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E-Book: 13-18 E-Book

Mira von Freienwald

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Keine Leseprobe vorhanden. E-Book 1: Die große Liebe für Komtess Regina E-Book 2: Friederikes arabischer Traum E-Book 3: Maskenball der Liebe E-Book 4: Kannst du mit mir glücklich werden? E-Book 5: Happy-End auf Gut Renken E-Book 6: Ein Märchenprinz mit kleinen Fehlern

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Seitenzahl: 753

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Inhalt

Die große Liebe für Komtess Regina

Friederikes arabischer Traum

Maskenball der Liebe

Kannst du mit mir glücklich werden?

Happy-End auf Gut Renken

Ein Märchenprinz mit kleinen Fehlern

Fürstenkrone – Jubiläumsbox 3 –

E-Book: 13-18

Mira von Freienwald Jutta von Kampen Melanie Rhoden Isabell Rohde Iris von Raven

Die große Liebe für Komtess Regina

Warum sie gegen ihre strenge Erziehung rebellierte

Roman von Mira von Freienwald

Das Universitätsgelände lag still in der Mittagssonne. Auf dem Rasenstück vor dem großen hellen Gebäude plätscherte der große Springbrunnen, dessen Wasserfontäne hoch in den blauen Himmel stieg, um dann wie schwere gläserne Tropfen in die stufenförmigen weißen Steinbecken zu fallen. Das Geräusch versprach Kühlung.

Doch kaum jemand ging derzeit durch die hohe Tür des Gebäudes, denn die Vorlesungen waren noch nicht zu Ende.

Regina spazierte nervös um das große Brunnenbecken, das nur wenige Meter vor dem Eingang zur Universität lag. Sie wartete auf Adam, den Chauffeur ihres Papas. Adam hätte längst wieder da sein müssen. Er wollte nur kurz in die Autowerkstatt fahren, um etwas abzuholen, hatte er gesagt, während Regina sich in der Zwischenzeit die Uni von innen ansehen wollte. Bald würde auch sie hier aus und ein gehen.

Zwei Stunden waren seitdem vergangen. Sie hätten längst daheim sein müssen. Papa würde wütend sein, und Berta, die Köchin, musste das Essen warm stellen. Tante Charlotte wartete auch. »Es verbrutzelt alles, wenn man es warm halten muss!«, würde die kleine rundliche Schwester des Grafen jammern. Sie war ein Jahr älter als der Hausherr, eine ältere Dame mit grauem Haar und wasserhellen blauen Augen.

Der Chef des Hauses Hohensteinbach, das bereits seit dem Mittelalter existierte, war Karl Friedrich von Hohensteinbach. Aber der gute Geist des Hauses war Charlotte, seine Schwes­ter. Papa war sicher wütend. Und das fürchtete Regina am meisten, denn wenn er richtig böse war, zog er die Augenbrauen zusammen, dass sie wie ein schwarzer Strich über den graugrünen Augen lagen. Sein Motto: »Die Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige!« Und wehe, die Familie hielt sich nicht daran. Bruder Jonas konnte ein Lied davon singen. Ihn hatte Papa einige Male vom Tisch weg zum Essen in die Küche verbannt. Das war allerdings schon ein paar Jahre her. Jonas war inzwischen erwachsen, jedenfalls dem Alter nach, und studierte Medizin. Er würde der erste Arzt in der Familie derer von Hohensteinbach sein, und Regina war stolz auf ihren Bruder. Aber noch schlimmer hatte früher Großmama auf solche Verstöße reagiert. Das war zwar schon lange her, und Regina konnte sich nur noch vage an sie erinnern, aber vieles, das sie sich gemerkt hatte, war nicht sehr erfreulich.

Besonders anstrengend waren die täglichen Besuche in der düsteren Schlosskapelle gewesen, bei der die kleine Regina zum Abendgebet immer mitgehen musste. Das hieß eine Stunde lang knien und in dieser gruftähnlichen Umgebung den Rosenkranz beten. Im flackernden Licht der Kerzen schienen die Statuen aus weißem Marmor zu leben und flößten der kleinen Regina Angst ein.

Großmama konnte aber auch wundersame Geschichten aus der Zeit erzählen, als sie selbst noch ein junges Mädchen war. Von Prinzen und Prinzessinnen, von Grafen, Fürsten und Herzoginnen, berichtete sie.

Und von einem Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Weil damals sogar Mexiko den österreichischen Habsburgern gehörte. Und die kamen für Großmama gleich nach dem lieben Gott. Als Bürgerliche hatte sie den Stolz auf das Land ihrer Väter mit in ihre preußische adelige Ehe genommen.

Großmama besaß noch einige Maria Theresia Taler, die sie von ihrer Familie geerbt hatte. Als Maria Elisabeth Bratfisch war sie sehr stolz auf diesen bürgerlichen Namen gewesen, denn sie war mit dem Leibfiaker Bratfisch des Kronprinzen Rudolph verwandt. Und Rudolph sollte einmal Kaiser von Österreich werden.

Die Familie Bratfisch hatte damals in Wien ein Fuhrunternehmen. Als »Fiaker« in Wien besaß die Familie als einzige Pferde, die im gleichen Takt laufen konnten. Prächtige Rappen, die vor eine Kutsche gespannt, als Taxi der damaligen Zeit fungierten.

Als der verheiratete Prinz Rudolph von Habsburg sich in die 16jährige Mary Vetsera verliebte, brachte der Fiaker Bratfisch die Baroness in seiner Kutsche zu ihrem heimlichen Treffen in das Schloss nach Mayerling. Es war das Liebesnest des Kronprinzen mit der jungen Baroness. Das Glück dauerte nicht lange. Der Kronprinz war verheiratet und streng katholisch erzogen worden. Der Hof reagierte empört über diese Mesalliance.

Und in einer Winternacht geschah das Unfassbare: Bratfisch und der Leibdiener des Kronprinzen waren mit in Mayerling, als das Liebespaar starb. Man sagte durch die Hand des Kronzprinzen. Aber was wirklich geschah, wussten nur Bratfisch und der persönliche Diener des Kronprinzen. Beide mussten schwören zu schweigen. »Und sie hielten sich daran!« Das und viel mehr erzählte Großmama stolz ihrer kleinen Enkelin. Und Großmama hatte es geschafft, in den Adel einzuheiraten. Allerdings nur in den preußischen. »Aber Adel ist Adel!«, sagte Großmama.

Regina lächelte, als sie an Großmama dachte, denn sie konnte sich diese betagte, ziemlich herrische und voluminöse Dame niemals als Sissi vorstellen. Aber so hatte ihr Mann die junge Gräfin damals allen vorgestellt: »Meine Sissi!«

Doch die große alte Dame gab es nicht mehr. Sie lag schon lange in der Gruft unter der kleinen Kapelle, in deren Nischen eine große Anzahl der Grafen von Hohensteinbach lagen. Und Regina wusste nun auch, dass »mea culpa« meine Schuld heißt. Denn Großmama hatte es täglich kniend vor dem Altar der Kapelle gebetet und sich dabei mit ihrer kleinen, zur Faust geballten rechten Hand an die Brust geschlagen. Regina wollte wissen, warum, hatte jedoch nur Kopfschütteln zur Antwort bekommen. Vielleicht wollte Großmama nicht zugeben, dass auch sie sich schuldig fühlte, weil sie den Grafen von Hohensteinbach nicht aus reiner Liebe geheiratet hatte.

Regina spazierte noch immer, völlig in ihre Gedanken über Großmama vertieft, um den leise plätschernden Springbrunnen. Ein Krankenwagen mit Sirene riss sie aus der Vergangenheit zurück. Über eine Stunde wartete sie jetzt schon auf Adam, Papas Chauffeur!

Verärgert setzte sie sich auf den Brunnenrand. Tante Charlotte würde sagen: »Wenn man seinen Angestellten den kleinen Finger reicht, nehmen sie gleich die ganze Hand!«

Der gute Adam wollte eigentlich nur rasch zu einer Autowerkstatt, um etwas abzuholen. Und Regina war nur aus einem Grund mitgefahren: Es war die beste Gelegenheit, sich mal kurz die Uni von innen anzusehen. Denn nächstes Jahr würde sie täglich hier aus und ein gehen. Endlich raus aus dem Mief der tausendjährigen alten Mauern. Und zwar allein, ohne Aufpasser!

Die Hitze wurde unerträglich. Regina schubste ihre Schuhe von den Füßen, krempelte ihre Jeans hoch und tauchte vorsichtig die große Zehe in das flache Brunnenbecken. Das Wasser war so angenehm kühl, dass sie die Augen schloss, den Kopf in den Nacken legte und tief einatmete. So stand sie eine Weile, völlig gelöst – und merkte nicht, dass sie schon eine ganze Weile beobachtet wurde.

