Ein Jahr auf Probe - Lise Gast - E-Book

Ein Jahr auf Probe E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Barbara ist ein elternloses Heimkind. Als sie von der Familie Baumhauer aufgenommen wird, freut sich Barbara und hat gleichzeitig Angst, dass sie der Familie nicht gerecht wird. Denn ihre Vergangenheit holt Barbara immer wieder ein und so wird das Leben mit den Baumhauers zu einer Herausforderung. Doch auch die Familie Baumhauer ist herausgefordert und schafft es mit der Hilfe von Barbara alte Lebensgewohnheiten überdenken... Der zweite Teil dieses Buches berichtet vom fröhlichen Leben der siebzehnjährigen Tina, die auf Grund von unvorhersehbaren Ereignissen in Probleme gerät, die sie zu Glück lösen kann... - zwei tiefergreifende Alltagsgeschichten. Lesenswert!-

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Lise Gast

Ein Jahr auf Probe

Zwei Romane für junge Mädchen

Saga

Ein Jahr auf Probe

German

© 1969 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711509234

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Ein bißchen mehr Liebe, einbißchen mehr Zeit für den anderenMenschen, wie vieles wäre dabesser im Leben

Mutter merkte sofort, wie wenig begeistert Christian war, als sie mit ihrem kleinen Auto vor seiner Schule hielt. Ausgerechnet jetzt in der großen Pause, da alle sich auf Fußweg und Fahrstraße die Beine vertraten! Gegenüber dem alten, grauen, um die Jahrhundertwende gebauten Gebäude befand sich der Lebensmittelladen, in dem die Schüler Wecken und Brezeln, Kakao und Milch kauften. Und in dieses Gewühl hinein fuhr sie also, höchst überflüssigerweise, wie Christian sicher fand.

Man sah ihm an, daß er erwog, einfach im Rudel der andern unterzutauchen. Dann aber gab er sich doch einen Stoß und schlenderte zu ihr herüber. Gut, gut, so brauche ich nicht auszusteigen, dachte Mutter, rückte auf den rechten Platz hinüber und drehte die Scheibe herunter. Er war auf dem Fußweg neben dem Wagen stehengeblieben und bückte sich.

„Ja?“ fragte er.

„Kannst du eine Minute einsteigen?“

Er zog die Luft durch die Nase und schob die Augenbrauen hoch, dann aber klappte er seine schmale Länge von einsfünfundachtzig zusammen und kroch in den Wagen. Mutters Hände lagen auf dem Steuerrad. Sie sah den Sohn nicht an, der sich rechts neben sie geklemmt hatte.

„Wann hast du aus?“ fragte sie. Es klang knapp und etwas atemlos.

„Halb eins.“

„Hör mal –“ Mutter fühlte, daß sie die Hürde genommen hatte.

Ihr Gesicht, klar, herb, jünglinghaft mit dem kurzen Haar, wirkte im Profil jetzt fast vergnügt. Sie war wie immer tadellos angezogen, von der Kostümjacke bis zum Wildlederschuh alles richtig, nichts übertrieben. Christian legte Wert darauf, sie wußte es.

„Du mußt jemanden abholen, Christian“, sagte sie, „bitte, tu es, ich laß dir den Wagen hier. Eine – ein junges Mädchen, sechzehn Jahre. Vom Bahnhof. Der Zug kommt um dreizehn Uhr eins.“

„Wer ist es denn?“ fragte Christian.

„Eine Kusine von euch. Eine sehr entfernte. Ich erklär’ es dir später. Waisenkind. Ich selbst kann um eins nicht weg. Deshalb ... und sie freut sich sicherlich mehr, wenn du sie abholst. Gelt, du tust es?“ fragte sie dringlich und sah ihn nun an.

Christian erwiderte ihren Blick und nickte. „Schön. Mach’ ich. Wenn ich sie erkenne ...“

„Das wirst du wohl. Bestimmt steht sie da und sieht sich um – und dann gehst du einfach hin und sagst, wer du bist. Genauso müßte ich es auch machen.“

„Und?“ fragte Christian. „Ich meine: Wieso kommt sie?“

„Ach, sie ist – sie heißt Barbara, wird angeblich Babs genannt. Oder Bäbs, ich weiß nicht. Schön finde ich ja solche Abkürzungen nicht, aber es scheint heutzutage Mode zu sein. Dich nennen sie wohl Chris in der Schule, und Tine heißt ja auch bei uns Tine, kein Mensch spricht den ganzen Namen aus.“

„Warum gebt ihr uns auch so lange? Christian und Christine, oder Michaela – oder was weiß ich. Warum nicht Hans und Grete, schlicht und einfach?“

„Ihr würdet euch schön bedanken!“

„Kommt sie zu Besuch?“ fragte Christian nach einer Weile.

