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Wenn sie überleben wollen, müssen sie sich ihren dunkelsten Ängsten stellen ...
FBI-Agentin Monica Davenport ist eine erfolgreiche Profilerin. Ihr fällt es leicht, sich in die Gedankenwelt von Serienmördern hineinzuversetzen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem attraktiven Agenten Luke Dante, soll sie nun einen Mörder finden, der sich die schlimmsten Ängste seiner Opfer zunutze macht. Der neue Fall verlangt den beiden alles ab, denn Monica hat mehr damit zu tun, als sie ahnt. Der Täter hat sie zu einem Teil seines Spiels gemacht ...
Atemlose Spannung und prickelnde Liebesgeschichten - die Romantic-Suspense-Reihe von Bestseller-Autorin Cynthia Eden:
Band 1: Echo der Angst
Band 2: Echo der Vergangenheit
Band 3: Echo des Zorns
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 474
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Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Danksagung
Aus dem Nähkästchen geplaudert
Prolog
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Epilog
Echo der Angst
Echo der Vergangenheit
Echo des Zorns
Dark Obsession – Watch me
Dark Obsession – Want me
Dark Obsession – Need me
Dark Obsession – Beware of me
Bound – Tödliche Erinnerung
Twisted – Riskante Wahrheit
Shattered – Dunkle Vergangenheit
Torn – Spiel mit dem Feuer
Taken – Eiskalte Jagd
Wrecked – Mörderische Spuren
Firebird – Glühende Dämmerung
Firebird – Lodernde Sehnsucht
Firebird – Flammende Erinnerung
Lust de LYX – Verführung des Blutes
Lust de LYX – Heißes Verlangen
Wenn sie überleben wollen, müssen sie sich ihren dunkelsten Ängsten stellen …
FBI-Agentin Monica Davenport ist eine erfolgreiche Profilerin. Ihr fällt es leicht, sich in die Gedankenwelt von Serienmördern hineinzuversetzen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem attraktiven Agenten Luke Dante, soll sie nun einen Mörder finden, der sich die schlimmsten Ängste seiner Opfer zunutze macht. Der neue Fall verlangt den beiden alles ab, denn Monica hat mehr damit zu tun, als sie ahnt. Der Täter hat sie zu einem Teil seines Spiels gemacht …
Atemlose Spannung und prickelnde Liebesgeschichten – die Romantic-Suspense-Reihe von Bestseller-Autorin Cynthia Eden:
Band 1: Echo der Angst
Band 2: Echo der Vergangenheit
Band 3: Echo des Zorns
eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.
New-York-Times-Bestsellerautorin Cynthia Eden schreibt düstere Romantic-Suspense- und sexy Paranormal-Romance-Romane. Sie hat Soziologie und Kommunikationswissenschaften studiert. Eden gehörte bereits dreimal zu den Finalisten des RITA® Award. Seit 2005 ist sie Vollzeitautorin und hat bislang über 70 Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht.
CYNTHIA EDEN
ECHO DER ANGST
Aus dem Englischen von Katrin Mrugalla und Richard Betzenbichler
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2010 by Cindy Roussos
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Deadly Fear«
Originalverlag: Forever, Hachette Book Group USA, New York. Forever is an Imprint of Grand Central Publishing.
This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2011/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Oliver Hoffmann
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © Erstudiostok/Getty Images Plus; Inna_R/AdobeStock; 4FR/iStock;
eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-7517-2044-1
be-ebooks.de
lesejury.de
Besonderen Dank an:
Alex, meinen fantastischen Lektor. Danke für dein Verständnis!
Dr. Laura … danke für Ihre Einführung in die Denkweise von Monstern.
Joan … ja, du hattest recht, und du bist eine großartige Freundin.
Saundra … eine weitere einzigartige Freundin. Dir gelingt es immer, mich zu inspirieren.
Und meine Mama … ich liebe dich.
Liebe Leserinnen und Leser,
ich habe gern Angst. Nein, das muss ich präzisieren – ich mag die Spannung, die entsteht, wenn man Angst hat, aber ich weiß auch gern, dass mir bestimmt nichts passieren kann.
Als Jugendliche war ich süchtig nach Horrorfilmen. Ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm ein Monster aus dem Dunkeln auftauchte, und ich kreischte jedes Mal, wenn eine dumme/tapfere Heldin allein in den Wald spazierte. Ich liebte den Kick, den ich beim Anschauen solcher Filme bekam – und diesen Kick erlebte ich noch intensiver, wenn ich Horrorromane las (das ist heute noch so).
Furcht beschert einem einen Adrenalinschub, das Herz beginnt zu rasen, die Atmung beschleunigt sich; und was den Bösen in meinem neuen Buch »Echo der Angst« betrifft – tja, Furcht macht sein Leben erst lebenswert. Der Killer in dieser Geschichte hat eine enge Beziehung zur Angst. Er fühlt sich nur dann richtig lebendig, wenn er die Furcht anderer sehen und hören kann. Deshalb legt er es darauf an, die schlimmsten Ängste seiner Opfer wahr werden zu lassen. Ja, dieser Typ hätte mir als Jugendlicher bestimmt Angst eingejagt.
Aber um ihm eine starke Widersacherin entgegenzustellen, habe ich meine Heldin Monica Davenport erschaffen. Anders als die dummen/tapferen Heldinnen meiner Jugend hat Monica ihre Waffe immer in Reichweite, und sie lässt die Furcht nicht an sich heran. Stattdessen versetzt sie sich in den Kopf des Killers.
Genau das ist ihr Beruf. Monica ist Chef-Profilerin der SSD – der Serial Services Division des FBI. Ihre Aufgabe ist es, Serienmörder aufzuspüren und dingfest zu machen. Angst kann sie sich nicht erlauben.
Ich schon.
Wenn Sie mehr über meine Bücher erfahren möchten, besuchen Sie meine Webseite: www.cynthiaeden.com.
Ihre
Cynthia Eden
»Lebt das Mädchen noch?«, fragte Special Agent Jonas McKall.
Er war seit etwas über zwei Jahren bei der Einheit, und Mörder jagte er schon viel länger – er hätte es wirklich besser wissen sollen.
Keith Hyde grunzte und griff nach seiner Waffe. »Heute ist der vierte Tag. Du weißt doch, wie dieser Täter vorgeht. Zwei Tage Spaß und Vergnügen.« In Gedanken setzte er hinzu: Krankes, durchgeknalltes Schwein.
Ob das Mädchen noch lebte? Wohl kaum. Sie hatten schon fünf Leichen gefunden, alles junge Mädchen, Teenager. Abgeschlachtet.
Katherine Daniels war zuletzt am vergangenen Montag an einer Bushaltestelle gesehen worden. Heute war es ihnen endlich gelungen, den Schlupfwinkel des Mörders aufzuspüren, aber Hydes Instinkt sagte ihm, dass sie zu spät kamen.
Wie immer.
»Geht vorsichtig rein«, ordnete er an. Schweiß rann ihm über den Rücken. Seine Mannschaft war für solche Situationen ausgebildet, aber er sprach die Warnung trotzdem aus. Der Kerl in der Hütte war ausgekocht. Ein Jahr lang hatte er es geschafft, Polizei und FBIzu narren.
Während er seelenruhig Mädchen aufschlitzte.
»Wir dürfen ihn nicht erschrecken – für den Fall, dass Katherine noch lebt.« Damit der Täter keine Gelegenheit bekam, sie noch schnell zu ermorden.
Die drei FBI-Agenten nickten.
»Sir, was ist mit …« Die flüsternde nasale Stimme tat Hyde in den Ohren weh.
Trotzdem blieb er stehen und wandte sich zu dem Profiler um.
»Was ist mit Mary Jane Hill?«
Das dritte verschwundene Mädchen.
Der Blick des Profilers wanderte zu der Hütte. »Wir haben ihre Leiche nie gefunden.«
Hyde biss die Zähne zusammen. »Weil das Schwein sie irgendwo im Wald abgeladen hat und die Tiere sie vor uns gefunden haben.« Die anderen Leichname hatten sie, völlig entstellt, gerade noch rechtzeitig gefunden, ehe Wildtiere sich über sie hatten hermachen können.
Mary Jane nicht.
Hyde ging davon aus, dass sie das Mädchen nie finden würden.
»Aber …«
»Brown, sie ist seit über drei Monaten verschwunden. Sie ist tot.« Der Irre hielt sich unbeirrt an seine Zwei-Tage-Regel.
Gerade der Profiler sollte das doch wissen.
Doch Brown mit seinem perfekt gebügelten Anzug und den viel zu dicken Brillengläsern war erst ein paar Tage zuvor als Ersatzmann in ihr Team nachgerückt, kurz bevor sie zufällig auf eine brauchbare Spur gestoßen waren.
Sein Vorgänger, Jasper Peters, hatte sich aus dem Fall ausgeklinkt. Mit hochrotem Gesicht und zitternden Händen hatte er vor Hyde gestanden. »Ich halte diesen Mist nicht mehr aus«, hatte er gesagt. »Man kann diese Monster nicht aufhalten. Man wird sie nie aufhalten können.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, brummte Hyde. In der Ferne hörte man Grillen zirpen. Aus der Hütte drang schwaches Licht. »Warten Sie hier.«
Er hob die Hand. Gab das Startzeichen – und machte sich bereit, die Hölle zu betreten.