Ein junger Mann mit einem Aktenkoffer in der Hand beobachtete das Mädchen mit den langen dunklen Haaren und der kleinen frechen Nase. Jetzt atmete auch er tief ein und fühlte mit ihr die Kühle des Brunnens. Und das, obwohl er in der gleißenden Sonne stand und schwitzte. Er fand sie hinreißend und hätte sie gerne gefragt, wo sie denn vor dieser Begegnung gesteckt hatte. Er sah sie jedenfalls zum ersten Mal, obwohl er ein alter Hase an der Uni war. Und wenn sie Studentin gewesen wäre, hätte sie ihm irgendwann über den Weg laufen müssen.

»Vorsicht! passen S’ auf! Die Steine sind glatt!«, rief er jetzt, denn sie stand plötzlich im Brunnen, und er machte einen Satz vorwärts, denn er wusste, wie tückisch der Steinboden im Wasser war.

Zu spät! Regina rutschte aus, und bevor er sie erreichen konnte, landete seine Traumfrau unsanft auf ihrem Hinterteil. Regina hätte jetzt gerne laut geflucht, aber auch das hatte Großmama ihr abgewöhnt, als die kleine Regina ein paar kräftige Flüche aus dem Kindergarten heimgebracht hatte.

»Eine Komtess flucht nicht! Sie ist jeder Situation gewachsen!« Das hörte sie heute noch so deutlich wie damals.

»Haben Sie sich weh getan?«

Regina antwortete nicht, griff aber nach der helfenden Hand und zog sich hoch. Blöde Frage, dachte sie, nickte und murmelte gequält: »So ein Mist!«

Dann sah sie in das lächelnde Männergesicht und ließ sofort seine Hand los.

»Danke, das kann ich allein!« Kaum hatte sie es ausgesprochen, rutschte sie erneut aus und fiel auf die Knie. Jetzt war nicht nur ihr Hinterteil nass.

»Was ist los? I beiß net!«, sagte der Mann mit der blonden Mähne, lachte, packte sie, hob sie hoch und stellte sie neben dem Brunnenrand auf den Rasen. Das geschah so rasch und kraftvoll, dass Regina sprachlos war.

»Und wo sind denn die Schuh’? Oder sind S’ barfuß unterwegs?« Sie sah ihn an, und er war ihr so nahe, dass sie ihr Spiegelbild in seinen Augen sehen konnte. Hitze kroch ihr über den Nacken, denn sie fühlte sich plötzlich so schrecklich hilflos. Und sein bayrisches Idiom kam immer wieder durch und machte sie nervös. Ihr hatte man nie erlaubt, sich den Kindern in der Schule anzupassen. Ihre Sprache zu sprechen, die so lustig klang. Eine leichte Färbung war erlaubt, aber kein Dialekt.

»Lassen Sie mich doch endlich los!« Sie machte sich frei und suchte nervös ihre Schuhe. Sie konnte diese Unsicherheit in seiner Nähe nicht mehr ertragen.

»Aber ja! Ich wollt’ ja nur helfen!« Er ließ sie los.

»Das sieht man!«, spottete Regina, weil sie endlich wieder Luft bekam, »ohne Sie wäre ich nicht gleich zweimal im Wasser gelandet!« Sie fand ihre Schuhe, hob sie auf und sah ihn wütend an. Aber er konnte das Lachen nicht unterdrücken. Am liebsten hätte er sie in seine Arme genommen und getröstet, wie man ein kleines Kind beruhigt, das sich das Knie aufgeschunden hat und nun nicht weiß, soll es lachen oder weinen.

Und dann war Reginas Ärger plötzlich weg. Die Situation hatte etwas Komisches, fand sie, und schüttelte den Kopf.

Er lächelte unter dem wilden Haarwuchs hervor und zeigte eine Reihe weißer Zähne. Regina wollte sich bedanken, doch im gleichen Augenblick fuhr Adam mit der schwarzen Limousine an den Straßenrand. Und da sah sie den Mann neben sich noch einmal an, nur einen Lidschlag lang – und ging wortlos davon.

Adam stieg aus, nahm die Mütze ab und öffnete die Tür des Wagens.

Die Schuhe flogen auf den Sitz, und Regina stieg ein. Sie sah sich nicht um.

Zurück blieb ein verdutzter junger Mann, der aus dem Staunen nicht herauskam. Wen hatte er denn da aus dem Wasser gezogen? Er sah dem schwarzen Wagen nach und konnte gerade noch die Autonummer erkennen.

*

Trotz Verspätung gab es daheim keinen Ärger. Als Regina durch den Personaleingang ins Haus kam, verließ Papas rundliche Schwester Charlotte mit hochrotem Gesicht die Küche. »Nur gut, dass du endlich da bist!« Sie war atemlos. » Wie siehst du denn aus? Bist du ins Wasser gefallen?« Aber sie wartete die Antwort nicht ab.

»Dein Vater hat Besuch. Berta ist dabei, das Essen zu verlängern, es muss ja auch für die Gäste reichen! Die kamen ohne Anmeldung!« Charlotte schüttelte mit Leidensmine den Kopf.

»Wer ist gekommen?« flüsterte Regina.

»Die Grafen von Mähringen, Vater und Sohn!«, flüsterte Tante Charlotte und richtete ihren Blick nach oben, als würde sie irgendwo Hilfe suchen.

»Auch das noch!«, hauchte Regina. Maximilian von Mähringen war da, Großmamas Liebling. Regina war gerade mal sechs Jahre alt gewesen, da hatte Großmama nach einem Besuch bei der Familie von Mähringen zu Papa gesagt, dass Max von Mähringen später mal eine gute Partie für Regina wäre. Natürlich nicht gleich, die beiden waren noch Kinder. Aber man konnte mit der Planung nicht früh genug anfangen. In anderen Ländern würden bereits Kinder verlobt. Und Regina hatte das sehr ernst genommen, denn was Großmama sagte, war für die Familie Evangelium. Doch zum Glück hatte Papa den Kopf geschüttelt.

»Die von Mähringen sind gut betucht!«, hatte Großmama zu bedenken gegeben. »Sie besitzen Obstplantagen in Brasilien, Weinberge in Frankreich und Güter in der Lombardei. Und wer weiß, was noch alles! Die beste Voraussetzung für eine Ehe! Das, was man Liebe nennt, kommt später!« Und Papa hatte nicht widersprochen. Das tat er seiner Mutter gegenüber nur ganz selten. Er schwieg lieber, um keinen Ärger zu kriegen.

Die kleine Regina liebte ihren Papa. Er war für sie der schönste Mann auf Erden, und ihr kleines Herz klopfte, wenn er sie mal auf den Arm nahm, was sehr selten vorkam. Er war groß, hatte dunkelbraunes Haar, ein markantes Gesicht und grüne Augen. Seine schwarzen schmalen Augenbrauen zeigten seine Stimmung an. Sie waren sichelförmig gebogen, wenn es ihm gut ging, und wurden zum Strich bei Wut. Regina fürchtete sich davor.

Was würde Großmama sagen, wenn sie sehen könnte, was aus ihrem niedlichen Max von Mähringen geworden ist. Ob sie dann noch immer auf einer Verbindung mit den Mähringern bestehen würde?

»Ich muss mich erst mal trocken legen!«, flüsterte Regina, hauchte einen Kuss auf Tante Charlottes rosige Wangen und lief die Treppen in den Turm hoch. Ihr Zimmer lag über dem Bruder Jonas, der mittags nur selten daheim war. Er aß in der Mensa und erschien meistens erst zum Abendessen.

Regina zog rasch frische Unterwäsche und trockene Jeans an, obwohl ihr Vater diese »amerikanische Plebejer-Kluft« beim Essen nicht mochte. Schon gar nicht an seiner Tochter. »Eine Frau in Hosen ist ein Unding. Ein Sakrileg!«, fand er.

Regina war gerade mit dem Umziehen fertig, da ertönte der Gong. Man traf sich zum Essen im Terassenzimmer.

Regina betrat als letzte den Raum. Die Türen zum Garten waren geschlossen, denn es hatte sich herausgestellt, dass der Hausherr auf Insektenstiche allergisch reagierte.

»Hallo, Regina!« Max von Mähringen stand auf, als Regina eintrat. »Wie schön, dich zu sehen! Du hast dich überhaupt nicht verändert!« Die wasserhellen Augen in dem runden Gesicht mit den weißlichen Augenbrauen strahlten.

»Du auch nicht!«, sagte Regina und begrüßte erst seinen Vater.

Die beiden, Vater und Sohn, sahen sich verblüffend ähnlich. Gesicht, Nase, Bauch, alles gut gepolstert. – Und wieder musste sie an Großmama denken, die immer Wert darauf gelegt hatte, dass sie einen Knicks zu jeder Begrüßung machte, aber diese Zeiten waren vorbei. So schüttelte sie dem Sohn die Hand, küsste ihren Papa auf die Wange und ließ sich an seiner rechten Seite nieder. Papas linke Seite blieb immer frei, niemand wusste, warum der Graf Wert darauf legte, und fragte man danach, legte er den Zeigefinger auf den Mund und schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber reden.

Jetzt sah er Regina prüfend an und flüsterte. »Du hättest zur Feier des Tages ein Kleid anziehen können!«

»Entschuldige Papa, ich wusste nicht welches!«, murmelte Regina.

