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Josi - eine alte Dame, scheinbar ein wenig verrückt - kommt wie jeden Tag und meldet einen Mord, den sie gesehen haben will. Verbissen konzentriert Decklas sich auf Josis merkwürdige Meldungen und stößt bald auf Ungereimtheiten ... Ein Krimi der Extraklasse
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Seitenzahl: 261
***
Er hält es für Farbe.
Als wäre er ins Wasser geworfen worden. Alles klingt dumpf und verzerrt. Es hämmert in seinen Ohren, seine Sicht verschwimmt, ein schrilles Pfeifen schießt ihm nun durch seinem Kopf. Plötzlich schwangt alles, er liegt auf dem Rücken, schaut zur Farbe empor, die auf ihn nun herabregnet. Ein scharfer Schmerz sticht ihm in die Hüfte, als hätte ihm jemand einen Dolch in den Knochen gestoßen. Sein rechter Arm brennt je vor Schmerz. Er kann nur noch Staub riechen. Sanft plätschert ihm die Farbe ins Gesicht.
Sekunden vergehen.
Sind es Sekunden?
Oder war es noch schneller vorbei?
Er weiß es nicht.
Aber jetzt erkennt er es. Den ver -sengten Kupfergeruch von – das ist kein Staub. Das ist …
***
Pettrihl Decklas erwacht. Er zittert am ganzen Körper, vom Scheitel bis zur Sohle. Fühlt sich wie eine Gitarrensaite, die zu fest gezupft wurde. Reibt sich so fest die Augen, dass er ein Feuerwerk von Farben sieht, doch die Szene vor seinem inneren Auge lässt sich nicht ausradieren. Sie zieht ihn zurück in die Vergangenheit. Er lässt die Hände fallen und starrt an die Zimmerdecke. Winzige Risse zeichnen sich in der weißen Farbe ab, ein verrücktes Muster, das ihn an eine aus der Ferne betrachtete Straßenkarte erinnert. Er versucht, sich auf die wirre angebliche Karte zu konzentrieren, indem er sich eine längst vergessene Zivilisation ausmalt. Das Blut, das ihm eben noch übers Gesicht lief, spürt er nicht mehr. Er berührt seine Wange und hält seine zitternden Hände vor sich hoch. Sauber. Es ist vorbei. Er konnte nichts tun. Kann auch jetzt gar nichts tun, als sein Leben so, nun weiterzuleben. Still -schweigend wiederholt er die Worte wie ein Mantra. Diese Lektion hat er noch immer nicht gelernt.
Decklas stakst zur Dusche.
Hält nur einmal kurz inne, um den hageren Fremden im Spiegel zu betrachten. Eine Ex-Freundin hat mal behauptet, er sehe aus wie Jake Gyllenhaal. Er hatte den Namen googeln müssen, den Ver -gleich aber recht schmeichelhaft gefunden.
Er fährt sich mit den Fingern durchs Haar, als könne er sich die Albträume aus dem Hirn kämmen. Aber jemandem anvertrauen, wie sehr er seine Schwäche hasst, wie sehr er sich dafür selbst hasst, das könnte er nie.Eins … zwei … drei. Er holt tief Luft und atmet lang aus, ehe er den Wasserhahn auf -dreht. Er muss sich versichern, dass auch wirklich Wasser aus dem Hahn kommt. Nein,niemals könnte er sich den anderen Menschen an -vertrauen. Die hätten auch zuviel Verständnis.
Fünfundvierzig Minuten später – er hat gelernt, sich Zeit zu nehmen – steht er wieder vor dem Spiegel, diesmal, um seine Krawatte zu überprüfen. Die Krawatte seines alten Regiments Aus Seide und mit roten Streifen, so dezent, dass ihre Bedeutung von Zivilisten gemein -hin übersehen wird. Doch für Decklas symbolisiert sie Sicherheit und erinnert ihn an eine Welt, in der er alles verstand. In die er hin -einpasste.
Er könnte auch die zur Krawatte passenden Socken anziehen, doch der Gedanke, was Tonysat dazu sagen würde, hält ihn davon ab. Anzüge sind der einzige Luxus, den er sich gönnt. Die Notwendig -keit, für sich selbst zu sorgen, hat er tief in sich verinnerlicht, seit er in jungen Jahren seine Eltern verloren hat. Seither ist es ihm wichtig, Geld auf dem Konto zu haben. Schließlich gab es nie jemanden, den er um finanzielle Hilfe bitten konnte. Der Einzige, auf den sich Decklas je verlassen hat, ist Tonysat. Und meistens leiht sich Tonysat Geld von ihm.
Seltsam,sich nach so vielen Jahren wieder in Uniform zu sehen. Obwohl sie teuer war, steht sie ihm nicht. Er zupft an der Krawatte.
„Na, bist du je bereit für einen weiteren Tag als Gesetzeshüter und ehrbares Mitglied der Gesellschaft zu tätigen?“
Unverhoft steckt Decklas je seinen so ungekämmten kastanienbraunen Schopf zur Tür herein. Am Kinn sprießen ein paar Härchen in den unterschiedlichsten Orangetönen. So er sich auch bemüht, es wächst ihm kein richtiger Bart.
