Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Die Autorin
Widmung
EINS
ZWEI
Copyright
Das Buch
Sie glauben, alle Vampire sind blass, dünn und melancholisch? Schön wär’s! Zumindest, was das Dünnsein betrifft. Als Gloriana »Glory« St. Clair von einem verführerischen schottischen Vampir gebissen wird, ist sie eine üppige Blondine, die gerade erfolglos gegen Süßigkeiten und einige Kilos zuviel ankämpft. Und so verwandelt sich Glory in eine sexy Vampirin mit ordentlichen Kurven und verdreht den Männern, den irdischen wie den blutsaugenden, den Kopf.Allen voran natürlich Angus Jeremiah Campbell III, kurz Jeremy Blade, mit dem sie nun schon seit Jahrhunderten eine leidenschaftliche Liebe mit ebenso leidenschaftlichen Trennungsphasen verbindet.
Die Sache mit dem ewigen Leben zwingt die Vampire, immer in Bewegung bleiben, denn während die Menschen langsam altern, sehen Vampire bis in alle Ewigkeit genau so frisch aus, wie in dem Moment, als sie verwandelt wurden. Und so zieht Glory nach Austin, um dort einen coolen Laden mit heißen Vintage- und Retroklamotten zu eröffnen. Die Vampir-Community ist klasse und auch einige männliche Prachtexemplare schwirren herum. Alles perfekt, wäre da nicht ein durchgeknallter Vampirjäger, der mit raffinierter Technik die Nachtwesen aufspürt und wie Großwild erlegt. Höchste Gefahr für Glory, die auf der Abschussliste steht. Doch Blade schmiedet gemeinsam mit den anderen Vampiren einen Rettungsplan. Und Glory entdeckt ihre eigenen Vampirkräfte …
Die Autorin
Gerry Bartlett wurde am 21. November (das Jahr verrät sie nicht) in Texas geboren und lebt auch heute noch auf halbem Weg zwischen Houston und Galveston. Die ehemalige Lehrerin schrieb zu Anfang unter einem Pseudonym, das sie aber, zusammen mit ihrem ursprünglichen Beruf, sehr bald an den Nagel hängte. Echte Vampire haben Kurven ist der erste Roman der erfolgreichen Serie um Glory St. Clair.
Gewidmet dem Andenken an meinen EhemannJohn Bartlett,der unabhängige Frauenmit weiblichen Rundungen zu schätzen wusste.Du warst mein erster Held.In Liebe, Gerry.
EINS
Vampire gibt es überall. Es ist ein Klischee, dass sie grundsätzlich reich und mächtig sind. Mike, der nachts im Laden an der Ecke als Kassierer arbeitet, könnte ein Vampir sein. Oder Brittany, die Bardame, die vor der Sperrstunde den letzen Drink serviert. Sogar der Regaleinräumer im örtlichen Großmarkt.
Flippt jetzt nicht gleich aus, aber es wäre durchaus möglich, dass euch Mike neulich tief in die Augen gesehen und euch dazu bewegt hat, ihm ins Hinterzimmer zu folgen, um sich an euch gütlich zu tun, ehe er euch mit euren Zigaretten und dem Sixpack Bier nach Hause geschickt hat, und ihr wüsstet hinterher von nichts.
Ziemlich coole Sache, oder? Nennt sich der Whammy. Von wegen verräterische Bissspuren - die löschen wir aus, genau wie die Erinnerungen, und damit ist der Fall erledigt. Nur ein ziemlich verkommener Vampir würde seinen »Spender« bis auf den letzten Tropfen aussaugen und sterben lassen. Die meisten von uns haben begriffen, dass wir mehr davon haben, wenn wir diskret vorgehen.
Ganz recht: wir, uns. Ich bin Gloriana Eloisa St. Clair. Glory für meine Freunde. Ihr habt gedacht, alle Vampire wären bleich, abgezehrt und schwermütig? Schön wär’s. Jedenfalls der Teil mit der Abgezehrtheit. So, wie wir zum Zeitpunkt der Verwandlung sind - dick oder dünn, groß oder klein, so bleiben wir für immer. Mein Pech, dass ich damals ziemlich angesetzt hatte. Ich habe ausgeprägte weibliche Rundungen, okay? Jedenfalls ist das meine positive Darstellung der Fakten. Ich versuche, das Beste daraus zu machen. Ich bin blond, blauäugig, braungebrannt (ein Hoch auf mein teures Bräunungsspray!) und für Unwissende ganz einfach eine »kerngesunde«, modebewusste junge Frau Mitte zwanzig. Wenn die wüssten, dass ich schon mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel habe.
Wie es kam, dass ich zum Blutsauger wurde? Um es kurz zu machen: Es steckte ein Kerl dahinter. Ein stattlicher, dunkelhaariger Schotte mit enormem Sexappeal. Sein Name lautete - lautet noch immer - Angus Jeremiah Campbell der Dritte. Seit einer kleinen Auseinandersetzung mit seinem Vater nennt er sich allerdings Jeremy Blade. Seine Wahl, nicht meine. Ich nenne ihn Jerry, wenn wir uns über den Weg laufen. Das hasst er. Jerry und ich sind seit mehreren Jahrhunderten immer wieder mal zusammen, mal getrennt. Zurzeit getrennt.
Kennengelernt haben wir uns in London. Jerry wollte mal sehen, was da so abgeht, ich war Schauspielerin am Globe Theater. Damals wurden die weiblichen Rollen meistens noch von Männern gespielt. Traurig, oder? Jedenfalls hatte ich einen Schauspieler geheiratet und damit Schande über meine Familie gebracht. Nachdem mein Gatte infolge eines ziemlich hässlichen Unfalles mit einem Nachttopf das Zeitliche gesegnet hatte, konnte ich mich mit der einen oder anderen Nebenrolle über Wasser halten, sonst wäre ich garantiert verhungert. Ich war richtig gut, eine echte Schauspielerin, keine dieser Tussen, die sich nur so nennen. Billy Shakespeare fand mich klasse.
Eines Abends kam Jerry dann hinter die Bühne, und der Rest ist Geschichte. Er raubte mir den Atem. Leidenschaft mit einem großen L. Glaubt mir, ihr wisst erst, was ein richtiger Orgasmus ist, wenn euch dabei ein Mann die Halsschlagader angezapft hat.
Jerry kann unwiderstehlich sein, wenn er will. Ich hab ihn auf Knien angebettelt, mich auch in einen Vampir zu verwandeln, um für immer mit ihm vereint zu sein.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass zwar der Mann ewig leben würde, aber unsere Liebe nicht ganz so lange.
Zum Glück haben wir nie geheiratet. Erst wollte er sich nicht binden, und als er mir ein paar Jahrhunderte später gnädigerweise doch noch einen Antrag machte, wurde mir schlagartig klar, dass Together forever in unserem Fall mehr als nur ein kitschiger Popsong war. Auf immer und ewig - mit einem Kerl aus dem sechzehnten Jahrhundert? Nein danke.
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass man ja auch die Schwiegereltern bis in alle Ewigkeit an der Backe hat. Die Campbells waren nicht eben begeistert, als ihr Stammhalter ausgerechnet mit einer Schauspielerin aufkreuzte - mit einer englischen obendrein. Gleich zwei dicke, fette Minuspunkte für mich. Und dann lebten wir auch noch in Sünde. Sie wussten nicht recht, ob sie schockiert sein sollten, weil wir nicht den Bund der Ehe geschlossen hatten, oder doch eher erleichtert. Ich konnte seine Familie schließlich für mich gewinnen, aber bis dahin hatte ich die Nase gestrichen voll von ihrer verfallenen Burg im hintersten Winkel der schottischen Highlands. Am A… der Welt ist noch milde ausgedrückt.
Ich bin ein geselliger Mensch. Ich brauche Leute, bunte Lichter, Action. Also entwickelte ich meine schauspielerischen Fähigkeiten weiter und passte mich an. Wann immer jemand wegen meines stets gleichbleibend jugendlichen Aussehens Verdacht zu schöpfen begann, zog ich weiter. Im Schnitt alle zehn Jahre. Das stört mich am meisten am Vampirdasein; dass man gezwungen ist, ein Nomadenleben zu führen. Es gibt zwar ein Vampir-Netzwerk, über das man sich problemlos eine neue Identität besorgen kann, aber das Gefühl, nirgendwo verwurzelt zu sein, macht mir zu schaffen.
Diesmal war ich fast schon zu lange geblieben. Irgendwann konnte ich endgültig nicht mehr von Botox und Schönheitschirurgie faseln, um meinen sterblichen Freunden zu erklären, warum ich keine Krähenfüße bekam und mir die Schwerkraft so gar nichts anhaben konnte.
