Earthventure auf Angrodan - Beatrice Sonntag - E-Book

Earthventure auf Angrodan E-Book

Beatrice Sonntag

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Beschreibung

Earthventure in Las Vegas war verrückt. Doch Earthventure auf Angrodan sprengt alle Grenzen! Josh dachte, er hätte schon alles erlebt, nachdem er als Reiseführer für die exzentrische Alien-Diva Ulionk gearbeitet hat. Doch als Ulionk die Süßigkeiten ausgehen und sie Josh nach Angrodan einlädt, wird ihm schnell klar: Das war nur der Anfang. Auf Ulionks Heimatwelt stolpert er in ein Abenteuer, das ihn an die Grenzen seines Verstandes bringt. Auf Angrodan erwartet ihn eine bizarre Welt: außerirdische Drogen, Würgehüpfergelee, übelkeitserregende Transportmittel und ein sechsköpfiger Traktorfahrer. Das berühmte Zuckerfest gipfelt darin, dass Josh entführt wird. War es die intergalaktische Mafia? Oder doch die Wetterhexe? Ulionk und ihre Ehemänner starten eine waghalsige Rettungsmission, die sie durch bürokratische Labyrinthe und mystische Rituale führt. Wird Josh es schaffen, heil auf die Erde zurückzukehren? Oder gerät sein Weltraumtrip völlig außer Kontrolle? Dieser schräge Science-Fiction-Roman verspricht eine Reise in eine galaktische Welt voller Humor, Spannung und Zucker. Ein Muss für alle, die skurrile, temporeiche Komödien lieben und bereit sind, den Wahnsinn von Angrodan zu erleben. Blick ins Buch: «Unser Hochzeitsfoto», sagte Turklu, der eben aus einer Tür getreten war. «Ein Glück, dass wir dieses Foto vormittags gemacht haben. Nach der Feier sahen wir nicht mehr so gut aus.» «Habt ihr viel getanzt?» Josh stellte sich die Angrodaner bei einer wilden Party vor. «Getanzt? Aber nein.» Turklu gluckste. «Ich meinte natürlich den rituellen Hochzeitskampf.» «Klar. Der rituelle Hochzeitskampf», wiederholte Josh. «Warst du noch nie bei einer angrodanischen Hochzeit?» «Nein.» Hatte es sich noch nicht herumgesprochen, dass Josh die Erde zuvor noch nie verlassen hatte? Er starrte auf das Foto, das so echt wirkte, als stünden vier kleine Wesen vor ihm und als könne er in das Bild hineingreifen und sie anfassen. «Die Ehemänner kämpfen gegen die Ehefrau. Dabei sind natürlich nur stumpfe Waffen erlaubt.» «Natürlich», bestätigte Josh. «Es war aufregend. Wir haben bestimmt eine Stunde gekämpft und wir hatten sie zweimal in die Enge getrieben. Aber am Ende hat Ulionk natürlich gewonnen.» «Natürlich.» Josh gingen die Worte aus.

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Inhaltsverzeichnis

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

EINS

„Eine Packung Reeses Pieces, zwei Tüten Nerds und genau vier Twinkies sind übrig.“ Ulionk hob nacheinander die Süßigkeiten in die Höhe. Buklu, Turklu und Guriglu hielten die grünen, säuberlich manikürten Hände auf. Eben hatten sie ihre üppige Mahlzeit beendet und saßen wie gewöhnlich beisammen am Esstisch, bevor sie alle wieder ihren alltäglichen Tätigkeiten nachgingen. Ulionk hatte die Süßigkeiten, die sie von ihrer abenteuerlichen Reise zur Erde mitgebracht hatte, streng rationiert und stets nur an den Wochenenden etwas davon gegessen. Natürlich hatte sie die Leckereien mit ihren drei Ehemännern geteilt, denn so war das nun einmal in einer Ehe. Sie dachte wieder einmal, dass diese Süßigkeiten von der Erde ihre Ehe gerettet hatten. Was für eine Ironie! Sie hatte diesen Abenteuerurlaub in Las Vegas gebucht, um der Gleichgültigkeit ihrer Ehe zu entfliehen, wo sie nur das fünfte Rad am Wagen war und wo keiner ihrer drei Lieblinge ihre Leidenschaft für das Reisen teilte.

Aber seit ihrer Rückkehr mit all den Jelly Beans, Cookies, Karamellbonbons und Skittles hatten sie wieder zueinander gefunden. Sie hatten endlich wieder eine gemeinsame Leidenschaft: Zucker von der Erde.

„Und das waren die letzten?“ Ungeduldig riss Buklu die Folie von dem Twinkie und biss hingebungsvoll hinein.

„Ich kann es nicht oft genug wiederholen. Du könntest das groß aufziehen. Import von Erd-Süßigkeiten. Das würde richtig gut laufen.“ Guriglu hatte immer wieder halbgare Geschäftsideen, aber für deren Umsetzung war er dann doch zu bequem.

Ulionk plante nicht, eine Importfirma zu gründen. Endlich war sie in Rente. Ihr Job als Leiterin der intergalaktischen Raumfahrtbehörde von Angrodan hatte ihr viel Energie abverlangt und so sehr sie auch die finanziellen Vorteile einer so verantwortungsvollen Stelle geschätzt hatte, so sehr genoss sie nun ihren Ruhestand.

„Willst du nicht dieses Jahr noch einmal hinfliegen?“, neckte Turklu. Diesen Vorschlag machte er nicht zum ersten Mal.

„Wenn Ihr die Leckereien so gerne habt, wieso fahren wir dann nicht alle gemeinsam zur Erde?“ Auch diesen Gegenvorschlag hatte Ulionk schon mehrfach gemacht. Leider waren ihre Ehemänner alles andere als abenteuerlustig. Sie murmelten vor sich hin und kauten.

Buklu schob sich eine Handvoll Reeses Pieces in den Mund. „Und du sagst, dass sie diese Erdnussbutter aus Pflanzen machen? Pflanzen, die keinen Zucker enthalten?“

„Es würde euch bestimmt gefallen. Es gibt so viele verschiedene Arten von Zucker. Das könnt ihr euch nicht vorstellen.“ Ulionk leckte ihre sechs Finger ab, an denen noch Reste von Twinkie-Füllung klebten.

