Ein schottischer Buchladen zum Verlieben - Emma Bishop - E-Book
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Ein schottischer Buchladen zum Verlieben E-Book

Emma Bishop

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Beschreibung

Kleinstadtidyll in Schottland und das Glück der großen Liebe – der erste Band der Isle-of-Mull-Reihe Auf der zauberhaften Isle of Mull ist die Welt noch in Ordnung: Hier findet man wilde, unberührte Natur, schroffe Klippen, blühende Heiden und freilaufende Tiere. Und in Tobermory leuchten die Häuser in allen Farben des Regenbogens – kein Wunder also, dass es für Allison, Hailey und Lin keinen schöneren Ort gibt. Hier, wo die schottische See den Rhythmus der Herzen bestimmt, betreibt jede der drei Freundinnen einen eigenen Laden. Als eines Tages der gutaussehende Jamie Pearson auf der Insel auftaucht, ist die Aufregung groß! Der alleinerziehende Vater ist in seine Heimat zurückgekehrt, um die Farm seiner Eltern zu übernehmen. Prompt verirrt er sich in Allisons Buchladen und in ihr Herz. Doch was hat Jamie zu verbergen? Haben Allys Freundinnen recht, sie vor ihm zu warnen? Die Magie von Freundschaft und gefühlvoller Romantik auf der malerischen Isle of Mull – Sehnsuchtsort für alle mit Fernweh!

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Seitenzahl: 552

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Emma Bishop

Ein schottischer Buchladen zum Verlieben

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Auf der zauberhaften Isle of Mull ist die Welt noch in Ordnung: Hier findet man wilde, unberührte Natur, schroffe Klippen, blühende Heiden und freilaufende Tiere. Und in Tobermory leuchten die Häuser in allen Farben des Regenbogens – kein Wunder also, dass es für Allison, Hailey und Lin keinen schöneren Ort gibt. Hier, wo die schottische See den Rhythmus der Herzen bestimmt, betreibt jede der drei Freundinnen einen eigenen Laden.

Als eines Tages der gutaussehende Jamie Pearson auf der Insel auftaucht, ist die Aufregung groß! Der alleinerziehende Vater ist in seine Heimat zurückgekehrt, um die Farm seiner Eltern zu übernehmen. Prompt verirrt er sich in Allisons Buchladen und in ihr Herz. Doch was hat Jamie zu verbergen? Haben Allys Freundinnen recht, sie vor ihm zu warnen?

Kleinstadtidyll und große Liebe - der erste Band der Isle-of-Mull-Reihe

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Emma Bishop ist das Pseudonym der erfolgreichen Autorin Tanja Neise. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zum Schreiben und erreichte mit ihren Romanen Top-Platzierungen in den E-book-Charts. Ihre zweite große Leidenschaft gilt Schottland und seiner einzigartigen Schönheit und Natur. In ihrer Isle-of-Mull-Reihe entführt sie uns aus dem Alltag und erzählt mit viel Gefühl von zwischenmenschlichen Beziehungen, Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Dabei darf die Liebe nie zu kurz kommen, und ein Happy End ist garantiert. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in einem Dorf in Brandenburg.

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

[Leseprobe]

1. Kapitel

Danksagung

1.

Is fheàrr teicheadh math na droch fhuireach.

– Ein guter Rückzug ist besser als ein schlechter Standpunkt. –

Montag, 7. April

Der Wind zerrte an meinen dunklen Haaren, und der Sprühregen sorgte dafür, dass eine Strähne an meinem nassen Gesicht kleben blieb. So früh am Morgen waren meistens wenig Menschen unterwegs, doch an diesem Tag wirkte es, als wäre ich die Einzige, die es wagte, durch die Main Street zu gehen. Die Straße verlief direkt am Wasser entlang und der Wind war hier stärker als im Landesinneren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten liebte ich dieses Wetter. Es war das Aufbegehren des Winters, der dem Frühling noch nicht weichen wollte. Es war ein Versprechen, dass es bald wärmer werden und die Sonnenstrahlen ihren Weg durch die graue Wolkendecke finden würden.

Dementsprechend lief ich auch an diesem Montagmorgen mit einem Lächeln durch die Straße und begann meinen Arbeitstag gutgelaunt mit einem kleinen Spaziergang wie an den meisten sonnigen Tagen auch. Vom Wetter ließ ich mich nicht abschrecken. Ich hatte mir die lilafarbene lange Regenjacke, die mit großen Blüten bedruckt war, angezogen und die Kapuze sorgte dafür, dass ich einigermaßen trocken blieb.

Die Wellen brachen sich an der Kaimauer, die das Wasser des Meeres davon abhalten sollte, das Land zu unterspülen. Die Insel war felsig, und die Straße lag einige Meter über dem Meeresspiegel, doch an manchen Tagen schaffte das Wasser es tatsächlich, auch diese Barriere zu überwinden. Heute hielt sich das Meer jedoch zurück.

Tobermory war die Hauptstadt der Isle of Mull, und in der Hafenstraße schmiegte sich ein buntes Haus an das andere. Die Häuser waren blau, pink, grün und rot und allein der Anblick dieser Architektur hellte die Laune jeden Betrachters auf. Diese bunten Häuschen waren zwar recht untypisch für Schottland, verliehen der Insel und im besonderen Tobermory jedoch einen außergewöhnlichen Charme. Hinzu kamen die alte Kirche und die grünen, saftigen Hügel, die das Bild abrundeten.

Ich wohnte schon mein ganzes Leben hier, dennoch wusste ich, dass es nur ein Wort für diesen Streifen gab, der die Küste der Isle of Mull beschrieb – malerisch. Auf vielen Postkarten, die die Touristen so fleißig verschickten, war ein Bild der Main Street und der bunten Häuser zu finden, weil sie eine solch traumhafte Kulisse bildeten. Vor dieser viel fotografierten Häuserzeile verlief eine Straße und davor wiederum lag das Hafenbecken, in dem sich bei schönem Wetter viele Segelboote tummelten.

