Ein Buch über die Bildung (E-Book) - Christian Amsler - E-Book

Ein Buch über die Bildung (E-Book) E-Book

Christian Amsler

0,0

  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Im Schulhaus ist das Klassenzimmer. Draussen ist die Welt. Unbedingt muss die Lehrperson ein Fenster öffnen zu dieser Welt. Was braucht es dafür? Christian Amsler diskutiert aktuelle Aspekte des Schweizer Schulwesens. Aufbauend auf seinen Erfahrungen als Lehrer, Schulleiter, Bildungspolitiker und Vater versammelt er Überlegungen zu Themen wie Lesen, Digitalisierung, dem Verhältnis von Schule und Religion und nicht zuletzt dem Lehrplan 21. Ein buntes, anregendes, engagiertes und durchaus auch kritisches Buch.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 261

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

Christian Amsler

Ein Buch über die Bildung

Weshalb Schulen ein Fenster zur Welt öffnen sollten

 

ISBN Print: 978-3-0355-2168-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-2169-6

 

Illustrationen: Florian Amsler

Fotos: Christian Amsler (Momentaufnahmen von diversen Schulbesuchen)

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Den Kindern ein Fenster zur Welt öffnen – eine Art Vorwort

Lesen

Lesen, lesen, lesen – vom Zauber des Lesens und Vorlesens

Hausaufgaben

Von den Hausaufgaben zum Arbeitsort Schule

Religion

Von Kruzifixen, Kopftüchern, Burkinis und Co. – Schule und Religion

Digitalisierung

Digitalisierung – von Bits und Bytes im Schulzimmer

Kommunikation

Kommunikation an Schulen – man kann nicht nicht kommunizieren!

Corona

Und dann kam Corona …

Lehrpersonen

Die Lehrerin, der Lehrer – die Fachleute des Lernens

Lehrplan 21

Der Lehrplan 21 – im Auftrag des Volkes

EDK

Die EDK – Hort der Schweizer Bildungspolitik nach dem Motto «Gemeinsam statt einsam»

Schulgeschichten

Schulgeschichte – Schulgeschichten

Dank

Literatur

Autor

Vorwort

 

«Die Schulen sollen ein Fenster zur Welt öffnen und sich nicht einkapseln.»

Den Kindern ein Fenster zur Welt öffnen – eine Art Vorwort

In der Bundesverfassung steht in der Präambel, dass das Schweizervolk und die Kantone im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen handeln wollen und sich bewusst sind, dass «frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen». Das passt wunderbar auch zur Schulwelt. Über acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählt unser Land und damit fast so viele Schulspezialistinnen und -spezialisten. Alle wissen über die Schule Bescheid, alle können und wollen mitreden und (fast) alle sind auch selbst zur Schule gegangen. Die eigene Schulerfahrung prägt ganz stark das eigene Denken über die Schule. Schule ist das wahre Leben und Emotion pur – hier geht es um unsere Kinder und damit die Jüngsten in unserer Gesellschaft.

Schule in unserem Land hat viel mit Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit zu tun. Das Bildungssystem hat hohe Ansprüche an sich selbst, will Starke und Schwache gleichermassen fördern und sich um alle und alles kümmern. Dies führt oft zur Überforderung des Systems und dann und wann auch zum Kollaps.

Ich habe immer aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und Positionen auf die Schule geschaut. Als Schüler, als Lehrer, als Schulpolitiker, als Schulleiter, als Vater, als Ehemann einer Lehrerin – immer wieder fasziniert davon, ganz neue Aspekte und Sichtweisen rund um Schule und Bildung entdecken zu dürfen. Eine packende Welt, bunt und schillernd und weltumspannend. Der Homo sapiens – das «weise Lebewesen» auf diesem Planeten – hat den steten Drang und Wunsch sich aus- und weiterzubilden. Lebenslanges Lernen, Education Permanente – und trotzdem mit ganz unterschiedlichen Grundvoraussetzungen.

Ich wollte kein Fachbuch schreiben. Das überlasse ich gerne den Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftlern und den zahlreichen Forschungsstellen der Unis und Fachhochschulen. Nein, ich wollte vielmehr ein Skizzenbuch schreiben, Bildungsfragmente aneinanderreihen, Erlebnisse wiedergeben, ein persönliches Puzzle aus Einzelteilen zusammenfügen. Darum habe ich es ganz schlicht «Ein Buch über die Bildung» betitelt. Und ich habe auch einen Untertitel gesetzt: «Warum Schulen ein Fenster zur Welt öffnen sollten».

Im Schulhaus sind Klassenzimmer und Schulklasse. Draussen ist die Welt. Der Lehrer oder die Lehrerin muss unbedingt ein Fenster zu dieser Welt draussen öffnen, nicht nur der frischen Luft wegen. Noch besser geht er oder sie mit den Kindern immer wieder hinaus in diese Welt.

Ich wurde immer wieder gefragt, was denn gute Schule sei. Das ist eine hochkomplexe und schwierige Frage, und es gibt nicht die eine richtige Antwort darauf. Ich weiss dazu viele Antworten, aber ich weiss die eine Antwort nicht. Zahlreiche Modelle und Expertisen sind mir begegnet, unzählige Fachartikel habe ich darüber gelesen. Sehr vieles kann man richtig machen, vieles aber auch falsch. Ich habe den jungen Studierenden der Pädagogischen Hochschulen immer gesagt, dass es mir als Vater von drei Kindern wichtig sei, dass Kinder mit Freude, angstfrei und vor allem gerne zu ihnen in die Schule gehen sollten. Dann ist schon sehr viel gewonnen.