„Erzähl doch noch einmal die Geschichte von dem Kindergeburtstag und von den vielen Kuchen“, bat Turklu. Manchmal war er wie ein kleines Kind. Er konnte eine Geschichte immer und immer wieder hören, auch wenn er sie schon auswendig kannte. Also erzählte Ulionk von Yaneli und von der Hüpfburg, von den Kuchen und der Piñata und davon, wie sie am Ende herausgefunden hatte, dass Yaneli überhaupt nicht Geburtstag hatte.

Turklu hing regelrecht an ihren Lippen. Das liebte sie an ihm. Er war so hingebungsvoll und einfühlsam. Sie wusste, dass er Yaneli gemocht hätte. Er war derjenige gewesen, der sich unermüdlich um die Kindererziehung gekümmert hatte. Tag und Nacht. Alle ihre sieben Kinder hatten zu ihm eine ganz besondere Beziehung.

„Kann nicht dieser Reiseunternehmer beim nächsten Mal, wenn er zur Erde fliegt, was für uns mitbringen?“ Guriglu leckte über seine Lippen und faltete das Twinkie-Papier sorgfältig zusammen.

„Au ja, bitte, Ulionk. Frag ihn doch mal!“

Odiklu rührte seinen Zuckerschlumpen, bis der Schaum fast verschwunden war. Er atmete tief ein und öffnete mit einer Berührung seines Fingers das Postfach in seinem Datenpad. Seufzend führte er den Becher mit der klebrigen Flüssigkeit zum Mund. Nichts. Seit vier Tagen war nun die neue Werbeanzeige überall zu sehen. Sogar am Raumbahnhof hatte er eine Werbefläche in der Damentoilette gemietet. Die Werbung erschien immer dann, wenn sich ein Gesicht dem Spiegel näherte, für genau acht Sekunden. Für mehr hatte sein Budget nicht gereicht. Wie konnten die Angrodaner nicht erkennen, dass seine Abenteuerreisen zur Erde der neueste Trend waren? Earthventure war das Nonplusultra der Abenteuerreisen. Authentische Aliens auf einem Planeten, der noch nicht unter Schutz gestellt war.

Es war eine Schande. Er hatte die beste Geschäftsidee des Jahrhunderts und niemand wollte es ausprobieren. Oh. Es klingelte. „Earthventure – authentische Abenteuerreisen, maßgeschneidert – wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ meldete er sich mit melodischer Stimme.

„Hallo Odiklu. Ich bin es, Ulionk.“

„Ulionk. Wie schön, von dir zu hören.“ Odiklu war sofort wieder übermannt von seinem grenzenlosen Optimismus. „Willst du eine zweite Reise buchen? Vielleicht mit der ganzen Familie? Ich sage dir, ich habe geniale Locations gefunden. Josh kennt da eine Insel, auf der Zuckerrohr wächst. Und es gibt eine Insel, auf der die dicksten Menschen Ringkämpfe veranstalten …“

„Nein, Odiklu. Es tut mir leid. Aber meine Männer verreisen einfach nicht so gerne. Ich wollte dich eigentlich nur fragen, wann du mal wieder zur Erde fährst und ob du uns ein paar Süßigkeiten mitbringen kannst.“

Odiklus Gedanken rasten. Das war immerhin etwas. Es war ein Auftrag, wenn auch nur ein kleiner. Fieberhaft überlegte er, wie er die Reise so lukrativ wie möglich gestalten konnte. Was konnte er zur Erde oder zurückbefördern, das seinem Tourismusprojekt Auftrieb gab?

„Weißt du, ich hatte ohnehin vor, mich mit meinen Geschäftspartnern zu treffen. Auf der Erde oder vielleicht auch hier. Das haben wir noch nicht entschieden. Wir wollen Earthventure promoten, damit noch mehr Angrodaner diese unglaubliche Erfahrung machen können. Josh und ich haben ein intergalaktisches Unternehmen.“ Odiklu biss sich auf die Lippe. Wenn Ulionk glaubte, dass er ohnehin zur Erde flog, würde sie nicht dafür aufkommen.

„Ich kann es sicherlich möglich machen. Mein Zeitplan ist eng, aber für meine liebste Kundin mache ich gerne eine Ausnahme. Weißt du, Josh ist sehr beschäftigt. Ich weiß nicht, ob er es einrichten kann. Es wäre ein finanzieller Aufwand. Er würde als Reiseleiter ausfallen, wenn er für dich die Süßigkeiten besorgen soll und ich müsste umdisponieren. Andere Kunden müssten entschädigt werden …“

„Das ist es!“, rief Ulionk so laut, dass Odiklu zusammenzuckte und die Lautstärke seines Geräts herunterregulieren musste.

„Was?“

„Die Süßigkeiten von der Erde! Hierherbringen!“

Odiklu hüstelte. „So ein Transport ist wie gesagt kostspielig.“

„Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“ Ulionk stieß einen kleinen Jauchzer aus.

„Du meinst, du würdest für den Transport aufkommen?“ Odiklu brauchte nur etwas Geld, um den Treibstoff zu finanzieren. Er würde die Reise nutzen, um die Werbetrommel zu rühren.

„Ich bin gerne bereit, eine solche Reise zu organisieren. Ich bin schließlich Reiseveranstalter. Du bist bei mir an der richtigen Adresse.“ Odiklu hüstelte.

„Meinetwegen. Ich zahle für den Trip. Aber es muss klar sein, dass ich sie einladen will.“

„Sie?“ Odiklu stockte. Die Süßigkeiten brauchten doch keine Einladung.

„Josh und Henry. Sie sollen zu uns kommen. Eine Gegeneinladung. Macht man das auf der Erde nicht so?“

Was weiß ich, dachte Odiklu. „Na klar!“, rief er. „Es ist sogar deine Pflicht. Es wäre hochgradig unhöflich, es nicht zu tun.“

„Das ist ja toll.“ Ulionk gluckste.

„Es kostet allerdings um die 40 Hullonen.“

„Am besten wäre es, sie zum Zuckerfest einzuladen, nicht?“ Das Zuckerfest war einer der kulturellen Höhepunkte auf Angrodan und Odiklu kamen gerade hundert verschiedene Ideen, wie er Earthventure auf dem Zuckerfest promoten konnte, wenn zwei echte Erdlinge ihn begleiteten.

