Edgar Allan Poe's Phantastische Bibliothek - Folge 1: Grausame Städte - Markus K. Korb - E-Book

Edgar Allan Poe's Phantastische Bibliothek - Folge 1: Grausame Städte E-Book

Markus K. Korb

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Beschreibung

Wenn das Licht des Tages stirbt und sich das Totenhemd der Nacht auf Pflastersteine und Asphaltstraßen herabsenkt, geht ein Raunen durch alte Ziegelmauern. Es ist die Zeit des Zwie-lichts, in welcher die Gebäude im Mondlicht zu träumen beginnen... Die schiefen Palazzi von Venedig flüstern einander längst vergessene Geheimnisse zu. In den verfallenen Häuserblocks von Berlin ertönt ein Wispern. Beide Städte erzählen dem Leser unheimliche Geschichten. Grotesk, bizarr, durchwoben von Schmerz und Angst... Markus K. Korb führt den Leser durch düstere Labyrinthe aus Gassen und Hinterhöfe, bis hinein in die modrigen Herzen von Venedig und Berlin. Beide Städte sind Schauplätze phantastischer Ereignisse, welche von der Gegenwart bis in archaische Zeiten hinabreichen. Dorthin, wo fleischlose Schädel ihre ewig bleckenden Zähne entblößen. Das Buch enthält 8 Erzählungen, wovon jeweils 4 einem Städte-Zyklus zugeordnet sind. Abgerundet wird der Band durch ein Nachwort der Preisträgerin des Deutschen Phantastik Preises, Eddie M. Angerhuber. Die Kurzgeschichte DER SCHLAFGÄNGER wurde 2004 mit dem DEUTSCHEN PHANTASTIK PREIS für die beste Kurzgeschichte des Jahres ausgezeichnet.

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2025

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In dieser Reihe bisher erschienen:

01 Grausame Städte Markus K. Korb

02 Spuk des Alltags Alexander M. Frey

03 Cosmogenesis Jörg Kleudgen

04 Die weissen Hände Mark Samuels

05 Haschisch Oscar A.H. Schmitz

06 Grausame Städte 2 Markus K. Korb

Grausame Staedte

Edgar Allan Poe's Phantastische Bibliothek

Buch Eins

Markus K. Korb

Copyright © 2003, 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Logo und Reihenlayout © 2025 Mark Freier

Coveridee und KI generierter Entwurf: Alex Turek

Digitales Cover-Artwork inkl. KI generierter Stock-Fotos: Mark Freier

Satz: Gero Reimer

Copyright „Carnevale a Venezia“

1999 by Gerald Meyer Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

www.blitz-verlag.de

e801 V1 17.12.2024

ISBN: 978-3-68984-244-4

Inhalt

Vorwort

Danksagung

Der Venedig-Zyklus

Concetta

Carnevale a Venezia

Das Ikarus-Prinzip

Insel der Gräber

Der Berlin-Zyklus

Insomnia

Der Schlafgänger

Wir alle sehen besser aus in Schwarz & Weiß

Tief unten

DIE MORIBUNDEN STÄDTE DES MARKUS K. KORB

Vorwort

Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek

Die Buchreihe ist dem amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe und seinem literarischen Andenken gewidmet. Innerhalb der Reihe erscheinen sowohl internationale wie auch nationale Autoren, deren Werke einen inneren Bezug zu Poes Ideenwelt haben. Sie greifen z.T. Poesche Motive auf und variieren diese, erschöpfen sich aber nicht in bloßen Nachahmungen, sondern besitzen Eigenständigkeit und Originalität; sie sind innovativ und entwickeln die Phantastische Literatur fort.

Innerhalb der Reihe werden auch ältere Werke der deutschsprachigen Phantastik erscheinen, welche entweder kaum oder nur sehr schwer dem Kenner und Liebhaber des Genres zugänglich sind.

