. Aber der Text von 1. Korinther 15 ist selbst ein starkes Argument gegen diese Sicht. Die meisten Neutestamentler sehen heute in den Versen 3-7 nicht eine Formulierung von Paulus selber, sondern eine Bekenntnisaussage und Zusammenfassung des Evangeliums, die in den allerersten Gemeinden benutzt wurde, um zu evangelisieren und in der christlichen Lehre zu unterweisen. In diesen Versen finden sich Formulierungen („in Überstimmung mit den Aussagen der Schrift“, „drei Tage danach“, die „Zwölf“), die Paulus in seinen übrigen Schriften nicht benutzt. Er zitiert hier also einen ihm vorliegenden Text, wie er in Vers 3 selber sagt: Er hat diese Botschaft „empfangen“ (und nicht selber geschaffen) und anschließend „weitergegeben“. Also: Wir haben hier eine Zusammenfassung des Evangeliums vor uns, die zu der Zeit, wo Paulus schrieb, bereits unter den Christen des ganzen Mittelmeerraums verbreitet war. Und da er den ersten Korintherbrief ganze 15 bis 20 Jahre nach dem Tod von Jesus schrieb, können wir – so der bekannte Theologe James Dunn – „mit Sicherheit davon ausgehen“, dass diese Zusammenfassung in 1. Korinther 15,3-7 „innerhalb von ein paar Monaten nach dem Tod Jesu“ formuliert wurde.4
Damit ist die Theorie, dass die Auferstehung Jesu eine Legende war, die erst entstand, als die Augenzeugen seines Todes gestorben waren, widerlegt. Dieser Text zeigt vielmehr, dass sehr kurze Zeit nach seinem Tod Tausende jüdischer Männer und Frauen Jesus als den Heiland und auferstandenen Herrn anbeteten (Apostelgeschichte 2,14). Anders als die Römer glaubten die Juden „nicht daran, dass ein Mensch Gott werden könne“. Und dass Gott einen Sohn haben konnte und dass dieser an einem Kreuz verrecken könnte, „solche Behauptungen waren so haarsträubend wie, für die meisten Juden, abstoßend. […] Das war nicht nur Blasphemie, das war Wahnsinn.“5 Eine zusehends wachsende Bewegung von Juden, die einen Menschen als den Sohn Gottes verehrten, das hatte es noch nie gegeben. Und dies geschah unmittelbar nach dem Tod Jesu. Etwas Unerhörtes musste geschehen sein, dass so etwas möglich war, und was konnte das gewesen sein, wenn nicht die Auferstehung?
Paulus zitiert auch, dass Jesus „drei Tage danach“ auferstand. Dies widerlegt eine zweite beliebte Theorie: dass die ersten Jünger Jesu den auferstandenen Christus nicht leiblich vor sich sahen, sondern lediglich seine bleibende Gegenwart in ihren Herzen spürten. Der „dritte Tag“ zeigt uns, dass die Auferweckung Jesu ein reales, zeitlich exakt zu bestimmendes Ereignis war.
Paulus berichtet dann ausführlich, dass der auferstandene Jesus „sich zunächst Petrus“ zeigte „und dann dem ganzen Kreis der Zwölf. Später zeigte er sich mehr als fünfhundert von seinen Nachfolgern auf einmal; einige sind inzwischen gestorben, aber die meisten leben noch. Danach zeigte er sich Jakobus und dann allen Aposteln. Als Letztem von allen hat er sich auch mir gezeigt …“ (1. Korinther 15,5-7). Diese Liste widerspricht einer dritten beliebten Hypothese – dass die Auferstehung Jesu schlicht ein Fall von Fake-News, also Betrug, war. Das Problem dieser Theorie ist nicht nur, dass Petrus, Jakobus (der Bruder von Jesus) und Paulus selber alle angaben, den auferstandenen Christus mit ihren eigenen Augen gesehen zu haben, sondern der Auferstandene war einmal sogar fünfhundert Personen auf einmal erschienen. Es gab buchstäblich Hunderte von Augenzeugen.