„Babs? Ja – oder nein. Sie kommt – ich hab’ gedacht, wir nehmen sie zu uns. Ach nein, natürlich nicht für immer, aber für die letzten Schuljahre vielleicht. Das ist sowieso nicht mehr lange. Erst mal ein Jahr auf Probe.“ Mutter bewegte nervös die Hände am Steuer. „Tine ist so viel allein. Für sie ist es bestimmt gut.“

„Tine allein – das ist das Neueste!“ Christian lachte ein bißchen durch die Nase, aber keineswegs höhnisch, eher leicht amüsiert. So hatte sein Vater gelacht, wenn ihn etwas belustigte. „Tine, die dauernd jemanden mitbringt, Jungen und Mädchen. Tine allein!“

„Immerhin, sie ist die Jüngste, drei Jahre nach dir. Und sie hat nie eine Schwester gehabt, das ist auch nicht leicht. Ich weiß ja selbst, aber ja selbst, aber – also kurz und gut, ich habe beschlossen, daß wir sie nehmen. Jörg und Henrich wissen übrigens noch nichts, ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Deshalb ... Christian, du hast eigentlich immer verstanden, was ich wollte. Deshalb bitte ich dich, sie abzuholen. Du wirst es schon richtig machen. Vater hätte es auch gekonnt.“

Sie schwieg. Es war nicht nötig, noch mehr zu sagen. Dieser Sohn hatte von jeher eine Art gehabt, ihre ernsthaften Entschlüsse zu respektieren, die sich angenehm abhob von der der andern Kinder. Henrich hätte wahrscheinlich jetzt weitergefragt, und Tine, ohne zu fragen, gebockt ... Christian tat weder das eine noch das andere.

„Schön“, sagte er.

Mutter atmete unmerklich auf. Sie zog den Zündschlüssel ab und reicht ihn hinüber. „Also. Hier hast du ihn. Mach’s gut. Du wirst sie schon erkennen. Ich komme um zwei. Zeig ihr vorher die Stadt, oder geht Eis essen oder sonstwas, aber seid pünktlich. Wir essen dann sofort, ich muß ja wieder weg. Aber die erste Mahlzeit soll gemütlich sein, verstehst du?“

„Klar.“

„Also bis dann.“

Sie stieg aus nach links, er nach rechts. Seine Klasse stand geballt am Vorgarteneck und starrte herüber. Mutter fühlte genau, wie ihm zumute war, nickte ihm nicht mehr zu, sondern ging eilig über die Straße, bog um die Ecke und war verschwunden. Christian schlenderte, den Zündschlüssel am Kettchen um den Zeigefinger wirbelnd, auf die anderen zu.

„Na, Alter? Knies mit dem Muttertier?“ fragte Grönwald, der vorn stand. Christian zog eine Grimasse. „Nicht grade. Gibt’s eigentlich selten bei uns. Na ja, überall andere Sitten! Ich soll nur wen abholen, deshalb.“

„Eine junge Schönheit vermutlich?“ bellte sein Banknachbar.

Christian gab ihm einen Stoß. „Denkste. Alten Apotheker. So, nun wißt ihr’s.“ Er schob sich durch die Meute der Schultreppe zu.

Christian erkannte den „alten Apotheker“ sofort. Er war nicht auf den Bahnsteig gegangen, sondern hatte sich an die Sperre gestellt. Es war, als könnte es auf der ganzen Welt kein anderes Mädchen geben, das Barbara hieß, Babs genannt wurde und so aussah. Klein, eher rund, aber so beweglich, daß man jede diesbezügliche Kritik – „Schlanksein ist alles“, sagte Tine immer – sofort vergaß. Dunkles Haar, kurz, fransig, dunkle Augen, von denen das eine sich bei Erregung ein ganz klein wenig schräg stellte, dunkle Wimpern, so lang, daß man die Richtung des Blickes daran ablesen konnte. Das Auffallendste war der Mund: breit, mit trotzig aufgeworfenen Lippen, nicht eigentlich schön, aber unverwechselbar. Wer dieses Mädchengesicht einmal aufmerksam angesehen hatte, vergaß es nicht wieder, ob es ihm nun gefiel oder nicht.

„Holst du mich ab? Das finde ich klasse“, sagte Barbara und stellte zwei schwere Taschen vor ihm ab, eine rechts und eine links, um ihm die Hand geben zu können. „Ein Koffer ist außerdem noch da, wollen wir ihn gleich jetzt holen oder später? Ich kann das aber auch allein.“

„Gleich jetzt. Ich hab’ den Wagen da.“

Er hatte unwillkürlich die Taschen aufgehoben, an den Griff der rechten gesellte sich sogleich zutraulich-kameradschaftlich Barbaras Linke.

