Firebird - Lodernde Sehnsucht - Cynthia Eden - E-Book

Firebird - Lodernde Sehnsucht E-Book

Cynthia Eden

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Beschreibung

Knisternde Romantic Fantasy vom Feinsten! Der Vampir Ryder Duncan ist in der Gewalt des berüchtigten Wissenschaftlers Dr. Wyatt, der ihm seit Monaten das für ihn überlebenswichtige Blut vorenthält. Als Wyatt ihm eines Tages als Teil eines sadistischen Experiments die hübsche Sabine als Appetithappen präsentiert, kann der ausgehungerte Ryder sich nicht mehr beherrschen - nur er hätte niemals gedacht, dass er sie dabei töten würde. Doch zu seiner Überraschung steht Sabine vor seinen Augen wie ein Phoenix aus der Asche wieder auf. Ryder ist fest entschlossen, diese Frau, die so viel Begehren in ihm weckt, zu beschützen und gemeinsam mit ihr aus dieser Hölle zu entkommen ...

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Cynthia Eden bei LYX

Impressum

CYNTHIA EDEN

Firebird

Lodernde Sehnsucht

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Antje Engelmann

Zu diesem Buch

Der Vampir Ryder Duncan ist in der Gewalt des berüchtigten Wissenschaftlers Dr. Wyatt, der ihm seit Monaten das für ihn überlebenswichtige Blut vorenthält. Als Wyatt ihm eines Tages als Teil eines sadistischen Experiments die hübsche Sabine als Appetithappen präsentiert, kann der ausgehungerte Ryder sich nicht mehr beherrschen – nur er hätte niemals gedacht, dass er sie dabei töten würde. Doch zu seiner Überraschung steht Sabine vor seinen Augen wie ein Phoenix aus der Asche wieder auf. Ryder ist fest entschlossen, diese Frau, die so viel Begehren in ihm weckt, zu beschützen und gemeinsam mit ihr aus dieser Hölle zu entkommen …

1

Verraten.

Diese Erkenntnis wütete in Ryder Duncans Eingeweiden wie Säure und schmerzte fast so sehr wie der nagende Hunger, der seit Monaten an ihm zehrte, seit er in dieser Hölle gefangen gehalten wurde.

Er lief in seiner Zelle, die drei Meter breit und knapp vier Meter lang war, auf und ab. Wie oft er diese Schritte schon gegangen war!

Und er kam einfach nicht hinaus!

Mit den Fäusten trommelte er an die nächste Wand. Die Mauern seines Gefängnisses bestanden allesamt aus schweren, dicken Steinen, die er trotz seiner übernatürlichen Stärke nicht durchbrechen konnte. Obwohl er sich sehr bemüht hatte, sich einen Weg nach draußen zu bahnen. Eingehandelt hatte er sich dabei aber nur blutige und gebrochene Fingerknöchel.

Blut.

Ohne frisches Blut als Nahrung wurde er von Tag zu Tag schwächer. Ryder wusste, dass er nur noch instinktiv handelte. Von primitiven Impulsen getrieben.

Für einen wie ihn war Blutdurst der primitivste Antrieb.

Ryder blieb stehen, als draußen Schritte nahten. Wächter. Sie kamen, um ihn zu verspotten. Sollten sie tatsächlich den Fehler machen, seine Zelle zu betreten und sich ihm so weit zu nähern, dass er sie erreichen könnte …

Ich werde sie aussaugen bis zum letzten Tropfen.

Seine Fänge waren voll ausgefahren und sein Hunger so gewaltig, dass er an nichts anderes denken konnte. Manche Vampire konnten tagelang ohne Essen aushalten.

Das konnte er auch.

Aber nicht wochenlang. Monatelang. Diese Kerle ließen ihn verhungern, und das war eine sehr schmerzhafte und brutale Methode, einen Vampir umzubringen.

Er ballte die Hände zu Fäusten und wandte sich von der Tür ab, damit die Wächter nicht sahen, wie nah er dem Zusammenbruch war. Sollten sie das nämlich bemerken, wären sie ängstlich und würden seine Zelle nicht betreten.

Immer näher kamen die Schritte. Er wollte sein aufgeregt pochendes Herz beruhigen, um sich auf die nahenden Opfer zu konzentrieren, doch das Donnern seines Pulsschlags im Ohr wollte einfach nicht nachlassen.

Hatte er es erst aus diesem Gefängnis geschafft, würde er seinen Verräter büßen lassen. Keinen schnellen Tod würde der haben, sondern sehr langsam sterben.

Ein helles Licht sprang über ihm an, und Ryder hielt sich ganz reglos. Er wusste, was das Licht bedeutete: dass die Menschen draußen ihn durch ihren halb durchlässigen Spiegel beobachteten. Ryder drehte den Kopf, was ihn befremdlich viel Anstrengung kostete, und sah zum Spiegel hinüber.

Er hatte vergeblich versucht, ihn zu zerschlagen.

Die Erbauer hatten einfach gewusst, wie sie dieses Gebäude zu errichten hatten, damit selbst die Kräfte der Übernatürlichen ihm nichts anhaben konnten.

»Wie geht’s dir, Ryder?«, fragte eine Stimme mit kaum hörbar südstaatlicher Klangfärbung. Er kannte diese Stimme. Sie gehörte Dr. Richard Wyatt, dem Direktor dieser Hölle.

Diese Hölle war eine sogenannte Forschungseinrichtung – das Genesis-Laboratorium.

Die Menschen dachten, alle Übernatürlichen hier hätten sich freiwillig als Testpersonen gemeldet. Tag und Nacht wurden Experimente an ihnen vorgenommen, die der US-Regierung helfen sollten, eine größere und stärkere Armee zu entwickeln und damit den Feinden der Vereinigten Staaten zuvorzukommen, die das Gleiche im Schilde führten.

Vielleicht waren wirklich einige Übernatürliche so dumm gewesen, sich als Versuchskaninchen zur Verfügung zu stellen. Ryder jedenfalls hatte nicht zu ihnen gehört. Er war reingelegt, betrogen und medikamentös ruhiggestellt worden. In dieser Zelle war er dann erwacht. Inzwischen saß er schon viel zu lange als Gefangener ein und wollte nur noch raus.

Egal wie: Er würde seine Freiheit zurückgewinnen – und wenn er dafür jeden einzelnen Wächter hier umbringen musste.

»Komm rein«, knurrte Ryder dem Arzt zu, »dann zeig ich’s dir!« Er wünschte sich schon lange, Wyatt die Kehle durchzubeißen.

Dr. Wyatt lachte. »Ich fürchte, das geht nicht, aber ich mache mir langsam Sorgen um dich.«

Unsinn. Dieser Arzt war Frankenstein – ein Frankenstein allerdings, der ganz besessen davon war, seine Experimente an bereits existierenden Ungeheuern durchzuführen.

Sehr bald aber würden diese Monster über ihn herfallen.

Ryder hatte beschlossen, diesen Sadisten umzubringen.

»Noch nie hat es ein Vampir so lange ohne Blut ausgehalten – die meisten wären längst verhungert.«

Es gab da eine heikle Kleinigkeit, die dem Großteil der Menschen unbekannt war. Die Leute glaubten in aller Regel, man müsse einen Vampir pfählen, um ihn zu töten. Oder ihn enthaupten. Doch das waren bloß die schnellen Todesarten. Wer einen Vampir leiden lassen wollte, sorgte dafür, dass er kein Blut bekam. Dieses langsame Verhungern ließ Wesen wie ihn allmählich verdorren.

Ich verdorre nicht.

Weil er kein durchschnittlicher Vampir war. Wyatt hatte das begriffen, und darum würden die echten Spiele vermutlich demnächst beginnen.

»Wie kommt es nur, dass du noch immer nicht in die Knie gegangen bist?«, fragte Richard Wyatt mit gefühlskalter Neugier in der Stimme.

»Komm rein!«, ermunterte Ryder ihn erneut und biss dabei die Zähne zusammen. »Find’s raus!«

Stille antwortete ihm. »Tür aufmachen!«, befahl Wyatt dann, und Ryder blinzelte erstaunt. Sie öffneten die Zelle? Seine Muskeln bebten erwartungsfroh. Wer so dumm war, als Erster über die Schwelle zu treten, war bereits tot, wusste es bloß noch nicht. Ryder konnte sich schnell – blitzschnell – bewegen, jetzt, da er keine Medikamente mehr bekam. Binnen Sekunden würde er dem Wächter die Fänge in den Hals schlagen. Und sobald er sein Blut trank …

Ich werde mich auf dich stürzen, Wyatt.

Metall knirschte, als die Tür aufging.

»Du sollst nicht verhungern«, tönte Wyatts Stimme aus dem Lautsprecher über Ryders Kopf. »Dein Tod würde mich nichts lehren. Also gebe ich dir Nahrung. Versuche, ihr keinen zu großen Schaden zuzufügen.«

Ihr?