Ich mag Sterbliche, aber ich habe auch unter den Vampiren viele Freunde. Mit den Jahren schließt man so einige Bekanntschaften. Ich erkenne am Körpergeruch, ob ich einen Vampir vor mir habe oder nicht. Nein, keine Ausdünstungen à la »dein Deodorant hat versagt«. Sterbliche nehmen den Geruch gar nicht wahr, aber wir verfügen über eine geschärfte Sinneswahrnehmung, vor allem, wenn es um das Erkennen der eigenen Spezies geht.
Das findet ihr gruselig? Quatsch. Die meisten Vampire sind äu ße rst un terhal tsame Ze i tgenossen. Richtige Partylöwen. Ihr fragt euch, wie jemand, der 1580 geboren wurde, so modern klingen kann? Wie gesagt, ich bin Schauspielerin, und außerdem süchtig nach den Serien von HBO. Ich sehe mir immer wieder gerne die Wiederholungen von Sex and the City an. Schon allein wegen der Schuhe. Wie dem auch sei, ich bin sehr anpassungsfähig. Das reinste Chamäleon. Zwei Minuten zuhören, und ich gehöre zur Clique dazu.
Im Moment bin ich mal wieder auf dem Sprung. Zuletzt war ich in Las Vegas stationiert, wo ich ein Engagement als Tänzerin in einem kleinen Club abseits des berühmten Strip hatte. Ein echter Glücksfall. In meinem raffiniert geschnittenen Kleid, das meine Problemzonen geschickt kaschierte, war ich dank meines wogenden Busens der Star der Revue. Mein Kelch fließt über, wenn ihr wisst, was ich meine. Als bekannt wurde, dass der Club geschlossen werden sollte, weil das Hotel einem Megacasino weichen musste, fand ich, es sei an der Zeit für einen Ortswechsel.
Diesmal zog ich ostwärts. Austin. Jawohl, in Texas. Was man so hört, soll dort so richtig der Bär abgehen. Ich habe mich schlaugemacht. Natürlich tummeln sich dort die üblichen Freaks-Möchtegernvampire mit leichenblassem Teint, schwarzem Lippenstift und null Ahnung von Mode. Aber auch ein paar sehr nette Vampirfreunde von mir, unter anderem Frederick von Repsdorf, der eindeutig zu den vorhin erwähnten höchst unterhaltsamen Zeitgenossen gehört. Frederick bewohnt mit seinem Lover ein hübsches altes Häuschen in der Nähe der University of Texas. Er hat mir Bilder gemailt.
Okay, okay, ich geb’s zu. Mir ist außerdem zu Ohren gekommen, dass Blade kürzlich dort unten gesichtet wurde. Was soll ich sagen? Seine Familie ist weit, weit weg in Schottland, und ohne das emotionale Gepäck ist Jerry nach wie vor der Traum meiner schlaflosen Nächte. Ich werde einfach mal die Lage checken. In Bezug auf Austin, meine ich. Was spricht denn dagegen? Sanfte Hügel, Cowboys, dot-com-Millionäre …
Nebenbei bemerkt ist Austin ein gutes Pflaster für Unternehmer. Im Gegensatz zu so vielen anderen Vampiren (einschließlich meinem Ex) bin ich nicht vermögend. Ich musste mir meinen Lebensunterhalt seit je selbst verdienen. Ich weigerte mich, auch nur einen Cent von Blade anzunehmen; ich wollte ihm nicht verpflichtet sein. Also musste ich arbeiten. In Vegas habe ich nicht schlecht verdient, allerdings habe ich, wie sich bald herausstellen sollte, eine kleine Schwäche für Poker.
Ich hätte natürlich die Gedanken der anderen Mitspieler lesen können, aber ich hasse mogeln. Also spielte ich auf ehrliche Art und Weise - und fand heraus, dass ich null Talent fürs Pokern habe. Ich musste schließlich das Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Spieler durchlaufen, um davon loszukommen. Auch deshalb wird mir Austin guttun. Casinos sind in Texas illegal. Man muss die Staatsgrenze überqueren, um zu spielen.
Gegen Mitternacht verabschiedete ich mich unter Tränen von meinen engsten Freundinnen, umarmte sie ein letztes Mal und machte mich auf den Weg. In meinem 1997er Kombi mit dem dreizehn Meter langen Anhänger. Ich weiß, ein flottes kleines Sportcabrio würde besser zu meinem Image passen, aber ich bin eine Sammlernatur. Im Ernst. Ich besitze einen ganzen Berg Krempel, den ich überallhin mitschleppe.
Ich überquerte gerade die Grenze zwischen Arizona und Nevada und sang aus vollem Hals »Don’t Cry for Me, Argentina« (ich liebe Broadway-Musical-Songs), als mein Handy klingelte. Unbekannter Anrufer. Ich ging trotzdem ran.
»Frederick hat behauptet, du würdest nach Texas ziehen.«
Blade. Wer sonst würde automatisch davon ausgehen, dass ich weiß, wer dran ist und auf jegliche Begrüßungsfloskeln verzichten? Wann hatten wir uns zuletzt gesehen? Vor ungefähr vier Jahren, drei Monaten und … Wirst du wohl aufhören mitzuzählen, Glory!
»Spionierst du mir nach, Jerry?« Ich konnte ihn förmlich mit den Zähnen knirschen hören, was mich prompt daran erinnerte, wie er mich damit geschickt gekitzelt hatte … Er schwieg, und ich seufzte. »Ja, ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Warum?«
»Du lässt überhaupt nie von dir hören, Gloriana.«
Ich starrte das Telefon an, als hätte es sich plötzlich in einen Rasierapparat verwandelt. Welche Töne von Jeremy Blade!
»Wer bist du und wo steckt mein …« Ich brach ab. Unsere Beziehung war einfach zu kompliziert.
»Dein Geliebter? Dein Mann?«
»Letzteres definitiv nicht.« Es war typisch Blade gewesen, mir den Antrag erst zu machen, als ich seine liebe Familie und die Einsamkeit der Highlands nicht mehr ertragen konnte. Irgendwann war von einer heidnischen Vermählungszeremonie die Rede gewesen, aber ich bestreite, dass es je dazu gekommen ist. Blade hat übrigens vier Brüder und zwei Schwestern - ist das zu fassen? Angus und Mag, seine Eltern, wurden erst zu Vampiren, nachdem alle Kinder auf der Welt waren, und sie haben ihre Sprösslinge selbst aussuchen lassen, ob sie ebenfalls verwandelt werden wollten oder nicht.
Niemand weiß, wann genau Mutter und Vater Campbell beschlossen haben, sie vor diese Entscheidung zu stellen. Sicher ist nur, dass sich keines ihrer Kinder die Chance auf Unsterblichkeit und ein Dasein als Vampir entgehen ließ. Tja, wer würde in Anbetracht der damaligen kümmerlichen Lebenserwartung schon mit seinem Blut geizen? Pech für mich natürlich. Versucht ihr doch mal, glücklich bis in alle Ewigkeit zu leben, wenn ihr mit neun Vampiren verschwägert seid.
»Was bin ich denn dann?«
»Mein Ex, und das sagt auch schon alles.«
»Du brichst mir das Herz, Baby.«
Baby? Ich traute meinen Ohren nicht. Übrigens ist bei Vampiren auch der Gehörsinn äußerst ausgeprägt, so dass ich unschwer den Hauch eines schottischen Akzents ausmachen konnte, der vor ein paar Jahrhunderten meinen Widerstand dahinschmelzen hätte lassen. Doch dagegen war ich inzwischen immun.
»Das würde voraussetzen, dass du eines hast, Jerry. Warum nennst du mich Baby?«
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du in einigen Punkten Recht hattest.«
Okay, das war zu viel des Guten. Ich riss das Steuer herum und hielt auf dem Seitenstreifen an. Zum Glück herrschte auf dieser Strecke um drei Uhr morgens so gut wie gar kein Verkehr. Kein Wunder; sie ist nicht gerade für ihre pittoresken Ausblicke berühmt. Felsbrocken, ein paar struppige Büsche, dazwischen Sand, das war’s.
»Ich hatte Recht?«
»Was das Anpassen angeht. Ich hatte ein paar Begegnungen mit Jägern.«
Mir wurde ganz flau. In seiner Sprache hieß das, dass er dem Tod durch den Pfahl nur mit knapper Not entgangen war. Wir alle fürchten Vampirjäger. Das ewige Leben kann zuweilen deprimierend sein, aber ich möchte es auf keinen Fall beenden, indem ich mir einen Pfahl durchs Herz rammenlasse.
»Ach, du liebe Zeit. Was ist passiert? Geht es dir gut?«
»Alles bestens. Ich bin quasi ein neuer Mensch.«
»Das trifft sich gut, der alte Blade hat mich nämlich …« Ich verstummte. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn wie üblich zu ärgern. Eine Welt ohne Blade. Ich beschwere mich zwar dauernd über ihn, aber unsere ständig zwischen Hass und Liebe wechselnde Beziehung macht das Leben wenigstens span nend.Le be nswe rt.
