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Gibt es einen Zusammenhang zwischen der gigantischen Statue eines 'Goldenen Menschen' und den Mysterious? Während Ren Dhark auf dem Planeten Mirac dem Geheimnis des Artefakts auf der Spur ist, begeht der Kommandant eines terranischen Raumers einen fatalen Fehler - und eine gewaltige Armada aus Tausenden von Raumschiffen bricht auf, um Terra zu vernichten.
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Seitenzahl: 472
Ren Dhark
Classic-Zyklus
Die große SF-Saga von Kurt Brand
Band 11
Wunder des blauen Planeten
Inhalt
Titelseite
Vorwort
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
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19.
20.
21.
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Ren Dhark Classic-Zyklus
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Impressum
Vorwort
Nachdem bereits in Band 10 der Ren-Dhark-Buchausgabe mit den Utaren ein neues Fremdvolk aufgetaucht ist, haben im vorliegenden Band die Rateken einen ersten ›Kurzauftritt‹. Doch bereits im nächsten Buch werden sie wieder mit von der Partie sein, und außerdem wird Ren Dhark dann auch auf das dritte – für die Zukunft vielleicht wichtigste ›neue‹ Fremdvolk stoßen. Bis dahin gilt es für Ren Dhark & Co. jedoch noch, das ›Wunder des blauen Planeten‹ zu erforschen, sich den Mächten zu stellen, die nach langem Schlaf plötzlich erwachen, und ein weiteres Rätsel in Sachen POINT OF zu lösen.
Nachfolgend noch die Titel und Verfasser der Originalromane, die überarbeitet und teilweise gekürzt in dieses Buch eingeflossen sind: Singu der Rateken, Transmitterdrohung, Terra im Würgegriff, Inferno zwischen Ruinen und Die Planetenbombe von Kurt Brand sowie Auf den Spuren der Mysterious? von Tensor McDyke (alias Dieter Ueckermann).
Gerd Rottenecker
Prolog
Auf der Erde und den Welten des terranischen Einflußbereichs neigt sich das Jahr 2056 seinem Ende zu.
Die Gefahr, die von den überraschend wieder aufgetauchten, nicht ›rückgeschalteten‹ Robonen unter ihrem Anführer Allon Sawall ausging, und die in der Entführung Ren Dharks und Dan Rikers gipfelte, scheint fürs erste gebannt. Sawall und seine Anhänger haben sich auf einen unbekannten Planeten zurückgezogen, und die kleine Gruppe Robonen, die dem Befehl ihres Anführers nicht gefolgt ist und sich noch immer auf Terra befindet, sollte zwar nicht unterschätzt werden, ist jedoch jetzt auf sich allein gestellt und hat sicherlich einiges an Gefährlichkeit eingebüßt.
Auch die Bedrohung durch das Nor-ex, jene unbegreifliche Wesenheit aus einem fremden Universum, die Raumschiffe und ganze Städte verschlang, konnte durch den mutigen Einsatz Ren Dharks zunächst einmal beseitigt werden.
Immerhin hat die Nor-ex-Krise die Völker der Milchstraße teilweise enger zusammenrücken lassen. So haben die Utaren, die Bewohner Esmaladans, mittlerweile Kontakt mit den Terranern aufgenommen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehungen zwischen den beiden Völkern weiter entwickeln werden, doch bestehen auf Seiten der terranischen Führungsspitze wenig Zweifel, daß sich der Kontakt generell positiv auswirken dürfte.
Zunächst einmal bleibt der Menschheit jedoch kaum Zeit, Atem zu holen.
Kaum aus dem Karmin-Universum zurückgekehrt, wartet auf Ren Dhark bereits die nächste Herausforderung in Form eines Doppelwulst-Raumers, der plötzlich und unerwartet auf Terra landet, und dessen Besatzung sich nicht nur in ihrem Äußeren deutlich von den zwergenhaften Utaren unterscheidet.
Als noch weitaus schwieriger erweist sich die Aufgabe, die wenig später ein rätselhaftes Artefakt dem Commander der Planeten stellt, als er mit den ›Wundern des blauen Planeten‹ konfrontiert wird.
Auch auf Hope, im Industriedom im Höhlensystem unter dem Inselkontinent Deluge, geschehen merkwürdige Dinge, die schließlich in einer ganz besonderen ›Erscheinung‹ gipfeln.
Doch alles, was bis dahin geschehen ist, verblaßt zur Bedeutungslosigkeit, als der ehrgeizige Kommandant eines terranischen Forschungsraumers einen fatalen Fehler begeht – und plötzlich steht die Existenz Terras auf dem Spiel…
1.
Das unbekannte Raumschiff hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können, um am Rande des Sol-Systems zu rematerialisieren.
Auf sämtlichen Planetenforts, Ast-Stationen und Einheiten der Flotte herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Im Raum zwischen den Planeten sammelten sich große Raumerverbände, die auf ihren Einsatzbefehl warteten um aufzubrechen, Ren Dhark und die POINT OF zu suchen. Ein Einsatzbefehl, der nur deswegen noch nicht erteilt worden war, weil die Raum-Radarstationen auf Pluto ein Abflauen der Kämpfe in den umliegenden Raumsektoren gemeldet hatten.
Doch mit jeder Minute, die verstrich, ohne daß eine Nachricht von Ren Dhark kam, stieg die Wahrscheinlichkeit, daß Marschall Bulton die Flotte aussenden würde, um nach dem Commander der Planeten und dem Flaggschiff der TF zu suchen.