Ryder fuhr herum, um sich auf sein Opfer zu stürzen, doch der Wächter trat nicht ein. Vielmehr schob der glatzköpfige, massige Aufseher eine Frau über die Schwelle, zuckte selbst sofort wieder zurück und knallte panisch die schwere Tür zu, so schnell er konnte.

Ryder schlang die Hände um die Arme der Fremden. Frischer Blumenduft hüllte ihn ein, und die hochgewachsene, schlanke Frau legte den Kopf in den Nacken und musterte ihn mit größtem Entsetzen.

»Tun Sie mir nichts!«, flüsterte sie. »Bitte.«

Er konnte ihr Blut bereits schmecken und umklammerte sie noch fester. Ryder hatte ja nicht erwartet …

Er hörte ihr Blut in den Adern dröhnen. Trink! Saug sie aus!

Würde er seinen Mund an ihre Kehle setzen, könnte er vielleicht nicht mehr aufhören zu trinken.

Und das wusste der verdammte Wyatt genau.

Mit hartem Blick musterte Ryder ihr Gesicht. Die ängstlich geweiteten, dunkelbraunen Augen, die goldene Haut, die wie von der Sonne geküsst wirkte. Die Frau hatte feine Züge, ein markantes Kinn, hohe Wangenknochen und eine kleine Nase. Ihre vollen Lippen bebten und waren von ganz schwachem Rosa.

Sein Blick fiel auf ihren Hals – einen entzückenden Hals mit heftig pochender Schlagader.

Ihre Hände schlugen gegen seine Brust. »Nicht!«

»Mach nur weiter, Ryder«, tönte Wyatts Stimme aus dem Lautsprecher. Sie klang wie die Stimme eines Vaters, der seinem Kind erlaubte, mit einem Lieblingsspielzeug zu spielen.

Sie ist ein Mensch, kein Spielzeug.

Obwohl er viele Vampire kannte, die Menschen für bloßes Spielzeug hielten – gut als Nahrung und fürs Bett –, dachte Ryder nicht so. Nicht mehr.

Sie schüttelte den Kopf, und ihr fülliges braunes Haar, das von rötlichen Strähnen durchzogen war, glitt über ihre Schultern. »Sie haben wirklich große Zähne, Sir, und ich fände es gut, wenn Sie mir damit nicht zu nahe kämen.«

Ihre leise Stimme war heiser und sexy und drang mit einem Akzent an sein Ohr, den er unten in New Orleans schon mal gehört hatte. Rauchig klang das. Und schlingernd.

»Bitte«, wiederholte sie und drückte die Hände gegen seine Brust.

Aber er vermochte es nicht, sie gehen zu lassen. Ryder atmete erneut ein. Wie gut sie roch! Ihm war klar, dass sie noch besser schmecken würde. »Nur ein paar Schlückchen«, sagte er, weil er längst nicht mehr zurückkonnte. Der Blutdurst war zu stark. Nicht der Mensch in ihm begehrte ihr Blut, sondern das Tier, das keine Selbstbeherrschung kannte.

Schreiend trat sie nach ihm.

Er spürte ihre Tritte kaum.

»Trink, so viel du magst, Ryder«, erklärte der Arzt zufrieden. »Sie gehört dir.«

Er packte die Frau, drehte sie herum und drückte sie an die rechte Wand. Sie standen dem halb durchlässigen Spiegel gegenüber, und mit seinem deutlich größeren Körper konnte Ryder die Frau vor Wyatts Blicken leicht abschirmen. »Es tut mir leid.« Er vermochte diese Worte kaum herauszupressen, musste sie aber sagen. Ihre Angst behagte ihm nicht, und er verabscheute es, der Grund dafür zu sein.

Sie hörte auf zu kämpfen. »Es muss Ihnen nicht leidtun – lassen Sie mich einfach los.«

Das Dröhnen ihres Blutes war die schönste Musik, die er je gehört hatte. »Ich hatte schon zu lange keine Nahrung mehr …«

»Ich bin doch nicht Ihr Betthupferl zur Mitternacht.« Ihre Worte waren tapfer, aber er sah die Angst in ihren Augen. »Ich bin ein Individuum, verdammt! Und jetzt lassen Sie mich los!«

Er vermochte es nicht. Sein Kopf senkte sich ihrem Hals entgegen. »Ich werde mich beherrschen.« Ryder hoffte, das war keine Lüge. »Ich brauche nur etwas Blut.«

Sie konnte nirgendwohin fliehen. In ihrem Rücken befand sich die Wand; vor ihr ragte der Vampir auf. In dem Bemühen, etwas Abstand zu gewinnen, lehnte sie den Kopf gegen die Mauer, doch leider entblößte sie ihm ihre Kehle so noch mehr.

»Garantiert sind Sie nicht real«, flüsterte sie. »Ihre Zähne … Ihre Augen … nichts davon gibt es. Die haben mir Medikamente verabreicht, und jetzt halluziniere ich.«

Schön wär’s. Arme Frau. Wahrscheinlich hatte sie keinen Schimmer gehabt, welche Ungeheuer auf Erden wandelten, und erst seit Wyatt sie in diese Hölle gestoßen hatte, begann sie, es zu ahnen. »Halt einfach still! Es ist gleich vorbei.«

Nur ein paar Schlückchen.

»Nein!« Erstaunlich energisch rammte sie ihm den Kopf gegen die Brust. So kräftig, dass Ryder anderthalb Meter rückwärts taumelte …

… und sogar auf den Hintern fiel, weil er mit diesem Angriff nicht gerechnet hatte. Seltsam. Menschen waren nicht kräftig genug, Vampire so herumzustoßen.

Aus dem Lautsprecher knackte es. »Langsam, Sabine, so war das nicht abgemacht. Ich habe gesagt, wenn Sie meinem Gast zu einer Mahlzeit verhelfen, können wir über Ihre Freilassung reden.«

Ihr Busen wogte. Ein schöner, voller Busen, wie Ryder trotz seines Zorns und des Blutdurstes auffiel.

»Ich bin keine Nahrung!«, rief sie und funkelte dabei wütend zu dem halb durchlässigen Spiegel hinüber. »Das dürfen Sie mir nicht antun! Ich habe Rechte!«

»Die gelten hier nicht.« Wyatt klang unbesorgt – seine kleinen »Experimente« waren immerhin vom US-Militär gedeckt.

Sich zu outen war der größte Fehler der Paranormalen gewesen. Aber einige Dummköpfe hatten eben nicht schweigen können, sondern sich den Menschen offenbart, um nicht länger auf traditionelle Art leben zu müssen. Vielleicht jedoch war auch die Technologie schuld gewesen. Zu viel Fortschritt, überall Kameras, Augen, die einen ständig beobachteten.

Es war schwierig, das Tier in sich zu verstecken, wenn Big Brother immer zusah.

Darum hatten sie sich zu erkennen gegeben, und nun gab es Freaks wie Wyatt, die der Ansicht waren, sie könnten sich ihrer paranormalen Kraft bedienen und Magie mittels der Wissenschaft zu ihrer bevorzugten Waffe machen.

»Wenn Sie nicht mitspielen, Miss Acadia, bringen wir Sie gern in Ihre Zelle zurück«, fuhr Wyatt fort und setzte leiser hinzu: »Wächter, holen Sie Miss …«

»Ich will nicht in meine Zelle. Ich will nach Hause! Ich will …«

In Windeseile fiel Ryder über sie her, drehte ihr die Arme auf den Rücken und hielt sie fest. Sie wehrte sich und setzte deutlich mehr als nur menschliche Kraft ein, aber nun war Ryder darauf vorbereitet. Sie entkam ihm kein zweites Mal.

»Ich tu dir nicht weh«, sagte er und hoffte, das war nicht gelogen. Manchmal bereitete so ein Biss einer Frau Lust, war befreiender und erregender als Sex.

Manchmal jedoch bereitete er Schmerzen, schlimmere Qualen als Folter.

Und er wollte ihr nicht wehtun.

Sein Mund war staubtrocken, und die voll ausgefahrenen Fänge schmerzten. Er schmeckte diese Frau bereits.

Ich will sie einfach.

Seine Zunge fuhr tastend über ihre Kehle. Dann grub er ihr die Zähne in den Hals.

Die Frau – Sabine – keuchte auf und schmiegte sich an ihn, während erste, zarte Tropfen ihres Blutes in seinen Mund sickerten.

»Sieh nach, ob die Kamera läuft!« Richard Wyatts Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Ich möchte diese Szene genau aufgezeichnet bekommen.«

Doch Wyatt und seine Wünsche waren Ryder egal. Sabines Blut war auf seiner Zunge, und so wundervolles Blut hatte er in all den Jahren als Vampir nie kosten dürfen. Es war nicht warm, sondern geradezu heiß. Würzig und aromatisch. Er wollte es auflecken und ganz und gar auskosten.