»Der alte Blade hat dich vermisst.«
Okay, das brachte das Fass endgültig zum Überlaufen.
»Vermisst?Mich? Ich bitte dich. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass du voriges Jahr in Vegas warst, und du hast dir nicht einmal meine Show angesehen.«
»Du weißt genau, was ich von dieser unsittlichen Darbietung gehalten habe. Ich hoffe doch sehr, du hast nicht vor, auch in Texas damit weiterzumachen.«
Sofort fühlte ich mich besser. Ich hatte Blade gegenüber behauptet, ich würde oben ohne auftreten. Die Vorstellung machte ihn rasend. »Ich war Tänzerin, Jerry. Man verdient nicht schlecht, wenn man ein bisschen nackte Haut zeigt.«
»Du müsstest überhaupt nicht arbeiten. Ich bin verantwortlich für das, was du bist …«
»Wer ich bin, nicht was. Und ich habe dich darum gebeten, es zu tun, also bin ich selbst für meinen Zustand verantwortlich und sonst niemand.« Mann, diese Diskussion hatten wir bestimmt schon tausend Mal geführt. Blade war ein unglaublicher Dickkopf. Und er hatte das Erinnerungsvermögen eines unsterblichen Elefanten. Ich hatte ihm einmal vor fast dreihundert Jahren vorgehalten, er hätte mein Leben ruiniert und mir die Chance genommen, Kinder in die Welt zu setzen, bla, bla, bla.
Meine Nerven hatten verrückt gespielt, wohl wegen einer Überdosis Campbellscher Verwandtschaft. Ich war schon bald wieder darüber hinweg gewesen, doch Blade schien die ganze Sache noch nachzuhängen. Zugegeben, das war ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen. Ich weiß nicht, was für mich schlimmer wäre - zusehen zu müssen, wie meine Kinder alt werden und sterben, oder sie in Vampire zu verwandeln, damit sie wie ich unsterblich werden und ihrerseits … ihr versteht schon. Ich habe mir durchaus darüber den Kopf zerbrochen. Und ich habe mich damit abgefunden. Jerry offenbar nicht. Ach, verflixt, ich würde den Teufel tun und mich um sein seelisches Wohlergehen sorgen. Tief durchatmen, Glory.
»Erzähl mir von den Jägern.«
»Sie sind unbarmherzig. Sie werden angeführt von einem gewissen Brent Westwood, einem Milliardär und Großwildjäger, der offenbar beschlossen hat, dass Vampire die interessanteste Jagdbeute sind.« Seine Stimme klang hart. »Er nimmt Trophäen, Gloriana. Er trägt eine Halskette mit …« Ich hörte, wie er zitternd Luft holte. »Vampirzähnen.«
Mir wurde übel. »Und uns nennen sie grausam?« Ich schluckte schwer.
»Da ist noch etwas.« Blade räusperte sich. »Sei auf der Hut, Gloriana. Er hat MacTavish erwischt.«
»Mac! Nein!« Ich ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken. Mac war Blades bester Freund gewesen. Ich hatte ihn geliebt wie einen Bruder. Ich spürte, wie mir Tränen über die Wangen rollten. Ganz recht, Vampire können weinen, und Mac war diesen Flüssigkeitsverlust definitiv wert. Er war der lichte Gegenpol zu Blade gewesen, sowohl äußerlich als auch in puncto Persönlichkeit. Ein Spaßvogel, und loyal bis dorthinaus. Ich presste mir die Hand auf den Mund.
»Und Mara?«, würgte ich nach einer Weile hervor. Macs wunderschöne Ehefrau gleicht in ihrem schwermütigen Wesen eher Blade als Mac.
»Mara lässt sich nicht unterkriegen. Sie ist traurig, geschockt und schmiedet Rachepläne. Sie ist bei mir. Westwood hat uns beide gesehen, ehe er die Flatter gemacht hat. Ich bin sicher, wir stehen ganz oben auf seiner Liste.«
Ich kämpfte gegen eine Welle der Übelkeit an, wie ich sie seit Jahrzehnten nicht mehr verspürt hatte. Blades Zähne, aufgereiht an einer Kette um den Hals des sterblichen Todfeindes. Unvorstellbar. Blade war so stark, so mächtig. Andererseits war Mac genauso stark gewesen.
»Du warst also selbst dabei. Hattest du keine Gelegenheit, euch aus seiner Erinnerung zu löschen?« Dämliche Frage. Dazu muss man den Betreffenden berühren. »Oder sie zumindest zu manipulieren?« Darauf versteht sich niemand so gut wie Blade.
»Ich hab’s versucht. Er trug eine Art Schutzbrille.«
»Wie ist er an Mac rangekommen? Ein Hinterhalt?« Ich bereute die Frage sogleich. Wie ich Blade kannte, machte er sich bereits genügend Vorwürfe für Macs Tod. Sein Verantwortungsbewusstsein kannte keine Grenzen. Deshalb hatte er auch Macs Witwe bei sich aufgenommen.
»Könnte man so sagen. Der verdammte Mistkerl wusste genau über uns Bescheid. Wir haben keinerlei Gefahr gewittert. Und er hat neue Technologien entwickelt - abgesehen von der Brille hatte er eine Art Scanner oder Vampirdetektor dabei, so dass ich keine Chance hatte, mich ihm zu nähern.«
So mitgenommen hatte ich Blade zuletzt erlebt, als er mit seiner Familie gebrochen hatte. Eine lange Geschichte, auf die ich jetzt gar nicht näher eingehen will.
Ein Vampirdetektor? Ich schauderte, und mir war ganz flau im Magen. Das war eine Katastrophe. Das bedeutet, dass mir meine Anpassungsfähigkeit, auf die ich so stolz bin, nichts mehr nützt.
»Du meinst, er könnte mithilfe einer Art Laserpistole erkennen, dass ich ein Vampir bin?«
»Mara und ich haben das Ding gesehen. Es sieht vollkommen harmlos aus, wie ein Mobiltelefon, Gloriana. Du denkst dir nichts Böses, und plötzlich greift er an. Auch er selbst wirkt völlig unauffällig - mittelgroß, durchschnittlich gut gebaut. Du musst dir aus dem Internet sein Bild herunterladen. Druck es aus und zeig es jedem Vampir, den du kennst.« Er wechselte ein paar Worte mit jemandem im Hintergrund. Mara?
»Mach ich. Sobald ich bei Freddy bin.«
»Gut. Aber wie gesagt, es kann gut sein, dass du Westwood trotzdem nicht erkennst. Er trägt zwar keinen Tarnanzug, nicht einmal eine Tarnkappe à la Mossy Oak, nur diese getönte Brille, aber auch die sieht nicht ungewöhnlich aus.« Er schwieg einen Augenblick. In meinem Kopf rasten die Gedanken wild durcheinander.
»Verdammt, Gloriana, ich will dich hier bei mir haben, wo ich dich beschützen kann.«
Das überhörte ich geflissentlich. »Wie … Wie hat er Mac erwischt?« Knoblauch und Kruzifixe können uns längst nicht so viel anhaben, wie es in den diversen unter Sterblichen so beliebten Legenden oft dargestellt wird. Die Sache mit dem Pfahl aber entspricht den Tatsachen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mac artig stillgehalten hat.«
»Hat er auch nicht. Wie gesagt, Westwood ist ein Jäger. Er verwendet einen Bogen und Pfeile aus einem exotischen Holz, und er ist ein hervorragender Schütze. Hätte er nur fünf, sechs Zentimeter danebengeschossen, dann hätte Mac überlebt.« Wieder unterhielt er sich mit jemand anderem. »Mara sagt, die Pfeile hätten seltsam gerochen. Ihrer Ansicht nach könnten sie aus Olivenholz geschnitzt sein. Sei also gewarnt, wenn du diesen Geruch wahrnimmst.«
»Wie seid ihr ihm entkommen?« Vampirjagd als Sport. Was kam als Nächstes? Ausgestopfte Vampire, die man sich an die Wand hängen konnte? Oh, Gott.
»Als klar war, dass wir nichts mehr für Mac tun konnten, haben wir die Beine in die Hand genommen.«
»Tut mir schrecklich leid für euch. Ich hatte Mac auch sehr gern. Arme Mara.« Ich rieb mir die Augen.
»Ja, wir sind beide noch ziemlich mitgenommen. Ich kann mich nur wiederholen - sei auf der Hut, Gloriana.«
Blade klang erschöpft. Ich fragte mich, ob er sich ausreichend ernährte. Wenn man jemanden ein paar Jahrhunderte lang geliebt hat, hört man nicht von einem Tag auf den anderen auf, sich um ihn zu sorgen. Ich hatte es weiß Gott ve rsuch
»Du bist doch hoffentlich nicht verletzt, oder?«
»Nur ein Kratzer. Kaum mehr zu sehen.«
Ein Kratzer, so, so. Das konnte genauso gut eine Schramme am Arm sein wie ein Schuss in den Bauch. Kein Wunder, dass er so abgekämpft klang. Vampire können im Schlaf ihre selbstheilenden Kräfte mobilisieren, aber das laugt sie aus.