Einen Schwerpunkt widme ich – wohl nicht unerwartet – dem Lehrplan 21. Es war nun einfach so, dass ich just in den entscheidenden Gestehungszeiten des Lehrplans 21 die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz D-EDK und auch die politische Steuergruppe Lehrplan 21 präsidierte. Rasch haben mir die Schweizer Medien denn auch bei der umfassenden Berichterstattung zum Lehrplan 21 das Attribut «Mister Lehrplan 21» aufgestempelt.

Lehrpersonen sind Zehnkämpferinnen und Zehnkämpfer. Für mich sind sie die wahren Heldinnen und Helden der Bildung. Sie hüten täglich einen Sack Flöhe, und Heterogenität ist nur das Vorwort der Schulrealität. Sie sorgen mit ihrem pädagogischen Wirken für eine zeitgemässe Schule, und zwar eine Schule, in der die Kinder mit allen Sinnen lernen, in der jedes Kind individuell eine eigene Struktur findet, sich selbst mit seinen Stärken und Schwächen einschätzen lernt und in der gemeinsame Schulprojekte aus den Herzen der Kinder entstehen. Sie sorgen für eine Schule, die sich selbst als lernende Organisation erlebt, in der alle Beteiligten in professionellen Lerngemeinschaften zusammenarbeiten und die zwecks Abstützung in der Welt der aktuellsten Bildungsforschung in Netzwerken mit der Wissenschaft kooperiert.

Die Schule tut gut daran, sich stetig zu reformieren. Stillstand bedeutet Rückschritt. Es gibt ja das Bonmot «Wir sind Schülerinnen und Schüler von heute, die in Schulen von gestern, von Lehrpersonen von vorgestern, mit Methoden aus dem Mittelalter auf die Probleme von übermorgen vorbereitet werden». Das ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders! Ich finde schon, dass die Schule sich in einem vorwärts gerichteten Reformprozess befindet. Schule ist auch Hort der Stabilität in bewegten Zeiten. So gesehen bin ich froh, dass die Schule als eher träger Supertanker unterwegs ist und nicht als kleines Schifflein, dass bei jeder Sturmwelle gleich ins Schlingern kommt. Gute, bewährte pädagogische Grundprinzipien lassen sich zum Glück nicht einfach durch gesellschaftliche Unwegsamkeiten über den Haufen werfen. Den Dialog aller an der Schule Beteiligten und der Verantwortungsträger in Politik und Behörde, was Schule sein soll und zu leisten hat, braucht es immer.

Und was ist mein grösster Wunsch für die Zukunft des schweizerischen Schulsystems? Dass die Schulen zusammenarbeiten, gemeinsam für die Aufrechterhaltung unserer Werte und Stabilität sorgen, aber auch agil und neugierig bleiben auf die Welt da draussen. Die Welt bewegt sich rasant und mit Covid-19 ist eine ganz neue Dimension dazugekommen. Die Schulen sollen ein Fenster zur Welt öffnen und sich nicht einkapseln. Die Schule muss sich mit aller Kraft um die jungen Menschen kümmern und ihnen Halt, Zuversicht und Kompetenz für das anspruchsvolle Leben geben. Eine herausfordernde, strenge, aber auch schöne Aufgabe und das pädagogische Grund-Credo!

Dieses Buch ist für Lehrerinnen und Lehrer, für Eltern, für Bildungspolitikerinnen und -politiker, für Studierende der Pädagogischen Hochschulen. Für dich, liebe Leserin, lieber Leser! Mach ruhig mal die Faust und finde, dass du das alles ganz anders siehst. Gut so! Mir ist das lieber, als wenn Schule nicht berührt, einen kaltlässt, keine Emotionen weckt. Gib mir ein Feedback, schreib deine Sicht nieder. Meine Mailadresse ist [email protected]. Du bekommst asap eine Antwort – versprochen!

Und nun wünsche ich viel Freude, Stirnrunzeln, Unverständnis und Einverständnis beim Eintauchen in die Schulwelt. Und am allerliebsten ist mir, wenn wir alle gemeinsam den Kindern ein Fenster zur Welt öffnen.

 

Stetten SH, 2022, Christian Amsler

Lesen

 

«Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!»

Astrid Lindgren

Lesen, lesen, lesen – vom Zauber des Lesens und Vorlesens

Wie habe ich es geliebt, wenn mir meine Eltern oder Grosseltern Geschichten aus einem Bilderbuch erzählt haben! Oder mein Vater uns Kindern als sich fortsetzende Gute-Nacht-Geschichten seine frei erfundenen Abenteuer vom «Bär Brummeltatz» erzählt hat. Oder uns die Lehrerin am Samstag in der letzten Stunde einen packenden Jugendroman vorgelesen hat. Als Kind habe ich unzählige Bücher verschlungen, von Enid Blyton, Heiner Gross, Lisa Tetzner, Kurt Held, Karl May oder Federica de Cesco. Auch als Eltern haben meine Frau und ich unseren drei Kindern Bücher vorgelesen und Geschichten erzählt. Nun erlebe ich als zweifacher Grossvater wieder, welch wunderbarer Zauber der Verbindung sich ergibt beim Betrachten und Erzählen eines Bilderbuchs. Es spielt für meine Enkelin Elin keine Rolle, dass man ihr gefühlt schon zum tausendsten Mal aus dem Bilderbuch «Auf und davon! Stadtkater Oskar reist aufs Land» erzählt. Die Begeisterung des Kindes für die Geschichte und die damit verknüpften Bilder ist immer gross. Lesen bringt uns zum Lachen und rührt manchmal auch zu Tränen, es zaubert Bilder vor unser inneres Auge, und manche Bücher fesseln uns so stark, dass wir sie kaum loslassen möchten.