In großen Zügen trinken.

Er umschlang sie immer fester. Dabei hatte er doch nur ein paar Tropfen zu sich nehmen mögen.

Ryder wollte den Kopf von ihrem Hals lösen. Das wollte er wirklich, aber ihr Blut schmeckte einfach zu herrlich.

Er trank jetzt mehr und gieriger. Verzweifelt. Ihr Blut durchfloss ihn, erhitzte ihn von innen. Macht durchströmte ihn. Manche Menschen schmeckten nach Wein. Andere nach einer Euphorie, wie Drogen sie stiften.

Niemand aber hatte je wie Sabine geschmeckt. Nach Leben, Sex und Lust. Alles, wonach er sich sehnte, war einfach da, in ihrem Blut.

Er trank mehr und mehr davon.

»Aufhören.« Ihre Stimme war schwächer als zuvor.

Er mochte nicht aufhören. Danach hatte er gesucht – diesen Geschmack hatte er immer gewollt. Danach gegiert hatte er, obwohl er vorher nicht gewusst hatte, was er entbehrte. Sein Körper schien zu erstarken, und seine Muskeln schwollen mit jedem Tropfen, den er von ihr trank.

Sie sank an seine Brust, und Ryder stützte sie und hielt sie noch, als ihr Kopf sich zur Seite neigte und ihr Atem nur noch rasselnd ging.

Mehr.

Mehr.

Erst hatte er gedacht, dieser Drang komme aus ihm selbst, doch dann begriff er, dass Wyatt ihn drängte fortzufahren.

Und diese Frau … Sabine wehrte sich nicht länger. Sie schien kaum noch zu atmen.

Ruckartig löste er seine Fänge von ihrem Hals und musterte sie ungläubig. So viel von ihrem Blut hatte er doch nicht getrunken, oder?

Doch er konnte sich nicht darauf besinnen, wie lange er sie ausgesaugt hatte. Er wusste nur …

Ich will immer noch mehr.

Er hob sie höher an die Brust, hielt sie in den Armen und wiegte sie. Seine Schwäche war vollkommen verflogen. Er war pure Kraft. Aber sie …

Ihre Lider waren geschlossen.

Eine nie gekannte Angst ließ ihn erstarren. Er hatte diese Frau eben erst gefunden. Ryder wusste, dass er sie nicht so früh verlieren durfte. Nicht jetzt.

Und sicher nicht durch seine Hand. Oder seine Zähne.

Er hob sein Handgelenk an seine Lippen und biss sich das Fleisch auf. Er wusste, was sie brauchte. »Trink für mich.« Es würde ihr wieder gut gehen, wenn sie erst sein Blut zu sich nahm.

»Nein!«, donnerte Wyatt. »Aufhören! Bette Sabine auf den Boden und zieh dich zurück!«

»Halt’s Maul!« Er legte sich mit ihr zusammen auf den Zellenboden, um sich besser um sie kümmern zu können, und drückte sie an sich. Dabei setzte er ihr das Handgelenk an die Lippen. »Trink.« Schon ein kleiner Schluck von seinem Blut würde sie heilen.

Doch dazu musste sie trinken …

Ein Alarm schrillte los. Stimmen kamen aus dem Lautsprecher. Dann waren im Flur eilige Schritte zu hören: Die Wächter nahten, um es mit ihm aufzunehmen.

Es war der ideale Moment, diese Männer umzubringen. Doch wenn er sich von Sabine entfernte, würde sie sterben. Sie brauchte sein Blut. Zum Überleben brauchte sie ihn.

Er musterte prüfend ihr Gesicht. Was bist du für eine? Sabine hatte Angst gehabt, sich ihm aber dennoch widersetzt. Sie hatte ein Ungeheuer angestarrt und darum gebeten, nach Hause gehen zu dürfen.

Und jetzt stand sie an der Schwelle des Todes.

»Scher dich weg von ihr!« Wyatt kreischte nun geradezu.

Sie trank noch immer nicht. Ryder öffnete ihr gewaltsam den Mund, träufelte sein Blut auf ihre Zunge und massierte ihr den Hals, damit Sabine schluckte. Du darfst nicht sterben!

Die Wächter wollten ihn wegreißen. Von wegen! Er stieß die Männer zurück und hörte, wie sie gegen die Wand knallten.

»Jetzt schluck endlich mein Blut!«, befahl er ihr mit tiefer, knurrender Stimme. »Na los!« Das hab ich nicht gewollt. Sie war so ängstlich gewesen. Er hatte ihr versprochen, sich zu beherrschen.

Aber das Tier in ihm hatte sich nicht mäßigen können. Das Tier – Ryder – war zerstörerisch. Das war sein Leben. Er kannte nichts anderes. Und sie hatte er jetzt auch zerstört.

Er hatte den Eindruck, ihm werde schwarz vor Augen. Sabine war das Einzige, was er in der zunehmenden Dunkelheit erkennen konnte. Wie schön sie war! Und vollkommen reglos.

Ryder senkte den Kopf über sie. »Bitte.« Jetzt war er es, der flehte. Er hatte den Himmel gekostet und sie in die Hölle gestoßen – all das in einem einzigen Augenblick.

»Scher dich weg von ihr!« Wyatts Stimme drang nicht länger durch den Lautsprecher. Der Arzt war in seine Zelle gekommen!

Bring ihn um.

Ruckartig hob Ryder den Kopf und bleckte die Fänge.

Genau da spürte er ihren Mund ganz schwach an seinem Handgelenk. Sie versuchte zu trinken, sein Blut zu nehmen.

Sabine kämpfte um ihr Leben. Ja!

Er sah sie wieder an. »Gut! Los, trink weiter …«

Schüsse knallten. Kugeln drangen in seine Brust ein. Eine. Zwei. Drei. Die Wucht der Einschläge schleuderte ihn auf den Rücken, während sein Blut noch hoch an die Wand spritzte.

»Ich hab’s dir doch gesagt«, rief der Arzt wütend und hob seine Waffe. Wyatt hatte geschossen? »Scher dich weg von der Testperson!«

Ohne Rücksicht auf seine Schmerzen zu nehmen, streckte Ryder erneut den Arm nach ihr aus.

»Aufhalten!«, befahl der Arzt den Wächtern, die wieder auf den Beinen waren. »Schießt, bis er sich nicht mehr rührt! Die Munition tötet ihn nicht, setzt ihn jedoch ein Weilchen außer Gefecht.«

Und schon explodierten Kugeln wie Feuerwerkskörper in Ryders Brust und Armen. Er sank nieder. Blut floss aus seinen Wunden und bildete eine große Pfütze auf dem Steinboden.

»Das reicht!« Wyatt hob die Hand und schaute von Ryder zu Sabine.

Sie hatte den Kopf gedreht und sah Ryder mit weit aufgerissenen Augen an. Doch er sah Leben in ihrem Blick. Sabine versuchte, zu ihm zurückzukehren. Versuchte es. Aber dafür brauchte sie mehr von seinem Blut.

Sabine hob die Hand. Streckte sie sie nach ihm aus? Ryder mobilisierte die letzten Kräfte. »Mein … Blut …« Nur noch etwas davon, und sie würde wieder gesund. Er konnte sie retten. An ihrem Tod wäre er dann nicht schuld – anders als am Tod all der anderen. Durch das Blut am Boden – sein Blut – kroch er langsam auf sie zu.

»Sie wird überleben«, raunte ein Wächter. »Dabei hätte er sie eigentlich umbringen müssen.«

Ryder konnte etwas Besseres sein als ein Mörder. Und sie etwas Besseres als ein Opfer. Blut durchnässte seine Kleidung. Die Kraft, die ihr nahrhaftes Blut ihm gegeben hatte, war dahin, gestohlen von einem Kugelhagel.

»Er hat sie getötet«, erwiderte Wyatt ungerührt. »Wir brauchen nur zu warten, bis sie stirbt.«

Nein! »Ich kann … helfen …« Er war fast bei ihr.

»Legt ihn in Ketten!«, befahl Wyatt. »Er ist zu schwach, um sich zu widersetzen. Kettet den Vampir an und lasst ihn zuschauen!«

Sie packten ihn und zerrten ihn von ihr fort. Aber er war unerwartet stark, trotz all der Kugeln in seinen Organen. Ryder wehrte sich, krallte und schnappte mit den Fängen nach ihnen. Sechs Wächter mussten sich auf ihn stürzen und ihn ans andere Ende der Zelle schleifen. Dort legten sie ihm dicke Handschellen an, mit denen er an der Wand angekettet wurde. Dann hetzten die Wächter zu der Frau zurück. Auch sie waren jetzt blutüberströmt, weil er ihnen ziemlich viele Wunden zugefügt hatte.

Kaum hatten sie von ihm abgelassen, sah Ryder die Frau wieder. Sie bemühte sich zu atmen, und ihre Augen waren noch immer geöffnet.