„Bringen wir also erst die raus. Man glaubt nicht, daß man soviel Zeug hat“, schwatzte sie munter. „Du bist Christian, der Jüngste, ja? Wie lang sind dann die beiden anderen?“

„Nicht länger. Oder doch kaum“, sagte Christian und hielt vor dem Gepäckschalter an. „Übrigens sind sie nicht zu Hause. Du mußt mit mir vorliebnehmen. Und mit Tine.“

„Und mit deiner Mutter. Ich weiß.“ Barbara wandte keinen ihrer unbeirrbaren Blicke von ihm. „Seid ihr sehr entsetzt? Es ist ja nur zur Probe.“

„Wieso?“ fragte Christian verstört.

Sie sah ihn weiter an. „Ich war schon ein paarmal zur Probe. Einmal bei einem alten Ehepaar und einmal bei einem jungen. Bei beiden war es eine Katastrophe. Ich wollte auch nicht. Aber jetzt, als deine Mutter anrief – und wir sind ja doch verwandt.“

„Hm. Ich weiß nicht. Das spräche wohl eher dagegen.“ Christian sagte das etwas unkontrolliert. Barbara hatte eine Art, ziemlich Unaussprechliches auszusprechen, die ihn irritierte. Er hatte sich vorgenommen, sie einfach als Gast zu behandeln, unverbindlich-freundlich, und sich selbst möglichst herauszuhalten. „Dein Gast sei dein Gott“, sagte Mutter, wenn sie sich manchmal über Besuch ärgerte. Barbara aber schien sich nicht als Gast fühlen zu wollen.

„Na ja. Aber nahe Verwandtschaft ist es ja nicht“, sagte sie und stieg zu ihm ein, nachdem das Gepäck verstaut war. „Ist jemand zu Hause, wenn wir kommen?“

„Mutter nicht. Tine vielleicht, ich weiß nicht, wann sie aus hat“, sagte Christian. Sie fuhren. Er kannte die kleine Stadt genau und ließ den Wagen routiniert um die Ecken gleiten. Dann besann er sich darauf, Barbara, wie jeden neuen Besuch, auf sein Zuhause vorzubereiten.

„Ja also, erwarte keine moderne Villa, ‚Schöner wohnen’ oder so. Ich möchte es später mal nicht so haben. Wie wir, meine ich. Zu entschuldigen ist es ja eigentlich nur damit, daß Mutter uns vier Gören ohne Mann aufziehen und deshalb nehmen mußte, was sich bot, was gerade billig genug war, daß sie es ohne allzu große Schulden kaufen konnte. Man kann natürlich die Marke ‚Originell‘ draufkleben. Bequem ist es, weil es mitten in der Stadt liegt, Post nebenan und Kaufhaus gegenüber, und zu Mutters Saftladen, entschuldige, Apotheke, geht man nur zwei Minuten zu Fuß. Aber kein Garten und nichts. Nun, wir gehen ja alle über kurz oder lang aus dem Haus und brauchen keinen Sandkasten mehr zum Buddeln, und Mutter ist natürlich froh, wenn sie früh und abends nicht je zwei Stunden Autoschlange fahren muß. Vier verlorene Stunden am Tag – kann ich verstehen. Da sind wir übrigens. Grüß Gott, tritt ein.“

Barbara war ausgestiegen und stand vor dem kleinen Haus. Sie wirkte sehr winzig jetzt, ein bißchen putzig – und irgendwie traurig, wie er zu seinem Erstaunen fand. Traurig, warum? Ihre Augen glitten flink hinauf und hinab, und er sah jetzt auch, daß auf ihren Wangen Grübchen erscheinen konnten, wenn sie lachte.

„Das ist euer Haus? Das ist doch goldig!“

„Findest du?“

Er sah neben ihr an der Fassade hinauf. Mutters Haus war wirklich anders als andere. So schmal, daß man es beinah mit ausgebreiteten Armen abmessen konnte, stand es mit der Giebelseite zur Straße, besaß aber drei Stockwerke. Vorn führte eine kleine Treppe zur Haustür hinauf, daneben blinkte das einzige Fenster der Küche vor blaugewürfelten Vorhängen. Darunter hatten die Brüder aus Trotz gegenüber der Stadt und als einzigen Schmuck einen Rosenstrauch gepflanzt, hier, mitten im Pflaster. Es war nicht leicht gewesen, dazu eine Steinplatte herauszuheben und die nötige Erde einzufüllen, damit der Strauch auch wuchs, aber er tat es und rankte sich empor, von vorsorglich angebrachten Haken gehalten, schon bis zur Höhe des Küchenfensters. Er verlieh dem Haus etwas Freundliches, Liebliches, ein wenig Wehmütiges – denn sonst war die Straße eine recht nüchterne, ganz und gar nicht hübsche Kleinstadtstraße.