Kinder mögen und brauchen Geschichten! Eine zentrale Basiskompetenz unserer Gesellschaft ist das Lesen. Lesen öffnet Tür und Tor zu neuem Wissen, ermöglicht uns die Teilhabe an Debatten und ist wesentliche Voraussetzung für die Meinungsbildung. Wir möchten in der Schule die Kinder auf das Leben als mündige und interessierte Bürgerinnen und Bürger mit aktiver Teilnahme am gesellschaftlichen Leben vorbereiten und sie auf dem Weg dahin begleiten. Das Demokratieland Schweiz lebt von aktiver Partizipation an politischen Prozessen, die ohne Lesekompetenz nur schwer möglich ist.

Letztendlich ist die im Elternhaus und in der Schule geförderte Lesekompetenz ein Türöffner zur Welt, unterstützt das Kind auf dem Weg zum tiefgreifenden Verständnis von Themen und ermöglicht so die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen – Partizipation am Leben! Mithilfe der Sprache lernen die Kinder, sich innerhalb des Klassengefüges zu behaupten, sich auszudrücken, einzubringen und in den Austausch mit den Mitlernenden zu treten.

Erzählen und Lesen begleitet uns bereits von frühem Alter an, immer auch abhängig vom jeweiligen Umfeld, in das wir geboren werden. Lesen ist eine Fähigkeit, die uns den ganzen Tag begleitet, oft unbewusst beim Erfassen von Reklame- oder Strassenschildern oder Beipackzetteln, aber auch bewusst beim Lesen einer Zeitung, eines Mail-Textes oder auch eines dicken Romanschmökers.

Für viele Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern und Grosseltern, Patenonkel und Tanten ist es zum Glück auch heute noch selbstverständlich, gemeinsam mit den Kindern Bilderbücher anzuschauen, Geschichten zu erfinden oder ihnen vorzulesen. Trotz der digitalen Ablenkung und Alternative von Fernsehen, iPad und diversen Abspielgeräten! Dies gibt Raum für die vielen Fragen der Kinder und lässt gemeinsam die Welt entdecken und erschliessen. Nur wir und unsere Geschichte! So werden wertvolle Signale ungeteilter Aufmerksamkeit ausgesendet, und dem Kind wird Wohlwollen und Geborgenheit geschenkt. Dies fördert Zusammengehörigkeitsgefühle, weckt die Neugier, stärkt das Gefühl emotionaler Verbundenheit und macht Lust auf mehr.

Es ist klar, dass sich die Lesekultur und die Art des Lesens durch die Digitalisierung stark verändern. Rasch und quer erfassen, speed reading oder short und smart werden immer wichtiger. Seitenlange Gebrauchsanweisungen werden zur Seite gelegt oder gleich entsorgt. In der Kürze liegt die Würze! Auch Zeitungen, Zeitschriften und gar Romane werden immer häufiger durch digitale und deutlich kürzere Texte ersetzt. Die Meinungsbildung findet nicht mehr allein via gängige Medienkanäle statt, sondern immer mehr über Social Media. Durch das Lesen von Statements im Netz wird sich in Sekundenschnelle eine Meinung gebildet. Eine gewisse Thementiefe und Differenzierung bleiben damit auf der Strecke.

Ein komplexes politisches oder gesellschaftliches Thema kann aber nicht in den wenigen Maximalzeichen eines Tweets erklärt werden. So klafft zwischen den komplexen Themen der Realität und den raschen, knappen Texten der digitalen Kanäle oft eine grosse Lücke. Eine (zu) schnelle Informationsanreicherung hat immer auch Informationsverluste zur Folge. Für Kinder und Jugendliche ist das Erfassen und Verstehen einer komplexen Thematik in umfassender Gesamtheit nicht allein durch das Überfliegen von Kurzsätzen, Texttiteln oder Pop-up- und Pull-down-Nachrichten möglich.

Die Schule will umfassendes Denken und breitfächerige Argumentation fördern und nicht einsilbiges «Hors-sol-Denken». Zu stark eingedickte und verkürzte Argumentationen haben Auswirkungen auf die Denkmuster der Schülerinnen und Schüler. Fastfood-Information führt zwangsläufig zu wenig fundierter Fastfood-Meinung.