»Die Ausreden kannst du dir sparen! Im Lügen warst du noch nie gut!«, flüsterte er, und Regina fühlte wieder diese Kälte in seinen Worten, die immer dann zu hören war, wenn er sie rügte. Mit Jonas hatte sie ihn noch nie so reden hören.

»Das bildest du dir nur ein!«, meinte Tante Charlotte, bei der sich Regina nach so einem Eklat schon immer beschwert hatte. Aber irgendetwas stimmte nicht, und da Charlotte einfach nicht lügen konnte, musste da etwas sein, das man Regina verschwieg. Sie ahnte schon lange, dass es um ihre Person ein Geheimnis gab. Irgendetwas stand zwischen ihr und ihrem Vater Karl Friedrich. Doch vielleicht, so hoffte Regina immer noch, irrte sie sich.

*

Die Sonne schien durch die hohen Fenster des Zimmers, und Tante Charlotte sorgte dafür, dass alle am Tisch zufrieden waren. Franzi, im weißen Schürzchen, goss den Wein nach, und die Väter unterhielten sich schon während der Mahlzeit über Geschäfte im Allgemeinen.

»Ich bin gekommen, um dich zu meiner Geburtstagsfeier einzuladen!«, sagte Max beim Dessert leise zu Regina, die ihm gegenüber saß. »Es sind noch sechs Wochen bis dahin, aber Papa meinte, dass wir dich früh genug einladen müssen, sonst hast du vielleicht schon andere Termine eingeplant. Die Einladungen kommen erst übermorgen aus der Druckerei. Ich werde dir pro forma eine zuschicken. Aber es wäre traurig für mich, wenn du keine Zeit hättest. Kommst du?«

»Klar komme ich! Ich war doch bisher jedes Mal dabei!«

Max war immer nett und freundlich zu ihr gewesen. Aber sie merkte schon seit einiger Zeit, dass er immer öfter ihre Nähe suchte. Doch für eine dauerhafte Verbindung zwischen ihm und ihr war es nicht genug, was sie für ihn empfand. Sie wollte ihn nicht verletzen, aber irgendwie musste sie ihm klarmachen, dass es nie eine engere Verbindung zwischen ihm und ihr geben würde.

»Was wünschst du dir zum Geburtstag? Ich möchte dir gerne eine Kleinigkeit schenken. Gib mir einen Tipp, damit ich nicht völlig daneben liege.« Regina nippte an ihrem Weinglas.

»Lass nur. Wenn du kommst, ist das für mich das schönste Geschenk!«, flüsterte Max, sah sie über den Tisch hinweg lächelnd an, und seine hellen Augen glänzten feucht.

Jetzt wäre der Zeitpunkt günstig gewesen. Jetzt hätte sie ihm sagen müssen, dass es nie eine engere Verbindung zwischen ihnen geben würde. Aber sie schaffte es einfach nicht, ihm das klarzumachen. Er tat ihr leid. Mehr als ein Jugendfreund würde er nie für sie sein.

*

Nach dem Essen zogen sich die Väter in die Bibliothek zurück, um dort bei einer Tasse Mokka eine Havanna zu rauchen. Und Regina musste sich um Max kümmern, das war schon immer so, und das erwartete man auch jetzt.

Die beiden gingen über die Terrasse, schlenderten auf dem hellen Kiesweg entlang, der die große Wiese umrundete, auf der die beiden schon als Kinder gespielt hatten. Die Sonne stand hoch, und nur hin und wieder segelten ein paar kleine Wattewölkchen vorüber.

Charlotte stand am Fenster ihres Zimmers und sah den beiden nach. Sie war eine kleine rundliche Person mit weißen Löckchen und kleinen wasserhellen Augen und war sehr agil. Sie roch zart nach Patschuli wie ihre strenge Mutter. Doch eben dachte Charlotte an Reginas Mutter, von der nur Karl Friedrich wusste, wo sie lebte, seit sie ihren Mann und ihre Kinder alleingelassen hatte. Nicht freiwillig, wie Charlotte ahnte, denn sie kannte ihren Bruder. Er trug seinen Stolz wie eine Standarte vor sich her, und wehe, jemand wagte auch nur daran zu kratzen. Und genau das musste Vicky, die Mutter von Jonas und Regina, getan haben. Charlotte wischte die Tränen aus ihrem Gesicht. Immer wieder dachte sie an die Zeit mit der wunderschönen Vicky von Hohensteinbach. Sie war ihr mehr als nur eine Schwägerin gewesen. Eher wie eine Schwester. Und sie dachte an die Geburt des Stammhalters, der die Linie derer von Hohensteinbach weiterführen sollte. Karl Friedrich war so stolz darauf gewesen, dass das erste Kind gleich ein Sohn war. Doch von dieser Zeit an veränderte sich alles. Die Geschäfte gingen schlecht, es gab Ärger in der Familie, weil das Geld fehlte. Karl Friedrich musste Land veräußern und die Pferdezucht aufgeben. Vicky war wütend, weil er auch ihre Pferde verkauft hatte, das Personal entließ und die ganze Anlage zu Geld machte. Somit war auch ihre Mitgift verloren.

Doch schon ein Jahr später war Vicky wieder schwanger. Und als Regina zur Welt kam, war Vicky eines Tages verschwunden – ohne ihr Kind mitzunehmen. Warum, blieb lange Zeit ein Geheimnis. Bis Charlotte nach und nach die Tragödie aus Bemerkungen des Bruders und durch Anspielungen Adams, des Chauffeurs, Stück für Stück zusammensetzen konnte. Wo mochte Vicky, die Unglückliche, jetzt sein? Keiner wusste etwas von ihr. Warum hatte sie alles im Stich gelassen?

Karl Friedrich sprach nicht mehr über die Frau, die er so sehr geliebt hatte. Aber sie, Charlotte, mochte Vickys Töchterchen vom ersten Augenblick an, als wäre Regina ihr eigenes Baby. Niemand kannte den wahren Grund, weshalb die Ehe von Karl Friedrich und Vicky zerbrochen war. Und niemand wusste, wo Vicky jetzt lebte.

Unverständlich für alle, die diese lebenslustige, wunderschöne Frau gekannt hatten und vermissten. Und Charlotte hatte mit Vicky auch die einzige Freundin verloren, die sie hatte. Sie würde Regina beschützen, so gut es ging. Irgendwann musste das Kind alles erfahren, und Charlotte würde einen kleinen Teil dazu beitragen. Bisher hatte sie auf einen richtigen Augenblick gewartet und gehofft, dass Regina Fragen stellen würde. Und jeden Abend schloss sie Vicky in ihr Gebet ein und hoffte, dass sie irgendwann kommen und ihre Kinder in ihre Arme schließen würde.

*

Inzwischen waren Regina und Max am Ende der riesigen Wiese angekommen. Die Rosenbüsche blühten prächtig und verbreiteten ihren üppigen Duft. Großmama hatte sie aus England mitgebracht, als sie von ihrem Besuch am königlichen Hof zurückkam, denn irgendwann hatte der Hof herausgefunden, dass Adele Gräfin von Hohensteinbach auch mit den Grafen von Teck verwandt war. Und da alle Mitglieder des britischen Königshauses auch den Namen von Teck tragen, lag es nahe, die Nachkommen kennenzulernen.

Alle Rosen-Sorten hatten sich wundervoll entwickelt. »Rosa canina« blühte neben »Perl d’Or« und neben den einheimischen Sorten. Und das kleine Gartenhaus dahinter war mit Efeu dicht bewachsen, dass man es kaum sehen konnte.

In diesem Häuschen standen nur noch ein paar verstaubte Gartenmöbel, die keiner mehr brauchte.

Regina und Max schlenderten darauf zu. Sie ahnten nicht, dass Tante Charlotte sie in Gedanken den ganzen Weg über begleitet hatte. Die Schwes­ter des Grafen stand auch jetzt noch immer am Fenster, obwohl die beiden jungen Leute längst hinter den Rosenhecken verschwunden waren.

»Niedlich!«, sagte Max, »ist ja das reinste Dornröschenschloss geworden. Daraus könnte man ein gemütliches Nest machen.« Er sah Regina an, die ihr Gesicht verzog.

»Nein, danke. Wenn ich an die vielen Spinnen denke, die sich da drinnen ihre Nester gebaut haben, kriege ich eine Gänsehaut!« Max lachte, aber seine Heiterkeit wirkte aufgesetzt.