»Tu’s nicht!«, knurrte er und wollte sich losreißen.

Wyatt schritt um die auf dem Boden liegende Sabine herum und musterte sie. »Was kümmert dich ihr Schicksal, Ryder? Sollte sie für dich nicht bloß Nahrung sein?«

Er antwortete nicht. Diesem Kerl würde er nichts von sich erzählen.

»Eine Kugel hat offenbar das Herz getroffen: Du blutest viel zu stark.« Wyatt klang nicht weiter besorgt. »Hm, daran hätte ich denken sollen. Ob der Herzschuss dich umbringt?«

Aber nein. Er genas bereits davon.

»Die Wächter hätten nicht auf das Herz zielen dürfen.« Wyatt warf seinen Leuten einen finsteren Blick zu. »Solche Fehler sind hier nicht hinnehmbar.«

Der Kerl war ja völlig verrückt.

Ein Schuss ins Herz war kein Fehler, sondern Mord.

»Du willst ihr also beim Sterben zusehen?« Ryder zerrte an den Ketten, obwohl sie in seine Handgelenke schnitten. Die Wunden würden heilen. Wie immer.

Sie dagegen wird nicht wieder gesund.

»Ja.« Wyatt nickte und lächelte fast geistesabwesend. »Genau das will ich.«

Ihre Augen blickten Ryder an – ihre Augen …

Er sah das Leben aus ihnen weichen. Sah buchstäblich, wie sich ein Schleier des Nichts vor ihre Pupillen schob. »Nein!« Er zerrte an den Ketten, verdrehte die Hände und brach sich die Gelenke bei dem Versuch, sich zu befreien. Er zerschlug sich die Finger, als er die Hand durch den Ring ziehen wollte, der seinen Arm an die Wand kettete. Doch er spürte bei alldem keinen Schmerz.

Tot.

»Raus!«, fuhr Wyatt die Wächter an. »Sofort!«

Die Männer nahmen die Beine in die Hand. So ließen sie sie zurück? Auf dem Boden? Wie eine kaputte Puppe?

Vielleicht war ja noch Zeit. Sein rechtes Handgelenk zersplitterte. Vielleicht.

»Rühr dich besser nicht vom Fleck!«, riet Wyatt ihm mit einem kurzen Stirnrunzeln von der Tür her. »Das ist ihre erste Verwandlung. Ich weiß nicht, wie mächtig die ausfällt.«

Ryder verstand ihn nicht. Der Arzt verschwand. Immerhin. Ich geb nicht auf. Ich geb nicht auf …

Krachend fiel die Tür hinter Wyatt und seinen Männern ins Schloss. Und nun stieg Ryder plötzlich … Rauchgeruch in die Nase.

Was war denn das?

Sein Blick sprang zu Sabine zurück. Ihre Lider waren noch immer geöffnet, doch die Augen waren nicht länger dunkelbraun, sondern schimmerten nun golden und schienen schließlich rot zu glühen.

Feuerrot.

Immer stärker roch es nach Rauch. Ryder zog seine gebrochene Rechte aus der Handschelle und wollte sich dem linken Arm zuwenden, um ihn zu befreien.

Die Frau begann zu brennen.

Er schrie auf und rief ihren Namen, so laut er konnte, doch das Feuer brannte immer heißer und höher und ließ Sabines schlanke Gestalt in Flammen aufgehen. Weißglühende Hitze züngelte ihm über die Haut und versengte ihn beinahe. Die Sprinkleranlage sprang an und durchnässte seine Kleidung, konnte das Feuer aber nicht löschen, das Sabine verzehrte.

Krächzend atmete Ryder aus und kämpfte nicht länger darum, sich zu befreien. Es war aussichtslos. Aus so einer Feuerhölle kehrte niemand wieder.

Also blieb ihm nur übrig, den Flammen zuzuschauen, sich dafür zu hassen, so ein Ungeheuer zu sein, und zu bedauern, dass Sabine Acadia das Pech gehabt hatte, in sein Gefängnis zu geraten.

Doch da bewegte sich etwas in den Flammen – sie bewegte sich, und Ryder begriff, dass Wyatts Experimente nun erst begannen.

Denn obwohl Sabine gerade vor seinen Augen gestorben war und lichterloh brannte, sah es eindeutig so aus, als wollte sie aus dem Feuer auferstehen.

2

Die Flammen waren alles, dessen sie sich bewusst war. Sie brannten heiß, verletzten sie aber nicht. Sie sah Feuer – es loderte hell in Gold und Rot. Sie schmeckte Asche.

Die Flammen flackerten höher.

Schmerz und Wut, Angst und Hass brodelten in ihr. Etwas war ihr widerfahren, etwas Schlechtes. Das war ihr klar, doch sie konnte sich nicht erinnern, worum es sich gehandelt hatte.

Eigentlich konnte sie sich an kaum etwas erinnern.

Nur an das Feuer.

Doch dann erstarben die Flammen. Langsam wurde das zornige Feuer zu einem Flackern, und zuletzt stieg nur noch etwas Rauch rings um ihre nackten Füße auf.

Sie befand sich in einer Art Zimmer, einem Zimmer mit dicken Wänden. Intuitiv war ihr klar, dass es sich um Steinmauern handelte. Doch sie wusste nicht, wo diese Kammer war.

Angst ließ ihr Herz rascher schlagen. Sie musterte den kleinen Raum, blickte schnell von links nach rechts und sah … ihn.

An der hinteren Wand stand ein blutender Mann und betrachtete sie. In seinen strahlend grünen Augen loderte wilde Wut. Sein Blick war ungläubig, und Bestürzung hatte sich in seine harten, wie gemeißelt wirkenden Züge gegraben.

Und sein Arm war am Handgelenk angekettet.

»Wie«, krächzte er mit tiefer, knurrender Stimme, die sie erschauern ließ, »wie hast du das gemacht?«

Sie starrte ihn bloß an. Er kam ihr vertraut vor. Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn. Sie waren allein im Zimmer. Er war verletzt. Sie war …

Nackt?

Stirnrunzelnd blickte sie an sich herab. Vielleicht sollte sie sich etwas umlegen? Irgendetwas? Doch das tat sie nicht. Ihr Zorn ließ für Anstand und Sitte keinen Raum.

Zerstöre!

Verbrenne!

So flüsterte es in ihr.

Sie machte einen Schritt auf den Mann zu.

Er hob ihr eine Hand entgegen. Eine ganz verdrehte Hand, die offensichtlich gebrochen war. »Ich dachte, du wärst tot.«

Das war ich auch. Wieder dieses Flüstern in ihrem Innern.

»Sabine, was ist passiert?«

Der Name hallte in ihrem Bewusstsein wider. Sabine. Ein Bild blitzte vor ihr auf: ein Mann mit rotbraunem Haar und breitem Lächeln, der an einem Fluss einem kleinen Mädchen nachjagt. Sabine, du bist zu schnell für mich! Ich kann dich einfach nicht fangen.

Ihr Kopf begann zu dröhnen. »Wer sind Sie?«

Seine Augen wurden schmal. »Erinnerst du dich nicht an mich?«

Sie schüttelte den Kopf. »Warum sind Sie angekettet?«

»Weil die nicht wollten, dass ich zu dir komme.«

Sie erstarrte. Ihr Kopfschmerz wurde schlimmer, schwoll immer mehr an. Das Blut in ihren Adern schien zu brennen.

Der Mann stand keine zwei Meter von ihr entfernt, groß, muskulös und ganz mit Blut besudelt. Sie sah erneut an sich herab. Auf ihrer Haut fand sich kein einziger Blutstropfen. Erneut schaute sie ihm in die Augen. »Wo sind meine Sachen?«

Sicher war sie mit ihm nicht nur … nackt gewesen.

»Verbrannt.« Groß und kräftig war er und hatte breite Schultern und einen muskulösen Brustkorb. Einen muskulösen Brustkorb, aus dem er blutete. »Erst bist du gestorben, dann verbrannt.«

Sabine lachte bestürzt auf. »Sie sind ja verrückt.« Sie war nicht tot. Und er … Bei seinem durchdringenden Blick spürte sie erste Anzeichen von Angst in sich aufsteigen. Während sie ihn noch ansah, begann sie zu zittern, ein kleines Beben, das von ihrem Herzen zu kommen schien und sich durch alle Muskeln fortsetzte. Sie holte tief Luft, wandte sich ab und eilte zur Tür. Der Mann war angekettet, und das musste einen Grund haben. Da er sich nicht bewegen konnte, war es nur klug, dass sie sich davonmachte. Sie hämmerte mit der Faust gegen die Tür.

Sofort schlugen Flammen aus ihrer Hand und loderten bis zur Decke empor.

Schreiend zuckte sie zurück, und wieder sprang die Sprinkleranlage an.

»Noch mal das Gleiche von vorn«, murmelte Ryder düster.

