Ehrenmorde. Töten im Namen der Religion? - Marina Schauer - E-Book

Ehrenmorde. Töten im Namen der Religion? E-Book

Marina Schauer

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Orientalistik / Sinologie - Islamwissenschaft, Note: 2,3, Universität Hamburg (Asien-Afrika-Institut), Sprache: Deutsch, Abstract: Am 7. Februar 2005 wurde die Deutschtürkin Hatun Sürücü von ihrem Bruder Ayhan an einer Bushaltestelle in Berlin erschossen. Die nach traditionellen islamischen Werten und den Sitten und Gebräuchen ihrer ostanatolischen Herkunftsregion erzogene junge Frau lebte seit einiger Zeit getrennt von ihrer Familie, sie hatte das Kopftuch abgelegt, schminkte sich, kleidete sich nach westlichen Maßstäben und hatte bereits einige Beziehungen zu verschiedenen Männern geführt. „Ay. [Ayhan] verachtete H. [Hatun] wegen ihres von ihm als ehrlos empfundenen Lebenswandels. Nach seiner Auffassung verletzte sie damit die „Familienehre, die insbesondere von den Frauen der Familie über ihre sexuelle Integrität verkörpert“ werde. Seiner Meinung nach oblag es den Männern der Familie, die durch das Verhalten eines weiblichen Familienmitglieds vermeintlich verletzte Familienehre wiederherzustellen“. Dieses Beispiel zeigt, dass Tötungen aufgrund eines verletzten Ehrgefühls nicht nur ein Phänomen der Türkei oder anderer vornehmlich islamisch geprägter Länder sind, sondern auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern vorkommen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob der Ehrenmord ein spezifisch islamisches Problem oder möglicherweise gar kein religiöses, sondern ein kulturelles Phänomen ist. Weiterhin soll untersucht werden, was für ein Islamverständnis Familien, in denen Ehrenmorde geschehen, haben und was der Koran zum Thema Töten und zur Züchtigung ungehorsamer Frauen sagt. Ferner soll erörtert werden, ob die Männer, die Ehrenmorde ausführen, ebenfalls Opfer, nämlich Opfer ihrer eigenen Kultur, sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Arbeit ist der rechtliche Umgang mit Ehrenmördern. Es wird untersucht, wie die Rechtslage in Deutschland und in der Türkei aussieht und wie mit Ehrenmördern und ihren Familien, die in der Regel Mitwisser, manchmal sogar Mittäter, sind, umgegangen wird. Bevor mögliche Antworten auf diese Fragen erörtert werden, wird die Arbeit mit zwei Definitionen zum deutschen und türkischen Ehrbegriff eingeleitet. Für ein besseres Verständnis der Hintergründe werden im darauf folgenden Kapitel mögliche Ursachen für Tötungen aus Gründen der Ehre und der Tradition erörtert. Weiterhin wird der kulturelle Hintergrund der Täter und Opfer näher beleuchtet.

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Inhaltsverzeichnis

 

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen

2.1 Der deutsche Ehrbegriff

2.2 Der türkische Ehrbegriff

2.3 Definition Ehrenmord

3. Zahlen und Fakten zu Ehrenmorden in Deutschland und der Türkei

4 Warum töten Ehrenmörder?

4.1 Motive und Tatanlässe für Ehrenmorde

4.2 Kulturelle Hintergründe der Täter- und Opferfamilien

5 Rechtliche Betrachtung von Ehrenmorden

5.1 Die deutsche Gesetzeslage

5.2 Die türkische Gesetzeslage

5.2.1 Vor der Reform 2005

5.2.2 Nach der Reform 2005

6 Der Ehrenmord im Islam

7 Schlussbetrachtung: Ehrenmord - Kultur oder Religion?

8. Literaturverzeichnis

 

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

 

Am 7. Februar 2005 wurde die Deutschtürkin Hatun Sürücü von ihrem Bruder Ayhan an einer Bushaltestelle in Berlin erschossen. Die nach traditionellen islamischen Werten und den Sitten und Gebräuchen ihrer ostanatolischen Herkunftsregion erzogene junge Frau lebte seit einiger Zeit getrennt von ihrer Familie, sie hatte das Kopftuch abgelegt, schminkte sich, kleidete sich nach westlichen Maßstäben und hatte bereits einige Beziehungen zu verschiedenen Männern geführt. „Ay. [Ayhan] verachtete H. [Hatun] wegen ihres von ihm als ehrlos empfundenen Lebenswandels. Nach seiner Auffassung verletzte sie damit die „Familienehre, die insbesondere von den Frauen der Familie über ihre sexuelle Integrität verkörpert“ werde. Seiner Meinung nach oblag es den Männern der Familie, die durch das Verhalten eines weiblichen Familienmitglieds vermeintlich verletzte Familienehre wiederherzustellen“[1].

