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Wie kriegen wir endlich wirklich fairen Kaffee? Warum sind Familienunternehmen besser beim nachhaltigen Wirtschaften? Woran hapert es bis heute bei Cradle to Cradle? Wie sieht nachhaltige Architektur aus? Was bringt Mülltrennung? Sollten wir häufiger "Nein!" sagen? Wie lecker ist Insektenschokolade? Was bleibt am Ende übrig? Und überhaupt: warum eigentlich Nachhaltigkeit? Die besten Geschichten aus mehr als 20 Jahren brand eins zu den großen Fragen der Nachhaltigkeit, die alle beschäftigen – oder auf die man erstmal kommen muss. Mit ungewöhnlichen und inspirierenden Antworten von Jeffrey Sachs, Orhan Pamuk, Red Bull und vielen anderen. brand eins ist das moderne Medienhaus mit dem Schwerpunkt Wirtschaft. Seit 1999 berichtet es über Menschen und Ideen, die das Leben und die Arbeit, die Gesellschaft und den Planeten besser machen. Gründlich recherchiert und unterhaltsam aufgeschrieben, zeigt es in unterschiedlichen Magazinen und Kanälen jeden Monat, wie sich die Welt verändert und was alles möglich ist. Essentielle Informationsquellen für Macher und Veränderer, die Inspiration suchen und weiter denken.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Inhalt
Editorial
Denken auf Vorrat
Nachhaltigkeit
Zimmer mit Aussicht
„Für Investmentmanager gibt es doch nichts Schöneres als Alkohol, Tabak, Pornografie.“
„Abfall ist Nahrung“
Die Kirschbaum-Ökonomie
Hoffnung
Hart erarbeitete Wunder
Mit der Kraft der Ahnen
Was gibt’s morgen zu essen?
Saubere Sache
Was bringt eigentlich die Mülltrennung?
Nicht für die Tonne
Die Wohlfühl-Utopie
Tut etwas!
Das Ende ist der Anfang
Hier stehe ich, ich kann nicht anders
Weiter denken
The Long Boom
Völkerverbindungen
Ein und alles
ENDE, AUSSERPLANMÄSSIG
Bauen mit Verstand
Altern
Hanna
Impressum
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Von Susanne Risch, Chefredakteurin
Das Problem mit dem Begriff Nachhaltigkeit ist, dass ihn jeder toll findet. Was will man auch dagegen sagen? Nachhaltig kann schließlich sozial, ökologisch, engagiert, klimaneutral, fair, langfristig oder auch verantwortungvoll meinen. Bei Nachhaltigkeit schwingt alles Mögliche mit – und nur Gutes. Das sollte uns stutzig machen.
Mein Kollege Thomas Ramge hat in seiner Auseinandersetzung mit dem Thema schon vor mehr als zehn Jahren festgestellt: „Es geht ihr nicht gut, der Nachhaltigkeit. Sie hat zu viele Freunde gefunden, auch falsche.“ In seinem Text zur Wohlfühl-Utopie zitiert er den Kasseler Umweltpsychologen Andreas Ernst. Nachhaltigkeit, meint der, sei immer schon ein unscharfer Begriff gewesen. „Er sagt nichts aus über Fristen von Veränderung oder die Verteilung von Lasten und Nutzen. Der Begriff hält die Arme weit auf, ist deshalb so anfällig für Usurpation“ (Seite 94).
Eine allgemeingültige Definition könnte helfen. Die fehlt jedoch trotz einiger Bemühungen bis heute. Und um keine falschen Erwartungen zu wecken: Auch wir haben keine eindeutige Begriffsklärung für uns gefunden. Dafür aber ein paar Anregungen, die den Blick für das Thema weiten sollen.