***
Hyde brach das Schloss auf und schob sich geräuschlos durch die Tür. Drinnen nahm ihm der Gestank fast den Atem. Blut und Verwesung. Ein ekelhafter Geruch, der schwer in der Luft hing.
Sie würden das Mädchen nicht lebend finden.
Er schluckte, um den gallebitteren Geschmack im Mund loszuwerden, und hielt die Waffe fest mit beiden Händen gepackt. Irgendwo in diesem Loch verbarg sich der Killer.
Sie hatten eine Karte der Gegend angefertigt. Es war ihnen sogar gelungen, den Mann ausfindig zu machen, der die Hütte mehr als zwanzig Jahre zuvor gebaut hatte. Sie hatte einen kleinen Keller – der perfekte Ort, um Menschen zu ermorden.
Dort verbarg sich »Romeo«.
Beim Anblick der stabilen Metalltür begann Hydes Herz zu rasen. Von einer Kette baumelte ein Vorhängeschloss.
Wenn er unterwegs ist, sperrt er sie ein, dachte er. Sie haben keine Chance zu fliehen.
Jetzt war das Schloss offen, weil das Schwein sich da unten gerade vergnügte.
Aber nicht mehr lange.
Hyde zog die Tür auf.
Das Quietschen peinigte seine Ohren wie ein lauter Schrei.
Verdammt.
Hyde hetzte die Treppe hinunter.
Noch am Leben?
Wohl kaum. Aber vielleicht, vielleicht …
Die Lichter über ihm flackerten, fluoreszierendes Neonlicht, das alles erhellte und dennoch vieles im Dunkeln ließ.
Auf der letzten Stufe geriet er ins Stolpern, fing sich jedoch wieder und schrie: »FBI! Nehmen Sie …«
Lachen. Laut und kräftig. Aus dem Schatten trat ein Mann. Er war jung, Mitte zwanzig, sah gut aus.
Der Profiler hatte recht gehabt.
»Er zwingt sie nicht mitzukommen. Er verführt sie. Hat etwas an sich, dem sie nicht widerstehen können«, hatte er gesagt.
Romeo, der die Mädchen zu einem gewagten Leben überredete.
»Hände hoch, Arschloch! So, dass ich sie sehen kann!« Die anderen FBI-Agenten kamen die Treppe heruntergepoltert und verteilten sich im Raum.
Romeo lächelte nur und zeigte seine Grübchen. Die Hände hielt er hinter dem Rücken verborgen. Brust und Beine waren von einer langen weißen, mit roten Flecken übersäten Schürze bedeckt. »Zu spät«, wisperte er und trat einen Schritt nach vorn.
Hyde schüttelte den Kopf. »Ich jage dir eine Kugel ins Herz.«
Noch ein Schritt.
»Dann werdet ihr meine bezaubernde Katherine nie finden.«
Genau wie sie Mary Jane nie gefunden hatten.
Hyde spürte, wie sich sein Finger fester auf den Abzug legte. »Du wirst aber auch nie wieder ein Mädchen aufschlitzen. Das reicht mir völlig.«
Wieder flackerten die Lampen, und das Lächeln des Manns erlosch. »Sie wollen es also auf die harte Tour, Hyde?«
Der Killer kannte seinen Namen. Nicht unbedingt eine große Überraschung, nachdem Hydes Gesicht in den letzten Monaten dauernd in den Nachrichten zu sehen gewesen war.
»Sie ist nicht hier.« Das kam von Jonas.
Einen kurzen Moment wandte Hyde den Blick von Romeo ab und ließ ihn zu den Ketten an der Wand und dem Tablett mit den Chirurgeninstrumenten wandern.
Das Spielzimmer eines durchgeknallten Arschlochs. Aber kein Mädchen.
»Legt ihm Handschellen an«, kam wie ein Grollen aus Hydes Kehle. Er hätte gern abgedrückt. Hätte diesem tollwütigen Tier nur zu gern den Gnadenschuss verpasst. Wenn er nur einen Vorwand gefunden hätte.
Jonas griff nach seinen Handschellen.
Plötzlich flogen Romeos Arme nach vorne. In der Hand hielt er eine Handfeuerwaffe, die er vorher hinten unter seinem Hemd verborgen hatte.
Der perfekte Vorwand. Dieser Gedanke huschte Hyde durch den Kopf, doch da hatte Romeo bereits abgedrückt.
»Nein!« Der schrille, laute Schrei einer Frau.
Hyde war für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt, weil sein Blick das Opfer suchte.
Romeo schoss, und im selben Augenblick warf sich eine Frau – nein, ein Mädchen – auf den Mörder, und sie stürzten beide zu Boden.
Ein Messer blitzte.
Die Klinge drang tief in Fleisch ein.
Lachen.
Schreie.
Hyde schüttelte den Kopf, packte das Mädchen und zog es hoch, während seine Männer sich auf den Killer stürzten. Das Mädchen versuchte, Hyde abzuschütteln. Die Hand, in der es das Messer hielt, bebte.
Woher zum Teufel war sie so plötzlich aufgetaucht?
»Schon gut«, flüsterte er beruhigend, obwohl er nicht gerade der Typ war, dem beruhigende Worte leicht über die Zunge kamen. »Er wird dir nichts mehr tun.«
Romeo warf den Kopf in den Nacken. Zwei FBI-Agenten knieten auf ihm. »Ich habe ihr nie etwas getan. Ich liebe sie. Sie gehört mir!«
Hydes rechte Schulter pochte furchtbar. Die Kugel hatte ihn getroffen, aber es war zum Glück nur ein Streifschuss.
Wieder versuchte das Mädchen, sich loszureißen. Hyde ignorierte den Schmerz in seiner Schulter und griff noch fester zu. »Ganz ruhig. Es ist vorbei.« Er wies mit dem Kopf auf Romeo. »Schafft ihn hier raus.«
Sie zitterte am ganzen Körper, als die Männer Romeo die Treppe hinaufzerrten. Hydes Blick wanderte nach links. Eine offene Tür. Verdammt, es sah eher aus, als stünde ein Teil der Mauer offen. Ein begehbarer Schrank. Nein, für einen begehbaren Schrank war die Öffnung nicht groß genug. Das waren höchstens sechzig Quadratzentimeter.
Hatte Romeo das Mädchen dort eingesperrt?
»Gehen wir raus, Katherine.« Das Team musste dieses stinkende Loch von oben bis unten durchsuchen.
Sie packte das Messer fester.
»Du musst das Messer jetzt fallen lassen.« Er wollte ihr nicht wehtun. Sie hatte bereits genug durchgemacht.
Eine Minute. Zwei.
Ganz langsam lockerten sich ihre Finger, und das Messer fiel scheppernd zu Boden.
»Braves Mädchen.«
Bei seinen Worten zuckte sie zusammen.
Das dunkle Haar hing ihr wirr ins Gesicht. In dem langen dunklen Hemd und der weiten Trainingshose schien sie schier zu verschwinden.
Sie lebte noch. Das war wirklich ein Wunder, das Jonas ihm noch lange unter die Nase reiben würde.
Hyde führte sie zur Treppe. Zögernd sah sie zur Tür hinauf.
»Verschlossen.« Ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen.
Er spürte, wie sich eine Faust um sein Herz legte und zudrückte. »Diesmal nicht, Kleines.«
Sie nickte und stieg langsam die Treppenstufen hinauf. Eine nach der anderen. An der Tür zögerte sie. Dann hob sie die Hände und berührte mit ängstlichen Fingern das kalte Metall.
Hyde drückte die Tür auf und schob das Mädchen sanft über die Schwelle. »Ich bringe dich jetzt heim. Deine Eltern werden erleichtert sein …«
Sie blieb plötzlich stehen. Dieser Teil der Hütte war hell erleuchtet, und keine der Birnen flackerte. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihn aus Augen an, die so blau waren, wie er es noch nie gesehen hatte.
Romeo hatte einen besonderen Geschmack. Mädchen zwischen fünfzehn und achtzehn. Alle dunkelhaarig, alle mit blauen Augen.
Das Mädchen starrte ihn einen Augenblick lang an, dann schüttelte es den Kopf.
»Keine Angst, du bist in Sicherheit.«
»Ich … bin nicht Katherine.« Immer noch das heisere Flüstern. Sie wandte den Blick ihrer irritierend blauen Augen nicht von ihm ab.
Ihr Gesicht war voller Schmutz. Ruß und Staub und wer weiß, was noch. Aber als Hyde sie genauer musterte, dämmerte es ihm.
Jäh wurde ihm klar, wer da vor ihm stand. Ein gottverdammtes Wunder. Ein Engel, der die Hölle überlebt hatte.
Sechzehn Jahre später.