»Wo bist du?« Natürlich war Mara bei ihm. Die beiden waren befreundet, und es war total krank, auf eine trauernde Witwe eifersüchtig zu sein. Eine bildschöne trauernde Witwe allerdings, die mit ihrer roten Mähne und den grünen Augen der Traum eines jeden Schotten war. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass die Campbells sie heiß und innig lieben. Und dass sie rank und schlank ist. Dagegen bin ich eine welke englische Rose.
»Lake Charles. In Louisiana. Ich betreibe hier ein Casino, gleich hinter der texanischen Grenze. Vergiss Austin. Du kommst zu uns; hier kann ich auf dich aufpassen. Ich habe topmoderne Alarmanlagen und rund um die Uhr Wachleute im Haus. Jetzt, da wir von Westwood wissen, wird es ihm nicht gelingen, ins Casino einzudringen.«
Ein Casino. Da konnte er mir genauso gut gleich einen Pfahl ins Herz rammen. Ich hatte Blade nie von meiner Spielsucht erzählt, und ich würde mich hüten, es jetzt zu tun. Ich hatte mich nie sicherer gefühlt als in seiner Gegenwart, unter seinem Schutz und Schirm …
Dummerweise hatte er mich nicht gebeten, zu ihm zu kommen, sondern es mir befohlen. Und ich habe vor über hundert Jahren aufgehört, seinen Befehlen Folge zu leisten. Weil ich mich in seiner Gegenwart nämlich in eine Glory verwandle, die ich nicht besonders gut leiden kann. Eine abhängige, hilflose Glory. Ist es sehr offensichtlich, dass ich gerne Ratgeber lese?
Verdammt. Ein Technofreak als Vampirjäger. Kein Wunder, wenn es mir eiskalt über den Rücken lief und ich in Versuchung geriet, nach Lake Charles zu fahren, so schnell mich mein betagter Kombi hinbringen konnte. Ich schluckte meine Angst hinunter.
»Ich fahre zu Freddy. Er ist genauso stark wie du, wenn nicht sogar stärker.« Das war gemein, aber es war mir lieber, auf Blade herumzuhacken als in Tränen auszubrechen, obwohl mir sehr danach gewesen wäre.
»Ist Valdez bei dir?«
Ich sah zu meinem Hund hinüber, der die Landschaft hinter dem Beifahrerfenster betrachtete.
»Natürlich.«
»Sieh zu, dass er dir nicht von der Seite weicht, bis du hier angekommen bist. Du wirst nicht zu Freddy fahren. Ich erwarte dich …«
Ich legte auf. Einfach so. Und schaltete auch gleich das Handy aus, ehe ich es achtlos auf den Beifahrersitz warf.
»Na, nervt der Big Boss mal wieder, Herzchen?« Das war Valdez. Ihr merkt schon, er ist kein normales Haustier.
»Er ist nicht mein Big Boss, sondern deiner, und wenn überhaupt, dann nerve ich ihn.« Ich holte mir ein Taschentuch aus dem Handschuhfach und putzte mir die Nase. »Und wenn du deinen nächsten Bericht ablieferst, richte ihm doch bitte aus, er kann mich mal kreuz…«
»Das kannst du ihm schön selber sagen, Süße. Ich muss mal.«
Bei unserer Trennung hatte Blade keine Ruhe gegeben, bis ich klein beigegeben und ihm erlaubt hatte, für meinen Schutz zu sorgen. Ich hatte Leibwächter erwartet, stattdessen hatte er mir Hunde geschickt. Keine normalen, sondern Tiere mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Zurzeit genoss ich die Gesellschaft von Valdez Nummer einhundertfünfundzwanzig. Jeder der Hunde war gewillt, für mich sein Leben zu lassen, und einige hatten es auch getan. Sie waren allesamt sterblich, und es bricht mir jedes Mal wieder das Herz, wenn ich einen verliere.
Ich habe keine Ahnung, wie Blade die Tiere mit ihren beso n de ren Eigensch aften aussta ttet (Vampirmagie, ne h me ich an), aber jeder von ihnen ist noch kräftiger, noch … interessanter. Abgesehen von der Tatsache, dass sie eine Art Sicherheitszone für mich schaffen können, konnten die letzten zwölf oder so sprechen. Nicht im herkömmlichen Sinne, sondern auf telepathischem Weg - nur leider nicht nur mit mir, sondern mit sämtlichen Personen im Umkreis von mehreren Metern. Es ist unmöglich, sich dagegen zu wehren, und genauso unmöglich, es jemandem zu erklären. Was ein Problem ist, wenn man sich in einer Menschenmenge befindet. Deshalb habe ich strikte Regeln aufgestellt, wann und wo Valdez seine Meinung kundtun darf.
Blade überrascht mich gern mit seinem Einfallsreichtum. Die letzte Valdez-Version hat sich angehört wie der Chihuahua aus einer bekannten Fastfood-Werbung, der aktuelle klingt nach Schlägertyp. John Travolta in Schnappt Shorty. Gibt es denn keine starken, schweigsamen Helden mehr?
»Hey, wie lange willst du mich noch ignorieren? Ich möchte keine Beschwerden hören, wenn ich gleich das Bein an deinem CD-Player hebe.«
»Okay, okay.« Ich riss die Tür auf und sprang heraus. »Aber beeil dich. Wir sind hier mitten in der Pampa.«
»Als hätte ich das noch nicht bemerkt. Scheint aber alles in Ordnung zu sein.« Er schnüffelte sich zu einem Busch, um sein Geschäft zu erledigen. »Sei so gut und besorg mir an der nächsten Tankstelle Cheetos und Twinkies.«
Typisch. »Wohl eher eine Dose Hundefutter. Erdnussflips und Fertigkuchen sind ungesund für dich.« Ist das zu fassen? Ich glaube, das Vieh frisst dieses Zeug nur, um mich zu quälen. Ich hatte seit 1604 keinen Bissen mehr - zu essen, meine ich, dabei war essen schon damals eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, und heute würde ich glatt dafür töten, wenn ich etwas zu mir nehmen könnte, das wie ein Erdnussflip schmeckt.
»Tja, ich bin eben kein gewöhnlicher Hund, sondern eine Labradoodle-Spezialzüchtung, und ich habe Bedürfnisse. Hast du eine Ahnung, was in diesem Dosenfutter alles drin ist?«
»Cheetos und Twinkies sind trotzdem nichts …«
»Gut, dann besorg mir Pommes und einen Big Mac. Du schuldest mir was. Immerhin musste ich bereits ›Evita‹, ›Das Phantom der Oper‹ und ›Oklahoma‹ über mich ergehen lassen.« Er warf mir einen langen, leidenden Blick zu. »Und du bist nicht gerade Chiquita Rivera, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Chita Rivera«, verbesserte ich ihn. »Chiquita ist die Banane.« Mit Popkultur kenne ich mich aus. Ist heutzutage überlebensnotwendig. Aber ich wusste, was er mir damit sagen wollte. Ich kann tanzen, ich kann schauspielern, aber singen? Man kann nicht alles können.
»Reg dich ab, vierbeiniger Freund, sonst fange ich wieder mit ›We Are The Champions‹ an.« Mein Lieblingssong, und Valdez kann ihn nicht mehr hören. Mehr als einmal hat er versucht, mich und den CD-Player mit seinem Gejaule zu übertönen.
»Ich dachte, du hast es eilig.« Valdez ließ sich mit einem Seufzen auf seinem Platz nieder. Wenn er mir nicht derart auf die Nerven ginge, würde ich die Finger in seinem weichen Fell vergraben und ihn hinter den Ohren kraulen. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich liebe Hunde. Sie sind großartige Gefährten. Normale Hunde jedenfalls. Aber ich würde auf keinen Fall zulassen, dass er noch einmal im Auto Pommes verdrückte. Der Duft, der danach noch tagelangin der Luft gehangen hatte, war die reinste Tortur für mich gewesen.
»Ich hab’s auch wirklich eilig.« Ich wurde bereits paranoid und glaubte hinter jedem Gebüsch einen Vampirjäger mit weit aufgerissenen Augen zu erspähen. Ich legte den ersten Gang ein.