„Vielleicht auch 50 Hullonen“, sagte er schnell.

„Nicht übertreiben“, mahnte Ulionk.

„Ich meine, am Zuckerfest müssten die beiden für eine Weile an meinem Stand Werbung für Earthventure machen, aber ansonsten können sie bei dir bleiben. Du kannst ihnen den Planeten zeigen.“

Odiklu hörte, dass Ulionk im Hintergrund mit jemandem diskutierte. „Sie haben ein Businessmeeting auf dem Zuckerfest“, sagte sie zu jemandem. Die Antwort verstand Odiklu nicht.

„Und ein Fotoshooting ist geplant, bei den Zuckerbergen von Wattilu“, rief Odiklu in den Hörer.

„Und ein Fotoshooting“, wiederholte Ulionk. „Aber ansonsten haben sie Urlaub, ja?“

„Für 50 Hullonen, ja.“

Nachdem Odiklu aufgelegt hatte, bebte er vor Tatendrang. Das war vielleicht noch besser als die Buchung, auf die er seit Wochen gehofft hatte. Josh und Henry kamen nach Angrodan und er konnte sie für seine Werbemaßnahmen einspannen. Die beiden waren harmlose, friedliche Aliens, die das Vertrauen in Earthventure enorm steigern konnten. Er musste einen Anhänger mieten, um so viele Süßigkeiten von der Erde zu befördern, wie irgend möglich. Odiklu stellte sich seinen eigenen Stand auf dem Zuckerfest vor, mit einem Werbebanner für Earthventure und mit winzigen Kostproben der Erdenleckereien. Er würde eine Rabattaktion anbieten und die Leute würden ihm die Reisen nur so aus den Händen reißen. Grandios.

Da war nur noch ein winziges Detail, das er vorher regeln musste. Josh und Henry wussten noch nichts von ihrer bevorstehenden Reise. Ein Detail.

Als Ulionk aufgelegt hatte, fasste sie für die Familie noch einmal alles zusammen. „Josh und Henry haben ein Businessmeeting auf Angrodan und ich habe Odiklu dazu überredet den beiden Urlaub zu geben und sie hier bei uns wohnen zu lassen. Ist das nicht grandios?“

Alle Ehemänner stimmten ihr zu. Einerseits aus Gewohnheit, denn Ulionks Ideen waren oft gut. Zudem wurden sie mit solch ansteckender Begeisterung vorgebracht, dass sie einstimmig angenommen wurden. An Turklus Gesichtsausdruck erkannte Ulionk, dass er sich sehr darauf freute, mal wieder jemanden im Haus zu haben, den er bevatern konnte.

„Das ist hervorragend. Wir müssen also keinen Familienurlaub auf der Erde machen!“ Buklu klatschte sich mit der Hand auf den Bauch. Ulionk rümpfte kurz die Nase. Sie hatte wirklich drei Langweiler geheiratet. Aber liebenswerte Langweiler. Und schließlich hatten sie eine großartige Lösung gefunden. Josh ihren Planeten zu zeigen, würde fast so viel Spaß machen, wie auf der Erde unterwegs zu sein.

ZWEI

Josh schlug die Augen auf. Ein Geräusch hatte ihn geweckt. Hatte er sich das eingebildet? Sein Wecker konnte es nicht gewesen sein, denn die Batterie darin war seit Monaten leer. Sein Leben war dank Odiklu und Ulionk einfach perfekt. Den Job bei Walmart hinzuschmeißen, war die beste Entscheidung seines Lebens gewesen. Das frühe Aufstehen und die stumpfsinnige Arbeit in dem riesigen Lebensmittelmarkt waren nie seine Erfüllung gewesen. Nicht einmal erträglich.

Oft dachte er an die Ereignisse zurück, die ihm 500.000 Dollar in bar eingebracht hatten. Er war der erste Reiseleiter für außerirdische Touristen auf der Erde gewesen, zumindest der erste, von dem er wusste. Josh war bis heute nicht ganz klar, wie er diesen Wahnsinn ohne Herzinfarkt oder Psychose überstanden hatte, aber er war über sich hinausgewachsen und hatte die kniffligsten Situationen souverän gemeistert. Weitestgehend souverän. Mit viel Hilfe und viel Glück, aber eben auch einem Hauch Souveränität. Darauf konnte er zurecht stolz sein.

Auf der Rückseite eines Pizzakartons hatte Josh sich ausgerechnet, wie lange er mit den 500.000 Dollar auskommen würde, wenn er genügsam lebte.

Sein heruntergekommenes Apartment in Artesian Heights, ein Mobiltelefonvertrag, hin und wieder eine Reparatur an seinem alten Chevy Blazer, Lebensmittel, ab und zu mal neue Socken oder ein T-Shirt von Spencers. Alles in allem konnte er mit 1987 Dollar im Monat bequem leben, selbst wenn er viermal in der Woche Pizza bestellte. Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass er 251 Monate lang durchkommen würde, vorausgesetzt, es gab keine Mieterhöhung und er wurde nicht krank. 20,9 Jahre.

Blöderweise hatte er vor ein paar Wochen mitbekommen, dass bei Yanelis Mutter, einer seiner Nachbarinnen, ein Knoten in der Brust gefunden worden war. Die Nachbarn hatten einen Garagenflohmarkt organisiert und die meisten Bewohner des Blocks hatten alte Teller, Tassen, Spielsachen oder Stehlampen gespendet, um ein wenig Geld für die Operation aufzutreiben. Die Originalausgabe von Spiderman, die Josh gespendet hatte, war nicht verkauft worden. Erleichtert hatte er das Comicheft am Ende des Wochenendes wieder entgegengenommen.