Markus K. Korb (Autor und Herausgeber)

Wenn das Licht des Tages stirbt und sich das Totenhemd der Nacht auf Pflastersteine und Asphaltstraßen herabsenkt, geht ein Raunen durch alte Ziegelmauern. Es ist die Zeit des Zwielichts, in welcher die Gebäude im Mondlicht zu träumen beginnen… Die schiefen Palazzi von Venedig flüstern einander längst vergessene Geheimnisse zu. In den verfallenen Häuserblocks von Berlin ertönt ein Wispern. Beide Städte erzählen dem Leser unheimliche Geschichten. Grotesk, bizarr, durchwoben von Schmerz und Angst… Markus K. Korb führt den Leser durch düstere Labyrinthe aus Gassen und Hinterhöfe, bis hinein in die modrigen Herzen von Venedig und Berlin. Beide Städte sind Schauplätze phantastischer Ereignisse, welche von der Gegenwart bis in archaische Zeiten hinabreichen. Dorthin, wo fleischlose Schädel ihre ewig bleckenden Zähne entblößen.

„Terror is not of Germany – it’s of the soul.“

Edgar Allan Poe

„Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“

Franz Kafka

„Die älteste und stärkste menschliche Gefühlsregung ist die

Angst, und die älteste und stärkste Art von Angst ist

die Angst vor dem Unbekannten.“

Howard Philipps Lovecraft

Danksagung

Für Moni, Philipp und Lisa – ihr wisst am besten, warum ;-) Eure liebevolle Zuneigung ließ dieses Buch erst möglichwerden!

Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern – ihr wart immer fürmich da!

Gewidmet auch allen Menschen, die über die Jahre fest an mich geglaubt haben und von denen manche vielleicht gar nicht wissen, dass es dieses Buch gibt.

… habt Dank – wo immer ihr auch sein mögt!

Markus K. Korb im Februar 2003

Der Venedig-Zyklus

Concetta

Ich kann sie fühlen, Concetta! Sie kommen, um uns zu holen. Sie werden uns trennen – es gibt keinen Ausweg… nein, nein! Ihre nasse Gier kriecht schon aus dem Kanal, umspült die Anlegestelle und spritzt wie ätzender Geifer auf die Steintreppen. Wir haben nicht mehr viel Zeit für uns…

Aber du? Du liegst ruhig da, Concetta, drapiert in dein Hochzeitskleid, umgeben von Rosen und weißen Satinkissen. Der köstliche Duft deiner Haut schwebt als unsichtbarer Hauch durch die stickige Kammer. Deine Hände scheinen das weiche Tuch des Bettes kaum zu berühren, so sanft liegen sie auf. Man könnte fast meinen, die Fingerkuppen würden knapp über dem Laken schweben.

Ich sitze nackt zu deinen Füßen und streiche mit zitternden Fingern über deine Schenkel. Ich zucke kurz zusammen. Es fühlte sich für einen Moment so an, als ob sich Myriaden von winzigen Lebewesen unter der Hautoberfläche winden würden, doch das war sicher nur eine Täuschung der Sinne, ausgelöst durch meine Erregung oder durch das Opiat, das ich in Rotwein aufgelöst trinke, so wie es mir der Arzt vor Jahren empfahl.

Du kennst mein Leiden, Concetta. Es ist nicht körperlicher Natur, nein – ich leide an dir! Ich tat es schon immer und so tue ich es auch noch jetzt! Mein Begehren ist so groß, dass es die Grenze überwand, die das Immaterielle von der Welt der Dinge trennt und einen Weg fand, dein Herz zu erobern. Für immer zu erobern.

Und nun liegst du hier, Concetta, in unserer Hochzeitsnacht in einem Palazzo in Venedig, ein wenig abseits des Canale Grande, wo die Wellen der Lagune sanft gegen die Fassaden anbranden – wie Hände, die zu unserer geheimen Heirat verhalten applaudieren. Dein Gesicht ist mit dem Wenigen, das wir haben, geschminkt, ein Lächeln umspielt deine Lippen. Du lächelst, du lächelst immer. So bist du Concetta, du kannst gar nicht anders!