„Geht so ...“
Decklas kommt herein und hockt sich auf die Bettkannte. Seine Zivil -klamotten ähneln einer Uniform so wenig, dass er es sich damit ohne Weiteres auch unter einer Brücke bequem machen könnte. „Die Welt jenseits der Army ist komplett durchgeknallt.Das Polizei -präsidium ist nicht blau und du musst noch nicht einmal eine Uni -form tragen. Fair ist das nicht. Ihr gebt den Verbrechern ja gar keine Chance.“
„Machst du dir Sorgen?“,fragt nun Decklas. Ein Lächeln umspielt je seine Mundwinkel.
„War das etwa ein Anflug von Humor?“, entgegnet Tonysat und verschränkt die Arme vor der Brust. „Pass bloß auf. Nicht dass du noch zu einem normalen Menschen wirst.“
Decklas dreht sich um und hebt seine Tasche auf – eine Herren -handtasche hatte der Verkäufer sie genannt. „Ich muss los.“
„Ich wünsch dir einen schönen Tag im Büro, Schatz.“ Tonysat schmun -zelt. „Wenn du heimkommst, steht der Tee auf dem Tisch.“
Decklas deutet einen blitzschnellen Kinnhaken an, doch wie üblich
weicht Tonysat aus.
„Such dir einen Job“, sagt Decklas. Schulterzuckend ruft Tonysat ihm nach: „Mach ich. Sobald ich einen Grund dafür finde.“
Decklas steigt in seinen Audi R8 und rückt den Startknopf. Er findet es immer noch seltsam, gar keinen Schlüssel zu benutzen. Fahrbereit lehnt er sich zurück. Hoffentlich ist auf der Brücke kein Stau. Er bereut es nicht, in Edinburgh ein Haus gekauft zu haben. Die allmorgend -liche Fahrt über den Forth muss eine der schönsten auf der ganzen Welt sein.
Er denkt je über Tonysats Worte nach. Das er einen Grund zum Arbeiten finden müsste. Sich an den Haushaltskosten zu beteiligen, sollte eigentlich reichen. Es ist immer dasselbe mit ihm. Von Anfang an ist Tonysat einen eige -nen, faulen Weg gegangen, außer er hatte einen Grund“, davon abzu -weichen. Überraschenderweise ist ihm das auch bei der Militärpolizei gelungen, dabei ist er überhaupt nur beigetreten, weil Decklas es ihm vorgemacht hat und ihm anscheinend nichts Besseres einge -fallen ist, als dem Beispiel zu folgen. Irgendeinen Beruf musste er früher oder später ergreifen. Man kann schließlich nicht ewig in einem Waisenhaus bleiben. Wie Decklas musste sich also auch Tonysat sich nun entscheiden, entweder eine neue Anlaufstation zu finden oder auf der Warteliste für eine Sozialwohnung rumzugam -meln. Decklas wusste, dass er zugrunde ginge, wenn er seine Füße nicht fest auf dem Boden behielt, wenn er sich nicht an Gren -zen und Befehlen orientieren konnte. Tonysat hätte sich überall -hin treiben lassen können, doch aus Gründen, die nur ihm bekannt waren, hatte er sich dauerhaft an Decklas gebunden, seit sie sich in früher Kindheit kennengelernt hatten. Decklas, dem es nahezu unmöglich gewesen war, Freund -schaften zu schließen, hatte sich in diese Bruderbeziehung gestürzt wie ein Wüstenreisender auf eine Oase. Zugegeben, Tonysat konnte ein nervender Penner sein, aber er war Decklas nervender Penner. War immer für ihn da. Hielt ihm den Rücken frei. Schon damals waren die beiden eigentlich wie Hund und Katze, aber irgendwie sind sie unzertrennlich.
Decklas befolgt Befehle. Mag es, wenn er weiß,wo er steht. Definiert sich gern. „Über deine Arbeit?“ Er kann Tonysat höhnischen Tonfall fast hören. „Du armes Würstchen.“ Aber Decklas sieht das anders. Es gibt Recht und es gibt Unrecht. Und es ist einfacher, in der Welt zurechtzukommen, wenn man die Dinge schwarz auf weiß sieht. Grautöne sind für Zivilisten. Ausge -rechnet zu denen gehört er jetzt, so sehr er das auch bedauert.
Er fährt auf das ehemalige Land -haus zu, das seinem experimentell -en Team derzeit als Hauptquatier dient, und hält auf seinem klar ge -kennzeichneten Parkplatz: Pettrihl Decklas, Sonderberater der Verein -ten Spezialeinheiten, Polizei Schottland. Ob er den Dienstaus -weis, der dazugehört, bekommt ist noch unklar. Sein scheidender regimentsleiter, Major John D. High – trotz seines ausgefallenden Namens ein angesehender Mann war – , er hat ein paar Strippen gezogen, um ihm, diesen Job zu verschaffen. „Sie haben Talent. Das muss doch zu was nütze sein“, hat er gemeint. „Aber bei den Feld -jägern können Sie ja wohl kaum bleiben, nicht wahr? Sehen Sie es einfach als eine andere Art, Ihrem Land zu dienen. Sie waren einer unserer Besten. Immer ehrlich. Immer ihren Mann gekriegt, wie es in den Western heißt, aber Sie waren eben ein wenig zu gewissen -haft.“ Decklas erinnert sich an das Gespräch, als habe es erst vor ein paar Minuten stattgefunden. Zack, war seine Millitärkarriere vorbei.
