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Einst schwamm sie wie ein Goldfisch im Luxus. Jetzt bleiben Parker nur ein Stapel Umzugskartons und eine Pythonschlange namens Apollo von ihrem süßen Leben. Wie gut, dass sie noch das Häuschen von Tante Julia in Gideon’s Cove hat. Das sich bei ihrer Ankunft leider als vollkommene Bruchbude herausstellt - aber immerhin mit umwerfender Aussicht auf den Atlantik. Parkers Entschluss steht fest: Erst renovieren, dann verkaufen! Dumm nur, dass sie zwei linke Hände hat … und noch dazu kleine graue Nager als Untermieter. Da bleibt eigentlich keine Zeit für James Cahill, den arroganten Anwalt ihres Vaters, der ihr auf Schritt und Tritt folgt. Allerdings weiß James, wie man den Hammer schwingt - und außerdem ist er verboten attraktiv! Bald merkt Parker: Nicht nur bei Häusern lohnt oftmals ein Blick hinter die Fassade …
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Seitenzahl: 563
Kristan Higgins
Ein Goldfisch räumt auf
Roman
Aus dem Amerikanischen von Tess Martin
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Somebody To Love
Copyright © 2012 by Kristan Higgins
erschienen bei: HQN Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Covergestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Bettina Lahrs
Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München
Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
ISBN eBook 978-3-95649-322-5
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Liebe Leserinnen,
eigentlich wollte ich niemals über eine milliardenschwere Heldin schreiben, und das habe ich bisher auch nicht. Aber es gibt Charaktere, die mich einfach faszinieren und fesseln … Charaktere, bei denen ich spüre, dass sie mehr zu sagen, mehr zu tun haben. Parker Welles ist einer davon. Vielleicht erinnern Sie sich an Lucys ziemlich direkte, großzügige beste Freundin in Lucy kriegt’s gebacken. Aus irgendeinem Grund konnte ich Parker, die so zufrieden schien, allein zu leben, ihren Sohn großzuziehen und ihre ziemlich albernen Kinderbücher zu schreiben, einfach nicht vergessen.
Genauso erging es mir mit Gideon’s Cove in Maine, die Kleinstadt, in der Fang des Tages spielt. So viele von Ihnen haben mir geschrieben und mich gefragt, was aus Maggie und Malone geworden ist, und ich freue mich sehr, dass Sie die beiden wiedertreffen wollen! Also habe ich überlegt, was wohl geschehen würde, wenn ich Parker sowohl ihr Vermögen als auch ihre Karriere wegnehme und sie an die Küste von Maine schicke, in eine kleine Stadt, in der sie keine Menschenseele kennt? Was würde sie tun? Wie würde sie mit dieser Tatsache umgehen? Wäre sie in der Lage, sich in einem Sommer neu zu erfinden und ihrem Sohn ein gutes Leben zu ermöglichen? Und was wäre, wenn der Mann, der ihr zu Hilfe eilt, der Letzte ist, von dem sie Hilfe annehmen möchte … James Cahill nämlich, der Anwalt ihres Vaters?
James verehrt die „Prinzessin“, wie er sie nennt, bereits seit längerer Zeit. Doch Perfect Parker hat nie etwas von ihm gebraucht … bis jetzt … und James will unbedingt, dass sie ihn endlich in einem anderen Licht sieht.
In Ein Goldfisch räumt auf geht es darum, seinen wahren Wert zu erkennen und herauszufinden, wozu man in schwierigen Situationen in der Lage ist. Es geht darum, wer wir wirklich sind – und zwar unabhängig von äußeren Umständen – und was wir wollen. Ein Zuhause. Liebe. Eine Zukunft. Was sonst zählt im Leben?
Ich hoffe, Sie mögen Parker und James, und falls Sie Fang des Tages gelesen haben, freuen Sie sich bestimmt auf ein Wiedersehen in Gideon’s Cove.
Viel Spaß mit dem Buch!
Kristan
Wie immer bin ich dankbar für die wunderbare Freundschaft und das unermessliche Engagement meiner Agentin Maria Carvainis, genauso wie für ihren unerschütterlichen Einsatz. Vielen, vielen Dank an mein fantastisches Team bei Harlequin: Keyren Gerlach, Tara Parsons, Margaret O’Neill Marbury und Michelle Renaud. Ich bedanke mich bei der außerordentlichen Marketing- und Digital-Gang, all den liebenswerten Vertriebsmitarbeitern und vor allem bei Donna Hayes, die es so aussehen lässt, als wäre es ein Kinderspiel, ein riesengroßes Unternehmen zu leiten – und dabei unglaubliche Schuhe trägt.
Viel Liebe und großen Dank an die unendlich talentierte Kim Castillo von Author’s Best Friend und an die brillante Sarah Burningham von Little Bird Publicity, die beide immer so fröhlich, hilfsbereit und freundlich sind!
Für ihren Einsatz bedanke ich mich bei Huntely Fitzpatrick, Shaunee Cole, Kelly Morse und Karen Pinco. Ihr alle seid witzig, klug und umwerfend. Außerdem bedanke ich mich bei der vergnügten Autorengruppe, besser bekannt als CTRWA, danke für eure Liebe und Unterstützung. Mein Dank auch an Jackie Decker, meine BBF (best buddy forever!) und Schwägerin (die Holy Rollers und Ark Angels waren ihre Ideen, beschweren Sie sich bei ihr!). Danke meiner Mom dafür, dass sie uns als Kindern so oft die Geschichte von Mickey the Fire Engine erzält hat … den Nervenkitzel habe ich nie vergessen! Ein dickes Dankeschön gilt meinem Schwager Brian Keenan, Esq., wegen seiner Hinweise zu rechtlichen Aspekten (für jeden Fehler bin ausschließlich ich verantwortlich).
Claire Shanahan Bacon hat Parkers Hund getauft (Beauty), dessen Persönlichkeit sich aus diesem Namen entwickelt hat. Maura Fehon war meine wunderbare und schwer arbeitende Sommerpraktikantin – danke, Liebes!