Dieses Lächeln war es auch, das mich auf dich aufmerksam gemacht hat, weißt du noch? Damals – auf dem Markusplatz im Regen? Als ich dich sah, wie du mit nassen Haaren in Richtung Campanile ranntest? Du suchtest Schutz vor der Nässe und fandest einen Beschützer in mir, meine Concetta! Seit diesem Tag habe ich dich keine Minute aus den Augen gelassen, das weißt du noch, oder? Sicher!

Ich folgte dir, wohin du auch gingst – wie bitte? Lauter! Das war nicht in Ordnung, sagst du? Ach so, ich verstehe: Du hattest Angst. Du fühltest dich verfolgt. Aber jetzt ist alles anders, oder? Jetzt hast du doch verstanden, worum es mir ging. Ich wollte, dass dir kein Leid angetan wird! Gerade in unserer heutigen Zeit, in der es von Psychopathen nur so zu wimmeln scheint, ist es wichtig, einen Beschützer zu haben. Hast du nicht gelesen, wie viele Halbstarke durch die Straßen schleichen – von Drogen berauscht, immer auf der Suche nach Geld. Pervers!

Da lobe ich mir unsere Liebe. Sie war ja so rein, schon vom ersten Augenblick an. Nie habe ich dich berührt, geschweige denn in unsittlicher Weise. Stundenlang stand ich unter deinem Fenster und lauschte den Gesängen der venezianischen Nacht. Tagelang lief ich hinter dir die Straßen entlang, jeden deiner Schritte überwachend. Und wärest du gestrauchelt – ich hätte dich auffangen können… eine Wonne wäre es gewesen, dich endlich zu berühren.

Eine Berührung, ja, das ist es, wonach es mich nun dürstet. Darf ich? Sehr schön, ich vergöttere dich.

Aber – was war das?

Concetta, Licht meiner grauen Tage in dieser Kammer, an deren Decke nachts die Lichtreflexe des Kanals miteinander Fangen spielen. Hast du das gehört? Nein? Gar nichts?

Seltsam, mir war so, als hätte ich ein Geräusch gehört. Unten, ganz unten…

Es wird wohl nichts gewesen sein. Falls doch, müssen wir nicht ängstlich sein, denn ich habe einen Keil zwischen Tür und Türsturz geklemmt und eine brennende Kerze darauf gestellt. Sie wird uns warnen, sollten sie versuchen unsere Zweisamkeit zu stören.

Ich zupfe einen Staubkrümel von deinem Kleid und frage mich, was wohl geschehen wäre, hättest du mir nicht an diesem Abend vor dreizehn Tagen die Tür geöffnet und mich hereingebeten? Mein Leben wäre weiterhin im Schatten deiner Existenz verlaufen. Ein furchtbarer Gedanke, obgleich ich damit hätte leben können, da du es ja warst, die mir wahres Leben verhieß!

Was war mein Leben denn vorher? Nichts als ein kriechendes Dahinvegetieren im Zwielicht eines regnerischen Tages. Ein Umherirren zwischen den glänzend nassen Grabsteinen auf der Friedhofsinsel San Michele – die glitschig-moosigen Engelsstatuen umarmend, zwischen denen mich der Küster der Kapelle als Baby einst fand und die meine einsame Jugend als stumme Geschwister begleitet hatten.

Doch die Einsamkeit hat ja nun ein Ende, dank dir, meine Concetta. Kannst du dich erinnern? Ich hatte mich endlich an einem dieser seltenen Tage, an denen das Licht der Sonne nicht nur meine Netzhaut, sondern auch das Gehirn erreicht, überwunden, dir von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, und glaube mir – das war alles andere als einfach für mich! Ich bin ja ein schüchterner Junge…

Liegst du auch bequem? Ja? Gut. Nichts ist schlimmer, als eine Stellung einzunehmen, die irgendwann, vielleicht in ein paar Jahren erst, zu einem schmerzhaften Leiden führen kann. Glaube mir, das ist schrecklich! Das Bett, in welches mich der Küster brachte, war die unterste Schublade einer venezianischen Kommode. In den ersten zehn Jahren meines Lebens war es nicht so schlimm – doch ich wuchs und wuchs, während die Ausmaße der Schublade gleich blieben. Jede Nacht war ein Alptraum aus Schmerz und Zorn! Jetzt verstehst du, warum ich so schief gewachsen bin!

