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In den Kapiteln 1-7 des Römerbriefs präsentiert Paulus das Geschenk der unverdienten Gnade Gottes. Timothy Keller erklärt den Brief von Paulus an die Römer. Dabei möchte er bei seinen Lesern die gleiche Begeisterung auslösen, wie sie einst Martin Luther bei der Lektür des Römerbriefs erfasste: Dass sie das Evangelium Jesu Christi von der unverdienten Gnade, die Gott uns schenkt, wirklich begreifen und dass es ihr Leben verändert, wie es Luther mit den Worte beschreibt: " Dann erfasste ich es, dass die Gerechtigkeit Gottes die ist, durch die Gott in Gnade und bloßem Erbarmen uns rechtfertigt. Da fühlte ich mich völlig neugeboren und durch die offenen Türen in das Paradies eintreten." Der Römerbrief ist die systematischste Darstellung des Evangeliums von Jesus Christus, die wir im neuen Testament finden. In den Kapiteln 1-7 des Römerbriefs geht es um das wunderbare Geschenk der Gnade Gottes, das kein Mensch auf der Erde jemals verdient hat. Timothy Kellers Erklärung des Römerbriefs ist kein gelehrter Kommentar sondern eine unverzichtbare Hilfe, um beim eigenen Bibellesen oder in der Gruppe die Gedanken von Paulus und ihre Bedeutung für uns heute verstehen und anwenden zu können.
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Seitenzahl: 269
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TIMOTHY KELLER
Der Römerbrief erklärt KAPITEL 1–7
First published in English by
The Good Book Company as Romans 1-7 For You
© 2014 by Timothy Keller
Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben,im Neuen Testament derNeuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen.
Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.
im Alten Testament der Lutherbibel, revidiert 2017,
© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT)
Sonst:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM
Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen (ELB)
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift
© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart (EÜ)
Dieses E-Book basiert auf der 2. Auflage 2022
© 2019 Brunnen Verlag Gießen
Übersetzung: Friedemann Lux
Lektorat: Frauke Bielefeldt
Umschlagfoto: shutterstock
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
Satz: DTP Brunnen
ISBN Buch: 978-3-7655-0705-2
ISBN E-Book 978-3-7655-7727-7
www.brunnen-verlag.de
Einleitung
Römer 1,1-17
Kapitel 1 Worum es geht: Das Evangelium
Römer 1,18-32
Kapitel 2 Die Heiden brauchen das Evangelium
Römer 2,1-16
Kapitel 3 Die Frommen brauchen das Evangelium (Teil I)
Römer 2,17-29
Kapitel 4 Die Frommen brauchen das Evangelium (Teil II)
Römer 3,1-20
Kapitel 5 Alle brauchen das Evangelium
Römer 3,21-31
Kapitel 6 Diamant auf schwarzem Grund
Römer 4,1-25
Kapitel 7 Abraham und die Rechtfertigung
Römer 5,1-11
Kapitel 8 Der Gewinn für die Gegenwart
Römer 5,12-21
Kapitel 9 Unser Stellvertreter
Römer 6,1-14
Kapitel 10 Mit Christus vereint
Römer 6,15–7,6
Kapitel 11 Diener Gottes
Römer 7,7-25
Kapitel 12 Im Krieg mit der Sünde
Anhang 1 Gliederung von Römer 1–7
Anhang 2 Die Götter des Herzens erkennen
Anhang 3 Die aktuelle Debatte
Bibliografie
Der Brief von Paulus an die Christen in Rom hat immer wieder die Welt verändert, indem er einzelne Menschen umgekrempelt hat.
Ein Mann, den der Römerbrief verändert hat, ist der anglikanische Pastor und Theologe John Stott (1921–2011). Sein Wirken und sein Engagement für die Evangelisation hatten große Auswirkungen auf die Kirche in Großbritannien, den USA und vielleicht sogar noch stärker in den Entwicklungsländern. Er schreibt von seiner
Hassliebe zum Römerbrief mit seinen so freudig-schmerzlichen persönlichen Anfragen … Paulus’ niederschmetternde Ausführungen zur Universalität der menschlichen Sünde und Schuld in Römer 1,18–3,20 befreiten mich von jenem oberflächlichen Evangelisationsverständnis, bei dem es nur um die „gefühlten Bedürfnisse“ der Menschen geht. (The Message of Romans, S. 10)
Fast fünfhundert Jahre zuvor hatte der Römerbrief zwei andere Männer so verwandelt, dass sich die ganze Kirche veränderte. Martin Luther war ein deutscher Mönch, der gelernt hatte, dass Gott von ihm ein rechtschaffenes Leben verlangte, um das Heil zu erlangen. Am Ende hasste er diesen Gott, der erst etwas so Unmögliches von ihm verlangte und ihn dann hängen ließ. Bis ihm eines Tages die Bedeutung von Römer 1,17 aufging: „Denn im Evangelium zeigt uns Gott seine Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit, zu der man durch den Glauben Zugang hat; sie kommt dem zugute, der ihm vertraut.“ Hören wir Luther selbst:
Mit brennendem Eifer verlangte es mich, Paulus im Römerbrief zu erkennen, und nichts stand im Wege als der einzige Ausdruck: „die Gerechtigkeit Gottes“, denn ich vermeinte, er bedeute die Gerechtigkeit, nach der Gott gerecht ist und gerecht handelt, indem er die Ungerechten bestraft. Meine Lage war so, dass ich, obwohl als Mönch untadelig, vor Gott stand als ein Sünder mit unruhigem Gewissen … Daher liebte ich Gott, den gerechten und die Sünder strafenden, nicht, sondern hasste ihn vielmehr und murrte gegen ihn … Dann erfasste ich es, dass die Gerechtigkeit Gottes die ist, durch die Gott in Gnade und bloßem Erbarmen uns rechtfertigt. Da fühlte ich mich völlig neugeboren und durch die offenen Türen in das Paradies eintreten. Die ganze Schrift gewann ein neues Aussehen, und wenn vorher die „Gerechtigkeit Gottes“ mich mit Hass erfüllt hatte, so wurde sie mir jetzt unaussprechlich süß und liebenswert. (Vorrede zu Bd. I d. lat. Schriften d. Wittenberger Luther-Ausgabe, 1545, zitiert nach Bainton)
Luthers Durchbruch führte zur Wiederentdeckung des Evangeliums in Deutschland und Europa und damit zur Reformation. Ein anderer großer Theologe und Pastor dieser Reformation, der Franzose Johannes Calvin, der u. a. in Genf wirkte, nannte den Römerbrief den
Zugang selbst zu den verborgensten Schätzen der Schrift … Wir möchten diese Kapitel [Röm 1–5] so zusammenfassen: Es gibt für die Menschen nur eine Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit Gottes in Christus, insofern sie vom Evangelium angeboten und durch den Glauben ergriffen wird. (Brief an die Römer, S. 27)
Luther wie Calvin machten reichlich Gebrauch von den Schriften des Kirchenvaters Augustinus, der im 4. Jahrhundert Bischof von Hippo in Nordafrika war (heute Algerien). Seine Mutter war Christin, aber als junger Mann kehrte er ihrem Glauben den Rücken, suchte die Wahrheit anderswo, lebte nach eigenem Gutdünken und zeugte ein uneheliches Kind. Doch dann hörte er in Mailand die Predigten von Bischof Ambrosius, einem großen Mann der damaligen Kirche. Was er hier hörte, erschütterte ihn zutiefst. Schließlich kam es zu seiner berühmten Bekehrung in einem Mailänder Garten:
Und da, plötzlich, höre ich die Stimme aus dem Nachbarhaus, wie die eines Kindes, ich weiß nicht, ob eines Jungen oder eines Mädchens, die im Singsang ausruft und oft wiederholt: „Nimm und lies, nimm und lies!“ … Deswegen eilte ich erregt zu dem Platz zurück …, denn dort hatte ich das Buch mit den Paulusbriefen hingelegt, als ich aufstand. Ich riss es an mich, schlug es auf und las still für mich den Abschnitt, auf den zuerst mein Auge fiel: „Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und im Bett, nicht in Streit und Neid, sondern zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt euch nicht um das Fleisch und seine Begierden“ (Röm 13,13-14). Weiter wollte ich nicht lesen; es war nicht nötig. Denn sofort, als ich den Satz zu Ende gelesen hatte, strömte das Licht der Gewissheit in mein Herz; jegliche Finsternis des Zweifels war verschwunden. (Bekenntnisse, 8. Buch, Kap. XII)
So benutzte Gott den Römerbrief, um den möglicherweise einflussreichsten Christen und Theologen zwischen Paulus und Luther zum Glauben zu führen.
Was ist es am Römerbrief, das wiederholt Menschenleben und sogar den Gang der Geschichte verändert hat? Nun, das große Thema des Römerbriefes ist das Evangelium. Paulus schrieb um 57 n. Chr. an die Christen in Rom, weil er wollte, dass sie das Evangelium verstanden und seine befreiende Kraft in ihrem persönlichen Leben erfuhren. Den Brief verfasste er wohl während seiner dritten Missionsreise, als er in Korinth weilte. Er war seinen Adressaten noch nie begegnet, wollte dies aber bald nachholen. In der Gemeinde in Rom scheint es Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen gegeben zu haben. Aber obwohl Paulus diese Christen nicht persönlich kannte, wusste er genau, was sie am dringendsten hören mussten: das Evangelium.
Wie Luther und Calvin so kraftvoll beschreiben, erklärt dieses „Evangelium Gottes“ (Röm 1,1, ELB u. a.; NGÜ: „Botschaft“) die Gerechtigkeit Gottes. Es ist die Botschaft, dass sich die Vollkommenheit und Heiligkeit Gottes im Leben und Sterben Jesu Christi gezeigt hat und uns nun als Geschenk angeboten wird. Das ist die gute Botschaft des Römerbriefes und wir werden noch sehen, wie Paulus uns nicht nur zeigt, wie Gott durch das Evangelium Sünder gerecht macht, sondern auch, wie dieses kostbarste Geschenk Gottes in unserem Leben Wirklichkeit werden kann – wie es unser Verhalten und unser ganzes Wesen zutiefst verändern kann.