„Du findest es goldig?“ fragte Christian. Es klang ein wenig unsicher. Barbara nickte stürmisch. „Ja. Entzükkend. Auf die Idee zu kommen – mir wäre das nie eingefallen! Ich meine: hier Rosen zu pflanzen!“

„Es war so kahl, weißt du. Früher wohnten wir draußen, ganz früher, als Vater noch lebte. Aber für Mutter ist es hier viel praktischer, schon wegen dem Nachtdienst. Da braucht sie nicht in der Apotheke zu schlafen, sondern kann zu Hause sein, und die Leute läuten hier. Sie muß zwar dann hinüber, aber es ist das kleinere Übel. Und auch für uns ist es bequem. Später, wenn ich ein eigenes Haus habe, dann kommt das natürlich in eine schöne Wohngegend und mitten in einen großen Garten.“

„Bist du darauf gekommen, hier Rosen zu pflanzen?“ fragte Barbara und sah zu ihm auf. Er war über einen Kopf größer als sie, sie merkten es in diesem Augenblick beide. Er nickte etwas verlegen, denn er merkte, was in dieser Frage lag, nahm das Gepäck auf und stieg die Stufen empor. Und gleich darauf vergaßen sie alles andere über der Katastrophe, die ihrer harrte: Im Flur, der so schmal war wie die Haustür, tropfte es von der Decke.

Christian warf das Gepäck in die Küche. „Das war Tine – Himmel, das dritte Mal, seit wir hier wohnen. Aller guten Dinge sind drei. Kann sie denn nicht ...“

Er griff nach Eimer und Kehrschaufel und rannte die Treppe hinauf. Barbara folgte ihm. Das Badezimmer schwamm, von der überlaufenden Wanne gespeist. Christian drehte den Hahn ab und begann mit der Kehrschaufel Wasser in den Eimer zu schöpfen, Barbara, sofort im Bilde, hatte irgendeine flache Kuchenform erwischt und schöpfte damit. Sie standen bis an die Knöchel im Wasser. „Tine hat die Angewohnheit, nicht zu duschen, sondern in die kalte Wanne zu steigen, wenn es sehr heiß ist“, erklärte Christian atemlos. „Jedenfalls manchmal. Da steht sie auf, dreht das Wasser an und tut dann irgend etwas anderes. Und dann vergißt sie das Bad, zieht sich an und geht aus dem Haus. Es ist das dritte Mal!“

„Lange kann das aber noch nicht ...“

„Vielleicht hatte sie heute erst später Schule. Ein Glück! Sonst müßten wir neu tapezieren und alles frisch richten. Oder der Schwamm käme ins Haus, oder der Fußboden sackte durch.“

„Ist ja nicht passiert.“ Barbara lachte und wischte sich mit dem Unterarm die Haare aus dem Gesicht. „Schimpf nicht. Bis sie kommt, ist alles in Ordnung.“

„Dann macht sie es morgen genauso“, knurrte Christian. „Sie müßte wischen.“ Seine Erbitterung auf die Schwester war jedoch mehr gespielt. Es machte Spaß, mit diesem flinken und unverdrossenen Menschenkind zusammen zu arbeiten, rasch, zweckmäßig, unter lustigem Gerede. Schon verliefen sich die Fluten. Barbara kniete bereits auf dem noch feuchten Boden und wischte die Ecken aus.

„So, fertig“, sagte sie befriedigt und hängte den ausgewrungenen Lappen auf. „Nun kann deine Mutter kommen, ohne daß sie vor Schreck hintenüber fällt. Die Wasserflecken an der Decke im Flur kriegen wir freilich nicht weg.“ – „Wennschon“, sagte Christian. Er hatte die Zeitung aus dem Briefkastenschlitz gezogen und machte es sich im Wohnzimmer gemütlich. Für ihn war das Lesen des „Blättles“ die schönste Viertelstunde am Tage. Und die hatte er nun verdient, meinte er. Gleich darauf hörte er Mutters raschen Schritt durch den Flur kommen.

Nein, zu Tine kann man sie nicht stecken, hatte Mutter gedacht, als sie beschloß, Barbara ins Haus zu nehmen. Da würde Tine sauer reagieren und sofort gegen sie eingenommen sein. Tines Zimmer mußte man respektieren.

Die drei Brüder besaßen natürlich nicht jeder ein Zimmer, das gab dieses kleine Haus nicht her. Im größten Raum des Obergeschosses hatte man daher ein Etagenbett aufgestellt und unterm Fenster eine Couch, so konnten sie, wenn alle drei zu Hause waren, zusammen dort schlafen. War Christian allein da, so schlief er meist im oberen Stock des Doppelbettes, weil das am bequemsten in Ordnung zu halten war. Bei einer berufstätigen Mutter und vier Kindern mußte jeder sein Bett selbst machen.