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: bei unserer Begegnung. Nun… vor diesem Tag hatte ich dir ja Hunderte von Blumen schicken lassen, zusätzlich mindestens ein Dutzend Liebesbriefe, aber nie hast du mir geantwortet.

Doch jetzt weiß ich, warum du so furchtbar böse reagiertest. Du hast nur mit mir gespielt! Kokettiert hast du, das war es, ich verstehe dich jetzt viel besser. Nur damals konnte ich das alles nicht wissen! Ich war damals sehr verärgert! Wütend war ich – auf dich, auf die Welt, auf Gott! Auf alles!

Das war auch der Zeitpunkt, als ich mir das Muskelrelaxans und die Spritze von meinem Vater besorgte. Doch alles der Reihe nach!

Ich war also zu dir gegangen und hatte mich als Blumenbote ausgegeben. Nichts ahnend hast du die Tür geöffnet. Das war eine Überraschung, als ich plötzlich vor dir stand!

Du warst so verblüfft, dass du vor Freude gar nichts sagen konntest. Ich betrat deine Wohnung, diese Wohnung hier, und wusste sofort, dass ich nie wieder weg wollte. Deine Reaktion auf mein Auftauchen beschäftigt mich noch heute! Kannst du mir noch einmal erklären, warum du diese seltsam harten Worte gebrauchtest?

So – du warst also unsicher bei unserer ersten Begegnung. Das passt ja wunderbar zu mir, ich bin doch auch so schüchtern. Aber im Gegensatz zu dir werde ich nicht so ausfällig! Vor allem, nachdem ich dir sagte, dass ich es war, der die Blumen schickte, hättest du ruhig etwas milder gestimmt sein dürfen!

Aber ich bin nicht nachtragend. Du hast dich ja entschuldigt, ich weiß, ich weiß! Ich soll nicht immer auf den negativen Seiten unserer Beziehung herumhacken. Aber wenn’s doch so war? Nimm’s hin! Siehst du, ist doch gar nicht so schwer, den Mund zu halten. Frauen müssen wissen, wann sie ihren Mund zu öffnen haben und wann sie lieber schweigen sollten. Sei froh, dass ich dein Lehrmeister in diesen Dingen war und nicht ein anderer! Der wäre anders mit dir umgesprungen, glaube mir! Ich kenne die Strafen für Ungehorsam – wenn ich wieder einmal die aufgebahrten Menschen in der Friedhofskapelle berührt hatte (nachdem der Leichenbestatter gegangen war, den ich stets gerne bei seiner schwierigen und kunstvollen Arbeit beobachtete), auf eine anzügliche Art und Weise berührt hatte, so wie man die Toten nicht anfassen darf, da hat mich meine Stiefmutter auch immer streng bestraft! Zu Recht, denn ich hatte ganz schlimme Dinge mit den Aufgebahrten getan – doch sie waren so schön kühl…

Sie fanden es auch gar nicht schlimm, sagte ich dann immer, wenn man mich erwischt hatte. Aber es war dennoch falsch, erwiderte meine Mutter immer. Dann musste ich nächtelang nackt auf den Steinplatten des Kellers liegen. Und dort war man ganz nahe bei ihnen – im verschlossenen Nebenraum lagen die Aufgebahrten. Wenn ich den Atem anhielt, konnte ich sie flüstern hören. Ja, Concetta, sie flüsterten einander zu. Sie redeten über viele unsaubere Dinge, musst du wissen…

Aber ich komme vom Thema ab. Du warst abweisend zu mir, als ich vor deiner Tür stand. Du fauchtest wie eine Katze. Aber ich vergalt nicht Gleiches mit Gleichem. Ich hatte Geduld. Ganz langsam. Ganz behutsam ging ich bei deiner Eroberung vor. Leider musste ich bei meiner heißen Umarmung die Unverletzlichkeit deines Körpers antasten, doch du nahmst diese Winzigkeit des Stiches kaum wahr.