In dieser Straße – der Main Street – hatte nicht nur meine kleine Buchhandlung ihren Sitz, sondern auch die Geschäfte meiner beiden besten Freundinnen. Den besonderen Blumenladen von Lin konnte man hier genauso finden wie Haileys Bäckerei.

Noch immer prangte über den großen bodentiefen Fenstern des Ladens der alte weiße Schriftzug: Lizzy’s. Das dunkelblau gestrichene Haus wirkte einladend und wunderschön. Und genau diese Bäckerei steuerte ich nun an.

Das Glöckchen über dem Eingang bimmelte freundlich, als ich die Tür aufdrückte und der Duft von Tee, Kaffee und Gebäck mir um die Nase wehte. Die weißen Möbel und der elfenbeinweiße Anstrich der Wände gaben dem Raum einen klaren Ausdruck, aber durch den dunkelbraunen Holzfußboden ebenso ein gemütliches Flair. Überall hingen schöne Sprüchebilder in verschnörkelter Schrift an den Wänden und auf den Tischen standen Blumen aus Lins Laden. Von der Decke hing über jedem Tisch eine andere Lampe und lockerte so die Atmosphäre zusätzlich auf.

Es war kein Wunder, dass so viele Inselbewohner hier häufig zu Gast waren. Bisher hatte ich nirgends ein schöneres Café auf der Isle of Mull gesehen.

»Guten Morgen, Ally!«, begrüßte mich Hailey gut gelaunt, während ich bereits meine Regenjacke öffnete, um in der gemütlichen Wärme nicht ins Schwitzen zu kommen. Ihre blonden Haare trug sie wie jeden Tag, an dem sie arbeiten musste, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre grünen Augen waren ein Hingucker und ich hatte schon früh begonnen, sie um diese ausdrucksstarke Farbe zu beneiden. Das grüne Langarmshirt, das sie über ihrer verwaschenen Jeans trug, betonte ihre Augenfarbe und unterstrich ihren hellen Teint.

»Morgen, Hailey.«

Für einen kurzen Augenblick kam sie hinter der Theke hervor und nahm mich mit einem Lächeln auf den Lippen in den Arm, dann huschte sie rasch wieder an ihren Lieblingsplatz.

»Hast du was Leckeres für ein nicht gerade gesundes Frühstück?« Ich aß morgens nie zu Hause, denn Hailey machte einfach die leckersten süßen Teilchen der Welt. Viele der Rezepte, die sie verwendete, hatte sie von meiner Granny geerbt. Die beiden hatten oft zusammen gebacken und Hailey hatte schon früh begonnen, im Lizzy’s kleine Jobs zu übernehmen. Kaum hatte sie die Schule beendet, hatte meine Granny sie fest bei sich eingestellt und letztendlich war es uns allen klar gewesen, dass Hailey irgendwann die Bäckerei übernehmen würde. Elizabeth Forbes, genannt Lizzy, war nicht nur meine Großmutter, auch für meine beiden Freundinnen war sie einfach nur Granny oder Granny Forbes gewesen. Wir alle hatten sie sehr geliebt. Die Erinnerungen waren noch so frisch und der Stachel des Verlusts saß tief.

Hailey zwinkerte und vertrieb damit meine aufkommenden trüben Gedanken. »Ich habe Zimtschnecken gebacken. Riechst du das etwa nicht?«

Erst jetzt nahm ich den unverwechselbaren Geruch nach der karamellisierten Butter-Zucker-Mischung und Zimt wahr. Sofort lief mir das Wasser im Mund zusammen und mein Magen gab ein lautes Knurren von sich.

Wissend grinste Hailey. »Wie viele soll ich einpacken?«

»Drei.« Ich reichte ihr meine Metallbüchse, die ich immer verwendete, damit ich keinen unnötigen Verpackungsmüll verursachte.

»Hast du Lin schon gesehen?«, fragte Hailey und gab mir die gefüllte Dose zurück.

»Nein, seit gestern Mittag, als sie mich weggeschickt hat, nicht mehr. Ich hab es gestern Abend nicht mehr geschafft, zu ihr rüberzugehen, aber nachher in der Mittagspause schau ich mal im Blumenladen vorbei. War sie denn gestern nicht mehr bei dir, um sich was zu essen abzuholen?«

Hailey schüttelte den Kopf.

Lin, deren richtiger Name Lindsay war, die von allen aber nur Lin genannt wurde, war unser Sorgenkind. Seit ihr Verlobter Brian vor einem halben Jahr mit einer Frau vom Festland durchgebrannt war, hatte sie sich verändert. Sie war schon immer still und in sich gekehrt gewesen, doch seitdem war etwas in ihr zerbrochen, das weder Hailey noch ich kitten konnten.

»Mach das, und wenn ihr wollt, könnt ihr ja herkommen, es gibt eine Möhren-Ingwersuppe zum Mittagessen.«

Hinter mir bimmelte wieder das Glöckchen, und ich drehte mich um.

Wie aus einem Mund begrüßten Hailey und ich den älteren Herren, der nun die Bäckerei betrat: »Guten Morgen, Mister Turner.« Dann kicherten wir leise, so als wären wir wieder zehn Jahre alt und würden noch zur Schule gehen.

Mister Turner war unser alter Mathelehrer aus der Primary School in Salen. Früher hatten wir ihn gefürchtet, doch heute wirkte er eher wie ein gutmütiger Großvater auf mich. In seinem Trenchcoat, der Schiebermütze und dem grauen Bart hatte er den Schrecken, den er damals immer in meine Glieder fahren ließ, verloren. Zudem lächelte er mittlerweile viel mehr, so wie auch jetzt.

Mister Turner setzte sich an einen der Tische, die direkt am Fenster standen. Anschließend packte er den Sudoku-Rätselblock aus, den er vor ein paar Tagen bei mir gekauft hatte, und zückte den Stift. Ein wenig erinnerte mich die Situation an die Zeit, als er sich über unsere Tests gebeugt und sich auf die Suche nach Fehlern gemacht hatte. Doch im Gegensatz zu damals wirkte er in diesem Moment durchaus zufrieden.