»Dann drück auf die Tube, Blondie. Noch drei Stunden bis Tagesanbruch, und wir übernachten nicht wieder in einem billigen Motel mit steinharten Matratzen. Ich hab mich kundig gemacht - in der nächsten größeren Stadt gibt es mehrere hübsche Hotels, in denen auch Hunde willkommen sind.«
Als würde ich meinem Hund die Wahl des Motels überlassen. Obwohl es durchaus sein konnte, dass er sich wirklich informiert hatte. Ich fragte mich schon lange nicht mehr, was Valdez eigentlich nicht konnte. Er ist teils Hund, teils Computer, eine irre Mischung. Und meldet Blade sämtliche Vorkommnisse, sprich, er ist ein verdammter Spion. Wie er das macht? Keine Ahnung, Gedankenübertragung vermutlich. Mit dem aktuellen Valdez habe ich mich so weit angefreundet, dass ich sicher sein kann, er wird mich nicht verpfeifen, was gewisse Details angeht. Meine Spielleidenschaft zum Beispiel oder die Tatsache, dass ich neulich bis Tagesanbruch unterwegs war und von der Morgensonne beinahe gegrillt worden wäre. Das hat mich eine Schachtel Schokopops gekostet.
Doch ganz gleich, wie sehr mich Valdez zuweilen nervt, ich fühle mich sicher, wenn er am Fußende meines Bettes schläft. Ich vernahm ein Grunzen vom Beifahrersitz. Hab ich erwähnt, dass Valdez meine Gedanken lesen kann? Wenn das nicht nervig ist, was dann?
»Was ist?«
Er warf mir einen vielsagenden Blick zu, und sogleich fühlte ich, wie mich der unsichtbare Schutzmantel einhüllte.
»Ich pass auf dich auf, Kleines. Das ist doch einen kleinen Twinkie-Zwischenstopp wert, oder?«
Ich musste lachen. Diese Stimme in meinem Kopf, diese großen braunen Augen und der wedelnde Schwanz. »Meinetwegen, Schnauzbart.« Wir passierten ein Straßenschild.
»Noch fünfunddreißig Kilometer bis Twinkie-Town.«
Trotzdem warf ich regelmäßig einen Blick in den Rückspiegel. Vampirjäger sind wie tollwütige Bestien, sie lassen nicht mit sich handeln. Sie sind überzeugt, dass Vampire allesamt Dämonen aus der Hölle sind, tagsüber in Särgen schlafen und nachts Jack the Ripper spielen. Von wegen Sarg. Ich ziehe es vor, auf einer Komfortmatratze und Laken aus ägyptischer Baumwolle zu schlafen, mit meinem Wachhund am Fußende.
Ich seufzte und warf einen Blick auf meinen treuen Gefährten, der nun wieder wachsam aus dem Fenster starrte. Blade oder Valdez? Pfff. Zurzeit gab es leider niemanden, der meinem Hund den Platz in meinem Bett streitig machen hätte können.
ZWEI
»Ich bin im Landeanflug. Fahr rechts ran.«
»Bist du verrückt? Jetzt gleich?« Ein Mann wie Blade nimmt es nicht widerspruchslos hin, wenn man einfach auflegt. Ich hätte wissen müssen, dass er aufkreuzen würde. Und es hatte gerade mal eine Stunde und einen Twinkie-Zwischenstopp gedauert, bis er angeflattert kam. Ganz recht, angeflattert. Hab ich erwähnt, dass er seine Gestalt verändern kann?
Kaum war ich auf die Bremse gestiegen, tauchte auch schon ein schwarzer Vogel vor mir auf. Ich wagte nicht, ihn zu ignorieren und weiterzufahren. Wenn sich Blade etwas in den Kopf gesetzt hat, lässt er sich nicht abwimmeln. Und jetzt hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass ich tat, was er befahl. Mein Magen zog sich zusammen. Ich würde nicht klein beigeben. Ich hatte Pläne.
Während ich den Wagen anhielt und den Motor abstellte, verwandelte sich der Vogel in einen Mann. Immer wieder ein Erlebnis, so was. Theoretisch kann ich das auch, praktisch habe ich damit ein kleines Problem. Mir wird schon bei der Vorstellung übel, im einen Moment noch eine Vampirin zu sein und im nächsten ein Vogel, eine Fledermaus oder, Gott bewahre, ein Hund. Wahrscheinlich vor Angst, die Kontrolle zu verlieren. Was ist, wenn ich vergesse, wie man sich zurückverwandelt, und ewig in einem Tierkörper stecken bleibe?
Ich sah auf Valdez, der dämlich grinsend mit dem Schwanz wedelte, als Blade die Fahrertür öffnete, obwohl sie abgesperrt war.
Wie bereits erwähnt, versteht sich Blade wie kein zweiter auf den Einsatz des Whammy. Ehe ich mich versah, war ich ausgestiegen und hatte ihm ohne es zu wollen die Arme um den Hals geschlungen. Nein, nein, nein. Ich schob ihn von mir weg und presste mir die Hände auf die Augen.
»Sieh mich an, Gloriana«, dröhnte Blades tiefe Stimme in meinem Kopf.
»Nein. Lass mich in Ruhe.« Ha. Das nenn ich Willenskraft. Zu dumm, dass ich seinen verlockend männlichen Duft trotzdem nur allzu deutlich wahrnehmen konnte. Ich öffnete die Augen.
Er kniete neben Valdez, kraulte ihm den Kopf und unterhielt sich gedämpft mit ihm. Ich machte gar keine Anstalten zu lauschen, sondern genoss stattdessen seinen Anblick. Typisch Blade, hier in vollem Campbell-Ornat aufzukreuzen, mit Breitschwert und allem drum und dran. Bei seinen Beinen konnte er es sich durchaus leisten, einen Schottenrock zu tragen. Allerdings ist mir schleierhaft, wie er plötzlich in der Tracht seines Clans vor mir stehen kann, wo er doch eben noch ein Vogel war. Und wie er es schafft, sich mit Warp-geschwindigkeit fortzubewegen. Tja, Vampirmagie. Verfehlt nie ihre Wirkung auf mich.
»Wieso trägst du einen Kilt? Läufst du etwa so in deinem Casino rum? Unter ›sich an die Umgebung anpassen‹ verstehe ich etwas anderes, Jerry.«
Valdez verzog sich ins Gebüsch, Blade erhob sich und sah mir ins Gesicht. Seine Haare waren zerzaust. Ich musste sehr an mich halten, sie nicht glattzustreichen.
»Meine Gäste stehen auf dieses Outfit. Sie halten meine Tracht für ein Kostüm. Was kann es Schöneres geben, als einem geizigen Schotten Geld abzuknöpfen?« Er trat näher und ließ den Blick seiner dunklen Augen über mich gleiten. Ich zog mein »Elvis lebt«-T-Shirt straff und wünschte, ich hätte wenigstens die Zeit gehabt, mir die Lippen nachzuziehen.
»Warum bist du bloß so störrisch?«
»Ich bin nicht störrisch, ich möchte nur mein eigenes Leben führen, und nicht deines.« Zum Teufel mit dem Lippenstift. Ich hob das Kinn. »Du kannst doch jede beliebige Gestalt annehmen. Wie wär’s denn mit einem Gorilla? Dann könntest du dir mit den Fäusten auf die Brust hämmern und mich auf deinen Baum schleppen. Aber lass dir eines gesagt sein, King Kong: Sobald du mir den Rücken zukehrst, mach ich die Fliege.«
»Du strapazierst meine Geduld, Gloriana. Du schwebst in Gefahr.«
»Das ist doch nichts Neues. Ich bin - wir sind - doch immer in Gefahr. Jäger kommen und gehen, und auch diesen werden wir überleben.«
»Westwood ist anders.« Blade wandte sich zu Valdez um, der wieder angetrottet kam. Eine Kopfbewegung genügte, und der Hund machte kehrt.
»Lass diesen ganzen …« Er ließ den Blick abschätzig über meinen vollgepackten Kombi und den Anhänger schweifen - »Plunder hier und komm mit.«
»Dieser Plunder ist mein Plunder.« Ich verpasste ihm einen Stoß gegen die breite Brust. Nicht, dass ich damit etwas ausrichten hätte können. Ich bin stark, aber Blade ist der reinste Mammutbaum. »Wirst du je verstehen, wie ich ticke? Ich habe gern meine persönlichen Sachen um mich. Und ich brauche meine Unabhängigkeit. Wenn ich schon ewig lebe« - ich schauderte. Mit meiner Dankbarkeit für dieses kleine Geschenk war es schon seit geraumer Zeit vorbei - »dann auf meine Weise, nicht auf deine.«
»Was ist denn so schlimm daran, wenn du dich in meine Obhut begibst?«, wollte er wissen und legte mir die Hände auf die Schultern. Er dachte wohl, wenn er seinen schottischen Akzent ein bisschen hervorhob, konnte er mich einwickeln. Zugegeben, sein rollendes R ließ mich nicht kalt, aber diese Angelegenheit war mir zu wichtig, als dass ich meiner stets interessierten Libido das Kommando überlassen hätte.
»Al les.«
Er versuchte, mich an sich zu ziehen. Ich sträubte mich. Wir wussten beide, er hätte es erzwingen können, doch er ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zurück.
