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Die Schleusengondel verlangsamte ihr Sinken. Vor dem Seitenfenster beleuchteten die Scheinwerfer den Meeresboden: gewellter Sand und vereinzelte Steine. Keine Korallen, kein sich in der Strömung wiegendes Seegras. Im Gegenteil: eine Landschaft bar jeden Lebens. Tot wie die Oberfläche des Mondes. Sie glitten im Landeanflug schwerelos darüber hinweg. Das Wrack eines Luxusdampfers kam in Sicht. Mit einem Ruck hakten sich die Klammern der Gondel daran fest. Charles Kums erhob sich. Er klopfte dem Piloten dankend auf die Schulter und trat nach hinten in den Passagierraum. "Wir sind da. Bitte folgt mir in das Wrack der Elizabeth Dane." Markus K. Korb nimmt den Leser mit auf eine Reise. Von den Tiefen des Meers bis zum Sternbild der Kassiopeia. Und das Grauen ist als Wegbegleiter immer dabei. Zwanzig unheimliche Geschichten des preisgekrönten Autors.
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Seitenzahl: 247
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In dieser Reihe bisher erschienen:
2101 William Meikle Das Amulett
2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens
2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume
2104 Jörg Kleudgen & Uwe Voehl Stolzenstein
2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig
2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde
2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur
2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu
2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts
2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo
2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin
2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows
2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim
2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür
2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo
2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen
2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 2
2118 Alfred Wallon Salzburger Albträume
2119 Arno Thewlis Der Gott des Krieges
2120 Ian Delacroix Catacomb Kittens
2121 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 3
2122 Tobias Reckermann Gotheims Untergang
2123 Michael Buttler Schatten über Hamburg
2124 Andreas Zwengel Finsternacht
2125 Silke Brandt (Hrsg.) Feuersignale
2126 Markus K. Korb Treibgut
2127 Tobias Reckermann (Hrsg.) Drommetenrot
2128 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 4
2129 Peter Stohl Das Hexenhaus in Arkheim
2130 Silke Brandt (Hrsg.) Das Kriegspferd
2131 Anton Serkalow Berge des Verderbens
2132 Klaus-Peter Walter Sherlock Holmes gegen Cthulhu
2133 T. E. Grau Diese alten und dreckigen Götter
2134 Anton Serkalow Träume im Heckenhaus
2135 Michael Buttler Die Astronautenvilla
2136 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 5
2137 Anton Serkalow Das Fest
2138 Julia A. Jorges Hochmoor
2139Manuela Schneider Unbekannter Feind
2140 Jörg Kleudgen & Uwe Voehl Halligspuk
2141 Anton Serkalow Die Aussenseiter
2142 Jörg Kleudgen & Uwe Voehl Halligspuk
2143 Tobias Reckermann (Hrsg.) Kryptologicae
2144 Michael Blihall Die Brücke
H. P. Lovecrafts Schriften des Grauens
Buch 43
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© 2024 Blitz Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Logo: Mark Freier
Vignette: Jörg Kleudgen
Satz: Gero Reimer
2143 vom 01.08.2024
ISBN: 978-3-689-84054-9
Einführung
Die neongrüne Luftmatratze
Nachts am Hohen Kreuz
Hans und der Puppenspieler
Der alte Küchenschrank
Darf er das?
Der Halloweenmuffel
der junge, der nicht winken konnte
Der Untergang der Jean Gougy
Die Auktion
Prolog
Auktion
Ankunft
Die Party auf dem Hoteldach
Die Krypta in der Wüste
Epilog
Die Halloween-Feier
Nachts im Konservatorium
Die Zeit der Großen Regression
Durch den Kamin
Eisbärenwache
Im Römischen Bad
Lucys Wunsch
Marraks Pilz
The Finding 2
Das Ding in der Badekarre
Die Dunkelheit am Grunde der See
Über den Autor
Als im Jahr 2021 mein Roman Treibgut im BLITZ-Verlag erschien, da fragte mich ein treuer Leser, ob ich wohl das Schreiben von Kurzgeschichten aufgegeben habe und zukünftig ausschließlich Romane schreiben würde.
Der vorliegende Band mit Erzählungen ist meine Antwort. Enthalten sind Kurzgeschichten, Vignetten und Erzählungen, die aufzeigen, dass ich das Feld der Story-sammlungen nicht für immer verlassen habe.
Vorangestellt habe ich einige Hintergrundinformationen zur Entstehung der Geschichten. Ich mag solcherart Bonusmaterial bei den Kurzgeschichtenbänden anderer Autoren, da ich dadurch noch tiefer in deren Storys eintauchen kann. Ich hoffe, es geht vielen anderen Lesern auch so. Deswegen habe ich diese Zusatztexte verfasst.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Erstlektoren bedanken, als da sind: Sandra Kaps, Anja Fearnley und Alexandra Schönlein. Ihre Anmerkungen haben mir sehr geholfen. Auch sage ich ein großes Dankeschön an Mario Heyer für das gelungene Cover, das sehr atmosphärisch auf das Buch aufmerksam macht.