»Vielleicht hatte Dhark ja Erfolg – zumindest scheinen sich die Nor-ex aus diesem Raumsektor zurückgezogen zu haben«, gab einer der Stabsoffiziere zu bedenken.
Er bewies Mut mit dieser Bemerkung, denn Marschall Bulton, in Abwesenheit Dan Rikers Oberbefehlshaber der TF und für sein cholerisches Temperament berühmt und berüchtigt, wurde von Minute zu Minute nervöser und schien kurz vor der Explosion zu stehen.
Aber Bulton explodierte nicht.
»Anfrage an die Raum-Radarstationen: Sind im umliegenden Raumsektor die Kämpfe wieder aufgeflackert, oder ist es immer noch ruhig?« blaffte er statt dessen.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Keinerlei ungewöhnliche energetische Aktivitäten in den umliegenden Raumsektoren.
Bulton atmete tief durch. Doch bevor er noch irgend etwas sagen konnte, meldete sich Raum-Radarstation II erneut.
»Unbekanntes Raumschiff neun Millionen Kilometer jenseits der Plutobahn rematerialisiert. Typ Kugelraumer mit zwei Ringwulsten. Bewegt sich mit 0,1 Licht Kurs Terra. Wir versuchen, Funkkontakt aufzunehmen… Keine Reaktion – Achtung, Raumschiff beschleunigt jetzt auf 0,2 Licht.«
Bulton handelte schneller, als er denken konnte – er preßte die Daumenkuppe auf dem Alarmknopf.
Gleichzeitig erging der Befehl an die sich dem Eindringling am nächsten befindlichen Schiffe, die Position des unbekannten Raumers anzufliegen und ihn unter Einsatz aller Mittel zu stoppen!
Doch die jenem Punkt jenseits der Plutobahn zujagenden Schiffe der TF stießen ins Leere. Das Raumschiff entmaterialisierte – um mitten im Sol-System wieder aufzutauchen!
Meldung von Ast-15! »Kugelraumer mit zwei Ringwulsten 3400 Kilometer vor Ast-15 auf Grün 56:22,09 rematerialisiert. Durchmesser 250 Meter. Fliegt mit 0,03 Licht Kurs Terra. Antwortet nicht auf Funkanrufe; beschleunigt jetzt auf 0,05 Licht.«
Auf Ast-15 saßen der Kommandant der Asteroiden-Station und sein Feuerleitoffizier nebeneinander. Gemeinsam sahen sie die Diagramme auf den Oszillos, gemeinsam sahen sie auf ihren Bildschirmen den unbekannten Raumer, der auf Funkanrufe nicht reagierte und mit immer größerer Fahrt Terra anflog.
»Feuer frei?« erklang die Frage des Feuerleitoffiziers.
»Wir sind kein Raumschiff, Prokin. Wir können diesem verdammten Kahn nicht nachsetzen.«
Mittlerweile hatte Marschall Bulton in Cent Field seinen Befehl wiederholt.
Unbekannten Raumer mit allen Mitteln stoppen!
Im gleichen Moment drückte Leutnant Prokin auf Ast-15 den Feuerknopf. Die gigantischen Antennen der Asteroidenstation jagten ihre Energie dem Raumer hinterher, der nur noch 56 Millionen Kilometer von Terra entfernt war.
»Volltreffer!« knurrte Prokin nach einem Blick auf die Oszillos.
Aber der Strahlschuß prallte am energetischen Schirm des Fremdraumers ab. Grelle Flammenkaskaden schossen nach allen Seiten, und der Prallschirm glühte blutrot auf.
Dann glaubten die Männer in Ast-15 ihren Augen nicht zu trauen. »Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte der Kommandant, aber was er sah, veränderte sich nicht.
Der Prallschirm des Fremdschiffes strahlte in grellem Weiß. Und dieses Weiß flackerte im feststehenden Rhythmus.
»Kurz – lang – lang – kurz – lang – lang – kurz…«
»Ein Zeichen!« Der Kommandant verstand es nicht. Dennoch schlug er hart auf den Feuerknopf. Schlagartig stellten alle Strahlgeschütze der Station ihr Feuer ein.
»Acht Raumer im Anflug auf unbekanntes Schiff!« meldete der Ortungsoffizier.
Der Kommandant brüllte: »Unsere Schiffe darauf aufmerksam machen, daß der Kahn über seinen Prallschirm Zeichen abstrahlt.« Doch auf Terra war es schon bemerkt worden.
Marschall Bulton änderte seinen Befehl!
Geleit des unbekannten Schiffes übernehmen, aber von allen Waffen Gebrauch machen, wenn Angriff von der anderen Seite erfolgen sollte.
Sechs Kreuzer der Planeten-Klasse und zwei Jäger rasten mit grell aufleuchtenden As-Onen-Triebwerken heran. Ihre optischen Systeme hatten den Doppelwulst-Raumer erfaßt. Sein rhythmisch flackernder, weiß leuchtender Schirm war nicht zu übersehen. Unverändert hielt das Schiff Kurs auf Terra. Daß es von einer achtfachen Übermacht geleitet wurde, machte der Besatzung wohl nichts aus.
War Weiß nicht die Farbe der Übergabe und der friedlichen Verhandlungen? Doch kannte die Besatzung des unbekannten Schiffs die Gepflogenheiten der Terraner?