»Ich kann mich noch erinnern, dass wir hier in diesem Gartenhaus mal deinen Geburtstag gefeiert haben«, sagte er und legte seinen Arm um Reginas Schulter. »Erinnerst du dich? Mein Onkel Ferry und deine Mutter waren auch dabei. Die beiden verstanden sich immer prächtig und haben so manches Tennismatch ausgetragen. Im Doppel bekamen sie sogar mal einen Pokal. Das war kurz bevor deine Mutter plötzlich verschwand. Warum sie verschwunden ist, weiß ich bis heute nicht. Aber ich schenkte dir damals einen echten goldenen Ring mit einem kleinen roten, herzförmigen Rubin. Ich hatte ihn beim Juwelier selbst ausgesucht, und Papa hat ihn bezahlt. Hast du den Ring noch?«

Regina nickte. »Sicher liegt er noch irgendwo bei meinem Schmuck, aber ich glaube nicht, dass er jetzt noch passt!« Sie setzte sich auf die Bank vor dem Gartenhaus, Max blieb vor ihr stehen. »Macht ja nichts! Wie wäre es, wenn ich dir zu meinem Geburtstag einen Ring schenken würde?«

Regina schüttelte den Kopf. »Zu deinem Geburtstag wirst nicht du mir, sondern ich dir etwas schenken. Ist das klar?«, sagte sie sehr akzentuiert. »Such dir was aus. Es darf aber nicht zu teuer sein, denn mein Taschengeld ist ziemlich mager!« Sie sah Max in die hellen Augen. Der schüttelte den Kopf. »Nein, nein! Du verstehst mich nicht! Ich meine, dass wir uns doch verloben könnten. Das wäre für mich das schönste Geschenk!« Er wollte vor ihr niederknien, aber Regina zog ihn sofort neben sich auf die Bank.

»Weißt du eigentlich, wie alt ich bin?«

»Klar! Alt genug, um zu heiraten!«

»Und weißt du auch, dass ich nächs­tes Jahr mit dem Studium anfange, wenn ich das Abi schaffe?«

Max lächelte. »Ja und? Man kann auch als verheiratete Frau studieren!«

»Ich nicht!«, sagte sie laut. Sie schwiegen beide lange Zeit, bis Regina es nicht mehr aushielt. »Ich bitte dich, Max, ich bin gerade mal zwanzig, und du bist nicht viel älter. Aber ich möchte einen Beruf haben, bevor ich mich binde. Das musst du doch verstehen! Und wir wissen nicht, ob wir dann noch heiraten möchten.« Sie sah Max an, der finster vor sich hinstarrte. »He, du bist dann vielleicht längst in eine andere Frau verliebt. So etwas kann doch geschehen!« Regina strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Er stand auf. »Unsinn! Für mich wird es nie eine andere Frau geben als dich!«, sagte er und ging ein paar Schritte von ihr weg. Dann drehte er sich um. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Er war blass geworden und sein Blick eisig. »Du weißt, dass unsere Väter längst über unsere gemeinsame Zukunft verhandeln! Ein ›Nein‹ könnt ihr euch jetzt nicht mehr leisten, denn dein Vater ist so gut wie pleite!«

Regina stand jetzt ebenfalls auf. »Das habe ich mir gedacht. Und du machst den Deal mit?«

Max schwieg, denn er kannte die prekäre Lage der Hohensteinbachs besser als Regina.

»Hör mal, Max! Über unsere Köpfe hinweg können sie verhandeln wie und was sie wollen: Ich werde mich jedenfalls nicht davon beeinflussen lassen!«

Regina sah sein blasses Gesicht. Er tat ihr leid. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie ihn niemals heiraten würde.

»Lässt du dich vielleicht einfach so verkuppeln?« Zum ersten Mal kam so etwas wie Charakter in seine verschwommenen Züge. »Nein, natürlich nicht. Aber ich dachte, du hättest wenigstens ein bisschen Zuneigung für mich!« Das klang so traurig, dass Regina ihn am liebsten umarmt hätte.

»Max«, sagte sie, »was hast du von einer Frau, die dich nicht liebt? Ich mag dich, du bist ein netter Kerl, ein richtiger Kumpel, aber für eine glückliche Ehe reicht das nicht!«

»Aber man sagt doch, dass die Liebe erst in der Ehe kommt!«

»Das kann ja sein, aber du bist für mich wie ein Bruder. Versteh doch, ich kann dir nicht große Liebe vorspielen. Dazu schätze ich dich viel zu sehr. So eine Komödie hast du nicht verdient. Ich müsste lügen, und wir wären beide unglücklich. Alles nur des Geldes wegen. Und wir wollen doch ehrlich zueinander sein! Richtige Liebe muss einschlagen wie ein Blitz! Und sag bitte nicht, dass du das gefühlt hast! Wir waren immer die besten Freunde, aber mehr nicht!« Regina atmete tief ein und sah in sein trauriges Gesicht. Plötzlich trübten Tränen ihren Blick. Sie legte ihre Arme um seinen Hals. »Jetzt bringst du mich auch noch zum Heulen!«, schniefte sie.

»Du liebst mich also doch?« In seiner Stimme klang so etwas wie Hoffnung mit.

»Unsinn! Ich bin traurig und möchte dich irgendwie trösten. Aber was hättest du davon, wenn ich dich belügen würde?«

»Du hast ja recht!« Max schob ihre Hände von seiner Schulter. »Und jetzt lass uns wieder zurückgehen, denn die Rosen und das Häuschen sind etwas zu viel Verwirrung für mich. Ich hasse Sentimentalitäten, wenn ich damit allein bin! Kommst du zu meiner Geburtstagsfeier, oder nicht?«

»Das habe ich dir doch versprochen!«

*

Nachdem der Besuch sich verabschiedet hatte, traf Regina auf der Treppe des Turmes Jonas, ihren Bruder.

Er wollte runter, sie rauf.

»Hallo, Schwesterlein! Sag mal, sind die beiden Dicken wieder weg?«

»Ja, Vater und Sohn sind gegangen.«

»Hast du mit Max mal über eure Verlobung gesprochen? Papa sagte mir, dass alles klar ist. Aber ich kann mir das nicht vorstellen.«

»Wie kann Papa so etwas sagen? Ich habe mich mit ihm noch nie über eine Verlobung mit Max unterhalten!« Reginas Gesicht war hochrot geworden. »Er kann mich doch nicht über meinen Kopf hinweg verkaufen wie eines seiner Pferde. Ja, Max und ich sind uns einig: Wir werden in keinem Fall heiraten!«

»Was?« Jonas legte seine Hände wie zum Gebet zusammen. »Weiß Papa das schon?«

»Nein, woher sollte er das wissen, schließlich geht es ja um mein Leben. Und ich habe nicht vor, Maximilian zu heiraten, nur weil die beiden Väter das vielleicht so geplant haben.«

»Wenn du dich nur nicht täuschst. Ich habe da schon andere Versionen gehört!«

»Unsinn! Niemand kann mich zwingen. Wir sind doch nicht im Orient! Max und ich haben darüber gesprochen, und er hat eingesehen, dass man mich nicht zwingen kann!«

»Das darf nicht wahr sein! Papa sagte, alles sei in Ordnung. Und jetzt hängen wir wieder in der Luft!« In seinem Ärger wurde Jonas seinem Vater immer ähnlicher. »Du hast ja keine Ahnung, was das bedeutet!« Er atmete schwer. »Und wie soll ich ohne Geld mein Studium schaffen? Für mich geht’s im Studium nicht nur ums Lernen. Ich trage einen alten Namen und habe meine Verpflichtungen. Und nun steckt unsere Familie bis zum Hals in Schulden. Papa hat schon ein paar von den kostbaren Bildern verkauft. Mamas Reiterhof ist auch an die von Mähringen gegangen. Aber was da jetzt verschachert wird, ist mein Erbe! Es hieß, wenn du verlobt bist, wird Max’ Vater uns sanieren! Aber natürlich erst nach eurer Verlobung!«

Regina setzte sich vor Aufregung auf die Steinstufen. »Davon hatte ich keine Ahnung. Steht es wirklich so schlecht um uns? Charlotte hat mir bisher kein Wort darüber gesagt. Und Papa auch nicht. Man kann doch nicht über meinen Kopf hinweg …« Sie atmete hektisch. »Was soll ich jetzt tun?«

Ihr Bruder zuckte mit der Schulter. »Heirate Maximilian von Mähringen, und wir sind gerettet!«

*

Es war eine sehr nachdenkliche Regina, die neben Tante Charlotte auf dem Rücksitz des Wagens saß. Die beiden Damen waren auf dem Weg nach München, um das passende Outfit für die Geburtstagsfeier bei den Mähringers zu kaufen. Beide sollten an diesem Geburtstag besonders gut aussehen, hatte Papa gesagt, ohne auch nur zu erwähnen, dass es eine Verlobung geben sollte. Doch Charlotte und Regina wussten, dass Karl Friedrich damit rechnete, Regina würde in der Öffentlichkeit keinen Widerspruch wagen.

Charlotte klopfte dem Chauffeur auf die Schulter. »Du kannst losfahren, Adam!«, sagte sie, und der schwere Wagen setzte sich in Bewegung.

Trotz ihrer Angst vor dieser Geburtstagsfeier und davor, dass es zu einem Eklat kommen könnte, wunderte sich Regina, dass Tante Charlotte Adam duzte. Das war ihr vorher noch nie aufgefallen. Denn Papa duldete keine Vertraulichkeiten zwischen Personal und Herrschaft. Obwohl sich die beiden schon so viele Jahre kannten.

Doch auch Charlotte hatte Sorgen. Sie wusste, dass Regina Max von Mähringen einen Korb geben würde, sollte der ihr einen Antrag machen. Eine Katastrophe für die Familie. Und selbst Regina wusste, dass sie während der Feier, an der alle Freunde und Bekannten beider Familien anwesend sein würden, nicht »Nein« sagen durfte. Die Folge wäre ein kompletter Bruch zwischen beiden Familien. Und die von Hohensteinbach wären endgültig pleite. Dass sie das nicht zulassen konnte, war ihr klar.