Zum allerersten Mal war ihm ein Soldat durch die Lappen gegangen, der fahnenflucht begangen hatte. -re sollte dankbar sein, dass Major John D. High mit einigen hohen Tieren der Landespolizei zusam -men die Schuhlbank gedrückt hatte, sonst hätte er diese neue Stelle nie gekriegt. Er ist aber nicht dankbar. -re musste drei zermür -bende Interviewrunden mit sehr wichtigen Vertretern des Polizei -apparats über sich ergehen lassen, mit Leuten also, die er vermutlich nie wieder sehen wird. Einige wollten partout nicht glauben, dass enes seiner größten Talente darin besteht, Menschen zu lesen. Bis er sie las und ihnen sagte, was er sah. „Wie Sherlock Holmes“, erwiderte einer der alten Herren und griente vor Entzücken. Dabei weiß auch Pettrihl Decklas, dass er nicht das Geringste mit dem berühmten Detektiv gemeinsam hat. Er ist kein Genie. Seine Fähigkeit, Leute zu lesen, ist angelernt. Seit er acht Jahre alt war, hat er jedes Buch verschlungen, welches er zu menschlicher und tierischer Verhal -tenslehre auftreiben konnte, weil er andere Leute einfach nicht kapiert. Hätte er nicht gelernt, ihre unfreiwillige Gestik und Mimik zu deuten, wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als den Rest seiner Tage in einem Zustand ständiger Überraschung zu verbrin -gen, überwältigt vom daraus folgenden emotionalen Chaos. Der schwierigste Teil der Aufnahme -prüfung war die psychologische Beurteilung. Seine Therapie hat seinem Empfinden nach nicht geholfen. Hat alles nur schlimmer gemacht. Er ist besser beraten, allein damit fertigzuwerden, und hat daher alles darangesetzt, seine mentale Verfassung zu verklären – und er ist damit durchgekommen.
Jetzt steigt er aus dem Wagen, überprüft zweimal den Inhalt seiner Herrentasche und macht sich, als es sich nicht länger verschieben lässt, auf den Weg in die Dienststelle.
Mit gezücktem Passierschein nickt er Boby dem Portier zu. Zumindest nimmt er an,der Mann heiße Boby. Ein Sergeant, der den Zenit seines Lebens überschritten hat, langsam in die Bedeutungslosigkeit abglei -tet und somit kaum von seinen Kollegen zu unterscheiden ist. Boby grunzt zum Gruß, macht dann doch aber den Mund auf. Die Bobs reden nicht oft, also bleibt Decklas stehen, um aufzuhorchen. „Heute ist sie selten, sehr schlecht, gelaunt.
Decklas bedeutet ihm mit einem knappen Nicken, dass er diese Warnung versteht, ehe er sich in das Großraumbüro wagt.
„Decklas.“ Ihre Stimme hat die Wärme eines Schockfrosters. Chief Superintendent Lyda Roseys schaut demonstrativ auf ihre Arm -banduhr. Sie ist etwas jünger als Decklas, kaum über dreißig, aber dafür brennt sie vor Ehrgeiz.
Decklas wirft einen kurzen Blick auf eine der Wanduhren. 8:02 Uhr. Falls er tatsächlich zu spät dran ist, dann höchstens um zwei Minuten. Und er war zu Beginn seiner Schicht bereits auf dem Gelände. Aber Verspätung bleibt Verspät -ung.
„Madam“, sagt er nun, und wartet.
„Wird nicht wieder vorkommen.“
„Mein Büro, auf der Stelle.“
Gehorsam folgt er ihr in das ein -zige Büro mit eigener Tür. Ihr Par -füm hängt in der Luft wie ein Hauch von Schwefel nach dem Silvesterfeuerwerk. Er unterdrückt einen Hustenreiz. Roseys nimmt Platz und greift nach einer Akte.Ihr Schreibtisch ist groß genug, um einen eigenen Hausmeister zu beschäftigen. Der blaue Leder -bezug ist auf Hochglanz poliert. Um die Kanten ist ein winziges Goldmotiv graviert.Abgesehen von der Akte hat sie lediglich drei kleine Holzfächer auf ihrem Tisch: Ablagen für Eingänge, Ausgänge und laufende Verfahren. In dem Ausgangsfach liegt ein Papier -stapel,ansonsten ist der Tisch leer. Selbst ihr Computer steht auf einem kleinen Beistelltisch. Die Schreibtischoberfläche scheint je, keinen anderen Zweck zu dienen, als leer zu sein,um jeden zu zeigen, das Roseys ihren Job im Griff hat. Jetzt greift sie nach der Akte und reicht sie über den Tisch, sodass das Ding nun im Niemandsland schwebt. Er streckte sich nicht danach und sie weigert sich, ihm entgegenzukommen. Klassisches Machtspiel.