Im Stab der TF starrte Marschall Bulton nachdenklich ins Leere. Er wagte nicht, seine Offiziere anzusehen. Auf diesen Augenblick hatte man auf Terra seit Wochen und Monaten gewartet, sich in ununterbrochenen Planspielen und Manövern darauf vorbereitet – doch jetzt, da der Fall eingetreten war, fühlte der Oberkommandierende der TF sich nicht wohl in seiner Haut.
Man hatte schon öfter mit den Doppelwulst-Raumern zu tun gehabt – es waren größtenteils unangenehme Begegnungen gewesen, wie Bulton sich erinnerte –, man wußte, daß ihre Heimatwelt 3219 Lichtjahre von der Erde entfernt war – aber wie die Wesen aussahen, die diesen Raumschifftyp flogen, wußte niemand.
»Distanz noch 35 Millionen Kilometer, Marschall!«
Bulton nickte.
Und dann schreckte er plötzlich hoch – er und alle seine Offiziere.
Die POINT OF war dicht über Terra aus der Transition gekommen und flog mit hoher Fahrt dem Raumhafen Cent Field zu. Auf einem Monitor war plötzlich das Gesicht des Commanders zu sehen.
Marschall Bulton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich wirkte er entspannt. Es war ihm egal, daß alle sahen, wie tief und erleichtert er aufatmete.
Ren Dhark war zurück. Er hätte in keinem besseren Augenblick nach Terra kommen können.
*
Die Menschen in Alamo Gordo schreckten auf.
Ein Überschallknall noch nie erlebter Stärke erschütterte die gigantischen Stielbauten, die der Stadt ihr unverwechselbares Gesicht gaben.
Die POINT OF war im Anflug!
Sie war mit Höchstfahrt in die dichten Luftschichten der Erde hineingestoßen, um im Sturzflug Cent Field anzufliegen.
Den Männern im Tower trat der kalte Schweiß auf die Stirn, als sie auf ihren Instrumenten die Landegeschwindigkeit der POINT OF ablasen.
»Sind die denn verrückt geworden? Bei dem Tempo wird der Kahn einen schönen Schrotthaufen abgeben!«
Aber es gab keine Bruchlandung.
Elegant setzte der Ringraumer auf. Kaum schwiegen die Triebwerke, raste schon Flash 001 durch die Unitallwandung des Schiffs und nahm Kurs auf das Gebäude, in dem sich der Stab der TF befand.
Ren Dhark flog den Flash selbst. Dicht vor dem Haupteingang landete er das plump aussehende Beiboot. Noch bevor die Wachposten reagieren konnten, hatte der Commander das Gebäude schon betreten. Er stürmte den breiten Gang entlang und stand Augenblicke später vor Marschall Bulton. Dem war seine Erleichterung überdeutlich anzumerken, als er seinen Platz hinter dem breiten Schreibtisch räumte. Ren Dhark hatte noch während des Landeanflugs alles Wichtige erfahren und seinerseits dem Marschall stichwortartig von den Geschehnissen im Karmin-Universum berichtet.
Dhark beugte sich zum Vipho und tastete blitzschnell die Verbindung zur Ortungszentrale des Raumhafens ein.
»Hier Commander Dhark! Wo steht das Schiff?«
Sie verstanden ihn. Zur Zeit gab es im Sol-System nur ein Schiff, von dem man sprach. Er erhielt die Distanzangabe.
»Verbindung mit der Hyperfunkstation.«
Die Hyperfunkstation meldete sich.
»Den Doppelwulst-Raumer mit höchster Sendeleistung im gleichen Rhythmus anfunken, in dem er sein Prallfeld aufleuchten läßt.«
Er unterbrach die Verbindung. »Bulton, wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis der fremde Raumer zur Landung ansetzt. Welche Einheiten stehen bereit, um die Delegation einer fremden Rasse zu empfangen?«
Marschall Bulton lief rot an. Dhark sah darüber hinweg. Offiziere erhielten Befehle. Zwei der drei Viphos waren ununterbrochen in Betrieb. Der Raum schwirrte vor Aktivität. Nur der Commander saß gelassen hinter dem Schreibtisch des Marschalls.
Dharks Ruhe schien auch auf Bulton überzugehen, denn der Marschall zeigte in Anwesenheit des Commanders nichts von seinem cholerischen Temperament.
Bulton hatte seine Order erteilt. Eine Anzahl Offiziere war fluchtartig aus dem Raum gestürmt. Die Delegation einer unbekannten Rasse, die allem Anschein nach in friedlicher Mission nach Terra kam, sollte mit allem Pomp empfangen werden. Der Commander aber war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Er dachte an das Nor-ex, jenes unbegreifliche Wesen aus einem fremden Universum, mit dem er erst vor wenigen Stunden einen Pakt geschlossen hatte.
Würde die fremde Wesenheit sich an die Abmachungen mit den Terranern halten? Und wenn nicht – würden sie dann die Möglichkeit haben, das Nor-ex erneut zu bezwingen?