Eiskaltes Wasser lief an ihr herab, und als sie wieder an die Tür hämmerte, flackerten weitere Flammen auf, die ihr nicht mal die Fingerkuppen versengten, allerdings auch nicht die Tür öffneten.

Gefangen.

Sie schüttelte die Hände, damit das Feuer erlosch. Es konnte doch nicht sein, dass Flammen aus ihren Fingern kamen. Das war unmöglich. Bloß ein Albtraum.

Sie musterte ihre Fingerspitzen und sah weitere Flammen.

Ein Albtraum!

Schreiend fuhr sie herum und betrachtete den Mann. Doch er war gar kein Mann. Er bleckte die Fänge – Fänge! – und mühte sich verzweifelt, auch die linke Hand von der Fessel zu befreien. Sie hörte Knochen knirschen und zuckte zusammen, doch er knurrte nur und zog die gebrochene Hand aus der Eisenschelle.

Dann schaute er ihr in die Augen.

»Wer sind Sie?«, flüsterte sie.

»Ryder.« Er hob die Rechte und drückte sie sich an die blutige Brust. Knochen knackten und knirschten. Dann gebrauchte er die rechte Hand – und Sabine wurde übel, als sie das sah –, um die Finger und Knochen seiner Linken wieder an Ort und Stelle zu rücken.

Sie riss die Arme in die Höhe. Feuer flackerte über ihre Finger, und dieser Anblick ängstigte sie zutiefst, doch sie schrie: »Bleiben Sie mir vom Leib!«

Dabei näherte er sich ihr gar nicht. Er puhlte etwas aus seiner Brust – er grub die Finger hinein und zog kleine, schwarze Dinger daraus hervor. Immer wieder. Was er da aus dem Körper holte – mindestens sieben Gegenstände –, sah aus wie … Kugeln.

Ryder ließ sie fallen. »Ich hoffe, du genießt die Show, Wyatt.«

Wer war Wyatt?

Das Dröhnen in ihrem Kopf machte Sabine verrückt. Brenne! Die Flammen, die aus ihren Fingern aufstiegen, flackerten höher. Sie klatschte die Hände an die nächste Wand, und sofort schlug das Feuer bis zur Decke. »Was geschieht mit mir hier?«, wisperte sie, und der Schrei, den sie daraufhin in ihrem Kopf vernahm, schien das Echo ihrer Frage zu sein.

»Sabine.«

Seine Stimme überwand den Schrei, und sie wandte ihm den Kopf zu. Sie blickten einander in die Augen, und nun kam er auf sie zu. Ganz nah. »Lass das Feuer ausgehen«, bat er mit ruhiger Stimme.

»Ich weiß nicht, wie!« Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihre Hände blieben an der Wand. Sie hatte Angst, die Flammen würden ihm entgegenschlagen, wenn sie die Arme von der Mauer nähme.

Etwas in ihr wollte ihn verletzen, wollte einfach alles verletzen und zerstören.

Doch ein anderer Teil war ganz verwirrt. Hilf mir!

Die Flammen loderten weiter an der Wand empor. Der Mann – Ryder – kam immer näher. Zweifellos spürte er die Hitze des Feuers, wirkte aber nicht ängstlich.

Er wirkte stark und gefährlich. Aber nicht ängstlich.

War am Ende etwa sie die Gefährliche? Schließlich flackerten ihr Flammen aus den Händen.

Sie grub die Fingernägel in die Wand.

»Lass das Feuer ausgehen, Sabine«, wiederholte Ryder, und sie seufzte auf.

»Denken Sie, das will ich nicht? Aber ich weiß nicht, wie.« Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. Wieder ertönte der Schrei in ihrem Kopf. War sie es, die da schrie? »Ich kann nicht. Ich …«

Er hielt ihr Kinn fest, damit sie mit dem Kopfschütteln aufhörte. Aus Angst, das Feuer könnte auf ihn überspringen, drückte sie die Finger nur fester gegen die Wand. Jetzt umarmte er sie. Sabine behielt die Hände weiterhin an der Mauer. Er berührte sie, und sie war zu ängstlich, ihn seinerseits anzufassen. »Gehen Sie weg von mir«, flüsterte sie.

Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie die Gefühle in seinem Blick deuten sollte, als er schroff sagte: »Ich will dir helfen.«

»Warum?« Sie verstand nichts von dem, was vorging. »Wieso sind wir hier? Und wo sind wir überhaupt?« Die Flammen schienen heißer zu brennen, während seine Berührung sich seltsam kühl anfühlte, fast wohltuend. »Sie kennen mich, stimmt’s? Waren wir hier zusammen?«

Seine Finger strichen über ihre Haut.

»Sagen Sie es mir!«

»Ich kenne dich.« Er senkte den Kopf zu ihr. »Verlier nicht die Beherrschung. Besieg das!«

Was genau meinte er? Das Feuer? Den Schrei in ihrem Kopf? Was?

Er drückte seinen Mund auf ihren. Damit hatte sie nicht gerechnet, und ihr erstauntes Keuchen drang durch seine geöffneten Lippen. Der Kuss war sanft und zärtlich, während das Feuer weiter aus ihrer Hand zur Decke hochschlug. Die Sprinkleranlage sprühte unermüdlich, und Wasser lief ihr übers Gesicht und hielt sie wie erstarrt an Ort und Stelle.

Nein, es war nicht das Wasser, das sie lähmte.

Er drückte seine Lippen leicht auf die ihren, schob ihr liebkosend die Zunge in den Mund und schmeckte sie.

Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, doch der Schrei in ihrem Kopf wurde langsam leiser. Aber noch immer war sie ängstlich und grub die Nägel tiefer in die Wand.

Seine Finger glitten ihren Hals hinab.

Eine Erinnerung peinigte sie. Ein Bild.

Sein Kopf, der sich zu ihr vorbeugt.

»Bitte nicht …« Das war ihre Stimme. Das wusste sie. Und da war diese Erinnerung …

»Lass mich dir helfen«, flüsterte er und behielt den Mund an ihren Lippen. »Vertrau mir. Ich tu dir nie mehr weh.« Ryders Worte klangen heiser und abgehackt.

Bildete sie es sich ein, oder hatte er das wirklich gesagt?

Ich tu dir nie mehr weh.

Momentan war er weit entfernt davon, ihr wehzutun. Sein Mund lag sanft auf ihren Lippen, ganz weich und zärtlich, und sie wollte seinen Kuss erwidern. Wollte Ryder schmecken, das Feuer vergessen und bloß noch ihn spüren.

»Ich weiß, was du bist.« Federleicht lagen seine Lippen an ihrem Mundwinkel. »Ich weiß es.«

Langsam hob er den Kopf. Sein durchnässtes Haar wirkte ganz dunkel. Tropfen hingen an seinen dichten Wimpern. Glitten die Wangen hinab. Er hatte hohe Wangenknochen. Was für ein schönes Gesicht! Sexy. Dieser Mann war wie geschaffen dafür, eine Frau zu verführen.

Ihr Blick folgte den rinnenden Tropfen bis zu seinen Lippen, prächtigen, sinnlichen Lippen. Aber dann, dann … »Sie haben ja Fänge!«

Verzog sich sein Mund zu einem schwachen Lächeln? Es war so rasch vorbei, dass sie nicht sicher war, es wirklich gesehen zu haben. »Und du setzt das Zimmer in Brand«, erwiderte er.

Sie blinzelte zu ihm hoch.

»Lass das Feuer ausgehen, Liebste«, setzte er hinzu. »Lass es ausgehen.«

Sie wusste nicht, wie.

Er küsste sie erneut. »Konzentrier dich auf mich.«

Das wollte sie, doch es fiel ihr schwer angesichts der hohen Flammen, die aus ihren Händen züngelten. »Sie sollten besser auf Abstand gehen.«

Ryder schüttelte den Kopf. »Ich verlasse dich nicht. Ich schaue nicht einfach nur zu.«

Sie wusste nicht einmal, was das bedeutete.

»Atme«, sagte er zu ihr. »Langsam und tief.« Er legte ihr die Hand aufs Herz. »Dein Herz klopft zu schnell«, fuhr er fort. »Atme. Bei mir bist du sicher.«

Sie wollte ihm glauben. Der Schrei in ihrem Kopf war viel leiser geworden, doch noch immer grub sie die Nägel in die Wand. Sabine achtete darauf, ihre Atemzüge den seinen anzupassen. Ein und aus. Ein und aus. Das Feuer schien kleiner zu werden. Die Flammen flackerten.

»Gut.« Seine Stimme schien in ihr zu knurren. Seine Berührung – seine Hand – fühlte sich kühl an auf ihrer überhitzten Haut. Als sein Daumennagel über ihre Brust glitt, keuchte sie auf.

Wieder flackerten Flammen auf.

Sie wollte seine Hand mit einem Ruck von ihrer Haut nehmen, war aber zu ängstlich, ihn zu berühren. Würde er brennen wie die Mauer, wäre er binnen Sekunden tot.