Weißt du noch, wie dein Blick glasig wurde, als sich das Relaxans in Sekundenbruchteilen in deinem Blutkreislauf verteilt hatte und zu wirken begann? Jeder Muskel in deinem Körper erschlaffte und du sacktest unbeweglich zusammen. Selbst deine Augäpfel konntest du nicht mehr drehen. Dann hatte ich dir mein geplantes Vorgehen kurz erklärt – du widersprachst mir mit keiner Regung. Nachdem ich die Natronsäcke geholt und in die Badewanne entleert hatte, zog ich dich aus und legte dich auf den Stubentisch.

Hier, ja – ich fühle es jetzt im Moment mit meinen Fingern – hier ist die rote Linie an der rechten Seite deines Alabasterkörpers. Sie ist das Einzige, das von meinem Eingriff übrig geblieben ist – du warst schön und bist nun ein Kunstwerk für die Ewigkeit geworden. Hier, schau! In diesen Vasen am Kopfende des Bettes, unseres Hochzeitsbettes, ruhen all die kläglichen überflüssigen Dinge, die ich aus deinem Körper geholt habe. Ich bin mir sicher, dass du das zu würdigen weißt, du hast ja die überwiegende Zeit des Eingriffes mit einem wachen Hirn erlebt! Aber schließlich übermannte dich der Schlaf. Wie verständlich, das Malen mit dem Metallpinsel dauerte ja viele Stunden. Danach trug ich dich in dein Natronbett und schloss leise die Tür. Und als ich sie nach Tagen wieder öffnete, warst du ewig – schön – unvergänglich geworden. Und du wirst immer bei mir sein…

Ich gehe kurz ins Badezimmer und sehe nach dem Natronsalz in der Badewanne, das deine überschüssige Körperflüssigkeit aufgesogen hat wie ein Schwamm – deswegen riecht es auch ein wenig streng im Bad. Aber sei unbesorgt. Ich habe hier in der Kammer genügend Parfüm verteilt, so dass kein Gestank dich jemals erreichen wird. Du kannst dich also sicher fühlen. Auch die Kerzen vertreiben ja den schlechten Geruch, so heißt es.

Ich wasche meine Pinsel, das Kunstwerk ist vollendet. Hallo, Concetta, hörst du mich, ich komme gleich wied…

Da – horch!

Schon wieder ein Geräusch, diesmal fordernder, eindringlicher! Hörst du wirklich nichts, nein?

Glaube mir, das seltsam klingende, dumpfe Pochen ist real und ist keineswegs mein Herz, das mir in den Ohren schlägt! Nein, nein. Das ist etwas anderes…

Hab ich dir schon von IHNEN erzählt? Soso, du behauptest, dich schwach an eine Erzählung erinnern zu können, die ich dir vor drei Tagen schon einmal vortrug. Aber egal, ich erkläre es dir gerne noch einmal:

Wenn der Mond dicht über dem Wasser des Kanals tanzt, dann erwachen die Wasserleichen, die unter den Häusern Venedigs treiben, zu neuem Leben. Sie recken und strecken sich unter den Fundamenten und tasten sich blind durch den Wald von Pfählen. Ich kann sie sehen! Ich kann sie sehen, aber sie wenden nur die Köpfe hin und her – denn sie sehen nicht.

Die Fische waren es, ja meine Geliebte, die Fische – sie haben den Toten die Augenhöhlen leer geschabt. Mit ihren kleinen Mündern, die so unschuldig gespitzte Lippen haben, aber deren großes O in Verbindung mit den prallen, glänzenden Fischleibern den Ausdruck unendlicher Blödheit ergibt.

Aber die Toten können weder sehen noch schmecken – einzig erfühlen können sie. Hörst du sie nicht, Concetta?

Aus diesem Grund sind sie eifersüchtig. Eifersüchtig sind sie auf dich, weil du perfekt bist, nicht so wie sie. Und sie sind neidisch auf unsere Liebe.