„Ich habe hier etwas für Sie“, sagt Roseys. „Fällt genau in Ihren Zustä -ndigkeitsbereich. In der Wache in Dunfarlin erscheit täglich eine Frau, um einen Mord zu melden. Jeden Tag um Punkt elf Uhr. Jetzt inzwischen stellen die Kollegen dort ihre Uhren nach ihr. Was übri -gens in Anbetracht Ihrer heutigen Verspätung auch Ihnen je nicht schaden würde.“
„Möchten Sie, dass ich der Sache nachgehe, Madam?“,fragt Decklas. Roseys ist Leiterin des experiment -ellen Teams, das unter dem Banner der neuen strukturierten Polizei Schottlands firmiert. Dank der übergreifenden Befugnis ist das Team mit Experten gespickt, die eine Fülle an ungewöhnlichen Fähigkeiten mitbringen. Detektive Sergeant Herlert kommt aus dem IT-Bereich, kam jedoch nur zu den Ordnungshütern, als er begriff, dass er hier, je, besser verdient. Detektive Sergeant Finnigana war eine gescheiterte Wissenschaftlerin – wegen einer Scheidung während ihrer Abschlussexamina hatte sie schließlich als Verkäuferin arbeiten müssen, bis die Polizei, ihr Freund und Helfer, ihr spannendere Arbeit bot. Detektive Inspektor Sonoma war Klempner, ehe er den Ruf der Sirenen folgte. In der Schule hatte ihn seine unerkannte Legasthenie nicht weit kommen lassen, doch dann machte er den MENSA-Test, nur so zum Spaß, und erziehlte ein derart hohes Resultat, dass man es zur Kenntnis nehmen musste. Jetzt ist er für seinen Scharfsinn bekannt sowie für seine makellose Risiko -analyse, wenn der Tatort in einer Bruchbude liegt. Detektive Serge -ant Bluey ist eines der eigenwill -ligsten Teammitglieder:Eine junge Frau Anfang dreißig mit dem Körperbau einer Athletin und einer befremdlichen Verschwiegenheit, was ihre Vergangenheit anbelangt. Decklas hat je den Überblick verloren, wie viele Sprachen sie beherrscht. Jedenfalls besteht die Truppe aus einer Menge sonder -baren Typen, Decklas hätte also bestens hineinpassen sollen.
„Sie halten sich für was Beson -deres, oder Decklas? Glauben Sie, dass Sie Erfolg haben, wo andere gescheitert sind?“
Er denkt an die Zahl der Soldaten, die er im Laufe der Jahre aufge -spürt hat, an die Bedingungen, unter denen er gearbeitet hat, und an die lange Liste seiner Erfolge. „Ich bin auch nicht ganz so unbe -darft, Ma'am“, erwiderte er.
„Ich möchte nicht, dass Sie der Sache nachgehen. Ich möchte das Sie die Frau zum Schweigen bringen. Angeblich kennt Ihre Sozialkompetenz ja keine Grenzen. Zeigen Sie mir, dass Sie damit fertigwerden können, dann lasse ich Sie vielleicht mit den großen Jungs spielen.“
„Ma'am?“
„Als sie ihren Augenzeugenbericht zum ersten Mal abgab, ging man der Angelegenheit gründlich nach. Ich weiß ja nicht, wie das in Übersee gehandhabt wird oder an den Luftkurorten, die Ihre Armee als Militärbasen bezeichnet, aber wir machen hier klare Ansagen.“
Sie legt eine Kunstpause ein. Decklas beobachtet, wie sie bewusst ihre Atmung reguliert, um die Selbstkontrolle zurückzuer -langen. Er fragt sich, warum er sie so sehr aus der Fassung bringt. Unter dem Tisch ballt er die Hände zu Fäusten, zumal er nichts lieber täte, als seine Kameraden zu vertei -digen. Aber er schnappt nicht nach ihrem Köder.
Daher fährt sie fort: „Wie dem auch sei, die Geschichte ist ganz unterhaltsam, nur ist der Mann, dessen Ermordung sie laut eigener Aussage beobachtet hat, gesund und munter.“
„Zwillinge, Ma'am?“
„Das Leben ist keine Fernsehserie, Decklas.“ Seufzend streicht sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, die die Frechheit besaß, ihren glatten blonden Pferdeschwanz zu entkommen.
Einen Augenblick fragt sich Deck -las, ob sie mit offenem Haar und einem Lächeln womöglich wie ein menschliches Wesen aussähe.
Sie wirft einen Blick in die Akte.
„Und siehe da, der ermittelnde Beamte hat das tatsächlich geprüft.
Die Frau spinnt.“
„Ich verstehe, Ma'am“, sagte Deck -las, obwohl er keine Ahnung hat, worauf sie hinauswill.