»Stehen bleiben! FBI!« Natürlich beeindruckten die Worte den Täter nicht. Der Kerl mit der schwarzen Skimaske rannte nur noch schneller. Agent Luke Dante biss die Zähne zusammen und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Eine Frau schrie. Eine andere traf ihn mit ihrer Handtasche.
Also wirklich – das hatte man nun davon, dass man auf der Seite des Gesetzes stand.
In dieser Menschenansammlung konnte er unmöglich schießen. Es waren zu viele Leute unterwegs. Zu viele Kinder.
Luke sprang über einen Knaben auf einem Fahrrad hinweg und fluchte, als er mit dem Knöchel am Lenker hängenblieb.
Dreck. Das war wirklich nicht sein Tag.
Dabei hatte er auf dem Weg zur Arbeit nur schnell einen Kaffee trinken wollen. Nur eine Tasse.
Stattdessen war er in einen bewaffneten Raubüberfall geraten.
Der Täter lief in den Verkehr – das taten sie immer. Hupen erklangen, Bremsen quietschten. Luke schüttelte den Kopf. Der Verkehr war zum Stillstand gekommen, er konnte dem Typen also ruhig hinterherhechten.
Jetzt war er ihm so nah, dass er ihn schnaufen hörte.
Luke sprang, packte den Idioten, und schon gingen sie beide zu Boden.
Der raue Asphalt riss ihm den Arm auf. Er spürte, wie Blut über seine Haut lief. Der Täter wand sich fluchend unter ihm, trat nach ihm, versuchte, ihn abzuschütteln. Plötzlich hielt er einen Revolver in der Hand.
Luke verdrehte dem Mann das Handgelenk. Er jaulte auf, die Waffe fiel zu Boden.
»FBI«, brummte Luke. Sein Hemd war voller Blut. »Du hast dir den verkehrten Laden ausgesucht.«
Sirenen drangen an sein Ohr. Endlich. Im Zeitalter des Mobilfunks sollte man doch meinen, einer der Fußgänger hätte längst den Polizeinotruf gewählt.
»Verdammtes, dreckiges Schwein, lass mich los, lass mich …«
Luke verlagerte sein Gewicht und drückte den Täter noch fester zu Boden. Durch die Schlitze der Skimaske starrten ihm funkelnde grüne Augen entgegen. »Waren die fünfzig Dollar das wert, du Genie?« Er riss ihm die Maske herunter – und sah ins Gesicht eines Jungen.
Die Täter wurden von Tag zu Tag jünger.
Das Gesicht des Burschen war mit Aknepickeln übersät. Kein Bartwuchs. Das rotblonde Haar hing ihm ungekämmt und ungewaschen um das runde Gesicht.
Meine Güte, der Junge hatte noch Babyspeck. »Wie alt bist du? Fünfzehn?«
»Verdammt, ich bringe dich um.« Die Adern an der Stirn des Jungen traten deutlich hervor.
Luke seufzte. Er kannte diesen Blick. Dieses glasige Starren. Dieses Beben. Der Junge war total zugedröhnt, und damit er das bleiben konnte, hatte er das Geschäft ausräumen wollen.
Der Lichtbalken des Streifenwagens blendete Luke. Türen knallten zu. Luke sah auf. Die Polizisten stürmten auf ihn zu.
»Stehen Sie auf und treten Sie zur Seite.« Der Sprecher hatte die Waffe auf Luke gerichtet.
»Ganz ruhig.« Ein nervöser Finger am Abzug – das konnte er nun wirklich nicht brauchen. »Ich bin vom FBI.«
Es war ein absolut beschissener Morgen.
Die Befragung würde mit Sicherheit so lange dauern, dass er zu spät zu seiner neuen Arbeitsstelle kam, und das am ersten Arbeitstag.
Mit dem Einstieg würde er seinen neuen Chef bestimmt beeindrucken.
***
Mit zerkratzten Armen und Blut auf dem Hemd betrat Luke zwei Stunden später das J.-Edgar-Hoover-Gebäude. Dennoch drückte er die Brust heraus und hielt den Kopf gerade. Er war nicht zum ersten Mal hier. Sein Einsatzort war zwar Atlanta gewesen, aber sporadisch hatte es Fälle gegeben, die eine Fahrt nach Washington erfordert hatten. Doch diesmal kam er nicht als Gast.
Seine Handflächen waren trocken, als er den Knopf im Lift drückte. Er ließ die Etagenanzeige nicht mehr aus den Augen. Drei. Vier. Fünf …
Ein gedämpftes »Bing« ertönte, dann öffneten sich die Türen. Vor ihm lag ein langer Flur, der in einer T-Kreuzung endete. Nach rechts ging es dort zum kriminaltechnischen Labor, nach links zur SSD – Serial Services Division, der Abteilung, die für Serientäter zuständig war.
Diese Abteilung gab es noch nicht lange, und Luke wusste, dass eine Menge FBI-Agenten alles getan hätten, um dort arbeiten zu dürfen.
Aber mich haben sie genommen, dachte er. Er hatte sich den Arsch aufgerissen, um diese Stelle zu kriegen, und jetzt, wo er sie hatte, würde er alles tun, sie auch zu behalten.
Während er den Flur entlangging, spürte er deutlich das Gewicht von Waffe und Holster an der Hüfte. Am Ende des Flurs bog er nach links ab. SSD. Luke stieß die makellose Glastür auf. Klingelnde Telefone. Stimmengewirr. Luke holte tief Luft, sah sich um und fragte sich, ob es ihm wohl gelingen würde, unbemerkt …
»Das wurde auch Zeit, Partner.«
Lukes Blick schoss nach rechts.
»Ich dachte schon, Sie würden mich im Stich lassen, und … oh …« Der große, schlanke Mann mit dem kurzgeschorenen dunklen Haar zuckte zurück und kniff die grauen Augen zusammen. »Gab wohl Ärger zu Hause?«
Es klang ein wenig ironisch.
Luke gab einen Grunzlaut von sich. »Bewaffneter Raubüberfall. Ich musste den Täter überwältigen.«
»Aufschneider.« Der Mann schüttelte den Kopf, streckte Luke aber die Hand hin. »Sie wollen uns also gleich an Ihrem ersten Tag schlecht aussehen lassen? Das macht sich gar nicht gut.«
Luke nahm die Hand, drückte zu und ließ gleich wieder los. »Tut mir leid«, sagte er und räusperte sich. »Vielleicht lasse ich den Bösewicht nächstes Mal einfach entkommen.«
Der Mann lachte. »Mein Name ist Kenton Lake. Dante, ich glaube, es wird interessant, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Hier. Die einzige Abteilung im FBI, die sich rein mit der Verfolgung von Serientätern beschäftigte – Vergewaltiger, Killer, Kidnapper.
»Ich habe gehört, Sie können ziemlich … energisch sein, wenn es um Ihre Arbeit geht«, sagte Kenton.
Luke konnte sich gut vorstellen, von wem der Typ das gehört hatte. Wobei er ziemlich sicher war, dass das entsprechende Adjektiv nicht »energisch« gelautet hatte. »Ich halte es für wichtig, gute Arbeit zu leisten.«
Kenton hob eine Braue. »Koste es, was es wolle?«
»So könnte man das ausdrücken.« Er war schon mit anderen Kollegen aneinandergeraten. Falls dieser Typ ihn für rücksichtslos hielt, weil er lieber dem Täter hinterhergejagt war, dann wäre er nicht der erste und nicht der letzte.
»Wir sind ein Team. Keine Ein-Mann-Show. Vergessen Sie das nicht, dann kommen Sie prima klar.«
Luke neigte den Kopf. Ihm ging es nicht um Berühmtheit. Ihm ging es darum, Opfern zu helfen. Sein Blick glitt über die Schreibtischreihen. »Gehören alle hier zum Team?«
»Größtenteils, aber nicht zum inneren Zirkel. Der wartet auf Sie.« Er wies mit dem Daumen auf die geschlossene Tür eines Konferenzzimmers. »Da drinnen.«
Er musste diesen Leuten mit seinem blutbefleckten Hemd gegenübertreten. Das hatte er nun davon.
»Nach Ihnen.«
Das Lächeln wurde breiter. »Ich kann mich noch nicht recht entscheiden, aber ich glaube, ich werde Sie mögen.«
Damit drehte Lake sich um und ging auf den Konferenzraum zu. Luke holte tief Luft.
Als er über die Schwelle trat, fiel sein Blick als Erstes …
… auf sie. Oh, Mist, dachte er.
Luke war sich nicht bewusst, dass er nach Luft geschnappt hatte. Er spürte nur, dass sein Schwanz zuckte und die Luft im Raum unerwartet sehr …
Neben ihm ertönte ein schnaubendes Geräusch. »Vergessen Sie’s. Keine Chance.«
Aber während Kenton und er sich auf zwei freie Stühle setzten, gelang es ihm nicht, die Frau aus den Augen zu lassen.
Sie stand vorne im Raum, ihre Hände lagen an den Seiten eines Rednerpults. Das schwarze halblange Haar umspielte ihr Gesicht und betonte ihr leicht spitzes Kinn. Ihre Haut war glatt, bleich, makellos, und ihre Augen …
So blau.