Die Toten haben nicht diese Behandlung erfahren dürfen, die du durch mich erfahren hast – sie verwesen langsam. Und das macht sie neidisch. Neidisch und wütend – sie wollen dich. Sie wollen uns trennen…

Ich bitte dich inständig, Concetta! Sag mir, dass auch du sie hörst – wen? Die Toten! Sie grabschen mit ihren aufgeschwemmten, löchrigen Händen an den rissigen Steinen der Fundamente entlang.

Sie sind unruhig, rastlos – so wie ich es früher mal war. Doch nun bin ich ruhig, das macht deine Liebe, Concetta!

Welch ein furchtbares, röhrendes Geräusch schwillt dort draußen auf dem Wasser an, kommt näher und hält schließlich vor unserem Fenster? Eine Gondel kann das nicht sein – diese würde lautlos durch das Wasser gleiten… und dann diese farbigen Lichter im Fenster…

Sind das schon die Toten?

Die Toten wissen, dass wir hier sind. Die Toten sind immer auf der Suche nach uns!

Aber ich habe dafür gesorgt, dass sie uns nicht kriegen. Psst, aufgepasst! Die Tür ist von innen mit Brettern vernagelt. Außerdem steht deine schwere Kommode davor. Weiterhin – der stechende Geruch hier im Raum ist dir sicherlich aufgefallen. Es ist Isopropanol – reiner Alkohol. Damit habe ich alle Kleidungs- und Möbelstücke in diesem Raum getränkt. Die Kerze, die dort auf dem Scheit balanciert, welcher zwischen Türstock und Tür festgeklemmt ist, brauchen wir für den absoluten Notfall! Falls es jemandem gelingen sollte, in diese Kammer einzudringen, wird die Kerze herabfallen, direkt in den alkoholgetränkten Wäschehaufen darunter, und dann… dann können wir für immer zusammen sein!

Sobald nun die ersten Toten aus dem Wasser geklettert sind und die Häuserwände erklommen haben, werden sie nicht nur durch die Fenster, sondern auch durch den Haupteingang ins Gebäude eindringen. Dann torkeln sie im Mondlicht die Steintreppe empor, stehen vor der Tür und verlangen Einlass. Geradeso wie der Vermieter bei seinen häufigen Besuchen in den letzten Wochen. Kann er denn nicht verstehen, dass ich die Miete nicht zahlen kann? Du lebst doch jetzt mit mir zusammen – und wir sind verliebt, da muss man sich doch Urlaub gönnen! Wenn man Kunst schafft, kann man nicht Geld verdienen.

Nun ist es soweit, ich fühle, wie sie die Wasser verlassen und rasch empor klettern. Ich muss handeln!

Ich setze mich an das Fußende und warte voller Geduld. Ein leichter Luftzug weht durchs Schlüsselloch und ich freue mich. Schon klopft es drängend an der Tür, die Kerze darauf zittert. Doch ich öffne nicht, da ich weiß, dass sie es sind!

Was ist das? Schau! Blaue und rote Lichtblitze zucken durch das offene Fenster und verwandeln unsere Kammer in ein stroboskopartiges Kaleidoskop aus Farbsplittern. Vielleicht das Wetterleuchten eines nahenden Gewitters?

Hörst du das – vor der Tür? Sie rufen. Sie behaupten, dass sie die Polizei wären, doch ich lächle nur wissend. Sie sollen nur kommen!

Die Kerze auf dem Keil wackelt und vibriert unter den Schlägen gegen die Tür. Doch noch tanzt sie nur leicht auf dem Holz hin und her…

Hei, wenn jetzt die Tür geöffnet wird – das wird eine gewaltige Stichflamme geben!

Nun gut, wappnen wir uns für das Unvermeidliche! Ich küsse deine Stirn, Concetta. Unsere Zeit war kurz, doch nichts ist ohne Sinn. Wir werden uns wieder sehen, an einem anderen Ort, wo die Zeit nichts mehr bedeutet.

Nichts kann uns jetzt mehr trennen!

Die Toten helfen uns sogar bei unserer Vollendung.