Hailey schaute mich entschuldigend an.

»Ist schon gut, kümmer dich um deinen Gast. Ich muss eh den Laden aufmachen. Wir sehen uns nachher und ich bringe Lin mit.«

Hailey nickte lächelnd und ging anschließend zu Mister Turner, während ich die kleine Bäckerei mit meiner Metallbüchse voll Zimtschnecken verließ.

Draußen hatte der Sprühregen aufgehört, stattdessen wehte nun ein stärkerer Wind, der es hoffentlich schaffen würde, die grauen Wolken zu vertreiben.

Es wäre schön, die Sonne mal wieder zu sehen, dachte ich. Selbst wenn mir jedes Wetter recht war, gierte auch ich nach den wärmenden Sonnenstrahlen, die zuerst der Frühling und dann der Sommer mit sich bringen würden. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die meisten Menschen es bitternötig hatten, dass die Sonne sich bald sehen ließ.

Ich warf einen Blick zu Lins Blumengeschäft, doch sie hatte noch nicht geöffnet, vermutlich war sie mit der ersten Fähre auf das Festland gefahren, um frische exotische Schnittblumen einzukaufen. Alles, was auf der Insel angebaut werden konnte, erwarb sie bei ihren Eltern, die noch immer die kleine Gärtnerei gegenüber von meinem Zuhause führten.

Beim Gedanken an die Gärtnerei musste ich schmunzeln. Dort hatten Lin, Hailey und ich oft die Nachmittage verbracht. Sobald die Schule vorbei gewesen war und wir unsere Hausaufgaben erledigt hatten, hatten wir uns dort getroffen – meine besten Freundinnen und ich. Es war ein verwunschener Ort für mich gewesen, weil es so viele Plätze gegeben hatte, an denen wir uns verstecken konnten. Herabhängende Pflanzen, eine Höhle und nicht zu vergessen die kleine Gartenlaube, die nur Lin gehört hatte und dadurch auch ein wenig Hailey und mir. Unser Clubhaus, wie wir es genannt hatten. Mittlerweile wurde es als Schuppen genutzt, in dem Gerätschaften untergestellt wurden. Es war eine schöne Zeit gewesen, auch wenn es in meiner Kindheit viele Tage gegeben hatte, an denen ich das anders gesehen hatte.

Heute war ich zufriedener als damals. Ich war glücklich. Haileys, Lins und mein Geschäft konnte man hier in der Main Street finden und noch immer waren wir beste Freundinnen.

Doch obwohl unsere Läden nebeneinanderlagen und man hätte meinen können, dass wir uns dadurch täglich sehen konnten, war das nicht immer so. Die unterschiedlichen Öffnungszeiten und die Arbeiten, die wir auch nach Feierabend oder in Lins Fall vor Öffnung des Ladens erledigen mussten, ließen es nicht zu, dass wir ständig aufeinandergluckten. Dennoch versuchten wir, uns einmal am Tag bei Hailey zum Mittagessen zu treffen.

Gestern hatte Lin keine Zeit gehabt, zumindest hatte sie das in unseren Gruppenchat mit dem Titel Lieblingsmenschen geschrieben. Mittlerweile fragte ich mich jedoch, ob das nicht nur eine Ausrede von ihr gewesen war. Ich würde sie nachher auf jeden Fall zur Rede stellen, nahm ich mir vor. Irgendetwas war da im Busch, bedrückte sie vielleicht sogar, und ich würde herausfinden, was es war.

Ich blieb zwei Schritte von meinem Laden entfernt stehen, um mir das Schaufenster, das ich gestern neu dekoriert hatte, eingehender anzusehen. Passend zur kommenden Osterferiensaison hatte ich Bücher ausgewählt, die in Schottland spielten, und sie mit vielen maritimen Accessoires dekoriert – die Touristen liebten das. Da lagen Seesterne, kleine Fischernetze und ein Leuchtturm. In Form von Bildern hatte ich außerdem ein paar Sehenswürdigkeiten unserer Insel dazu gelegt. Es sah alles unabsichtlich aus, was es interessant machte und genau das hatte ich erreichen wollen, als ich mich an die Neudekoration gemacht hatte. Zufrieden nickte ich. Alles war so, wie ich es haben wollte.

Ein Hupen riss mich aus meinen Gedanken und ich drehte mich zur Straße um. Ein älterer roter Pick-up überholte gerade ein anderes Auto, erwischte dabei die Pfütze neben mir und da ausnahmsweise kein parkendes Auto mich rettete, spritzte eine Wasserfontäne hoch, die dafür sorgte, dass meine Jeans anschließend völlig durchnässt war.

Na toll! Einfach großartig!

»Hey, passen Sie doch auf, Sie … Sie …« Ich verstummte, als ich die Bremslichter aufflammen sah. Anschließend legte der Fahrer den Rückwärtsgang ein.

Der Wagen hielt direkt neben mir und der Fahrer beugte sich über den Beifahrersitz, um das Fenster ein Stück herunterzukurbeln. Viel konnte ich nicht von dem Mann erkennen. Er trug einen dunklen Regenmantel, dessen Kapuze er über den Kopf gezogen hatte. Wer bitte zog sich in seinem Auto eine Kapuze über den Kopf? Vermutlich der gleiche Typ Mensch, der ohne Rücksicht durch Pfützen fuhr und Passanten nicht wahrnahm.

Dem würde ich ordentlich die Meinung sagen!

»Entschuldigen Sie bitte. Ich hätte besser aufpassen müssen, aber der Fahrer vor mir hat so plötzlich gebremst, dass ich ausweichen musste.« Mit dieser simplen Entschuldigung nahm er mir den Wind aus den Segeln. Und das sympathische Lächeln, das seine Lippen umspielte, tat sein Übriges.

»Schon gut, ist ja nur Wasser«, hörte ich mich sagen.

