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In der Sternenbrücke halten die 'Schwarzen Weissen', die den Terranern das Erbe der Mysterious streitig machen wollen, die Männer der POINT OF noch immer in Atem. Während Ren Dhark sich auf die Suche nach Erron-3 begibt, stößt Colonel Huxley im verwüsteten System der Nogk am Rande der Milchstraße auf unheimliche schwarze Raumschiffe - die Schatten sind da!
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Seitenzahl: 529
Ren Dhark
Classic-Zyklus
Die große SF-Saga von Kurt Brand
Band 13
Durchbruch nach Erron-3
Inhalt
Titelseite
Vorwort
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
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Ren Dhark Classic-Zyklus
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Impressum
Vorwort
Was im vorangegangenen Band 12 der Ren-Dhark-Buchausgabe begonnen hat, setzt sich im vorliegenden Buch fort: die Suche nach den Mysterious und der Konflikt mit den »Schwarzen Weißen« – beides Themen, die uns auch weiterhin begleiten werden.
Darüberhinaus wird in diesem Band dem wohl faszinierendsten und beliebtesten Fremdvolk der Serie breiter Raum gewidmet: den Nogk, die mit der ihnen eigenen Geschwindigkeit und Konsequenz ein fast schon als wahnwitzig zu bezeichnendes Unternehmen vorantreiben. Im Umfeld der Nogk manifestiert sich auch erstmals eine Gefahr, die für die Erde zu einer ebensolchen Bedrohung werden könnte, wie sie die »Schwarzen Weißen« darstellen.
Und natürlich sind auch »Drei Männer und ein Robothund« wieder mit von der Partie…
Nachzutragen blieben wie immer die Titel und Verfasser der Originalromane, die überarbeitet und teilweise gekürzt in dieses Buch eingeflossen sind: Die Hypnosperre, Durchbruch nach Erron-3 und Transmitter-Straßen von Kurt Brand sowie SOS aus dem Spiralarm und Die Heimat im Nichts von Staff Caine (alias Hermann Werner Peters).
Gerd Rottenecker
Prolog
Frühjahr 2057. Für die Erde und die Welten des terranischen Einflußbereichs ist die Zeit der turbulenten Ereignisse, die vor mehr als einem Dreivierteljahr mit dem Auftauchen des Nor-ex begonnen hat, noch immer nicht vorbei.
Zwar droht Terra momentan allem Anschein nach keine direkte Gefahr – wie sie etwa der in letzter Sekunde abgewendete Angriff der gewaltigen Robot-Ringraumerflotte darstellte –, doch auch so gibt es genügend Entwicklungen, die den terranischen Verantwortlichen Sorge bereiten.
Da wären zunächst einmal die unerklärlichen Vorfälle im Industriedom von Deluge, die nur zu einem Teil auf das Wirken der beiden ›entarteten‹ Cyborgs Mildan und Dordig zurückzuführen waren und die den Terranern auf drastische Weise verdeutlichten, daß sie das Vermächtnis der Mysterious allenfalls in Ansätzen enträtselt und verstanden haben.
Auch das Problem, das Mildan und Dordig selbst darstellen, ist weit von einer Lösung entfernt, denn nach wie vor ist ungeklärt, wie es überhaupt zu ihrer ›Entartung‹ kommen konnte – und ob sich so etwas noch einmal wiederholen kann.
Aber vielleicht finden Jos Aachten van Haag, Manu Tschobe, Chris Shanton und Jimmy eine Antwort auf diese Frage. Die drei Terraner und der Robothund haben den Industriedom über eine ›Transmitterstraße‹ der Mysterious verlassen und gelten als vermißt. Niemand ahnt, daß sie auf einem unbekannten Planeten eine unterseeische, vollautomatisierte Ringraumerwerft gefunden haben – und dort plötzlich den totgeglaubten Cyborgs gegenüberstehen.
Außerdem wartet man auf Terra bereits seit einiger Zeit vergeblich auf irgendeine Nachricht von Ren Dhark. Der Commander der Planeten ist einmal mehr im All verschollen. Die Jagd auf die Robot-Ringraumerflotte hat ihn und die Besatzung der POINT OF zur Sternenbrücke geführt – einem astronomisch-technischen Wunder der Mysterious, das nicht nur positive Überraschungen für die Terraner bereithält.
So sind Ren Dhark und seine Männer innerhalb der Sternenbrücke auf eine völlig humanoide Rasse gestoßen, deren technische Möglichkeiten die der Menschen – aber auch die der Utaren oder selbst der Nogk – deutlich übersteigen. Diese Humanoiden, von denen noch niemand weiß, wie sie sich selbst nennen, und die daher bis jetzt entsprechend ihrem Äußeren einfach als ›Schwarze Weiße‹ bezeichnet werden, befinden sich ebenfalls auf der Jagd nach dem Erbe der Mysterious – und sie sind dabei alles anderer als zimperlich in der Wahl ihrer Mittel.