Jedoch ist genau die vielschichtige Auseinandersetzung mit Themen eine wichtige Kompetenz. Sie wird nicht nur bei der Meinungsbildung, sondern auch beim gegenseitigen Austausch, beispielsweise im Rahmen einer politischen Debatte benötigt. Lesen legt die Basis zu freiem Denken und Entscheiden. Dies ist der Weg zum mündigen Bürger und zur mündigen Bürgerin und damit Grundlage jeder Demokratie. Politische Bildung in Reinkultur – versuchen, die andere Person zu verstehen, einmal deren Hut aufsetzen, damit die andere Position klarer wird. Eine erfolgreiche Konfliktlösung im Klassenzimmer ist ohne eine umfassende Auseinandersetzung mit der Gegenposition nicht möglich. Der Trend zu kürzeren digitalen Texten geht oft auch mit einer extremeren Positionierung einher. Dies zeigen Auswüchse im digitalen Netz, das leider immer mehr auch zu einem Nährboden für Extremismus, Hass auf Verantwortungsträger und -trägerinnen und Hetze wird. Anonym oder sogar unter einer anderen Identität kann ich mich im Netz austoben und den dort zur Verfügung gestellten «Kotzkübel» benutzen, um meine angestaute Frustration zu mindern und gehörig Dampf abzulassen. Mit übertriebenen und zugespitzten Headlines wollen auch einschlägige Medien ihre Leserinnen und Leser anstacheln, polarisieren und gleichzeitig eine möglichst hohe Anzahl Klicks erzielen. Dieser Trend ist leider auch bei durchaus seriösen Medienhäusern auszumachen.

Lesen ist nicht einfach monotone Tätigkeit im Fachbereich Deutsch – nein, die Freude an der Vielfalt und Kraft der Sprache hat vielmehr auch stark mit Emotionalität und Sinnlichkeit zu tun. So wird in den Grundlagen des Lehrplans 21 denn auch dieser wichtige Grundsatz des Sprachenerwerbs formuliert:

«Im Umgang mit Sprache und Texten ermöglicht die Schule von Beginn an ästhetische Erfahrungen, die als Grundlage für sprachliche Reflexion dienen. Interesse an unterschiedlichen sprachlichen Formen (z.B. Rhythmus, Reim, Wiederholung, Vers) und Freude am Umgang mit Sprache (z.B. Wortwahl, Ausschmückungen, Melodie, Lautmalerei) können geweckt werden. Sowohl ästhetische Erfahrungen als auch die Reflexion darüber sind wichtige Voraussetzungen für den Aufbau sprachlicher Kompetenzen und das eigene Sprachschaffen.» (D-EDK 2016d, S. 7)

Lesen heisst aber für das Kind auch, selbst den Gang der Dinge zu bestimmen. Zeit, Ort, Tempo des Lesens sind ausserhalb der Schule selbstgesteuert. Man tritt in eine andere Gedankenwelt, die sich meistens lohnt, die einen packt, umtreibt und bezaubert. Der Akt des Lesens kann einen so tief eintauchen lassen, dass gleichzeitig rundherum die Welt versinken könnte und der grösste Lärm überhört wird. Lesen heisst auch, allein zu sein, ohne aber einsam zu sein, denn da sind ja noch die Protagonistinnen und Helden der Geschichte.

Es gehört mit zu den Kernkompetenzen in der Schule, dass sich die Kinder grundlegende Lesefähigkeiten erarbeiten, selbstständig zunehmend komplexere Texte erschliessen und sich letztendlich auch die generelle Lesefreudigkeit und das Interesse an spannenden Texten aneignen. Dabei werden im Unterricht die sehr unterschiedlichen Leseinteressen und -leistungen durch ein breites Angebot bedient.

Konkret befasst man sich im Unterricht auch mit Literatur verschiedenster Couleur. Es werden Lesungen und Begegnungen mit Autorinnen und Autoren organisiert, die Schulbibliothek wird aufgepeppt und stets aktuell gehalten, und irgendwann während der Schulkarriere laufen einem auch Annette von Droste-Hülshoff, Johann Wolfgang von Goethe, Franz Kafka und Friedrich Dürrenmatt über den Weg. Der Lehrplan 21 sagt dazu: In der Literatur

«erleben die Schülerinnen und Schüler Sprache als bewusst gestaltetes Produkt, das das eigene Sprachschaffen inspirieren kann. Sie erhalten Gelegenheit, in vielfältige literarische Texte aus der eigenen oder anderen Kulturen einzutauchen (z.B. durch Kinder- und Jugendliteratur, Comic, Hörbuch, DVD, Theater) und sich unterschiedlich damit auseinanderzusetzen:

1. Auseinandersetzung mit literarischen Texten: Literarisches Verstehen wird durch einen kreativen Umgang mit dem Text bzw. eine Anschlusskommunikation unterstützt (z.B. eigene Stimmung wahrnehmen, innere Bilder entwickeln, literarisches Gespräch). Dabei entwickeln die Schülerinnen und Schüler einen eigenen Lesegeschmack.

2. Auseinandersetzung mit verschiedenen Autorinnen und Autoren und verschiedenen Kulturen: Literarische Texte sind von Autorinnen und Autoren in ihrer Zeit und in ihrem spezifischen Umfeld geschrieben worden. Das Wissen über Autorinnen und Autoren und deren Kultur bietet viele Verstehensansätze und ermöglicht ein breites Verständnis eines literarischen Textes.

3. Literarische Texte: Beschaffenheit und Wirkung: Sie sind speziell gestaltet. Diese Gestaltung ist ebenfalls wichtig für das Verständnis der Texte.» (D-EDK 2016d, S. 11)

Mithilfe von Erzählungen und Geschichten entdecken die Kinder die Welt, es werden Begebenheiten, Bilder und Verhaltensweisen beschrieben und gezeigt, mit denen sie sich identifizieren, die sie sich zu eigen machen möchten und an denen sie sich letztendlich orientieren können. Geschichten öffnen Fenster zur Welt da draussen, und man erschliesst sich damit diese Welt! Vorlesen im Klassenverband führt die Klasse in eine gemeinsame Welt. Es sind nicht nur intellektuelle, sondern auch soziale oder emotionale Erfahrungen, die die Kinder miteinander teilen. Zudem sind Heldinnen und Helden in den Geschichten wie Winnetou, Pippi Langstrumpf, die Rote Zora, Globi oder Harry Potter Identifikationsfiguren, an denen sich die Kinder letztendlich orientieren und messen können.

«Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen, und laufen. Doch erst, wenn man mit Büchern in Berührung kommt, entdeckt man, dass man Flügel hat.»

Helen Hayes, amerikanische Schauspielerin, 1900–1993

Die Bildungsforschung zeigt klar auf, dass zweijährige Kinder, bei denen das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern und Vorlesen zu den regelmässigen Beschäftigungen in der Familie gehören, doppelt so viele Wörter sprechen wie gleichaltrige Kinder, die darauf verzichten müssen. Sie lernen viele neue Begriffe; die Gestaltung von Sätzen und verschiedene Formen der Sprache werden verinnerlicht. Sie erweitern ihr Spektrum, sich auszudrücken und mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren. Durch das Vorlesen und Betrachten von Büchern verbessern die Kinder ihre Ausdauer, werden kreativer und verbessern ihr Gedächtnis und ihre Konzentrationsfähigkeit.

Geschichten und Lesen sind die beste Grundlage für eine gute Bildung. Das Kind erhält so viele (Lern-)Impulse, wie sie durch keine Fernsehprogramme, Tablet-Software oder Smartphone-Apps zu überbieten sind. So entwickeln Kinder schon früh eine positive emotionale Beziehung zu Büchern, die meist lebenslang erhalten bleibt.

Spannend ist, dass Eltern zumeist auf einen Schlag aufhören mit Vorlesen, wenn ihr Kind selbst lesen kann. Sie senden damit ein durchaus gut gemeintes und nachvollziehbares Signal aus: «Du kannst es ja nun selbst, nun muss man dir also nicht mehr vorlesen.» Lesen und Vorlesen funktionieren aber auch gut parallel! Vorlesen ist immer auch ein sozialer Akt, der zusammenschweisst und Verbindung schafft. Kein Wunder, dass es auch betagte Menschen sehr mögen, wenn man ihnen vorliest.

Vorlesen und Lesen sollten unbedingt in den Stundenplan integriert und etabliert werden. Viele Schulen schreiben dies sogar in ihren pädagogischen Leitbildern fest («Wir sind eine lesende Schule»). Sie organisieren Lesungen mit Autorinnen und Autoren, Lesenächte, Vorlesezeiten und Buchwochen. Kinder stellen sich gegenseitig ihre Lieblingsbücher vor, oder es werden während einer bestimmten Zeit innerhalb des Schulhauses Lesepartnerschaften von älteren und jüngeren Schülerinnen und Schülern gebildet. Ganz im Sinne der pädagogischen Idee des altersdurchmischten Lernens (adL).

Im Zeitalter von Integration und interkulturellem Lernen helfen Geschichten auch nachhaltig dabei, andere Länder, Kulturen, Sitten und Gebräuche kennenzulernen. Durch Geschichten in Büchern werden fremde Welten betreten, und die Kinder erfahren Dinge, die ihnen in ihrem Leben bisher nicht bekannt waren. Viele Kinder sind zwar aufgrund der heutigen Mobilität und der intensiven Reise- und Feriengepflogenheiten schon an vielen Orten der Welt gewesen und haben spannende Einblicke in Traditionen und Brauchtum anderer Länder erhaschen können. Geschichten zeigen aber oft ein tieferes Bild von fremden Kulturen und Ländern, das deutlich über den Palmenstrand, die abendliche Folkloredarbietung und das kulinarische All-inclusive-Angebot hinausgeht.

Kinder brauchen Geschichten! In unserer hektischen, durchorganisierten und oft fremdbestimmten Welt braucht es immer wieder das Innehalten und das Abtauchen in ganz andere Welten. Mit Lesen ist das sehr gut möglich. In Büchern findet man wunderbare Bilder und Beschreibungen von fernen und unbekannten Welten. Lesen fördert auch das Geschichtenerzählen und das Geschichtenschreiben. Geschichten fördern die Kreativität und regen an, sich auf die Welt einzulassen.

Wirklich gute Geschichten – von Fantasiefiguren genauso wie über wahre Begebenheiten – haben immer gute, stärkende Botschaften. Sie holen ein Kind dort ab, wo es steht – sprachlich, emotional, inhaltlich. Sie sind interessant in ihrem Aufbau und weil ein Kind etwas von seinem eigenen Leben darin wiederfindet. Ich habe grosse Freude daran, wenn Kinder selbst Geschichten erfinden, erzählen und aufschreiben. Denn Lesen ist auch Basis für Schreiben.

 

Im Lehrplan 21 steht:

«Schreiben nimmt im Sprachhandeln eine besondere Stellung ein. Im Zentrum des Unterrichts stehen der Schreibprozess und die Schreibprodukte. Die Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie Ideen finden, den Schreibprozess planen, Texte formulieren und diese inhaltlich und sprachformal überarbeiten.» (D-EDK 2016d, S. 10)

Schon im Mittelalter wurde derjenige Erzähler in die Burg eingelassen, der die besten Geschichten wusste. Geschichten, die die Menschen interessiert, fasziniert und berührt haben, die Neuigkeiten aus der Welt brachten, die oft Aspekte des eigenen Lebens angesprochen haben und hilfreiche Lösungsvorschläge anboten.