Ich bin sehr froh, so viele Autoren als Freunde zu haben, aber dieses Mal bedanke ich mich vor allem bei Robyn Carr, Susan Andersen, Jill Shalvis, Cindy Gerard, Joan Kayse und Elizabeth Hoyt. Mein besonderer Dank geht an Robyn, von der ich einen bestimmten anzüglichen Ausdruck geklaut habe, den Lavinia benutzt. Wenn Sie ihn lesen, wissen Sie, wovon ich spreche.
Ich bedanke mich bei meinen zwei wundervollen Kindern, die mit jedem Jahr noch entzückender werden, und bei meinem geduldigen Ehemann, der die Liebe meines Lebens ist, auch noch nach all diesen Jahren … vor allem nach all diesen Jahren.
Und bei Ihnen, liebe Leserinnen, für die Briefe und Nachrichten, die mir so viel Freude bereiten … ich danke Ihnen von ganzem Herzen.
Dieses Buch ist meiner Tochter Flannery gewidmet.
Und damit schnallten sich die sechs Holy Rollers – Golly, Polly und Molly, Ike, Mike und Spike – ihre magischen Rollschuhe zum letzten Mal ab. Ihre Aufgabe auf Erden war erledigt. Sie hatten sich ihre wunderschönen, glitzernden Engelsflügel verdient und durften nun für immer im Himmel bleiben … für immer und ewig. ENDE.“
Parker Harrington Welles unterdrückte ein Seufzen, klappte das Buch zu und versuchte angestrengt, die von ihr erfundenen Engel nicht im Geiste zu erwürgen – wobei sie genau das am liebsten getan hätte.
Töte uns nicht, Parker!, quietschten die heliumschrillen Stimmen in ihrem Kopf.
Ich kann euch nicht töten. Ihr seid unsterblich. Leider. Einer der vielen Nachteile dieser Serie war, dass die kleinen Nervensägen mit ihr sprachen. Ein weiterer, dass Parker ihnen antwortete.
Sieben oder acht kleine Finger schossen in die Luft.
„Bitte schreiben Sie noch mehr Holy-Rollers-Bücher, Miss Welles.“
Lieber würde ich in meinem eigenen Blut baden, Kindchen, dachte Parker. „Nein, Schätzchen, die Holy Rollers sind jetzt im Himmel“, entgegnete sie. „Das ist das letzte Buch der Serie. Aber ihr könnt sie diesen Sommer im Kino sehen, vergesst das nicht.“
Heute, im Kindergarten ihres Sohnes, wurde das offizielle Ende der Holy Rollers eingeläutet. Diese Serie war so kitschig und süß, dass Der kleine Kuschelhase dagegen wie ein Kapitel aus Sin City wirkte. Die Tatsache, dass Parker durch die Bücher – übersetzt in sechzehn Sprachen und mit unfassbar hohen Auflagen – in der Kinderbuchwelt einigermaßen berühmt geworden war, änderte nichts daran, dass die Autorin ihre eigenen Bücher hasste.
Hass ist so ein böses Wort!, sangen die Kinderengel im Chor. Wir hingegen lieben dich, Parker! Wirklich, sie waren wie die Trickfilmversion eines griechischen Chors. Ständig meldeten sie sich mit unerwünschten Ratschlägen zu Wort.
„Haben Sie auch Harry Potter geschrieben?“, lautete die nächste Frage von Nickys Freundin Caitlin.
„Nein, leider nicht, Schätzchen. Aber ich liebe diese Bücher, du auch?“
„Manchmal krieg ich auch die warmen Fluffis, genau wie die Holy Rollers“, sagte Mariah, und Parker wurde übel. Hatte sie sich wirklich diese bescheuerte Bezeichnung ausgedacht? War sie vielleicht betrunken gewesen?
„Bist du reich?“, wollte Henry Sloane wissen.
„Na ja“, antwortete Parker. „Wenn du wissen willst, ob ich als Autorin viel Geld verdiene, dann lautet die Antwort nein. Weil alle Einnahmen aus den Holy Rollers an einen Wohltätigkeitsverein namens Save the Children gehen.“
„Das ist für Kinder, die nicht genug zu essen haben“, erklärte Nicky stolz, und Parker lächelte ihrem Sohn zu. Das war das einzig Gute an der Kinderbuchserie. Parker brauchte kein Geld, deswegen hatte sie von Anfang an alle Einnahmen einem guten Zweck gespendet. Und das linderte den Brechreiz zumindest ein wenig.
„Aber du lebst in einer Villa“, stellte Will Michalski nachdrücklich fest. „Ich war schon mal da. Du hast neunundzwanzig Badezimmer.“
„Das stimmt allerdings“, gab sie unbehaglich zu.
„Eine Villa! Ein Schloss! Da möchte ich auch mal leben, wenn ich erwachsen bin!“
„Schreibst du ein anderes Buch?“, erkundigte sich Amelia.
Hervorragende Frage. So wenig Parker die Holy Rollers leiden konnte – eine neue Idee war ihr leider noch nicht gekommen. „Das hoffe ich.“
„Wovon handelt es?“
„Ähm, ich habe noch keine Ahnung. Aber ich werde es euch wissen lassen, einverstanden? Noch eine Frage? Ja, Ben.“
Nach einer weiteren halben Stunde, als die Fragen sich darauf beschränkten, zu erfahren, welche Farbe die Flügel von Golly hatten, meldete sich schließlich die Lehrerin zu Wort.
„Miss Welles muss jetzt langsam gehen, fürchte ich“, sagte sie. „Kinder, bedankt euch bei Nickys Mom.“
„Danke, Nickys Mom“, riefen die Kinder im Chor, dann stürmten sie zu ihr und umarmten ihre Beine – ihre Belohnung dafür, dass sie Die Holy Rollers verdienen sich ihren Heiligenschein laut vorgelesen hatte.
„Bleibe ich dieses Wochenende bei Daddy?“, fragte Nicky, als sie zusammen zum Auto gingen.