Monica Davenport. Eine Legende im FBI, obwohl sie gerade mal knapp über dreißig war. Eine der besten Profilerinnen. Drei, vier (?) Studienabschlüsse und verdammt viel praktische Erfahrung. Eine FBI-Agentin, die sich nichts vormachen ließ und die den Ruf hatte, eiskalt zu sein.
Wie schade, denn so, wie sie aussah, war sie der feuchte Traum in Person.
Seiner zumindest.
Der Blick ihrer glänzenden Augen bohrte sich in seinen, doch sie ließ sich nicht im Geringsten anmerken, dass sie ihn kannte.
Eis.
Mit ihrer angenehmen, weichen Stimme fuhr sie fort, als sei nichts geschehen. »Mit Hilfe unseres Teams konnte die Polizei den Täter gestern Abend in Waylon, Virginia, festnehmen. Das letzte Opfer des Mitternachtsmörders, Julia Marcus, konnten wir der Familie lebend zurückbringen.«
Beifall. Ein Pfiff von einer Frau in der ersten Reihe, die wie Lucy Liu aussah.
»Seit der Gründung vor sechs Monaten ist dies der neunte Fall, den die SSD zum Abschluss gebracht hat.«
»Genau, und wir fangen gerade erst an«, hallte eine tiefe Stimme durch den Raum, als habe Gott persönlich gesprochen. Luke richtete sich auf. Die Stimme kannte er. Keith Hyde. Verdammt, der Typ war quasi die SSD. Die Abteilung war seine Idee gewesen, sein Baby, und er hatte jeden einzelnen Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt.
In der ersten Auswahlrunde hatte er Luke übergangen, aber als Mark Lane ein Sabbatjahr genommen hatte, hatte Luke sich erneut beworben und es schließlich geschafft, in den heiligen Hallen aufgenommen zu werden. Hier hatte er hingewollt. Hier gehörte er hin.
Die Andeutung eines Lächelns umspielte Monicas volle Lippen, als sie Hyde das Rednerpult überließ.
Hyde nickte den versammelten Agenten zu. Er war riesengroß, hatte breite Schultern und war schwarz wie die Nacht. Er lächelte – ein echtes Lächeln, nicht wie das Monicas – und ließ dabei seine perfekten weißen Zähne aufblitzen. »Wir machen ihnen Dampf, Leute, und ich bin auf jeden von Ihnen stolz.«
Einige Agenten jubelten, einige grinsten, und die angespannten Gesichter wirkten gleich viel offener.
»Aber wir haben gerade erst losgelegt. Neun sind geschnappt, der Rest läuft noch frei herum.« Sein Blick richtete sich auf Luke. »Wir haben einen neuen Kollegen, der uns endlich die Ehre gibt, hier anzutanzen.«
Luke zuckte zusammen.
»Besser spät als nie, nicht wahr, Kumpel?«, brummte Kenton.
Als Hyde die Augen zusammenkniff, sprang Luke auf. »Sir. Ich freue mich, für Ihre Abteilung arbeiten zu dürfen.«
»Das sollten Sie auch. Wir sind die Besten.« Er wies auf die Frau neben sich. Lucy Liu. Oh nein, sie war … »Das ist Kim Donalds. Lassen Sie sich nicht davon täuschen, dass sie so klein ist. Sie ist eine der hartgesottensten Agentinnen, die ich je gesehen habe.«
Kim wandte ihm das Gesicht zu. Grüne mandelförmige Augen sahen ihn abwägend an. Begutachtend.
Ihre Nase war mit Sommersprossen übersät. Sie war klein, zierlich …
… brandgefährlich.
Auch von Kim hatte er schon gehört. Ihr attraktives Äußeres verbarg nur unzulänglich die vollkommene Jägerin.
»Kenton kennen Sie schon.«
Kenton hob grüßend die Hand.
»Das ist Jon Ramirez. Er ist…«
»… ehemaliger Scharfschütze.« Luke nickte dem Mann mit dem durchdringenden Blick zu. »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, Sir.« Ramirez war als Soldat im Nahen Osten gewesen und hatte sich als besonders guter Schütze erwiesen. Nach Ableistung seines Dienstes war er zum FBI gegangen.
»Dann kennen Sie mich auch?« Eine weitere Frau, mittelgroß, schlank, rothaarig, Brille mit Drahtgestell. Sie sah ihn an und spitzte die Lippen.
»Samantha Kennedy, Computergenie.« Ja, er hatte von ihr gehört. Sie war noch keine achtzehn gewesen, als sie ihr Diplom in Informatik gemacht hatte. Noch im selben Jahr hatte die Regierung sie eingestellt, und erst vor ein paar Monaten war sie zum FBI gewechselt.
Samantha errötete und senkte den Blick. »Ja. Das bin ich.«
»Tja, und Sie sind Luke Dante.« Eine tiefe, raue Stimme.
Monica.
»Der tolle Hecht aus dem Süden, der ganz allein den Studentinnen-Stalker gestellt hat.« Eine ihrer dunklen Brauen glitt nach oben. »Eindrucksvoll.«
Eigentlich nicht. Auf der Suche nach Zeuginnen war er zufällig auf den Dreckskerl gestoßen. Er hatte Glück gehabt – fünf Zentimeter weiter, und Carl Malones Messer hätte sein Herz durchbohrt, statt eine Narbe zu hinterlassen, die seinen Ruf als knallharter Typ festigte.
Er rang sich ein Lächeln ab. »Man tut, was man kann.«
Hyde sah zwischen den beiden hin und her. »Dann kennen Sie vermutlich auch unsere leitende Profilerin, Monica Davenport.«
Ja. »Wir sind uns schon mal über den Weg gelaufen.«
Eiskalte blaue Augen starrten ihn an.
»Gut.« Hyde griff in seine Mappe und zog einen Stapel A-4-Umschläge heraus. Einen gab er Luke, einen Monica. »Sie fliegen nach Jasper, Mississippi, in …« Kurzer Blick auf die goldene Uhr an seinem Handgelenk. »… drei Stunden.« Kenton und Samantha bekamen auch je einen Umschlag. »Sie unterstützen die beiden.«
Luke starrte wie gebannt auf das Aktenbündel. »Der Sheriff da unten glaubt, er hätte einen Serienmörder.«
Monica legte den Kopf schief. »Hat er?«
»Keine Ahnung. Das herauszufinden ist Ihre und Dantes Aufgabe. Der Sheriff hat zwei Leichen. Nicht dieselbe Vorgehensweise, aber er glaubt, es war ein und derselbe Killer.«
Normalerweise brachten Serienmörder ihre Opfer immer auf die gleiche Art um. Es war, als müssten sie dasselbe Ritual immer wieder vollziehen. Unterschiedliche Vorgehensweisen passten nicht in das Schema.
»Lesen Sie die Akten«, befahl Hyde, »und dann machen Sie sich auf zum Flughafen.«
Er klatschte in die Hände. »Das war’s, zurück an die Arbeit – und machen Sie sie tunlichst gut!«
Luke hielt den Blick fest auf die Dokumente gerichtet. Kenton klopfte ihm auf die Schulter. »Na los. Knacken Sie die Nuss. Sieht aus, als könnten Sie …«
»Ich dachte, hier geht es um Teamarbeit, Partner«, fiel Luke ihm ins Wort.
Kenton grinste über das ganze Gesicht. So ein Grinsen hätte Lukes Vater garantiert als ›wölfisch‹ bezeichnet. »Mann, das war doch nur ein Scherz. Die Teams wechseln hier jede Woche. Entweder vertrauen Sie uns allen, oder Sie trauen niemandem.«
Gut zu wissen.
Kenton beugte sich näher. »Viel Glück mit Eis.«
Eis.
Monica hatte die Dokumente in ihre Tasche gesteckt und kam auf Luke zu. Der Raum hatte sich geleert, außer Kenton befanden sich nur noch Monica und er darin.
»Wenn Sie Mist bauen, zieht sie Ihnen bei lebendigem Leib die Haut ab.« Ein weiterer Klaps auf die Schulter. »Viel Spaß im Süden.«
Aus dem Süden war er gerade erst gekommen. Da unten war es im Augenblick heiß wie in der Hölle. Die Luftfeuchtigkeit brachte einen schier um. Aber er liebte den breiten Slang der Südstaatler.
Ein Slang, wie man ihn, wenn man genau hinhörte, ganz leicht noch in Monicas Aussprache wahrnehmen konnte.
Monica ging wortlos an ihm vorbei.
Verdammt. Eine herzliche Begrüßung konnte er sich offensichtlich abschminken.
Ein bisschen mehr hatte er schon von der Frau erwartet, mit der er den bisher besten Sex seines Lebens gehabt hatte.
Eis … Scheiße, ja.
***
Verdammt, hatte sie ein Pech!
Monica holte zwei-, dreimal tief Luft. Ihr Herz raste.
Es gab so viele Abteilungen und Teams beim FBI, und ausgerechnet hier musste Luke auftauchen.
»Was hältst du von dem Typen?«
Sie schloss die Augen. Samantha.