Wenn wir heute diesen Brief lesen und über ihn nachdenken, sollten wir uns darauf gefasst machen, dass Gottes Geschenk der Gerechtigkeit wie bei so vielen anderen auch unser Herz packt und unser Leben verändert. Der Römerbrief stellt uns vor die Frage: Bin ich schon wie Luther zur Freiheit durchgebrochen, die das Evangelium mit sich bringt, sowohl für meine Zukunft als auch für meinen Alltag heute?
Der Römerbrief ist wahrscheinlich das meistkommentierte Buch der ganzen Bibel. Sein Aufbau und seine Botschaft sind im Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder Gegenstand theologischer Debatten gewesen. Im Anhang finden Sie eine detaillierte Gliederung der ersten sieben Kapitel des Römerbriefs, die Ihnen hilft, seinen Gedankengang und die Logik von Paulus besser zu verstehen. Außerdem gibt es einen Anhang über die biblische Sicht von Götzendienst, die für Paulus’ Ausführungen über Sünde und Gerechtigkeit in den Kapiteln 1–3 zentral ist, sowie eine kurze Darstellung und Bewertung der neueren Debatten über Adressaten und Botschaft des Römerbriefes.
Dieses Buch beansprucht nicht, das letzte Wort über den Römerbrief zu sein. Es ist keine erschöpfende Darstellung und auch kein Kommentar im eigentlichen Sinne; es gräbt nicht so tief wie ein Kommentar und diskutiert auch nicht die frühere und aktuelle Forschung. Es ist eine Einführung in den Römerbrief, die mit dem Bibeltext umgeht und zeigen will, was er uns heute zu sagen hat. Mein Gebet ist, dass es Ihnen zu einem ähnlichen „Durchbruch“ verhelfen wird wie Luther, sei es in Ihrem Erkennen des Evangeliums oder Ihrer gelebten Erfahrung – oder beidem.
Römer 1,1-17
Der Römerbrief ist im Kern ein Brief über das Evangelium. Er ist von einem Mann verfasst, dessen Leben und Wirken sich ganz um das Evangelium drehte und gezeigt hat, welchen Unterschied es macht. So ist es keine Überraschung, dass sich auch die Einleitung des Briefes ganz dem Evangelium widmet.
Wie in der Antike allgemein üblich beginnt der Brief mit der Vorstellung des Verfassers. Er heißt „Paulus“ und er ist vor allem und zuerst ein Christ – „ein Diener Jesu Christi“ (V. 1). „Diener“ heißt hier wörtlich „Sklave“ (griech. doulos). Paulus hat wie jeder Christ einen Herrn; er steht unter der Autorität eines anderen. Zweitens ist er von Gott „zum Apostel berufen“ (V. 1). Er ist ein apostolos – ein „Gesandter“. Paulus hat sich diese Tätigkeit nicht selbst ausgesucht, sondern ist „berufen“ worden; der auferstandene Jesus persönlich hat ihn beauftragt (vgl. Apg 9,1-19). Christus selbst hat ihn als Lehrer des Evangeliums bevollmächtigt. Was er schreibt, ist Wort Gottes. Was jetzt folgt, ist wahr.
Aber warum hat Gott Paulus zu seinem Apostel berufen? Weil er ihn „dazu bestimmt [hat], seine Botschaft bekannt zu machen“ (Röm 1,1). Wörtlich: Er hat ihn „ausgesondert für das Evangelium Gottes“ (ELB u. a.). Paulus ist von Gott freigestellt worden, um das Evangelium zu verbreiten und sein Leben diesem einen großen Ziel zu widmen. Dieser Botschaft wird Paulus den Rest seines Lebens dienen (wie ein Sklave); sie ist das Glück seines Lebens (V. 9,11.15). Für Paulus ist dieses Evangelium etwas so Großes, dass er bereit ist, auf alles andere zu verzichten (Reichtum, Familie, Ruhm, Freunde, Sicherheit usw.), um seiner Berufung treu zu bleiben.
Was ist dieses „Evangelium“, dem Paulus so gerne dient? Was für eine Botschaft macht ihn bereit, mit Freuden alles andere aufzugeben, um sie unter die Leute zu bringen? Bedenken wir als Erstes die Bedeutung des Wortes Evangelium (von griech. euangelion). Ein euangelos ist ein „guter Herold“. Wenn zu Paulus’ Zeiten ein König einen großen Sieg errungen hatte, der ihm Frieden und Herrschaft sicherte, sandte er Herolde (griech. angeloi) aus, die diese Nachricht verbreiteten. Auf den einfachsten Nenner gebracht ist das Evangelium also eine Bekanntmachung, Proklamation oder feierliche Erklärung. Es ist kein guter Ratschlag, sondern eine gute (eu) Nachricht (angelion) über etwas, das passiert ist.
Der Apostel Paulus ist der „Herold“ dieser Nachricht. Das erinnert uns daran, dass dieses Evangelium nicht von ihm stammt und er keine Urheberschaft beansprucht. Es stammt „von Gott“ (V. 1) und weder Paulus damals noch wir heute haben das Recht, es zu verändern, um es gesellschaftlich attraktiver oder persönlich angenehmer zu machen.