„Aber klar“, antwortete Parker und strich über das dunkle Haar ihres Sohnes. Ethans Wochenende war furchtbar schnell gekommen, wie sie fand. Sie gab ihrem Sohn einen Kuss, dann beugte sie sich vor, um ihn in seinem Kindersitz festzuschnallen.
„Das kann ich selber“, meinte Nicky.
„Richtig. Tut mir leid, Liebling.“ Sie nahm hinter dem Steuer Platz und startete den Motor.
Ein Wochenende ganz für sich allein. Parker versuchte, nicht zu seufzen. Die Holy Rollers waren zwar anfangs als Parodie gedacht gewesen, klar, aber zumindest hatte sie sich damit die letzten sechs Jahre beschäftigen können. Außer auf einen leeren Computerbildschirm zu starren oder ein bis drei Gerard-Butler-Filme zu gucken, hatte sie keine weiteren Pläne. Sie musste sich schnell eine neue Serie einfallen lassen.
„Du solltest auch bei ihm übernachten“, schlug Nicky vor, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Wir könnten Popcorn machen. Und Lucy will einen Kuchen backen.“
„Diese Frau kann hervorragend backen, so viel steht fest“, meinte Parker. „Was für einen Kuchen?“
„Meinen Lieblingskuchen. Mit Zuckerguss und Kokosnuss. Ich darf sieben Stücke essen, hat sie gesagt.“
„Wirklich, Nicky?“ Parker hob eine Augenbraue. Mit der Wahrheit nahm es ihr kleiner Junge in letzter Zeit nicht ganz so genau.
„Glaub schon. Vielleicht hat sie auch fünf gesagt. Auf jeden Fall eine Menge.“
Nicky plapperte weiter über all den Spaß, den er an diesem Wochenende haben würde: Kuchen essen, Segeln mit Ethan, noch mehr Kuchen; mit Fat Mikey, Lucys und Ethans Katze, in einem Bett schlafen, vielleicht sogar mit ihm zusammen baden, um Mitternacht wieder Kuchen essen und die Piratenhöhle suchen, die es angeblich in Mackerly gab. Das Talent, munter vor sich hin zu plappern, hatte Nicky von seinen Großmüttern geerbt.
Als sie auf den Ocean View Drive bog, runzelte Parker die Stirn. Der Kommentar des kleinen Jungen von vorhin, dass sie in einer Riesenvilla lebte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie hatte schon öfter darüber nachgedacht, umzuziehen, da sie nicht wollte, dass Nicky von allen als schwerreiches Kind betrachtet wurde. Eine Menge Leute hatten einfach ein Problem mit einem großen Treuhandvermögen. Das Anwesen namens Grayhurst befand sich schon seit Generationen in Familienbesitz. Es war um die Jahrhundertwende von ihrem Ururgroßvater erbaut worden, und obwohl sie in New York City aufgewachsen war, war Parker ein paar Jahre zuvor dort hingezogen. Erstens hatte sie als Kind in Grayhurst glückliche Sommertage verlebt – Teepartys mit ihren drei Cousinen, Segelausflüge mit ihrem Vater. Und zweitens lebte Ethan in Mackerly, und sie wollte, dass Nicky mit beiden Elternteilen aufwuchs, auch wenn sie nie geheiratet hatten.
Aber dass zwei Personen in einem riesigen Herrenhaus nur wenige Zimmer bewohnten … das fühlte sich einfach nicht richtig an.
Wobei es umwerfend schön ist, dachte sie, als sie in die Auffahrt einbog. Vor dem blauen Junihimmel und in goldenes Sonnenlicht getaucht, wirkte das Gebäude wie eine würdevolle Grande Dame, die zufrieden den gepflegten Rasen, die Blumenbeete und die stattlichen Bäume überblickte. Verdammt riesig, aber wunderschön.
Ethan und Lucy, Parkers engste Freunde, waren schon da. Händchenhaltend hockten sie auf den breiten Eingangsstufen, die hinauf zu dem ausgedehnten Eingangsbereich führten. Ethan sprang auf, um ihr die Autotür zu öffnen.
„Daddy“, schrie Nicky und kletterte aus dem Wagen.
„Wie geht’s meinem Jungen?“ Ethan schleuderte Nicky in die Luft.
„Also“, fragte Lucy, „können wir gratulieren?“
„Ich bin offiziell fertig mit den Holy Rollers. Jetzt kann ich es krachen lassen.“
„Wie schön für dich, Parks“, meinte Ethan und küsste Nicky auf die Wange. „Bist du stolz auf Mommy, Nick?“
„Klar. Was gibt’s zu essen? Kuchen?“
„Kuchen erst nach dem Abendessen“, erklärte Lucy. „Es sei denn, dein Vater sieht das anders.“
„Sieh es anders, Dad!“, befahl Nicky und rannte voraus.
„Parker, hast du heute Abend schon was vor?“, fragte Lucy. „Ich finde, die Jungs sollten etwas Zeit allein verbringen, und wir könnten zusammen abhängen.“
Gerettet! „Das wäre toll! Wir köpfen eine gute Flasche Wein von meinem Vater und reden die ganze Nacht über Ethans Fehler.“
Lucy griff nach Ethans Hand. „Er macht mich schier verrückt. Ich glaube, es war ein Riesenfehler, ihn zu heiraten.“
„Mein Gott, mir geht es genauso“, verkündete Ethan. „Soll ich einen Scheidungsanwalt anrufen?“ Sie grinsten sich an.
„Leute, ich hab gerade erst gegessen, okay?“, warf Parker stirnrunzelnd ein. Sie war ein wenig neidisch auf die beiden. Lucy und Ethan waren total verliebt, und ja, Ethan war der Vater von Parkers Sohn. Was nicht so merkwürdig war, wie es klang. Oder vielleicht doch, und Parker war einfach eine Meisterin im Verdrängen.