»Ja, da haben Sie recht und mit Ihrem hübschen Regenmantel waren Sie zum Glück einigermaßen geschützt. Trotzdem ist das kein schöner Tagesbeginn. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht krumm.« Sein Lächeln war das eines Herzensbrechers. Zumindest ging ich davon aus, dass er einer war. Mit diesem Lächeln konnte er vermutlich Eisberge zum Schmelzen bringen.

Ich jedenfalls war nicht mehr wütend, und lächelte stattdessen zurück. »Alles gut.«

»Super. Dann einen schönen Tag noch.« Er ließ das Fenster offen und fuhr los.

Ich blickte dem roten Ungetüm verwirrt hinterher. Da hatte ich mich ja schnell um den Finger wickeln lassen. Aber so, wie ich die Situation einschätzte, war es keine böse Absicht gewesen und er hatte mich tatsächlich nicht einmal bemerkt gehabt. Bei dem Affenzahn wäre das jedenfalls kein Wunder gewesen.

Ich fragte mich, wer da am Steuer gesessen hatte. Erkannt hatte ich denjenigen nicht. Und dieses Lächeln hätte ich mit Sicherheit nicht vergessen, wenn ich es schon mal zu Gesicht bekommen hätte.

Kaum dass ich die Tür zu meinem eigenen kleinen Reich aufgeschlossen hatte, wehte mir der Duft entgegen, den ich so sehr liebte – Bücher. Der Geruch von Druckerschwärze und Papier, mit deren Hilfe Buchstaben, Wörter, Sätze und Kapitel zum Leben erweckt wurden. Mein Zugang zu Welten, die mich oft mehr faszinierten als die Realität. Hier konnte ich alles sein – Kampfmittelspezialistin, Tatortreinigerin, Zauberin, Fee oder eine Serienkillerin. Na gut, das Letztere wäre nicht unbedingt die Wahl, die ich treffen würde, aber hin und wieder las ich gerne einen Thriller.

Tief atmete ich ein und schloss kurz die Augen. Hier in diesen Räumen hatte ich mein Glück gefunden.

Die Eröffnung der Buchhandlung war das Beste, was ich in meinem Leben getan hatte. More than words lief zwar nicht so gut, dass ich mir große Sprünge erlauben konnte, aber ich brauchte auch nicht viel zum Leben. Ich wohnte mit meinem Dad zusammen in dem alten Cottage meiner Großmutter. Zudem hatte meine Granny uns dieses Haus vererbt. In der Wohnung über dem Buchladen war ein kleines Anwaltsbüro untergebracht, das durch eine monatliche Miete für ein gutes Einkommen sorgte. Wir waren nicht reich, aber wir mussten uns auch keine Sorgen um Geld machen.

Granny war diejenige gewesen, die mir geholfen hatte, den Laden zu eröffnen, als nach dem College in mir der Traum eines eigenen Buchladens herangereift war. Zuerst hatte ich versucht, diesen Traum allein zu verwirklichen, aber keine Bank wollte einer so jungen und unerfahrenen Frau einen Kredit gewähren, und ohne Startkapital hätte ich niemals ein eigenes Geschäft aus dem Boden stampfen können. Genau in diesem Moment war Granny zur Stelle gewesen und ich hatte das erste Mal erkannt, dass meine Großmutter wohlhabend war. Sie hatte kurzerhand ein Gebäude in der Main Street gekauft und mir an meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag die Schlüssel zu dem Laden überreicht. Zwei Monate später hatte ich More than words eröffnet und Granny fortan eine kleine Miete von den Einnahmen gezahlt.

Noch immer musste ich mit den Tränen kämpfen, wenn ich an Großmutter dachte. Sie war vor zehn Monaten gestorben und es tat so schrecklich weh, ohne sie zu sein – ohne ihr Lachen, ihre lieben Worte oder ihre Umarmungen, die es immer geschafft hatten, aus einem trüben Tag etwas Besonderes zu machen.

In unserem Haus hing noch immer der Duft ihres Parfums, das sie aufgelegt hatte, sobald sie aufgestanden war. Sie hatte darauf beharrt, dass man sich pflegen musste, egal wie alt man war.

»Nichts riecht erbärmlicher als ein alter Mensch. Lass mir also die Freude, mir einzubilden, ich wäre nicht so alt, wie ich mich manchmal fühle«, hatte sie immer gesagt, wenn Dad geschimpft hatte, weil das ganze Haus nach Parfum roch.

Mir war noch nie ein Mensch begegnet, der mit einem solch enormen Stolz und einem Selbstverständnis durchs Leben ging, wie Granny es getan hatte. Ich hatte ihr so viel zu verdanken.

Sie hatte mir meine Mutter ersetzt, als diese gegangen war. Mein Vater oder Granny hatten mir nie erklären können, wie meine Mutter mich und ihre Vergangenheit einfach so zurücklassen konnte. Sie hatte noch nicht einmal an meinen Geburtstagen angerufen oder eine Karte geschrieben. Nichts. Rein gar nichts. Kein Kontakt. Sie war wie vom Erdboden verschwunden.

Ich hatte mich so oft gefragt, ob ich es nicht wert war, dass sie um mich kämpfte. Warum sie mich nicht bei sich haben wollte, oder mich wenigstens besuchte.

Mein Leben würde vermutlich ganz anders aussehen, hätte meine Mutter mich damals mitgenommen und von der Insel fortgebracht. Es hatte viele Tage gegeben – wenn ich mich mit meinem Vater gestritten hatte –, an denen ich mir dieses Leben in bunten Farben ausgemalt und es gehasst hatte, auf dieser Insel zu sein. Doch heute war ich froh, dass ich hatte bleiben dürfen, dass Granny richtig entschieden und verhindert hatte, dass ich meine Mutter begleitete.

Bei dem Gedanken an meine Mutter schüttelte ich kurz den Kopf. Nein, ich würde mich nicht in einen Sumpf aus Fragen ziehen lassen, die ich nicht beantworten konnte und die mich dennoch viel zu sehr vereinnahmten. Diese Lektion hatte ich mittlerweile schmerzlich lernen müssen.