Dieses Evangelium ist nichts Neues, sondern etwas, das Gott „schon vor langer Zeit durch seine Propheten in der Heiligen Schrift angekündigt hatte“ (V. 2). Das ganze Alte Testament handelt davon. Alle „Schriften“ sind Wegweiser zu dieser Bekanntmachung. Sie sind das Podium, auf dem Paulus als der Herold Gottes steht. Jede Seite, die Gott in seinem Wort bisher geschrieben hat, war eine Vorarbeit zu dem fertigen Werk, das er jetzt verkündet.
Der Inhalt des Evangeliums ist „sein Sohn“ (V. 3). Im Evangelium geht es um Jesus. Es handelt von einer Person, nicht von einem Begriff; und es handelt von Jesus, nicht von uns. Wir werden das Evangelium erst dann verstehen, wenn uns klar geworden ist, dass es im Grunde keine Botschaft über unser Leben, unsere Träume und Hoffnungen ist. Das Evangelium redet davon und wirkt sich darauf aus – aber nur, weil es nicht um uns geht. Es ist eine Erklärung über Gottes Sohn, den Menschen Jesus. Dieser Sohn war:
ganz Mensch:
„seiner irdischen Herkunft nach“
(V. 3).
die Erfüllung der Verheißungen in der Schrift: Er war ein Nachkomme
„von David“
(V. 3), der tausend Jahre zuvor König über Israel war. Gott hatte David verheißen, dass er aus seinen Nachkommen den endgültigen, letzten, weltweiten König kommen lassen würde – den Messias (vgl. 2. Sam 7,11-16). Davids eigenes Leben – seine Herrschaft, sein Leid und seine Herrlichkeit – war in vieler Hinsicht eine Vorschattung, die auf das Leben seines großen Nachkommen hinwies (vgl. Psalmen 2, 22 und 110).
göttlich: Ihm ist,
„nachdem er von den Toten auferstanden ist … die Macht gegeben worden, die ihm als dem Sohn Gottes zukommt“
(Röm 1,4). Paulus meint hier nicht, dass Jesus erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes wurde, sondern verbindet zwei große Wahrheiten über die Auferstehung: Das leere Grab ist die große Proklamation, wer Jesus ist; die Auferstehung beseitigt auch den letzten Zweifel daran, dass er der Sohn Gottes ist. Und seine Auferstehung und Himmelfahrt waren sein Weg zu dem Ehrenplatz, der ihm zukommt – dass er zur Rechten Gottes sitzt (Eph 1,19b-22), dass er „unvergleichlich hoch erhöht“ ist und den Namen bekommen hat, „der bedeutender ist als jeder andere Name“, um dessentwillen sich „einmal alle vor ihm auf die Knie werfen“ (Phil 2,9-10). Gottes Sohn ist in Demut Mensch geworden, hat Armut und Ablehnung erfahren und ist machtlos am Kreuz gestorben. An der Auferstehung sehen wir ihn nun als den Sohn Gottes in
„Macht
“.
Erst am Anfang von V. 5 (andere Übersetzungen: Ende von V. 4) nennt Paulus diesen Gottessohn mit Namen: „Jesus Christus, unseren Herrn“. Gottes Sohn ist Jesus – die griechische Version des hebräischen Yeshua/Joshua („Gott wird retten“). Jesus ist die Erfüllung all dessen, was Gott „schon vor langer Zeit … angekündigt hatte“ (V. 2). Er ist der Christus (Messias), der Gesalbte, den Gott zum Herrscher über sein Volk ernannt hat. Und er ist unser Herr – Gott selbst. Das Evangelium ist beides: die Proklamation der herrlichen Herrschaft Jesu und die Einladung an uns, uns unter diese Herrschaft zu begeben und ihn zu unserem Herrn zu machen.
Das ist also das Evangelium, das Paulus predigt. Er hat „Gnade zum Apostel“ bekommen (V. 5), d. h., er hat den Auftrag zum Apostel bekommen und die Kraft („Gnade“) dazu, diesen Auftrag auszuführen. Paulus ist ein Apostel „für alle Völker“ (Luther: „Heiden“). Das Evangelium richtet sich zunächst einmal an Gottes altes Volk, die Juden, aber nicht nur an sie: Gott hat Paulus beauftragt, die Botschaft von seinem Sohn denen zu bringen, die keine Juden sind. Er hat ihn „als Werkzeug ausgewählt, damit er meinen Namen in aller Welt bekannt macht – bei den nichtjüdischen Völkern und ihren Herrschern ebenso wie bei den Israeliten“ (Apg 9,15).
Das Evangelium ruft dazu auf, „an Jesus [zu] glauben … damit auf diese Weise sein Name geehrt wird“ (Röm 1,5). Wörtlicher übersetzt ist es ein Aufruf zum „Glaubensgehorsam unter allen Nationen“ (ELB). Der Römerbrief wird uns erklären, was das bedeutet. Hier schon zwei Dinge vorab:
Dieser Aufruf bedeutet nicht, dass die Völker erst den rechten Glauben haben und gehorchen müssen, um gerettet zu werden, also quasi als Vorbedingungen für die Versöhnung mit Gott. Hier handelt es sich um einen Gehorsam, der aus dem Glauben kommt, d. h. aus dem aufrichtigen Vertrauen auf Jesus, Gottes Sohn. Der Gehorsam fließt aus dem Glauben; er ist seine Folge und keine zweite Vorbedingung für die Erlösung.