„Wir haben unsere Reiseroute dabei“, sagte Ethan, der die beiden Frauen zuerst eintreten ließ. „Dachte, du hättest vielleicht gern eine Kopie davon.“
„Toll!“, meinte Parker. „Kann es kaum erwarten, sie zu sehen.“
Ihre Freunde hatten im Februar geheiratet, aber bisher noch keine Flitterwochen gehabt. Jetzt wollten sie Nicky, sobald der Kindergarten für den Sommer schloss, mit nach Kalifornien nehmen. San Francisco, Muir Woods, Yosemite. Danach hatte Ethan mit der Neueröffnung seines Restaurants zu tun, deswegen war der Zeitpunkt dafür perfekt.
Nur dass die Reise drei Wochen dauern sollte.
Drei Wochen ohne ihren Jungen.
„Daddy!“ Nicky kam zurück und griff nach der Hand seines Vaters. „Schau dir mein Zimmer an! Ich hab gestern aufgeräumt. Mommy wollte das. Sie hat gesagt, es wäre ein Saustall. Wo Schweine wohnen. Jedenfalls habe ich Darth Vaders Kopf gefunden!“ Er zog seinen Vater die weit geschwungene Treppe hinauf.
Parker und Lucy gingen in die Küche, wo Parker sich immer am liebsten aufhielt. „Ich habe uns was zur Stärkung mitgebracht.“ Lucy hob eine Tüte in die Höhe. „Macadamiakekse mit weißer Schokolade.“
„Weiche von mir, Satan!“ Parker schnappte sich einen Keks – Himmel, die waren sogar noch warm! – und biss hinein. Die pure Glückseligkeit erfüllte sie. „Weißt du eigentlich, dass ich im letzten Jahr fünf Kilo zugenommen habe? Kaum ist man fünfunddreißig – zack! –, landet plötzlich alles, was man mit zwanzig mal gegessen hat, auf deinen Hüften.“ Parker hob eine Augenbraue, als Lucy lachte. „Wirst schon sehen.“
„Das sehe ich schon“, entgegnete ihre Freundin. „Na und? Dann hast du jetzt Größe 38? Was für ein Horror.“
„Schon seit einer ganzen Weile. Lass uns nie wieder darüber sprechen.“
„Versprochen“, sagte Lucy.
Die Ehe scheint ihr gutzutun, dachte Parker. Lucy hatte es nicht leicht gehabt. Vor einigen Jahren war sie noch vor ihrem ersten Hochzeitstag Witwe geworden. Jimmy, ihr Mann, war Ethans älterer Bruder gewesen. Ethan und Lucy kannten sich schon während des Studiums, und ihr gemeinsamer Verlust hatte sie zusammengeschweißt. Doch erst ungefähr sechs Jahre nach Jimmys Tod hatten sie es endlich miteinander versucht.
Lange davor waren Parker und Ethan ungefähr zwei Monate lang ein Paar gewesen. Ethan war ein toller Mann – von der kleinen, unbedeutenden Tatsache abgesehen, dass er die ganze Zeit in Lucy verliebt gewesen war. Nur merkwürdig, dass niemand außer Parker etwas davon bemerkt hatte. Daher hatte sie sich ohne großes Trara von ihm getrennt, da ihre Beziehung von Anfang an sowieso eher freundschaftlich als leidenschaftlich gewesen war. Sechs Wochen nach der Trennung hatte sie dann festgestellt, dass sie von Ethan schwanger war. Von Anfang an hatten sie sich gemeinsam um Nicky gekümmert.
Sie nahm sich noch einen Keks aus der Tüte und aß ihn auf. „Heilige Heiligenscheine, die sind vielleicht gut. Gib mir noch einen. Wo ist die Reiseroute? Sie ist farblich markiert, oder? Bitte sag mir, dass sie farblich markiert ist!“
„Selbstverständlich.“ Lucy entfaltete eine dreiblättrige Tabelle.
„Also seid ihr drei Tage in San Fran?“
„Vier.“ Lucy tippte mit dem Finger aufs Blatt. „San Francisco ist rosa.“
„Natürlich.“ Parker beugte sich tiefer über das Blatt, dankbar für Lucys Organisationstalent. So würde sie immer auf die Minute genau wissen, wo ihr Sohn gerade war.
Ethan kam in die Küche und schnappte sich einen Keks. „Parker, was hast du eigentlich vor, wenn wir weg sind? Steht irgendwas auf dem Plan?“
„Oh, vielleicht mache ich einen Abstecher nach Nantucket und treffe mich mit ein paar alten Freunden. Oder ich fahre nach New York. Vielleicht besuche ich meine Mom. Und so weiter.“ Sie gönnte sich noch einen Keks.
In Wahrheit hatte sie überhaupt keine Pläne gemacht. Bald war ihr Sohn viertausend Meilen von ihr entfernt, und am liebsten würde sie ihr Nachtlager im Flughaufen aufschlagen, nur für den Fall, dass etwas passierte. Was nicht der Fall sein wird, beruhigten die Holy Rollers sie. Lucy und Ethan sind die Besten! Außerdem ist es gut, wenn Nicky auch einmal eine gesunde Beziehung zwischen Erwachsenen miterlebt!
Nehmt doch auch einen Keks, dachte Parker. Gut, seit Ethan hatte sie keine Beziehung mehr gehabt. Genau genommen nicht einmal eine zweite Verabredung mit irgendjemandem in den letzten fünf Jahren. Na und? Sie neigte sowieso dazu, emotional verkümmerte Männer anzuziehen. Verheiratete Männer, verlobte Männer, Soziopathen und Ähnliches. Somit war es besser, erst gar nichts anzufangen. Sicher verbrachte sie jede Menge Zeit damit, Ben-&-Jerry’s-Eiscreme futternd romantische Filme zu gucken, um eine gewisse Leere auszufüllen.
Eine Leere, die nun drei Wochen lang nur immer schlimmer werden würde.