Auf einmal spürte Ren Dhark, daß der Marschall ihn gespannt musterte. Er blickte auf und fragte: »Was gibt es, Bulton?«
»Sie wollen es doch wohl nicht bei ein paar Stichworten belassen, Commander? Mittlerweile ist nicht nur die POINT OF wieder aufgetaucht, sondern auch die übrigen verschollenen Schiffe! Die FO-1 mit Huxley und Prewitt, die CAESAR, die YAMID und all die anderen… Was ist dort draußen wirklich geschehen?«
Ren Dhark lächelte. »Das, mein lieber Bulton, werde ich Ihnen und Ihren Offizieren ebenso wie den Wissenschaftlern erzählen, wenn die Lage sich wieder entspannt hat. Doch zunächst, denke ich, sollten wir all unsere Konzentration unseren ›Gästen‹ widmen. Oder was meinen Sie?«
In diesem Augenblick meldete die Ortungszentrale, daß der unbekannte Raumer den äußeren Luftmantel der Erde erreicht habe und noch immer Kurs auf Cent Field halte.
Ren Dhark wurde nachdenklich. Etwas machte ihm Sorgen. Er erinnerte sich einiger dramatischer Erlebnisse. Jedesmal, wenn die POINT OF im überlichtschnellen Flug unterwegs von Hope nach Terra – oder in Gegenrichtung – einen bestimmten Sektor der Galaxis durchflogen hatte, war sie auf unerklärliche Art geortet und immer wieder von vielen Schiffen angegriffen worden – darunter auch von Doppelwulst-Raumern!
Diese Ortung hatte es eines Tages nicht mehr gegeben!
Wer hatte veranlaßt, daß der Ringraumer nicht mehr mit allen verfügbaren Mitteln bekämpft wurde?
Was war der Anlaß zum Einstellen dieser Aktionen gewesen?
Die Besatzungen der Doppelwulst-Raumer hatten mit einer geradezu unbeschreiblichen Hartnäckigkeit versucht, die POINT OF in eine kleine Sonne zu verwandeln.
Und jetzt kam ein Schiff dieser Rasse in friedlicher Absicht?
Mit einer Hand fuhr sich Ren Dhark über die Stirn. Von allen Seiten fühlte er Unheil auf sich zukommen. Unwillkürlich blickte er auf, aber außer einigen Offizieren und Marschall Bulton konnte er nichts entdecken.
»Commander, die GSO ist benachrichtigt.«
Daran hatte Dhark wirklich nicht gedacht. Er gehörte zu dem Typ Menschen, der erst dann mißtrauisch wurde, wenn er Grund dazu hatte. An erster Stelle stand bei ihm der Glaube, daß jede Kreatur, wie sie auch beschaffen sein mochte, von Natur aus gut war.
Er mußte an die Giants und ihren CAL denken, er erinnerte sich, wie sie auf der Erde gehaust hatten, was sie aus den Menschen gemacht hatten, die man inzwischen als Robonen bezeichnete.
War das Verhalten der Giants menschlich gewesen?
Das große Vipho vor ihm leuchtete auf. Ein Offizier aus dem Tower meldete: »Commander, der Doppelwulst-Raumer setzt auf G-56 zur Landung an.«
Der Vorgang war auch in der POINT OF beobachtet worden. Vollkommen ruhig teilte Dan Riker aus dem Leitstand des Ringraumers mit: »Wir scannen den Kahn ununterbrochen. Scheint friedlich zu sein. Unsere Energieortung bestätigt, daß nur die Energieerzeuger laufen, die er für das Landemanöver benötigt. Sonst nichts Neues.«
Die Verbindung zur POINT OF erlosch.
Ren Dhark erhob sich. Auffordernd blickte er Bulton an. »Ich glaube, es wird Zeit, daß wir uns auch auf den Weg machen.«
Der Commander der Planeten wollte die fremden Intelligenzen, die zum ersten Male die Erde angeflogen hatten, begrüßen.
*
Der Doppelwulst-Raumer stand auf Landeplatz G-56.
Achtzehn stationäre Gravitationsschleudern waren genau auf das 250-Meter-Schiff justiert. Die Gruppenführer der einzelnen Forts hatten den Befehl erhalten, auf einen bestimmten Funkimpuls hin den Landeplatz unter 3,5 Gravos zu setzen, selbst wenn sich Terraner in diesem Bereich befinden sollten.
Für diesen Fall standen sieben Cyborgs bereit. Ihre Order lautete, unter Einsatz aller Mittel jeden Mann, der sich vor oder in dem unbekannten Schiff aufhielt, herauszuholen.
Arc Doorn, der mittlerweile ebenfalls von der POINT OF herübergekommen war, hatte in einer kurzen Anweisung von Ren Dhark erfahren, daß er gemeinsam mit Jos Aachten van Haag den gesamten Einsatz zu leiten hatte.
»Okay«, hatte der wortkarge Sibirier gebrummt und es sich mit Jos in dem kleinen Nebenraum nahe der Vipho-Zentrale bequem gemacht.
Nur Bram Sass und Jes Yello, die beiden Cyborgs, begleiteten den Commander und Marschall Bulton. Vor dem Stab der TF wartete ein Spezial-Jett der GSO, um sie nach G-56 zu fliegen. Über drei Viphos, die auf Dauerempfang standen, waren sie mit den wichtigsten Stellen in Cent Field und Alamo Gordo verbunden. Aber die Bildschirme blieben grau.
»Nervös?« fragte Dhark den Marschall, kurz bevor sie ihr Ziel erreicht hatten.