„Wir haben 124 Dollar und 40 Cent eingenommen“, hatte Yaneli stolz verkündet, aber der Gesichtsausdruck ihrer Mutter, die ihr liebevoll über die Haare strich, hatte Josh verraten, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein war. Also hatte Josh schlecht geschlafen und am nächsten Morgen anonym 24.000 Dollar gespendet. Er hatte sie in den Briefkasten gestopft und dann aufgepasst, dass niemand unbefugt den Briefkasten von Yanelis Wohnung anrührte. Als Yanelis Mutter in Pyjama und Socken die Post geholt hatte, war er unauffällig zu seinem eigenen Briefkasten gegangen und hatte höflich gegrüßt. Die arme Frau hatte den Briefkasten verstört zugeschlagen, sich mit dem Rücken dagegen gelehnt und hyperventiliert. Als Josh die Treppen hinaufgegangen war, hatte er sie leise weinen hören.

Wenn er aber nicht allzu großzügig war, blieben ihm immerhin nun noch 19,2 Jahre, in denen er nicht arbeiten musste.

Wieder schrak Josh hoch. Da war das Geräusch erneut. Sein Telefon klang anders. Die Haustürklingel hatte er nie reparieren lassen und wusste daher nicht, wie sie klang.

Etwas brummte. Kam das aus dem Schrank? Eine Bombe? Da Josh gerade noch von einer Meuterei auf einem Bauernhof geträumt hatte, erwartete er im Schrank ein Huhn oder eben eine Bombe vorzufinden. Als er die Tür aufriss, kippte ein Stapel Unterhosen nach vorn. Noch bevor das Brummen erneut erklang, dämmerte es ihm. Das angrodanische Telefon war unter den Kleidern vergraben. Odiklu rief an. Josh wühlte sich durch einen Stapel T-Shirts mit Comicfiguren darauf und griff nach dem ovalen Gerät mit der unnatürlich glatten Oberfläche. Er wog es für ein paar Sekunden in den Händen.

Was, wenn der Angrodaner tatsächlich einen neuen Touristen gefunden hatte? Würde er ihm erneut 500.000 Dollar geben? Dann hätte er ausgesorgt. Andererseits liebte Josh sein Leben genauso, wie es gerade war. Er schlief bis mittags, schaute ein paar Folgen Star Trek, bestellte sich Pizza und las am Abend in einem Comic-Heft. Er zeichnete sogar einen eigenen Comic. Seine Zeichnungen waren miserabel, aber schon deutlich weniger miserabel, als noch vor einigen Monaten.

Josh zögerte. Er wusste, dass Odiklu ihn höchstwahrscheinlich zu etwas Haarsträubendem und Fürchterlichem überreden würde. Er würde Dinge tun müssen, die kein Mensch jemals tun sollte und er würde sich von seiner geliebten Komfortzone so weit entfernen, dass er sie kaum noch sehen konnte. Aber irgendwo unter dem Widerwillen und der Angst kämpfte sich seine Neugier hervor.

„Josh hier“, meldete er sich.

„Hier ist Odiklu, erinnerst du dich an mich?“

So eine Frage konnte nur von seinem außerirdischen Freund kommen.

„Odiklu?“, wiederholte Josh und ging langsam rückwärts auf sein Bett zu.

„Odiklu von Angrodan, der mit der Reiseagentur …“

„War nur ein Scherz. Natürlich erinnere ich mich. Wie geht es dir?“

„Prima. Ich habe hervorragende Neuigkeiten. Ist Henry zufällig gerade bei dir?“

„Nein. Henry? Ich weiß nicht, wo Henry ist.“

„Ach du blauer Krebsfalter! Wird er vermisst?“ Odiklus Stimme überschlug sich.

„Nicht dass ich wüsste. Er ist nur halt nicht hier. Ich habe geschlafen.“ Josh ließ sich aufs Bett sinken.

„Ach ja. Bei euch ist ja ständig Nacht. Das wird eine ganz schöne Umstellung für euch.“

„Umstellung? Wieso das denn?“ Wollte Odiklu die Erdumlaufbahn anpassen, um die Tage länger zu machen? Konnte er so etwas tun?

„Ach nichts, ich wollte euch die gute Nachricht eigentlich gerne gemeinsam überbringen. Das ist sicherer.“ Odiklu brach abrupt ab.

„Sicherer als was?“ Joshs Argwohn war geweckt. Der Angrodaner hatte etwas vor und es war höchstwahrscheinlich etwas, das ihm nicht gefiel.

„Josh, vertrau mir. Ich habe nur gute Neuigkeiten. Tolle, großartige, hervorragende Neuigkeiten.“

„Na dann rück raus damit“, forderte Josh.

„Es wäre so viel schöner, wenn ich mit Henry und dir sprechen könnte.“

Josh schloss die Augen und seufzte.

„Also, wenn er nicht vermisst wird.“

„Natürlich wird er nicht vermisst. Was willst du überhaupt von Henry? Kennt ihr euch überhaupt?“ Josh ging in Gedanken die Tage durch, in denen Ulionk in Las Vegas zu Besuch gewesen war. Sie kannte Henry, aber dass sich Henry und Odiklu begegnet waren, daran erinnerte sich Josh nicht. „Ist was mit Ulionk?“

„Ihr geht es gut. Nur gute Neuigkeiten, wie gesagt. Such Henry und ruf mich zurück. Weißt du noch wie es geht?“ Josh wusste, wie er das außerirdische Telefon in Gang setzen konnte. Wie hätte er das vergessen können?

„Ja, aber denk daran, dass Henry nicht weiß, wer ihr wirklich seid!“

„Du hast es ihm nicht gesagt?“

„Natürlich nicht!“, entrüstete sich Josh. „Es sollte doch keiner wissen, dass Ulionk von einem anderen Planeten kommt!“

„Stimmt“, lenkte Odiklu ein. „Dann müssen wir es ihm sagen.“

„Aber warum denn bloß? Was willst du denn von Henry?“

„Na, wir können ihn ja schlecht mitnehmen nach Angrodan, wenn er nicht weiß, dass Ulionk dort wohnt.“

„Mitnehmen?“ Josh atmete hektisch und verschluckte sich dabei.

„Mist.“ Odiklu hatte sich verplappert.

Josh hustete erbärmlich.

„Jetzt habe ich die Überraschung verdorben.“ Odiklu schniefte. „Josh? Geht es dir gut?“

Noch immer hustend fragte Josh: „Du willst Henry mitnehmen nach Angrodan? Das geht nicht. Wie soll er sich denn dort alleine zurechtfinden?“

„Er wird ja nicht alleine sein.“

„Warum nicht?“ Josh ahnte, was nun kommen würde.