Also schob ich die Gedanken von mir, schloss die Tür und stellte fest, dass sich am Boden unter mir eine kleine Pfütze mit dem Wasser gebildet hatte, das an meinem Regenmantel herabgeflossen war. Ich nahm den Schal und die Mütze ab und ging durch den Laden auf die schmale Tür hinter dem Verkaufstresen zu. In dem kleinen Hinterzimmer befanden sich eine Küchenzeile und ein Schreibtisch, an dem ich die Abrechnungen machte oder frühstückte. Außerdem hatte ich das kleinste Sofa gekauft, das man sich vorstellen konnte, und hier reingestellt, so konnte ich mir in ruhigen Momenten auch selbst einmal einige gemütliche Minuten mit einem Buch gönnen.

Ich hängte meinen Mantel an einen der Haken, die hinter der Tür angebracht waren. Das hatte ich genauestens überdacht, als ich den Laden eingerichtet hatte. So konnte man vom Verkaufsraum keine Jacken und Mäntel sehen, sollte ich mal vergessen, die Tür zu schließen.

Ich griff nach meiner Ersatzjeans, die ich für Notfälle im Laden deponiert hatte, und zog rasch die nasse Hose aus und die andere an. Als ich damit fertig war, nahm ich den Wischmopp aus dem Schrank und ging zurück in den Verkaufsraum, um die Pfütze mit Regenwasser und die Fußabdrücke, die ich hinterlassen hatte, zu beseitigen. Auf keinen Fall wollte ich, dass das alte Parkett aufgeweicht wurde und sich an diesen Stellen unschöne Wasserflecken bildeten.

Anschließend kochte ich mir einen Tee und zündete eine Duftkerze an. So begann ich den Tag am liebsten. Der Duft der Kerze vermischte sich mit dem Aroma der Bergamotte des Earl Greys und ich atmete das Bouquet tief ein.

Während draußen der Regen erneut einsetzte, räumte ich die Lieferungen weg, die gestern Abend eingetroffen waren. So viele neue und schöne Bücher. Das war der einzige Nachteil an meinem Job – ich sah täglich, was ich immer noch nicht gelesen hatte und ehe ich dazu kam, dies nachzuholen, erschien schon wieder ein neues Buch, dessen aufregender Klappentext mich ansprach.

Als ich damit fertig war, sah ich mich um und nickte zufrieden. Alles war an seinem Platz und mein kleines Reich sah genau so aus, wie ich es haben wollte.

Zwei gemütliche Sessel und ein Tischchen in der Ecke luden zum Schmökern in den Büchern ein. In den Regalen waren nicht nur dicke und dünne Wälzer zu finden, sondern auch viele Kleinigkeiten wie zum Beispiel hochwertige Notizbücher und besondere Stifte. Außerdem hatte ich außergewöhnliche Postkarten, Lesezeichen und bezaubernde Tassen im Angebot. Alles, was ein Leserherz begehrte, fand man hier. Und ich liebte es ganz besonders, all die hübschen Kleinigkeiten zusammenzusuchen und hier auszustellen.

Ehe ich den Laden öffnete, wischte ich noch einmal über den Thekenbereich. Anschließend rückte ich den Stuhl am Eingang zurecht, schaltete die Beleuchtung an und drehte das Schild herum, so dass man sofort wusste, dass ich geöffnet hatte.

Fast alle Ladenbesitzer in der Main Street lebten größtenteils von den Einnahmen, durch die Touristen – Hailey und das Lizzy’s ausgenommen – und die Besucher der Isle of Mull freuten sich über hübsche Kleinigkeiten und regionale und urige Geschäfte. Klar gab es auch viele Leute von der Insel, die zu unseren Kunden zählten. Aber mit gerade einmal neunhundert Einwohnern konnte Tobermorys Bevölkerung nicht allein dafür sorgen, dass wir überlebten. Viele Inselbewohner verirrten sich nur selten in die Hauptstadt. Das war auch ein Grund, warum ich mich so sehr auf den Frühling freute, denn dann kamen sie wieder in Scharen – Touristen aller Altersklassen und Nationen und viele wurden von meiner Auslage dazu inspiriert, ihre Urlaubszeit auch mal mit einem guten Buch verbringen. Und da kam ich ins Spiel. Ich beriet die Leseinteressierten und konnte ihnen helfen, das richtige Buch zu finden.

Bis heute hatte mich die Faszination und Erfüllung eine solche Beratung durchzuführen, nicht verlassen. Ich brannte regelrecht dafür, anderen Menschen gute Bücher empfehlen zu dürfen.

***

Gegen Mittag hatte es die Sonne endlich durch die Wolken geschafft. Kurz bevor ich meine Pause machen wollte, kam eine junge Frau in den Laden, die in etwa in meinem Alter sein musste. Sie trug ihr dunkles Haar zu einem kinnlangen Bob geschnitten und war sportlich gekleidet. Ich wusste, dass sie auf der Insel wohnte, weil ich sie schon mehrmals beim Einkaufen gesehen hatte, aber ich kannte sie nicht weiter. Es war doch immer wieder erstaunlich, wie gut man sich auf einem so überschaubaren Plätzchen Erde wie der Isle of Mull aus dem Weg gehen konnte.

Doch es lebten auch viele Menschen hier auf der Insel und in Tobermory, die nicht dauerhaft sesshaft waren. Viele von ihnen fanden nur vorübergehend Arbeit und lebten nach dem Rhythmus, den der Tourismus ihnen vorgab. Die meisten kannte man vom Sehen oder von flüchtigen, sich jährlich wiederholenden Begegnungen, man tauschte sich jedoch nicht weiter aus. Die Touristen würden allerdings erst im Frühjahr hier eintreffen, noch waren also auch die Saison-Insulaner nicht zurück.

»Hey«, begrüßte mich die Frau, nachdem sie die Tür geschlossen hatte.