Noch ahnt man auf der Erde nichts von den bedrohlichen Geschehnissen innerhalb der Sternenbrücke, noch weiß man nicht um die Entdeckungen, die Tschobe, van Haag und Shanton bei ihrer Reise über die Transmitterstraßen gemacht haben.
Und man ist schon gar nicht auf das vorbereitet, was Colonel Frederic Huxley im Tantal-System, der Heimat der Nogk, finden wird…
1.
Marschall Bulton war um seine Aufgabe nicht zu beneiden.
Schon seit Tagen hockte er bis spät in der Nacht in seinem Büro und versuchte einen Folienstapel abzuarbeiten, der nicht kleiner werden wollte.
An diesem Abend war seine Stimmung besonders schlecht. Deshalb machte er sich noch nicht einmal die Mühe aufzublicken, als die Tür zu seinem Büro geöffnet wurde, sondern knurrte nur unwirsch: »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, als ich gesagt habe, ich wollte in den nächsten zwei Stunden nicht gestört werden, Patters!«
»Das haben Sie zweifellos, Bulton, allerdings…«
Das war ganz eindeutig nicht die Stimme seines Adjudanten. Etwas irritiert blickte Bulton endlich auf.
Vor seinem Schreibtisch stand – gepflegt wie immer, und obwohl es schon gegen 23:00 Uhr Ortszeit ging, ohne das geringste, äußerlich erkennbare Anzeichen von Müdigkeit – Henner Trawisheim und lächelte ihn freundlich an.
Bulton seufzte. »Was wollen Sie denn noch um diese Zeit?« fragte er in vorwurfsvollem Ton.
Der Stellvertreter Ren Dharks antwortete nicht sofort, sondern zog sich erst einen Besuchersessel heran und ließ sich gemächlich darin nieder. Dabei blickte er Bulton die ganze Zeit mit dem gewinnenden Lächeln an, das fast so etwas wie sein Markenzeichen war. Jeden anderen hätte er mit diesem Lächeln für sich eingenommen – doch beim stellvertretenden Befehlshaber der TF zeigte es nicht die geringste Wirkung.
»Nun schießen Sie schon los, Trawisheim, ich habe schließlich nicht die ganze Nacht Zeit«, knurrte Bulton in einem Tonfall, der seinen Untergebenen höchste Alarmstufe signalisiert hätte. »Ist schon wieder irgendwo eine große Schweinerei im Gange? Sie sind doch nicht nur gekommen, um mir einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, oder?«
»Mein lieber Bulton, Sie sollten mal ein paar Tage ausspannen«, sagte Trawisheim, ohne direkt auf Bultons Worte einzugehen.
Der Marschall wurde puterrot im Gesicht. Doch noch bevor er explodieren konnte, hatte Trawisheim bereits abwehrend die Hand gehoben und fuhr schnell fort: »Auch wenn Ihnen das merkwürdig erscheinen mag, dies ist tatsächlich in erster Linie ein Höflichkeitsbesuch. Ich hatte vor knapp einer Stunde ein kurzes Vipho-Gespräch mit Patters, und bei dieser Gelegenheit hat mir Ihr Adjutant erzählt, daß Sie schon seit Tagen nicht mehr vor Mitternacht aus dem Büro kommen. Da ich aber nichts von einem erneuten Auftauchen des Nor-ex oder einem weiteren Angriff einer Flotte von Robot-Ringraumern gehört habe, frage ich mich natürlich, was Sie bis spät in die Nacht an den Schreibtisch fesselt. Und nur aus diesem Grund – reiner Neugier sozusagen – bin ich vorbeigekommen.«
Das war eine lange Rede für den Mann, dem Ren Dhark so bedingungslos vertraute wie kaum einem zweiten, und der dieses Vertrauen noch niemals enttäuscht hatte.