„Na, ich bin natürlich bei ihm. Und er wird bei Ulionk wohnen.“

„Aha“, Josh atmete wieder normal.

„Ja und du bist ja auch bei ihm.“ Josh konnte hören, wie Odiklu grinste.

„Wie bitte?“ Joshs Stimme verzerrte sich zu einem Quietschen.

„Es wäre doch sehr unhöflich, wenn Ulionk nur Henry einladen würde und nicht dich.“

„Das stimmt schon, aber es wäre auch vollkommen in Ordnung, wenn sie uns überhaupt nicht einladen würde.“

„Red keinen Unsinn“, sagte Odiklu. „Ich habe so gut wie zugesagt. Diese Reise ist perfekt, um unser Reiseunternehmen zu promoten.“

„Aber“, stotterte Josh. Ihm fielen so viele Argumente ein, die gegen diese Reise sprachen, dass er nicht wusste, mit welchem er anfangen sollte. „Das geht wirklich nicht.“

„Es ist alles schon organisiert.“ Odiklu hatte seine Werbe-Stimme aufgesetzt. „Du willst doch Ulionk nicht enttäuschen?“

„Nein“, räumte Josh ein.

„Du willst doch auch neue Kunden für Earthventure finden?“

„Ehrlich gesagt …“, wandte Josh ein, wurde aber unterbrochen.

„Versprich mir, dass du Henry den Vorschlag machst. Wenn er nicht will, können wir uns etwas anderes einfallen lassen.“

„Henry will bestimmt nicht.“

„Versprich es!“

„Gut“, murrte Josh. „Aber …“

Da hatte Odiklu bereits aufgelegt.

Ein paar Stunden später saß Josh in einem Park auf dem Campus der Universität von Las Vegas. Als er seine Tante Uli aus Kirgistan erwähnt hatte, war Henry sofort bereit gewesen, ihn zu treffen. Schließlich hatte sie ihm sein Studium ermöglicht.

„Nun sag schon, was ist so dringend? Geht es deiner Tante gut?“ Henry streckte Josh seine Faust entgegen.

„Das sagte ich ja bereits am Telefon. Es ist alles prima. Es geht ihr sehr gut.“ Josh berührte Henrys Faust mit seiner.

„Wie kann ich dir helfen? Kommt sie wieder nach Las Vegas und du brauchst wieder eine Hüpfburg?“

„Nein, diesmal nicht.“ Josh schüttelte vehement den Kopf. Moment mal. Wie kam Henry überhaupt auf die Idee, dass die Hüpfburg für Ulionk gewesen war? „Die Hüpfburg. Der Kindergeburtstag. Das hatte ja nichts, … also das war ja, … also es war nicht so, wie du denkst.“

Henry hob abwehrend die Hände. „Schon gut. Ich ziehe dich doch bloß auf.“

Josh schloss die Augen. „Es gibt ein kleines Problem. Es ist so, dass meine Tante Uli uns beide einladen möchte.“

„Das ist doch nett.“

„Nun ja. Das ist nett. Stimmt. Aber es ist problematisch. Ich meine, sie wohnt sehr weit weg und das wird teuer und kompliziert und sicher wäre es eine fürchterlich unbequeme Reise. Außerdem musst du ja zur Uni.“ Josh kratzte sich mit beiden Händen exzessiv am Kopf. „Es wäre so ein entsetzlicher Familienurlaub. Wir müssten bei ihr wohnen und mit der Familie essen und so. Also ich kann verstehen, wenn du nicht mitkommen willst.“

„Wer sagt denn, dass ich nicht mitkommen will? Ich kann ruhig mal ein paar Vorlesungen aussetzen.“

Josh bemerkte, dass ihm der Schweiß ausbrach. „Also es ist so. Es gibt da etwas, das ich dir nicht gesagt habe.“

„Ach so?“

„Ja. Tante Uli wohnt unheimlich weit weg. Es dauert Tage, um dahin zu kommen.“

„Mehrere Tage, um nach Kirgistan zu fliegen?“

Josh atmete tief ein und wieder aus. „Nun, es ist so, dass meine Tante Uli … Sie wohnt nicht in der Hauptstadt.“ Er schloss die Augen. Er konnte es nicht aussprechen. Es war ein Ding der Unmöglichkeit. Henry würde ihn auslachen. Ihn verspotten. Ihm nicht glauben.

„Deshalb können wir die Einladung unmöglich annehmen. Du verstehst das doch?“

Nun war es an Henry, aufzuspringen. „Wieso? Nicht annehmen? Nur weil die Reise beschwerlich ist und sie irgendwo in den Bergen wohnt, können wir die Einladung doch nicht ablehnen! Ich war noch nie in Kirgistan. Das ist bestimmt spannend. Und es wäre doch unhöflich, abzulehnen!“

„Sie würde es verstehen.“ Josh schluckte. „Henry. Das ist Irrsinn. Es ist viel zu gefährlich. Wir können unmöglich die Einladung annehmen.“

In dem Moment summte das Gerät in Joshs Tasche.

„Was ist das?“, fragte Henry.

„Ach nichts.“ Josh legte die Hand auf seine Hosentasche, was allerdings nichts daran änderte, dass das außerirdische Telefon summte.

„Das ist doch dein Telefon.“

„Es ist nur Odi … Mein Onkel Odi aus Kirgistan. Er fragt ständig nach.“

„Dann geh ran!“ Henry machte eine auffordernde Handbewegung.

„Versprich mir, dass du ablehnst!“ Das Summen wurde immer lauter.

Resigniert schnaufte Josh und zog den ovalen Apparat aus der Tasche. Er rieb beide Hände daran und schon erklang Odiklus blecherne Stimme.

„Was ist das denn für ein schräges Telefon?“, fragte Henry.

„Hallo Josh. Hast du Henry gefunden oder wird er noch immer vermisst?“

„Vermisst? Unsinn! Ich bin wohlauf“, rief Henry.

„Schschsch!“ Josh schaute sich besorgt um.

