Ein Gefühl von Lieblingsfarbe - Jul Bent - E-Book

Ein Gefühl von Lieblingsfarbe E-Book

Jul Bent

4,9

Beschreibung

Es ist die erste große Liebe, ein Flirt, ein Blick, ein Lächeln oder auch nur ein Hauch, eine Ahnung von Zuneigung, manchmal ein einzigartiges Glücksgefühl, dann banale Alltagsliebe, aber auch der Verlust von Liebe, sowie zerstörerische Hassliebe und mörderische Liebe. "Ein Gefühl von Lieblingsfarbe" sind zwölf ausgewählte Liebesgeschichten unterschiedlicher Farbe, die einen Einblick in die große Bandbreite von Gefühlen und Empfindungen vermitteln, wie sie uns jeden Tag begegnen. Wir müssen sie nur erkennen.

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Es ist die erste große Liebe, ein Flirt, ein Blick, ein Lächeln oder auch nur ein Hauch, eine Ahnung von Zuneigung, manchmal ein einzigartiges Glücksgefühl, dann banale Alltagsliebe, aber auch der Verlust von Liebe, sowie zerstörerische Hassliebe und mörderische Liebe.

»Ein Gefühl von Lieblingsfarbe« sind zwölf ausgewählte Liebesgeschichten unterschiedlicher Farbe, die einen Einblick in die große Bandbreite von Gefühlen und Empfindungen vermitteln, wie sie uns jeden Tag begegnen. Wir müssen sie nur erkennen.

Die Figuren und Handlungen der Kurzgeschichten sind frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit realen Personen oder Begebenheiten ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Jul Bent, in Stockholm geboren, ist gelernter Hotelkaufmann. Er arbeitete in Düsseldorf, München und London. Heute ist er im Flugbetriebsdienst tätig und lebt mit seiner Familie in München.

Er schreibt Kurzgeschichten und Romane.

»Ein Gefühl von Lieblingsfarbe« ist als E-Book und als Taschenbuch erschienen und über den Buchhandel erhältlich.

Inhaltsverzeichnis

Lieblingsfarbe

Kaltfront

Letzten Sonntag

Befreiung

Post Mortem

Der Sieg von Monte Carlo

Tür mit Verbindung

Die Schönheit von Schmetterlingen

Nach Hause

In der Enge des Kreises

Das Missverständnis

Abschied

Lieblingsfarbe

Paul war verliebt. Wie sehr, wurde mir erst viel später klar.

Paul war in meiner Klasse, saß in der mittleren Tischreihe, ganz vorne. Er musste dort sitzen. Herr Bremer, unser Klassenlehrer, hatte ihn umgesetzt. Vom Fensterplatz aus seinen Tagträumen gerissen, sollte er ganz nah bei ihm sitzen. Direkt vor dem Lehrerpult.

Doch Paul war schon Minuten später wieder in eine Traumwelt entrückt. Diese schien er auf der großen Weltkarte zu finden, die als Reliefkarte rechts neben der Tafel an der Wand befestigt war. Richtete er seinen verträumten Blick nicht auf die schneebedeckten Wälder Kanadas, die Wüstenflächen Australiens, die zerklüfteten Küstenstreifen Südamerikas, so tauchten seine Gedanken in die dunkelfarbigen Untiefen der Meere hinab.

Erschrocken von dem was er alles zu sehen schien, wachte er Minuten später wieder auf, blickte aus dem Fenster des Klassenzimmers im zweiten Stock und beobachtete die hellgrünen, silbrig schimmernden Birkenblätter, wie sie im lauen Frühsommerwind flatterten. Manchmal drehte er sich ganz unverhofft zu mir um. Er sah mich nur kurz an, so, als wollte er sich vergewissern, dass ich noch da war.

Paul war ein Träumer, zurückhaltend, beinahe schüchtern. Er war kein Angeber und auch kein Pausenclown, davon gab es mehr als genug in unserer Schule. Paul war anders. Er hatte kaum Kontakt zu uns Mitschülern und auch ich wusste so gut wie nichts von ihm. In den Pausen saß er oft abseits, schien in seinen Träumen gefangen. Selten sah ich ihn mit anderen im Gespräch.

Ich hatte mir immer einen Bruder gewünscht, jemand, den man alles fragen konnte, der einem half, wenn man ihn brauchte, von dem man etwas lernen konnte. Und obwohl ich Paul kaum kannte, sah ich in ihm diesen Bruder. In meinen Gedanken war Paul mein Held, mein guter Freund, mein großer Bruder eben, von dem ich nur wenig wusste. Denn obwohl er mir in den ganzen gemeinsamen Schuljahren gleich zu Beginn der ersten Klasse sympathisch war, wir nur einen Straßenzug voneinander entfernt wohnten, jeden Tag den gleichen Schulweg gingen, waren wir immer in einem Abstand von vielleicht zehn Metern getrennt gegangen. Erst die letzten Schultage der Abschlussklasse ließen uns begegnen und Freundschaft schließen.