»Hast du den gesehen?«
Es wäre nicht einfach gewesen, ihn nicht zu sehen, schließlich war er bei dem Termin dabei gewesen. Sie hob die Augenlider.
Samantha stieß einen tiefen Seufzer aus. »Als er den Blick auf mich richtete – und hast du gesehen, was für Augen der hat? –, da habe ich richtig gespürt, wie meine Haut anfing zu brennen.«
Monica stieß sich mit dem rechten Fuß ab und rollte mit ihrem Schreibtischstuhl vom Fenster weg. Dann drehte sie den Sitz so, dass sie Samantha ansehen konnte. »Kann ich dir irgendwie helfen?« Sie gab sich keine Mühe, ihre Ungeduld zu verbergen. Sie hatte keine Zeit, sich Sams entzückten Wortschwall anzuhören. Das mochte gemein sein … na und?
Wenn man kalt und gemein war, konnte man solchen Unterhaltungen gut aus dem Weg gehen. Normalerweise.
Das hier war kein Internat, wo Mädchen die ganze Zeit tuschelten. Das hier war das FBI, verdammt noch mal. Aber Samantha, die gerade erst dreiundzwanzig war, tat sich manchmal schwer damit, sich entsprechend zu verhalten.
Samanthas Augen weiteten sich.
Wunderkind. Superklug, aber linkisch im Umgang mit Menschen.
»Oh. Ich … ich hatte nur …«
Klasse. Jetzt fühlte Monica sich, als hätte sie einem Welpen einen Tritt gegeben. Einem mit riesengroßen nussbraunen Augen.
»Hyde wollte, dass ich dir das gebe.«
Noch ein Aktenbündel.
Monica griff danach. »Danke, Sam.« Eine Entschuldigung? Wäre wahrscheinlich angebracht gewesen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Für jemanden, der sich angeblich so gut in Leute hineinversetzen konnte, waren ihre sozialen Fähigkeiten auch nicht die besten.
Samantha drehte sich um und eilte auf die Tür zu.
»Sam.«
Samantha blieb schlagartig stehen.
»Danke, dass du mir die Akte gebracht hast«, sagte Monica leise.
Samantha nickte.
Dann schloss sie die Tür hinter sich. Sie schlug sie nicht zu, zog sie einfach nur ins Schloss.
Monica schüttelte den Kopf. Oh ja, sie wusste, wie man Freunde gewann. Darin war sie immer gut gewesen.
Sie warf einen Blick auf die Akte, öffnete sie …
… und starrte auf eine entstellte Frauenleiche.
Blut und Tod – davon verstand sie was.
***
Monica verließ gerade ihr Büro, als Hyde ihr in den Weg trat. »Kommen Sie klar mit dem Fall?«, fragte er.
Sie standen im Flur, direkt vor ihrem Büro. Monica sah nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich halte es nicht für eine gute Idee, Dante ins Team zu holen.« Oh ja, das hatte sie ihm mehr als einmal gesagt.
Aber Hyde zuckte nur die Achseln. »Von Dante spreche ich nicht. Den brauchen wir.« Er seufzte. »Sie sind für die Killer zuständig, er für die Opfer. Das ergänzt sich perfekt.«
Da mochte er recht haben, aber gefallen musste ihr das deshalb noch lange nicht.
»Wenn Sie mich brauchen, melden Sie sich, ja?«
Sie nickte. Hyde war immer ansprechbar. Für all seine Leute. »Mache ich.« Aber sie würde schon klarkommen – mit dem Fall und mit Luke.
»Sollen wir darüber reden?«
Die tiefe Stimme riss Monica aus ihrer Arbeit. Sie hatte ihre Aufzeichnungen vor sich auf dem Tisch verteilt, die Sonnenblende fest geschlossen – sie hasste fliegen –, und jetzt, in den letzten zehn Minuten ihres Flugs in der Privatmaschine, wurde Dante gesprächig.
Klasse.
»Ich meine … wir arbeiten jetzt zusammen, da können wir doch nicht so tun, als wäre nie was gewesen.«
Natürlich konnten sie das.
Die meiste Zeit tat sie nichts anderes, als die Erinnerungen an früher beiseitezuschieben.
Langsam legte Monica ihren Kugelschreiber hin. Dann hob sie den Blick. Dante saß ihr gegenüber, die langen Beine von sich gestreckt, machte sich viel zu breit. Vor ihrem Abflug hatte er sich noch umgezogen und sich freundlicherweise das Blut abgewaschen, und jetzt trug er eine locker sitzende Kakihose und ein Button-down-Hemd.
Jahrelang hatte sie versucht, Dante zu vergessen, so zu tun, als hätte es die Affäre mit ihm nie gegeben.
Sie hatte es versucht, aber der Versuch war gescheitert.
»Gefällt dir, was du siehst?« Was aus seinem Mund kam, klang wie eine Art erotisches Schnurren.
Arschloch.
Verdammt, die Antwort war ja. Dante war Sex, Energie, Verlockung.
Eine Verlockung, der sie mit zweiundzwanzig nicht hatte widerstehen können. Die sie jetzt aber ignorieren würde.
Er war groß, kräftig, hatte smaragdgrüne Augen und von der Sonne gebleichtes dunkelblondes Haar. Dante war ein Südstaatenjunge mit viel Charme und einem Grübchen im Kinn.
Über seine rechte Wange lief eine längliche, dünne Narbe. Sie war dabei gewesen, als er sich die Verletzung zugezogen hatte. Aber die Narbe tat seinem Aussehen keinen Abbruch. Im Gegenteil – damit wirkte er umso abenteuerlicher.
Sie fixierte ihn, versuchte, ihn mit unbeteiligtem Blick zu sehen. Kräftiges Kinn, volle Lippen, leicht schiefe Nase – eigentlich hätte er gar nicht so gut aussehen dürfen.
Tat er aber.
Nein, gutaussehend war nicht das richtige Wort. Sexy.
Verdammt.
Monica räusperte sich. »Das ist viele Jahre her.« Sie hatten das schon einmal durchgekaut, als er den Fehler begangen hatte, sie ausfindig zu machen. »Wir sind Profis, wir können …«
»… so tun, als wäre nie was gelaufen? So tun, als ob wir uns nicht fast gegenseitig zerrissen hätten, weil wir so gottverdammt geil aufeinander waren?«
Ihr Herz raste so, dass ihre Brust bebte.
Er grinste sie an. Seine weißen Zähne blitzten. »Ich weiß nicht, ob ich das kann … Eis.«
Sie kniff die Augen zusammen. Wie sie diesen Beinamen hasste! Die Typen aus ihrer Ausbildungsgruppe hatten ihn ihr verpasst. Sie kapierten es einfach nicht.
Kontrolle – darauf kam es an. Aber bei Luke hatte sie die völlig verloren.
In all den Jahren hatte sie nur einen Fehler gemacht – Luke. Er hatte als Einziger die Mauer durchbrochen, die sie so mühsam aufgebaut hatte.
Eis.
Alle Agenten in ihrer Ausbildungsgruppe hatten Beinamen bekommen.
Dante hatten sie den Teufel getauft. Der Mann ging gern Risiken ein und überschritt Grenzen. Ein Teufel, dem Bedacht nichts bedeutete. Wie hätte man dem Teufel widerstehen sollen?
Sein Beiname war nicht hängengeblieben, ihrer schon.
Monica holte tief Luft und lockerte bewusst ihre Finger. »Das ist lange her, und mit der Vergangenheit beschäftige ich mich nicht.« Falsch. Seit Jahren lief sie vor ihr davon. »Ich konzentriere mich auf die Gegenwart.« So gut es ging. Sie wich seinem Blick nicht aus. Sie wusste, ihr Gesicht war völlig ausdruckslos.
Das hatte sie lange geübt. Eis.
Gut, vielleicht hatte sie ihren Teil dazu beigetragen, dass man ihr diesen Beinamen verpasst hatte. Aber wenn man kalt war, hielten die anderen Abstand. Es war riskant, wenn einem jemand zu nahe kam.
Sie straffte die Schultern. »Ich bin hier die ranghöhere Agentin, und mir steht nicht der Sinn nach Sex.« Viel zu riskant. »Wir arbeiten zusammen an einem Fall, weil das nötig ist, um ihn aufzuklären.« Leise, sachlich.
Dante blinzelte nicht einmal.
»Ist das für dich ein Problem? Denn dann ist es sicher ein Leichtes, dich nach Atlanta zurückzuschicken.« Das war völliger Blödsinn. So viel Einfluss hatte sie nicht.
Hyde wollte Dante im Team haben. Das war ihm nicht auszureden gewesen. Er hatte ihre Einwände überhört, und das, obwohl er ihre Menschenkenntnis sonst ausnehmend schätzte. Diesmal nicht.
In Dantes Gesicht zuckte ein Muskel. Es war glatt rasiert, aber sie hatte es frühmorgens gesehen, die rauen Stoppeln gespürt …
»Kein Problem, Ma’am.« Seine Stimme troff vor Sarkasmus. »Ich tue meine Arbeit.«
»Gut.«
»Sie auch?«
Monica biss die Zähne zusammen. »Glaub mir, für mich ist das kein Thema.« Lügnerin, Lügnerin …
Sie brauchte nur die Augen zu schließen, um ihn splitternackt vor sich zu sehen und sich zu erinnern, wie gut er sich angefühlt hatte.