Doch dieser Aufruf bedeutet auch, dass echter Glaube in unserem Herzen zum Gehorsam in unserem Leben führt. Das Evangelium ist die Deklaration, dass Jesus der verheißene König und auferstandene und mächtige Sohn Gottes ist, der uns in den Segen seiner Herrschaft einlädt. Wir werden noch genauer sehen, warum wir diese Einladung brauchen, wie sie möglich ist und wie wunderbar die Herrschaft Jesu ist. Hier geht es zunächst einmal nur darum, dass echter Glaube der Glaube an einen göttlichen König ist, dem wir Gehorsam schulden und dem wir (wie Paulus) dienen. Wer diesem König wirklich vertraut, der wird ihm gerne folgen. Wie der große Reformator Martin Luther es ausgedrückt hat: „Wir sind allein durch den Glauben erlöst, aber der Glaube, der erlöst, bleibt nie allein.“ Der Glaube führt zum dankbaren, freudigen, vertrauensvollen Gehorsam.
Dieses Leben im Glaubensgehorsam betrifft „auch euch“, die Gemeinde in Rom. In V. 6-7 beschreibt Paulus diese Christen mit vier wunderbaren Attributen: Sie sind „von Jesus Christus berufen“, „von Gott geliebt“, „gehören zu seinem heiligen Volk“ (wörtlich: „sind für Gott reserviert“) und sie haben „Gnade und Frieden von Gott, unserem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn“.
Paulus möchte „meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle danken, denn in der ganzen Welt spricht man von eurem Glauben“ (V. 8). Er ist noch nie dort gewesen, aber er hat viel über sie gehört. Er betet regelmäßig für sie (V. 9-10) und eines seiner Anliegen ist, dass er sie endlich persönlich besuchen kann (V. 10).
Warum möchte Paulus diese Gemeinde besuchen, die doch ganz offensichtlich bereits im Glaubensgehorsam lebt und für die er auch aus der Ferne beten und danken kann? „Denn ich sehne mich danach, euch … etwas von dem, was Gottes Geist mir geschenkt hat, weiterzugeben, damit ihr in eurem Glauben gestärkt werdet“ (V. 11). Er möchte seine Fähigkeiten in Predigt und Seelsorge einsetzen, damit diese Christen ermutigt werden (V. 12), und auch seinerseits von ihnen ermutigt werden: „damit wir … durch unseren Glauben gegenseitig ermutigt werden, ich durch euch und ihr durch mich“ (V. 12).
Das ist erstaunlich! Wenn schon der große Apostel Paulus die Ermutigung durch andere Christen gesucht hat – und zwar die Ermutigung durch ihren Glauben –, wie viel mehr sollten wir es ihm gleichtun! In V. 11-12 bekommen wir eine erste Ahnung davon, was dieser Gehorsam aus dem Glauben ist: Wir gehorchen Christus, indem wir die Demut haben, seinen Leuten zu dienen und uns von ihnen dienen zu lassen. V. 11 ist eine Aufforderung, die Gaben, die Gott uns in seiner Gnade gibt, dazu einzusetzen, andere Christen in ihrem Glauben zu stärken, und V. 12 fordert uns auf, uns von dem Glauben und den Gaben dieser anderen selbst aufbauen zu lassen. Eigentlich sollte es nie vorkommen, dass wir aus den Versammlungen unserer Gemeinde, in denen wir doch von geliebten Glaubensgeschwistern umgeben sind, nach Hause gehen, ohne uns im Glauben ermutigt zu fühlen.
Aber wie können wir diese Ermutigung im wirklichen Leben erfahren, Sonntag für Sonntag und jede Woche neu? Indem wir uns immer wieder daran erinnern, dass Gott erklärt hat, dass Jesus sein Sohn ist. Dass er ihn mit Macht auferweckt hat, damit er in Macht regieren kann, und dass wir durch den Glauben an ihn seine Gnade und seinen Frieden bekommen. Immer wenn wir uns mit anderen Christen treffen, sind wir mit Menschen zusammen, die sagen: „Jawohl, das ist wahr!“ und: „Es ist wunderbar!“ In der Gemeinde sehen wir überall um uns herum den Glauben und den daraus entspringenden Gehorsam. Wir erleben, wie Christen ihre Gaben für die anderen einsetzen, und wir können unsere eigenen Gaben für sie einsetzen. Das gibt uns Mut und neue Kraft.
Was fehlt von dem Evangelium, an das Sie glauben, wenn Sie vernachlässigen oder herunterspielen, dass Gottes Sohn „Jesus“ bzw. „Christus“ bzw. „der Herr“ ist? Kommt es vor, dass Sie in Ihrem Leben und Denken eine dieser Facetten nicht genügend berücksichtigen?