Viel Zeit blieb Regina nicht mehr, diese Verlobung zu verhindern. Und wie sollte sie es überhaupt anfangen? Schon am nächsten Sonntag stieg das große Geburtstagsfest. Doch vielleicht hatte Max inzwischen alles geklärt. Ein kleiner Hoffnungsschimmer blieb.

Nachdem sie eine kurze Strecke gefahren waren, seufzte Regina abgrundtief.

»Was ist los, Kind?« Charlotte legte ihren Arm um Regina, und die flüs­terte: »Ich soll Max heiraten, weil wir pleite sind. Aber es geht vor allem um Papa und um mich! Ich werde Max nicht heiraten, das weiß er, ich habe schon vor Wochen mit ihm darüber gesprochen. Und ganz sicher weiß Papa das inzwischen auch. Aber er hat trotzdem über meinen Kopf hinweg alles arrangiert. Man will mich zu einer Verlobung zwingen. Da mach’ ich nicht mit. An Verlobung denke ich erst, wenn ich meine Ausbildung habe, und dann ganz gewiss nicht mit Max. Aber sollte ich jetzt beim Abi durchfallen, werde ich die Klasse wiederholen! Sonst stehe ich neben Jonas wie ein kleines Dummchen da. Als Ehefrau könnte ich das alles nicht durchziehen. Also kommt eine Verlobung für mich schon aus diesem Grund nicht in Frage!« Regina atmete schwer. »Jonas war immer der Primus. Darum war er auch immer Papas Liebling. Und ich muss das Abi auch schaffen!«

»Ich weiß, Regina. Aber es wird Zeit, dass du auch ein paar wichtige Details über die Familiengeschichte und vor allem auch über deine Mutter erfährst!«

Charlotte strich Regina eine Haarsträhne aus dem Gesicht und atmete tief ein. »Du weißt, ich liebe meinen Bruder, aber es ist nicht in Ordnung, dass er dich büßen lässt, was zwischen ihm und deiner Mutter gewesen ist. Du kannst nichts dafür!«

Die alte Dame schüttelte den Kopf. »Hundertmal habe ich mir überlegt, wie ich dir das schonend beibringen soll, aber es bleibt eine Tragödie, für die du nichts kannst, und es tut mir leid, dass mein Bruder dich so schlecht behandelt.« Sie seufzte. »Hör mir jetzt gut zu, Regina: Du bist keine Komtess von Hohensteinbach!«

Charlotte schwieg ein paar Sekunden, dann flüsterte sie: »Karl Friedrich ist nicht dein Vater! Leider!«

Sie sah Regina an, die so weiß wurde wie eine frisch gekalkte Wand.

»Sag, dass das nicht stimmt, Tante Charlotte«, flüsterte sie.

Charlotte nickte. »Doch, Kind, es stimmt! Es ist wie ein böser Traum, aber mein Bruder ist nicht dein Vater! Und frage bitte nicht, wie und warum das alles geschehen ist.« Sie suchte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte sich die Tränen aus den Augen. »Ich glaube nicht, dass Vicky freiwillig … Aber lassen wir das. Großmama sagte, du bist als Kind ›zur Linken‹ geboren. Und sie war es auch, die meinen Bruder dazu brachte, seine Frau Vicky hinauszuwerfen. Er liebte sie, und ich glaube, er liebt sie noch immer und kann sie nicht vergessen. Und er hätte sich vielleicht mit Vicky arrangiert, aber Mama hatte immer bei allem das letzte Wort. Und da schickte dein Vater seine große Liebe fort, weil Mama das so wollte. Niemand weiß, was wirklich geschehen ist. Aber dass mein Bruder dich das fühlen lässt, ist nicht in Ordnung. Du kannst nichts dafür. Und dass du Maximilian von Mähringen heiraten sollst, damit unsere finanzielle Misere endlich ein Ende hat, ist ungerecht!« Charlotte war wütend, man sah es ihr an. »Aber was soll ich tun, Regina? Mir sind die Hände gebunden. Ich bin ja hier auch nur geduldet! Mama hat mir zwar den ganzen Schmuck und die alten Goldmünzen hinterlassen. Aber dass uns das helfen würde, bezweifle ich! Verheiratet bin ich auch nicht. Und glaub mir, ich hätte Möglichkeiten gehabt, aber es war kein Graf und kein Baron darunter. Und für Mama war keiner dieser bürgerlichen Männer gut genug, mein Mann zu werden.«

Charlotte schüttelte den Kopf. »Um meinem Bruder zu helfen, habe ich vor einigen Jahren in meiner Not eine sehr nette Dame adoptiert, die unbedingt einen Titel brauchte, weil sie in Amerika als Immobilienmaklerin mit einem Adelstitel mehr Chancen hat. Das Geld hat Jonas bekommen. Wie hätte er sonst studieren können?« – Charlottes Stimme wurde immer leiser, und sie sah Regina traurig an. »Der Reitstall deiner Mutter mit ihren Lieblingspferden ist auch schon lange nicht mehr unser Eigentum. Vicky war wütend, als Karl Friedrich so nach und nach Grundstücke und Wald verkaufte. Und ihren Reiterhof hat der Baron Mähringen schon immer haben wollen. Doch den hat mein Bruder erst verkauft, als Vicky nicht mehr da war. Gleich nach deiner Geburt verschwand sie. Keiner wusste, warum, bis deine Großmama von einem Kuckucksei sprach!«

Charlotte schüttelte den Kopf und schluchzte. »Es war schrecklich! Vicky durfte dich nicht mitnehmen, Karl erlaubte es nicht, denn für die Öffentlichkeit warst du seine Tochter. Der Reiterhof gehört inzwischen auch Maximilian von Mähringen. Er hat den Stall erweitert, du kennst ihn. Max und du, ihr habt als Kinder oft dort gespielt!« Charlotte seufzte unter Tränen.

»Weißt du, Regina, du hattest zum Glück nie ein besonderes Verhältnis zu Pferden, das hat mich getröstet. Sonst hättest du vielleicht geweint, als alles verkauft wurde.« Sie strich ihrer Nichte mit einer zärtlichen Geste über die Wange. »Aber jetzt hättest du die Möglichkeit, alles zurückzubekommen. Natürlich nur, wenn du Max heiratest.«

Regina schwieg noch immer. Sie hörte kaum, was Charlotte erzählte, sondern dachte nur immer wieder: Ich bin ein Kuckuckskind – ein Kuckuckskind!

*

Das Anwesen derer von Mähringen war ein ehemaliges Zisterzienser-Klos­ter. Ein riesiger Bau mit Innenhof und Säulengängen rundherum. Schon der Großvater des jetzigen Seniors Wilhelm von Mähringen hatte die Ruine dem Orden abgekauft und für seine Familie restaurieren lassen. In der Mitte des Gevierts war eine Grünanlage mit Rosenbüschen und einem kleinen Teich mit Seerosen. Doch der riesige Außenpark, in dessen Mitte das ehemalige Kloster stand, war eine wundervolle Parkanlage mit altem Baumbestand, Rosenhecken, kleinen und größeren Gartenhäuschen und einem Springbrunnen in weißem Marmor.

Es war früher Nachmittag, die Sonne stand hoch am Himmel, der blau schimmerte und auf dem weiße Wölk­chen wie Wattehäufchen dahinschwebten.

Eine Limousine nach der anderen brachte die Gäste vor das große mehrstöckige Gebäude, in dessen Eingangshalle sie von der Familie von Mähringen empfangen und begrüßt wurden.

Adam hatte seinen Herrn schon vormittags zu einer Lagebesprechung in das »Kloster‹ gebracht, wie die Menschen den Bau noch immer nannten, und Jonas wollte später nachkommen. Jetzt öffnete Adam für Regina und Charlotte die Autotür, um die Damen aussteigen zu lassen. Er winkte Charlotte verstohlen zu, die, in einem changierenden dunkelroten Taftkleid, klein und rundlich nach Regina ausstieg. Das kurze, eng anliegende Kleid in hellblau passte zu der Farbe von Reginas großen Augen.

Graf Karl, Charlottes Bruder, kam seinen Damen entgegen, begrüßte sie und führte sie durch das hohe Tor, wo Graf Maximilian von Mähringen mit seinem Vater auf die Gäste wartete.

Regina war nervös. Sie wusste nicht wie sie Vater und Sohn entgegentreten sollte. Doch dann ging alles leichter als sie dachte. Max hatte wahrscheinlich seinem Vater nichts von der Niederlage erzählt, denn der Baron führte seine Gäste persönlich in das weiße Zelt im Innenhof. Er und Graf Karl Friedrich, Reginas Vater, unterhielten sich mit Charlotte und ihrer Tischnachbarin, während Max mit Regina das weiße Zelt wieder verließ.

»Hast du dir noch mal alles gut überlegt?« Max legte den Arm um ihre Schulter und führte sie in den Säulengang.