„Und gerade deshalb“,sagt Roseys, „dachte ich mir, wir könnten den Fall doch Ihnen übergeben. Sie könnten mit ihr reden: von Thera -piekrüppel zu Therapiekrüppel.“ Auch auf diese Provokation geht er nicht ein. In der Army war es nicht unüblich, dass ein derart unver -schämter Kommentar ungeahndet durchging, im zivilen Leben jedoch, das weiß Decklas, hat sie eine Grenze überschritten. Zweifelsohne der Grund, warum sie ihn in ihr Büro zitiert hat. Er konzentriert sich auf die Wand, sodass er knapp an ihrem linken Ohr vorbeischaut, ohne dass sie bemerkt, dass er sie nicht mehr ansieht. Bewusst verlangsamt nun auch er seine Atmung, doch er bleibt aufmerksam. Bleib ruhig. Bleib höflich. Keinesfalls wird er ihr sagen, was er von ihr hält.
„Darf ich offen sprechen Ma'am?“, fragt er.
„Wir sind hier nicht in eine der verdammten Armeen“, kontert nun Roseys.
„Ich habe das Gefühl, dass Sie mich nicht mögen Ma'am.“
„Ach, wie kommen Sie denn auf die Idee?“
Decklas könnte sagen, er habe bemerkt, dass Sie nie die Augen -brauen hebt, wenn sie ihn beim Betreten eines Raumes erblickt, er bezweifelt jedoch, dass sie weiß, dass diese Bewegung der Brauen eine völlig ungewollte Gesichts -regung bei allen Menschen ist. Ein Zeichen, dass man sich freut, jemanden zu sehen.
„Bauchgefühl, Ma'am.“ Mehr sagt er nicht.
Roseys lehnt sich in ihrem Büro -stuhl zurück. „Ich sehe einfach keinen Grund dafür, Sie in mein Team aufzunehmen. Mein Laden läuft wie am Schnürchen. Ich habe gute Detektive. Alle handverlesen. Sie hingegen sind offenbar nur wegen einer Riesenportion Vitamin B hier. Alle anderen haben sich ihren Platz in meiner Abteilung verdient. Ich mag keine Fremd -körper. So, jetzt machen Sie, dass Sie wegkommen, und beweisen Sie mir, dass ich mich irre.“ Endlich stößt sie die Akte über den Tisch.
Allerdings ist die Bewegung so schnell und schwungvoll, dass die Akte zu Boden segelt, wo sie ihre Papiere im ganzen Büro ausgebrei -tet hätte, hätte Decklas sie nicht noch im Flug gefangen. Seine Reflexe sind noch immer pfeil -schnell. Er nickt ihr zu.
„Ma'am.“ Verzieht dabei jedoch keine Miene und lässt nicht durch blicken, dass er sehr wohl weiß, dass sie das absichtlich getan hat. Dass sie ihn die Papiere aufheben lassen wollte, um ihn sprichwört -lich in die Knie zu zwingen. Das sie ihn daran erinnern wollte, wer hier der Chef ist.
Er verlässt ihr Büro und sucht sich einen freien Schreibtisch, um die Unterlagen zu lesen. Einen eigenen Tisch hat hier außer der Chefin niemand, damit auch ja keiner Familienfotos oder Topfpflanzen mitbringt. Null Ablenkungspoten -zial, null Zugehörigkeitsgefühl. Es besteht also doch kein so großer Unterschied zur Army.
Dely Copser schlendert herüber, ein Mann mittleren Alters, dessen Spezialitäten sind die blutrünstigen Aspekten je großer Vorfälle. Er hat eine Nase für grausige Details und außerdem einen warzigen Hals. „Gab's Saures?“
„Nichts für deinen Geschmack, Dely. Ging bloß um eine alte Selbstdarstellerin.“
„Klingt ernst“, sagt Copser. „Die Gute wirst du wohl ordentlich ran -nehmen müssen.“
Decklas fragt sich zum x-ten Mal, warum so viele glauben, dass er Machosprüche als Verbrüderungs -ritual verstehen muss, nur weil er mal Soldat war.
„Hast du dir mal von 'ner Zahn -losen einen blasen lassen?“, fragte Copser. „Geile Nummer.“
„Schwelgst du schon wieder in Erinnerungen an deine Großmut -ter, Copser?“, fragt Wexi Klung und blickt vom Nachbartisch auf.
„Wenn du nichts Besseres zu tun hast, solltest du lieber ein Profil für Decklas erstellen. Oder du nimmst ihn gleich in Therapie. Ich schätze, Roseys hat mal wieder ihre Dornen unter Beweis gestellt. Du kennst dich doch aus, was besonders harte Stecher betrifft, hab ich nicht recht, Klung?“
Decklas musterte Wexis Gesicht. Sie hat einen hübschen Mund, eine gerade Nase und große blaue Augen. Ihre Locken sind wirklich rot, nicht fahl rotbraun wie bei Tonysat. Wexis Haarfarbe ist eine Pracht. Vielleicht ist sie sogar ein wenig zu perfekt. Vielleicht stammt sie aus der Flasche. Jeden -falls sieht Wexi,so viel ist Decklas längst aufgefallen, ziemlich nied -lich aus, und dank ihrer Augen ist sie eine genetische Seltenheit. Außerdem ist sie die psycho -logische Profilerin des Teams. Groß und schlank und so meister -haft im Manipulieren ihrer Gesichtsausdrücke, dass sie täuschend unschuldig wirken kann. Vor allen Leuten im Büro ist sie am schwersten zu lesen.