Doch nun straffte er sich sichtlich, neigte den Kopf zur Seite und blickte zur Tür. »Sie kommen.«

Sie?

Er ließ die Hand sinken.

Das Wasser rauschte weiter auf sie beide herab.

»Bleib hinter mir!«, befahl er. »Egal, was passiert – bleib hinter mir!«

Ruckartig löste sie die Hände von der Mauer, ballte sie zu Fäusten und schob sie hinter den Rücken.

Die Tür öffnete sich mit einem metallischen Knirschen, das Sabine in den Ohren schmerzte. Männer tauchten auf, Männer in dicken, schweren, weißen Anzügen und riesigen Masken, die ihre Köpfe vollständig verdeckten.

Was ist denn hier los?

Die Männer hielten Pistolen in den Händen und richteten sie auf Ryder.

»Willst du dir wirklich noch mehr Kugeln aus dem Körper puhlen, Ryder?«, erklang eine leise Stimme von oben. Abrupt legte Sabine den Kopf in den Nacken und entdeckte an der Decke einen kleinen Lautsprecher.

»Eigentlich nicht«, erwiderte Ryder gedehnt. »Darum bringe ich diese Typen besser um.«

Trotz des Blutes, das seinen ganzen Körper bedeckte, sprang er blitzschnell vor. Er war verletzt, war übel zugerichtet, und doch …

Vor ihren Augen tötete er einen Mann, riss ihm die Pistole aus den Händen, richtete sie auf eine andere Gestalt in Weiß und erschoss sie. Er schoss ihr direkt ins Herz. Dann richtete er die Waffe auf die Übrigen: »Ihr solltet schneller sein.«

Sie rissen die Pistolen hoch und schossen drauflos. Sabine hob die Hände und wollte nur eines: dass der Albtraum ein Ende nahm.

Flammen zuckten aus ihren Fingern, direkt auf Ryder und die anderen zu.

Sie züngelten Ryder über den Rücken, doch das hinderte ihn nicht an seinem Angriff.

Tut mir leid!

Das Feuer traf auch die Männer in der schweren weißen Montur, konnte ihnen aber nichts anhaben.

»So wird das nichts«, sagte die Stimme von oben. »Diese Anzüge sind extrem hitzebeständig, und Ihre Flammen sind längst nicht heiß genug.«

Was?

»Doch wenn Sie sie weiter ausschicken, dürften Sie Ryder töten«, tönte es aus dem Lautsprecher.

Sabine ließ die Hände sinken.

Ryder hatte unterdessen einen zweiten Mann erledigt, der nun mit gebrochenem Genick auf dem Boden lag.

Der Vampir sah sie kurz an.

Sie stieß einen Warnschrei aus. Weitere Männer kamen und schossen auf ihn.

Aber die Verstärkung verwendete keine normalen Kugeln, denn als Ryder getroffen wurde, floss kein Blut.

»Diese Betäubungspfeile setzen jeden außer Gefecht«, verriet ihr die Stimme, die sie bereits hasste. »Selbst ein Ungeheuer von der Stärke Ryders.«

Ein anderer Wächter feuerte auf sie. Brüllend fiel Ryder über ihn her, und schon war sein Opfer tot.

Doch auch sie war getroffen. Ein Betäubungspfeil steckte in ihrer Brust, und ihre Beine gaben nach.

»Zu kämpfen hat keinen Sinn«, ertönte die nervige Stimme aus dem Lautsprecher. »Wie gesagt, diese Pfeile setzen jeden außer Gefecht.«

Ihre Schulter krachte auf den Boden. Sie wollte sich aufrappeln, aber ihre Gliedmaßen gehorchten ihr nicht.

Auch Ryder ging langsam in die Knie, kämpfte jedoch weiter. Bis ihn ein zweiter Pfeil in den Hals traf.

Da prallte sein Kopf auf den Boden. Bei dem dumpfen Laut fuhr Sabine zusammen und streckte die Arme nach Ryder aus.

Ich hab mich schon mal nach ihm gereckt. Die Erinnerung war da, gleich unter der Oberfläche ihres Bewusstseins.

Im Fallen hatte Ryder gestöhnt. Jetzt beugte ein Wächter sich über ihn.

Ryders Hand schoss hoch und brachte ihn zum Stolpern. »Noch bin ich nicht erledigt«, knurrte er. Seine Hand fuhr dem Mann in die Maske. »Bleibt ihr gefälligst vom Leib!«

Sabines Puls wurde langsamer, und sie hatte das Gefühl, nicht Blut, sondern Schlamm in den Adern zu haben.

Ryder hatte den Mann zu sich heruntergerissen, und während sie nur daliegen und zusehen konnte, schlug er ihm die Fänge in die Kehle.

Er trinkt von ihm!

Ihr Hals begann zu schmerzen.

Eine zweite Erinnerung klopfte an und wollte in ihr Bewusstsein dringen.

»Schafft die Frau raus!«, rief es aus dem Lautsprecher. »Sofort!«

Wer von den Wächtern weder tot noch bewusstlos war, machte sich hastig ans Werk. Ryder war zu schwach, um sie alle aufzuhalten, aber zwei brachte er noch zur Strecke.

Zwei andere jedoch packten Sabine. Ihr züngelte zwar Feuer aus den Händen, doch die Schutzanzüge konnte es nicht durchdringen. Die Männer schleiften sie raus, direkt an Ryder vorbei.

Er knurrte wütend und wollte nach ihr greifen, doch ihr war klar, dass das Betäubungsmittel auf ihn so wirkte wie auf sie.

Schlamm in den Adern. Bewegungsunfähigkeit.

Ryder griff sich immerhin noch einen der Männer auf dem Boden und schlug dem Bewusstlosen die Fänge in den Hals.

»Ich finde …« Ryders Stimme folgte ihr, und sie sah ihm in die Augen. Er hatte Blut um den Mund. Sein Opfer lag neben ihm. Am Hals des Mannes prangten zwei punktförmige Wunden.

»Ich finde und befreie dich!«, rief Ryder ihr nach, und sie wusste nicht, ob diese Worte ein Versprechen oder eine Drohung waren.

Vielleicht ja beides.

Nun war sie nicht länger in dem kleinen Zimmer. Die Männer in Weiß hoben sie auf eine fahrbare Krankentrage, banden sie fest und rollten sie einen Flur entlang. Neonröhren flackerten an der Decke.

Sie wollte sich befreien, doch das Betäubungsmittel ließ sie noch immer sehr verlangsamt handeln.

Eine Tür ging auf, und es stank nach Bleich- und Desinfektionsmitteln.

Sie war in einem anderen Raum.

»Lasst mich los!«, flüsterte sie.

Dann beugte sich ein Mann über sie. Er war groß und dunkel und hatte grüne Augen.

Aber nicht wie die von Ryder.

Diese Augen waren kalt und von arktischem Grün. Abschreckend.

»Sie haben Glück, dass wir Sie rechtzeitig von ihm getrennt haben.«

Glücklich fühlte sie sich nicht gerade.

»Sabine, mir tut leid, was er Ihnen angetan hat.«

Sabine – wieder dieser Name.

Er lächelte. »Sie erinnern sich nicht, stimmt’s? Das passiert manchmal nach einer Auferstehung.«

Wir müssen bei Unglaubliche Geschichten sein. Sabine erinnerte sich an diese Fernsehserie, deren Bilder ihr nun durch den Kopf schossen. Ich bin da irgendwie hineingeraten. Jemand soll mich rausholen!

»Ihre Erinnerung kehrt sehr bald zurück. Wenn Sie sich etwas ausgeruht haben.« Er leuchtete ihr in die Augen, legte ihr die Hand auf, zuckte zurück und wedelte damit herum, als hätte er sich versengt.

Sie hatte Lust, ihm Schlimmeres anzutun, als ihm nur die Haut zu versengen.

»Wie hat es sich angefühlt?«, fragte er und stach ihr dabei eine Nadel in den Arm.

»Was?«, stieß sie hervor. Die Nadel war unfassbar riesig, und egal, wer er war – sie hasste ihn. Dieses Wissen war da, Erinnerungsverlust hin oder her.

»Zu sterben«, erwiderte er, als wäre das offenkundig. »Wie hat es sich angefühlt, als Ryder Sie umgebracht hat?«

Ihr Herz schien zu stocken. »Sie sind ja verrückt.« Sie war nicht tot. Sie redete mit ihm. Lebte und atmete.

Und Ryder hatte sie nicht getötet, sondern ihr geholfen – er hatte versucht, sie zu beruhigen, damit das Feuer nicht außer Kontrolle geriete. Und er hatte sein Möglichstes getan, um sie vor den Wächtern zu schützen.

Die Lippen des Mannes wurden schmal. »Sie werden es mir früh genug verraten. Das war nur das erste Experiment.« Er zog die Nadel aus ihrem Arm und nickte jemandem hinter ihr zu. »Sie werden noch darum betteln, es mir zu erzählen.«

Sie würde ihn um gar nichts bitten.