Als Ethan im März diese Reise vorgeschlagen hatte, war sie ihr wie eine fabelhafte Idee vorgekommen … Endlich einmal allein, die Freiheit, alles zu tun, was sie wollte – zum Beispiel länger als bis fünf Uhr schlafen, da Nicky immer mit den Hühnern aufstand. Endlich auf eine grandiose Idee für ihre neue Serie kommen. Nur weil Parker ein riesiges Treuhandvermögen besaß, beschränkte sich der Inhalt ihres Lebens schließlich noch lange nicht nur auf das Kaufen von Handtaschen.
Doch jetzt, zehn Tage vor der Reise, erschienen ihr drei Wochen wie eine Ewigkeit. Schließlich konnte sie sich nicht einmal mehr mit den Holy Rollers ablenken. Dass ihr ausgerechnet diese Tatsache einen Stich versetzte, fand sie nur noch beunruhigender.
„Ich hab mich versteckt! Und niemand hat mich gefunden! Ich hab gewonnen!“
Mit Elefant, seinem liebsten Stofftier, kam Nicky in die Küche gerannt.
„Nicky, du darfst dich nicht verstecken, ohne es uns zu sagen, schon vergessen?“, meinte Parker. „Auf diese Weise ist es nämlich kein Spiel.“
„Aber ich gewinne immer“, stellte ihr Sohn klar.
„Da hat er nicht unrecht“, sagte Lucy.
Parker kniete sich grinsend auf den Boden. „Küss mich, Mister. Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch. Tschüss, Mom! Tschüss, Lucy.“ Er fegte aus der Küche.
„Das ist mein Stichwort. Bis später, Mädels. Viel Spaß heute Abend.“ Ethan küsste Parker auf die Wange, dann ging er mit Lucy zusammen in die Eingangshalle, vermutlich um sich etwas inniger von ihr zu verabschieden.
Einen Moment lang fragte sie sich, ob Lucy nur aus … nun … Mitleid hierbleiben wollte. Früher einmal waren sie, Ethan und Lucy einfach drei alleinstehende Freunde gewesen. Aber jetzt waren sie nicht mehr drei, sondern zwei und eins.
Na und? Such dir einen Freund, schlug Golly vor. Seit der letzte Band erschienen war, schienen die Holy Rollers in Parkers Fantasie älter zu werden. In den Büchern waren sie in etwa als Achtjährige dargestellt, und jetzt trug Golly bereits zum ersten Mal Wimperntusche.
„Klar. Einen Freund“, antwortete Parker. „Brauche ich wie ein Loch im Kopf.“
Sie ging hinunter in den geliebten Weinkeller ihres Vaters – in dem es sogar einen Verkostungsraum und einen Kamin gab. Und Abertausende Flaschen Wein, darunter auch eine Flasche Château Lafite, die angeblich einmal Thomas Jefferson gehört hatte. Oder auch nicht. Harry konnte ziemlich überzeugend lügen.
Sie hatte ihren Vater recht lange nicht mehr gesehen. Beim letzten Mal hatte er hier im Keller ein Dinner mit Weinprobe veranstaltet. Als Gäste kamen Schleimer von der Wall Street, sein allgegenwärtiger Anwalt und jemand aus dem Kennedy-Clan, der sich gerade zur Wiederwahl stellte. Sie sollte Nicky kurz in den Weinkeller bringen, um ihn vorzustellen, und anschließend wieder mit ihm nach oben gehen, so lautete der Befehl. Und vor allem bei ihm oben bleiben. Sie wäre natürlich auch nicht unten geblieben, wenn er sie darum gebeten hätte.
Na ja. Hier war der gute 1994er Domaine de la Romanée-Conti, mit dem Harry so geprahlt hatte. Achttausend pro Flasche, viel weniger als für den 1996er-Jahrgang. Bestimmt hätte Harry nichts dagegen, wenn sein einziges Kind und dessen beste Freundin sich ein Fläschchen genehmigten, oder? Er besaß immerhin eine ganze Kiste davon. Allerdings würde sie Lucy nicht verraten, was der Spaß kostete. Lucy hatte etwas Angst vor Harry – so wie die meisten Menschen.
Parker eilte wieder hinauf, entkorkte den Wein und ließ ihn atmen. In der Zwischenzeit stellte sie Ziegenkäse, Trauben und ein paar von diesen krümeligen Crackern auf ein Tablett. Klasse, dass Lucy den Abend mit ihr verbringen wollte. Vielleicht zu klasse. Du musst deine leeren Stunden irgendwie ausfüllen, meinte Spike.
„Still“, rief Parker. „Für mich seid ihr tot. Geh weg. Flieg in den Himmel.“ Sie schenkte zwei Gläser Wein ein.
Sechs Jahre zuvor hatte sie im Büro ihres ehemaligen Harvard-Kollegen gesessen und sich zum siebenundfünfzigsten Mal angehört, dass ihre Kindergeschichte Mickey, das Feuerwehrauto einfach nicht gut genug war.
„Es tut mir leid, Parker“, sagte George. „Das kommt mir ein bisschen banal vor.“
Banal? Mickey war einfach fantastisch! Und wirklich, was, zum Teufel, sollte das? Sie hatte zwei Harvard-Abschlüsse in Literatur und Ethik. Die Hälfte ihres Abschlussjahrgangs schien Romane zu schreiben – Parker konnte bisher nur sechsundfünfzig Absagen vorweisen. Oder jetzt siebenundfünfzig. Mickey war aufrichtig und vermittelte wichtige Botschaften – persönliche Ziele, Engagement, zweite Chancen. Bei dem ganzen Schund auf dem Markt war es nicht leicht, da keine Verbitterung zu verspüren.
„Hast du vielleicht noch was anderes?“, fragte George, der bereits auf seine Uhr schaute.