»Ich bin nicht dein Feind, Gloriana.«
»Doch, das bist du«, flüsterte ich. Und schämte mich doch tatsächlich, als sich seine Miene verhärtete. Ich wusste, es kränkte ihn, wenn ich mich gegen ihn zu behaupten versuchte. Ich hatte ihn abgewiesen. Wieder einmal.
»Versprich mir, anzurufen, wenn du mich brauchst.«
Verschwunden der schottische Akzent. Ich spürte, wie er sich zurückzog, als hätte er sich bereits wieder in einen Vogel ve rwan de ltu n dw äreda vongeflogen.
Ich konnte nicht anders. Ich ging auf ihn zu, schlang ihm die Arme um die magere Taille und lehnte den Kopf an seine Brust. Ich atmete seinen Geruch ein und spürte seinen Atem auf meinem Haar. Er schloss mich in die Arme und hielt mich einfach fest. All diese Jahre, die lange gemeinsame Vergangenheit. Auf meine ganz eigene, verdrehte Weise liebe ich ihn, okay? Ich mag ihn bloß nicht besonders; schon gar nicht, wenn er sein »Ich Highlander, du hilfloses Weib«-Spielchen mit mir spielt.
»Das war’s dann also?«
»Das war’s.« Ich trat zurück und sah zu, wie er sich vor meinen Augen verwandelte, mit einer wirbelnden Bewegung in sich zusammenfiel und schließlich als Rabe mit blauschwarzen Flügeln vor mir erstand. Er krächzte missbilligend, dann flog er in den Nachthimmel davon.
»Musst du ihm immer so zusetzen?« Valdez schob den Kopf unter meine Hand. Ich streichelte seine weichen Ohren.
»Wenn ich mit ihm gegangen wäre, hättest du deinen Job ve rlore n.«
»Damit könnte ich leben.« Er gähnte und sprang in den Wagen. »Gegen ein richtiges Hundeleben hätte ich nichts einzuwenden. Fressen, schlafen, ein paar Katzen jagen. Klingt okay für mich. Ich bin sicher, du würdest mir trotzdem hin und wieder ein paar Cheetos zustecken.«
Ich sah zum beinahe wolkenlosen Nachthimmel hoch, den Tausende von Sternen und ein silberner Mond zierten. Irgendwo dort oben flog ein schwarzer Rabe so rasch dahin, dass nur ein anderes unsterbliches Wesen ihn wahrnehmen konnte. War ich verrückt, weil ich Blade erneut zurückgewiesen hatte? Ich stieg ins Auto und startete den Motor. Gut möglich.
Austin. Endlich. Ich war beileibe nicht zum ersten Mal mit dem Auto unterwegs, aber diese Fahrt konnte man mit Fug und Recht als Höllentrip bezeichnen. Ich liebe meinen alten Kombi, doch vor allem wenn man nachts unterwegs ist, braucht man ein verlässliches Transportmittel mit einem ausreichend großen Benzintank. Sobald ich es mir leisten kann, tausche ich diese Rostlaube gegen ein ordentliches Auto aus.
Erst war in Arizona der Keilriemen flöten gegangen, dann hatte sich kurz nach Roswell mitten in der Wüste der Motor überhitzt, aber das mit Abstand Allerschlimmste war der geplatzte Reifen im westlichen Texas gewesen. Es ist wirklich kein Spaß, eine Stunde vor Sonnenaufgang einen Autoreifen zu wechseln, wenn der Ersatzreifen unter Tonnen von Kram begraben liegt, der sich im Laufe eines (sehr, sehr langen) Lebens angesammelt hat. Da konnten selbst meine Vampirkräfte nicht viel ausrichten. Gott sei Dank waren ein paar hilfsbereite Trucker unterwegs.
Genug gejammert. Austin machte einen einladenden Eindruck. Hügelig mit einem hübschen Capitol. Die Stadt wirkte unerwartet groß auf mich, und selbst um drei Uhr früh herrschte etwas Verkehr auf der Autobahn. Ich konnte Freddys Haus problemlos ausfindig machen. Hausnummern sind schon eine tolle Erfindung.
Sobald ich vor dem zweistöckigen Ziegelbungalow hielt, riss Freddy auch schon die Tür auf. »Glory! Du hast es geschafft.«
»Meine Schrottkarre hat es geschafft, meinst du wohl.« Ich ließ Valdez aus dem Auto und verfolgte, wie er Freddys Büsche markierte, ehe er den Hausherrn unter die Lupe nahm. »Ich bin heilfroh, endlich hier zu sein.«
»Wie ich sehe, hast du nach wie vor einen vierbeinigen Begleiter dabei.« Freddy bückte sich und fixierte Valdez. Die beiden führten eine kurze Unterhaltung von Mann zu Mann, bis sich Freddy wieder erhob, um mich zu umarmen. »Du siehst toll aus.«
»Du auch.« Auch Vampire verändern über die Jahre ihr äu ßeres Erscheinungsbild. Nicht, weil sie altern, sondern weil sie mit der Mode gehen, ihr Haar anders tragen, sich schminken. Freddy hatte den Bogen raus, wenn es um optische Anpassung ging. Wie es sich für eine Universitätsstadt gehört, trug er die Studentenuniform: Jeans und T-Shirt. Ich grinste und deutete auf den Aufdruck auf seinem T-Shirt. Willie Nelson 4th of July Picnic.
»Du machst Werbung für ein Picknick?«
»Ist eine hiesige Tradition. Es fängt erst nach Sonnenuntergang an. Nächsten Sommer musst du mitkommen. Klasse Musik.« Freddy ist groß und schlank und hätte die Liebe meines Lebens werden können, wenn er sich nicht vor ein paar Jahrzehnten geoutet hätte. Tja, Pech. Er war Blade ähnlicher als die beiden jemals freiwillig zugegeben hätten. Stark, dickköpfig und ein richtiger Macho, seiner sexuellen Orientierung zum Trotz. Just in dem Augenblick, als mir der Geruch eines weiteren Vampirs in die Nase stieg, ertönte von drinnen eine heisere Stimme.
»Gloriana, Liebes, komm rein und lass dich drücken«, rief Freddys Mutter, Gräfin Cecelia Hapsburg von Repsdorf. Sobald sie erfahren hatte, dass ihr Sohnemann zum Vampir geworden war, hatte sie es ihm nachgetan. Es konnte schließlich nicht angehen, dass er bis in alle Ewigkeit ohne ihren mütterlichen »Rat« auskommen musste.
»CiCi.« Ich tauchte in eine Wolke ihres selbst zusammengebrauten exotischen Parfüms ein und schmiegte mich an ihre weiche Wange. So verharrte ich einen Augenblick und sog genüsslich den exquisiten Duft ein.
An meine eigene Mutter erinnere ich mich nur vage - und auch nicht besonders gern. Sie hatte mir den Rücken gekehrt und mich meinem Schicksal überlassen, nur weil ich mich in einen Schauspieler verliebt hatte. Auch sonst hatte ich ihr kaum je etwas recht machen können. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was sie gesagt hätte, wenn ihr zu Ohren gekommen wäre, dass ich unter die Vampire gegangen bin.
CiCi war die Mutter, die ich mir immer gewünscht hatte - warmherzig und liebevoll, nicht gefühlskalt und kategorisch … Okay, Letzteres nehme ich zurück. Sie hielt mich auf Armeslänge von sich und betrachtete mich.
»Du siehst ja fürchterlich aus, Schätzchen. Was hast du nur mit deiner Haut angestellt? Ist das etwa künstliche Bräune?«, rief sie entsetzt. »Steh zu dem, was du bist, Gloriana! Du solltest blass und ätherisch aussehen! Dagegen muss ich auf der Stellee twasun terne h me n.«
»Lass Glory doch erst einmal Platz nehmen, Mutter.« Freddy griff nach Valdez’s Halsband. »Und begrüß ihren neuesten Begleiter. Valdez, nehme ich an?«, fragte er mich.
»Ganz recht.« Zu meiner Erleichterung wedelte der Hund mit dem Schwanz. Man weiß nie, wie Tiere auf CiCi reagieren. Ihr ungewöhnliches Parfüm und ihre laute Stimme haben schon so manchen meiner Wachhunde in die Flucht geschlagen. Nicht etwa, weil sie eine Gefahr für mich darstellt, sondern aus reiner Furcht um sich selbst. Der aktuelle Valdez allerdings schien Feuer und Flamme für CiCi zu sein und gab zur Abwechslung keinen Ton von sich.