»Was meinst du?«, fragte Regina, obwohl sie genau wusste, worauf Max anspielte. Sie blieb stehen. Max schüttelte den Kopf. »Frag doch nicht! Du weißt genau, was ich meine, Regina.«

»Nein!«, sagte sie da mit Nachdruck, »ich habe dir schon mal gesagt, dass es nichts zu überlegen gibt!«

»Und was sagt dein Vater dazu?«

Regina fühlte, wie sie langsam rot wurde. »Was hat Papa damit zu tun? Ich dachte, die Sache wäre zwischen uns geklärt?«

»Ja, zwischen uns schon, aber nicht zwischen deinem und meinem Vater! Ihr seid am Ende, Regina! Entweder du stimmst heute einer Heirat zu, oder …«

Regina fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog. »Ich dachte, du würdest mir helfen, und hättest deinem Vater klargemacht, dass wir nicht heiraten werden, weil wir gute Freunde sind, aber kein Paar! Max, Menschen kann man nicht kaufen!«

Max lachte einmal kurz auf. Das sollte heiter klingen, aber er war

blass geworden, atmete schwer, und seine Augen waren gerötet. »Sag mal, stehst du vielleicht unter Naturschutz?« Er grinste. »Mit Geld kann man alles kaufen! Und du könntest froh sein, dass du in meine Familie einheiraten darfst! Hat Papa gesagt. Und ich denke ebenso! Nur Onkel Ferdinand ist nicht damit einverstanden. Keiner weiß, warum. Vielleicht, weil er sich mit deiner Mutter so gut verstand!« Max lächelte süffisant. »Man munkelte so allerlei über Onkel Ferry und Vicky von Hohensteinbach.«

Sein mokantes Lächeln trieb Regina das Blut ins Gesicht. »Du solltest dich schämen, so über meine Mutter zu reden!«

»Ich habe nur gesagt, was ich gehört habe! Und ich bin sicher, du wirst es dir überlegen, denn dir bleibt nichts anderes übrig. Wir schlucken euch irgendwann, so oder so! Euer Image ist sowieso schon ganz schön angekratzt!«

Regina horchte auf. Solche Worte hatte sie nicht erwartet. Das war nicht mehr Max, ihr Freund aus der Zeit, da sie Kinder waren. Sie fühlte sich verletzt, provoziert und hintergangen.

»Mein lieber Max!«, sagte sie betont freundlich, obwohl ihr Herz vor Angst und Ärger zitterte. »Ich hielt dich für einen Freund, aber ich scheine mich getäuscht zu haben!« Sie atmet tief durch. »Du solltest dir eines merken, ich lasse mich von niemandem zwingen! Hörst du? Von niemandem!« Regina stand so dicht vor dem Mann, dass sie seinen Atem im Gesicht fühlte.

Dann holte sie aus ihrer Handtasche ein kleines Päckchen und hielt es ihm hin. »Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag!« Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Max griff nach dem Geschenk, stand da wie versteinert, und Regina drehte sich um und ging. Sie verließ den Säulengang, zog die Schuhe aus und lief barfuß über die Wiese neben der breiten Auffahrt. Sie erreichte die Straße, ohne dass sie jemand aufgehalten hätte. Nur weg, dachte sie und verschärfte ihr Tempo. Da war plötzlich Adam mit der Limousine neben ihr.

»Komtess Regina, wo wollen Sie denn hin? Kann ich helfen?« Er hielt an.

»Bringen Sie mich zum Reiterhof, Adam!«

Nach nur zehn Minuten stand sie, völlig unpassend gekleidet und mit ihren Schuhen in der Hand, vor dem schmiedeeisernen Tor des Anwesens, das einmal ihrer Mutter gehört hatte.

Hier war sie glücklich gewesen, hatte sich als Kind zuhause gefühlt, und nun war sie vielleicht das letzte Mal hier. Es hatte sich seither viel verändert. Der Hof war zum Teil gepflastert, und die lange Front der Stallungen hatte Fenster bekommen. Die Pferde steckten ihre Köpfe ins Freie, schnaubten zufrieden und schüttelten ihre Mähnen. Nachdenklich ging Regina über den Hof und weiter, vorbei an den Stallungen und den Leuten, die sich über die Frau im blauen Seidenkleid wunderten, das die Farbe des Himmels widerspiegelte und so perfekt die Figur ihrer Trägerin unterstrich, dass kein Mann wegsehen konnte.

Regina selbst sah niemanden an. Sie ging, so rasch wie es der steinige Boden erlaubte, mit ihren Schuhen in der Hand weiter an den Stallungen vorbei, bis sie den riesigen Bau, den Heuschober aus verwittertem Holz, erreichte. Das alte Gebäude hatte sich nicht verändert. Die silbergraue Farbe, die wie das Haar einer alten Frau in der Sonne glänzte, und das riesige Tor mit dem hölzernen Riegel waren noch so, wie es damals war, als sie und Max als Kinder hier Verstecken gespielt hatten.

Niemand war in der Nähe. Regina öffnete die Tür. Sie knarrte wie damals, und Regina tauchte ein in die Dämmerung. Der würdige Duft nach Heu weckte Erinnerungen in ihr. Müde setzte sie sich auf einen der trockenen Grasballen und schloss die Augen. Und schon flogen ihre Gedanken zurück in die Kindheit, als sie hier mit Max und den Kindern des Personals unbeschwert und glücklich über die hoch aufgetürmten, duftenden Ballen geklettert waren. Vorbei, alles vorbei …

Ein Kuckuckskind, dachte sie, und ihre Tränen tropften auf die helle Seide ihres Kleides und hinterließen dunkle Flecken.

Müde lehnte sie sich zurück. Was würde Max jetzt tun? Und Papa? Jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Warum hatte er nicht mit ihr gesprochen, ihr erklärt, wie es um die Familie stand? Sie war doch nicht schuld an diesem Unglück. Und konnte er sie in ihr Unglück schicken? Das alles hätte sie ihm gerne gesagt, aber die Angst vor seiner Reaktion und seinen kalten Blicken lag wie ein Stein auf ihrem Herzen. Und sie liebte ihn doch, hatte ihn immer geliebt. Er war schließlich der erste Mann in ihrem Leben gewesen, der sie in die Arme genommen, als kleines Mädchen auf seinen Schultern getragen hatte. Ihre kleinen Hände fanden an seiner hohen Stirn Halt, und sein dunkles Haar duftete wundervoll. Mama war auch da, sie lachte, freute sich, doch sie war nicht so wichtig gewesen wie Papa. Aber dann kam die Zeit, da hatte sich alles verändert. Regina schloss die Augen, und die Tränen liefen haltlos über ihr Gesicht.

»Sie werden Ihr hübsches Kleid total ruinieren!«, hörte sie plötzlich eine Männerstimme leise sagen. Rasch wischte sie mit dem Handrücken über ihr Gesicht und sprang erschrocken auf. Gegen das Licht, das durch die geöffnete Tür kam, konnte sie die Umrisse eines Mannes erkennen.

»Was geht Sie das an?«, blaffte sie den Unbekannten an. »Wenn Sie Futter holen wollen, dann tun Sie das und lassen Sie mich in Ruhe!«

»Noch immer a richtige Kratzbürs­te!«, stellte der Fremde fest, und Regina erkannte mit einem Mal die Stimme. Ihr wurde heiß bei dem Gedanken an die Szene am Brunnen bei der Uni.

»Könnten S’ nicht a bissel netter sein? Wir hatten nämlich schon das Vergnügen! Leider waren S’ damals auch nicht besonders freundlich, obwohl ich Sie aus dem Wasser gerettet hab’.« Der Mann seufzte übertrieben laut. »Ja, ja, die Frauen!«

»Gerettet? Dass ich nicht lach’!«, verfiel Regina in seine Art zu reden, weil sie über seine Anwesenheit aufgeregter war, als sie zugeben wollte. Dann stand sie auf. »Ich kenne Sie jedenfalls nicht!«

»Entschuldigung! Darf ich mich vorstellen? Paul, einer meiner Vornamen – und mit Nachnamen Ebersbach. Genügt das?«

Regina stand auf. Ebersbach, Ebersbach, dachte sie, hatte sie den Namen nicht schon mal gehört? Aber in welchem Zusammenhang? Und sicher war sie auch nicht … Nein, dachte sie und angelte mit dem rechten Fuß nach ihren Schuhen, die irgendwo neben dem Heuballen lagen.

»Darf ich helfen?« Er kam und kniete lächelnd vor ihr nieder. Als er ihren Fuß anfasste, sah er ihr in die Augen und flüsterte: »›Rucke die ku, kein Blut ist im Schuh!‹ – Kennen Sie das Märchen?« Seine Hände zitterten leicht.

Auch Regina war nervös. »Ja, kenne ich«, sagte sie, und ihre Stimme war heiser, denn die Berührung seiner Hände an ihrem Fuß fuhr wie ein Stromschlag durch ihren Körper. Und warum klopfte ihr Herz wie verrückt?