Es ist erwiesen, dass sich die Kraft des Erzählens, des Heilens und Tröstens, des Stärkens und Ermutigens durch Geschichten positiv auf die Kinder überträgt. Wer seinem Kind etwas wirklich Gutes tun will, sollte unbedingt das Geschichtenerzählen zu einem festen Bestandteil machen.

Umso mehr freue ich mich anlässlich meiner unzähligen Schulbesuche, wenn Schulklassen und ihre Lehrerinnen und Lehrer dem Lesen und dem Geschichtenschreiben einen hohen Stellenwert einräumen.

Die schwedische Autorin Astrid Lindgren hat ihre Lebensweisheit durch ihre wunderbaren Geschichten an Millionen von Kindern weitergegeben und sie so stärker fürs Leben gemacht:

«Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!»

Hausaufgaben

 

«Weil sich die Schule und der Unterricht gegenüber früher massiv verändert haben, ist auch der Kontext für Hausaufgaben ein anderer.»

Von den Hausaufgaben zum Arbeitsort Schule

«Häsch dini Uffzgi scho gmacht?» – «Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?» ist eine gängige Frage in den Familienhaushalten landauf und landab. Das Thema löst in vielen Familien auf beiden Seiten Stress und Krisensituationen aus, ja, regelrechte Dramen sind oft die Folge. Dabei wäre doch eine möglichst spannungsfreie und unbelastete Eltern-Kind-Beziehung daheim in den eigenen vier Wänden das Ziel.

Eltern tun gut daran, nicht selbst dauernd «Lehrerlis» spielen zu wollen in der oft anstrengenden Hausaufgabenphase. Eine wohlwollende, unterstützende und durchaus auch erklärende Begleitung ist in Ordnung und hilft sicherlich. Bestätigt in der Forschung ist, dass die Eltern ihre Tochter oder ihren Sohn bei den Hausaufgaben nie «unterrichten» sollten, denn Kinder reagieren darauf oft negativ und blockieren, sei es, weil sie verunsichert werden, oder sei es, weil die Eltern nicht wirklich in der Lage sind, den Kindern zu helfen.

Ich höre nun förmlich die aufflammenden Protestrufe von engagierten, unterstützenden Eltern. Ja, es ist positiv, wenn diese mitbekommen, was die Kinder in der Schule aktuell gerade bearbeiten. Ja, sehr wohl gelingt es ihnen immer wieder, ihr Kind bei seinen Hausaufgaben auf den richtigen Pfad zu bringen, es zu motivieren und ihm zu helfen. Dies alles will ich ja gar nicht in Abrede stellen. Trotzdem: Die unterrichtliche Hilfestellung der Eltern hat nicht die von vielen erhoffte grosse Wirkung, weil vielen Eltern die Voraussetzungen für die Lernförderung fehlen.

Eltern können hingegen für einen geordneten Hausaufgaben-Arbeitsplatz sorgen, ihre Kinder bei deren Zeit- und Arbeitsplanung unterstützen, dafür sorgen, dass die Hausaufgabenphase möglichst störungsfrei verläuft und nicht dauernd unterbrochen wird. Nachdem die Hausaufgaben erledigt sind, können sie auch sehr wohl einen kritischen Blick auf das Resultat bezüglich Sorgfalt und formaler Richtigkeit werfen.

Neben dem Pauker-Lehrer, der Pauker-Lehrerin auch noch die Pauker-Eltern! Leider immer noch sehr verbreitet in der Elternschaft ist die Meinung, dass mit Zusatzarbeiten und einem möglichst strengen Hausaufgaben-Regime den eigenen Kindern ein Lernvorteil erwachse und und diese dadurch möglichst erfolgreich in der Schule sind. Die Forschung bestätigt diese Annahme nicht.

Fakt ist auch, dass es wissenschaftlich nicht restlos geklärt ist, ob denn nun «Hausaufgaben» während der Unterrichtszeit im Schulumfeld lernwirksamer sind als Hausaufgaben in den eigenen vier Wänden.

Wir wissen allerdings, dass Hausaufgaben gerade für Kinder mit Lernschwächen, mit Mühe bei der Selbstorganisation und der Aufmerksamkeitslenkung und in einem bildungsfernen Umfeld sehr negativ und eher lernhemmend wirken.

Auch ist es kein Geheimnis, dass es für die Lehrpersonen immer wieder anspruchsvoll und dann und wann gar lästig sein kann, sich dauernd sinnvolle Hausaufgaben zu überlegen, die bezüglich Komplexität, Vielfalt oder Sinnstiftung auch eine gewünschte positive «Elternwirkung» entfalten. Ich war in meinen verschiedenen Bildungsfunktionen immer wieder mit negativen Reaktionen aus Elternkreisen zu Lehrerinnen und Lehrern konfrontiert, die «zu wenig» oder sogar gar keine Hausaufgaben erteilen würden.

Hausaufgaben können durchaus die Eigenverantwortung fördern sowie die Lerndisziplin stärken. Sie sind und bleiben damit im Kern lernwirksam. Wenigstens für manche Kinder – längst aber nicht für alle! Ich will auch keinesfalls einen Glaubenskrieg rund um dieses emotionsbeladene Thema entfachen.