Sie schluckte.
Es hatte ihr fast das Herz gebrochen, als sie ihn verlassen hatte, aber ihr war keine Wahl geblieben. Der Mann war eine Schwäche, die sie sich nicht leisten konnte.
»Bereit zum Sinkflug«, kam eine männliche Stimme über die Lautsprecher. »Bitte schnallen Sie sich an. Landung in Jasper …«
Was der Flugkapitän sonst noch sagte, rauschte an Monica vorbei. Sie griff nach ihrem Sicherheitsgurt und ließ ihn einrasten.
Wenn Dante sich bei seinem ersten SSD-Fall gut machte, würde sie jeden Tag und manche Nacht mit ihm zusammenarbeiten müssen, und das auf unbestimmte Zeit.
***
Abgeblitzt. Luke zwang sich, tief zu atmen. Er konnte damit umgehen. Ein Fall wartete auf ihn. Opfer. Er war in der Lage, sich zusammenzureißen und auf die Arbeit zu konzentrieren.
Sie stiegen die wenigen Stufen zur Landebahn hinunter. Ein Privatflugzeug. Bei dem Anblick wäre ihm fast der Unterkiefer heruntergeklappt.
Hyde musste üble Dinge über seine Vorgesetzten wissen, sonst hätte er nie und nimmer ein Flugzeug für die SSD bekommen. Wobei der Flug schon beinahe an Folter gegrenzt hatte. Eingesperrt mit Monica auf engstem Raum, war er nahezu in ihrem Duft ertrunken.
Auch nach all den Jahren war die Frau noch viel zu schön. Glatte bleiche Haut. Kerzengerade Nase. Volle rote Lippen – und diese Beine …
Er konnte noch immer spüren, wie sie die Beine um seine Hüfte geschlungen und die Füße in seinen Rücken gestemmt hatte, während er so tief in sie hineinstieß, wie er nur konnte. Diese Beine …
Auf dem Höllenflug hatte sie sie überkreuzt und dann sanft mit dem Fuß gewippt, während sie sich Notizen machte. Er hatte den Fuß angestarrt, dann den Blick ihre wohlgeformten Beine hinaufwandern lassen bis zum Saum ihres Rocks …
Einmal hatte er sie von oben bis unten abgeleckt. Den Geschmack ihrer Haut gekostet. Aber das war Vergangenheit.
Die Gegenwart sah anders aus. Monica hatte ihn abblitzen lassen. Sie hatte ihn aus diesen toten Augen angestarrt und ihm praktisch gesagt, er solle sich verpissen.
›Finger weg, oder du sitzt morgen wieder in Atlanta‹, hatte die Botschaft gelautet.
So viel zu ›weitermachen, wo sie aufgehört hatten‹.
Rein kollegial. Das konnte er auch.
Luke wandte den Blick von Monicas schwingendem Hintern ab und sah nach vorne.
Zwei uniformierte Gesetzeshüter vom Sheriffbüro erwarteten sie bereits.
Konzentrier dich auf den Fall. Vergiss die Frau, sagte er sich.
Ihre hohen Absätze klackten über das Pflaster. Die beiden Polizisten nahmen Haltung an, dann eilten sie auf sie zu. Kluge Burschen.
»Agentin Davenport?«, fragte der eine und streckte ihr die Hand hin. Mit seinem Milchgesicht sah der Bursche aus wie höchstens einundzwanzig. Er hatte dunkle Augen, olivbraune Haut und nervöse Finger.
Monica nickte. Der Wind, der über das Rollfeld fegte, wirbelte ihre dunklen Locken durcheinander, und auf einmal wirkte ihr Gesicht deutlich weniger hart. Sie ignorierte den Wind, nahm die Hand des Polizisten und schüttelte sie.
»Ich bin Deputy Lee Pope, und das hier ist Deputy Vance Monroe.«
Sie nickte dem anderen Polizisten zu und gab auch ihm die Hand.
Luke bekam mit, wie Vance die Augen aufriss. Er war älter als sein Kollege – groß, gerötete Wangen, dunkelrotes Haar, eine Nase, die aussah, als sei sie mehrmals gebrochen worden. Vance schien Monicas Hand ein bisschen länger als angebracht festzuhalten.
»Das ist mein Kollege.« Ihre Stimme übertönte mühelos den Wind. »Special Agent Luke Dante.«
Luke ließ ein Lächeln aufblitzen, und als die Deputys blinzelten, vermutete er, er habe vermutlich zu viele Zähne gezeigt.
Reiner Reflex. Er hatte versucht, ein genervtes Grollen zu unterdrücken.
»Der Sheriff will, dass wir Sie gleich ins Leichenschauhaus fahren«, sagte Lee. Er trat fahrig von einem Fuß auf den anderen. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass es bei uns in Jasper einen Serienmörder gibt?«
Luke trat neben Monica. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sich ihre Miene kaum sichtbar verhärtet hatte.
»Ich weiß nicht, was es bei Ihnen gibt, Deputy«, antwortete Monica und starrte ihn durchdringend an. »Ich weiß nur, dass mein Chef mir befohlen hat, mich ins Flugzeug zu setzen.« Ein angedeutetes Achselzucken. »Hier bin ich.«
Ranghöhere Agentin.
Hyde hatte ihm eine versteckte Warnung zukommen lassen, ehe er das Büro verlassen hatte. »Dass Sie mir keinen Mist bauen, Sie Held. Im Zweifelsfall folgen Sie Davenports Anweisungen.«
Sie hatten gemeinsam trainiert. Gemeinsam studiert. Gemeinsam ihren Abschluss gemacht.
Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass Monica Karriere machen würde. Das war so ziemlich jedem vom ersten Tag an klar.
Die Profilerin, die die Killer kannte. Überall in Quantico war von ihr die Rede gewesen. Kein Test, den sie nicht mit Bestnote bestand. Keine Übung, die sie nicht mit Spitzenleistung absolvierte.
Sie hatte die Ausbildung als Klassenbeste abgeschlossen. Bereits am nächsten Tag hatte sie in der Abteilung »Spezielle Projekte« gesessen.
Er hatte über die Jahre an so manchem Fall gearbeitet und bewiesen, dass er die Opfer besser kannte als irgendwer sonst. Er hatte gezeigt, dass er Fälle aufklären konnte, und schließlich hatte er doch noch ein Vorstellungsgespräch bei Hyde bekommen.
»Wirkliche Serienmörder sind verhältnismäßig selten«, sagte Monica ruhig und gelassen. Den Südstaatendialekt konnte man nur wahrnehmen, wenn man genau hinhörte. »Ihr Sheriff hat darum gebeten, dass wir uns die Sache mal ansehen undihm sagen, was wir davon halten.«
»Auf jeden Fall ist der Typ ein durchgeknalltes Arschloch.« Deputy Vance schüttelte den Kopf und spie auf den Boden. »Ich habe gesehen, was er mit der kleinen Moffett gemacht hat.«
Luke hatte es auch gesehen. Dreißig Messerstiche. Ins Gesicht und in die Brust. Attraktives Mädchen, zumindest auf den Fotos von vor dem Mord. Danach …
Vance hatte recht. Durchgeknalltes Arschloch.
Wobei Luke bezweifelte, dass Monica das als professionelle Diktion gelten ließ.
»Ihre Leiche ist noch im Leichenschauhaus?«, fragte Luke. Anhand der Unterlagen wusste er, dass man das Opfer zwei Tage zuvor gefunden hatte – der Täter hatte es wie Abfall in einem leerstehenden Haus liegen lassen.
Wenn die Polizei es nicht auf der Suche nach einem Drogendealer durchsucht hätte …
»Ja.« Lee trat zurück. Seine Polizeimarke spiegelte sich in der Sonne. »Wollen Sie erst noch im Hotel vorbei oder wollen Sie …«
»Ins Leichenschauhaus«, fiel Monica ihm ins Wort, und im selben Augenblick sagte Luke: »Leichenschauhaus.«
Der Deputy zückte den Autoschlüssel. »Tut mir leid … wir müssen Sie auf die Rückbank verfrachten.«
Auf der Rückbank eines Streifenwagens. Klasse.
Monica stieg zuerst ein. Luke holte tief Luft, roch sie, roch ihre Wärme und einen Hauch des Parfüms, das sie schon damals immer getragen hatte. Er musste sich zusammenreißen, um sie beim Einsteigen nicht zu berühren.
Dennoch glitt sein Oberschenkel an ihrem entlang. Konzentrier dich, mahnte er sich. Er räusperte sich und sagte: »Die zweite Leiche – über dieses Opfer habe ich in den Akten nicht viel gefunden.« Er beugte sich zu dem Gitter vor, das sie von den beiden Polizisten trennte. Hauptsache weg von Monicas schöner Haut.
Der Motor sprang an, das Auto schoss los.