»Genau wie Sie Ryder angefleht haben, Sie leben zu lassen. Aber das hat er nicht, stimmt’s? Ausgesaugt hat er Sie und dem Tod überlassen.«

Ihr Zorn war inzwischen gänzlich abgeklungen. Nur die Angst war geblieben. »Warum tun Sie das?«

Er wollte schon ihr Gesicht berühren, hielt dann aber inne. Du willst dich nicht verbrennen, was?

Ryder dagegen hatte keine Brandwunden davongetragen. Er hatte sie umarmt und geküsst und sich nicht vor ihrem Feuer gefürchtet.

»Sie können helfen, die Welt zu verändern.«

»Lassen Sie mich frei!«

»Sie können Leben retten. Wunder wirken. Und ist der Tod wirklich zu viel von Ihnen verlangt?«

Er wandte sich ab, ehe sie diesem Verrückten sagen konnte, das sei allerdings zu viel verlangt.

»Schließlich erwachen Sie sofort wieder zum Leben.«

Seine Worte erreichten sie aus der Ferne, und sie konnte ihn schon nicht mehr sehen. Die Gurte hielten sie flach auf der Trage, und das Betäubungsmittel sorgte dafür, dass sie sich nicht bewegen konnte.

»Sie sind schwächer als der andere«, sagte er. »Aber das ist nicht schlimm, keine Sorge. Ich weiß, wie ich Sie stärken kann. Sie müssen nur noch ein paar Mal sterben.«

Plemplem.

»Wir fangen demnächst an, keine Sorge. Aber ich muss erst den Vampir untersuchen, nachsehen, was Ihr Blut bei ihm bewirkt hat.«

Hatte Ryder sie ausgesaugt? Der Kerl im Laborkittel hatte gesagt … Hat er mich umgebracht?

Nein, das war verrückt. Sie war nicht tot.

Oder etwa doch?

Denn das Zimmer vorhin mit seiner schneeweißen Decke, mit den Männern, die auf sie geschossen hatten, und dem Vampir, der vor ihren Augen getötet hatte … dieses Zimmer war ihr allerdings als Hölle erschienen.

Eilends schleppten sie die Leichen hinaus, solange er schwach war, denn sie waren vorsichtig und gerissen. Schon als sie den letzten Toten aus seiner Zelle schleiften, stemmte Ryder sich wieder auf die Beine, weil sein Körper das Gift in den Adern rasch besiegt hatte.

Das Betäubungsmittel für Übernatürliche. Wie er diesen Mist hasste! In der Hölle sollte Wyatt dafür schmoren, ein Medikament entwickelt zu haben, das selbst die mächtigsten Übernatürlichen zu Boden schickte. Das Mittel war für Ryder und die Seinen maßgeschneidert und setzte zuverlässig auch die kräftigsten Ungeheuer vorübergehend außer Gefecht.

Und Wyatt ging es ausschließlich um Übernatürliche. Das Labor und die Zellen dienten nur dazu, die Übernatürlichen gefangen zu halten, damit er in aller Ruhe an ihnen experimentieren konnte.

Inzwischen war Ryder klar, warum Sabine in seine Zelle gebracht worden war. Wyatt hatte seine Reaktion auf sie beobachten wollen, und Sabine – nun, sie war nur eins seiner Versuchskaninchen. Ein Opfer, dem nicht mal bewusst gewesen zu sein schien, was sie war.

Jedenfalls nicht bis zu ihrem Sterben.

Sabine Acadia.

Nachdem er von ihr getrunken hatte, war das Blut der Wächter wie altbackenes Brot für ihn gewesen. Sie war Leben. Wärme. Gewürz und Wein.

Ryder trat an den halb durchlässigen Spiegel und schlug mit der Faust dagegen. »Wo ist sie?«

Er hatte Sabine versprochen, sie zu finden. Und das würde er. Er würde Genesis verlassen und sie mitnehmen.

Und sie würden dieses Labor in Schutt und Asche legen. Sabine würde das mit dem Feuer prima hinbekommen.

»Ich weiß, du bist da«, knurrte er sein Spiegelbild an, denn ihm war klar, dass Wyatt ihn beobachtete. Eigentlich hatte Ryder den Ahnungslosen spielen und den Wissenschaftler nicht merken lassen wollen, wie überscharf seine Sinne wirklich waren, doch jetzt war Schluss mit all den Spielchen.

Er roch den Kerl im Nebenzimmer geradezu.

»Wo hast du sie hingebracht?« Erneut hieb er mit der Faust gegen den Spiegel.

Der Lautsprecher knisterte. »Warum interessiert dich das, Vampir?«

Diese Frage hatte kommen müssen, denn normalerweise kümmerte Ryder sich um nichts und niemanden. In der Regel war ihm tatsächlich alles gleich – deshalb hatte Wyatt ihn auch nicht brechen können.

Ryder gab ihm keine Antwort.

»Du weißt, was Sabine für ein Wesen ist, stimmt’s?«, fragte Wyatt.

Ja, das wusste er. Es hätte sie gar nicht geben dürfen. Sie hätte nur ein Mythos sein sollen.

Aber auch Vampire galten als bloße Legenden. Und doch gab es sie. »Ich weiß, dass du mit dem Feuer spielst. Wenn du dir also den Hintern verbrennst, kannst du nur dir selbst die Schuld daran geben.«

Stille antwortete ihm, die Art Schweigen, die besagte, dass er Wyatt sehr verärgert hatte, und die Ryder darum am besten gefiel. Doch dann erwiderte der Arzt: »Das war ihr erster Tod. Und ihre erste Auferstehung. Ich glaube nicht, dass Sabine auch nur eine Ahnung davon hatte, worum es sich bei ihr handelt.«

Verdammt, nach dem Feuer hatte sie nicht mal eine Vorstellung davon besessen, wer sie war! Nackt hatte sie dagestanden, sexy und vollkommen, und dabei hatte sie ganz verloren und verwirrt dreingeschaut.

Er hatte sie schützen wollen. Obwohl das nicht seine Art war. Anders als das Töten.

Ich bin der Grund für ihren Tod. Wyatt hatte sie ihm vorgeworfen, wie man einem ausgehungerten Hund ein Stück Frischfleisch hinwirft. »Du wusstest, was geschieht, wenn ich ihr Blut koste.«

»Ähm …« Er hörte das Kritzeln eines Kulis: Wyatt machte sich Notizen. Immer zeichnete er alle Wörter und Handlungen auf und analysierte sie.

Der Arzt, der die Genetik auf eine höhere Stufe heben und den perfekten Soldaten erschaffen sollte – genau das hatte Wyatt zu ihm gesagt. Mit der Kraft der Tiere hier schaffen wir eine militärische Macht, die unaufhaltsam ist.

Ganz sicher spielte Wyatt gern mit dem Feuer. Sieh dich vor, du Dreckskerl – sonst verbrennst du zu Asche!

Schon bevor er von Wyatt und seinen Gorillas gefangen genommen worden war, hatte Ryder alles darangesetzt, möglichst viel über Genesis und den Mann dort an der Spitze zu erfahren. Die Zeitungen waren voll mit begeisterten Artikeln über den genialen Wissenschaftler Dr. Richard Wyatt und dessen Pläne gewesen, Genesis als Forschungseinrichtung zu nutzen, die der US-Regierung helfen würde.

Ryder hatte diese glitzernden Storys durchschaut, die die Menschen nur zum Narren halten und sie glauben lassen sollten, alles sei in bester Ordnung und die Welt weiterhin sicher.

Eine Welt, in der die Übernatürlichen benutzt und beherrscht wurden.

Ja, er hatte genauer hingesehen und entdeckt, dass Paranormale entführt und in Genesis-Labore verschleppt wurden. Und dass sie von dort nicht mehr zurückkamen.

Ich aber kehre zurück. Ich breche aus. Ob die Regierung wusste, wie weit Wyatt im Namen seiner sogenannten Forschung ging? Darauf hätte Ryder wetten mögen, doch diesen Anzugträgern war das doch ganz egal.

Seiner Erfahrung nach waren Übernatürliche für Menschen äußerst entbehrlich.

Stille erfüllte den Raum, bis Wyatt schließlich sagte: »Vampire trinken nicht einfach Blut, sondern Kraft.«

Ryder fluchte innerlich. Als bräuchte er eine Nachhilfestunde über Wesen seiner Art! Sollte Wyatt je begreifen, um wen es sich bei ihm handelte …

Dann komme ich hier nie mehr raus.

Das war keine Option für ihn.

»Ich wusste, dass Sabine dir zu neuer Kraft verhilft.«

Genug Energie hatte sie ihm jedenfalls geliefert, damit ihr Blut ihn bis zum Verrücktwerden berauschte. Nie hatte er Blut getrunken, das so schmeckte wie ihres. Und das würde er wohl auch nie wieder tun.