Wo kommt in Ihrem Leben der „Gehorsam aus dem Glauben“ zum Ausdruck?
Was wäre anders, wenn Sie sich das nächste Mal im Gottesdienst bewusst vornähmen, andere Gemeindeglieder zu ermutigen? Lassen Sie sich selbst vom Glauben und den Worten anderer Mut machen?
Paulus hat noch einen zweiten Grund für seine Reisepläne, der mit dem ersten Grund (Ermutigung) zusammenhängt: „Ich möchte nämlich, dass meine Arbeit auch bei euch in Rom Früchte trägt, genauso wie es bei den anderen Völkern der Fall ist“ (V. 13).
Diese Ernte dürfte zwei Aspekte haben: Zum einen hofft Paulus auf Früchte innerhalb der Gemeinde in Rom – wie im Gleichnis Jesu von der Saat, wo die Menschen, die das Wort Gottes hören und aufnehmen, Frucht bringen („dreißigfach, sechzigfach und hundertfach“, Mk 4,20). Doch die nächsten Verse in Römer 1 zeigen, dass Paulus auch eine Ernte außerhalb der Gemeinde einfahren will. Wie Jesus seinen Jüngern sagte: „Die Ernte ist groß, doch es sind nur wenig Arbeiter da. Bittet deshalb den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter auf sein Erntefeld schickt!“ (Mt 9,37-38). Paulus kommt nach Rom, um zu ermutigen und das Evangelium zu verkünden.
Paulus weiß sich den Menschen „verpflichtet“ (Röm 1,14; ELB: er „schuldet“), Griechen wie Nichtgriechen, Gebildeten wie Ungebildeten, egal welchen ethnischen Hintergrunds oder Bildungsniveaus. Aber er hat die Christen und erst recht die Bevölkerung Roms noch nie gesehen; was sollte er ihnen da schuldig sein? Überlegen wir einmal, wie ich in Ihrer Schuld stehen könnte: Wenn Sie mir 100 Dollar geliehen haben, schulde ich Ihnen dieses Geld so lange, bis ich es zurückgezahlt habe. Aber es kann auch sein, dass jemand anders mir 100 Dollar gibt, die ich an Sie weitergeben soll. Auch dann schulde ich Ihnen das Geld, bis ich es Ihnen ausgezahlt habe. In diesem zweiten Sinn sieht sich Paulus allen Menschen an allen Orten verpflichtet. Gott hat ihm das Evangelium offenbart und ihm aufgetragen, es an andere weiterzugeben.
So ist Paulus den Menschen das Evangelium schuldig. V. 14 und V. 5 zeigen seine Motivation für sein Zeugnis: Zunächst einmal geht es darum, dass „sein [Jesu] Name geehrt wird“ (V. 5). Das Evangelium erklärt, dass Jesus der mächtige, rettende König ist. Mit diesem Status verdient er Ehre. Sein Sterben und Auferstehen verdienen Ehre. Und er wird dadurch geehrt, dass wir ihn als „unseren Herrn“ anerkennen. Paulus verkündet das Evangelium um Jesu willen.
Doch er verkündet es auch um der Menschen willen. Wer das Evangelium braucht und warum, werden wir in den ersten drei Kapiteln des Römerbriefs erfahren. Römer 1,14 zeigt uns schon einmal den brennenden Wunsch des Apostels, die Schuld zu begleichen, in der er steht, indem er die Botschaft des Evangeliums weitergibt, die er von Gott empfangen hat. Weil Jesus ihm lieb und teuer ist und weil die Menschen ihm lieb und teuer sind, ist es sein großer Wunsch, „auch euch in Rom die Botschaft des Evangeliums zu verkünden“ (V. 15). Alle Menschen brauchen das Evangelium – sowohl die in der Gemeinde als auch die, die noch draußen sind. Durch das Evangelium werden Menschen zum Glauben gerufen und können im Glauben wachsen.
Wir haben nicht den speziellen Missionsauftrag von Paulus. Aber auch uns hat der Herr aufgetragen, hinauszugehen: „Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19-20). Menschen in den Glaubensgehorsam zu rufen ist ein Auftrag, der allen Christen gilt, denn „mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben“ (Mt 28,18).
Doch in jeder Zeitepoche ist es auch möglich, sich des Evangeliums zu „schämen“ (Röm 1,16), anstatt es engagiert weiterzugeben. Das griechische Wort für „schämen“ bedeutet auch „sich angegriffen fühlen“. Wie kann man das Evangelium so empfinden?
Dass unsere Erlösung gratis und unverdient sein soll, ist eine echte Zumutung! Das bedeutet ja, dass wir vor Gott solche Nieten sind, dass wir rein nichts tun können, um uns die Erlösung zu verdienen. Für fromme, hochmoralische Menschen, die glauben, dass sie „besser“ sind als die anderen, ist das eine glatte Beleidigung.
Ebenfalls anstößig ist, dass Jesus für uns sterben musste. Wir sind also so schlecht, dass nur der Tod des Sohnes Gottes uns retten konnte. Davon wollen der moderne Individualismus und der Glaube an das Gute im Menschen nichts hören.