Denn mit dieser Einsicht fängt es an: Nachhaltigkeit ist kein Ziel, das einfach mit Elan und gutem Willen zu haben ist – Nachhaltigkeit ist ein Weg. Sie verlangt harte Arbeit und einen langen Atem. Eine Entwicklung, die langfristig zum Besseren führen soll, erfordert immer wieder Standortbestimmungen, neues Denken, Einsichten, Korrekturen, Disziplin, Übung, Geduld und Hartnäckigkeit. Wer Nachhaltigkeit anstrebt, muss Widersprüche und Zielkonflikte aushalten. Er muss bereit sein, zu lernen und sich auf Komplexität einzulassen. Nachhaltigkeit ist nichts für den nächsten Jahresbericht und nicht in einer Vorstandsperiode zu schaffen. Wer nachhaltig wirtschaften will, muss das Detail und die Zusammenhänge sehen. Und sich für eine lange Zeit auf immer neue Wendungen einstellen.
Peter Schwartz, einst Chef des amerikanischen Beratungsunternehmens Global Business Network, nannte das in einer unserer ersten brandeins-Ausgaben „Zukunftsräume ausleuchten“ (Seite 132). Er meinte damit nicht Prognosen, sondern die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Verläufe einzustellen. Denken auf Vorrat, wenn man so will. Das klingt anstrengend? Ganz sicher für all jene, die auf schnelle Ergebnisse aus sind. Alle, denen es mit der Nachhaltigkeit wirklich ernst ist, haben das längst gewusst. --
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Was wäre nachhaltiger als ein Garten, der für die Ewigkeit gemacht ist? Für ein derart langfristiges Projekt braucht es allerdings mehr als gute Absichten oder ein Bauchgefühl. Von einer durchdachten Zieldefinition über eine solide Bestandsaufnahme bis zur Ergebniskontrolle geht es vor allem um: Arbeit. Doch wer sich ihr begeistert widmet, kann sogar den schönsten Garten Englands erschaffen.
Text / Foto: Harald Willenbrock Aus: McK Wissen 07, Dezember 2003
Von März bis Oktober hält Sissinghurst stille Sensationen bereit.
Die Farmer konnten es nicht ahnen, aber die distinguierte Dame mittleren Alters, die an diesem Apriltag des Jahres 1930 den Feldweg zum Schloss hinauffuhr, war so etwas wie eine Berühmtheit. Vita Sackville-West, Spross einer adeligen Familie, Autorin von mehr als 40 Büchern, Trägerin des renommierten Hawthornden-Preises, Geliebte von Virginia Woolf und Vorbild für Orlando in Woolfs gleichnamigem Roman, befand sich auf der Suche nach einer neuen Bleibe.
Sissinghurst Castle, in der sanft gewellten Landschaft Südenglands gelegen, schien dafür eher ungeeignet. Vom Herrenhaus, das einst an dieser Stelle gestanden hatte, war wenig mehr übrig als die Gesindehäuser, ein paar Stallungen, der backsteinerne Tor-Turm sowie die Grundmauern des ehemaligen Schlosses. Den umgebenden Park hatte sich die Natur längst zurückerobert. Er war, wie sich später herausstellen sollte, bis in zwei Metern Tiefe voll von Gerümpel diverser Jahrhunderte. Vita Sackville aber sah in der Unordnung kein Problem – sie erblickte vor allem Möglichkeiten.
… Als ich den Ort … zum ersten Mal sah, entflammte er augenblicklich mein Herz und meine Phantasie. Ich habe mich auf den ersten Blick in ihn verliebt. … Es war Dornröschens Garten: aber ein Garten, der nach Befreiung schrie. Und es war leicht vorauszusehen, sogar zu diesem Moment, welchen Kampf es uns kosten würde, ihn zu befreien.*
Drei Wochen später erwarben Vita und ihr Ehemann Harold Nicolson Sissinghurst Castle inklusive der umgebenden 400 Acres, zogen in zwei Cottages auf dem Gelände und machten sich unverzüglich an die Arbeit. Es war die Geburtsstunde eines der einflussreichsten Gärten Englands, erdacht von zwei exzentrischen Autodidakten, die – ohne je eine gärtnerische Ausbildung genossen zu haben – zu einem der berühmtesten Gartendesigner-Duos des 20. Jahrhunderts zusammenwachsen sollten.