Bulton grummelte etwas Unverständliches, dann räusperte er sich und sagte: »Manchmal wünsche ich mir beinahe, es wäre wieder eine feindliche Flotte im Sol-System rematerialisiert und… Ach was, jetzt fange ich schon an, dummes Zeug zu reden!«
Der Marschall griff nach dem Folienstapel auf seinem Schreibtisch und wedelte damit Trawisheim unter der Nase herum. »Wissen Sie, was ich hier habe? Ich will es Ihnen sagen: Hier habe ich ungefähr so viele Versetzungsanträge, wie es Kommandanten sowie Erste und Zweite Offiziere in der TF gibt… Nein, wahrscheinlich sogar noch ein paar mehr…«
Trawisheim wölbte die Brauen. »Wollen Sie damit andeuten, jeder zur Kommandoführung befähigte Offizier der TF hätte einen Versetzungsantrag gestellt?«
»Ich will nichts andeuten, Trawisheim – das sind Tatsachen!« Der Marschall polterte schon wieder. »Es sind diese verfluchten Ringraumer! Sie bringen die ganze Struktur der TF durcheinander!«
»Verstehe«, sagte Trawisheim halblaut.
Bulton schnaubte und kniff die Augen zusammen. Er holte tief Luft – und dann legte er los: »Nichts verstehen Sie, Trawisheim, überhaupt nichts…! Sind Sie schon einmal mit einem Kugelraumer geflogen? Egal, ob mit einem Beuteschiff oder einem unserer Nachbauten… Und ich meine jetzt nicht so eine kleine Tour durch das Sol-System, ich meine einen richtigen interstellaren Flug, nach Hope oder nach Dorado oder wasweißich wohin?«
Trawisheim schüttelte den Kopf.
»Sehen Sie, das habe ich mir gedacht! Sie haben also noch nie eine Transition an Bord eines Kugelraumers erlebt. Dann haben Sie auch keine Ahnung von den Gefühlen, die ein solcher Sprung durch den Hyperspace bei Menschen erzeugt. Aber ich kann Ihnen versichern, Trawisheim, es sind scheußliche Gefühle… verdammt scheußliche Gefühle…«
»Und jetzt haben wir die erbeuteten Robot-Ringraumer, die nach und nach umgerüstet werden – Raumschiffe, die nicht nur über den Sternensog für den überlichtschnellen Flug verfügen, sondern bei denen auch Transitionen ohne unangenehme Begleiterscheinungen ablaufen… ganz zu schweigen von den Intervallfeldern und der besseren Bewaffnung. Kein Wunder, daß jeder terranische Offizier mit ein bißchen Grips im Kopf ein derartiges Schiff befehligen will.« Henner Trawisheim hatte einmal mehr bewiesen, daß er mitzudenken vermochte.
Bulton nickte schwer. »Und welchem Offizier kann ich einen solchen Wunsch guten Gewissens abschlagen? Aber das ist ja nur ein Teil des Problems. Schließlich brauchen wir auch die Mannschaften, um die Raumer zu bemannen, und am Ende wird keine einzige eingespielte Crew übrigbleiben – und es wird natürlich erst recht niemand mehr übrigbleiben, der weiterhin mit einem unserer Kugelraumer durchs All schippern will…«
»Hm.« Trawisheim schien einen bestimmten Gedankengang zu verfolgen. »Eines wundert mich dennoch, Bulton. Haben wirklich so gut wie alle Ersten und Zweiten Offiziere derartige Anträge gestellt? Ich meine, es gibt doch bestimmt Besatzungen, deren Zusammengehörigkeitsgefühl so groß ist, daß…«
Bulton winkte ab. Für einen winzigen Augenblick schien ein ironisches Lächeln um seine Mundwinkel zu spielen, aber als er den Mund zu einer Entgegnung öffnete, wirkte er wieder so bärbeißig wie immer.
»Ich habe mich vorhin vielleicht ein bißchen ungenau ausgedrückt, Trawisheim. Die Ersten und Zweiten haben ihre Versetzungsanträge nicht alle selbst gestellt. Gerade bei den besten haben es sehr viel häufiger ihre Kommandanten für sie getan. Ein guter Kommandant wird seinen Offizieren immer den Weg zu einem eigenen Kommando eröffnen, selbst wenn das für ihn heißt, dadurch auf einen fähigen Mann verzichten zu müssen…«
Henner Trawisheim blickte etwas zweifelnd drein. Augenscheinlich war ihm das Loblied suspekt, das Bulton gerade auf seine Kommandanten angestimmt hatte.
Aber dies war sicher nicht der richtige Augenblick für eine Diskussion über die – vermeintlichen oder tatsächlichen – Tugenden des Militärs. Dies war eine Situation, die pragmatische Entscheidungen erforderte – und in Sachen pragmatischer Entscheidungen gab es auf Terra nur wenige Menschen, die Bulton das Wasser reichen konnten. Trawisheim überlegte kurz, ob er dem Marschall sein zweites Anliegen vortragen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Bulton hatte auch so schon mehr als genug um die Ohren.