Selbstverständlich sollen auch die Menschen nicht unerwähnt bleiben, die mich als Leser und Fandom-freunde viele Jahre bereits begleiten: Thomas Vaterrodt, Anke und Wolfgang Brandt, Thomas Will und alle vom Marburger Verein für Phantastik, sowie die Veranstalter des BuCon, namentlich Roger Murmann und alle seine Kollegen.
Ich danke auch Jörg Kaegelmann für sein verlegerisches Engagement und das Vertrauen in mein Werk. Viele Projekte haben wir gemeinsam realisiert, darunter mein erstes Buch Grausame Staedte und die Bände Xenophobia, Der Struwwelpeter-Code, Grausame Staedte 2 und zuletzt den Roman Treibgut.
Ein herzlicher Dank gilt wie stets meiner Familie, die mich trägt und stützt. Ohne sie wäre ein schriftstellerisches Wirken nicht möglich.
Röthlein im Februar 2024
Markus K. Korb
Vorbemerkung zu „Die neongrüne Luftmatratze“
Die Idee zu dieser Kurzgeschichte erhielt ich von Felix Faber. Sie basiert auf einem Traum, den er mir schilderte und mich anschließend dazu aufforderte, eine Story daraus zu machen. Das habe ich getan und ich hoffe, dass sie Felix und den Lesern gefällt. Danke Felix!
Gebannt blickte meine Freundin Lisa auf einen Punkt am Strand: „He, schau mal! Was ist denn das?“
Wir beide standen auf den Klippen, hinter uns der Campingplatz mit den Verkaufsbuden. Lisa deutete auf einen Punkt am Strand von Sveti Marak, wo sich die dunkle Wasserlinie der Halbinsel mit dem hellen Sand traf.
Seit zwei Tagen waren wir hier an der kroatischen Küste und erholten uns vom Abiturstress. Das Wetter spielte mit und zeigte sich von seiner besten Seite. Die Sonne glühte in einem azurblauen Himmel und ließ die weißen Mobil-Homes auf dem Campingplatz so hell erstrahlen, dass es einem in den Augen weh tat. Das Meer war seit Wochen durch die Sonnenstrahlen aufgewärmt, was den lachenden Kindern sichtlich Spaß bereitete. Im hüfthohen Wasser spritzten sie sich gegenseitig nass. Eisverkäufer radelten zwischen den Badegästen hindurch, die sich in der Glutsonne bräunten, hielten hier und da bei einem kreischenden Kinderpulk an und brachten ihre Leckereien unters Volk.
„Was soll das sein?“, fragte ich und blickte angestrengt mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, die mir Lisas Finger wies. Da war etwas Grünes. Es lag flach auf dem Strand, bewegte sich aber dennoch leicht in der Brandung, wie mir schien. Zwar befand sich das Etwas knapp am Rand des mit Erholungssuchenden bevölkerten Teil des Strandes, aber dennoch war es seltsam, dass diese nicht von ihm Kenntnis nahmen.
„Komm!“ Lisa knuffte mich in die Seite. „Lass uns mal nachschauen!“ Mit diesen Worten und einem Augenzwinkern schritt sie forsch voran und den Abhang hinab. Ich zögerte einen Moment lang. Also gut, dachte ich mir und folgte ihr, die bereits unten war und querfeldein über Strandmatten und Picknickdecken steigend den kürzesten Weg nahm.
„Typisch Lisa!“ Ich musste grinsen und lief ihr hinterdrein, wobei ich allerdings im Gegensatz zu ihr die Lücken zwischen den Decken für mein Vorwärtskommen im Zickzack nutzte. Dies hatte den Nachteil, dass ich bald Lisa zwischen all den Sonnenschirmen aus den Augen verlor. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die eingeschlagene Richtung so ungefähr weiterzulaufen.
Die Sonne knallte mir aufs Hirn und mir lief der Schweiß über das Gesicht, tropfte heiß auf die Brust und warm auf die Zehen. „Hoffentlich sind wir bald da!“, so wünschte ich es mir. „Damit Lisa ihre Neugier befriedigen kann. Ich will noch an die Bar vom Campingplatz und ein paar Bierchen zischen!“
Schließlich war ich durch die Menge an Menschenleibern hindurch und sah Lisa in einiger Entfernung einsam am Meeresrand stehen. Sie wandte mir den Rücken zu und schien fasziniert auf etwas hinabzuschauen, das sich zu ihren Füßen befand. Als ich heran war, tippte ich ihr auf die Schulter. Sie erschrak fürchterlich.