Bulton war so ehrlich wie immer. »Ein bißchen. Sie nicht?« »Doch«, erwiderte Dhark, »sehr.«
»Ein ungutes Gefühl, Commander?«
»Das nicht, aber innerlich bin ich auf so ziemlich alle bösen Überraschungen vorbereitet.«
Der Marschall nickte und murmelte dann mehr zu sich selbst: »Ich bin gespannt, wie die Wesen aussehen, die diese Raumer fliegen.«
Ihr Spezial-Jett setzte auf. Langsam gingen sie auf das fremde Schiff zu, das auf wuchtigen, aber erstaunlich kurzen Teleskopbeinen mit auffallend groß dimensionierten Landeplatten stand.
Eine Polschleuse besaß dieser Raumer nicht, der im Licht der Sonne hellbraun schimmerte. Erst in gut fünfzig Meter Höhe befand sich eine halbbogenförmige Öffnung, von der jetzt eine schmale Rampe heruntergefahren wurde, die augenscheinlich über Transportbänder verfügte.
In gleichmäßigen Abständen waren auf der sonst glatten kugelförmigen Hülle leicht plattgedrückte Höcker verteilt, die sich anscheinend in alle Richtungen bewegen ließen.
Strahlgeschütze?
Auch der Ringwulst, der das Schiff von Pol zu Pol umlief, gab dem Raumer ein seltsames Aussehen. Gut fünfundzwanzig Meter breit, aber über vierzig Meter dick, verfügte dieser Ring, ebenso wie der horizontal um den Schiffsäquator verlaufende, über ein anomal großes Volumen. Wenn der Platz in den beiden Wulsten vollständig ausgenutzt war, dann mußten sich darin überaus leistungsfähige Triebwerke verbergen.
Ren Dhark, Marschall Bulton und die beiden Cyborgs blickten zur Schleuse hinauf.
Dort war keinerlei Bewegung auszumachen. Von der Besatzung ließ sich bisher niemand sehen.
Kein gutes Zeichen, dachte Ren Dhark, der sich vergeblich bemühte, seine Nervosität zu unterdrücken.
Ein fremdes Schiff landete auf einem fremden Planeten, und seine Besatzung dachte nicht daran, sich freiwillig dem Gastgeber zu zeigen.
Bulton blickte die beiden Cyborgs fragend an.
Sass grinste schwach. »Wir haben umgeschaltet.«
Dicht vor der kleinen Gruppe berührte die Rampe aus silbergrauem Material den Boden. Im gleichen Augenblick begannen vier Transportbänder in Richtung auf die Schleuse anzulaufen.
Ohne zu zögern betrat der Commander eines der Bänder.
Bulton und die Cyborgs folgten seinem Beispiel. In gleichmäßigem, nicht besonders schnellem Tempo wurden sie hinaufgefahren und näherten sich der Schleuse, einem dunklen Raum, dessen Ausmaße sich im Hintergrund verloren.
Die Schleuse war leer.
»Eine unhöfliche Gesellschaft«, murmelte Marschall Bulton, der sich vergeblich nach einem fremden Wesen umgesehen hatte – und zuckte zusammen.
Licht flutete aus allen Wänden.
Grelles, grünes Licht, und in diesem grünen Licht standen Riesen vor ihnen – mehr als drei Meter groß, breitschultrig, von humanoider Gestalt; nur der Kopf war nicht menschlich.
Grau die lederartige Haut der sechsfingrigen Hände, grau das Gesicht. Aber was für ein Gesicht…!
Im oberen Drittel zog sich unter der leicht schillernden Glatze ein Facettenkranz über die vordere Hälfte herum. Eine Handbreit darunter befanden sich in gleichbleibendem Abstand fingerlange ovale Öffnungen. Sollte das die Nase sein?
Und der Mund? Es gab ihn gleich viermal. Er befand sich dort, wo bei Menschen die Kinnspitze war – ein lippenloser, schmaler Strich, der im grellen, grüngetönten Licht leicht bläulich schimmerte.
Der Kopf erinnerte an eine überdimensionierte Birne, die man mit dem Stielende auf einen klobigen Körper gestellt hatte. Die graue Lederhaut saß völlig straff, schien weder Falten noch Poren aufzuweisen; sie zeigte auch keine Bewegung, als das Wesen, das sich in der Mitte der siebenköpfigen Gruppe befand, den Mund öffnete, der den Terranern zugewandt war, und sagte:
»Rateka, wrass songna bal dorin ka do!«
Es klang rauh, tief und befehlend. Im Kranz der Facettenaugen glühten Lichter in vielen Farben auf. Das fremde Wesen im hellgrauen Overall, der viel zu weit wirkte und in hundert Falten um den Riesenkörper hing, winkelte schenkeldicke Arme an, kreuzte sie vor der breiten Brust und trat auf Ren Dhark zu, der einen Schritt vor seinen Begleitern stand.
»Ich verstehe Sie nicht!« erwiderte Dhark, der nicht einmal mit der Wimper zuckte, als der Riese dicht vor ihm halt machte. »Rateka, ronn sgi do angnokar?«
Viel zu laut sprach der Riese. Seine Stimme dröhnte durch die Schleuse, die zwanzig Meter tief und ebenso hoch war.
»Ich kann Sie nicht verstehen. Ich beherrsche Ihre Sprache nicht!« erwiderte Dhark mit fester Stimme, ohne die Lautstärke zu verändern.
Ren Dhark, Bulton und die Cyborgs verbargen ihr Erstaunen, als sich das obere Drittel des Kopfes über den Kranz aus Facettenaugen schob und ihn verdeckte.