»Nun gut, Bulton, Sie werden sicher das Richtige tun, da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Und für einen Höflichkeitsbesuch war mein Aufenthalt bei Ihnen eigentlich schon zu lang…« Trawisheim erhob sich. »Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht, Marschall«, sagte er, »und der eine oder andere Versetzungsantrag hat ja vielleicht auch noch bis morgen Zeit…«
*
Marschall Bulton starrte mehrere Herzschläge lang auf die Tür, die sich gerade hinter Henner Trawisheim geschlossen hatte. Höflichkeitsbesuch, paah, dachte er. Ich bin zwar kein geistiger Cyborg und bestimmt nicht so schlau wie Trawisheim, aber daß dies einzig und allein ein Höflichkeitsbesuch sein sollte, das kann mir niemand erzählen.
Er starrte auf die Folie, die er gerade in den Händen hielt. Leutnant Majjid T’Challa, Erster Offizier der SIRIUS II. Der Vorschlag stammte von seinem Kommandanten, Major Pietro Angelo Caruso – und auf der nächsten Folie hatte Caruso seinen Zweiten Offizier, Leutnant Henk Olbik, vorgeschlagen.
Bulton seufzte.
In den letzten Wochen hatte er pausenlos Entscheidungen von allergrößter Tragweite treffen müssen. Verglichen mit dem Stop der Bandstraßen, auf denen terranischen Kugelraumer produziert wurden – oder genauer: der Umstellung dieser Bandstraßen –, war das Spiel mit den Offizieren eigentlich erschreckend einfach.
Was Bulton Sorge bereitete, war etwas anderes; etwas, das er rational nicht erfassen konnte, das er nur spürte – das er aber nicht hätte benennen können…
Natürlich stellte es die Logistik der TF vor die allergrößten Probleme, schlagartig weit über 3500 Raumschiffe zu bemannen und der plötzlich deutlich gewachsenen Flotte adäquate Strukturen zu geben. Dennoch hätte er eigentlich zufrieden sein müssen. Der Machtzuwachs, den Terra mit den Ringraumern erhalten hatte, war mit Geld nicht zu bezahlen. Endlich einmal schien die Erde in der Lage zu sein, sich gegen einen potentiellen Angreifer wirksam zur Wehr setzen zu können.
Eigentlich hätte Bulton glücklich sein müssen, doch er fühlte sich, als würde sich über seinem Kopf eine dicke schwarze Wolke zusammenballen – eine Wolke, die nur Unheil bringen konnte.
Er seufzte erneut.
Und wie immer, wenn’s brenzlig wird, sind weder Dhark noch Riker auf Terra, grummelte er innerlich. Er wußte natürlich, daß er dem Commander und Riker mit diesen Gedanken ein bißchen Unrecht tat, aber das Unbehagen, das er bereits seit einiger Zeit verspürte, schien von Minute zu Minute stärker zu werden und machte ihn immer nervöser.
»Patters!« bellte er in die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch. Nur Sekunden später öffnete sich die Tür zu seinem Büro, und sein Adjutant betrat den Raum. Trotz der späten Stunde wirkte Patters immer noch hellwach – und längst nicht so gereizt wie sein Chef. »Sir?«
»Setzen Sie sich hin, Patters, und stehen Sie nicht so in der Gegend ’rum. Sie wissen doch, daß mich das nervös macht!«
Patters schien der ›freundliche‹ Empfang nichts auszumachen. Zumindest ließ sich auf seinem Gesicht keine Gefühlsregung ablesen, als er sich in einen der Besuchersessel sinken ließ.
»Was kann ich für Sie tun, Marschall?«
»Sie könnten ein paar hundert von diesen Versetzungsanträgen bearbeiten und unterschreiben, damit ich mich endlich wieder um wichtigere Dinge kümmern kann!« polterte der Marschall los.
»Es tut mir außerordentlich leid, Sir, aber wie Sie sicher selbst wissen, kann ich genau das leider nicht tun. In den Flottenstatuten 766/II und 321a ist genau geregelt, wer…«
»Ach hören Sie schon auf, Patters, das weiß ich doch selbst.« Wie immer, wenn er richtig wütend war, wurde der Marschall sehr laut.
Ruckartig stand er auf und begann, in seinem Büro auf und ab zu gehen. Patters, der seinen Vorgesetzten kannte wie kaum ein anderer, blieb mit ausdruckslosem Gesicht in seinem Sessel sitzen.
Nachdem Bulton einige Male mit energischen Schritten hin und her gestapft war, drehte er sich plötzlich zu Patters um und fixierte seinen Adjutanten mit funkelnden Augen.