„Mensch, kannst du mich nicht vorwarnen?“
Wütend funkelten ihre Augen. Ich setzte meinen besten Hundeblick auf, sodass sie grinsen musste. Ich lächelte ebenfalls. Damit kriegte ich sie immer rum.
Sie boxte mir gegen die Schulter. „Du Arsch“, sagte sie und grinste dabei.
„Was gibt es jetzt so Interessantes, dass du derart in Gedanken versunken bist und mich nicht bemerkt hast?“, fragte ich sie.
„Da.“
Sie zeigte auf eine neongrüne, flache Decke, die in der Brandung dümpelte und dabei aussah wie ein angeschwemmtes Meereswesen aus der Tiefsee, das noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte. Ich sah genauer hin: Das war keine Badedecke, das war eine Luftmatratze. Sofort musste ich an den Film Der Weiße Hai denken und schaute nach, ob ein Ende der Matratze halbkreisförmig abgebissen war. Gott sei Dank nicht. Also war kein Kind das Opfer einer Haiattacke geworden, stellte ich erleichtert fest. In der Tat war diese Luftmatratze die eines Kindes, so klein, wie sie war. Sie erinnerte mich an meine eigene Kindheit. Wie gerne hätte ich eine neongrüne Luftmatratze gehabt, als meine Eltern und ich damals nahe Venedig Urlaub gemacht hatten. Aber nie hatte ich sie bekommen, diese neongrüne Matratze, die in der Strandbude verkauft wurde, gemeinsam mit Schnorchelmasken und Schwimmflossen. Nun lag sie vor mir.
„Nehmen Sie sie ruhig mit!“
Die Stimme von hinten ließ mich herumfahren. Drei Schritte entfernt stand ein Mann im tadellosen Anzug. Wie war er so schnell hierhergekommen?
Sein Haar hing ihm in nassen Strähnen in das bleiche Gesicht. Unter dem blauen Hemd wölbte sich ein Wohlstandsbäuchlein. Ich schätzte ihn so auf ungefähr vierzig Jahre. Er sprach Englisch mit Akzent. Der Mann lächelte freundlich.
„Die Matratze hat meinem Sohn gehört. Aber der braucht sie nicht mehr, sie können sie gerne haben!“
Verträumt blickte er in die Ferne, und ehe wir uns versahen, schritt er an uns vorbei und verschwand zwischen den Felsen, welche den Sandstrand von Sveti Marak hin zur Halbinsel abgrenzten.
Sprachlos starrte mich Lisa mit offenem Mund an, während ich mich bückte und die neongrüne Luftma-tratze aufhob. Sie war schwerer als gedacht. Wahrscheinlich wegen des Wassers, das den Stoffbezug durchtränkt hatte. Ich sah Lisa an. Sie hob die rechte Augenbraue.
„Was ist?“
„Du kannst doch nicht einfach die Matratze eines Wildfremden mitnehmen! Und dazu noch eine, die einem Kind gehört!“, sagte sie.
„Aber du hast doch gehört, was er gesagt hat!“
Sie stemmte die Fäuste in die Hüfte. „Auf gar keinen Fall! Sicher ist das ein Test, und wenn wir das tun, hetzt er uns die Polizei auf den Hals!“
Ich verdrehte die Augen. „Also, was schlägst du vor?“
Lisa blickte mich ernst an. „Wir folgen jetzt dem Mann zum anderen Strand und geben ihm die Luftmatratze! Sicher wartet dort schon seine Familie auf ihn.“
Tief atmete ich ein und aus. Wenn sich Lisa etwas in den Kopf gesetzt hatte, nutzte keine Diskussion. Ich liebe sie, sie liebt mich. Aber da ist sie eisern.
„Okay, gehen wir!“, gab ich nach. Ich will nicht behaupten, dass ich der Klügere bin, aber ich vermeide gerne Streit. Und besonders im Urlaub, wo wir uns beide erholen wollen.
Lisa sah das wohl ähnlich, denn sie streckte mir ihre Hand entgegen und lächelte auffordernd. „Na, dann komm!“
Grinsend ergriff ich ihre Rechte und wir liefen Hand in Hand los. Während wir uns dem Felsenlabyrinth näherten, zog am Himmel eine Wolke vor die Sonne. Sofort wurde es merklich kühler und ein lebhafter Wind frischte vom Meer her auf. Ich sah, wie sich auf Lisas Oberarm eine Gänsehaut bildete.
„Hast du eigentlich den merkwürdigen Akzent des Mannes bemerkt?“, fragte mich meine Freundin unvermittelt, als wir in den Schatten der hoch aufragenden Felsen eintraten.
„Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf“, gab ich zu. „Was meinst du, welcher Einschlag das war?“
Lisa überlegte und schwieg. Sie ließ meine Hand los. Es war so eng hier, dass wir nur hintereinander durch das Felsenlabyrinth laufen konnten. Meine Freundin tastete über die Steine, so als wollte sie sich im Vorbeigehen vergewissern, dass die Felsen auch wirklich real waren.
„Es klang so hart, irgendwie russisch. Würde mich hier auf dem Balkan auch nicht wundern.“
„Hm“, machte ich nur. Dann öffnete sich der Irrgarten und gab den Blick frei auf den Nachbarstrand von Sveti Marak. Aber wie anders sah es hier aus!
Braune Kieselsteine bedeckten den Boden bis hin zum Meer. Der Strand war menschenleer. Kein Wunder, bei den harten Kieseln. Alles wirkte trostlos und abweisend.
Noch immer bedeckte eine riesige Wolke die Sonne, sodass ich fröstelte. Der Strand wirkte bei dieser Beleuchtung sogar noch dunkler und feindseliger.
Ich bückte mich und hob einen der Steine auf. Zwischen Daumen und Zeigefinger haltend betrachtete ich ihn, wobei ich den Kiesel instinktiv hoch gegen die abgedunkelte Sonne hielt.
„Da ist eine Schicht auf den Steinen“, murmelte ich halblaut. Lisa hörte es und kehrte um. Sie blickte ebenfalls auf den Kiesel zwischen meinen Fingern und runzelte die Stirn.
„Sieht irgendwie schleimig aus“, kommentierte sie. Ich hielt meine Nase nahe an den Stein und roch daran. Sofort zuckte ich zurück. „Das riecht ja, als ob ein totes Tier darauf verwest wäre!“
Ich schleuderte den Kiesel weit hinaus aufs Meer und wischte mir die Finger an der Badehose ab. „Wo ist der Typ hin?“, fragte ich und blickte über den Strand.
„Da oben ist eine Strandbar. Vielleicht finden wir ihn dort!“, sagte Lisa und wies hinter uns und hoch zu den Klippen. Dort thronte eine Hütte, mitten auf der Spitze der Halbinsel. „Von dort hat man sicher einen guten Blick auf das Meer“, mutmaßte ich.
Wir liefen fluchend über harte Kiesel und gelangten zur Böschung. Ein Trampelpfad führte hoch zur Strandbar. Ich legte den Kopf in den Nacken.
Von hier aus wirkte die Strandbar verlassen. Ich hörte keine Geräusche, kein Stimmengewirr, kein Klirren von Gläsern, nichts dergleichen. Nur der kalte Wind, der über die Klippen heulte und sich fauchend durch die Felsen zwängte, spielte mit den Wimpeln, die hoch oben an einer Leine von Mast zu Mast gespannt waren. Das Einzige, was dort lebendig wirkte, war das nervöse Zucken der Wimpel. Wie das Zucken sterbender Fische.
„Was ist los?“ Lisa war bereits halb oben.
„Nichts!“ Ich schüttelte meine dunklen Bilder ab und stapfte los.
Neben dem Weg wuchsen Kletten mit braunfleckigen, scharfrandigen Blättern. Ich wusste, dass sie hässliche Wunden zogen, die oft eiterten. Daher war ich sehr vorsichtig beim barfüßigen Emporlaufen.
Oben angekommen fand ich Lisa vor, die hektisch an ihren Fesseln rieb. „Verfluchte Kletten!“
Während meine Freundin noch mit ihren Wunden beschäftigt war, schritt ich fasziniert vom Anblick der Hütte an ihr vorbei über das Areal.
Die Wimpel knatterten im Wind. Sie hingen an einer Leine, die vier Masten im Karree verband, weit oberhalb einer Terrasse, gebildet aus Waschbetonplatten. In deren Fugen sprossen die Halme von Dünengras wadenhoch. Ehemals grüne Plastikstühle und Tische lagen durchein-ander, nun von der Sonne gebleicht und von Wind und Sand angeraut. Ein hüfthoher Zaun verhinderte, dass das Mobiliar auf den Strand hinabgeweht wurde. Kleine Eidechsen sonnten sich auf den Steinen und huschten hinfort in das umliegende Gras, als ich mich näherte.
Die Hütte selbst wurde dominiert von einem langen Bar-tresen. Davor standen vier hölzerne Höcker. Hinter dem Tresen glitzerte eine Reihe von Flaschen auf einem Hochregal.
„Suchen Sie mich?“
Der Mann trat hinter der Strandhütte hervor. Ich zuckte zurück.
Er wirkte zögerlich, fast schüchtern in seinen Bewegungen, seiner Mimik. Dennoch ließ mich sein Anblick frösteln. Lisa trat an meine Seite.
„Ja, wir haben hier die Luftmatratze ihres Sohnes und möchten sie gerne zurückgeben!“
Ihre Hand suchte die meine.