Hatte dieser Riese jetzt das getan, was man bei einem Menschen als Schließen der Augen bezeichnet hätte?
Im nächsten Moment sprach der Fremde mit dem Mund, der sich in seinem ›Nacken‹ befand. Scharf und rauh klang seine Stimme. In einen der übrigen Riesen kam Bewegung. Mit gewaltigen Schritten eilte er in den Hintergrund der Schleuse, kehrte jedoch gleich darauf zurück, einen vielleicht 30 mal 30 Zentimeter messenden, quadratischen Kasten vor der Brust.
Hände, die rechts und links je einen Daumen und vier gleichlange nagellose Finger besaßen, glitten über Sensortasten und Schieberegler. Ein Summen klang auf, dann ein Brummton, der schnell nachließ.
Schließlich schien der Riese zufrieden zu sein und reichte das Gerät mit einer angedeuteten Verbeugung dem Sprecher.
Der nahm es entgegen und scheuchte seinen Untergebenen mit einer herrischen Handbewegung zur Seite.
Ren Dharks Gesicht zeigte nichts von dem, was er dachte.
Er war auf der Hut. Diese Riesen gefielen ihm nicht. Sie waren als ungebetene Gäste gekommen, und sie benahmen sich in einer Art und Weise, die für die Zukunft nichts Gutes ahnen ließ.
Der mittlere Riese hatte sich das Gerät umgehängt und nochmals einige Tasten angetippt. Der Glatzenteil seines Birnenkopfes bewegte sich nach oben. Der Ring aus Facettenaugen lag wieder frei.
Wieso hat er dann sehen können, daß der andere ihm das Gerät übergeben wollte? fragte sich Dhark unwillkürlich.
Die Stimme des Riesen war wieder zu hören; Worte in einer unbekannten Sprache. Doch noch während er sprach, klang eine metallisch klingende Stimme auf, die das Terranische verwendete.
»Rateka, Singu der Rateken, wird den Schutz dieses Planeten übernehmen und verlangt als Tribut die Waffe, mit der das Urk aus dem anderen Gefüge verjagt werden kann.«
Bei dem Kasten mußte es sich um ein Übersetzungsgerät, einen Translator, handeln!
Ren Dhark verspürte plötzlich keine Nervosität mehr. Jetzt wußte er, warum die Erde diesen unerwünschten Besuch bekommen hatte. Im Spiralarm mußte es sich herumgesprochen haben, daß die Terraner über eine Waffe verfügten, mit der man das Nor-ex vertreiben konnte!
Und sie können natürlich nicht ahnen, daß die Gefahr für’s erste beseitigt ist und wir einen Vertrag mit dem Nor-ex geschlossen haben, dachte Dhark.
Er ahmte die Haltung Ratekas nach, der sich als Singu der Rateken bezeichnet hatte und damit wahrscheinlich auf seinen Titel oder seine Stellung hinweisen wollte.
»Mein Name ist Ren Dhark«, sagte der Commander der Planeten bescheiden, »und im Namen dieses Planeten heiße ich Sie willkommen.«
Rateka brüllte ihn an. Farbige Lichter huschten über den Facettenring. Der Translator übernahm die Lautstärke, und Dhark wurde mit den Worten angefahren: »Weißt du nicht, wie man dem Singu der Rateken zu antworten hat?«
Hinter dem Rücken des Commanders flüsterte Marschall Bulton: »Genauso habe ich mir diese Begegnung vorgestellt.«
Unbemerkt von den Riesen kontrollierten die beiden Cyborgs, ob ihre Viphos noch klar und nicht durch einen technischen Trick der Rateken ausgeschaltet worden waren.
Ren Dhark dachte nicht daran, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen. Sein ganzes Interesse galt dem Ziel, diese Begegnung friedlich verlaufen zu lassen. Aber er sah es als einen psychologischen Fehler an, sich dem herrischen Verlangen dieses Rateka zu unterwerfen.
Jetzt verwendete auch er das Du.
»Rateka, du befindest dich auf einer Welt, die deines Schutzes weder bedarf, noch dir Tribute…«
Der Translator hatte erst die Hälfte seines Satzes in die Sprache der Rateken übertragen, als die sechsfingrigen Pranken des Riesen vorzuckten, als ob sie nach Ren Dhark greifen wollten.
Zwei Cyborgs standen plötzlich einen Schritt vor dem Commander, und der Riese führte die Bewegung nicht zu Ende.
Ein wütendes Grollen dröhnte durch die Schleuse. Zwei der Rateken im Hintergrund wollten sich auf die Cyborgs stürzen, doch eine knappe Handbewegung ihres Anführers hielt sie zurück.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen; langsam und gemächlich stemmte Rateka die Pranken in die Hüften, knickte leicht nach hinten ab – und dann rollten dumpf glucksende Laute durch die Schleuse.
Konnte ein Rateke lachen?
»Ihr habt Mut, Zwerge von Terra, aber Mut allein wird euch nicht helfen – schon gar nicht in der Zeit der wrossna!« Die metallisch klingende Stimme war immer noch viel zu laut.
Ren Dhark ließ sich nicht beeindrucken. Sein ganzes Sinnen und Trachten galt der Möglichkeit, mit diesem Riesen zu einer friedlichen Einigung zu kommen. Die Überheblichkeit der Fremden machte seine Aufgabe nicht leichter, aber auch nicht unmöglich.