»Danke für die Hilfe, aber ich wäre gerne noch eine Weile allein!«, sagte sie, denn es war für sie die einzige Möglichkeit, die Angst vor zu viel Nähe loszuwerden. Schwächen sollte man tunlichst nicht zeigen – und schon gar nicht Fremden gegenüber. Und dieser Mann war ein Fremder. Sehr nett, aber fremd.

»Bin schon weg!«, sagte der Frechdachs, lächelte unverschämt, als würde er ihre Gedanken lesen, zog den Hut und machte eine altmodische Verbeugung. Regina hätte beinahe gelacht.

»Was machen Sie eigentlich hier? Ich habe Sie noch nie gesehen«, fragte sie plötzlich, und ärgerte sich sofort über diesen Ausrutscher. Eine rein spontane, unkontrollierte Reaktion von ihr. So, als wollte sie nicht wirklich, dass er ging.

»Ich praktiziere hier zur Probe. Mit dem Studium bin ich fertig, und Herr von Mähringen gestattet mir, schon mal ein bisschen nach den Tieren zu sehen. Bei so kostbaren Pferden ist ein Veterinär sehr wichtig. Und sollte er mich einstellen, könnten wir uns öfter mal sehen. Mir wäre das ein Vergnügen. Und Ihnen?«

»Machen Sie sich keine Hoffnung!«, sagte sie leise und vermied es, ihn anzusehen. »Das wäre nicht gut für Sie. Durch mich könnten Sie Ihre neue Stellung schnell wieder verlieren!«

»Wie bitte?«

»Glauben Sie mir. Dass Sie mich kennen, könnte Ihnen schaden. Und es reicht, dass ich Ärger habe!«

»Das müssen Sie mir erklären!«, sagte er, setzte sich auf den nächsten Heuballen und zog Regina neben sich.

»Warum nicht, man wird sowieso darüber reden.« Ihre Stimme wurde noch leiser.

»Max von Mähringen und ich, Regina von Hohensteinbach, sollen – nein, müssen uns heute verloben. Das heißt, ich muss, er will! Die Familien haben das beschlossen. Es geht um Geld!«

Sie holte einmal tief Luft. »Es ist sowieso alles egal. Schlimmer kann es nicht mehr werden!«

Dann schob sie seinen Arm von ihrer Schulter. »Bitte behalten Sie das für sich!«

Sie hörte sein leises »Okay!« Er schüttelte den Kopf, dann fasste er mit beiden Händen nach ihren Oberarmen. »Regina, das ist unmöglich! Sie können doch nicht heiraten – einfach so – nur des Geldes wegen? Das glaube ich nicht!«

Sie zuckte mit den Schultern. »Das habe ich ihm auch gesagt, aber es ist nichts Neues. Max und ich, wir haben schon als Kinder miteinander gespielt. Die Familien sind viele Jahre befreundet. Da ist es üblich, dass die Kinder heiraten. Kennen Sie Max von Mähringen?« Sie sah ihn an.

»Nein, kenne ich nicht. Aber ich kenne Sie!« Er ließ sie nicht los, und seine Hände fassten immer fester zu. »Und wenn Sie sich mit diesem Mann verloben, dann wird er mich kennenlernen, und es wird kein Vergnügen für ihn sein, das schwöre ich Ihnen!«

Sie sah ihn an, und er hielt ihren Blick fest, ließ ihre Arme los und zog sie an sich. Sein Gesicht war dicht über dem ihren. »Regina, das kann doch nicht wahr sein! Wir leben doch nicht im Mittelalter!«

Regina zuckte wieder mit den Schultern. »Wir schon!« Sie schloss die Augen, atmete seine Nähe und ganz plötzlich war die Angst verschwunden, die sie seit Wochen umklammert gehalten hatte. Sie fühlte sich mit einem Mal geborgen und leicht. Wie in Abrahams Schoß, hätte Großmama gesagt. Als er sie zart küss­te, ließ sie es geschehen, und ihr war, als schwebe sie ein Stück über der Erde.

Eine kleine Ewigkeit lang hielt er sie fest, und Regina fühlte sich am Ende aller Ängste angekommen.

Doch dann ließ Paul sie los, atmete schwer und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch sein Haar. Eine Geste, die verlegen, fast hilflos wirkte, sodass Regina lächeln musste. Auch sie hatte einen Augenblick gebraucht, ehe sie wieder zurück in die Wirklichkeit fand. Ein Märchen – ihr Märchen war vorbei.

»Und jetzt erzähl’ mir bitte alles. Was ist los? Es kann doch nicht sein, dass der Mähringer euch mit Haut und Haaren schluckt.«

»Doch, das wird er, wenn ich Max nicht heirate.«

»Nein, das wirst du nicht! Was sagt denn deine Mutter zu diesem Handel?«

Regina schüttelte traurig den Kopf. »Mama ist nicht da, sie ist schon lange nicht mehr bei uns. Ihr gehörte der Reiterhof! Sie hat die Pferde geliebt, und sie war eine wunderbare Reiterin, sagt Tante Charlotte. Stallungen und das Gelände der Pferdekoppeln, alles gehörte früher ihr!« Regina sah ihn traurig an. »Aber als sie verschwand, hat Papa alles an die Mähringer verkaufen müssen, um die Schulden abzudecken!«

»Und wo ist deine Mutter jetzt?«

Regina zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich war damals noch klein, als sie ging. Ich kann mich nur vage an sie erinnern, aber Tante Charlotte hat mir viel von ihr erzählt. Nur Papa spricht nicht von ihr!« Nervös stand sie auf. »Ich muss gehen! Wahrscheinlich haben Papa und Max längst gemerkt, dass ich verschwunden bin. Sie werden mich suchen! Ich muss zurück zum Fest, Papa wird wütend sein!«

Sie griff nach ihrer Handtasche, doch Paul hielt sie fest. »Du gehst nicht zurück zur Geburtstagsfeier. Ich bring’ dich jetzt nach Hause, von dort kannst du deine Tante anrufen!«

»Das geht nicht, Tante Charlotte hat kein Handy. Aber ich kann Papa direkt anrufen, damit er mich nicht suchen muss.«

»Gut, du sagst ihm, dir sei nicht gut gewesen und du seist, nachdem du Max gratuliert hattest, sofort wieder heimgefahren! Das ist zwar eine Lüge, aber sein Schweigen und die Tatsache, dass er dich hinterrücks verkuppeln will, ist auch nicht gerade die feine Art!«

*

Es klappte besser, als sie gehofft hatte. Zehn Minuten später saß Regina neben Adam im Wagen, er hatte vor dem Reiterhof auf sie gewartet, jetzt waren sie auf dem Weg zum Schloss. Regina lehnte sich zurück. Noch konnte sie es nicht fassen, was eben geschehen war. Sie hatte sich verliebt! Verliebt in einen Mann, der ihr völlig fremd war. Es stimmte tatsächlich, was Wissenschaftler herausgefunden hatten: nämlich, dass man nur Sekunden brauchte, um sich zu verlieben. Und dass sie sich in diesen Mann verliebt hatte, wusste sie. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gefühlt wie in der Minute, als er sie an sich gezogen hatte, und sie wusste, dass Paul nicht zu den Männern gehörte, die von sich glaubten, immer und überall der Platzhirsch zu sein. Und er war hilfsbereit und ausdauernd, da spielte es keine Rolle, dass sie so gut wie nichts darüber wusste, woher er kam und ob er verheiratet war.

Der Abschied von ihm war sehr kurz gewesen, und Regina wusste nicht, ob und wann sie ihn wiedersehen würde. Es war alles so verwirrend. Ihre prekäre Situation und diese zweite Begegnung hatten sie total verwirrt, und nun blieb ihr keine Zeit, über das nachzudenken, was mit ihnen geschehen war. Aber eines war sicher, sie würde ihn wiedersehen. Nur wann und wo stand in den Sternen.

Als Adam den Grafen benachrichtigte, dass seine Tochter auf dem Weg nach Hause sei, weil es ihr nicht gutginge, schien der eher besorgt als wütend zu sein. Max hatte wohl geschwiegen und nichts von der Auseinandersetzung zwischen ihnen erzählt. Alles war gut gegangen, aber es war nur ein Hinauszögern der ganz großen Auseinandersetzung.

*

Auch Tante Charlotte hatte sich nach Adams Anruf bei Karl Friedrich sofort ein Taxi kommen lassen. Sie ahnte, dass Regina einfach weggelaufen war.

Nach ihrer Ankunft im Schloss lief sie sofort in den Turm und hinauf in Reginas Zimmer. Regina lag im Bett, und Charlotte läutete nach Franzi und bestellte heißen Tee. Besorgt setzte sie sich auf den Bettrand ihrer Nichte.

»Warum hast du denn nicht mit mir gesprochen, Kind!«, sagte sie.

»Hätte ich dich auch anlügen sollen, Tante Charlotte? Mir fehlt nichts, aber ich kann Max nicht heiraten. Er weiß das, ist aber stur und besteht darauf. Und das ist so demütigend. Ich verstehe Papa nicht mehr!« Regina sah ihre Tante an. Und plötzlich fiel ihr auf, dass die sonst so agile Frau bedrückt war. Sie war blass, und ihre Augen sahen aus, als hätte sie geweint.