„Hallo Henry. Schön, dich endlich kennenzulernen. Ulionk hat mir ja nur Gutes von dir erzählt.“

„Ulionk?“

„Tante Uli“, ergänzte Josh leise.

„Also hört zu, ihr beiden. Ich komme euch abholen. In ein paar Tagen. Wenige Tage, also vier mal zwei, eins im Sinn …“ Odiklu murmelte etwas Unverständliches. „Am Sonntag“, sagte er schließlich.

„Diesen Sonntag?“, fragte Henry.

„Nein. Das geht nicht. Wir müssen dir leider mitteilen, dass wir nicht kommen können. Auf keinen Fall können wir die USA verlassen. Das ist …“ Josh suchte nach einem Wort, das nicht so klang, als sei er ein Angsthase. „Illegal. Genau. Das ist illegal. Wir haben kein Visum.“

„Josh macht nur Witze. Natürlich kommen wir gerne.“

„Nein!“ Josh rieb an dem Apparat, aber es tat sich nichts.

„Das ist prima, Henry. Wir werden so viel Spaß haben. Das Fotoshooting ist so gut wie gebucht und auf dem Zuckerfest werden wir die Werbetrommel rühren. Ihr beiden werdet euch vor Aufträgen nicht retten können!“

„Aufträge?“ Nun wirkte auch Henry etwas besorgt.

„Buchungen. Aufträge. Die Leute werden uns die Bude einrennen, wenn sie euch erst mal kennenlernen.“

„Ich dachte, wir sind bei Tante Uli eingeladen?“

„Na klar seid ihr das“, versicherte Odiklu. „Es wird vorrangig ein Erholungsurlaub. Das Fotoshooting ist nur ein kleiner Ausflug. Kein Ding. Alles in Senf!“

„Senf?“ Henry war ein wenig blass um die Nasenspitze geworden.

„Also, hör zu, Odiklu. Ich freue mich ja unheimlich für dich, wenn dein Business gut läuft, aber Henry weiß nicht, worauf er sich einlässt. Wir können unmöglich nach … Kirgistan fliegen.“ Joshs Stimme war fest.

„Wohin?“, fragte Odiklu.

Henry beugte sich zu dem Apparat in Joshs Händen herunter. „Herr Odi, sagen Sie Ulionk, dass wir uns auf den Besuch freuen.“

„Nein! Er weiß nicht, was er da redet`“ „Josh, das wird klasse! Wir beide in Kirgistan. Du wirst es dir nicht verzeihen, wenn du jetzt kneifst.“

„Aber“, wandte Josh lahm ein. Kneifen war Joshs Überlebensstrategie. Das war sie auf jeden Fall bis er Odiklu kennengelernt hatte.

„Sei kein Spielverderber. Ich wünsche mir nichts mehr, als deine Tante Uli zu besuchen. Egal, wo sie ist.“

„Aber …“

„Kein Aber. Wir kommen“, sagte Henry mit fester Stimme.

„Großartig. Habt ihr noch Dollars?“

„Wie viele Dollars brauchen wir denn?“

„Wir müssen etwa 14 Gulmu-Einheiten Süßigkeiten kaufen.“

„Gulmu-was?“

Odiklu murmelte Zahlen vor sich hin und schien etwas auszurechnen. „Etwa sechs Kubikmeter.“

Josh sank in sich zusammen und ließ das Telefon sinken, während Odiklu munter weiter plauderte.

Nachdem er aufgelegt hatte, legte Henry einen Arm um Joshs hängende Schultern. „Ich danke dir.“

„Das wird ein Desaster.“

„Wir werden uns königlich amüsieren!“

„Wer weiß, ob wir da lebend wieder herauskommen. Du weißt nicht, worauf du dich da eingelassen hast.“

„Ach, Josh. Sieh es doch mal positiv. Urlaub im Ausland. Neue Leute kennenlernen. Aber was hat er mit dem Fotoshooting gemeint?“

„Das weiß ich leider auch nicht.“ Josh schniefte leise.

„Was sind Gulmu-Einheiten?“ Henry runzelte die Stirn. „In Kirgistan benutzen sie das metrische System, richtig?“

„Das metrische System. Genau.“ Josh seufzte.

„Wenn alle in Kirgistan so lustig und locker sind wie deine Tante Uli, dann werden wir uns zu Tode amüsieren!“

„Zu Tode?“ Josh schluckte. „Henry, im Ernst. Wir können nicht zu Tante Uli fliegen, weil …“ Josh brachte es nicht über sich, die Wahrheit zu sagen. Weil sie auf einem fremden Planeten wohnt? Henry würde ihn auslachen.

„Ich besorge mir gleich ein Visum für Kirgistan.“ Henry umarmte Josh zum Abschied.

Im Weggehen wandte sich Henry noch einmal um. „Was ist das übrigens für ein stylisches Telefon, das du da hast? Der Sound war unglaublich klar!“

„Das ist neu“, entgegnete Josh lahm.

DREI

In den kommenden vier Tagen schlief Josh schlecht. Er hatte Albträume, in denen immer und immer wieder Meutereien auf Bauernhöfen stattfanden. Henry war der Anführer der Hühner und sie skandierten „Kirgistan!“. Schweißgebadet erwachte er jedes Mal und hörte Henrys Worte im Kopf widerhallen: Wir werden uns zu Tode amüsieren.

Sobald Josh daran dachte, dass er in einem Raumschiff auf einen fremden Planeten fliegen sollte, bekam er Herzrasen und Seitenstiche. Wenn er dann daran dachte, dass Henry sich auf die Reise freute und nicht wusste, wohin es ging, wollte er weinen. Wie konnte er es ihm nur erklären?

Tausend Satzanfänge hatte sich Josh zurechtgelegt, aber immer kam er in seinem fiktiven Gespräch mit Henry an den Punkt, wo er darauf hinweisen musste, dass Ulionk nicht aus Kirgistan, sondern von einem fremden Planeten kam. Wie konnte er so etwas Absurdes sagen? In seinen Szenarien wurde Henry sauer, er lachte ihn aus, er glaubte ihm nicht oder er beschimpfte ihn.