»Ich nehme an, die POINT OF hat sich noch immer nicht gemeldet?« Bedauernd schüttelte Patters den Kopf. »Nein, Sir. Ich hätte Sie natürlich sofort…«
»Geschenkt, Patters, geschenkt…«
Bulton nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf, grummelte dabei unverständliche Worte vor sich hin. Schließlich blieb er erneut stehen. Sein Blick wanderte zum Fenster und hinauf zum nächtlichen Firmament, über das sich das hell leuchtende Band der Milchstraße zog. Als er dann wieder Patters ansah, war der grimmige Ausdruck aus seinem Gesicht verschwunden.
»Spüren Sie es nicht auch, Patters?« begann er ungewohnt leise. »Ich kann es nicht genau benennen, aber ich habe das Gefühl, daß uns in nächster Zeit jede Menge Ärger ins Haus steht… verdammt großer Ärger!«
Patters nickte schwer. »Sie haben recht, Marschall. Auch ich habe das Gefühl, daß etwas in der Luft liegt… Allerdings denke ich dabei weniger an Commander Dhark und die POINT OF, als…«
»Als?« Bultons Stimme hatte einen beinahe lauernden Klang. »Ich… ich weiß nicht…« Hilflos zuckte Patters die Schultern. »Ich ertappe mich dabei, daß ich nachts zum Himmel hochschaue und … und ein Frösteln verspüre, und das Licht der Sterne, es…«
»Es scheint plötzlich dunkler zu werden…« ergänzte Bulton düster. Überrascht starrte Patters ihn an. »Woher…?«
Bulton stieß einen langen, tiefen Seufzer aus. Einen Moment lang wirkte der als cholerisch und schwierig verschrieene Marschall, der während Dan Rikers Abwesenheit den Oberbefehl über die TF innehatte – und das hieß an 360 Tagen im Jahr, wie er einmal ironisch im Kreise seiner engsten Vertrauten gesagt hatte – nicht wie einer der mächtigsten Männer des Sol-Systems, sondern wie ein müder alter Mann, den die Last der Verantwortung schier erdrückte.
»Es ist das gleiche Gefühl, das ich empfinde, wenn ich den nächtlichen Sternenhimmel betrachte… und es macht mir Angst.« Die letzten Worte sagte er so leise, daß Patters sich nicht sicher war, ob er richtig gehört hatte.
Einige Augenblicke sprach keiner der beiden Männer ein Wort. Dann schüttelte sich Bulton, und als hätte er mit dieser Bewegung auch die düstere Stimmung abgeschüttelt, schritt er zurück an seinen Schreibtisch und meinte in normalem Tonfall: »Kommandanten auf letztlich bauartgleiche Schiffe zu verteilen ist kein Problem – abgesehen davon, daß wir eigentlich viel zu wenig fähige Männer haben. Aber ich würde mit Ihnen gerne noch die Liste der Geschwaderführer durchgehen, Patters, sonst fragt mich morgen wieder einer meiner Stabsoffiziere, warum ich Colonel X oder Major Y übergangen habe. Doch außer Larsen und Szardak und einem halben Dutzend anderer drängen sich mir nur wenige Namen auf.«
Patters nickte schweigend. Er hatte so seine eigenen Ideen, wie man das Personalproblem in der TF lösen könnte, doch jetzt schien ihm nicht der geeignete Zeitpunkt, diese Ideen Bulton vorzutragen.
»Was ist eigentlich mit dem Geschwader Martell? Die MOUNT KING und die übrigen Schiffe müßten doch inzwischen längst im Sol-System angekommen sein?« fragte der Marschall plötzlich.
»Sind sie auch, schon vor drei Tagen, Sir«, erwiderte Patters. »General John Martell und seine Männer befinden sich bereits an Bord der Schulungsschiffe, um sich mit den Ringraumern vertraut zu machen.« Er verkniff sich die Bemerkung, daß Bulton eine entsprechende Notiz erhalten haben müßte.
»Na, immerhin, ein paar hervorragende Offiziere mehr in unserer neuen Ringraumer-Flotte«, brummte Bulton. »Wenn wir schon auf Leute wie Colonel Huxley und seine Crew verzichten müssen… Hat der sich mittlerweile gemeldet?«
»Nein, Sir. Seit Colonel Huxley vor drei Wochen ins Tantal-System aufgebrochen ist, hatten wir keinen Kontakt mehr mit der FO-1.« Bulton blickte auf. Er brauchte nichts zu sagen.
Patters erkannte auch so, daß das Unbehagen des Marschalls zurückgekehrt war.
*
Nogk II hatte sich verändert. Colonel Huxley und seine Männer sahen es deutlich. Über dem zweiten Planeten der blaugrünen Sonne Tantal wehte ein Hauch von Zerfall und Tod.