Dabei ist der versteckt liegende Park weder besonders überwältigend noch sonderlich groß: Das gesamte Anwesen lässt sich bequem in weniger als einer halben Stunde umwandern. Sissinghursts Besonderheit ist seine kluge, facettenreiche Konzeption, die auf alle lauten Effekte verzichtet und doch faszinierend genug ist, um Millionen Menschen anzuziehen. Ironischerweise hatten seine Erbauer dies zunächst überhaupt nicht im Sinn – ihren Traumgarten schufen Vita Sackville-West und Harold Nicolson allein für sich selbst.
Die Essenz des Gartendesigns – wie aller Formen architektonischer Planung – ist die Veränderung von Erwartungen durch das Element der Überraschung,postulierte Nicolson, ein ehemaliger Diplomat, Schriftsteller und Biograf König George V. Äußerlich von gewisser Ähnlichkeit mit dem jungen Ernest Hemingway, war Harold Nicolson ein kühler, sehr rationaler Kopf. Kaum war der Kaufvertrag für Sissinghurst unterschrieben, machte er sich an die Planung des Gartens.
Die Wochentage verbrachte Nicolson in seinem Londoner Apartment, sandte von dort aus aber jeden Tag Vorschläge, Ideen und Kritik zur Gartenplanung nach Sissinghurst. Vita antwortete ebenso fleißig – insgesamt kam das Paar während der knapp 50 Jahre dauernden Ehe auf mehr als 10 500 Briefe.
Unser hervorragendes Klima bedingt unseren Stil – der englische Rasen ist die Grundlage unseres Entwurfs … , analysierte Nicolson in einem von ihnen. Der Gartenarchitekt muss erkennen, dass die Eckpfeiler eines jeden guten englischen Gartens Wasser, Bäume, Hecken und Rasen sind.
Diese Eckpfeiler begann Nicolson nun zu einem streng mathematischen System von Geraden und Gegengeraden, Achsen und Plätzen zu ordnen, die sich vom alten Tor-Turm wie ein unregelmäßig geknüpftes Netz über die Landschaft legten. Vita wiederum machte sich auf die Suche nach Pflanzen, mit denen sie Harolds reduziertes Raster opulent zu füllen gedachte. Damit war eine der Hauptattraktionen Sissinghursts – die augenfällige Konkurrenz zwischen Ordnung und Disziplinlosigkeit, zwischen dem geometrisch strengen Rahmen des Gartens und überwuchernden Beeten, zwischen Harolds planerischem Geist und Vitas Fantasie – bereits angelegt. Heute gelten die gegensätzlichen Geister als eine Art Lennon/McCartney des Gartendesigns: Jeder für sich allein talentiert, zusammen aber unschlagbar.
„Dieser Garten ist das Porträt einer Ehe“, meint ihr Sohn Nigel Nicolson, „Harold machte den Entwurf, Vita pflanzte ihn an.“
Nicolsons Entwurf sah vor, den Park mit hohen Hecken, Mauern und Stauden in zehn separate Mini-Parks zu unterteilen, die jeder für sich völlig unterschiedlich gestaltet werden sollten. Die Hauptachse sollte durch geradlinige Perspektiven, durch geschnittene Heckenreihen, die auf Endpunkte in Form von Statuen oder Steinbänken zulaufen, deutlich gemacht und unterstrichen werden. Wer genau hinschaut, entdeckt in ihnen den Grundriss des alten Schlosses wieder.
Wir waren völlig einer Meinung, was den Gesamtentwurf des Gartens anging: lange Achsengänge von Nord nach Süd und von Ost nach West, in der Regel mit Statuen, Torbögen oder einem Paar von Pappelposten als Endpunkt, verbunden mit der intimen Überraschung kleiner geometrischer Gärten, die davon abgehen, fast wie die Zimmer eines riesigen Hauses von den Hauptkorridoren. (Vita)
Ganz unabsichtlich schufen Sackville und Nicolson mit ihren Zimmerfluchten wohl einen der Gründe, warum heute Monat für Monat Zehntausende Besucher mit ganz unterschiedlichen Interessen und Vorlieben ihr Garten-Reich aufsuchen: Irgendwo in Sissinghurst findet sich für jeden etwas. Romantischere Naturen verlieren sich eher im Rosengarten, während Freunde heimischer Gartentradition durch den Cottage Garden oder den Obstgarten – Sissinghursts natürlichsten, weitgehend der Natur überlassenen Abschnitt – spazieren. Der White Garden, eine weitere Attraktion, erreicht jedes Jahr Anfang Juli seine volle Blüte. Aber auch die Allee auffällig drapierter Linden, die Sissinghurst gen Süden begrenzt, ist eine Sehenswürdigkeit besonderer Art.