Heutige Leser denken vielleicht, dass die Menschen damals leichtgläubig und abergläubig waren. Wenn jemand also behaupten wollte, der Stifter seiner Religion sei von den Toten auferstanden, müsste er nur sagen: „Er ist auferstanden, ich gebe euch mein Wort darauf.“ Falsch. Paulus schreibt gerade so, als ob seine Leser Beweise forderten, um solch eine Behauptung glauben zu können – so wie viele Menschen heute auch. Und so widmet er über drei Viertel seiner Zusammenfassung des Evangeliums in 1. Korinther 15 den Augenzeugen der Auferstehung. Er nennt Namen und betont, dass die meisten Zeugen noch leben, was ja so viel heißt wie: „Wenn ihr wollt, könnt ihr sie gerne selber fragen.“ Mit anderen Worten: Paulus ist nicht jemand, der sagt: „Ich kann euch keine Argumente und Begründungen bieten, auch keine Beweise. Ihr müsst es halt wagen und mir blind glauben.“
Aber warum taten die Menschen in der Antike sich so schwer, an so etwas wie die Auferstehung zu glauben? Sie waren doch bestimmt weniger skeptisch als wir heute, wenn es hieß, dass ein Wunder geschehen war? Der Neutestamentler N. T. Wright legt in seinem Buch Die Auferstehung des Sohnes Gottes ausführlich dar, dass sowohl dem griechisch-römischen als auch dem jüdischen Denken zur Zeit Jesu die Behauptung, ein konkreter Mensch sei leiblich von den Toten auferstanden, nicht glaubwürdig erschien. Die damaligen Juden glaubten entweder überhaupt nicht an eine Auferstehung oder lediglich an eine kollektive Auferstehung der „Gerechten“ am Ende der Zeit, wenn die Welt neu gemacht wurde. Sie hielten es aber für absolut unmöglich, dass ein einzelner Mensch bereits in diesem Weltzeitalter auferstand, solange all das Böse, das Leiden und Sterben noch existierte.6 Damit ist auch der vierte Versuch, die Auferstehung Jesu wegzuerklären, widerlegt: dass die Anhänger Jesu nach seiner Kreuzigung so verzweifelt waren und sich so sehr wünschten, er lebe noch, dass sie sich die Erscheinungen des Auferstandenen einbildeten. Wright weist nach, dass dies völlig unmöglich ist. Solch eine Auferstehung war für die damaligen Juden schlicht unvorstellbar. Es brauchte das leere Grab und all die Augenzeugenberichte, um ihre tiefe Skepsis gegenüber der Botschaft von der Auferstehung Jesu zu überwinden:
Das eigentliche Problem ist etwas, das jeder Historiker des ersten Jahrhunderts anerkennen sollte: Was auch immer die frühen Christen erwarteten […]: Das, was ihrer Aussage zufolge nach Ostern geschah, ist nicht mit diesen Dingen vergleichbar. […] Der Grund bestand darin, dass etwas geschehen war, etwas, das in keiner Weise von ihnen erwartet oder erhofft worden war, etwas, um das herum sie ihr Leben neu aufbauen mussten […]7
In Apostelgeschichte 26 hält Paulus eine Verteidigungsrede vor König Agrippa und dem römischen Statthalter Festus. Er spricht über Tod und Auferstehung Christi. Mittendrin ruft Festus aus: „Paulus, du bist verrückt geworden! Deine große Gelehrsamkeit treibt dich in den Wahnsinn!“ (Apostelgeschichte 26,24). Paulus’ Antwort ist respektvoll, aber überraschend selbstbewusst:
Doch Paulus erwiderte: „Ich bin nicht verrückt, hochverehrter Festus! Was ich sage, ist wahr, und meine Worte sind vernünftig. Der König, zu dem ich so frei und offen rede, weiß sehr wohl über diese Dinge Bescheid. Ich bin überzeugt, dass ihm nichts von dem, was ich gesagt habe, unbekannt gewesen ist; schließlich hat sich das alles nicht in irgendeinem verborgenen Winkel zugetragen.“ (V. 25-26)
Paulus sagt hier, dass der Glaube an die Auferstehung „vernünftig“ ist – ein Ausdruck, der sorgfältiges, rationales Denken meint. Er stellt nicht bloße Behauptungen auf, sondern bringt nachvollziehbare Argumente. Er kann Agrippa daran erinnern, dass er selbst die Fakten kennt: der Tod von Jesus, das leere Grab und die Berichte der Augenzeugen der Auferstehung, denn diese Dinge haben sich „nicht in irgendeinem verborgenen Winkel zugetragen“, sondern sind öffentlich bekannt; Paulus kann das, was er sagt, belegen.