»Willkommen«, erwiderte ich mit einem einladenden Lächeln. Kunden mochten es, wenn sie von Anfang an das Gefühl hatten, nicht zu stören. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ja, irgendwie schon«, begann sie mit einem unsicheren Lächeln. »Ich will meiner Mutter ein Buch kaufen. Sie musste operiert werden und liegt seit zwei Tagen in Glasgow im Krankenhaus. Vermutlich langweilt sie sich sehr, sie ist eigentlich immer in Bewegung und es nicht gewohnt, still herumzusitzen oder zu liegen.«

»Das tut mir leid zu hören, ich hoffe, es ist nichts Schlimmes.«

»Das werden wir heute Nachmittag erfahren, wenn die ersten Testergebnisse eintrudeln. Ich fahre gleich aufs Festland. Hoffentlich ist es kein Krebs.« Bei den letzten vier Wörtern wurde ihre Stimme immer leiser. Nervös nestelte sie am Reißverschluss ihrer Tasche herum.

»Liest sie denn gern und viel?«, tastete ich mich vor und hoffte, sie so von den trüben Gedanken ablenken zu können. Nicht nachhaken. Das hatte ich gelernt. Wenn man das nicht berücksichtigte, fingen die Menschen an zu weinen, und das führte weder für die Kunden zu etwas noch für mich. Besser man half ihnen, indem man das Thema wechselte und sie dadurch aus den immer wiederkehrenden Ängsten riss. Es war mein Job, sie in andere Welten zu entführen und für ein paar Augenblicke von ihrem Alltag zu erlösen.

Ich erhielt ein begeistertes Nicken und atmete insgeheim erleichtert auf.

»Oh ja, sie liest total gern, aber meistens kommt sie nicht dazu.«

»Wie alt ist Ihre Mutter?«

Kurz überlegte die Kundin, dann antwortete sie: »Im Januar ist sie achtundfünfzig geworden.«

»Welches Genre mag sie?«

»Krimis und Thriller sind ihr am liebsten.«

In meinem Kopf ratterte es bereits. »Da sie nicht oft zum Lesen kommt, wird sie wahrscheinlich nicht immer die neuesten Bücher kaufen, oder?«

Die Frau lachte kurz auf und antwortete dann: »Ja, das stimmt. Sie hat sich letztes Jahr selbst ein Kaufverbot auferlegt, weil sie erst mal all die Bücher lesen will, die sie bereits zu Hause hat. Aber ich möchte ihr trotzdem ein neues kaufen, weil es nun mal das ist, was meiner Mum die größte Freude macht.«

Lächelnd ging ich um den Verkaufstresen zu ihr. »Dann schlage ich vor, dass Sie ihr den neuen Stacey Storx mitbringen, den habe ich vorhin erst ins Regal einsortiert. Gestern erst erschienen. Ich habe ihn gestern Abend innerhalb von wenigen Stunden verschlungen und das, obwohl ich selten Thriller lese.« In dem Bereich, in dem ich die Neuerscheinungen platzierte, stoppte ich und zog das erwähnte Buch heraus. Es hatte ein düsteres Cover, auf dem ein einsames Haus zu sehen war. Lächelnd reichte ich es der Frau. »Es ist nicht sehr blutig und handelt eher von der Ermittlungsarbeit. Die ermittelnde Polizistin müsste in etwa im Alter Ihrer Mutter sein. Sie ist etwas schrullig und die Eigenarten, die sie hat, sind urkomisch. Das Buch handelt nicht von Krankheiten und Krankenhäusern und bei Stacey Storx gibt es immer ein gutes Ende. Ich wollte jetzt nicht spoilern, aber vielleicht ist das für Sie wichtig. Wenn man selbst in einer Situation ist, die einen unsicher werden lässt, ist es doch schön, wenn die Geschichte gut ausgeht, oder?«

Die junge Frau erwiderte mein Lächeln erleichtert. »Das hört sich klasse an. Sie sind echt genial.« Voller Tatendrang strebte sie der Kasse entgegen und zückte bereits den Geldbeutel.

Stolz breitete sich warm in mir aus und wieder einmal hatte ich das Gefühl, genau das zu tun, was ich tun sollte und wollte, und worin ich gut war. Die Arbeit hier erfüllte mich und gab mir die Möglichkeit, anderen zu helfen, wenn auch auf weit weniger weltbewegender Ebene, als es vielleicht eine Ärztin tun konnte.

»Das macht zehn Pfund«, sagte ich, nachdem ich den Preis eingetippt hatte.

»Wissen Sie, ich denke, ich werde das Buch nach meiner Mutter auch lesen. Ich hab es nicht so mit Büchern, aber irgendwie glaube ich, dass es auch zu mir passen könnte.«

»Das wäre toll. Und dann kommen Sie her und berichten mir von Ihrem Leseerlebnis. Abgemacht?« Ich reichte ihr die kleine Papiertüte, in die ich noch ein schönes Lesezeichen gepackt hatte. Diese besonderen Zugaben bastelte ich selbst und die Kunden freuten sich meistens sehr über die kleinen Geschenke.

»Einverstanden, das werde ich machen. Bis dann.« Sie winkte mir kurz zu.

»Bis dann.«

Zufrieden blickte ich ihr hinterher, während sie den Laden verließ und dann aus meinem Blickfeld verschwand. Dabei entdeckte ich ein Mädchen vor meinem Schaufenster, das in den letzten Wochen schon öfter dort gestanden hatte, ich zuvor aber noch nie gesehen hatte. Ihre braunen Haare, die von helleren Strähnen durchzogen waren, trug sie in einem hohen Pferdeschwanz. Das hübsche Gesicht mit den großen Augen wirkte interessiert und offen. Bisher hatte ich nicht herausgefunden, zu wem sie gehörte. Normalerweise brachten Saisonarbeiter keine Kinder mit auf die Insel. Es musste also jemand sein, der neu zugezogen war.