„Ja, habe ich“, sagte Parker. „Wie wäre es damit? Eine Bande Kinderengel wird auf die Erde geschickt, um Kindern etwas über Gott beizubringen. Verstehst du? Noch haben sie sich ihre Flügel nicht verdient, deswegen brausen sie auf Rollerskates durch die Gegend. Sie heißen die Holy Rollers. Gefällt dir das? Sie essen ausschließlich Engel-Schokoladentorte, sie leben in einem Baumhaus namens Eden, und immer wenn ein Kind auf der Erde vor einem moralischen Dilemma steht, kommen die Holy Rollers angeschossen, und die Predigt kann losgehen.“ Sie verdrehte die Augen. „Eine Mischung aus Das verkrüppelte Lamm und Die kleinen Strolche.“ Seufzend stand sie auf. „Okay, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, George. Es war schön, dich wiederzusehen.“
„Warte“, sagte er.
Eine Woche später hatte sie ein Angebot und einen Vertrag vorliegen. Sie und Suze, ihre ehemalige Mitbewohnerin im renommierten Internat Miss Porter’s School, fuhren nach Grayhurst, um zu feiern, zu futtern, was immer Harrys Chefkoch ihnen vorsetzte, im hauseigenen Hallenbad zu schwimmen und über die Ironie des Schicksals zu lachen. Am zweiten Abend gingen sie ins Lenny’s, eine Kneipe im Ort, und dort war dann Ethan Mirabelli, der mit ihnen beiden gleichermaßen flirtete, obwohl Suze lesbisch und wie eine Berufscatcherin gebaut war. Als er Parker um ihre Telefonnummer bat, boxte Suze ihr heftig den Ellbogen in die Seite – ihre Art und Weise, ihre Zustimmung zu signalisieren. Alles Weitere war, wie man so schön sagte, Geschichte.
Parker und Lucy brachten ihre Leckereien in das vordere Zimmer. Dort lachten sie eine Weile über das Talent von Lucys Schwiegereltern, immer in sehr speziellen Situationen unangekündigt bei ihr und Ethan aufzutauchen. „Es ist fast so, als ob sie es riechen könnten“, meinte Lucy. „Wirklich. Manchmal glaube ich schon, dass sie unsere Wohnung verwanzt haben.“
„Könnte gut sein“, stimmte Parker zu. Ihr Telefon klingelte, und sie sah auf das Display. „Oh, wo wir gerade von schwierigen Eltern sprechen, das ist meine Mutter. Ich könnte wetten, sie hat einen Ehemann für mich gefunden.“
„Super! Mach den Lautsprecher an, damit ich mithören kann!“ Lucy klatschte wie ein Kind in die Hände.
Parker nahm ab. „Hi, Mom.“
„Liebling, ich habe jemanden für dich!“, tirilierte Althea Harrington Welles usw., usw. los.
Parker schnitt eine Grimasse. „Hurra! Und keine Sorge – wir müssen uns nicht vorher kennenlernen. Leg einfach schon mal mit den Hochzeitsvorbereitungen los.“
„Sarkasmus ist die niedrigste Form von Humor, weißt du das nicht? Wie auch immer, sein Name ist … na ja, ich erinnere mich nicht. Aber sein Nachname ist Gorman wie Senator Gorman aus Virginia. Das ist sein Vater. Übrigens wurde die Anklage fallen gelassen. Ist das nicht aufregend, Liebling? Ich könnte mir gut den Caucus Room für eure Verlobungsfeier vorstellen, die National Cathedral für die Hochzeit, und der Empfang findet dann im Haus des Senators in Chesapeake statt. Das Haus ist einfach atemberaubend schön. Ich habe es mir auf Google Earth angesehen.“
„Sag mir einfach, wann genau ich in meinem Hochzeitskleid erscheinen soll.“
„Kann ich Trauzeugin sein?“, flüsterte Lucy.
„Auf jeden Fall. Mom, Lucy ist hier.“
„Lucy?“
„Meine beste Freundin?“
„Das ist mir bekannt, Liebes. Hallo, Schätzchen.“
„Hi, Mrs … ähm … Althea“, murmelte Lucy.
„Lucy, vielleicht kannst du sie dazu bringen, die Sache ernst zu nehmen. So wie sie von ihrem Kind besessen ist, merkt sie gar nicht, dass sie alt wird! Im Ernst, meine eigene Tochter … nie verheiratet.“
„Das ist schrecklich“, stimmte Lucy ihr grinsend zu. „Ich habe schon versucht, sie mit meinem stummen Mitarbeiter in der Bäckerei zu verkuppeln, aber da hat sie auch abgelehnt.“
„Da treffe ich mich noch lieber mit Jorge als mit dem Senator-Söhnchen“, erklärte Parker. „Jorges Tätowierungen sind einfach unglaublich. Vor allem das von der Kreuzigung, das wirkt so lebensecht.“
„Schön. Macht euch nur über mich lustig, Mädchen. Oh, habt ihr gesehen, was ich auf Facebook gepostet habe? Ich mache bei einem Casting für Real Housewives mit. Maury hält das für eine fantastische Idee.“
Parker imitierte einen lautlosen Schrei, dann sagte sie: „Das ist toll, Mom. Also, kommst du nächste Woche zu Besuch?“
„Ich bin noch nicht sicher. Maury hat da diese Sache. Wie geht’s Nicky?“
„Er vermisst dich“, appellierte Parker an Altheas Schuldgefühle.
„Dann gib dem süßen Jungen einen Kuss von mir, ja? Und ernsthaft, Liebling, denk mal über den Gorman-Erben nach. Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass du da in diesem scheußlichen alten Haus allein mit einem Baby wohnst.“
„Er ist fünfeinhalb, Mom.“
„Oh. Nun, ab wann ist ein Kind kein Baby mehr? Wie auch immer, darum geht es nicht. Es geht darum – huch! Maury ruft an. Küss meinen Enkel! War schön, deine Stimme zu hören, Lisa. Wiederhören, Parker! Bis bald!“
„Tschüss, Mom.“ Parker seufzte. „Noch Wein, Lisa?“
Lucy lachte. „Ich mag deine Mom.“
„Ich würde sie auf jeden Fall gern öfter zu Gesicht bekommen“, erwiderte Parker kopfschüttelnd.