»Was ist los Tante Charlotte? Bist du krank? Geht es dir nicht gut?«

»Nein, nein, mir fehlt nichts. Aber ich war froh, als ich wieder heimfahren konnte. Solche Menschenansammlungen sind nichts mehr für mich.« Sie strich Regina über das Haar. »Und du solltest jetzt etwas schlafen. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut werden. Ich glaube nicht, dass Max dich noch einmal bedrängen wird!«

»Warum? Wieso?« Regina war hellhörig geworden. Sie kannte Charlotte gut, sie würde niemals solche Andeutungen machen, wenn sie nicht etwas wusste. Etwas, das mit Max und dieser vermaledeiten Heirat zu tun hatte.

Aber Charlotte schüttelte nur den Kopf. »Es gibt nichts, was jetzt noch wichtig wäre, also schlaf ein bisschen, und dann sehen wir weiter.«

Aber auch als Charlotte das Zimmer verlassen hatte, grübelte Regina weiter. Irgendetwas musste geschehen sein. Dass es mit ihrer Heirat und mit Max zu tun hatte, war sicher. Ein Wunder, dass Papa noch nicht mit neuen Forderungen aufgetaucht war. Er verhielt sich so, als wäre nichts geschehen. Warum ließ er sie im Ungewissen? Warum gab es keine Vorwürfe?

Zwei Tage waren seither vergangen. Alles schien normal, keiner sprach über die geplatzte Verlobung, und Regina hatte weder von Max noch von Paul etwas gehört. Papa hatte ihr nur während des Frühstücks erklärt, dass sich die Sache mit Max und der Heirat erledigt hätte. Und das ganz nebenher, als sei es vorher nicht besonders wichtig gewesen! Ferdinand von Mähringen, Max’ Onkel, habe sich der Sache angenommen, hieß es. Er schien sehr besorgt um sie zu sein. Es sei alles im Lot, meinte Papa.

Aber Regina wollte wissen, ob die Sache mit den Schulden bereinigt worden sei.

»Um diese Angelegenheit brauchst du dich nicht kümmern, für dich wird immer gesorgt werden«, sagte Karl Friedrich nur sehr freundlich und lös­te damit großes Staunen bei Regina aus. Was war geschehen? Warum dieser Wandel? Warum ließ er sie plötzlich nicht mehr fühlen, dass sie als Kuckuckskind nur geduldet war?

Tante Charlotte schüttelte auch den Kopf, als Regina Näheres von ihr wissen wollte. »Sei froh, Regina, dass du diesen Max nicht heiraten musst. Ferdinand von Mähringen, Max’ Onkel, hat die Angelegenheit geregelt. Als er von deiner Zwangsheirat hörte, war er außer sich und hat seinem Bruder sofort den Reiterhof abgekauft. Ferry war schon immer der gute Geist im Hause derer von Mähringen. Ein guter Mensch. Leider ist er sehr krank und lebt sehr zurückgezogen. Man sieht ihn selten in der Öffentlichkeit. Niemand weiß genau, was ihm eigentlich fehlt. Ich habe ihn nur zwei- oder dreimal gesehen, deine Mutter kennt ihn besser. Die beiden verstehen sich sehr gut, Vicky hat ihm das Reiten beigebracht, um ihm zu helfen, mit seiner Krankheit umzugehen. Und das hat er nicht vergessen. Als er davon hörte, dass du seinen Neffen heiraten sollst, hat er sofort eingegriffen. Eigentlich verdankst du deine Freiheit ihm und seinem Geld.«

Regina überlegte eine Weile. »Seit wann weiß Max, dass sein Onkel Papas Schulden bezahlt hat?« Sie war blass, und ihr Atem ging rasch.

»Oh, das ist schon ein paar Wochen her. Warum willst du das wissen?«

»Warum? Verstehst du nicht, dass Max mich der Schulden wegen bedrängt hat, zu einer Zeit als Papa keine Schulden mehr hatte? Und auch Papa hat mir kein Wort davon gesagt. Als der Reiterhof ihm längst wieder gehörte, hätte er mir das doch sagen müssen! Und du hast auch geschwiegen. Warum, Tante Charlotte? Warum? Und ganz sicher wusste Jonas es auch! Wolltet ihr mich alle in mein Unglück laufen lassen? Keiner hat den Mund aufgemacht, alle haben mich mit meiner Angst allein gelassen. Ich verstehe das nicht. Was habe ich euch getan?«

Charlotte machte ein trauriges Gesicht und sagte ganz leise: »Es tut mir so leid, Regina, aber ich weiß erst seit zwei Stunden, was geschehen ist. Und ich bin ja sofort gekommen, um dir alles zu sagen. Der Reiterhof gehört jetzt wieder deiner Mutter, nicht mehr deinem Vater! Ferdinand von Mähringen hat alles geregelt!«

Regina war sprachlos. Sie brauchte ein paar Minuten, um die Situation zu erfassen. Aber Tante Charlotte war nicht mehr zu bremsen, sie musste alles loswerden und sprach gleich weiter: »Kind, du weißt doch, dass deine Großmutter schon immer interne Angelegenheiten geheim gehalten hat, und Karl Friedrich kommt ihr nach, er verhält sich wie sie. Daran hat sich nichts geändert.«

»Ja, Vicky hat also die ganzen Jahre, seit ihrem Verschwinden, immer mit Ferdinand von Mähringen Verbindung gehabt und alles über dich und uns erfahren!« Die kleine alte Dame seufzte. »Und es gibt noch einige Dinge, von denen du nichts weiß, Regina, aber das alles wird dir irgendwann deine Mutter persönlich erzählen!«

»Wie bitte?« Regina war blass geworden. »Meine Mutter kommt hierher?«

»So genau weiß ich das nicht. Aber irgendwann wird sie ganz sicher kommen!« Charlotte war plötzlich sehr ernst. »Ich fühlte mich schrecklich, weil ich dir nichts von deiner Mutter erzählen durfte. Mein Bruder und meine Mutter haben es mir verboten. Du warst damals noch ein ganz kleines Mädchen!« Charlotte wischte sich eine Träne fort. »Mir war niemals wohl bei all diesen Geheimnissen. Ich fühlte mich immer als Lügnerin!«

»Dann erzähl mir von meiner Mutter, Tante Charlotte! Ich bin ja froh, dass diese ganze Geschichte so gut ausgegangen ist. Und vielleicht kommt Mutter doch irgendwann mal zu uns. Ich hätte sie so gerne gesehen. Ich weiß ja nicht mal genau, wie sie aussieht. Hat sie denn keine Sehnsucht nach mir? Wie hält sie das nur aus, ohne zu wissen, wie es meinem Bruder und mir geht. Und vor allem möchte ich sie fragen, wer mein Vater ist. Ich begreife nicht, warum sie sich nie um mich kümmert. Das ist doch nicht normal! Oder was meinst du?«

»Ach, Regina, was ist schon normal. Ich weiß ja auch nicht, was mein Bruder mit Vicky vereinbart hat, und es geht mich auch nichts an! Vielleicht wollten sie keine Unruhe in dein Leben bringen. Sicher hättest du irgendwann unbequeme Fragen gestellt. Und solche Verhältnisse hätten ein so kleines Kind, wie du es warst, völlig durcheinandergebracht. Und Vicky hat sicher sehr darunter gelitten, dass sie dir nicht nahe sein konnte! Aber seit Kurzem telefonieren sie miteinander!«

Regina schüttelte den Kopf. »In dieser Familie wundert mich nichts mehr. Na ja, wir haben eben schrecklich komplizierte Familienverhältnisse.«

Charlotte druckste ein wenig herum, schob ein widerspenstiges Löckchen hinter das rechte Ohr und begann dann entschlossen:

»Ich konnte dir nicht einmal sagen, dass Adam und ich ein Verhältnis haben. Nicht einmal mein Bruder hat eine Ahnung davon. Ein Wunder, dass er das noch nicht bemerkt hat. Aber Adam und ich, wir lieben uns, und eines Tages werden wir uns ein Haus kaufen und unseren Lebensabend gemeinsam verbringen. Adam ist ein reicher Mann!« Sie hatte es geflüstert und sich umgesehen, sodass Regina das Lachen unterdrücken musste. Jetzt lächelte auch Charlotte. »Na, sagen wir mal, er ist nicht arm. Aber das weiß niemand. Er bleibt nur bei deinem Vater, weil ich hier lebe. Eines Tages, wenn du dein eigenes Leben führen wirst, werden er und ich heiraten!« Charlotte küsste Regina auf die Wange. »Aber bis dahin bleibe ich bei dir! Ich war so lange deine Ersatzmutter, dass es jetzt auch nicht mehr darauf ankommt.«

Regina legte die Arme um ihre rundliche Tante und drückte sie fest an sich. »Du bist die Beste, Tante Charlotte!«

»Au!« Charlotte stöhnte auf. »Du bringst mich um!« Und sie lachte mit Tränen der Rührung in ihren kleinen hellen Augen.

»Und nun sag mir, wer ist mein Vater?«, bat Regina.