Wexi lehnt sich über den Tisch zu Copser. „Ich kenne mich mit Kerlen aus, die gewisse Unzuläng -lichkeiten wettmachen wollen.“ Sie senkt die Stimme. ,Gravierende Unzulänglichkeiten.“
Copser lächelt höhnisch. „Fang du lieber nicht an, deine Spielchen mit meinem Kopf zu versuchen, Süße. Sonst lernst du Sachen, die du in keinem Lehrbuch findest.Dennoch verdrückt er sich je, mit dem Kom -mentar, dass er Decklas viel Spaß mit der Oma wünsche.
Decklas schaut zu Wexi. Er sieht, dass ihr dieselbe scharfe Antwort auf der Zunge liegt wie ihm, also schenkt er ihr ein Lächeln.
„Der ist die Energie nicht wert“, sagt Wexi. „Darf ich die Akte mal sehen?“
„Natürlich.“ Decklas reicht sie ihr. „Nicht gerade spannend.“
Wexi blättert sie durch. „Ich weiß nicht“, sagt sie. „Da drängt sich doch die Frage auf, was jemanden zu so etwas treibt. Will sie möglich -licherweise ein eigenes Geständ -nis ablegen, versteckt sich aber hinter dieser eigenen, lächerlichen, Geschichte? Du weißt schon, eines Tages erwähnt sie dann ganz beiläufig die drei Babys, die sie vor gut zwanzig Jahren unter den Dielenbrettern begraben hat. Oder sie wird von jemandem erpresst und fürchtet sich, die Wahrheit zu sagen. Aber warum würde sie dann riskieren, überhaupt zur Polizei zu gehen? Oder sehnt sie sich so sehr, verzweifelt, nach Aufmerksamkeit, vielleicht auch da wieder, weil sie von Schuldgefühlen für ein längst vergessenes Verbrechen so geplagt wird?“
„Oder sie glaubt wirklich, dass sie diesen Mord gesehen hat. Oder sie will die Kollegen nun so lange belästigen, bis die ihr eine schöne warme Zelle mit drei kostenlosen Mahlzeiten am Tag spendieren.“
„In deiner Welt sind die Menschen wesentlich einfacher gestrickt, hab' ich recht?“,fragt Wexi und gibt ihm die Akte zurück.
„Dir ist doch nur langweilig“, sagt Decklas. „Du hast schon seit ein paar Wochen keinen interessanten Fall mehr gehabt.“
Wexi seufzt. „Da mag was dran sein, aber das wäre ja furchtbar. Das würde bedeuten, dass ich mir etwas sehr Schreckliches je herbei -wünsche.“
„Das ist dein Beruf, und in deinem Beruf gehst du nun einmal auf“, sagt Decklas. „Außerdem ist es ja nicht so, als würdest du unschul -dige Leute dazu nötigen, sadist -ische grobe, Gewaltverbrechen zu begehen.“
Sie antwortet mit einem kleinen Lächeln. „Na gut, aber lass es mich wissen, wenn deine Oma mehr als nur leicht gestört sein sollte.Ich bin immer gern bereit, dir zu helfen, Uneasy.“ Ohne ein weiteres Wort steht sie auf und spaziert aus dem Raum, während er ihr mit offenem hinterherstarrt und sich nur fragen kann, wie sie hinter seinen Army-Spitznamen gekommen ist. Oder warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hat.
Sein Navigationsgerät behauptet, das die Fahrt zur fraglichen Wache eine Stunde und zwanzig Minuten dauern wird, wenn er anstatt der umweltschonenden die schnelle Strecke nimmt. Wenn er also, nun ordentlich, aufs Gas tritt, sollte er es schaffen, noch vor der Elf-Uhr-Meldung seiner Zielperson vor Ort zu sein.