Bei ihren Besuchen schaute sie sich an, welche Bücher ich ausgestellt hatte, und drückte sich die Nase an der Scheibe platt. Bisher hatte sie sich nicht getraut, in den Laden zu kommen, aber ich war mir sicher, irgendwann würde sie die Tür aufstoßen und die Welt entdecken, die ich ihr hier zu bieten hatte.

Die Kleine erinnerte mich ein bisschen an mich selbst. Als ich in ihrem Alter gewesen war, hatte es allerdings kein Buchgeschäft auf der Insel gegeben. Stattdessen hatte es mich alle paar Tage in die Bücherei gezogen, wo ich dann viele Schätze für mich hatte entdecken können.

Als das Mädchen merkte, dass ich sie beobachtete, senkte sie rasch den Blick und stürmte los. Ihr roter Regenmantel flatterte dabei um ihren schlanken Körper, und die Schultasche auf ihrem Rücken wippte auf und ab. Beinah spürte ich deren Gewicht auf meinem eigenen Rückgrat, so gut konnte ich mich an diese Zeit noch erinnern.

Schmunzelnd drehte ich das Schild, auf dem stand: More than words hat geöffnet auf More than words hat geschlossen um.

So konnte jeder, der gerade ein Buch kaufen wollte, sofort sehen, dass ich in der Mittagspause war. Anschließend verließ ich den Laden und schloss die Tür ab. Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase und ich hob das Gesicht gen Himmel, um einige Sekunden regungslos stehen zu bleiben und zu genießen, ehe ich mich nach links wandte.

Mal sehen, wie es Lin geht und ob ich sie heute zu einem Mittagessen überreden kann, dachte ich voller Motivation und nahm mir vor, mich nicht von meiner Freundin abwimmeln zu lassen.

***

Ich sah Lin bereits durch die gläserne Eingangstür ihres Ladens. Sie saß an der Theke, an der sie die kunstvollen Sträuße band, die sie jedem Anlass entsprechend wunderschön kreierte. Lin knabberte an einem Bleistift, während sie gedankenversunken auf irgendwelche Aufzeichnungen starrte, die vor ihr auf der Arbeitsfläche lagen. Ihre Stirn hatte sie in Falten gelegt und ihr Körper wirkte in sich zusammengefallen, trotz des hübschen Kleides, das sie trug und mit Sicherheit wieder einmal selbst designt und geschneidert hatte. Sie war schon immer schlank gewesen, im Gegensatz zu mir hatte sie eher damit zu kämpfen, nicht zu dünn zu werden, und mittlerweile wirkte sie regelrecht abgemagert.

Normalerweise wirbelte sie durch das Geschäft, auch wenn kein Kunde da war. Sie arrangierte die Blumen neu, goss Pflanzen und wischte Staub. Oder, sobald alles erledigt war, ging sie ihrem Hobby dem Schneidern nach. Dafür hatte sie extra eine kleine Nähecke im Hinterzimmer eingerichtet. Es war selten, dass man sie mal so ruhig erlebte wie in diesem Moment. Außerdem war ihr Strahlen verschwunden, seit dieser Hornochse Brian sie verlassen hatte. Allein dafür hätte ich ihm am liebsten …

Ich öffnete die Tür zum Blumengeschäft, deren Rahmen weiß lackiert war, was einen schönen Kontrast zu dem grün gestrichenen Haus bildete. Auch im Innern erstrahlten die Wände in einem kräftigen dunkelgrün, so dass man das Gefühl hatte, hinter den bunten Blumen begänne ein dichter Wald. Die große Theke dominierte den Raum. Ich wusste, dass von der Rückseite etliche Schubladen darin eingelassen waren, in denen Lin alle möglichen Utensilien aufbewahrte, die sie zum Binden und Verzieren der Kränze und Sträuße benötigte. Davor stand ein filigraner Tisch mit zwei Stühlen, auf dem jede Menge Deko und natürlich auch Blumen arrangiert waren. Alle Möbel waren aus Holz, wie die Tür weiß lackiert und schon alt. Nach und nach hatten wir Mädels sie gemeinsam auf Flohmärkten ergattert und restauriert. Genau wie Hailey und ich hatte auch Lin ihren Laden vor ungefähr drei Jahren eröffnet. Ihre Eltern hatten ihr dafür ein bisschen Geld zukommen lassen.

Als ich in das Geschäft kam, blickte sie erschrocken auf. »Ally! Was machst du denn schon hier?«

Irritiert runzelte ich die Stirn. »Es ist Mittagessenszeit. Same procedure as every day, my dear.«

»Ach ja, stimmt. Die Zeit geht so schnell vorbei, wenn man sich konzentriert. Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon Mittag ist. Wobei ich keinen großen Hunger habe. Am besten ihr esst heute ohne mich.« In ihren Augen entdeckte ich einen gehetzten Ausdruck, und ihre Wangen waren viel zu eingefallen. Sie war nur noch eine ätherische Erscheinung ihrer selbst und wirkte, als könnte sie gleich vom Wind erfasst und über das Meer getrieben werden.

»Was soll das, Lin? Seit wann isst du nicht mehr richtig?« Vor der Theke blieb ich stehen, verschränkte die Arme und blickte sie ernst an. Sie musste nicht glauben, dass sie mich ein weiteres Mal wegschicken konnte. Bis jetzt hatte ich sie immer mit Samthandschuhen angefasst, aber damit war nun Schluss. Ich hatte während der letzten Wochen beobachtet, wie sie immer seltener etwas gegessen hatte und wenn, dann waren es so kleine Portionen gewesen, dass sie bestimmt nicht davon hatte satt werden können.

»Ich habe vorhin ein Brot gegessen und deshalb keinen Hunger.« Nervös strich sie sich die wilden Locken hinters Ohr. Ihre Haare hatten eine außergewöhnliche rote Farbe. So schön, dass andere dafür morden würden. Gepaart mit ihrer sehr hellen Haut, die für Rothaarige so typisch war, und ihren dunkelbraunen Augen wirkte sie wie eine Feenprinzessin. Lediglich ihre Größe von einem Meter siebzig stand im Kontrast zu dieser Vorstellung.