Nachdenklich stapfte Huxley durch den rotgelben Sand dieser heißen, trockenen Welt. Unter seinen Schritten wirbelten kleine Staubwolken auf, hingen eine Weile als gelbliche, durchsichtige Schwaden im grellen Sonnenlicht und sackten schließlich wieder zu Boden. Lautlos, gespenstisch – wie alles auf diesem Planeten.
Der Colonel drehte sich zu seinen beiden Offizieren herum.
»Prewitt, Maxwell, verstehen Sie das?«
Die beiden Männer schüttelten die Köpfe.
»Nein, Sir. Absolut nicht!« erwiderte schließlich Maxwell, früher Sergeant auf dem Forschungsraumer FO-1, jetzt Zweiter Offizier.
Lee Prewitt, der Erste Offizier, deutete auf die halbzerstörten gigantischen Mauern der Ringstadt der Nogk.
»Das könnten Spuren der Kämpfe zwischen den Nogk und den angreifenden Nor-ex sein, von denen Sie erzählt haben! Aber der Kampf ist vorbei, der Pakt, den Dhark mit dem Nor-ex geschlossen hat, erstreckt sich auch auf die Nogk. Sie hätten also mit dem Wiederaufbau ihrer Städte längst beginnen, ihre angeschlagene Flotte wieder in Schuß bringen können. Auf diesem Planeten müßten überall die Spuren neuer Aktivität zu finden sein. Statt dessen…« Der I.O. schüttelte abermals den Kopf. »Statt dessen überall nur halbzerfallene oder gar völlig zerstörte Städte. Und von den Nogk selbst keine Spur!«
Huxley nickte. Prewitt hatte gerade seine eigenen Gedanken in Worte gefaßt. Der Colonel machte sich Vorwürfe. Ich hätte viel eher hierher fliegen müssen, dachte er.
»Ja, Maxwell? Was ist?« Huxley wandte sich um.
»Steht eigentlich fest, daß vor unserem Einbruch ins Karmin-Universum auf Nogk II noch Prallschirme standen? Präziser gefragt: Prallschirme der Nogk?«
Colonel Huxley ruckte unwillkürlich herum. Über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei steile, scharfe Falten.
»Teufel, wie kommen Sie darauf, Maxwell? Ich habe doch deutlich gesehen, daß…« Huxley unterbrach sich. Ein jäher Gedanke durchzuckte ihn. Er dachte an die abgelenkten To-Funkstrahlen. In seiner Erinnerung entstand wieder das Bild der schimmernden, verschwommenen Halbkugeln, die er für Prallschirme der Nogk gehalten hatte, während sein Hauptaugenmerk sich auf das über der Sonne Tantal und dem innersten Planeten stehende Nor-ex gerichtet hatte. Er erinnerte sich daran, wie der innerste Planet, jene Höllenwelt aus Hitze und erbarmungsloser Strahlung, plötzlich das Nor-ex angegriffen hatte. Mit Mitteln, die weder er noch irgendein Mann seiner damaligen Besatzung gekannt hatte. Das Ende des Kampfes hatte keiner von ihnen mehr erlebt, weil ihr Schiff ins Karmin-Universum hineingezogen worden war…
»Maxwell, Sie könnten recht haben! Zum Donnerwetter, daß ich darauf noch gar nicht gekommen bin!«
Er winkte ab, als Prewitt eine Frage stellen wollte. »Sie können davon nichts wissen, Prewitt!« sagte er nur kurz. Dann drehte er sich abrupt herum. Der nachdenkliche Ausdruck verschwand schlagartig aus seinen Zügen. Er griff nach seinem Vipho, das er stets auf der Brust seiner grauen, völlig schmucklosen Uniform trug.
»Kommandant an Zentrale. Boot eins startklar machen. Sergeant Cooper und drei Mann gehen an Bord. Die FO-1 bleibt, wo sie ist. Alarmstufe 1. Erkinsson, Sie übernehmen das Kommando. Halten Sie ständig die Bordfrequenz, To-Funk und die Nogkschen Detektoren besetzt. Sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen, werden wir über eines dieser drei Medien immer noch Verbindung bekommen. Wir fliegen mit dem Boot in die Ringstadt! Ende!«
Chief Erkinsson nickte.
»Okay, Colonel«, knurrte er, während er bereits die notwendigen Anweisungen an Cooper und seine Truppe gab.