Er winkte Sass und Yello zurück und warf Bulton einen aufmunternden Blick zu. Schweißtropfen glitzerten auf der Stirn des Marschalls, seine Fingerspitzen schwebten nur Zentimeter über den Blasterkolben.
Ren Dhark schüttelte unmerklich den Kopf, dann wandte er sich wieder an den Riesen. »Es gibt keinen Grund für Streitigkeiten, Rateka. Terra benötigt den Schutz des Singu der Rateken und seines Volkes nicht. Doch wir sind jederzeit dazu bereit, diplomatische Beziehungen mit dem Volk der Rateken aufzunehmen, und ich bin sicher, daß unsere beiden Völker…«
Wieder ließ Rateka ihn nicht ausreden. »Ich höre deine Worte, Dhark, doch sie bedeuten mir nicht mehr als das Plappern der Qarrn in der Abenddämmerung.« Die metallische Stimme schien mit jedem Wort lauter und drohender zu werden. »Dhark, ich stelle diesem Planeten ein Ultimatum. In unserem Heimatsystem sind acht Fados unserer Flotte in Bereitschaft. Du hast eine Frist von zwei Normstunden deiner Zeitrechnung. Bist du bis dahin nicht bereit, mir die Waffe auszuhändigen, mit der man das Urk vertreiben kann, werde ich die Schiffe rufen, und sie werden eine zweite Sonne aus dieser Welt machen!«
Ren Dhark zuckte mit keiner Wimper. »Du hast vergessen, daß du dich mit deinem Schiff auf einer fremden Welt befindest.«
»Nichts wird mich hindern, diesen Raumhafen zu verlassen, wann immer ich es will. Keine Macht kann dich aus meinem Schiff holen. Vergiß nicht, daß nach Ablauf der Frist acht Fados – das sind mehr als 8000 Raumschiffe – aufbrechen werden, um aus deiner Heimatwelt eine Sonne zu machen. Mehr habe ich dir nicht zu sagen.«
Und mit diesen Worten verließen alle Rateken die Schleuse durch ein an der Stirnwand gelegenes Schott.
Marschall Bulton schätzte ihre Lage vollkommen falsch ein. »Dieser Rateke ist größenwahnsinnig, Commander.«
»Da!« Dhark hielt ihm sein Spezial-Vipho hin. Es arbeitete nicht mehr, genau wie die Geräte der anderen. Es gab keine Verbindung mit Cent Field und Alamo Gordo mehr. Die Rateken hatten sie durch einen technischen Kunstgriff unterbrochen.
*
Zwei Flash landeten im Brana-Tal, dicht neben der Cyborg-Station. Sie waren angemeldet, und es war auch nichts Besonderes mehr, daß hier ab und zu Blitze landeten. Aber daß gleich vier der ersten Cyborgs, die in dieser Station entwickelt worden waren, zusammen ankamen, war überaus ungewöhnlich.
Echri Ezbal, in mehr als nur einer Hinsicht das Herz dieser gigantischen medizinischen Anlage, empfing seine Schützlinge in seinem einfach eingerichteten Privatraum.
Immer wieder glitt sein Blick über die Snide-Zwillinge. Stolz lag in diesem Blick, Stolz und ehrliche Freude. Der Genetiker und Biochemiker war stolz darauf, zwei Menschen aus dem Grau eines Daseins als Schwachsinnige herausgerissen zu haben.
Charly und George Snide wußten, daß sie von Geburt an geistig zurückgeblieben gewesen waren. Es machte ihnen nichts aus, darüber zu sprechen, weil sie nicht die kleinste Erinnerung an jene Zeit zurückbehalten hatten.
»Gibt es Fortschritte in Sachen Cyborgs, Ezbal?« fragte Holger Alsop, der der erste cybernetic organism Terras gewesen war.
Der Brahmane strich sich durch seinen silberweißen Bart. »Es gibt Fortschritte, besonders auf dem Gebiet des Phanten. Wenn es euch interessiert, dann könnt ihr in einer Stunde zusehen, wie ein Mensch zum Cyborg gemacht wird – und zwar zu einem Cyborg, der kein Steuergerät mehr benötigen wird, um phanten zu können.«
»Kein Steuergerät?« fragte Jan Burton interessiert. »Dann sind Injektionen durch das Phant-Adhesive nicht mehr erforderlich?«
»Lassen Sie sich überraschen«, erwiderte der greise Wissenschaftler und lächelte dabei, als sei er seiner Sache sicher.
Die Stunde des Wartens verging schneller als sie gedacht hatten.
Der Cyborg-OP war ein großer, weißgekachelter Saal, der an drei Seiten mit Unmengen medizinischer Spezialgeräte vollgestopft war. Die vierte Seite war durch eine energetische Sperre abgeteilt. Dahinter saßen die vier Männer und konnten über ein halbes Dutzend Bildschirme alles aus nächster Nähe beobachten.
Mark Carrell hieß der junge, knabenhaft schlanke Mann auf dem OP-Tisch. Er lag in tiefer Narkose und wußte nicht, was mit ihm geschah.
Aufmerksam hatten die vier Cyborgs die Vorbereitungen verfolgt: Großes Gehirnstrommuster; Schichtaufnahmen des Gehirns, der Organe, der Sehnen, Muskeln und Nerven. Jetzt wurde die Bohrhaube herangefahren, ein im Brana-Tal entwickeltes Gerät.