»Meine Güte, was für ein Hüne.« Freddys Mutter beugte sich über Valdez, um ihm den Kopf zu tätscheln und ihn eingehend zu betrachten. »Hervorragend. Du brauchst einen Beschützer, nachdem du dich rundheraus weigerst, mit Jeremiah zu leben.«
Jeremiah, Jeremy, Blade. Derlei bekam ich regelmäßig von CiCi zu hören. »Hör bloß auf, CiCi. Jerry und ich kommen sehr gut ohne einander aus.« Ich wandte mich an Freddy. »Wo ist Derek?«
»Unterwegs.« Freddy schnitt eine Grimasse, dann deutete er zur Tür. »Soll ich deine Sachen reinbringen? Zumindest das, was du vor dem Schlafengehen benötigst?«
»Gern, danke. Meine Reisetasche steht auf dem Rücksitz. Den Rest holen wir später.« Ich sah Freddy nach, der sogleich zum Wagen ging.
»Er ist schlecht gelaunt«, wisperte CiCi. Es ging also auch leiser. »Derek ist auf der Jagd. Er weigert sich, damit aufzuhören.«
»Trotzdem sind sie noch zusammen.«
»Oh, ja. Abgesehen von dieser kleinen Differenz haben sich die beiden von Herzen gern.« CiCi führte mich in das gemütliche Wohnzimmer, das angefüllt war mit Antiquitäten, wie ich sie liebe. Ich brachte meine Begeisterung auch gleich zum Ausdruck, sehr zu CiCis Freude.
»Ja, ich umgebe mich gern mit schönen Dingen. Frederick hat erwähnt, dass du einen Antiquitätenladen eröffnen willst. Gute Idee. Wer würde sich besser damit auskennen als ein Vampir?«
Ich fuhr mit den Fingerspitzen über ein wunderschönes Büffet aus Streifenahornholz, das mit Porzellannippes vollgestopft war. »So etwas konnte ich mir früher leider nicht leisten … Vielleicht kannst du mir ja helfen.« CiCi hob erstaunt die Augenbrauen. »Nicht im Laden, meine ich. Aber vielleicht darf ich dich gelegentlich um Rat fragen?«
»Selbstverständlich, sehr gern sogar. Kann auch sein, dass ich mich von dem einen oder anderen Stück trenne.« Sie deutete mit der Hand auf ihr geschmackvoll eingerichtetes, aber proppenvolles Wohnzimmer. »Frederick meint, ich hätte viel zu viel Kram.«
»Nicht so viel wie ich. Es war eine Heidenarbeit, meinen ganzen Krempel in den Wagen und den Anhänger zu verladen. Dabei ist mir dann auch die Geschäftsidee gekommen. Jetzt bin ich bereit, einiges zu verkaufen.« Ich fuhr herum, weil die Tür krachend ins Schloss fiel, und Valdez knurrte. Freddy erschien mit meiner Tasche auf der Bildfläche, gefolgt von seinem Freund. Derek erinnert einen an Hugh Jackman in The Boy From Oz. Zum Anbeißen. Ich erkannte ihn sofort. Freddy hatte mir Fotos von ihm gemailt.
Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass man Vampire nicht fotografieren kann. Die Sache mit den Spiegeln stimmt allerdings und ist ziemlich lästig für Vampire wie mich, die Wert auf gutes Aussehen legen. In Vegas hatte ich mich immer von einer der anderen Tänzerinnen schminken lassen. Sie war es auch gewesen, die mir den Selbstbräuner ans Herz gelegt hatte. Inzwischen fand ich die Idee selbst nicht mehr so toll.
Wenn CiCi eines ist, dann modebewusst. Sie hatte sich das schwarze Haar nach hinten frisiert, sodass ihr makelloser, blasser Teint und ihre hohen Wangenknochen gut zur Geltung kamen. Ihr saphirblauer Hosenanzug passte perfekt zu ihrer Augenfarbe und schmeichelte ihrer zierlichen Figur. Ich bin bloß eins achtundsechzig groß, aber neben CiCi komme ich mir riesengroß und unförmig vor.
Freddy und Derek unterhielten sich flüsternd. Dank meines exzellenten Gehörs verstand ich natürlich trotzdem jedes Wort. Freddy war wütend, weil Derek in der Nähe der Studentenwohnheime auf die Jagd gegangen war.
»Du hast dich doch hoffentlich aus seinen Erinnerungen gelöscht, oder?«
Derek schüttelte Freddys Hand ab. »Klar! Für wie dämlich hältst du mich? Nun hör schon auf damit. Es war total harmlos. Stell mich lieber deiner Freundin Gloriana vor.«
Ich streckte ihm lächelnd die Hand hin. »Meine Freunde nennen mich Glory. Freut mich, dich kennenzulernen.« Oh, Gott, Derek roch nach frischem Blut. Wie lange war es her, dass ich mir gestattet hatte, in einen zarten jungen Nacken zu beißen? Als mir der Duft in die Nase stieg, schwoll sogleich das Zahnfleisch über meinen Fangzähnen an. Gaaanz ruhig, Glory.
Freddy ballte die Fäuste. »Da siehst du, was du uns antust, wenn du nach Hause kommst und nach frischem Blut riechst. Du bringst Glory noch in Versuchung, auf die Jagd zu gehen.«
»Keine Sorge, Freddy. Alles bestens.« Jedenfalls sobald ich eine Bloody Merry gekippt hatte. Ganz recht, Merry, nicht Mary. Kein Tomatensaft, so n de rn syn the tischhergestelltes Blut in Dosen. Hat ein Vampir in den Fünfzigerjahren erfunden; die Neunzehnhundertfünfziger, meine ich. Heutzutage kann man es über das Internet beziehen. Merrymealsdotcom. Die Sterblichen halten Bloody Merry für einen EnergyDrink, und angeblich ist es bei deprimierten Hausfrauen sehr beliebt. Es putscht tatsächlich auf, allerdings nicht wie echtes Blut.
Derek stand nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Ich blähte noch einmal die Nasenflügel. Oh, Mann, nichts wie weg von diesem köstlichen Aroma, sonst musste ich aus dem Haus stürmen und mich auf den nächstbesten warmen Körper stürzen.
»Tut mir leid, Glory.« Derek warf Freddy einen »Fahr zur Hölle«-Blick zu. »Aber die Jagd liegt eben in unserer Natur. Warum sollen wir dagegen ankämpfen? Ich führe dich gern ein bisschen rum, wenn du möchtest. Die Studenten hier sind richtige Prachtexemplare. Jung und gesund, wenn man sich von den Junkies und bestimmten Studentenverbindungen fernhält. Wir könnten zur Guadalupe Street oder in die Bücherei …«
»Schluss jetzt, Derek.« CiCi ließ sich auf einem smaragdgrünen Art-déco-Sofa mit Samtbezug nieder. Valdez rollte sich zu ihren Füßen zusammen und himmelte sie an. Verräter. Er sah zu mir und klopfte mit dem Schwanz auf den orientalischen Teppich. Schamloser Verräter.
»Können wir uns nicht wie zivilisierte Leute unterhalten? Gloriana ist gerade erst angekommen. Du wolltest doch nicht ernsthaft auf die Jagd gehen, oder, Gloriana?«
»Nein, mir geht es gut.« Besser gesagt, es würde mir gut gehen, sobald ich mich mit einer meiner leuchtend grünen Dosen häuslich niedergelassen hatte. Ihr hättet auf eine rote Verpackung getippt? Fehlanzeige. Zu offensichtlich.
»Ah, da kommt Sheba.« CiCi sah auf Valdez hinunter. »Du wirst sie schön in Ruhe lassen, mein Lieber. Anderenfalls ist dein Aufenthalt hier nur von kurzer Dauer.«
Valdez sprang entgeistert auf, als eine wunderschöne graue Katze mit strahlend blauen Augen hereinspazierte. Sie musterte mich, befand mich offenbar für uninteressant, und marschierte geradewegs auf meinen Hund zu.
»Vielleicht sollte ich doch lieber in ein Hotel ziehen, CiCi.« Sollten hier gleich die Fetzen fliegen, würde es morgen garantiert eine Katzenbeerdigung geben.
CiCi legte Valdez eine Hand auf den Kopf. »Du wirst meiner Sheba kein Haar krümmen.«
Ganz recht, man kann den Whammy auch bei Tieren einsetzen. Trotzdem zitterte Valdez förmlich vor Empörung und hätte Sheba offensichtlich am liebsten mit einem einzigen Bissen verschlungen, als sie sich nun an ihn heranstahl und den Kopf an seiner Brust rieb. Ich ermahnte ihn gedanklich, cool zu bleiben, doch das war gar nicht nötig, denn zu meiner Erleichterung erklomm Sheba CiCis Schoß, und Valdez legte sich wieder unserer Gastgeberin zu Füßen.
»Setzt euch doch! Und du, Gloriana, erzähl uns von deinen Plänen.«
Ich ließ mich auf der Kante eines Ohrensessels mit gestreiftem Seidenbezug nieder, möglichst weit von Derek entfernt. Auf seinem Unterarm erspähte ich eine Tätowierung - ein recht modern wirkendes Spinnennetz. Er konnte also noch nicht allzu alt sein. Kein Wunder, dass er noch so wild aufs Jagen war. Alles starrte mich an. Ach, richtig. Meine Pläne.