Tine wohnte daneben. Sie hatte sich ihr Zimmer hübsch zurechtgemacht mit angepinnten Bildern an den Wänden und ein paar Blattpflanzen, und ihre Couch war verhältnismäßig neu, da sie früher die allerälteste des Hauses gehabt hatte, die zuerst erneuert werden mußte. Bei ihr wäre schon Platz für einen zweiten Menschen gewesen, oft hatten Freundinnen bei ihr übernachtet. Mutter aber hatte für Barbara ein Zimmer im obersten Stock leer gemacht.

Dieser Raum hatte schräge Wände und war winzig, und früher hatte man alles hineingeworfen und abgestellt, was einem im Wege war: einen dreibeinigen Stuhl aus der Küche, die Skier, leere Gurkentöpfe, die Eisenbahn der Jungen, alle Kartons, die Advents- und Weihnachtszeug enthielten, Jörgs Quetschkommode und die Federballschläger. Mutter hatte diese Köstlichkeiten nicht sortieren können, sondern vorläufig im Flur aufgehäuft – vieles davon konnte weggeworfen werden. In einem raschen Entschluß hatte sie ein Klappbett gekauft, das an die einzige gerade Wand kam, die der Giebelseite mit dem Fenster gegenüberlag. Da ging es gerade hin, ohne die Tür zu blockieren; es handelte sich um Millimeter, wie Mutter stolz erklärte. Einen Schrank konnte man natürlich nicht unterbringen, da ja nun die einzige Stellwand wegfiel.

„Da kommt einfach eine Stange an die Wand und daran ein Vorhang“, sagte Christian mit wichtig gekräuselter Stirn. „Die Stange will ich gern befestigen. Versteht ihr, wie ich es meine? Dahinter kann man dann allerhand unterbringen, die Klamotten auf Bügeln an eine zweite Stange und unten die Schuhe. Außerdem wirkt das Ganze als gerade Wand. Auf der anderen Seite – na, mir wird schon was einfallen.“

Er zog einen Zollstock aus der Tasche seiner Jeans und ging Zahlen murmelnd umher.

„Einen Tisch mußt du auch bekommen“, sagte Mutter. „Am besten stellen wir ihn unters Fenster, da hast du Licht. Und den netten Bauernstuhl aus der Küche sollst du haben, den mit dem Herz am Griffloch. Ja, ich spendiere ihn dir, es ist unser hübschester, aber anders als die andern, die sich untereinander gleichen. Wir haben sie alle gekauft, nach und nach. Was brauchst du noch?“

„Nichts.“ Barbara zeigte ihr breites Lächeln, das die Grübchen erscheinen ließ. Tine sah sie von der Seite an. Nichts – als ob sie das ernst meinen könnte!

Mutter merkte, wie Tine nur darauf wartete, irgend etwas an Barbara zu entdecken, worüber sie sich ärgern könnte. Sie lauerte förmlich darauf, sich zu ärgern. Weil Christian tat, als habe er Barbara erfunden oder doch zum mindesten in die Familie eingeschleppt? Christian sollte sich nur nicht aufspielen.

Daß die beiden die Überschwemmung beseitigt hatten, die auf ihre, Tines, Nachlässigkeit zurückzuführen war, konnte man nicht als Heldentat ansehen. Barbara schien das auch fernzuliegen. Sie tat, als wäre es wirklich nicht der Rede wert. Und das wiederum schien Tine zu erbittern. Sie versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. Man durfte die „Neue“ um Himmels willen nicht zu wichtig nehmen, meinte sie wahrscheinlich. Also gab sie sich so freundlich wie möglich und schleppte das Gepäck mit herauf, fragte, ob Barbara noch etwas brauche, und verzog sich dann, obwohl sie das Gefühl hatte, es wäre nicht ganz klug, jetzt von der Szene abzutreten. Aber sie wußte nicht, was tun, und herumstehen wollte sie nicht. Bald darauf hörte sie auch die andern herunterkommen. Die Treppe war steil und dunkel, Christian brummte etwas, und Barbara lachte. Sie hatte eine Art zu lachen, wie Tine sie einmal in einem Film gehört hatte: dunkel und weich, hinten in der Kehle. Tine horchte. Dann setzte sie sich an ihren Tisch und stemmte die Fäuste in die Backen.