Es war Ende Mai. Morgens roch die Luft schon nach Sommer und den großen Ferien, das Freibad öffnete seine Tore zur anstehenden Sommersaison, die Verdecke der Cabrios verschwanden im Innern der Autos und die Schuhmode, in diesem Jahr buntfarbene Sandalen mit dünnen Lederriemen, ließen die Hitze des herannahenden Sommers erahnen. Es war die Zeit unserer Prüfungen. Ein Schultag, wie unzählige zuvor, als Paul nach Schulschluss direkt vor mir die Stufen des Schulgebäudes nach draußen rannte.

Ich wusste nicht, woher ich den Mut dafür nahm, doch rief ich seinen Namen, wartete, dass er stehen blieb und stellte ihm sogleich die Frage, die mir schon seit langer Zeit durch den Kopf ging.

Eigentlich schon seit ich Paul kannte.

Wie konnte ein Schüler der zehnten Jahrgangsstufe den ganzen Tag verträumt in die Gegend schauen? Und vor allem, wovon träumte er?

Anfangs zweifelte Paul an der Aufrichtigkeit meiner Fragen, glaubte, ich wollte mich über ihn lustig machen. So, wie es Herr Bremer gerne tat.

Doch bereits eine halbe Stunde später saßen wir in einer Eisdiele, aßen Vanilleeis mit Erdbeeren, tranken Milchshakes dazu.

Eine Antwort auf meine Fragen erhielt ich von ihm gar nicht. Vielmehr stellte er Fragen, wollte von meinen Hobbys hören, fragte nach meiner Familie, die er vom Sehen kannte und erkundigte sich nach meiner Adresse.

Paul interessierte mein Lieblingsessen und erriet meine Lieblingsfarbe, was allerdings nicht sehr schwer war. Schließlich trug ich ständig mindestens ein rotes Kleidungsstück und besaß auch sonst alles in dieser Farbe. Meine Schultasche, der rote Füller, der Radiergummi, sowie ein roter Elefant als Schlüsselanhänger. Einfach alles in rot. Sogar meine Unterwäsche kaufte ich mit der Erlaubnis meiner Mutter in Rottönen. Doch davon erzählte ich Paul natürlich nichts.

Er fragte, wie mein Zimmer aussah, ob auch dort alles in dieser Farbe zu finden war und wunderte sich, dass ich, bei meinem Tick für Rot, meine Wände noch nicht in dieser Farbe gestrichen hatte. Als mir keine bessere Antwort einfiel als »weil alleine malern keinen Spaß macht«, bot er an, mir dabei zu helfen.

Zwei Tage später erschien Paul bei uns zu Hause. Ich hatte ihn eingeladen, um gemeinsam für Mathe zu üben.

Als Mitbringsel überreichte er mir einen Gedichtband »Gedanken zu Rot« mit einem roten Miniluftballon in Herzform daran sowie eine rote Rose, wegen meiner Vorliebe für Rot, wie er verlegen erklärte.

Wir blieben den ganzen Nachmittag in meinem Zimmer, hörten Musik und blätterten in dem Buch, lasen uns gegenseitig daraus vor.

Für Mathe fanden wir an diesem Tag und auch an den nächsten keine Zeit mehr. Stattdessen kauften wir Farbe, dunkelrot, Pinsel und Rollen und verschönerten mein Zimmer.

Es passierte am zweiten Tag unserer Malerarbeiten, drei Wände waren bereits gestrichen, als Paul von einer Sprosse der Leiter abrutschte, sich nicht halten konnte und stürzte. Er hatte sich ernsthaft verletzt. Sein Arm war geschwollen, schien gebrochen. Mein Vater fuhr ihn sofort zum Arzt.

Noch am selben Abend rief Paul bei uns an. Er war wieder zu Hause, sein Arm bis zur Schulter eingegipst und an Schule zunächst nicht zu denken. Über meinen Besuch würde er sich aber sehr freuen.

Als ich tags darauf bei Paul klingelte, öffnete seine Mutter, bat mich in die Küche, da Paul noch einen Moment im Bad brauchte.

Ich entschuldigte mich für alles, was passiert war, fühlte mich für den Sturz verantwortlich. Doch sie winkte ab, meinte, es sei ja kein Beinbruch, lachte über ihre Äußerung. Ich lachte auch.

Sie fand es ein wenig absurd, ja verrückt, dass ausgerechnet Paul eine rote Farbe malte, dabei verunglückte. Sie schüttelte den Kopf, lächelte. Ich lächelte ebenfalls, nicht weil ich verstand, was sie damit sagen wollte, sondern aus Höflichkeit.

»Ausgerechnet Paul, der diese Farbe gar nicht kennt, nicht erkennen kann, wo er doch rotblind ist. Schon immer war«, sie machte eine kurze Pause, »und immer noch will er es nicht glauben, hofft, die Farbe eines Tages doch noch sehen zu können.«

Als wir später in Pauls Zimmer allein waren, sprach ich ihn auf seine Rotblindheit an. Er nahm mir dieses unangenehme Gefühl, davon besser nicht zu sprechen.