Dass es nicht ausreicht, sich anzustrengen und fromm zu sein, besagt außerdem, dass nicht die „anständigen“ Menschen gerettet werden, sondern nur die, die durch Jesus zu Gott kommen. Das steht der modernen Ideologie entgegen, dass jeder, der nur guten Willens ist, „seinen eigenen Weg zu Gott finden kann“. Wir wehren uns dagegen, unsere Autonomie (Selbstbestimmung) zu verlieren.
Das Evangelium sagt uns, dass wir durch Jesu Leiden und Dienen (und nicht Erobern und Herrschen) erlöst sind und dass Nachfolge bedeutet, zusammen mit ihm zu leiden und zu dienen. Das stößt alle vor den Kopf, die von einer angenehmen Erlösung träumen, die ihnen ein sorgenfreies Leben beschert.
Doch Paulus schämt sich dieses so anstößigen Evangeliums nicht. In V. 16-17 finden wir seine Kurzfassung des Evangeliums – seine zentrale These, aus der sich der ganze Brief entwickelt.
Erstens schämt er sich des Evangeliums nicht, weil es „die Kraft Gottes“ ist (V. 16). Paulus vergleicht öfter bloße Worte und echte Kraft (vgl. z. B. 1Kor 4,20). Hier sagt er, dass das Evangelium nicht nur ein Begriff oder eine Philosophie ist, sondern Wort und Kraft in sich vereint. Die Botschaft des Evangeliums ist, was Gott für uns getan hat und noch tun wird; darum ist es eine Kraft. Paulus sagt nicht, dass es Kraft bringt oder Kraft hat, sondern eine Kraft ist. Die Botschaft des Evangeliums ist die Kraft Gottes in verbaler, kognitiver (verstandesmäßiger) Form. Es richtet Menschen auf, es verändert und verwandelt. Überall dort, wo man es predigt oder erklärt oder darüber nachdenkt, wird seine Kraft freigesetzt.
Der syrische Bischof Theodoret hat das Evangelium im 5. Jahrhundert einmal mit einer Pfefferschote verglichen: „Eine Pfefferschote fühlt sich von außen kalt an … Doch der Mensch, der in sie hineinbeißt, verspürt alsbald ein brennendes Feuer.“ So ähnlich könne das Evangelium auf den ersten Blick wie eine interessante Theorie oder Philosophie aussehen, aber sobald wir es in uns aufnehmen, stoßen wir auf seine Kraft.
Was macht diese Kraft? Sie ist die Kraft Gottes, „die jedem, der glaubt, Rettung bringt“ (Röm 1,16). Die Kraft des Evangeliums zeigt sich in seiner Fähigkeit, unser Denken und Fühlen, unsere Beziehungen usw. komplett zu verändern. Am stärksten zeigt sie sich darin, dass sie das tut, was keine andere Kraft auf Erden schafft: uns zu erlösen, mit Gott zu versöhnen und uns eine ewige Heimat in Gottes Reich zu schenken.
Alles, was man für diese Erlösung braucht, ist Glaube: Das Evangelium gilt „jedem, der glaubt“ (V. 16). Hier haben wir zum ersten Mal die ausdrückliche Aussage, dass der einzige Weg, das Evangelium und seine Kraft zu empfangen, Glaube ist. Glaube ist der Zugang zur Kraft des Evangeliums, ähnlich wie ein Lichtschalter eine Glühbirne mit der Stromquelle verbindet.
Man beachte, was Paulus hier sagt: Die Kraft des Evangeliums ist gleichzeitig begrenzt und unbegrenzt. Es gilt allen Menschen; durch Jesus kam es zuerst zu den Juden, aber es gilt auch den Nichtjuden. Aber eine Grenze gibt es: Das Evangelium gilt „jedem, der glaubt“.
Was gibt dem Evangelium diese lebensverändernde Kraft? „Denn im Evangelium zeigt uns Gott seine Gerechtigkeit“ (V. 17).
Was heißt „Gerechtigkeit“ hier? Wir kommen der Bedeutung auf die Spur, wenn wir an die Redewendung denken, dass zwischen mir und einem anderen Menschen oder einer Institution (z. B. meinem Chef, der Polizei oder dem Nachbarn) alles „recht“ ist (im Sinne von: „okay“, „in Ordnung“). Es geht um meine Position: Ich habe einen guten Leumund, keine unbeglichenen Schulden, keine unerfüllten Verpflichtungen. Ich bin dem anderen „recht“, weil bei mir nichts vorliegt, was die Beziehung trüben könnte. Der andere hat nichts gegen mich.
Mit der „Gerechtigkeit Gottes“ könnte Gottes gerechtes Wesen gemeint sein. Er ist ja vollkommen gut und heilig, ohne jeden Makel oder Fehler. Aber Paulus redet hier nicht von einer Gerechtigkeit, die Gott hat, sondern die von ihm kommt. Entsprechend hat Luther übersetzt mit „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. Das ist eine unglaubliche Botschaft, wie das Wort für „zeigt“ („offenbart“, ELB, LUT u. a.) ausdrückt: Kein Mensch würde diese Gerechtigkeit kennen, finden oder auch nur vermuten, wenn Gott sie uns nicht in seinem Wort offenbart hätte. Dass es zwischen mir und Gott „recht“ ist, ist das Angebot, das Gott selbst mir durch seinen Sohn macht.