Vom gut 200 Meter langen Spindelkörper der FO-1 drang helles Triebwerkssingen an ihre Ohren. Unwillkürlich drehten sich die drei Männer um. Sie sahen gerade noch, wie sich aus dem Bootsdeck des ehemaligen Forschungsraumers der blitzende Punkt eines Beiboots löste. An den aufwirbelnden Sandfontänen und den ausgefahrenen Stabilisierungsflächen erkannten sie, daß Sergeant Cooper die Turboaggregate benutzte, über die jedes Beiboot ebenso verfügte wie die FO-1. Trotz der Umrüstung seines Raumers auf Nogk-Technik hatte Huxley die Turboaggregate beibehalten, weil sie sich speziell bei Unternehmungen in Planetenatmosphären immer wieder bewährt und seinen Männern oft genug entscheidende Vorteile verschafft hatten. Denn die Aggregate machten keinerlei Unterschied zwischen giftigen und ungiftigen, zwischen stabilen und hochexplosiven Gashüllen.
Wenig später nahm das Beiboot Huxley und seine beiden Offiziere an Bord. Gleich darauf wirbelten die Triebwerke den Sand zu gewaltigen Fontänen auf, deren rotgelbe Schwaden die Sonne verfinsterten.
Colonel Huxley und seine Männer starrten durch die großen Direktsichtscheiben der Bugkanzel den kegelförmigen Riesenmauern der Ringstadt entgegen, die mit jeder Sekunde größer und größer vor ihnen aufwuchsen. Huxley spürte plötzlich, wie ihn ein Schauer überlief. Irgend etwas in seinem Innern signalisierte ihm eine drohende Gefahr, die von der Nogk-Stadt auf sie zukam.
»Cooper, umfliegen Sie die Ringstadt. Gehen Sie nicht dichter heran, als notwendig ist, um Einzelheiten zu erkennen. Dann sehen wir weiter!«
Der Sergeant nickte. Huxley registrierte die fragenden Blicke von Prewitt und Maxwell, aber er sagte nichts. Statt dessen hefteten sich seine Blicke auf die hoch in den grünlichen Himmel ragende Ruine. Sie sah aus wie das Fragment eines gigantischen Kegelstumpfs mitten in einer trostlosen, völlig vegetationslosen Wüstenlandschaft, über der die Luft unter den sengenden Strahlen Tantals flimmerte.
*
Mühsam setzte Pietro Angelo Caruso einen Fuß vor den anderen. Sein Herz hämmerte, und in seinen Ohren rauschte das Blut. Keuchend sog er die Luft ein, doch so sehr er seine Lungen auch füllte – es war nie genug. Und das Schlimmste war, daß T’Challa anscheinend nicht die geringsten Schwierigkeiten hatte.
»Na Major, sind Sie immer noch der Ansicht, daß dieser Ausflug eine gute Idee war?«
Caruso blickte auf. T’Challa stand knapp zehn Meter vor ihm, ein unverschämt breites Grinsen im ebenholzschwarzen Gesicht. Schwer atmend stapfte Caruso weiter. Ich werde das Sauerstoffgerät nicht als erster herausholen, ich nicht! schwor er sich, so fertig bin ich noch lange nicht!
Endlich hatte er seinen ehemaligen Ersten Offizier erreicht.
»Ich… bin… etwas… aus… der… Übung…« preßte er zwischen keuchenden Atemzügen hervor, »aber… aber ich finde immer noch…, daß es… eine tolle Idee war…, hierher zu kommen.« Allmählich kam er wieder zu Atem. »Ist dieses Panorama nicht wundervoll?«
»Es ist toll, Major. Und die Erinnerung an diesen Anblick wird mich begleiten, egal, wohin ich fliegen werde«, sagte T’Challa ernst.
»Deswegen habe ich Sie mit hierher genommen. Damit Ihnen Ihr neuer Rang als frischgebackener Ringraumer-Kommandant nicht zu Kopf steigt. Es ist kein Schaden, wenn man sich inmitten der Weiten des Alls an die Schönheit von Mutter Erde erinnert.« Das leichte Grinsen, das um Carusos Mundwinkel spielte, nahm seinen Worten das Pathos.
Und dann standen die beiden Männer schweigend in der bizarren Hochgebirgslandschaft der Kordilleren. Vor ihnen breitete sich das Illampu-Massiv aus, und ringsum reckten sich die Berge bis auf 6000 Meter Höhe.
»Nur noch bis zu jenem Grat dort vorn, dann haben wir einen fantastischen Blick auf ein Hochplateau. Na los, kommen Sie, T’Challa! Lassen Sie sich nicht hängen…« brach Caruso nach einigen Minuten das ergriffene Schweigen und stapfte wieder los.
T’Challa warf den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend. Das Lachen hing seltsam fremd in der kalten, dünnen Gebirgsluft. Dann marschierte der Hüne, dessen Großeltern noch mit ihrem Vieh durch die Steppen Ostafrikas gezogen waren, mit großen Schritten los.