Die Bohrhaube wurde über Mark Carrells Kopf gestülpt, sensorisch eingestellt, über Verbindungen mit den Schichtaufnahmen des Gehirns verbunden, und dann drückte einer der Mediziner den rotleuchtenden Knopf am Steuerpult.
An mehr als dreihundert Stellen wurde Mark Carrells Schädeldecke durchbohrt. Unsichtbar, nur an den Instrumenten zu verfolgen, spritzten anschließend aus den Bohrdüsen mikrodünne Strahlen, die an feinstes Plastikgewebe erinnerten, aber in Wirklichkeit damit nichts gemein hatten. Diese Strahlmasse traf haargenau jene Stellen im Gehirn, die sie zu erreichen hatte. Dabei spielte es keine Rolle, ob vorher andere Partien durchbohrt werden mußten. Diese Eingriffe auf andere Gehirnteile waren so winzig, daß der Organismus darauf nicht reagierte.
Hatte die Strahlmasse das vorgeschriebene Ziel erreicht, wurde sie im gleichen Moment steif, ohne jedoch etwas von ihrer Elastizität zu verlieren.
Über eine Kette von Enzephal-Oszillos wurde dieser gewagte Eingriff mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt. Er war der risikoreichste Abschnitt der gesamten Operation.
»Aufbau der Rückschaltungs-Phase«, hörten sie und konnten sich selbst – obwohl schon seit vielen Wochen Cyborgs – endlich einen Begriff davon machen, was sie darunter zu verstehen hatten.
Dann wurde die Bohrhaube von Carrells Kopf genommen; nicht die kleinste Wunde oder Bohröffnung war zu entdecken. Einer der Wissenschaftler erklärte: »Die Bohröffnungen sind ein Hundertstel Millimeter stark. Alle sind durch Med-Plastik gekittet und in gut einer Stunde auch verheilt.«
Unwillkürlich strich sich Charly Snide über den Kopf, aber so behutsam er auch tastete, nirgendwo konnte er so etwas wie eine Narbe entdecken.
Die nächste Bemerkung aus dem OP galt ihnen.
»Achtung, wir schließen jetzt das Cyborg-Nerven-System an.«
Verdutzt sahen sich die faszinierten Zuschauer an. Bis gerade eben hatten sie nicht einmal gewußt, daß sie ein zweites Nervensystem besaßen, wenn sie umgeschaltet hatten.
»Anschluß der Not-Sauerstoffversorgung des Gehirns.« »Achtung, Einbau des Programm-Gehirns.«
»Was?« platzte Jan Burton heraus. »So klein ist das Ding? Nicht mal so groß wie eine Erbse?«
Dreißig, manchmal vierzig medizinische Spezialisten waren tätig. Oft nur zwei oder drei, aber in keiner Phase des Umbaus war auch nur die kleinste Unsicherheit zu beobachten. Jeder Handgriff saß. Es gab keine Pannen. Es gab kein lautes Wort, keine Hektik.
»Verändern der Muskulatur.«
Es ging Schlag auf Schlag, und das alles praktisch ohne Blut, bis auf den Einbau des Programm-Gehirns und der Pseudolunge. »Erster Klein-Test.«
Mark Carrell lag immer noch in tiefer Narkose und ahnte nicht, daß er den ersten Beweis zu erbringen hatte, jetzt ein Cyborg zu sein.
»Test läuft!«
In diesem Augenblick schlugen die Viphos der Cyborgs an. Arc Doorn rief von Cent Field. »Hier gibt es Probleme. Kommen Sie so schnell wie möglich und fliegen Sie ins Flash-Depot der POINT OF ein. Ende!«
Sie erhoben sich gleichzeitig, wie ein Mann. Ein kurzer Abschiedsblick galt dem OP und den Menschen darin, dann verließen sie den Raum.
Cent Field hatte gerufen.
Sie kamen.
2.
Wie ein gereizter Tiger marschierte Dan Riker in der Kommandozentrale der POINT OF auf und ab. Seit mehr als einer halben Stunde war die Verbindung zu Ren Dhark, Marschall Bulton und den beiden Cyborgs abgerissen. Immer wieder wanderten Rikers Blicke zu den Bildschirmen, die den Doppelwulstraumer zeigten, der friedlich und unbehelligt im Licht der Sonne auf seinem Landeplatz stand.
Der Anblick schien ihn zu verhöhnen.
Riker hätte das Raumschiff am liebsten mit der POINT OF angegriffen, doch Arc Doorn hatte ihm diese Schnapsidee – wie er sie in seiner respektlosen Weise genannt hatte – ausgeredet. »Warum mit dem großen Hammer zuschlagen, wenn es Nadelstiche genausogut tun, Riker«, hatte er gesagt, »ganz zu schweigen von der Gefahr, die ein Angriff mit dem Ringraumer für den Commander und seine Begleiter bedeuten könnte. Ich habe noch ein paar Cyborgs mehr angefordert; sie müßten bald hier sein – und dann können wir uns etwas überlegen…«
Doch die Zeit bis zum Eintreffen der galaktischen Feuerwehr verstrich quälend langsam.
»Zwei Flash im Anflug«, meldete Tino Grappa plötzlich.
»Na, endlich!« seufzte Riker. Im gleichen Augenblick erklang die Stimme von Glenn Morris aus der Funk-Z: »Riker, ich habe Doorn in der Leitung…«
»Stellen Sie durch, Morris!«
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