Gerade als sie ihr erstes Glas Wein geleert hatten und darüber diskutierten, ob sie lieber den Old-Spice-Mann oder Ryan Gosling googeln sollten, hörten sie das Knirschen von Reifen in der Kiesauffahrt. „Meinst du, Nicky hat was vergessen?“, fragte Lucy, ging zum Fenster und schob die Seidenvorhänge zur Seite. „Oh, oh! Das sind dein Vater … und sein Gefolge.“
„Verdammt, verdammt. Haben wir noch Zeit, uns zu verstecken?“
„Ich schon“, meinte Lucy. „Aber du musst wahrscheinlich Hallo sagen.“
„Wage es bloß nicht, dich zu verdrücken“, rief Parker.
Leichte Nervosität erfasste sie – ihre übliche Reaktion auf ihren Vater. Automatisch fuhr sie sich mit einer Hand übers Haar und schaute an sich hinab. Für die Lesung in Nickys Kindergarten hatte sie sich herausgeputzt – beigefarbene Seidenbluse, cremeweißer Bleistiftrock, die fantastischen Leopardenmuster-Pumps. Gut. Eine Art Rüstung.
Sie stellte sich neben Lucy ans Fenster und sah hinaus. Der Fahrer öffnete die Hintertür der Limousine, und Harry Welles trat in den Sonnenschein, dicht gefolgt von Dings eins und Dings zwei, seinen Lakaien.
Technisch gesehen war Grayhurst Harry Welles’ Haus, obwohl er in einem sterilen Zweifamilienhaus auf der Upper East Side in Manhattan wohnte. Er kam nur nach Rhode Island, wenn er Klienten beeindrucken wollte oder sich einer Familienfeier einmal nicht entziehen konnte. Er war in der dritten Generation der Chef von Welles Financial, einem ehemals konservativen Finanzdienstleistungsunternehmen, das er in eine Art Wall-Street-Eldorado verwandelt hatte, gegen das immer wieder Studenten und Gewerkschaften demonstrierten. Er reiste niemals allein – Lakaien wie Dings eins und Dings zwei gehörten einfach zu seinem äußeren Erscheinungsbild.
Die drei Männer gingen den Fußweg hinauf zum Haus, Dings eins und Dings zwei in ehrfürchtigem Abstand wie kastrierte Wächter eines Harems.
Ihr Vater betrachtete sie ernst.
„Hallo, Harry“, begrüßte sie ihn freundlich. „Wie geht es dir?“
„Parker. Ich bin froh, dass du da bist.“ Ihr Vater warf Lucy einen Blick zu. „Lucy.“
„Hallo, Mr Welles. Schön, Sie wiederzusehen.“
Harry atmete tief durch. Missbilligend – oder zumindest wirkte es so. „Ich habe etwas mit dir zu bereden, Parker. Ist Nicky da?“
„Er ist dieses Wochenende bei seinem Vater. Aber ich kann ihn holen.“ Da war schon wieder dieser nervtötende, hoffnungsvolle Ton in ihrer Stimme. Wenn du mich schon nicht magst, dann mag wenigstens meinen Sohn, Dad.
„Nein, ist schon gut. Wir müssen eine Familienangelegenheit besprechen.“ Er sah Lucy bedeutungsvoll an, die nett zurücklächelte und sich – zum Glück – nicht von der Stelle rührte. Erneut richtete Harry den Blick auf Parker. „Wie geht es Apollo?“
„Er lebt noch.“
„Gut.“ Nachdem offenbar genug Nettigkeiten ausgetauscht worden waren, durchquerte ihr Vater die Eingangshalle. „Komm in mein Büro, bitte“, sagte er, ohne über die Schulter zu blicken.
„Miss Welles, Ihr Vater wünscht, dass Sie sich mit ihm ins Büro begeben“, erklärte Dings zwei unnötigerweise. Dieser Mann besaß einen langen und unbedeutenden Titel bei Welles Financial, doch soweit Parker wusste, bestand sein Job ausschließlich darin, die Worte ihres Vaters zu wiederholen und ihm ab und zu bewundernd auf die Schulter zu hauen. Er folgte Harry mit ein paar Schritten Abstand.
„Parker. Immer schön, dich zu sehen.“
Und das war Dings eins.
So begrüßte er sie jedes Mal, üblicherweise mit einer erhobenen Augenbraue und einem selbstgefälligen Grinsen, das sie nicht ausstehen konnte. Ja, Dings eins war attraktiv – Harry würde niemals einen hässlichen Menschen anstellen. Das ganze Drum und Dran von wegen gemeißelten Wangenknochen, perfektem Haarschnitt und einer Aura von Langeweile …. okay, okay, er war heiß. Aber das wusste er auch, was seine Attraktivität mächtig schmälerte, und dieser Satz … Parker, immer schön, dich zu sehen … igitt! Die Tatsache, dass er außerdem auf dem Weg war, in Harrys Fußstapfen zu treten, ließ seine Anziehungskraft gegen null tendieren.
Dings eins arbeitete nicht für Welles Financial. Er war Harrys persönlicher Anwalt, der das originale Dings eins ein paar Jahre zuvor ersetzt hatte – aber wozu sollte man einen perfekten Spitznamen ändern? Er lebte irgendwo hier in Rhode Island und machte Sachen wie … na ja, Parker wusste es eigentlich nicht so genau. Manchmal musste sie irgendwelche Papiere unterschreiben, die er vorbeibrachte. Ansonsten erschien er ihr ziemlich nutzlos, aalglatt und blasiert. Er kroch ihrem Vater immer derart tief in den Hintern, dass sie sich fragte, ob er jemals Tageslicht zu sehen bekam.
„Dings eins“, murmelte sie und nickte hoheitsvoll. Schließlich war sie nicht umsonst auf Miss Porter’s Internat gegangen.