In 1. Korinther 15 tut Paulus das, was er für Agrippa und Festus tat, für alle, die diesen Brief gegenwärtig oder in der Zukunft lesen werden. Er bietet zwei Hauptbelege für die Auferstehung Jesu.
Erstens: Das Grab war leer. In der von Paulus zitierten Bekenntnisformel in 1. Korinther 15,3-7 heißt es nicht nur, dass Jesus starb, sondern auch, dass er „begraben“ wurde. Dieses Detail ist eigentlich überflüssig – es sei denn, es soll betonen, dass die Auferstehung kein „spirituelles“ Ereignis war, sondern dass der Leichnam tatsächlich fort war und das Grab leer.8 Die Tatsache des leeren Grabes wird von den meisten Experten bejaht, sogar von denen, die an die Auferstehung an sich nicht glauben. Die Juden legten größten Wert darauf, ihre Toten zu begraben und die Leichen nicht einfach irgendwo verrotten zu lassen.9 Und das ganze 15. Kapitel des 1. Korintherbriefs, einschließlich dieses frühen Resümees des Evangeliums, zeigt uns, dass schon die allerersten Christen die Auferstehung Jesu von den Toten glaubten und verkündeten. Es ist „schwer vorstellbar, dass sich der Glaube an einen auferstandenen Jesus weiterverbreitet hätte, wenn man einfach auf das Grab hätte verweisen können, in dem er immer noch lag“.10
Der zweite Hauptbeleg ist die große Zahl der Augenzeugen, die in verschiedensten Situationen dem auferstandenen Jesus begegnet waren. Wir reden hier nicht von einer einmaligen Begegnung und auch nicht von mehreren Begegnungen, die alle an einem einsamen Ort stattgefunden hätten, wo sie vielleicht hätten inszeniert werden können:
Der auferstandene Jesus soll in Judäa [Mt 28,9; Lk 24,31.36] und in Galiläa [Mt 28,16-20; Joh 21,1-23], in Städten [Lk 24,36] und auf dem Land [Lk 24,15], in Häusern [Lk 24,36] und draußen [Mt 28,9.16; Lk 24,15; Joh 21,1-23], morgens [Joh 21,1-23] und abends [Lk 24,29.36; Joh 20,19], mit Ankündigung [Mt 28,16] und ohne [Mt 28,9; Lk 24,15.34.36; Joh 21,1-23], nah [Mt 28,9; Lk 24,15.36; Joh 21,9-23] und fern [Joh 21,4-8], auf einem Hügel [Mt 28,16] und bei einem See [Joh 21,4], bei Gruppen von Männern [Joh 21,2; 1. Kor 15,5.7] und Frauen [Mt 28,9], bei Einzelpersonen [Lk 24,34; 1. Kor 15,5.7-8] und Gruppen mit bis zu 500 Leuten [1. Kor 15,6], sitzend [in Joh 21,15 impliziert], stehend [Joh 21,4], gehend [Lk 24,15; Joh 21,20-22], essend [Lk 24,43; Joh 21,15] und immer sprechend [Mt 28,9-10.18-20; Lk 24,17-30.36-49; Joh 20,15-17.19-29; 21,6-22] erschienen sein. Viele Erscheinungen sind ausdrücklich Begegnungen von Angesicht zu Angesicht, bei denen miteinander gesprochen wird. Diese Erscheinungsmuster in den Evangelien und den frühchristlichen Briefen sind nur schwer vorstellbar, wenn es nicht eine Vielzahl von Personen gab, die behaupteten, Jesus als von den Toten auferstanden gesehen zu haben.11
Viele haben versucht, diese Augenzeugenberichte wegzuerklären. Die häufigste Theorie ist, dass die Verfasser des Neuen Testaments sie schlicht erfunden haben. Aber hier schreibt Paulus in einem gut bezeugten, frühen Text, dass die meisten der Augenzeugen noch leben, sodass man sie selber fragen kann – eine Aussage, die unmöglich wäre, wenn es die Zeugen gar nicht gäbe. Es ist auch oft darauf hingewiesen worden, dass laut den Evangelien die allerersten Zeugen der Auferstehung Frauen waren. Da in der damaligen patriarchalischen Kultur Frauen vor Gericht nicht als Zeugen zugelassen waren,12 gibt es keinen plausiblen Grund, warum die Evangelisten sich diesen Bericht ausgedacht haben sollten. Die einzige historisch plausible Erklärung, warum die Frauen als Augenzeugen des Auferstandenen erwähnt werden, ist, dass sie es wirklich waren.