Vance, der auf dem Beifahrersitz saß und sich das Funkgerät an den Mund hielt, blickte ihn über die Schulter an. »Das kommt daher, dass von Sally nicht viel übrig war.«
***
Leichenschauhäuser waren furchtbare Orte. Luke hasste sie. Hatte sie schon immer gehasst – und die Toten … die waren einfach überall.
Verdammt, er war zum FBI gegangen, um Leben zu retten. Nicht, um bei den Toten herumzuhocken.
Monica jedoch schritt auf ihren hohen Absätzen durch den Raum und betrachtete die Tote aus allen nur erdenklichen Blickwinkeln. Mit zusammengekniffenen Augen schoss sie eine Frage nach der anderen auf den Pathologen ab.
»Todeszeit?«
»Welche Verletzung war die tödliche?«
»Gab es Hinweise auf Drogen?«
»Diese Schnitte – sehen die für Sie auch wie ein Muster aus?«
Mit ihren weißbehandschuhten Fingern wies sie auf eine Stelle oberhalb der linken Wange.
Der Rechtsmediziner, Doktor Charles Cotton, hatte eine sehr hohe Stirn und die bleichste Haut, die Luke je gesehen hatte. Cotton sah besorgt, wie Monica den Tisch wie ein hungriger Geier umkreiste. Die beiden Deputys hatten sich an die Tür zurückgezogen. Lee hielt den Blick starr zu Boden gerichtet, und der Ältere, Vance, biss so fest die Lippen zusammen, dass sie wahrscheinlich bald zu bluten anfangen würden.
Für das Leichenschauhaus ungeeignet. Wofür Luke ihnen keinen Vorwurf machen konnte – nicht den geringsten.
Luke schluckte und versuchte, den Geruch des Leichnams zu ignorieren.
»Unser Mörder hat sich also jede Menge Zeit gelassen …«, Monica deutete auf die Wunden in Patricia »Patty« Moffetts Gesicht und auf ihrer Brust, »… bevor er sie umgebracht hat.«
Ein Arschloch, das gern spielte.
»So steht es auch in meinem Report.« Cotton verschränkte die dicklichen Arme vor der Brust. Auf dem Tisch hinter ihm stand eine halb gegessene Pizza.
Der Typ aß hier drin? Oh Mann.
Monica warf Luke einen Blick zu.
Er war dran. Luke trat einen Schritt an die Leiche heran. Leichen waren nicht sein Spezialgebiet, und er war davon ausgegangen, dass das für Monica genauso galt.
Die Killer – mit denen kannte sie sich aus.
Aber wenn man ihm eins an der Akademie eingetrichtert hatte, dann war es, dass auch tote Opfer sprechen konnten. Man musste nur wissen, wie man sie dazu brachte.
Er musterte Pattys Handgelenke. Zartlila Einkerbungen.
Fesseln.
Luke ging zum unteren Ende des Tisches und schob das Leinentuch weg. An den Knöcheln hatte sie die gleichen Ringe.
»Keine Drogen.« Jedenfalls nicht, als das Verletzen begonnen hatte. Jemanden, der nicht bei Bewusstsein war, musste man nicht fesseln. »Dieses Arschloch hat sie bei vollem Bewusstsein verunstaltet.« Er spürte, wie Zorn in ihm hochkochte. Die Frau war klein, feingliedrig und gerade mal 29 Jahre alt gewesen.
Was für eine Art zu sterben!
»Die Schnitte in ihrem Gesicht sind völlig symmetrisch«, wisperte Monica.
Hinter sich hörte Luke leise Schritte. Ein Blick über die Schulter bestätigte ihm, dass die Deputys näher herankamen und die Hälse reckten.
»Nicht das geringste Zögern«, fuhr Monica fort. »Lustschnitte.«
Dem Rechtsmediziner fielen beide Kinne herunter. »Bitte?«
Luke nickte. Er wusste, was sie meinte. Die Schnitte dienten rein dazu, dem Opfer wehzutun und so die krankhafte Lust des Täters zu befriedigen.
Plötzlich flog die Tür zum Leichenschauhaus auf.
»Pope, Monroe … seht zu, dass ihr wieder auf die Straße kommt«, grollte eine Stimme. Luke drehte sich um. In der Tür stand der Sheriff in perfekt gebügelter Uniform, die Fäuste in die Hüfte gestemmt. »Billy Joe hat sich mal wieder im Taylor’s betrunken. Ron braucht Verstärkung.«
Die beiden Deputys schreckten hoch. »Sir!«
»Sofort.«
Sie eilten an ihm vorbei.
Nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, wandte der Sheriff sich an Luke und fragte: »Sind Sie die, die uns sagen können, was zum Teufel hier in meinem Bezirk vor sich geht?«
Zumindest würden sie es versuchen.
»Ich nehme an, Sie sind Dante«, brummte der Sheriff. Seine Haut war tief sonnengebräunt. Furchen durchzogen sein Gesicht, und an den Schläfen wurde sein Haar schon grau. »Sie«, sein Blick wanderte zu Monica, »müssen Davenport sein.«
Sie wandte den Kopf in seine Richtung. »Sheriff«, begrüßte sie ihn mit ihrer frostigsten Stimme. Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens fuhr sie fort: »Wir müssen die andere Leiche sehen.«
Doch der Sheriff – Hank Davis, wie Luke sich erinnerte – schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Wir haben Sally Jenkins gestern beerdigt.«
Luke knirschte mit den Zähnen. Leichen zu exhumieren war immer fürchterlich nervig. Vor allem in diesen spießigen Südstaaten-Käffern. Die Leute mochten es nicht, wenn man ihre Toten wieder ausgrub.
Was er ihnen nicht verübeln konnte.
Monica kniff die Augen zusammen und trat vom Tisch weg. »Beerdigt? Sie wussten doch, dass das FBI kommt! Schließlich haben Sie uns gerufen. Die Leiche hätte nicht freigegeben …«
»Da gab’s keine Leiche, die man hätte freigeben können. Von der kleinen Sally waren nur noch ein paar Einzelteile übrig.«
Man sah und hörte ihm an, wie nah ihm das ging.
Davis hatte das Opfer gekannt.
»Sie haben uns nicht viele Informationen über Sallys Tod zukommen lassen«, bemerkte Luke. Er wählte seine Worte behutsam, schließlich wusste er jetzt, dass es da einen persönlichen Bezug gab. »Ich muss gestehen, ich bin verwirrt. Wie kommen Sie darauf, dass ein Zusammenhang besteht zwischen einer Frau, die man mit einem Messer getötet hat« – Luststiche – »und einer, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam?«
Der Sheriff und der Rechtsmediziner warfen einander einen Blick zu. Dann sah Davis sich um, als wolle er sich vergewissern, dass sich die beiden Deputys nicht wieder hereingeschlichen hatten und horchten. »Ich habe die Information nicht mitgeschickt, aber ich habe Hyde davon erzählt. Er hat das verstanden, und deshalb hat er Sie geschickt.«
Cotton schlurfte zu einem Aktenschrank hinüber. Die Schublade quietschte, als er sie öffnete. »Sie sollten sich das hier mal ansehen.«
Luke nahm ihm die Dokumente aus der Hand und versuchte, beim Betrachten der Fotos einen möglichst unbeteiligten Gesichtsausdruck zu machen.
Dreck.
Totalschaden. Verbogenes Metall.
Teile. Keine Wagenteile. Teile … von ihr. Sally war bei dem Unfall zerrissen worden.
Monica trat neben ihn. Luke hörte, wie sie beim Anblick der Fotos nach Luft rang.
Er studierte die Fotos gründlich. »Was zum Teufel ist das?«
Monica legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er spürte, wie sich ihre Fingernägel in seine Haut bohrten.
»Jetzt können Sie sich wahrscheinlich vorstellen, wieso Sallys Tod mir Kopfzerbrechen macht. Unfallopfer, die am Lenkrad festgebunden sind, erlebt man nicht jeden Tag.«
Nein, wohl nicht.
Meine Güte, dachte Luke. Eine Hand inklusive Handgelenk hing noch am Lenkrad, befestigt mit einem dicken, verknoteten Seil.
»An der Stoßstange waren Spuren – jemand ist Sally kräftig hinten draufgefahren und hat den Wagen in die Schlucht hinuntergestoßen.«
Sally hatte nichts tun können.
Dennoch …
Die beiden Fälle waren zu unterschiedlich. In Sallys Fall hatte jemand möglicherweise eine Versicherungssumme einstreichen wollen, die ihm nach ihrem ›Unfall‹ zugestanden hätte. Eventuell hatte sich der Mörder darauf verlassen, dass das Auto beim Aufprall explodieren würde und die Fesseln verbrennen würden. Eventuell.
Die Messerstiche indessen … nun, Messerstiche waren etwas sehr Persönliches. Intimes.
»Hatte Sally einen Ehemann oder Freund – jemanden, mit dem wir uns mal unterhalten können?«, fragte Monica.
Schweigen.