Schnell holte er Caruso ein und zog an ihm vorbei. Die dünne Luft schien ihm wirklich nicht das geringste auszumachen.
»Ihr Antritt ist nicht schlecht, aber Sie haben Defizite im Ausdauerbereich, Major«, sagte er grinsend über die Schulter. Caruso verkniff sich eine Antwort. Er hatte genug damit zu tun, nicht allzu weit zurückzufallen. Und dann hatte T’Challa den Grat erreicht und blieb ruckartig stehen.
»Na, habe… ich… zuviel… versprochen?« Caruso keuchte schon wieder.
»Major«, sagte T’Challa. Seine Stimme klang alarmiert. »Das sollten Sie sich ansehen, Major…«
Augenblicke später blieb Caruso wie vom Donner gerührt neben ihm stehen. Vor den beiden Männern erstreckte sich ein gewaltiges Hochplateau – und auf diesem Hochplateau lag ein Raumschiff!
Ein Raumschiff der Nogk…
2.
Das Beiboot der FO-1 mit Huxley und seinen Männern umflog die Ringstadt.
»Sehen Sie sich das an, Prewitt! Überall Spuren des Zerfalls, der Zerstörung!« knurrte er. »Diese Stadt würde jeder Archäologe für das Relikt einer untergegangenen Kultur halten, wenn…«
Ein Ruf Maxwells unterbrach ihn.
»Da, Sir, sehen Sie!«
Huxley blickte in die Richtung, in die sein Zweiter Offizier wies. Und dann sah er es auch.
»Teufel!« murmelte er mit zusammengekniffenen Augen. Sekunden später hatte der Pilot des Beiboots, Sergeant Cooper, den blitzenden Gegenstand, der da vor ihnen im rotgelben Sand der Wüste lag, auf dem Tasterschirm. Ein schalenförmiges, gut fünfzig Meter langes Trümmerstück. Unverkennbar von einem Raumschiff.
Sergeant Cooper ging auf Höchstvergrößerung. Die Männer hielten plötzlich den Atem an.
»Das Stück wurde aus einem Nogkraumer herausgerissen, Sir! Das ist ein Teil der Versorgungsschleuse eines der großen Kampfschiffe!« Die Stimme Maxwells vibrierte. Auch Huxley schluckte krampfhaft. Sein Zweiter Offizier hatte recht. Herausgerissen aus einem der riesigen Nogk-Kampfschiffe! Aus einem Raumer, der über eine Technik verfügte, die ihn fast unüberwindlich machte. Fast!
»Landen, Sergeant! Landen Sie neben dem Trümmerfragment!«
Das Beiboot verlangsamte seine Geschwindigkeit. Die Turboaggregate schwenkten langsam herum, wühlten die flimmernde Luft unter ihnen auf. Und dann sahen die Männer noch etwas.
Von dem Trümmerfragment lief eine gläserne Spur in Richtung der Ringstadt. Hin und wieder markiert durch Fetzen verbogenen, zerrissenen Metalls.
Als das Beiboot aufsetzte, verließen Huxley, Prewitt und Maxwell die Schleuse mit bleichen Gesichtern.
Behutsam näherten sie sich dem tief im Wüstensand steckenden Trümmerstück. Erst jetzt bemerkten sie, daß es wesentlich größer war, als sie ursprünglich angenommen hatten. Colonel Huxley fuhr mit der Hand über die scharfen Bruchkanten. Dann warf er einen Blick zur Ringstadt hinüber, die gespenstisch und still unter dem glasgrünen Himmel von Nogk II lag.
Langsam drehte er sich zu seinen beiden Offizieren herum.
»Wir werden jetzt zur Ringstadt hinüberfliegen. Und wir werden dort noch mehr unangenehme Dinge finden. Auf Nogk II muß während unserer Abwesenheit ein Kampf stattgefunden haben, wie wir ihn uns gar nicht vorzustellen vermögen!«
Huxley schwang sich als letzter in die Schleuse des Beiboots. Nachdenklich betrat er die transparente Bugkuppel. Einer plötzlichen Eingebung folgend, rief er die FO-1 an.
»Chief, sofort Sperr- und Unsichtbarkeitsschirme aktivieren. Bleiben Sie, wo Sie sind, rühren Sie sich ohne ausdrücklichen Befehl nicht von der Stelle. Alarmstufe 1 unbedingt bestehen lassen! Ende!«
Dann drehte er sich zu Sergeant Cooper herum.
»Legen Sie die Steuerung zu mir herüber, Cooper. Sie übernehmen die Co-Funktion!«
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