Wie bereits erwähnt, gibt es Stimmen, die die Erscheinungen des Auferstandenen als Wunschdenken, Halluzinationen oder ekstatische Visionen der Zeugen erklären. Doch die ganz unterschiedlichen Zeitpunkte und Umstände der Begegnungen machen dies höchst unwahrscheinlich. Wie konnten zum Beispiel fünfhundert Personen auf einmal dieselbe Halluzination haben?13 Und, wie N. T. Wright argumentiert, die jüdische Weltsicht machte es undenkbar, dass ein Einzelner mitten in der Geschichte der Menschheit auferweckt werden konnte. Weder wären die Jünger Jesu auf die Idee gekommen, so etwas zu erfinden, noch wäre anzunehmen, dass andere Juden es ihnen geglaubt hätten. Es brauchte ganz außerordentliche, unwiderlegbare Beweise, um einen Juden des 1. Jahrhunderts dazu zu bringen, alles, was er gelernt hatte, über den Haufen zu werfen und zu glauben, dass Jesus der auferstandene Sohn Gottes sei. Und 1. Korinther 15 liefert genau diese Beweise.
Wir stehen also vor zwei nicht gut zu widerlegenden Tatsachen: dass das Grab Jesu leer war und dass Hunderte von Personen angaben, den auferstandenen Christus gesehen zu haben. Hätten wir nur das leere Grab, könnte man plausibel behaupten, dass jemand den Leichnam gestohlen hatte. Hätten wir nur die Berichte der Augenzeugen, könnten wir behaupten, dass sie sich alles nur eingebildet hatten. Doch zusammengenommen zeigen uns die beiden Befunde, dass hier etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste. N. T. Wright schreibt, dass wir, wenn wir eine Auferstehung ausschließen, vor der höchst schwierigen Aufgabe stehen, eine historisch mögliche Alternativerklärung für das leere Grab und die Augenzeugenberichte sowie für die Entstehung der Kirche zu finden. Er schreibt:
Die frühen Christen haben das leere Grab und die „Begegnungen“ oder „Erscheinungen“ des auferstandenen Jesus nicht erfunden […] Niemand hatte diese Dinge erwartet; keine irgendwie geartete Bekehrungserfahrung hätte solche Vorstellungen hervorgebracht; niemand hätte dies erfunden, egal, wie schuldig (oder vergeben) er oder sie sich gefühlt haben mag; egal auch, wie viele Stunden man über den Schriften gebrütet hätte. Der Vorschlag des Gegenteils heißt aufzuhören, Geschichte zu treiben, und in eine eigene Fantasiewelt abzudriften […]14
Zu diesen beiden fundamentalsten Belegen für die Auferstehung Jesu kommt nun ein dritter, den ich schon in der Einleitung angedeutet habe und der sich aus den Auferstehungsberichten der Evangelien selber ergibt. Wir könnten ihn „die Fremdheit des auferstandenen Jesus“ nennen. In seinen Gifford-Vorlesungen erwähnt John Polkinghorne die erstaunlichen Schwierigkeiten, die die ersten Augenzeugen hatten, den auferstandenen Christus zu erkennen: Wenn jemand damals (oder auch heute) eine Story über einen Auferstandenen frei erfunden hätte, hätte er eine der beiden gängigen Vorstellungen über aus dem Tod Zurückgekehrte aufgegriffen; er hätte die auferstandene Person entweder als „leuchtende himmlische Gestalt“ oder als „wiederbelebte Leiche“ dargestellt.15 N. T. Wright sieht dies genauso. In der