Sie hob den Kopf und sah Davis an. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Sallys Ehemann Jake kam letztes Jahr bei einem Autounfall ums Leben. Exakt ein Jahr vor Sallys Unfall.« Er schluckte. »Sie saß damals mit im Auto. Ist nur knapp mit dem Leben davongekommen.«
Anders als diesmal.
Diesmal hatte jemand ganze Arbeit geleistet.
»Wieso glauben Sie, dass es zwischen diesen beiden Fällen eine Verbindung gibt?«, fragte Luke. Bizarr war das Ganze ja schon, aber daraus zu schließen, dass es sich um denselben Täter …
»In den letzten zehn Jahren hatten wir hier in Jasper nur zwei Morde.« Davis schwieg einen Augenblick. »Beide fanden in den letzten zwei Wochen statt. Glauben Sie wirklich, hier treiben sich plötzlich gleich zwei solche Arschlöcher rum? Oder nur ein einziges durchgeknalltes Arschloch?« Er legte die Hand auf den Tisch, direkt neben Patty. »Ich würde mein gesamtes Geld verwetten, dass es nur eins ist.«
Das Domizil einer Toten zu durchstöbern, in ihren Besitztümern herumzuschnüffeln und die Überreste ihres Lebens zu inspizieren, gehörte nicht gerade zu Monicas Lieblingsaufgaben. Aber es war Teil ihrer Arbeit, noch dazu ein notwendiger. Nur eben einer, den sie nicht mochte.
Jeder Profiler wusste, dass man sich in das Opfer hineinversetzen musste. Sie hatte die Leiche gesehen, die Fotos gesehen, den Autopsiebericht gelesen, und jetzt war es an der Zeit, das Profil des Opfers zu erstellen.
Luke trat in Pattys Schlafzimmer und knipste das Licht an. Monica zögerte, dann folgte sie ihm in den kleinen Raum.
»Was, meinst du, werden wir hier finden?«, fragte er.
Woher sollte sie das wissen? Die Polizei hatte die Wohnung durchsucht. Der Sheriff hatte ein feines Gespür und außerdem eine gute Ausbildung. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihm viel entging.
Trotz allem – sie sah sich immer das Zuhause der Opfer an. Erst das Zuhause, dann den Tatort. Das war grundsätzlich ihre Vorgehensweise.
Monica rieb sich die rechte Schulter. »Wir müssen die Wohnung gründlich durchsuchen, falls die Deputys etwas übersehen haben.« Was dieses »Etwas« sein könnte – sie hatte keine Ahnung. Noch nicht.
Ihr Blick fiel auf den Nachttisch. Ein gerahmtes Foto. Eine strahlende, hübsche Patty, die einen gutaussehenden Mann mit Brille umarmte.
»Wahrscheinlich der Freund«, brummte Luke.
»Kaziah Lone.« Er stand auf ihrer Liste. Regel Nummer eins in solchen Fällen: immer mit den Liebhabern sprechen.
Vor allen Dingen bei Tötung durch Messerstiche. Ein intimes Delikt, eine intime Form der Tötung.
Luke zog die Schubfächer von Pattys Kommode auf und durchsuchte ihre Kleidung. »Was hältst du davon?«
Keine Ahnung, dachte Monica. Laut sagte sie: »Hyde hat uns hergeschickt, also geht er wohl davon aus, dass es sich um einen Serienmörder handelt.« Oder einen potenziellen Serienmörder. Hyde setzte sein Team gern an Fälle, bei denen es darum ging, Verbindungen zwischen Verbrechen herzustellen.
An den Wänden hingen weitere Fotos. Sie alle zeigten eine lächelnde Patty, deren perfektes Gesicht dunkle Haare umrahmten.
In Hydes Report stand, die Frau habe gelegentlich für eine Modelagentur in New Orleans gearbeitet. Das Aussehen dafür hatte sie gehabt.
Er schob die oberste Schublade zu. »Ja, aber was glaubst du?«
Er wandte den Blick nicht von ihr ab. Gott, Samantha hatte recht mit seinen Augen. Augen wie seine hatte sie noch nie gesehen.
Diese Augen hatte sie nie vergessen können.
Genauso wenig wie ihn.
Der Mann, der ihr zu nahegekommen war. Der Mann, der ihre Leidenschaft entfacht – und sie in Verzweiflung gestürzt hatte.
Er würde es wieder tun können. Ein Blick, und schon waren ihre Begierden geweckt. Es wäre so einfach weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten, so einfach, die Lust neu zu entfachen …
Im Flugzeug hatten sie so nahe beieinandergesessen, dass sein Duft sie völlig eingehüllt hatte. Sie hatte sich an seinen kräftigen Griff erinnert – und ihn begehrt. Sie hatte ihn eiskalt abblitzen lassen, aber verdammt … sie begehrte ihn trotzdem.
In Lukes Gegenwart war sie sich immer lebendig vorgekommen. In den kostbaren Stunden, die sie mit ihm verbracht hatte, hatte sie sich wild und sorglos gefühlt.
Keine eiskalte Jungfrau. Dafür hatte es zu viel Spaß gemacht. War zu viel Leidenschaft im Spiel gewesen.
Verlockung. Er war noch genauso riskant wie damals. Monica befeuchtete ihre Lippen. Die Fälle. Die Morde. Konzentrier dich, mahnte sie sich innerlich. Sie konnte sich keine Schwäche erlauben.
Auch nicht, wenn er der einzige Mann war, der ihren Panzer durchbrechen konnte. »Die Morde passen nicht in ein Schema. Es ergibt keinen Sinn.« Sie wandte sich ab, weil sie fürchtete, seine Augen könnten zu viel sehen.
Auch als sie damals zusammen gewesen waren, hatte sie immer darauf bestanden, dass er das Licht ausmachte. Damit er nicht sah …
In einer Ecke von Pattys Schlafzimmer stand ein kleiner Sekretär. Monica zog das obere Schubfach auf. Kugelschreiber, Heftklammern, ein zerlesener Liebesroman.
Sie drückte das Schubfach zu.
Das Schubfach blockierte.
Monica erstarrte.
»Monica? Hast du was?«
Sie ging auf die Knie, zog das Schubfach behutsam wieder auf und ruckelte es aus den Schienen heraus.
Ein Umschlag. Er klebte hinten am Schreibtisch, als hätte er sich im Schubfach hochgeschoben und wäre dort hängengeblieben.
Vielleicht, als die Polizei alles durchsuchte?
Mit behandschuhten Fingern griff sie nach dem Umschlag.
Kein Absender. Auf der Vorderseite nur Pattys Name.
Monica erhob sich, drehte sich um …
Luke stand direkt vor ihr.
Viel zu nah.
Diesmal machte sie nicht den Fehler, ihm in die Augen zu sehen.
Sie straffte die Schultern und öffnete den Umschlag. Er war oben schon aufgerissen und ziemlich ausgefranst.
Darin lag ein Zettel. Behutsam zog sie ihn heraus. Die Schrift war dieselbe wie auf dem Umschlag.
Schöne Frau, wovor hast du Angst?
Ihr stand noch das Bild von Pattys Gesicht vor Augen – die vielen erbarmungslosen Schnitte und Einkerbungen. Nicht den Körper hatte er verunstaltet, obwohl das Messer dort viel schlimmere Schäden hätte anrichten können. Das Gesicht.
Wovor hast du Angst?
Monica ließ den Blick zu dem Foto über Pattys Bett wandern. Das 28 x 35 cm große Bild zeigte eine heitere Patty auf einer Brücke.
»Wovor hast du Angst?«, brummte Luke leise vor sich hin.
Ihr lief ein Schauder über den Rücken.
Sie konnte sich gut vorstellen, was der bezaubernden Patty Angst gemacht hatte, und wie es aussah, hatte der Killer das ebenfalls gewusst.
***
Luke hatte sich gerade auf der Kante seines durchgelegenen Motelbetts niedergelassen, als die Verbindungstür – die er bestimmt drei Minuten lang angestarrt hatte, nachdem er das Zimmer betreten hatte – aufflog.
Wie gut, dass er sie aufgeschlossen hatte.
Er spürte das Blut durch seine Adern rauschen. Scheiß auf die Müdigkeit, er war zu allem bereit …
»Wir haben ein Problem.«
Einen Moment lang glitt ihr Blick zu seiner Brust hinunter. Er hatte alles ausgezogen bis auf die Boxershorts – die volle Pracht bekam sie also nicht zu sehen. Noch nicht.
Sie machte auf dem Absatz kehrt. »Ich … wusste nicht …« Sie hob die Hände, ließ sie wieder sinken. »Ich hätte klopfen sollen. Tut mir leid.«
Aber sie klang nicht, als täte es ihr leid, und ihm selbst tat es erst recht nicht leid, dass Monica in sein Zimmer gestürmt war. Nur schade, dass ihre Stippvisite rein dienstlich war.
»Zieh dich an«, sagte sie leise. »Wir müssen reden.«
Dreck.
Monica machte Anstalten, in ihr Zimmer zurückzukehren. Nein!, schrie es in ihm.
»Bleib«, fuhr er sie an. Verdammt. Sie sah sich zu ihm um …