Der Mann kontrollierte den Sitz seines Anzugs, strich sich die nassen Haare aus der weißen Stirn und ruckte mit dem Kopf nach vorn wie ein Huhn, um seinen Kragen zu richten.
„Sicher, gerne. Mein Sohn freut sich bestimmt. Er ist dort unten.“
Mit einer Kopfbewegung wies der Mann auf eine Stahltreppe, die hinab auf die andere Seite der Halbinsel führte. Schüchtern lächelte Lisa ihn an, dann liefen wir beide an ihm vorbei zur anderen Seite des Areals. Als wir den Mann passierten, roch es brackig, wie das Wasser in einem Hafenbecken. Sicher nur ein Geruchsfetzen, der von einem Tümpel im Landesinneren herangeweht worden war.
Wir betraten die Stahltreppe. Sie war kalt unter unseren nackten Füßen. Ich ergriff das eiskalte Geländer und es fühlte sich an, als wäre ich am Südpol. Die Kälte biss mir in die Hand, sodass ich sofort losließ. Dann trat ich heran und blickte hinab in die Tiefe.
Das Meer war auf der anderen Seite der Halbinsel nah an den Strand herangerückt, der nur aus einem schmalen, dunklen Streifen bestand. Schwarzer Kies. Der Wind frischte auf und ließ Lisas lange, braune Haare wie eine Fahne flattern. Ich konnte niemanden dort unten sehen.
„Gehen Sie nur!“, rief der Mann. Ich wandte den Kopf und sah ihn uns zuwinken. „Er sitzt sicher im Schatten der Treppe!“
Gegen den Wind und wie gegen einen inneren Widerstand stiegen wir langsam nach unten und gelangten auf den ersten Treppenabsatz, der auf halber Höhe der Klippen war.
Der Wind wurde stärker und ließ das Stahlrohr des Geländers vibrieren, was ein Brummen in meinen Ohren erzeugte. Wir wandten uns zum Rand der Plattform und sahen hinab.
Das Meer war in wilder Bewegung. Unablässig stürmte es gegen den schmalen Küstenstreifen heran, als wollte es jenen auch noch auffressen. Die Wogen waren dunkel, gekrönt von schmutzig weißem Schaum.
Plötzlich öffnete sich eine Lücke in der Wolkendecke und ein breiter Strahl trat heraus. Er fiel schräg hinab auf das Meer und beleuchtete die Szenerie. Erstaunlicherweise reichte er sogar bis unter die Wasseroberfläche und enthüllte uns einen Anblick, den wir niemals mehr vergessen werden.
Knapp unter den Wogen des Meeres erstreckte sich ein weiteres Meer, gebildet aus Autos. Wagendächer, so weit das Auge blickte! Ein überfluteter Parkplatz!
Aber das war nicht das, was mich tief in meiner Seele traf.
Blitzschnell klammerte sich Lisa an mich. Und ich hatte es auch gesehen.
In all den Autos schwebten, von der Strömung bewegt, aufgedunsene Wasserleichen. Familien mit offenen Mündern, darin Fische schwammen. Allesamt Urlauber in knappen Shirts und mit Sonnenbrillen.
Und ein Auto wurde besonders vom Lichtstrahl erhellt. Darin saß ein Mann, dessen Haar in der Strömung schwebte, im tadellosen Anzug mit seinem bleichen Sohn, dessen Seitenfenster offen war.
Voller Grauen ahnte ich, was es dort hinausgespült hatte.
Vorbemerkung zu „Nachts am Hohen Kreuz“
Ein Urlaub in der Rhön entfachte in mir das Verlangen, die Geschichte zu schreiben. Vieles davon ist Lokalkolorit, selbstverständlich um Phantastisches angereichert. Noch im Hotel habe ich die Story auf kleinen Zetteln verfasst, die ich mir von der Rezeption erbeten hatte. Nächte im Hotel können kurz sein. Oder lang, je nach Blickwinkel.
„Willkommen im Hotel Sonnenblick!“
Die freundlich lächelnde Dame hinter dem Tresen sah Markus und Bianca aus hellwach glitzernden Augen an. „Hatten Sie eine gute Anreise?“
Markus stellte den Rollkoffer ab und erwiderte das Lächeln. „Danke, ja. Alles gut. Wir sind die Familie Kraus.“
Die Empfangsdame mit den halblangen blonden Haaren blickte auf ihre Liste, was Markus ziemlich altbacken fand. Er dachte: Bis hier in die Rhön hat die moderne Halbleitertechnik noch nicht gefunden. Computer? Fehlanzeige! Aber irgendwie wunderbar schrullig oldschool.