Paul erklärte mir, rot zwar nie gesehen, es aber gefühlt zu haben. Jedes Mal, wenn er sich im Unterricht zu mir umdrehte, mich ansah, fühlte er dieses Rot. Fühlte es auch jetzt wieder ganz deutlich. Er nahm meine Hand, sah mich an. Dann schloss ich meine Augen. Unsere Lippen berührten sich.

Seit diesem Tag trug ich nur noch selten rote Kleidung. Und Vieles, was ich in dieser Farbe besaß, verschwand in kürzester Zeit aus meinem Zimmer. Die roten Wände wurden neu gestrichen. Gelb und blau, schöne Farben. Nur meine Turnschuhe aus rotem Wildleder mit den weißen Kringeln behielt ich, trug sie, weil sie auch Paul gefielen. Er meinte, sie seien schon so alt und verschmutzt, dass eh kein rot mehr daran zu sehen war. Doch das stimmte nicht. Er wusste, wie sehr sie mir gefielen. Nur weil er sie nicht so sehen konnte wie ich, sollte ich darauf nicht verzichten müssen.

Paul sagte: »Wusstest du, dass ein Stier farbenblind ist? Das rote Tuch des Stierkämpfers erkennt er gar nicht. Es ist der Mensch, der ihn reizt.«

Das alles liegt nun schon acht Jahre zurück. Im nächsten Monat erinnern Paul und ich uns wieder an »unseren Jahrestag«, verreisen für ein paar Tage. So, wie wir es jedes Jahr tun. Für die Reise habe ich mir ein neues Sommerkleid ausgesucht, sonnengelb.

Eine meiner Lieblingsfarben.

Kaltfront

Es war kalt geworden. Für die Jahreszeit zu kalt. Im Radio hatten sie für die kommenden Tage von einer »gefühlten Eiszeit« gesprochen. Fröstelnd stand er mit dem Rücken zum geöffneten Fenster, blickte zu ihr herüber, sah, wie sie sich bis zu den Ohren in ihre Bettdecke hüllte, ihr Lächeln ein Gefühl von wohliger Wärme erahnen ließ.

Er fragte sich, ob es ein guter Zeitpunkt sei, mit ihr zu reden, ein für alle Mal alles zu erklären, Klarheit zu schaffen. Wie oft hatte er sich diese Frage gestellt, gewünscht, den richtigen Augenblick erwischt zu haben. Doch immer wieder verließ ihn der Mut, hatte er befürchtet, sie zu verlieren. Sie würde ihn zum Teufel jagen, sich jemand anderen suchen, mit dem sie ihren Wunsch nach Familie leben könnte.

Dabei war er nicht immer zeugungsunfähig gewesen, erst die Sterilisation, damals vor fünf Jahren, hatte dazu geführt. Dass der Eingriff vorübergehend kleinere Beschwerden, wie partielle Taubheit oder ein leichtes Druckgefühl in dem Bereich, mit sich bringen könnte, hatte man ihm vorab erklärt, damit hatte er gerechnet. Doch die Entzündungen, die sich durch verunreinigtes Operationsmaterial im umliegenden Gewebe bildeten, bedeuteten letztlich einen weiteren Eingriff, der zur endgültigen Zeugungsunfähigkeit führte. Nein, er hatte nie vorgehabt jemals einer Frau davon zu erzählen, auch Anne nicht. Und da sein Liebesleben in keiner Weise beeinträchtigt war, sah er auch keinen Grund dafür.

Doch später, Anne und er waren schon über drei Jahre ein glückliches Paar, sprach sie des öfteren von Kindern, von Freundinnen, die schwanger wurden, Babys bekamen. Manchmal kam ihm der Gedanke, nur Mittel zum Zweck zu sein, so fragte er sich, ob sie wirklich ein Kind von ihm wollte, oder von dem Gedanken besessen war, ihrer biologischen Bestimmung folgen zu müssen. Doch er hörte ihr weiter zu, konnte ihren Wunsch nach einem eigenen Kind beinahe verstehen, obwohl er selbst nie diesen Wunsch verspürte, die Verantwortung dafür ablehnte, die schlechten Zukunftsaussichten für nachfolgende Generationen seine Entscheidung rechtfertigten.

Nach über einem Jahr verkrampfter und erfolgloser Versuche, schwanger zu werden, folgten Arzttermine. Annes Ergebnisse waren stets ohne Befund, seine ebenfalls, wie er ihr später berichtete. »Alles so, wie es zu erwarten war.«, hatte der Urologe gesagt. Und genau so hatte er es weitergegeben. Nichts hinzugefügt, nichts weggelassen. Und doch bedauerte er seine Lüge, wenn es denn überhaupt eine war, hatte Gewissensbisse, weil er ihr gegenüber nicht aufrichtig war, nur aus Angst, sie zu verlieren, nicht alles erzählt hatte.

»Anne, wir müssen reden.«, seine Stimme klang brüchig, ohne Kraft und Stimmklang.

So, als wären es die Worte eines anderen.

»Komm ins Bett, lass uns schlafen«, murmelte sie im Halbschlaf, »und mach das Fenster zu, es wird so kalt.« Er schloss das Fenster, zog den Vorhang zu und folgte ihrer Aufforderung.