Wir werden uns zu Tode amüsieren. Genau das war Joshs Befürchtung. Was, wenn sie die Reise nicht überleben würden? Schon in Mexiko gab es gefährliche Tiere und Vulkane. Auf einem fremden Planeten waren die Gefahren unberechenbar und wahrscheinlich exponentiell zahlreicher. Ulionk war über zwei Meter groß und massig gebaut. Sie haute so schnell nichts um. Henry und er waren für eine solche Umgebung nicht gemacht.

Jeden Tag hielt Josh mehrfach sein Telefon in den Händen und starrte auf Henrys Telefonnummer. Sein Finger schwebte über dem Symbol mit dem grünen Hörer, aber er schaffte es einfach nicht, seinen Freund anzurufen und ihm die Wahrheit zu sagen.

Henry schrieb Textnachrichten. Er hatte ein Visum für Kirgistan beantragt.

Schweren Herzens kam Josh zu dem Schluss, dass er ein Feigling war und er deshalb Henry vor vollendete Tatsachen stellen musste. Henry würde den Gleiter sehen, würde Odiklu sehen, würde begreifen, dass Kirgistan eine Lüge war und würde dann von selbst zu dem einzig vernünftigen Schluss kommen, dass sie unmöglich Tante Uli besuchen konnten. Die Erde zu verlassen war undenkbar. Keine Option. Josh würde Henry, den Freund, den er liebgewonnen hatte, verlieren, aber das war der Preis dafür, dass er ein Feigling war. Immerhin würde er auf diese Weise nicht die lebensgefährliche Reise nach Angrodan antreten müssen.

VIER

Der Treffpunkt, den sie vereinbart hatten, war der Parkplatz hinter dem Walmart. Nach Einbruch der Dunkelheit. Josh hatte sogar eine kleine Reisetasche gepackt, damit es so aussah, als wäre er bereit. Henry würde ablehnen und er war fein raus. Er hatte etwa 600 Dollar in Süßigkeiten investiert und diese mitsamt Reisekoffer in seinem Chevy Blazer verstaut. Der gesamte Rücksitz war voller M&Ms, Oreos, Jolly Ranchers, Nerds, Heath, Butterfingers, Cola und Zuckerwatte. Wie viele Kubikmeter waren das wohl? Einer? Zwei?

Das würde Odiklu besänftigen, denn wenn sie schon nicht mit ihm flogen, konnte er wenigstens die Süßigkeiten mitnehmen und damit auf Angrodan Werbung für die Erde machen.

Da kam ein Auto auf ihn zu. Es war eine lindgrüne Corvette. Nicht eben ein unauffälliges Verkehrsmittel. Als das Fahrzeug näherkam, erkannte Josh, dass aus dem Fahrerfenster ein tätowierter Oberarm hing. Das war doch Bloodhound alias Gilbert. Er winkte Josh fröhlich zu und nun erkannte Josh auf dem Beifahrersitz das Gesicht von Henry.

Ein paar Umarmungen später rauschte Bloodhound in seinem höchstwahrscheinlich rechtmäßig erworbenen Auto wieder von dannen. Sie waren allein.

„Er kommt hierher?“

„Er sollte schon längst da sein.“ Josh schaute sich zum wiederholten Male um.

„Ich wollte dich ohnehin fragen, wieso dein Onkel nach Las Vegas kommt, um uns abzuholen. Ich meine, ein Privatjet ist doch ziemlich übertrieben. Wir hätten ja einfach einen Linienflug nehmen können.“

„Ja, da ist noch etwas, das ich dir sagen muss. Es ist nicht wirklich ein Privatjet.“

„Nicht? Was ist es denn?“

„Nun. Es ist mehr so ein …“ Josh hüstelte. „Ein kleines Flugzeug.“ Er ließ die Schultern hängen. Wieso schaffte er es nicht, das Wort Raumschiff auszusprechen? In wenigen Minuten würde Henry die Wahrheit erfahren und dann wäre er sicher noch wütender.

„Wir haben noch nicht genug Süßigkeiten. Sechs Kubikmeter sind eine Menge.“

Henry warf einen Blick in den Kofferraum. „Wo hast du überhaupt die ganze Kohle her? Du bist doch nicht zurück zu Bob gegangen, um wieder in dem Höllenloch zu arbeiten?“

„Das Geld habe ich von Odi.“ Josh räusperte sich. „Du, Henry, da gibt es noch etwas, das ich dir noch nicht gesagt habe.“

„Spuck‘s aus.“ Henry schlug den Kofferraumdeckel zu und stützte die Hände darauf.

„Also ich hatte ja schon angedeutet, dass meine Tante Uli nicht in der Hauptstadt von Kirgistan wohnt.“

Henry nickte.

„Nun. Deshalb werden wir auch nicht in … nicht in die Hauptstadt von Kirgistan fliegen. Sondern woanders hin.“

Henry zuckte mit den Schultern. „Egal, ich freue mich darauf, sie wiederzusehen. Das wird eine tolle Abwechslung und ich kann ihr persönlich danken und ihr von meinem Studium erzählen.“

„Hör zu, Henry.“ Josh trat einen Schritt auf ihn zu und schloss die Augen.

„Meine Tante Uli ist überhaupt nicht meine Tante.“

Henry zog die Augenbrauen hoch. „Nicht?“

„Nun, sie ist genauer gesagt, … also sie ist nicht … also sie ist … Wie soll ich das sagen? Du kennst doch Star Trek?“

„Was?“ Henry schüttelte den Kopf.

In dem Moment schoss Odiklus Raumgleiter heran und blieb wie eine riesige summende Libelle abrupt über den Köpfen von Josh und Henry stehen.

„Das ist doch …“, stotterte Henry. „Das kann ja wohl nicht wahr sein!“

„Odiklu ist auch nicht aus Kirgistan“, sagte Josh unnötigerweise. „Jetzt verstehst du, warum wir nicht mitfahren können.“ Josh hob die Arme mit gespieltem Bedauern.

Mit offenem Mund starrte Henry das Raumschiff an und verfolgte mit weit aufgerissenen Augen den langsamen Sinkflug, bis der Gleiter schließlich sanft neben dem Blazer zur Ruhe kam. „Hammer!“

Henry hielt Ausschau nach einer versteckten Kamera, während Odiklu seinen fülligen Körper mühsam die Treppen des Gleiters herunter hievte.