„So, wir haben Zimmer 613 für Sie ausgesucht. Sie finden es, wenn sie gleich hier am roten Sofa links abbiegen, dann ganz bis hinten den Gang durchlaufen, zwei Treppen am Ende runter und dann nochmals links, dann sind Sie gleich da.“
Sie lächelte noch immer und reichte einen Schlüssel mit Messinganhänger über die Theke, auf dem die Zahl 613 eingeprägt war.
„Dankeschön!“ Er nahm den Schlüssel entgegen. Nun meldete sich Bianca zu Wort. „Gibt es hier Sehenswürdigkeiten in der Gegend, die anzuschauen Sie uns empfehlen würden?“ Mit der Linken fuhr sie sich durch das kurze rotgefärbte Haar.
Die Dame hinter dem Tresen lächelte noch immer: „Aber gerne. Wenn Sie wandern wollen, können Sie hoch zum Hohen Kreuz laufen. Ein schön gelegener Pilgerort, mitten im Wald. Sehr romantisch. Es ist nicht allzu weit. Gleich vor dem Hotel die Straße den Berg empor.“
Bianca blickte Markus an. Dieser schürzte die Lippen und nickte leicht. „Danke, vielleicht schauen wir uns den mal an.“
„Das fände ich toll!“, lächelte die Dame.
Markus sah die Reste von grünem Kraut zwischen ihren Zähnen.
„Ein lustiger Name übrigens für diese Straße“, sagte er.
„Das stimmt. Würmberg. Geht auf eine alte Sage zurück, wonach angeblich der gesamte Hügel hier, auf dem die Ferienhaussiedlung gebaut worden ist, von Wurmlöchern durchzogen ist. Soll an der besonders nahrhaften Erde liegen, dass so viele Würmer hier wohnen. Na ja, ist halt eine Sage.“
Mit dem Nagel des rechten kleinen Fingers pulte sie sich mit einem geraden Strich das Unkraut aus der Zahnritze. Markus blickte irritiert zu Bianca. Diese hob die Schultern und machte ein fragendes Gesicht, was wohl heißen sollte: Seltsam, aber ich hab auch keine Ahnung, was für eine seltsame Type die Lady ist!
„Aha“, sagte er. „Dann werden wir uns mal im Zimmer einrichten.“
„Wundervoll!“, antwortete die Unkrautdame. „Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt bei uns im Hotel Sonnenblick!“ Sie lächelte noch immer und Markus kam es jetzt so vor, als sei bei ihr das Grinsen mittels Klammern in der Mundhöhle dauerhaft installiert.
* * *
„Die Menschen in der Rhön. Sind schon seltsam, gell?“, sagte Markus, während sie beim Auspacken ihres Koffers im Hotelzimmer waren.
„Ach, na ja.“ Bianca hängte gerade ihre Bluse auf einen Kleiderbügel. „Einige haben wohl in der Abgeschiedenheit der Landschaft hier so einige Marotten entwickelt. Aber die sind doch harmlos. Ein wenig seltsam, okay. Doch du darfst nicht alle in einen Topf werfen! Es gibt auch noch andere, die nicht so eigenartig sind.“
„Hast ja recht“, antwortete Markus. „Ich hab da unbewusst alte Vorurteile in mir. Du weißt schon: die fränkische Rhön – abgeschiedene Orte, fern von der Moderne, in sich verschworene Dorfgemeinschaften, von Inzest geprägte Familienbünde ...“
„Du klingst furchtbar, weißt du das?“, schimpfte Bianca. „Jetzt lass dich doch mal auf unseren Urlaub hier ein! Sind eh nur zwei Tage. Gib dem Wochenende eine Chance – und uns ...!“
Markus sah die Tränen in ihren Augen. „Entschuldige. Du hast ja recht. Wir kriegen das hin. Es wird schön werden, glaub mir!“ Er nahm sie in die Arme, küsste sie auf die Stirn wie ein Kind. „So, und jetzt laufen wir hoch zum Hohen Kreuz, gut?“
Bianca löste sich von ihm und lächelte.
Am Auto angekommen wechselten sie die Schuhe. Während Bianca ihre Wanderschuhe festzurrte, sagte sie: „Also hier den geteerten Weg entlang, hat die Empfangsdame gesagt.“
Markus blickte die Straße entlang, die sich den Berg hochwand und oben nach einer Rechtskehre hinter den Ferienhäusern verschwand.
„Puh, das ist ganz schön weit weg – und steil!“
Bianca knuffte ihm in die Seite. „Komm schon, du Muffel! Ein bissl Spazierengehen tut dir gut!“
Markus sah an sich herunter und klopfte sanft sein Bäuchlein, das sich erkennbar nach vorne wölbte. „Stimmt. Vielleicht kriege ich ein bisschen Bauchspeck weg.“
„Genau. Würde dir gut stehen.“ Bianca zwinkerte ihm zu.