 

Dieses Beispiel zeigt, dass Tötungen aufgrund eines verletzten Ehrgefühls nicht nur ein Phänomen der Türkei oder anderer vornehmlich islamisch geprägter Länder sind, sondern auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern vorkommen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob der Ehrenmord ein spezifisch islamisches Problem oder möglicherweise gar kein religiöses, sondern ein kulturelles Phänomen ist. Weiterhin soll untersucht werden, was für ein Islamverständnis Familien, in denen Ehrenmorde geschehen, haben und was der Koran zum Thema Töten und zur Züchtigung ungehorsamer Frauen sagt. Ferner soll erörtert werden, ob die Männer, die Ehrenmorde ausführen, ebenfalls Opfer, nämlich Opfer ihrer eigenen Kultur, sind.

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Arbeit ist der rechtliche Umgang mit Ehrenmördern. Es wird untersucht, wie die Rechtslage in Deutschland und in der Türkei aussieht und wie mit Ehrenmördern und ihren Familien, die in der Regel Mitwisser, manchmal sogar Mittäter, sind, umgegangen wird.

 

Bevor mögliche Antworten auf diese Fragen erörtert werden, wird die Arbeit mit zwei Definitionen zum deutschen und türkischen Ehrbegriff eingeleitet. Für ein besseres Verständnis der Hintergründe werden im darauf folgenden Kapitel mögliche Ursachen für

 

Tötungen aus Gründen der Ehre und der Tradition erörtert. Weiterhin wird der kulturelle Hintergrund der Täter und Opfer näher beleuchtet.

 

Für die Zitate aus dem Koran habe ich die Übersetzung von Rudi Paret aus dem Jahr 2004 genutzt. Die verwendeten Artikel aus dem Türk Ceza Kanunu habe ich zum Teil selbstständig übersetzt, zum Teil habe ich die Übersetzungen anderer Autoren genutzt.

2. Definitionen

 

Im Folgenden werden der spezifisch deutsche und der spezifisch türkische Ehrbegriff erläutert. Abschließend wird der Begriff „Ehrenmord“ definiert.

 

2.1 Der deutsche Ehrbegriff

 

Die Ehre ist die personale Würde jedes einzelnen Menschen und sein Achtungsanspruch in der Gesellschaft. Dabei ist die Ehre jedoch nur ein Aspekt der Würde, da die Würde von den Fähigkeiten und dem Verhalten des Individuums unabhängig ist. Die Würde kann nicht verloren oder aberkannt werden, wie es mit der Ehre der Fall ist. Die Ehre des Einzelnen ist abhängig von bestimmten Faktoren wie Ansehen, Achtung, Ruf, Status, Ruhm, Verdienst oder Sittlichkeit und kann erhöht, gemindert oder verloren werden[2] . Binding fasste dies bereits 1902 zusammen: „Das Ganze der Ehre ist Menschenwürde“ [3] .

 

Tenckhoff stellte im Rahmen einer normativen Definition des Ehrbegriffs den Unterschied zwischen der „konstanten“ Ehre und der „variablen“ Ehre dar: „Konstant“ sei demnach der allgemeine Menschenwert, „variabel“ hingegen der individuelle Wert eines Menschen, der durch Pflichtverletzungen sittlicher, sozialer oder rechtlicher Natur gemindert werden könne [4]. Die Ehre als personales Rechtsgut ist in Deutschland einerseits strafrechtlich durch die Beleidigungsdelikte (§§ 185ff StGB) geschützt, andererseits ist das Recht der persönlichen Ehre im Art. 5 Abs. 2 GG sogar im Grundgesetz gegen eine übermäßige Ausnutzung der Meinungs- und Pressefreiheit geschützt[5].

 

2.2 Der türkische Ehrbegriff

 

Im Türkischen gibt es für den deutschen Begriff der „Ehre“ drei verschiedene Ausdrücke: namus, §eref und haysiyet. Namus bezeichnet dabei die persönliche Ehre, die Familien- und Geschlechterehre und die Ehrbarkeit einer Person. §eref und haysiyet hingegen bezeichnen das objektiv bewertbare Ansehen, wobei §eref eher auf die (soziale) Stellung einer Person abzielt und haysiyet auf ihr Ansehen und ihre Würde[6].

 

Namus lässt sich weiterhin in zwei Bereiche unterteilen: Eine klare Grenze trennt das Innen (die Familie) vom Außen (die (männliche) Öffentlichkeit) ab. Wird diese Grenze von einem

 

Angehörigen der Familie bzw. von einem Außenstehenden, der ein Familienmitglied angreift oder belästigt, überschritten, muss das Familienoberhaupt bedingungslos und entschieden gegen die Person, die den Regelverstoß begangen hat, vorgehen. Tut er das nicht, gilt er als namussuz (unehrenhaft, ehrlos)[7].