Tine war hübsch, zur Zeit sehr schlank, beinah mager, da sie gewachsen war. Das Haar, dunkelblond und von Natur gelockt, trug sie kurz, es krümmte und rollte sich, so daß es eigentlich bei jeder Frisur saß. Ihr Gesicht war klar gezeichnet wie das der Mutter, mit feiner Nase und ein wenig hohen Backenknochen. Sie wurde nicht leicht braun, hatte eine etwas zarte, aber gesunde Hautfarbe, etwa das, was man in der Troddel- und Plüschzeit wahrscheinlich als „reinen Teint“ bezeichnet hätte. Sie selbst fand es scheußlich, daß sie nicht ordentlich braun wurde, und ärgerte sich über jeden, der sonnenverbrannt war, sobald er im Frühjahr eine einzige Radtour oder einen Tennisnachmittag hinter sich gebracht hatte.

Keine Sechzehnjährige ist wohl mit ihrem Aussehen zufrieden. Aber im Grunde findet wohl auch jede, gegen die oder jene sei sie doch noch ganz ansehnlich, wenn man sie recht betrachtet. Genauso erging es Tine.

Gleich würde Mutter rufen, sie sollte kommen, der Abwasch stünde noch da. Tine horchte.

Aber es rief niemand. Als sie später von selbst hinunterging, war die Küche aufgeräumt und alles weggestellt. Aus dem Wohnzimmer erklangen Stimmen. Sie ging hinein.

„Ich muß fort“, sagte Mutter gerade. Sie saß auf der Couch und trank ihre Tasse aus. „Kannst du Barbara ins Schlepptau nehmen, Tine, und ihr was von der Stadt zeigen? Oder hast du heute nachmittag Schule?“

„Ich wollte schwimmen geh’n“, sagte Tine sogleich. Sie hatte es nicht vorgehabt, aber es war bei der Hitze naheliegend. Mutter fuhr in ihre Kostümjacke.

„Dann nimm sie doch mit ...“

„Wenn ich darf, geh’ ich ein bißchen allein durch die Stadt“, sagte Barbara und hob die Kaffeekanne. „Trinkst du noch, Christian? Und du, Tine, willst sicher auch einen Schluck.“

„Danke, nein.“ Es klang beinah aggressiv. Mutter hörte es und drehte sich noch einmal um.

„Schön, Babs, wenn du also allein Bekanntschaft mit unserer Metropole schließen willst ... oder gehst du mit ihr, Christian?“

„Na gut.“

Jetzt fand es Tine an der Zeit, einzulenken.

„Wir können ja alle drei gehen. Soll ich gleich was besorgen?“

„Großartig. Ich hab’ einiges notiert. Hier hast du Geld.“ Mutter fischte einen Zwanzigmarkschein aus der Geldtasche und gab ihn Tine. „Und geht auch Eis essen. Das gehört zum Einstand. Bis abends! Tschüs!“ Die Tür klappte zu.

„Na also. Dann können wir ja“, sagte Christian heiter. „Eigentlich hätte sie mir auch den Wagen – Moment, ich hab’ ja noch den Schlüssel!“ Er spurtete hinter Mutter her und erreichte sie gerade, als sie an den Wagen trat. „Hier!“

„Danke. Ach nein, ich geh’ zu Fuß. Wollt ihr den Wagen?“

Christian grinste breit, als er den beiden Mädchen entgegenging und das kleine Schlüsselbund in Augenhöhe klingeln ließ. „Was sagt ihr dazu? Wir dürfen.“

Da entschloß sich auch Tine, den Tag nicht ganz verloren zu finden.

Zuerst fuhren sie um den Markt, wo die vielen hübschen Fachwerkhäuser standen, an der Kirche vorbei.

„Hier haben wir den Messias gesungen“, erzählte Christian. „Wir haben einen Pfundslehrer in Musik. Unser Chor ist einmalig, sag’ ich dir.“

Dann ging es ein Stück hinaus.

„Zum Gütle?“ fragte Tine. Christian nickte.

Mutter hatte am Fuß der sanft ansteigenden Talhänge ein Stück Land erworben, sie hatten es eingezäunt, und im letzten Sommer, als einmal alle drei Brüder zu Hause waren, bauten sie ein kleines Blockhaus darauf. Es war eine Laube, so klein, daß kein Bauamt etwas dagegen sagen konnte, aber groß genug, um darin einiges aufzubewahren. Jedenfalls alles, was man brauchte, um es sich außerhalb der Stadt gemütlich zu machen: einen Tisch, der vor die Giebelseite des Häuschens mit dem vorgezogenen Dach kam, eine Eckbank dazu, eine süße kleine Petroleumlampe, bäuerliches Eß- und Trinkgeschirr. Hier hatte man manche Party gegeben und bis früh getanzt. Zuweilen wollte einer der Jungen einmal ganz ungestört arbeiten und nistete sich für ein paar Tage hier ein.

Jetzt fischte Christian den Schlüssel aus einem Loch neben der Eingangstür und öffnete.