Im Kanton Schaffhausen haben wir vom Bildungsrat aus der zuständigen Abteilung Schulentwicklung und Aufsicht innerhalb des Bildungsdepartements unter dem Arbeitstitel «Herausforderung Sek I» den Auftrag erteilt, Belastungsfelder in der Schule zu definieren und mögliche Lösungsvorschläge für die Vermeidung von einseitigen und übergrossen Belastungen zu präsentieren. Dabei war der Ansatz «Arbeitsort Schule» ein zentrales Element der Verminderung von Belastungen.

Konzept Arbeitsort Schule

Ausgangslage

Mit Beteiligung aller Betroffenen – Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen verschiedener Stufen, Eltern, Vertretungen aus Konferenzvorständen, der Gewerkschaft, der Schulbehörden, der Schulleitungen sowie des Bildungsrats und Vertreterinnen und Vertreter des Schaffhauser Bildungsdepartements – wurden auf der Basis einer umfassenden Analyse sogenannte Brennpunkte definiert. Im Anschluss wurden Vorschläge erarbeitet, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann.

 

Unter dem Stichwort «Arbeitsort Schule» ist eine dieser Empfehlungen zu finden und beschreibt das Handlungsfeld wie folgt:

«Diverse Schulmodelle haben sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitszeit für Schülerinnen und Schüler sowie für die Lehrpersonen so zu organisieren, dass möglichst alle Arbeiten wie Hausaufgaben, Lernzeiten sowie Vor- und Nachbereitung in der Schule erledigt werden können. Der Unterricht nach Stundenplan erfolgt innerhalb der festgesetzten Arbeitszeiten. Ausserhalb der Unterrichtszeiten – innerhalb der hier so bezeichneten ‹Individuellen Arbeitszeit› – sind Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrpersonen im Schulhaus anwesend und arbeiten an den Hausaufgaben respektive an der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Dazu steht Schulraum zur Verfügung. Die Lehrpersonen teilen sich in die Aufsicht über die freien Arbeitszeiten der Schülerinnen und Schüler.»

 

Mit dem Thema «Arbeitsort Schule» wurden unter anderem auch die folgenden wesentlichen Aspekte von Hausaufgaben bearbeitet:

nicht alleine lösbare Hausaufgaben

zu viele Hausaufgaben

Hausaufgaben über die Ferien oder übers Wochenende

Eltern in Lehrfunktionen, wobei eine grosse Anzahl Schülerinnen und Schüler nicht auf entsprechenden Support zurückgreifen können (Stichwort «Chancengerechtigkeit»)

Aufwand der Hausaufgabenkontrolle

bei Nichterledigung erschwerte Fortführung des Stoffes

Wirksamkeit der Hausaufgaben aus Optik der beteiligten Lehrpersonen

 

Ein Ziel von «Arbeitsort Schule» ist, dass die durchaus wertvollen Inhalte von Hausaufgaben – unter anderem das Repetieren oder Vertiefen des Stoffes, das Erlernen von Selbstständigkeit und die Übernahme von Eigenverantwortung in Arbeit und Planung – neu in hohem Masse in der Schule stattfinden können. Dort befinden sich die Fachpersonen für das Lehren und Lernen. […]

 

Die Erledigung von Hausaufgaben sollte dazu dienen, gelernten Stoff zu repetieren, zu üben und allenfalls zu ergänzen. Dieses Prinzip ist auch in anderen Lebensbereichen, etwa beim Sport, Grundlage zum Erfolg. Weshalb soll das bei der Schule nicht weiterhin gelten? Das Üben und Repetieren ist mit der Verschiebung dieser Arbeiten von Zuhause in die Schule (Arbeitsort Schule) keineswegs infrage gestellt. Diesen Inhalten soll weiterhin der notwendige Raum im Unterrichtskonzept zugewiesen werden.

 

Beispiel Lernen von Vokabeln für Fremdsprachen: Frühenglisch bzw. Frühfranzösisch sind bereits in der Primarstufe ein Thema. […] In der heutigen Fremdsprachendidaktik wird das Erlernen von Vokabeln vorwiegend und sehr effizient durch gut vernetztes, an Inhalte gebundenes Sprachenlernen durchgeführt, statt durch monotones Vokabel-Büffeln zu Hause. Nicht der Ort für das Lernen ist entscheidend, sondern die wirksamen Übungsanlagen. Zeit dafür findet sich im Rahmen des – möglicherweise angepassten – Unterrichts genügend. Bereits heute gibt es vielerorts Schulen, die den Grundlagen von «Arbeitsort Schule» folgen. Seit jeher gibt es auch Lehrpersonen, die ihre Methodenfreiheit dahingehend definiert haben, mehrheitlich auf Hausaufgaben zu verzichten. Dass diese Modelle negative Auswirkungen im Leistungsbereich für die betroffenen Schülerinnen und Schüler haben könnten, lässt sich nicht belegen.