Sissinghurst: heute Englands berühmtester Garten.
Über diesen Lindengang, den Harold „my life’s work“ oder kurz „MLW“ nannte, führte Sissinghursts Oberarchitekt gesondert Buch. In seinen Notizbüchern zeichnete der penible Planer maßstabgerecht den Garten auf, nummerierte die Bäume von 1 bis 30 und widmete jedem Abschnitt des Lindengangs eine eigene Seite. Diese kleinen Karten ergänzte er mit praktischen Anmerkungen, Bepflanzungsplänen und einem fortlaufenden Kommentar zum Stand der Dinge.
Hinten Forsythien und hohe Tulpen. Vorne eine gute Mischung von Schlüsselblumen und Anemonen, aber die decken nicht genug. Einfach auffüllen. Unter Baum 8: Narcissus nanus (Wildnarzisse), lassen. Topf: sehr schlechte Traubenhyazinthe, herausnehmen und neu auffüllen. Baum 9: gute Anemonen. Schlüsselblumen mit Baumwolle abdecken. Ableger vom gelben Goldlack beim Cottage machen.
Nicolsons Idee, einen Garten wie die Zimmer eines Hauses einzurichten, war nicht neu, sondern ein Gartenklassiker seit den Tagen der Renaissance; ungewöhnlich aber war, dass Sissinghursts neue Eigentümer ihren Garten tatsächlich wie ein Haus nutzten. Vita und Harold zogen mit ihrer Küche ins South Cottage im Süden des Parks ein, während ihre beiden Söhne im kleinen Priest’s House am Nordende unterkamen. Die ansehnliche Schar an Gärtnern und sonstigem Personal – Vita stammte aus einer reichen adeligen Familie, außerdem verkauften sich ihre Bücher bereits zu Lebzeiten sehr gut – logierten im alten Haupthaus.
Sommers wie winters musste die Familie den halben Garten durchqueren, um vom Schlafzimmer ins Bad und in die Küche zu kommen. Sobald es warm genug war, wurde eine Erechtheum genannte Laube am Nordausgang zum Outdoor- Speisezimmer umfunktioniert. Ein mannshoher, schmaler Eibengang, dessen dichtes grünes Laub tatsächlich wie eine Wand wirkt, verband beide „Zimmer“.
Das Dumme war nur, dass sich die äußeren Gegebenheiten Harolds streng geometrischem Plan vehement widersetzten. Im Südwesten fällt Sissinghursts Gelände deutlich ab, außerdem war kaum eine der Grundmauern des alten Schlosses gerade geschnitten worden.
Das ist der Ärger mit Sissinghurst: Es ist großartig, aber die Winkel stimmen nie. (Harold)
Harold Nicolson und Vita Sackville-West waren Profi-Schriftsteller und Hobbygärtner.
Das geografische Problem lösten die Planer, indem sie die Mauern und Hecken so hoch anlegten, dass sich der Garten und damit die geometrische Ungenauigkeit von keinem Punkt überblicken lässt – es sei denn, man klettert auf den Turm. Ihren Buchen- und Eibenhecken widmeten sie daher auch besondere Sorgfalt. Als Sissinghursts Chefgärtner Jack Vass 1941 zum Dienst bei der Royal Air Force eingezogen wurde, gab er Order, man dürfe während seiner Abwesenheit notfalls alles vernachlässigen, keinesfalls aber die Hecken.