»Ihr Feuer hat dich nicht verletzt.«

So sehr diese Worte Ryder berührten, so erfolgreich gelang es ihm, sich das nicht anmerken zu lassen. Er hatte gehofft, dem Arzt sei dieser Teil des Experiments entgangen. Er hätte es besser wissen sollen.

»Die Flammen sind dir direkt über den Rücken gezüngelt, und doch hast du nicht die kleinste Brandblase davongetragen.«

Ryder lächelte in den Spiegel. Wo ist sie? »Du weißt doch, wie das bei Vampiren ist …« Er schlug mit der Hand an seine Brust. Die Schussverletzungen waren verschwunden. »Unsere Wunden heilen schnell.« Seine ganz besonders.

»Von Heilung kann keine Rede sein. Du hast gar nicht erst Verbrennungen erlitten.« Wyatt klang verärgert. Na und? Ryder war längst über den Punkt hinaus, sich noch zu ärgern.

»Warum kommst du nicht in meine Zelle?«, schlug er dem Arzt vor. »Untersuch mich doch! Überzeug dich selbst!« Und dann beiß ich dir die Kehle durch.

»Du hast ihr Blut getrunken … hm … hat dich das immun gegen ihr Feuer gemacht?« Inzwischen hatte Ryder den Eindruck, der Arzt redete nur zum Spaß. »So muss es gewesen sein.«

Er knirschte mit den Zähnen.

»Vampire brennen lichterloh wie Hexen, aber du hast nicht gebrannt.«

Ryder sah die Todesverheißung in seinem Spiegelbild. Auch Wyatt musste diesen Gesichtsausdruck sehen.

»Wir müssen weitere Versuche machen.« Nun sprach Wyatt mit seinen Begleitern. Alles Sadisten im Laborkittel. Leute, die Paranormale aufschnitten und wieder zusammenflickten. Meistens jedenfalls. Ryder wusste, dass längst nicht jeder hier gefangen gehaltene Paranormale wieder ganz gesund werden oder auch nur überleben durfte.

Und diese Leute nannten ihn das Ungeheuer. Wenigstens spielte er nicht erst mit dem, was er fressen wollte.

»Sobald sie aufwacht und sich erinnert …«, ja, Wyatt redete eindeutig mit seinen Lakaien, »… bringt ihr sie zu dem anderen Vampir.«

Sabine.

Ryder regte sich nicht, doch unvermittelt taten seine Fänge höllisch weh. »Wag das ja nicht!« Ein anderer Vampir? Natürlich hatte er gewusst, dass weitere Vertreter seiner Gattung hier einsaßen. Aber ein anderer Vampir und Sabine?

Seht, was ich angerichtet habe, obwohl ich der Älteste unserer Gattung bin! Ein jüngerer Vampir könnte sich niemals beherrschen, sondern würde sie verletzen, ihr die Haut aufreißen und die Kehle durchbeißen.

Dann würde sie wieder verbrennen.

Es knisterte im Lautsprecher. »Gibt’s ein Problem?«, fragte Wyatt ruhig. Ihm war klar, dass er Ryder damit geködert hatte. »Du gehst doch wohl keine Bindung ein, Vampir, oder? Ich dachte immer, ihr Blutsauger könnt so was gar nicht.«

Das hatte Ryder auch gedacht, doch durch Sabine hatte die Lage sich verändert. Sie brauchte ihn, und ausnahmsweise würde er jemanden beschützen – nicht irgendwen, sondern sie. »Bring sie wieder zu mir!«, stieß er hervor.

»Was gibst du mir dafür?«, wollte Wyatt sofort wissen.

Es war ein teuflischer Handel. Einer, den Ryder hatte kommen sehen, doch was blieb ihm übrig? Er ließ die Arme sinken und starrte in den Spiegel. Wenn er sich stark genug konzentrierte, konnte er Wyatt dahinter erkennen. Das wusste dieser Narr nicht. Der Arzt grinste und stand allzu großspurig da. Seine Lakaien waren ein gutes Stück weiter von der Scheibe entfernt. Denn sie hatten Angst.

Trotz seiner hohen Intelligenz schien Wyatt kein Gespür für Gefahr zu besitzen.

Wenn der Tod kommt, bist du nicht mehr so großspurig. Dann hast du solche Angst, dass du dir in die Hose machst.

Und sehr bald schon würde der Tod zu Wyatt kommen.

»Was gibst du mir dafür?«, fragte der Arzt erneut.

Ryder hatte keine Wahl. »Was du willst. Gib mir nur Sabine zurück.«

Stille. Wyatts Blick glitt auf seine Notizen, und die Männer hinter ihm traten nervös von einem Bein aufs andere. Nachdem er sich offenbar vergewissert zu haben glaubte, die Macht weiter in Händen zu halten, sah Wyatt Ryder wieder in die Augen. »Abgemacht.«

3

Sieben Tage. Sieben verdammt lange Tage, dann brachten sie Sabine endlich wieder zu ihm.

»Stell dich an die Rückwand!«, erklang Wyatts Stimme und schien in dem kleinen Zimmer ein Echo zu erzeugen. »Wenn du auch nur den winzigsten Versuch unternimmst, einen der Wächter anzugreifen, bringen wir sie um.«

Wieder.

Dieses Wort lag in der Luft. Ryder wollte sie nicht sterben sehen, also begab er sich zur hinteren Mauer und hob die Hände, um zu zeigen, dass er niemanden attackieren würde. Noch nicht. Dann wartete er.

Schritte kamen näher. Er witterte einen schwachen Blumenduft. Noch immer? Leicht war er und süß. Selbst nach alldem roch sie noch nach Blumen? Dann knirschte Metall, und die Tür wurde geöffnet.

Sabine trat ein.

Sie trug eine graue, ausgebeulte Jogginghose und ein T-Shirt. Die langen Haare fielen ihr über die Schultern. Ihre Augen waren weit geöffnet, sie wirkte nervös, und ihr dunkler Blick blieb sofort auf seinem Gesicht haften.

Der Wächter hinter ihr drückte ihr seine Pistole in den Rücken.

Ryders Blick schnellte zu dem Mann. Den kannte er doch. Das war Mitchell, Barnes Mitchell. Ein Dreckskerl, der es genoss, anderen Schmerzen zuzufügen.

Du sollst erfahren, was Schmerzen sind, gelobte Ryder.

Sabine trat einige Schritte ins Zimmer. Die Tür wurde hinter ihr geschlossen, und das hohle Klirren des Metalls ließ sie zusammenfahren.

Ryder senkte die Arme.

Sie schüttelte den Kopf. »Komm mir mit diesen Fängen ja nicht noch mal zu nah, Vampir.«

Ihre Erinnerung war also wieder da. Er musterte sie von oben bis unten. Zum Glück umgaben sie diesmal keine Flammen, doch er musste zugeben, ihren Anblick neulich, als sie nackt gewesen war, sehr genossen zu haben.

Bei dem Gedanken an ihre üppigen Kurven bekam er prompt eine Erektion.

Selbstbeherrschung, ermahnte er sich.

Zu viele Augen beobachteten ihn, und er hatte Wyatt schon mehr als genug Schwäche gezeigt.

»Falls du dein Feuer unter Kontrolle hältst, Phönix, versuche ich, meine Fänge nicht auszufahren.«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Wie hast du mich gerade genannt?«

Ihm hämmerte das Herz in der Brust. »Du weißt es nicht, stimmt’s?«

Sie schüttelte nur kurz den Kopf.

Verdammt. Wyatt hatte sie sterben lassen, ohne ihr von ihrer Auferstehung erzählt zu haben. Sabine hatte sicher schreckliche Angst empfunden.

Er blickte zu Boden. Noch immer war ihr Blut auf den schweren Steinfliesen zu sehen. »Es tut mir leid.« Seine Worte kamen ihm selbst schroff vor. Er wusste nicht, wann er sich zuletzt bei jemandem entschuldigt hatte.

»Was? Mich gebissen und mein Blut getrunken zu haben?«

Wie eine Motte aufs Licht hielt er auf sie zu. Sie ist so unfassbar schön. Während er langsam auf sie zukam, strafften sich ihre Schultern, und sie wich einen Schritt zurück. Armer Phönix – hier gab es keine Fluchtmöglichkeit. Dafür hatte Wyatt gesorgt.

»Es tut mir leid, dass ich dich nicht retten konnte.« Zu viele Menschen waren in den langen Jahrhunderten seines Daseins gestorben. Er hatte den Tod nie aufgehalten, aber mit Sabine war es anders. Sie kann zurückkehren. Sie hatte ihm eine zweite Chance gegeben.

Sie flüsterte ausatmend: »Du hast mich gezwungen, von deinem Blut zu trinken.« Dazu ballte sie die kleinen Hände zu Fäusten.