Barbara fand das Häuschen entzückend. Sie krochen auf den kleinen Spitzboden und inspizierten dann die Sauerkirschen, die an der Hangseite des Hauses wuchsen. Reif waren sie noch nicht, aber gut schmeckten sie schon. Ein paar Monatserdbeeren fanden sich auch am Rande der ziemlich verunkrauteten Beete. Dann aber drang Tine darauf, endlich ins Freibad zu fahren. Bei ihr führte im Sommer fast jeder Weg schließlich ins Bad.

Das lag draußen vor der Stadt und war eine neue, vorbildlich schöne Anlage mit Liegewiese, großen Bäumen, Tischtennisplatte und hohem Sprungbrett. Heute war es verständlicherweise sehr voll. Sie schwammen ein bißchen, da das aber mehr ein Kriechen über Menschenleiber bedeutete, legten sie sich lieber nebeneinander ins Gras, schwatzten und dösten.

Gegen fünf passierte der Unfall. Die beiden Mädchen waren grade am Einschlafen gewesen, sie lagen auf dem Bauch und fühlten die Sonne wie einen Scheinwerfer auf dem Rücken. Christian hatte sich zufällig aufgesetzt und sah zum Sprungturm hinüber. Einer aus seiner Schule, aus der Oberprima, sprang vom hohen Brett, und unten war jemand dazwischengeschwommen. Es gab einen häßlichen Laut, als die Körper aufeinanderprallten. Christian war sofort zur Stelle und stand neben dem Bademeister, der zunächst nur scheltend gestikulierte. Der Oberschüler war aufgetaucht, prustete und machte Zeichen, ging wieder unter. Christian setzte ihm mit einem flachen Hechtsprung nach, erwischte ihn auch gleich und zog ihn an den Rand. Der andere – oder die andere Beteiligte, keiner wußte, wen es getroffen hatte – blieb vorläufig unsichtbar.

Jetzt schien sich auch der Bademeister der Situation zu stellen. Er ließ die Trillerpfeife schrillen und das Becken räumen; das ging nicht besonders schnell, da manche gar nicht mitbekommen hatten, was los war, andere sich dumm stellten und nicht sogleich gehorchten. Schließlich war das Bad leer, und der Bademeister sprang und tauchte – ohne Erfolg.

Christian hatte sich erst um seinen Schulkameraden bemüht, der, wenn auch mühsam, selbst herausgekommen war, nun aber wandte er sich den andern zu.

Es gab etliche unter den Jungen, die das Rettungsabzeichen besaßen, und sie drängten natürlich, hier einzugreifen. Der Bademeister kannte die meisten beim Namen, mindestens beim Vornamen, und rief sie nacheinander auf. Sie tauchten, kamen wieder herauf, der nächste tauchte. Schließlich gelang es einem wirklich, den leblosen Körper heraufzuholen – es war ein Kind, zwölf Jahre alt vielleicht, ein Mädchen. Das Wasser lief ihm aus Mund und Nase und aus den Haaren, die um den Hals klatschten. Man legte es auf eine Pritsche und begann ziemlich verstört und unsystematisch mit den Wiederbelebungsversuchen. Der Bademeister schrie und schalt, drängte die Neugierigen weg und befahl, das Kind anders zu legen, jeder wußte es besser, es war ein rechtes Durcheinander, und Tine und Barbara fühlten ihre Herzen hart und angstvoll im Hals schlagen, während ihnen die Münder austrockneten beim raschen Atemholen.

Und dann war auf einmal der Arzt da. Tine kannte ihn, es war ihr Hausarzt: nicht mehr jung, mit einem profilierten Gesicht, ruhig, ohne pomadig zu wirken. Vor ihm ging der Schwarm der Sensationshungrigen wie von selbst auseinander. Er packte seine kleine Tasche aus, untersuchte kurz und gab eine Spritze. Das Mädchen rührte sich, erbrach Wasser, wimmerte und wurde dann wieder ruhig. Man sah, wie es atmete.

„Kommt, wir gehen, hier sind wir entbehrlich“, sagte Christian und stieß Tine mit dem Ellenbogen an. Barbara war schon ein Stück voraus.

Als sie ins Auto stiegen und den nassen Fahrersitz sahen, wurde den beiden Mädchen erst klar, wer hier gehandelt hatte.

„Du hast den Arzt geholt?“ staunte Tine.

Christian nickte. „Der Bademeister hat mich geschickt. Daß ich nicht von selbst drauf kam – so blöd ist man manchmal! Dann aber bin ich hundertdreißig gefahren, jedenfalls auf der Geraden, ich zeige euch, wo“, berichtete er und war nun doch stolz. „Dort kommt übrigens einer von der Zeitung, schon hat sich’s herumgesprochen. Habt ihr ihn gesehen? Ich kenne seinen Wagen.“

Er mußte richtig gesehen haben, denn es stand am nächsten Tag wirklich im „Blättle“, nicht ganz so, wie es sich zugetragen hatte, sondern leicht ausgeschmückt. Christian wurde namentlich erwähnt – „der Oberschüler Christian B. holte in erstaunlich kurzer Zeit den Arzt, der rettend einzugreifen imstande war ...“

„Puh!“ machte Christian und legte die Zeitung weg. Barbara lachte und schnitt den Artikel aus.