Das ist die Bedeutung der Formulierung in der Mitte von V. 17 (ELB: „aus Glauben zu Glauben“). Die NGÜ übersetzt: „eine Gerechtigkeit, zu der man durch den Glauben Zugang hat; sie kommt dem zugute, der ihm vertraut“. Eine mögliche Variante wäre: „eine Gerechtigkeit, die von Anfang bis Ende auf den Glauben gegründet ist“ (vgl. engl. Übersetzungen). Es ist nicht so, dass wir erst durch den Glauben gerecht werden und anschließend diesen Status durch unsere guten Werke aufrechterhalten müssten. John Stott erklärt diesen Ausdruck so:
Gottes Treue [zu seinen Verheißungen und im Leben und Tod Jesu Christi] kommt immer zuerst und unsere Treue ist lediglich eine Antwort darauf. (The Message of Romans, S. 64)
Machen wir uns bewusst, wie viel mehr uns hier verheißen wird als bloß die Vergebung der Sünden. Viele glauben ja, dass Jesus nur gestorben ist, um uns zu vergeben. Unsere Schuld lag auf ihm und wenn wir an ihn glauben, begnadigt Gott uns. Das ist völlig richtig, aber es ist nur eine Hälfte der Erlösung. Wenn das alles wäre, was Jesus getan hat, würde lediglich unser moralisches Konto von einem riesigen Minusbetrag auf null zurückgesetzt und es wäre nun an uns, uns neue Positivpunkte zu erarbeiten. Hier korrigiert Paulus uns: Wir haben mehr als Vergebung bekommen; wir sind vor Gott gerecht geworden.
Wir sind nicht nur begnadigt worden, sodass wir nicht mehr im Gefängnis auf unsere Hinrichtung warten müssen. (Dann wären wir zwar frei, aber es läge an uns, was wir aus dieser Freiheit und aus unserem Leben machen.) Im Evangelium entdecken wir, dass Jesus uns erst aus der Todeszelle herausgeführt und uns dann das Bundesverdienstkreuz um den Hals gehängt hat! Wir werden wie Helden willkommen geheißen, die Großtaten vollbracht haben.
Auf diese Weise kommen wir also mit Gott in Ordnung und so ist es immer schon gewesen (vgl. Röm 4). In V. 17 sagt Paulus am Ende: „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben“ (LUT; ein Zitat aus Habakuk 2,4). Was heißt das: „durch seinen Glauben leben“ (oder: „als Glaubender leben“)? Schauen wir uns dazu am besten an, wie es ist, wenn die Menschen (auch Christen) nicht aus dem Glauben heraus leben. An der Wurzel jeder Sünde und jedes Problems liegt der Unglaube, die Ablehnung des Evangeliums. „Unmoralische“ wie „Anständige“ lehnen das Evangelium ab und versuchen, sich selbst zu erlösen:
Der Mensch, der von Regeln, Religion und Gott nichts wissen will, rebelliert im Grunde gegen das Evangelium: Er weigert sich, zu glauben, dass er so sündig ist, dass nur Jesus ihn retten kann.
Der moralistische Mensch, der seine Dosis Religion geschluckt hat und anschließend entweder von Angst geplagt wird (weil er merkt, dass er die Messlatte nie erreichen kann) oder stolz die Brust schwellt (weil er glaubt, die Messlatte zu schaffen), weigert sich ebenfalls, an das Evangelium zu glauben – dass er so sündig ist, dass nur Jesus ihn retten kann.
Wenn Christen sündigen, gehört dazu immer auch, dass sie vergessen, dass sie sich nicht selbst erlösen können. Wenn wir verbittert sind, dann deshalb, weil wir vergessen haben, dass wir ja erlöst sind und das rein aus Gnade – wie könnten wir da anderen Menschen gegenüber ungnädig sein? Wenn wir aus Angst zu viel arbeiten oder wegen unseres Versagens in Depression versinken, dann haben wir vergessen, dass wir uns unsere Gerechtigkeit nicht selbst verdienen können, aber in Gottes Augen bereits gerecht sind.
Das Evangelium wird immer anstößig sein, weil es uns zeigt, wie bedürftig wir sind und dass wir uns nicht selbst aus dem Sumpf ziehen können. Wir werden immer versucht sein, uns für diese Botschaft zu schämen. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass sie die Kraft Gottes ist. Das Evangelium zeigt und schenkt uns Gottes Gerechtigkeit. Diese Erkenntnis verkehrt unsere Einstellung zum Weitergeben des Evangeliums ins Gegenteil: Aus Scham wird Begeisterung. Wenn wir die Wahrheit, das Wunder und die Kraft des Evangeliums so tief erfasst haben, dann werden wir vom Evangelium so begeistert, dass wir es nicht verkünden, weil wir halt müssen oder sonst ein schlechtes Gewissen bekommen, sondern weil wir es wollen und gerne tun, „damit auf diese Weise sein Name geehrt wird“