jüdischen Apokalyptik gab es Geschichten über „Visionen einer Gestalt in blendendem Licht oder mit greller Ausstrahlung oder in Wolken gehüllt“16. Daniel 12,2-3 lässt die am Ende der Zeiten auferweckten Gerechten „leuchten wie des Himmels Glanz“17, und als König Saul mit dem Geist des verstorbenen Propheten Samuel spricht, erscheint dieser als „Geist“, der aus der Erde heraufsteigt (1. Samuel 28,1318). Wenn die jüdischen Evangelisten die Auferstehung Jesu erfunden hätten, hätten sie sich an diese Vorbilder gehalten und ihn entweder als blendend hell oder als furchterregenden Geist dargestellt. Doch der auferstandene Jesus in den Evangelien sieht völlig undramatisch aus – „als ein Mensch unter Menschen“.19
Wenn die Evangelisten sich den auferstandenen Jesus nicht als göttlich verwandelt bzw. als Geist, sondern als lediglich wiederbelebt vorgestellt hätten (wie vor ihm Lazarus), dann hätte er, so Polkinghornes weitere Argumentation, exakt so ausgesehen wie vor seinem Tod. Niemand scheint Probleme gehabt zu haben, Lazarus nach seiner Auferweckung prompt wiederzuerkennen (vgl. Johannes 11). Doch in den Auferstehungsberichten der Evangelien sieht Jesus „anders“ aus, sodass die Jünger ihn nicht auf Anhieb wiedererkennen. Man kann sich das vielleicht so ähnlich vorstellen wie die zufällige Begegnung mit einem alten Freund aus der Kindheit, den ich seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe. Erst bei genauerem Hinsehen erkenne ich ihn wieder. Jesus hat einen Auferstehungsleib, der definitiv menschlich aussieht, ja an seinen irdischen Leib erinnert (er hat zum Beispiel die Narben von den Kreuzigungswunden, Johannes 20,27), aber der gleichzeitig irgendwie verwandelt ist.
Wright spricht von der „Transphysikalität“ des Auferstehungsleibes Jesu.20 Man kann ihn anfassen, er isst Fisch (Lukas 24,36-43) – aber gleich zwei Mal heißt es, dass er durch verschlossene Türen geht (Johannes 20,19.26). Jesus ist weder ein Geist noch eine strahlende Himmelserscheinung, er hat aber auch keinen „normalen“, lediglich wiederbelebten Leib. Es gab in der gesamten jüdischen und griechisch-römischen Literatur nichts, was die Evangelisten hierfür als Vorlage hätten benutzen können. Wir haben hier eine neue Kategorie vor uns, ein ganz neues Konzept, das weit entfernt ist von allem, was es bisher in einer Religion oder einer Kultur gab. Es war eine völlig neue Art, sich Körper und Geist vorzustellen.
Wright und Polkinghorne halten es beide für extrem unwahrscheinlich, dass jemand, der erfundene Geschichten über die Auferstehung schrieb, den auferstandenen Christus so dargestellt hätte. Das kann sich in dieser Form niemand ausgedacht haben. Polkinghorne kommt zu dem Schluss: „Für frei erfundene Erzählungen wäre dies ein mehr als merkwürdiges Motiv. Ich habe den Eindruck, dass wir hier ganz im Gegenteil vor dem Kern einer echten historischen Erinnerung stehen.“21
Und schließlich finden wir einen vierten Beleg für die Auferstehung in der Geschichte der frühen Kirche. N. T. Wright analysiert die Unerklärbarkeit des Auferstehungsglaubens der