Markus grinste bitter. „Damit ich wieder attraktiv für dich werde, gell?“
„Jetzt dreh mir nicht wieder das Wort im Mund rum!“ Biancas Gesicht verfinsterte sich. Auch in Markus’ Gemüt zogen schwarze Wolken auf. Er verfiel in dumpfes Schweigen und lief allein los, den Weg hinauf.
Bianca ärgerte sich, dass er nicht auf sie wartete, beeilte sich aber dennoch, ihn mit schnellen, kleinen Schritten einzuholen. Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her.
Der Weg führte steil den Würmberg hinauf, an mehreren Ferienhäusern vorbei. Markus sah ins Tal hinunter. Fladungen schmiegte sich idyllisch an die grüne Landschaft der Rhön, die vor allem aus Gras und Weideflächen bestand. Er erkannte auf dem Hang eine Herde Ziegen in einem umzäunten Gebiet. Ungewöhnlich, so fand er. Kühe hätte er hier eher auf einer Weide vermutet.
Das Sonnenlicht brach durch eine Lücke in der Wolkendecke und beschien als dreieckiger Lichtfächer die Umgebung des Ortes.
„Wow, das sieht toll aus!“ Bianca griff nach ihrem Handy in der Gesäßtasche, holte es heraus und fing den Augenblick als Foto ein.
„Hmm“, grummelte Markus und Bianca umarmte ihn einen Moment später von hinten. „Jetzt sei nicht mehr so bockig! Liebst du mich noch?“ In ihrer Stimme lag ein unsicheres Zittern.
Er drehte sich zu ihr um, küsste sie wortlos auf die Nasenspitze. Hand in Hand liefen sie weiter.
Die geteerte Straße führte an einer hölzernen Bank vorbei, die mit Blick ins Tal aufgestellt worden war. Es folgte dann ein Brunnen am Wegesrand nebst Stele mit dem Heiligen St. Kilian darauf.
„Ist das nicht der Typ gewesen, der Franken missioniert hat?“, fragte Markus.
Bianca nickte. „Ein irischer Mönch, so im siebten Jahrhundert, denke ich. Vorher war ganz Franken heidnisch.“
„Wie ist er umgekommen? Ich hab da was im Hinterkopf, dass da ein Attentat im Spiel war, oder?“
„Moment, muss mein Gedächtnis auffrischen.“ Bianca holte ihr Handy heraus und tippte den Namen des Heiligen Kilian in die Suchleiste ein. Eine Nanosekunde später spuckte eine Online-Datenbank die Infos aus.
„Ja, war im Auftrag einer gewissen Gailana. Sie war die Frau von Herzog Gozbert, der sich von ihr getrennt hatte, da Kilian das gefordert hatte. Hat wohl was damit zu tun, dass sie die Witwe von seinem Bruder war. Auf jeden Fall hat Gailana das dem Kilian krummgenommen und ihn, sowie seine Kollegen Kolonat und Totnan, eines Nachts hinterrücks ermorden und verscharren lassen.“
„Ziemlich brutal, diese alten paganen Franken, oder?“, meinte Markus.
„Gott sei Dank, dass diese Zeiten vorbei sind. Das Christentum hat viele der alten heidnischen Bräuche übernommen und umgewandelt“, sagte Bianca.
„Na, als Religionslehrerin kennst du dich ja damit aus.“ Markus grinste.
„Und du als Geschichtslehrer ja ebenfalls.“ Bianca lächelte zurück.
Ohne, dass sie es bemerkt hatten, waren sie am Grundstück eines Ferienhauses angelangt, wo eine Seniorin das Herbstlaub mit einem Rechen zusammenkehrte.
„Grüß Gott!“, sagte Bianca und die alte Frau wandte sich um. Aus einem faltigen Gesicht mit blauen Augen wie ein Bergsee lächelte sie die Besucher an.
„Hallo! Ihr seid sicher im Hotel Sonnenblick und besucht unser schönes Frankenland.“ Sie stützte sich mit ihren altersfleckigen Händen auf den Rechen.
Markus war etwas irritiert, dass die Alte sofort distanzlos auf Du mit ihnen war. Daher antwortete er ohne zu zögern mit: „Ja, wir kommen aus Hessen. Marburg. Sind zum ersten Mal hier.“
„Hoffe, es gefällt euch?“
„Ja, sehr ruhig und romantisch alles“, warf Bianca ins Gespräch ein.
„Dann müsst ihr euch unbedingt das Hohe Kreuz anschauen. Ein schöner Platz, mitten im Wald, perfekt zum Ausruhen, Nachdenken, Meditieren“, sagte die Dame. „Das ist wichtig in unserer hektischen Zeit!“
„Dahin sind wir auf dem Weg“, sagte Markus. „Wurde uns vom Hotel empfohlen.“
„Oh, das ist gut! Sehr gut!“ Die Alte nickte und ihr lächelnder Blick war dermaßen durchdringend, dass Bianca das Gefühl hatte, die Frau könne ihr bis auf den Grund ihrer Seele schauen. Eine leichte Gänsehaut kroch ihr den Rücken hinauf wie eine Nacktschnecke.