„Zeit“, bekräftigt Sarah Cook, „ist der entscheidende Faktor.“ Cook – Fleecejacke, Schlabbershirt, wache Augen, kräftige Hände – ist die Nach-Nach-Nachfolgerin von Vass und heute Chefgärtnerin in Sissinghurst. Ihr Büro befindet sich in einem ehemaligen Schuppen am Ausgang des Parks, versteckt hinter dem Verkaufstresen für Eintrittskarten und Bildbände. Ein Regal steckt voller Kladden, in denen Cook die nächsten anstehenden Arbeiten plant. Auf dem Bürotisch liegt ein Plastikbeutel mit Kochäpfeln und einem Zettel „Please help yourself!!!“
„Wenn wir mal ein Jahr mit der Gartenpflege aussetzten, würden es die Besucher vermutlich nicht einmal merken“, sagt die Gärtnerin. „Nach fünf Jahren jedoch wären die Schäden irreparabel.“ Ein Gärtner müsse deshalb beständig mit unterschiedlichen Zeiträumen operieren. Cooks aktuelle Planungen erstrecken sich von den nächsten sieben Tagen bis zu den kommenden sieben Jahren, während derer der Garten fortlaufend verjüngt wird. Jahr für Jahr beispielsweise müssen im Rosengarten fünf bis sieben Rosen ausgetauscht werden, „weil wir sonst eines Tages nur noch alte Rosen hätten“.
In fünf Jahren, sagt Cook, werde sie einige Sträucher im Cottage Garden ersetzen lassen, im Jahr 2010 seien die Apfelbäume im Obstgarten dran. „Am wichtigsten ist es, zu erkennen, dass das Ergebnis nie perfekt sein wird. Ein Garten verändert sich jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat. Man kann ihn unmöglich bewahren. Aber man kann seine Idee am Leben erhalten.“
Die Idee stammte zu einem großen Teil von Vita Sackville-West. Die Schriftstellerin, die sich im alten Tor-Turm ihr Schreibzimmer einrichtete, in dem sie ihr Hauptwerk „Pepita“ sowie später, als der Ruf Sissinghursts landesweit bekannt geworden war, eine wöchentliche Gartenkolumne für den Observer verfasste, war die kreative Träumerin des Designer-Duos.
Sissinghurst war ein romantischer Ort, und im Rahmen von Harold Nicolsons Strenge musste er als solcher behandelt werden. Ich wollte ein Gewirr von Rosen und Geißblatt, Feigen und Weinreben. (Vita)
Sissinghurst ist unterteilt in zehn separate Mini-Parks, die von den Hauptachsen abzweigen wie die Zimmer eines riesigen Hauses von den Korridoren.
So weit die Strategie. Über die Details gerieten die gegensätzlichen Charaktere regelmäßig aneinander. Nein, Liebling, was die Azaleen angeht, bin ich nicht Deiner Meinung, schrieb Harold 1947 an Vita. Zum einen, weil ich nicht das Gefühl habe, dass die Azaleen überhaupt Sissinghurst-Pflanzen sind. Es sind Ascot- oder Sunningdale-Pflanzen. Nichts für unser lieblich-romantisches angelsächsisch-römisches Tudor-Kent. Ich weiß, Du wirst mit Recht einwenden, dass dann auch die Magnolien nicht hierher passen. Aber Du weißt schon, was ich meine. Alles Spießbürgerliche sollte vermieden werden.
Vita setzte sich durch. Die Azaleen wurden gepflanzt. Vieles andere aber, was zum Standardrepertoire großer Gärten gehört, ließen die beiden einfach weg. In Sissinghurst gibt es keine wasserspeienden Engel und kein Trompe-l’œil. Für die Gartenkritikerin Jane Brown ist „die Beschränkung eine der bemerkenswertesten Eigenschaften von Sissinghurst“.
Eine andere ist die jahreszeitliche Vielfalt, die Sackville/Nicolson erreichten, indem sie jedes der Gartenzimmer an eine andere Saison koppelten. Vita: Von Anfang an stand für uns fest, dass der Garten mit all seinen Räumen und Unterabteilungen jahreszeitliche Züge tragen sollte; er war groß genug, um Platz dafür zu bieten. Wir konnten einen Frühlingsgarten von März bis Mitte Mai haben, einen Frühsommergarten von Mai bis Juli, einen Spätsommergarten von Juli bis August und einen Herbstgarten von September bis Oktober. Der Winter muss sehen, wie er mit ein paar wenigen winterfesten Sträuchern und ein paar früheren Knollen zurechtkommt.