„Ach du blauer Krebsfalter, diese Schwerkraft macht mir jedes Mal zu schaffen.“

Als Odiklu mit beiden Beinen auf dem Boden des Parkplatzes landete, gab es einen lauten Krach. Er machte einen unbeholfenen Hopser und drehte sich um. „Ach ja. Der Anhänger.“ Er schüttelte den Kopf.

„Anhänger?“ Josh reckte sich, um das Gebilde zu erkennen, das hinter dem Raumschiff hörbar unsanft auf der Erde aufgeschlagen war. Tatsächlich gab es eine Verbindung zwischen Odiklus Gleiter und dem ovalen Blechhaufen, der in Schieflage geraten war.

„Ich musste für die Süßigkeiten einen Anhänger mieten. Es ist nicht das passende Modell für meinen Gleiter, aber es war billig und es wird schon irgendwie halten.“

„Du meinst, dass wir das Ding da voller Süßigkeiten laden?“ Josh kratzte sich am Hals. „Wir können leider nicht mitfliegen, aber wir helfen dir gerne mit den Süßigkeiten.“

„Wie unhöflich von mir“, rief Odiklu, der keine Perücke trug und daher gerade sehr außerirdisch aussah. Am bizarrsten war der Kontrast zwischen seinem grünen Kopf mit den Knubbeln darauf und dem rötlichen Gesicht, das dank Dr. Düklus Greenaway Lotion die Farbe menschlicher Haut hatte, allerdings die von menschlicher Haut mit einem schmerzhaften Sonnenbrand. Schnurgerade ging er auf Henry zu, der instinktiv einen Schritt zurück machte. Odiklus Begeisterung tat dies aber keinen Abbruch und er begrüßte Henry mit einer stürmischen angrodanischen Umarmung. „Schön, dass wir uns endlich kennenlernen.“ Odiklu ließ von Henry ab. „Ulionk spricht nur in den höchsten Tönen von dir und Josh hat mir schon gesagt, dass du auch ein bestens ausgebildeter Reiseleiter für intergalaktische Touristen bist. Wir werden hervorragend zusammenarbeiten. Ich bin ja so froh, dass du nicht mehr vermisst wirst.“

Henry blickte hektisch von Josh zu Odiklu und wieder zurück. Seine Gedanken überschlugen sich. Die einzige Entgegnung, die ihm nicht absurd erschien, war: „Ich wurde vermisst?“

„Henry wurde nicht vermisst“, sagte Josh lahm.

„Ich bin ein bestens ausgebildeter …“ Weiter kam Henry nicht.

„Das mit der Ausbildung nehmen wir auf Angrodan nicht so ernst. Niemand wird dein Zertifikat kontrollieren. Wir können es ja ohnehin nicht lesen.“

„Angrodan?“ Henry hustete und stemmte die Hände auf die Knie wie ein Sportler nach einer enormen Anstrengung.

„Das ist es, was ich dir noch erklären wollte, Henry“, setzte Josh an. „Siehst du, wir können nicht nach Kirgistan fahren. Tut mir leid.“

„Du wirst mir noch so manches erklären müssen“, presste Henry zwischen den Zähnen hervor. „Aber einiges ergibt jetzt viel mehr Sinn, als vorher.“ Er schüttelte den Kopf. „Nicht zu fassen!“

„Habt ihr schon was besorgt?“ Odiklu lugte durch das Autofenster und nickte anerkennend, als er sah, dass sich auf dem Rücksitz des Blazer Tüten und Schachteln stapelten. „Hervorragend. Das ist natürlich nicht genug.“

Odiklu fingerte mit einem kompliziert aussehenden Gerät herum und schaffte es dann, dass sich mit einem lauten Knarren eine Luke an dem ovalen Raumschiffanhänger öffnete. Mit Besorgnis stellte Josh fest, dass das Ungetüm einen sichtbaren Krater in den Asphalt des Parkplatzes geschlagen hatte. Der Anhänger hatte allerdings keinen Kratzer abbekommen. Angrodanische Qualität, dachte er. Gemeinsam verstauten sie alle Süßigkeiten im Inneren des Ungetüms.

„Dann los. Wir brauchen mehr.“ Odiklu schloss die Luke mit einem Handgriff.

„Dein Kopf“, warnte Josh.

„Ach ja.“ Odiklu stieg umständlich die Treppe wieder hinauf und kam kurz darauf mit seiner Perücke zurück. „Gebt mir doch schon mal eure Koffer.“

Bevor Henry Odiklu seinen Koffer reichte, schaute er Josh noch einmal mit einem vielsagenden Blick an. „Wir machen das wirklich?“

„Sag nur ein Wort und wir blasen alles ab“, flüsterte Josh hoffnungsvoll.

Aber Henry schob Odiklu seinen Koffer hin und starrte auf seine sechs Finger, die danach griffen.

„Bist du verrückt? Natürlich blasen wir nichts ab!“

Odiklu reichte den beiden zwei dicke Stapel Geldscheine. Im Eingangsbereich des Walmart warf er einen prüfenden Blick auf die Einkaufswagen. Er zog einen aus der Reihe, der zusammengeschobenen Wagen und beäugte ihn kritisch. Als Odiklu ein kleines rötliches Gerät auspackte und es in dem Einkaufswagen platzierte, fühlte sich Josh zurückversetzt in die Zeit, als er dafür verantwortlich war, dass niemand bemerkte, dass seine Tante Uli aus Kirgistan in Wahrheit eine Außerirdische vom Planeten Angrodan war. Er trat an den Wagen heran und versuchte Odiklus Gerät vor den anderen Kunden abzuschirmen. Das gelang ihm gerade rechtzeitig, denn nun gab das Gerät pinkfarbene Strahlen in alle Richtungen ab.

„Das ist ja cool“, rief Henry und trat näher.

„Was machst du denn?“, flüsterte Josh und schaute sich besorgt um.

Odiklu legte einen Arm um Henry und zeigte mit der freien Hand auf seinen Apparat. „Ich vermesse den Einkaufswagen. Wir haben im Anhänger Platz für genau 14 Gulmu-Einheiten. Das entspricht etwa sechs Kubikmetern.“