Eine Stunde, und je fünfundvierzig Minuten später flucht er wie zu seinen besten Feldjägerzeiten. Gerade hat ihn sein Navi-Gerät schon wieder in eine Einbahn -strasse geführt, die es nicht kennt. Als er endlich bei der wache eintrifft, ist die Frau längst weg. Glücklicherweise verfügt der diensthabende Sergeant, der Boby verblüffenderweise ähnlich sieht wie ein Bruder, über die Anschrift. Als Decklas vor Josi Muellert' Haus hält, muss er an die älteren Sozialbauten in St.Leonards in Edinburgh denken. Dort wie hier sind die Häuser aus verwittertem grauen Stein halbkreisförmig um Gemeinschaftstreppen erbaut und erinnern an eine Zeit, in der sich eine Familie glücklich schätzen konnte, in zwei Zimmern wohnen zu dürfen. Damals hätte man die Gegend wohl als Slum bezeichnet, inzwischen jedoch ist sie aufge -wertet worden. Man hat Trenn -wände eingerissen, Nachbarwohn -ungen miteinander zu größeren Einheiten verbunden und allerhand Annehmlichkeiten je hinzugefügt. Zum Beispiel fließend Wasser. Er wirft einen Blick in die Akte. Josi ist fünfundsechzig, also kennt sie die Wohnungen von damals noch. Wahrscheinlich kommt ihr ihre Behausung hier wie der reine Luxus vor. Vor dem Gebäude liegt eine kleine, von einem Eisenge -länder umgebene Grünfläche. Eine Handvoll Kinder stolpert um einen Ball herum. Es fehlt jedes Zusammenspiel, was wohl vor nehmlich damit zu tun hat,dass nun hier Kinder, in unterschiedlichem Alter herumtoben - sehr kleine und kleine. Er blickt zu dem Wohnhaus hinauf, das sich sanft um das Grün krümmt, und sieht an den Fenstern mindestens zwei Leute, die die Kinder im Blick haben. Das Treppenhaus in der Mitte des Gebäudes steht offen und unten an der Wand lehnen zwei Fahrräder. Ohne Schlösser. Decklas kommt sich vor, als wäre er geradewegs in die Vergangenheit gestolpert, und mitten hinein in die gute alte Zeit guter Nachbarschaft. Er weiß noch nicht viel über Josi, aber sie ist offenbar keine Rentnerin, die in einem Betonsilo feststeckt und nur nach einem Vorwand sucht, um mit der Außenwelt Kontakt aufzuneh -men. Im Gegenteil, es würde ihn nicht wundern, wenn der ein oder andere Nachbar von Zeit zu Zeit auf eine Tasse Tee bei ihr vorbei -käme, um sich nach ihrem Befin -den zu erkundigen. Er wirft einen letzten Blick über die Schulter zu den spielenden Kindern und fragt sich, ob die Nachbarschaft immer noch so friedlich sein wird, wenn der Haufen hier in die Pubertät kommt. Der Kleine mit dem Schaumball stopft sich ein gutes Viertel davon in den winzigen Mund und beißt mit ganzer Kraft hinein, um die Besitzverhältnisse zu erklären.
Josis Tür ist frisch in sattem Gras -grün gestrichen und auf Hoch -glanz poliert. Briefschlitz und Tür -knauf leuchten, nur an denen Rändern sind ein paar verräterische Reste des Putzmittels zu erkennen. Decklas vermutet, dass auch Josis Augen nicht mehr ganz so gut sind, wie sie einst waren. Er klopft bedächtigt, um keine Spuren zu hinterlassen. Überraschend schnell schwingt die Tür auf und einen Augenblick schießt ihm "lustige Witwe" nun so deutlich durch den Kopf, dass er fürchtet, er habe die Worte laut ausgesprochen.
Josi trägt ihr Haar weiß, allerdings in einem frechen Pixie-Cut, dazu passend filigranen Silbercreolen und dezentem Make-up, ganz wie es sich für eine Dame ihres Alters geziemt. Aber das knappe Top im Leoparden-Look, der knielange Lederrock und die bunten Perlen -ketten überraschen Decklas.Da sie dazu je flauschige Hasenpantoffeln trägt, ist ihr Outfit in seinen Augen ungewöhnlich. Was natürlich voll -kommen in Ordnung ist. Aber könnte es ein Zeichen von Vergess -lichkeit und Irrationalität sein? Er zeigt ihr seine Visitenkarte.
„Dürfte ich Sie vielleicht um ein kurzes Gespräch bitten, Ma'am?"
Sie lächelt. Ihr Zahnschmelz ist dünn und angegraut, ihre Haut hin -gegen nicht schlecht. Decklas vermutet dennoch, dass sie sich nicht immer bester Gesundheit erfreut hat. Unter den Augen hängen dunkle Schatten und Lach -faltennd kaum zu sehen. Ihr Blick jedoch ist hell und einladend.
„Kommen Sie herein, Officer", sagt sie. "Ich will gleich mal etwas Wasser aufsetzen. Heute Morgen habe ich bereits einige Shortbread gebacken, für den Pausenhofverkauf in der Grundschule.Sie liefern mir also eine hervorragende Aus -rede, es zu kosten. Ich nehme an, Sie wissen ein gutes Gebäck zu schätzen?"
„Und wie", sagt Decklas erfreut.
„Junge Männer in Ihrem Alter sind ja so oft Radfahrer.Spindeldürr,und trotzdem achten sie auf ihre Koh -lenhydratzufuhr. Unter uns gesagt, wer will schon Haut und Knochen auf sich liegen haben? Das stelle ich mir ja nicht besonders gemüt -lich vor."
„Ich muss zugeben, ich bin auch kein Fan von Magermodels", sagt Decklas.