 

(Aus: Regierungsrat Kanton Schaffhausen 2018, vgl. auch Schulportal Kanton Schaffhausen 2016)

Es geht beim Prinzip «Arbeitsort Schule» darum, die Hausaufgaben auf ein leistbares und sinnvolles Minimum zu reduzieren. Die Tage der meisten Familien sind reichlich gefüllt. Die Kinder absolvieren diverse Freizeitaktivitäten wie Sport und Musik und die Eltern kommen oft erst spät von der Arbeit nach Hause. Mit den Hausaufgaben zielen die Lehrerinnen und Lehrer ja eigentlich auf die Schülerinnen und Schüler, treffen aber oft die Eltern! Das oben beschriebene Konzept sagt dazu: «Die sich ergebende Familienzeit kann von den Erziehungsberechtigten vermehrt für das Vermitteln der Bewältigung des Alltags in der Gesellschaft, für die individuelle Förderung von Talenten sowie für die Bewältigung von Defiziten durch zusätzliche Freizeitaktivitäten oder ganz einfach für gemeinsame positive Erlebnisse verwendet werden» (Regierungsrat Kanton Schaffhausen 2018, S. 2). Man muss diese Chance ganz einfach ergreifen. Gerade Covid-19 hat in vielen Familien neben den auch belastenden Situationen ganz neue, zusammenschweissende Momente mit sich gebracht. Projekt Familie!

In der ganzen Hausaufgaben-Debatte erscheint es mir wichtig, immer wieder Erkenntnisse der Wissenschaft miteinzubeziehen. Darum ist die Frage zentral, ob es denn wissenschaftliche Studien gibt, die aufzeigen, wie sich Hausaufgaben konkret auf das Bildungsniveau der Schüler auswirken und welche Vorteile und Nachteile sich dabei zeigen.

 

Auch dazu macht das Konzept «Arbeitsort Schule» Aussagen:

«Es existieren Studien zu diesem Thema. Darin wird festgestellt, dass sich der Lernzuwachs bei Hausaufgaben insgesamt über grössere Gruppen hinweg betrachtet in Grenzen hält. Die Heterogenität im Schulunterricht steigt wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen zu Hause an. Die Hausaufgabenbewältigung wird zunehmend an private Institutionen ausgelagert, was sich viele Eltern nicht oder kaum leisten können. Sinnvolle Hausaufgaben, so sie gelöst werden (können), ergeben andererseits erwiesenermassen einen Lernertrag.

Die in den letzten Jahren häufig zitierte Meta-Studie von Hattie[1] formuliert, dass Hausaufgaben bei jüngeren Kindern kaum Wirkung zeigen. Selbstständiges Lernen soll in der Schule gefördert werden, weil es dort fachkundig aufgebaut und begleitet wird. Die Hattie-Studie verweist unter anderem auch hinlänglich auf die Chancenungerechtigkeit der Kinder beim Lernen zu Hause aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen bezüglich Lernumgebung.» (Ebd.)

Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) äusserte sich ebenfalls zu diesem kontroversen Thema, und zwar im Positionspapier Hausaufgaben vom 1. März 2017. Demnach seien Hausaufgaben ein immer wieder heiss diskutiertes Thema in den Medien, bei Eltern und in den Schulen. Die Lernzeit zu Hause gestalte sich in vielen Familien aus unterschiedlichen Gründen schwierig. Eine freiwillige und niederschwellig zugängliche betreute Hausaufgabenzeit für Kinder und Jugendliche in der Schule schaffe mehr Chancengerechtigkeit.

Mit der Abschaffung von Hausaufgaben soll die Chancengleichheit erhöht werden. Eine vollständige Chancengleichheit ist aber illusorisch und bleibt damit ein utopisches Ziel. Es sind nicht alle Menschen gleich, und schon gar nicht alle Kinder! Mit dem Konzept «Arbeitsort Schule» soll vielmehr eine Chancengerechtigkeit angestrebt werden.

Die von sehr unterschiedlichen äusseren Umständen geprägte Lernumgebung bei den Kindern daheim kann nicht mit derjenigen in der Schule, begleitet von methodisch-didaktisch kompetenten Lehrpersonen, mithalten. «Insbesondere Kinder und Jugendliche bildungsferner oder alleinerziehender Eltern erhalten so bessere Chancen, unabhängig vom allenfalls fehlenden Support des Elternhauses die geforderten Leistungen zu erbringen. Gerade die Förderung individueller Fähigkeiten kann am besten und am effektivsten in der Schule erfolgen; unter geregelten und ruhigen Verhältnissen und mithilfe professioneller Unterstützung» (ebd., S. 3). An dieser Stelle soll auch festgehalten werden, dass sich Schülerinnen und Schüler selbstverständlich weiterhin auf freiwilliger und individueller Basis mit oder ohne Support der Erziehungsberechtigten zu Hause mit der Ergänzung oder Vertiefung der Lerninhalte befassen dürfen.

Das Anstreben einer Chancengerechtigkeit ist ein zentrales Anliegen der Gesellschaft und somit auch der öffentlichen Schule. Die divergierenden Voraussetzungen der Kinder beim Schuleintritt, könnten kaum heterogener sein. Einerseits begrüssen die Lehrpersonen in der ersten Schulphase Kinder, die kaum über die simpelsten basalen Grundfertigkeiten verfügen. Andererseits sitzen in derselben Klasse Kinder, die bereits ohne mit der Wimper zu zucken bis 1000 rechnen können, alle Buchstaben des Alphabets locker aufsagen und gar schreiben und lesen können. Die einen haben zu Hause kaum Möglichkeit, in Ruhe an einem Tisch arbeiten zu können. Die anderen verfügen über einen eigenen Arbeitsraum mit perfekter Ausstattung und erhalten eine ganze Palette an weiteren Unterstützungsangeboten. Findet das schulische Lernen nur in der Schule statt, kann diese Divergenz aufgrund äusserer Umstände wenigstens etwas vermindert werden.