„So was muß man aufheben, das gehört sich so“, sagte sie. „Mag es geschrieben sein, wie es will, du stehst jetzt im Lichte der Öffentlichkeit, und ich bin stolz, ein bißchen dazuzugehören.“

Als sie das gesagt hatte, schaute sie plötzlich so erschreckt aus, daß alle es bemerkten. Ihr Gesicht zog sich gleichsam zusammen und wurde kleiner – Tine sah rasch weg. Die Stille, die auf Barbaras lustig gemeinte Worte folgte, wirkte peinlich. Endlich sagte Mutter – aber es klang lahm, Mutter war noch nie schlagfertig gewesen, wenigstens nie in Worten –: „Nicht wahr? Wir sind alle stolz.“

„Dabei mußte ich auch erst einen Schubs bekommen, so durcheinander waren wir alle“, sagte Christian.

Mutter lachte ihn an. „Schubs oder nicht, du hast den Arzt eben geholt. Kinder, bin ich froh und dankbar, daß die Geschichte so ausging!“

Das waren sie alle und das ganze Städtchen dazu. Das kleine Mädchen erholte sich rasch, und auch bei dem Springer konnte der Arzt nur eine leichte Gehirnerschütterung feststellen, die allerdings ausgelegen werden mußte.

„Dadurch kommt der Kerl um eine scheußliche Mathe-Arbeit“, brummte Christian neiderfüllt, „Glück muß der Mensch haben.“

„Deshalb spring bitte nicht nächstens unschuldigen Kindern auf die Köpfe!“ mahnte Mutter.

Christian winkte ab. „Unschuldig? Wer schwamm denn wem in den Weg? Nein, Mutter, da muß ich meinen Schulkameraden verteidigen!“

„Ja, haltet nur zusammen, ihr Männer!“ sagte Mutter und war trotzdem stolz auf ihren Jüngsten. Unmerklich strich sie über das Armband, das sie am linken Handgelenk trug, ein Schmuckstück aus Silberfiligran, ausländische, ein wenig seltsame Arbeit. Vater hatte es ihr von seiner letzten Reise mitgebracht, und sie liebte es sehr. Immer, wenn einer der Jungen sie in seiner kratzbürstigrührenden Art an Vater erinnerte, sah sie dieses Armband an oder streichelte es.

Es war sehr früh am Tage, so früh, daß man noch Licht brauchte. Barbara hatte sich die Lampe herübergezogen, damit ihr Tisch von oben beleuchtet war, und saß eifrig schreibend da. Das Haus war still, so still, daß man das Auf und Ab des Stiftes hörte. Barbara schrieb groß, rund und leserlich, sie hielt den Kopf ein wenig schief, während sie die Buchstaben malte, flink und genußvoll.

„Meine liebe Jorinde, als ich hierher kam, dachte ich, ich könnte Dich jetzt in den Papierkorb werfen und darüber, statt eines Grabsteins aus Marmor, ein Plakat anbringen: ‚Hier ruht für immer und ewig meine geduldige und freundliche, immer zum Zuhören bereite und nie widersprechende Freundin Jorinde Gibtesnicht oder auch Jorinde Gabesmal: Über Deinen Nachnamen habe ich mir nie Gedanken gemacht. Jetzt aber weiß ich längst, daß es Dich doch noch geben muß. Jeder Mensch braucht eine Freundin, und wenn man weder in der Schule noch im Haus eine hat, so erfindet man sie.

Ich bin jetzt ungefähr ein Vierteljahr hier, und es ist noch nichts passiert. Das heißt: Passieren tut hier immerzu etwas, aber das ist nur hübsch und lustig. Ich meine, es ist noch nichts passiert, was mir das Genick brechen könnte. Toi-toi-toi.

Da wir gerade von Toi-toi-toi sprechen – überall hört man: ‚Abergläubisch bist du? Wie kann man nur!‘ Und dann klopfen die klugen Erwachsenen, die so reden, dreimal unter den Tisch oder fassen Holz an oder sagen, siehe oben: Toi-toi-toi. Ich, liebe Jorinde, muß Dir leider gestehen, daß ich abergläubisch bin, sehr sogar, daß sich Dir die Haare sträuben würden, wenn Du welche hättest. (In meiner Vorstellung hast Du welche, und zwar rote. Warum soll bei Dir alles so sein, wie man es sich wünscht? Ich möchte eine Freundin haben, die weiß, wie es ist, wenn man anders