»Ich möchte einen Laden mit dem Namen Vintage Vamp’s Emporium eröffnen.«
CiCi lächelte. »Nicht übel, meine Liebe.«
»Du gibst ganz offen zu, dass du ein Vampir bist?« Derek stand noch in der Gegend herum. Konnte wohl nicht stillsitzen wegen der belebenden Wirkung des Blutes, das er gerade getrunken hatte. Nein, ich vermisste es nicht.
»›Vamp‹ war in den 1920er-Jahren, den Roaring Twenties, ein Synonym für ›Femme fatale‹. Heutzutage würde man wohl ›scharfe Braut‹ sagen.« Freddy, der sich über seinen Lebensgefährten sichtlich ärgerte, rang sich ein Lächeln ab. »Du hättest Glory sehen sollen. Sie war in ihrem Element, nicht wahr, Mutter? Niemand tanzt den Charleston wie Gloriana St. Clair.«
»Ach so, verstehe.« Derek ging zu ihm und legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. Immerhin, Freddy schüttelte sie nicht ab. »Cooles Wortspiel.«
»Fand ich auch.« Ich lockerte meine Schultern. »Entschuldigt, Leute, aber findet ihr es sehr unhöflich, wenn ich jetzt ins Bett gehe? Ich war die ganze Nacht auf Achse.«
»Wie gedankenlos von uns!« CiCi warf einen Blick auf die vergoldete Marmoruhr auf dem Kaminsims. »Kein Wunder, dass du müde bist, in nicht einmal einer Stunde geht die Sonne auf. Frederick, bring Gloriana auf ihr Zimmer und sorg dafür, dass sie alles hat, was sie braucht.«
»Vielen Dank, dass ich mich bei euch einquartieren darf, CiCi. Morgen Abend bin ich hoffentlich etwas geselliger.« Freddys Mutter lächelte und winkte zum Abschied. Valdez folgte mir nach draußen. Ich hatte schon jetzt das Gefühl, für beengte Verhältnisse im Haus zu sorgen, das mit CiCis Möbeln und Nippes und drei Bewohnern bereits ziemlich voll wirkte. Da war für mich und Valdez kaum Platz. Ich musste mir möglichst bald eine andere Bleibe suchen.
Freddy nahm meine Tasche und deutete auf die Treppe. »Ich habe schon alles vorbereitet. Du wirst auf jeden Fall hierbleiben. Das ist überhaupt kein Problem. Allein zu wohnen wäre zu gefährlich für dich.«
»Hör auf, meine Gedanken zu lesen. Das ist unhöflich«, wies ich ihn zurecht. »Ich will meine Energie nicht darauf verschwenden müssen, dich zu blockieren.«
»Als könntest du das.« Er blieb an der offenen Tür zu einem entzückenden Zimmer stehen, in dem ich ein Himmelbett erspähte. Vor den beiden Fenstern hingen schwere Vorhänge, auf dem Bett lag eine hübsche alte Quilt-Decke.
»Okay, meine telepathischen Fähigkeiten lassen etwas zu wünschen übrig. Dafür habe ich andere Talente.«
Freddy tätschelte meine Hand. »Allerdings. Schauspielerin, Tänzerin, und demnächst auch noch Ladenbesitzerin. Ich glaube, ich weiß da die perfekte Immobilie für dich. Wir könnten sie uns morgen Abend mal ansehen.« Er wandte sich zu Valdez um, der eben hereintrottete. »Gut, dein Beschützer ist auch hier. Versprich mir, dass du keinen Schritt ohne ihn tust, wenn ich nicht da bin.«
»Du klingst wie mein Ex. Blade meinte, er hätte mit dir geredet.«
»Ja, er hat mir das von MacTavish erzählt«, bestätigte er mit grimmiger Miene. »Dieser Westwood ist nicht der einzige Jäger in der Gegend. Am selben Tag, an dem er Blade in Lake Charles angegriffen hat, wurden in Houston zwei Vampire getötet.«
Ich schauderte. Houston? Das war keine drei Autostunden von hier entfernt! »In Austin aber doch hoffentlich nicht?«
»Nein, hier nicht. Aber wir sollten vorsichtshalber nicht allein aus dem Haus gehen. Du kannst dich nicht ausschließlich auf deine Promenadenmischung verlassen.«
»Immer langsam, Mann. Blondie ist bei mir absolut sicher.« Die »Promenadenmischung« hatte inzwischen ausgiebig das Zimmer erkundet und machte es sich nun auf dem Fußende des Bettes gemütlich.
»Ah, du sprichst ja wieder.« Ich zupfte ihn am Ohr. »Kompliment für deine Selbstbeherrschung vorhin mit Sheba.«
»Ich weiß auch nicht, was da über mich gekommen ist.« Er blickte nach rechts und links. »Aber wenn das Miezekätzchen vorhat, in diesem Zimmer zu schlafen, kann ich für nichts garan tieren.«
Freddy lachte. »Lass das bloß nicht Mutter hören. Und das ist dein Wachhund?«
»Jawohl. Er hat unterwegs gut auf mich achtgegeben. Einmal musste ich seinetwegen sogar ein extradickes Trinkgeld zahlen. Valdez hat einer Putzfrau, die tagsüber versuchte, ins Zimmer zu kommen, einen riesigen Schreck eingejagt.«
»Ganz recht. Niemand kommt an Glory ran, während sie schläft.«
Ich tätschelte ihm lächelnd den Schädel. »Ich habe seine ›bösartige Attacke‹ gegen die Reinigungskraft natürlich verschlafen und musste wohl oder übel dem Typ am Empfang glauben, der behauptet hat, die Putzfrau sei kreischend über den Hinterhof gerannt und beinahe in den Pool gefallen. Ich habe keinen Ton gehört.« Ein Vampir schläft eben im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Toter. Valdez hat durchaus seine Dasei ns be rech tigu ng.
»Genau das meine ich, Glory.« Freddy ignorierte das »Wuff!«, das mein Hund von sich gegeben hatte. »Der Kläffer ist sterblich, und Westwood wird nicht zögern, einen bellenden Hund kaltzumachen.«
»Davor beiße ich ihm aber mindestens einen Arm ab, Klugsch…«
»Valdez!« Ich umarmte Freddy noch einmal. »Keine Sorge, ich bleibe. Vorerst jedenfalls. Danke.« Ich sah zu ihm hoch. »Und sei nachsichtig mit Derek. Wir waren am Anfang doch auch nicht anders. Es dauert Jahrhunderte, sich die nötige Selbstbeherrschung anzutrainieren und sich die Jagd abzugewöhnen. Er ist ganz offensichtlich ein gutes Stück jünger als wir.«
»Stimmt, aber er ist leichtsinnig und damit ein Risiko für uns alle.«
Damit hatte er zweifellos Recht. Ich schwieg. Freddy fuhr sich mit der Hand durch das dichte schwarze Haar. CiCi konnte sich über das Äußere ihres Sohnes wirklich nicht beklagen. Vornehme Blässe und dazu strahlend blaue Augen, mit denen er sein Gegenüber geradezu hypnotisieren konnte, wenn man zu lange hineinblickte. Und er sah nicht nur gut aus, er war auch sexy. Ich hätte ihn nicht von der Bettkante gestoßen, wenn er auch nur das geringste Interesse an mir signalisie rth ä tt e.
»Sehr liebenswürdig, meine Süße.«
»Verdammt, hör auf, meine Gedanken zu lesen!« Ich wäre errötet, wenn durch meine Adern noch ausreichend Blut geflossen wäre. Rasch holte ich eine Dose Bloody Merry aus der Tasche und öffnete sie. Je älter ich werde, desto seltener bin ich darauf angewiesen, aber der Geruch an Derek vorhin … Ich nahm einen Schluck und seufzte. »Es ist einfach nicht dasselbe.«
»Wem sagst du das.« Freddy nahm mir die Dose aus der Hand und genehmigte sich einen großen Schluck, ehe er sie mir zurückgab. »Gib Bescheid, wenn du Nachschub brauchst. Mutter hat ungefähr fünfzig Kisten eingelagert. ›Für Notfälle‹. Sie vertraut dem Internet noch immer nicht.«
»Wer tut das schon?« Ich setzte mich aufs Bett und sah zu,
Titel der amerikanischen Originalausgabe REAL VAMPIRES HAVE KURVES Deutsche Übersetzung von Ursula C. Sturm
Deutsche Erstausgabe 05/2009 Redaktion: Babette Kraus
Copyright © 2008 by Gerry Bartlett Copyright © 2009 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagillustration: Natascha Römer, Die Kleinert
www.heyne-magische-bestseller.de
eISBN : 978-3-641-03260-9
Leseprobe
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