Josi führt ihn in ein behagliches, makellos sauberes Wohnzimmer, in dem je zwei Plüchsofas einander gegenüberstehen. Der letzte Rest des Raumes ist mit einer Vielzahl an Mustern und grellen Farben dekoriert. Auch wenn sie sich nicht beißen, würde Decklas ungern mit Kopfschmerzen hier sitzen. Er kann keine Katzenhaare entdecken. Absichtlich geht Decklas an dem kleinen Tisch mit den zwei Stühlen vorbei und steuert auf die Sofas zu, ehe Josi vorschlagen kann, an besagtem Esstischchen Platz zu nehmen. Er will ihre Füße sehen können. Er setzt sich und sinkt tief in die Couch ein, von den über -mäßig weichen Plüchkissen, nun bedrägt. Die Sprungfedern sind schlaff, also schon länger nicht mehr ersetzt worden, denkt Deck -las. Josi ist knapp bei Kasse.
„Bin gleich wieder da", sagt sie.
Decklas nickt, macht aber keine Anstalten, ihr zu folgen. Kaum dass sie den Raum verlassen hat, ist er auf den Beinen und sucht nach dem Bleistelltisch, den es hier mit Sicherheit irgendwo gibt. Er findet ihn hinter dem anderen Sofa und stellt ihn zwischen sich und Josi, ein wenig auf die Seite. Dann inspiriert er rasch die gerahmten Fotos auf dem Kaminsims über dem veralteten Elektroofen, ein Modell mit Holzscheit aus Plastik und einer kleinen Lichtmaschine, die den Anschein eines echten Flammenspiels erwecken soll. Die neuste Mode in den Siebzigern. Er erspäht ein altes Schwarz-Weiß-Foto, ein Hochzeitsporträt. Drum -herum steht eine Auswahl an Kinderbildern, einige in Schwarz-Weiß, andere in Farbe.Ihre Kinder? Geschwister? Enkel? Ein großes Farbfoto zeigt eine junge Frau in einem Hochzeitskleid, das nur aus Rüschen und Schnörkeln zu besteh -en scheint. Die Hochzeit muss so, in den Achtzigern, stattgefunden haben, denkt er. Wahrscheinlich ihre Tochter.
Josi kommt mit einem Tablett herein. Er nimmt es ihr aus der Hand, ehe sie den kleinen Tisch zu -rechtrücken kann, und stellt es rasch darauf ab.
„Wie galant", sagt sie und nimmt seufzend gegenüber von ihm Platz.
„Soll ich Mutti spielen und uns einschenken?"
„Sieht so aus, als wären Sie tatsäch -lich Mutter."
Er verweist auf die Fotos.
„Ach, ja, meine Tochter, Jenny. Sie war so eine hübsche Braut. Ihre zwei Kleinen sind inzwischen auch erwachsen. Beide, gute Ärzte.“ Sie strahlt vor Stolz.
In Gedanken macht Decklas sich eine Notiz, dass sie Zugang zu medizinischem Fachwissen hat. „In Schottland?“, erkundigt er sich. „Schottischer-der-National-Health-Service“, sagt Josi stolz. „Carter hatte ein lukratives Angebot aus den Staaten, entschied sich aber, bei dem Krankenhaus zu bleiben, wo man ihn ausgebildet hat.“
„Harter Beruf“, sagt Decklas.
Mit einem Lächeln nimmt Josi ihre Gastgeberpflichten wahr,versichert sich,dass der Tee genau nach sei -nem Geschmack ist, nicht zu heiß und nicht zu kalt, und dass er ihr schönes Gebäck auf dem Unter -teller hat. Noch immer hat sie ihn nicht gefragt, warum er eigentlich hier ist.
Als habe sie seine Gedanken gele -sen, sieht sie ihn mit funkelnden Augen an. „Ich nehme mal an,Sie bringen mir keine schlechten Nach -richten. Dazu sind Sie mir, zu ent -spannt.“
„Sie sind sehr aufmerksam, Ms. Muellert.“
„Ach, da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich sehe nicht mehr so gut wie früher, aber hier oben bin ich noch so munter wie eh und je.“ Sie tippt sich an die Schläfe. „Wahr -scheinlich sogar munterer“, fügt sie mit einem Lachen hinzu. „In meiner Jugend war ich sehr dusse -lig.“
Decklas hat keine Ahnung, was er dazu sagen soll, also übergeht er die Bemerkung. „Ich bin wegen des Mordes hier, den Sie gemeldet haben.“
„Ich habe mir schon gedacht, dass das der naheliegendste Grund für Ihren Besuch ist. Ich nehme an, Sie wollen mich bitten, meine stetigen Meldungen zu unterlassen?“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Ach, ich weiß doch, dass ich dämlich klinge. Ihre Kollegen, die meine Aussage aufnehmen, tun mir ehrlich leid. Demnächst werde ich auch denen ein wenig Gebäck anbieten. Ich schaue mir ja mit Leidenschaft diese Backsendungen an. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben mich die Jungs als eine ein -same alte Amsel abgestempelt, die nur ein bisschen Aufmerksamkeit will.“
„Und, haben die Jungs recht?“
„Sie gefallen mir, Officer! Officer, Verzeihung ,ich konnte den Namen auf ihrer Karte nicht lesen.“
„Pettrihl, Decklas Pettrihl.“