„Mein Name ist James, wie du offenbar vergessen hast. Ich höre aber auch auf Mr Cahill.“
„Dings eins passt so viel besser zu dir.“
Er warf ihr einen süffisanten Blick zu und wandte sich dann an ihre Freundin. „Hallo, Lucy“, sagte er. Er hatte sie ein paar Mal bei Veranstaltungen, die Nicky betrafen, getroffen – Gott bewahre, dass Harry jemals irgendwo allein auftauchte. „Ich gratuliere zur Hochzeit.“
„Oh, vielen Dank.“ Lucy schien überrascht, dass er davon wusste. Parker war es nicht. Harry war zwar kein hingebungsvoller Großvater, doch hatte er ein wachsames Auge auf Nickys Leben. Oder ließ seine Leute ein Auge darauf haben, wenn es zweckmäßiger war.
Während sie durch die Eingangshalle gingen, rieb Parker sich das Ohr. Etwas juckte dort. Ein Stressekzem vermutlich, ausgelöst durch ihren guten alten Dad.
Harry arbeitete so gut wie nie in seinem Büro. Soweit Parker wusste, benutzte er es nur, um seine Mitarbeiter zu beeindrucken und einzuschüchtern. Der Raum war wunderschön – Tiffanyfenster, ein todschicker Humidor, Regale voller Erstausgaben und ein Schreibtisch von der Größe eines Billardtischs. Harry saß in seinem Ledersessel, das graue Haar perfekt geschnitten, Anzug von Armani, kühler Blick. Um seinen Arm hatte sich Apollo, sein Python, geschlungen.
Was für ein Haustierchen. Apollo war vielleicht einen Meter zwanzig lang – Parker sah ihn selten an, weil sie dann immer eine Gänsehaut bekam. Nicky hingegen … für den Fall, dass es nicht cool genug war, in einer Riesenvilla zu leben, beeindruckte er seine Freunde auch gern mit dieser Schlange, deren Terrarium wohlgemerkt immer fest verschlossen war. Wer wollte schon einen Python im Haus herumkriechen haben? Wirklich nicht. Es war die Aufgabe des Gärtners, Apollo zu füttern und das Terrarium zu reinigen.
„Er sieht aus wie Dr. Evil“, raunte Lucy, während sie Parkers Hand sanft drückte. Dann ging sie zu einem Stuhl in der Nähe des Fensters und setzte sich – in der Nähe, aber doch weit genug entfernt.
„Also, Harry“, sagte Parker, und wieder fühlte sie diese Nervosität in sich aufsteigen. Sie wählte einen der drei Ledersessel vor dem Schreibtisch. Dings eins und Dings zwei stellten sich an die Seite wie Soldaten bei einer Beerdigung. „Wie läuft es so? Bist du fürs Wochenende gekommen?“
„Nein. Und es lief schon mal besser. Hat mein Enkel bald Ferien?“
„Ja. Dann fährt er mit seinem Dad und Lucy nach Kalifornien.“
Harry warf Lucy einen Blick zu. „Schön zu hören.“
„Schön zu hören“, wiederholte Dings zwei und kratzte sich den Bauch. Parker wartete darauf, dass Dings eins sich ebenfalls zu Wort meldete, doch der blieb stumm, die Arme vor der Brust verschränkt.
Harry betrachtete sein Schoßtierchen, dann küsste er den Schlangenkopf. Parker versuchte, nicht zusammenzuzucken. Aus der Schlange könnte man vielleicht ein hübsches Paar Schuhe machen. Davon abgesehen war sie einfach nur ihre Rivalin um Harrys Aufmerksamkeit. Nun, eher keine Rivalin. Apollo war ihr meilenweit voraus. Ihr Vater sah seine Lakaien an. „Gentlemen, setzen Sie sich.“
Dings eins und Dings zwei gehorchten und nahmen links und rechts von ihr Platz. Sie sah Lucy an, die ihr ein nervös solidarisches Lächeln zuwarf. Irgendetwas lag in der Luft, Parker fühlte sich, als stünde sie kurz davor, hingerichtet zu werden.
So falsch war ihr Gefühl gar nicht.
„Nun, es gibt keinen guten Weg, das jetzt zu sagen.“ Ihr Vater streichelte die Schlange.
„Keinen guten Weg“, echote Dings zwei.
Harry sah nicht auf. „Wir sind pleite. Du musst ausziehen.“
James Cahill, auch bekannt unter dem Namen Dings eins, schloss die Augen. Sicher, er war nicht gerade ein Fan von Parker Welles, aber trotzdem … Zu hören, wie gefühllos Harry ihr gesagt hatte, dass sie bankrott waren, wie … kalt. Ihre Freundin hatte leise aufgeschrien. Davon abgesehen herrschte Schweigen.
Er betrachtete Parker, die Prinzessin. Sie rührte sich einen Moment lang nicht, dann strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, das an der Spitze leicht rot zu werden schien. Das Profil ihm zugewandt, saß sie reglos da. Einen Augenblick später schlug sie die Beine übereinander. Besagte Beine waren perfekt – lang, schlank, wohlgeformt. Nicht, dass er überhaupt hinsehen sollte – sie hatte ihn schon einige Zeit zuvor ziemlich eindeutig in seine Schranken gewiesen, und außerdem erfuhr sie gerade von ihrem finanziellen Ruin. Aber Mann, diese Beine waren einfach unglaublich.
„Pleite?“, fragte sie und räusperte sich dann.
„Das ist richtig.“ Harry tätschelte die Schlange. „Du hast das Wort schon einmal gehört, vermute ich?“
James wurde klar, dass Apollo eine Art tröstendes Schmusetier für Harry war. Und dem fiel es offenbar leichter, seiner Tochter die Neuigkeiten zu überbringen, wenn er gleichzeitig etwas anderes ansehen konnte. Die Atmosphäre zwischen den beiden war immer furchtbar angespannt. James hasste es, Familienfeiern der Welles’ besuchen zu müssen, aber wenn Harry ihn einlud, blieb ihm nun einmal nichts anderes übrig. Das war das Mindeste, was er machen konnte, bei allem, was Harry für getan hatte. Angenehm war es deswegen aber noch lange nicht.
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