Sie schlagen gegen die Tür. Immer wieder zittert das wurmstichige Holz. Schon wackelt die Kerze auf der Tür – sie hüpft ein letztes Mal auf dem Scheit, er kippt unter ihr weg, sie torkelt und fällt sich überschlagend in die mit Alkohol getränkte Wäsche. Wie eine große Linie aus Dominosteinen fangt ein Wäschehaufen nach dem anderen zu brennen an, und dann…

… dann schließe ich die Augen, drücke deine Hand und lausche entrückt der intensiven Musik des Feuers…

Carnevale a Venezia

„Du sagtest, du hattest einen Alptraum, doch du irrst – dein Traum war die Realität und wir alle leben ihn!“

unbekannter Verfasser

Die letzten Flocken des Neuschnees umtanzen als weiße Nachzügler die zum Leben erwachten Träume des venezianischen Karnevals, welche mit lautem Gesang im Tarantellaschritt über den Campo La Fenice der Piazza San Marco entgegentorkeln. Als ich in die kalte Nacht der moribunden Schönheit hinaustrete und das Teatro La Fenice mit seiner in Goldtönen gehaltenen Pracht hinter mir lasse, stehe ich plötzlich inmitten des Schneemenuetts wie ein ungeladener Gast – steif, den schlanken Körper in einen schwarzen Radmantel gehüllt und erschrocken ob meiner Dreistigkeit, in eine Welt einzudringen, die nicht die meine ist.

Ich prüfe den Sitz meiner bauta, jener wächsern weißen Gesichtsmaske, die mit spitzem Kinn in die Kälte hinausragt. Dann ziehe ich den Dreispitz tief ins verdeckte Gesicht, stecke die Hände unter den Mantel und lehne mich gegen den Wind, der aus ungezählten Gassen und Kanälen über den Platz fegt und die Flocken zu einem Veitstanz auffordert.

Mein Blick heftet sich an die Karnevalsgruppe, die in einiger Entfernung über den Campo schreitet: Arlecchinos buntes Fetzenkostüm umschwirrt eine unsicher Pirouetten drehende Colombine, die von den eifersüchtigen Augen eines buckligen Pantalone beaufsichtigt wird. Sein angeklebter Spitzbart zittert im Wind. Diese Traumgestalten der Commedia del’Arte sind heute, am letzten Abend des Karnevals, unterwegs, um auf dem größten Platz der Stadt das Feuerwerk mitten unter ihresgleichen zu bestaunen – den Kopf in den Nacken gelegt und mit offenen Mündern. Danach werden sie die Masken mit einer Geste der Trauer abnehmen und wieder sie selbst sein. Doch dieser Augenblick ist noch zu weit entfernt, um an den Emotionen der Maskenträger rühren zu können, deshalb hüpfen und springen die Geschöpfe der Phantasie voller Übermut in grotesk anmutenden Bewegungen über die Plätze und Straßen. Die Freude und die Unbekümmertheit sind aus ihren Gefilden herabgestiegen und haben sich in Menschen verwandelt – Leben, eingefroren im Augenblick der Zeit.

Die Ausgelassenheit des Festes hat auch mich erfasst, so dass ich zunächst der Gestalt in Schwarz keine Aufmerksamkeit schenke. Abseits des Gedränges eilt sie einsam auf eine Seitenstraße zu und kann erst vor einem Augenblick die Karnevalsgruppe verlassen haben, wie mir die kurze Wegstrecke der sich trennenden Spuren im Schnee verrät.

Ich kneife die Augen zusammen. Ist dieses leichte Nachziehen des linken Beines nicht typisch für meinen venezianischen Schwager Fortunato?

Welch eine Überraschung!

„Sior Maschera!“, rufe ich traditionsbewusst über den Platz, doch es erfolgt keine Reaktion seitens des ‘Herrn Maske’. Was ist los mit ihm? Ich habe ihn schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen, auch meine Schwester hat sich seit geraumer Zeit nicht mehr bei mir gemeldet. Ich muss ihn sprechen! Ich laufe quer über die schneebedeckte Fläche des Campo Fenice. In meinem erregten Gemütszustand breche ich das Tabu der Namensnennung und rufe keuchend durch die klirrende Kälte: „Fortunato… bleib doch… stehen! Ich… bin es… dein Schwager Alessandro!“