Sie verabschiedeten sich von der Frau und setzten ihren Weg fort. Bald schon erreichten sie den Waldrand.
Als sie in die Obhut der Bäume eintraten, bemerkten sie, dass dieser Wald anders war.
„Es ist so hügelig hier“, sagte Markus.
„Und alles voller Herbstlaub. Man sieht den Waldweg kaum noch“, meinte Bianca.
Sie folgten dem Wegweiser am Baum, der als Holzpfeil das Hohe Kreuz auswies. Immer bergan durch raschelndes, nebelfeuchtes Laub, das sich an ihre Schuhe klebte.
„Sind wir bald da?“, fragte Markus und ahmte mit der Stimme ein nerviges Kind nach. „Ich glaube, es regnet schon und ich habe keine Mütze dabei. Wir sollten umdrehen!“
„Einen Moment noch!“, sagte Bianca, die vorauslief. „Wir sind doch gleich da. Schau!“
Markus hob den Blick von seinen durch das Laub scharrenden Füßen. Er sah kurz voraus, dass der Weg eine Kehre machte. Dort ragte aus dem Boden ein langes Holzbrett hervor, das als Trittstufe in den Boden gerammt worden war.
„Erstaunlich!“
Bianca stand dort und wies nach unten. „Mit Holzpflöcken gestützt.“ Ihr Blick ging nach vorn. Die beiden Hessen sahen weitere Bretter, die geradewegs einen Hügel emporwiesen, allesamt senkrecht in den Waldboden gestemmt und mit Pflöcken bewehrt. Überdeckt mit Herbstlaub. Nur die Oberseite der Bretter war noch zu erkennen. Sie führten hinauf zu einem Platz, der eingeebnet war und auf dem ein Kreuz stand.
Die beiden Touristen schritten den Waldhügel hoch, Stufe über Stufe, und betraten den von Bäumen umkränzten Platz.
Markus sah, dass dieser von einer niedrigen Mauer zum Hang hin abgegrenzt wurde. Sie bestand aus lose aufein-andergeschichteten Steinbrocken, so groß wie Medizinbälle. Moos wuchs in dichten, pelzigen Flecken darauf.
Davon gerahmt bildeten mehrere Steinstelen einen inneren Kreis auf dem Platz. Eiserne Tafeln waren darin eingelassen, zeigten Reliefs mit Figuren. Römische Zahlen waren darunter in den Stein gemeißelt.
Bianca trat näher an eine der Steinsäulen heran. „Ein Mann, der unter einem Kreuz läuft. Und hier ist derselbe Mann, dem von einem anderen beim Tragen geholfen wird. Markus, das hier sind die Stationen eines Kreuzwegs!“
Markus war an das große Kreuz herangetreten, das am Kopfende des leicht ovalen Platzes hoch emporragte. Ein rotes Grablicht flackerte zu Füßen des Gekreuzigten, Blumenstöcke daneben.
„Ob die Leute hier noch regelmäßig Andachten abhalten?“
„Kann schon sein“, meinte Bianca. „Das Grablicht deutet jedenfalls darauf hin, dass jemand hier immer wieder mal nach dem Rechten sieht.“
Bianca schritt Stele für Stele ab, betrachtete die Darstellungen, während Markus mit dem Handy Fotos machte. Plötzlich stutzte sie und blieb stehen.
„Da stimmt was nicht.“
Markus wandte den Kopf, lief ein paar Schritte hin zu ihr. Bianca stand mit gesenktem Haupt vor einer Stele, machte einige Seitenschritte zur nächsten, betrachtete angestrengt das Relief und die römische Zahl darunter und kehrte wieder zurück.
„Was stimmt denn nicht?“, fragte Markus, dem das Gebaren seiner Lebensgefährtin seltsam vorkam.
„Schau mal die Zahlen dieser beiden Stelen an!“, gab diese zurück. Sie blickte immer noch wie gebannt auf die Stele, die Stirn in Furchen gelegt und ließ den Blick zur nächstgelegenen wandern.
Markus las: „XI“, dann lief er zur nächsten: „XIII.“
„Es fehlt die zwölfte Station!“, rief er erstaunt. „Du hast recht. Das ist merkwürdig.“
Er lief nun von Stele zu Stele, prüfte die Zahlen, suchte die fehlende zwölfte Station. Aber er fand sie nicht.
„Na ja“, meinte er lakonisch. „Dann ist halt das Kreuz hier die zwölfte Station.“