Sarah Cook und ihre Agenda. Die Chefgärtnerin von Sissinghurst arbeitet parallel mit verschiedenen Planungszeiträumen. Dabei gilt es, den Garten permanent zu verjüngen. „Man kann ihn unmöglich bewahren. Aber man kann seine Idee am Leben erhalten.“
„Schauen Sie“, ruft Sarah Cook, während sie ihren Besucher durch den Weißen Garten führt, „im Spätherbst sind hier die meisten Blumen verwelkt. Dafür blühen im Cottage Garden jetzt die Dahlien, Astern, Clematis und Gladiolen, als stünde der größte Besucheransturm erst noch bevor.“ Harolds Lindengang wiederum ist eigentlich nur ein paar Wochen im Frühjahr interessant, wenn Schneeglöckchen, Narzissen und Tulpen zu Füßen der Bäume blühen. Der Nussgarten ist ob seiner verwelkenden Blätter komplett in goldenes Gelb getaucht, während die mächtigen Eichen entlang des Wassergrabens noch in saftigem Grün stehen und alle paar Sekunden mit lautem Plumpf eine Eichel im Wasser versenken. „Jede Ecke ist immer irgendwie interessant“, meint Cook, „aber jede hat auch irgendwann im Jahr ihren Höhepunkt.“
Manche Besucher erinnert Sissinghurst an einen gut bestückten Wochenmarkt, der zu jeder Jahreszeit andere, immer aber verlockende Angebote bereithält. Andere fühlen sich eher an ein Schloss mit zahllosen, unterschiedlich ausgestatteten Salons erinnert. Sieben Vollzeitgärtner sowie mehrere Dutzend Freiwillige sind permanent damit beschäftigt, sein Interieur zu restaurieren.
Das Markenzeichen dieses Schlosses entstand erst nach dem Krieg, als Vita auf die Idee kam, einen bislang eher vernachlässigten Gartenabschnitt südöstlich des Priest’s House in einen Themenpark besonderer Art zu verwandeln: Einen monochrom strukturierten White Garden stellte sie sich vor, in dem nur weiß, grau und grün blühende Pflanzen ihren Platz finden sollten. Ich möchte nicht vorzeitig mit meinem grau-grün-weißen Garten prahlen, schrieb sie ihren Lesern im Observer, vielleicht wird es ein schrecklicher Reinfall.
Das Gegenteil war der Fall. Der White Garden avancierte zu einer Art USP Sissinghursts – zu jener Attraktion, wegen derer die meisten Besucher den Weg nach Kent auf sich nehmen. „Häufig nachgeahmt, niemals erreicht, hat dieser Garten eine Vielzahl von zumeist erfolglosen Nachahmern auf drei Kontinenten gefunden“, schrieb der Gartenkolumnist Michael Weishan in der Zeitschrift Country Living. „Die Wahrheit ist: Der Bau eines solchen Gartens ist unglaublich komplex, weil sein Erfolg von der richtigen Planung zusammen mit der Fähigkeit und der Bereitwilligkeit zu Experimenten abhängt.“
Nicht einmal zehn Jahre benötigten Nicolson und Sackville, bis sich Sissinghursts vernachlässigter Park in einen blühenden Garten nach ihren Vorstellungen verwandelt hatte. Angesichts zahlreicher Neugieriger mussten die Sissinghurst-Eigner bald dazu übergehen, Tage der offenen Tür einzurichten. Weil sie von jedem Besucher einen Shilling (heute: fünf Pence) kassierten, nannten sie ihre Gäste Shillings. Schon 1954 summierten sich die Shillings zu 1394 Britischen Pfund, die Vita sofort wieder in Setzlinge, Knollen und Zwiebeln investierte. Mit dem öffentlichen Interesse wuchs auch bei Nicolson und Sackville der Ehrgeiz, was die Außenwirkung des Gartens betraf.