»Du hast bisher selten die gemeinsamen Mittagessen sausen lassen, und heute willst du das schon den zweiten Tag in Folge tun?«

Ihr Blick traf auf meinen. »Ally, ich bin eine erwachsene Frau. Hin und wieder brauche ich meinen Freiraum. Das müsstest du doch am besten wissen.«

Tief atmete ich ein. Ihr Argument zog bei mir, weil ich ebenfalls ab und zu einfach allein sein wollte. Ich machte vieles mit mir selbst aus und brauchte Zeit, um in mich hineinhorchen zu können. Das wusste sie ganz genau, aber ich wusste auch, dass Lin nie so gewesen war. Sie war ein geselliger Mensch und freute sich immer, wenn wir uns trafen und sie die Zeit nicht allein verbringen musste. Sie besprach die Dinge, die sie beschäftigten, lieber mit uns, als sich selbst damit zu quälen.

Warum war das nicht mehr so? Was hatte sich verändert? Was steckte hinter ihrem sozialen Rückzug?

»Ich will einfach nur, dass du weißt, dass du jederzeit zu mir oder Hailey kommen und über das reden kannst, was dir auf der Seele liegt.« Ich ließ die Arme schlaff herabfallen und sah auf die Arbeitsplatte, die sauber und leer war – bis auf das Kassenbuch, das zugeschlagen vor Lin lag.

»Das weiß ich, Ally. Wirklich. Im Moment muss ich erstmal wieder bei mir ankommen und verstehen lernen, was passiert ist.« Traurig sah sie aus dem Fenster. »Und ich muss vergeben, denn die Wut, die ich auf Brian und diese Frau verspüre, ist echt heftig.«

Ich trat einen Schritt zur Seite, wollte zu ihr gehen, um sie in den Arm und ihr den Schmerz zu nehmen, doch sie hob abwehrend die Hand und hielt mich mit dieser simplen Geste auf Abstand.

»Nicht.« Vehement schüttelte sie den Kopf. »Das würde nur dazu führen, dass ich wieder einmal Tränen an den Idioten verschwende und das ist er nicht wert.« Sie schluckte und lächelte dann gequält. »Ist schon gut, ich komme mit. Aber ich will nicht über ihn sprechen, verstanden?«

Rasch nickte ich und erwiderte ihr Lächeln, aus Angst, sie würde ansonsten einen Rückzieher machen. »Versprochen.«

***

Fünf Minuten später saßen wir an unserem Stammplatz im Lizzy’s direkt neben der Theke. Von hier aus konnte Hailey sich zwischendurch immer wieder um ihre Gäste kümmern und dennoch an der gemeinsamen Mahlzeit teilnehmen. Nicht nur wir hatten die köstlichen Suppen und Salate für unser Mittagessen entdeckt, die Hailey täglich frisch zubereitete. Auch andere Bewohner der Insel oder Leute, die hier zeitweise Arbeit gefunden hatten, verbrachten ihre Mittagszeit gerne in Haileys Café. Auch heute waren alle zehn Tische belegt. Im Sommer kam noch der Außenbereich hinzu. Hailey hatte immer viel zu tun und stellte in den Sommermonaten deshalb zusätzlich Hilfskräfte ein, um den Ansturm bewältigen zu können.

Von uns dreien war sie eindeutig die erfolgreichste Geschäftsfrau. Wobei sie immer betonte, dass meine Granny schon enorme Vorarbeit geleistet hatte. Das stimmte zwar, aber das Konzept mit dem leichten Mittagessen war allein Haileys Verdienst.

»Die Suppe schmeckt mal wieder himmlisch. Was ist das, was so zitronig schmeckt, ohne sauer zu sein?«, wollte ich wissen und schloss genießerisch die Augen, während ich die Explosion an Aromen in meinem Mund auskostete.

»Orangensaft. Ich habe die Suppe mit einem Schuss Saft abgeschmeckt. Irgendwie ist sie mir dieses Mal besonders gut gelungen«, antwortete Hailey bescheiden.

»Nicht nur irgendwie und auch nicht nur dieses Mal«, murmelte Lin zufrieden und wischte den letzten Rest Suppe auf ihrem Teller mit einem Stück selbstgebackenem Ciabatta auf.

Erleichtert hatte ich die letzten Minuten beobachtet, dass es Lin schmeckte und sie auch eine völlig normale Portion aß. Vielleicht hatte ich mich doch geirrt und es gab gar kein Problem – von ihrem gebrochenen Herzen einmal abgesehen. Aber vorsichtshalber würde ich Lin weiterhin im Auge behalten.

Haileys Gerichte schmeckten selten wie beim letzten Mal, weil sie oft Neues ausprobierte. Sie war wie eine Künstlerin, die sich immer wieder neu erfand. Und ihre Kreationen waren stets großartig. Nur bei den Backwaren hielt sie sich strikt an Grannys Rezepte.

»Wollt ihr Nachschlag?«

»Ich nicht«, antwortete Lin.

»Ich auch nicht. Ich bin pappsatt. Am liebsten würde ich mich jetzt in meinen Lesesessel legen und ein Mittagsschläfchen machen«, sagte ich, gähnte hinter vorgehaltener Hand und schaute durch das seitliche Fenster, das einen guten Blick auf den Eingangsbereich meines Ladens bot. Dabei entdeckte ich wieder das Mädchen mit dem roten Regenmantel. Wie bereits vorhin stand sie vor dem Schaufenster des Buchladens und drückte sich die Nase platt. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. Ich mochte die Kleine, obwohl ich bisher noch nicht einmal mit ihr gesprochen hatte.

»Hey, was grinst du denn so vor dich hin?«, wollte Lin wissen, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte.

Mit dem Kinn deutete ich nach draußen. »Kennt jemand von euch das Mädchen?«

Lin und Hailey folgten meinem Blick.

Lin schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie gesehen. So wie es aussieht, steht sie vermutlich mehr auf Bücher als auf Blumen.«

Hailey schwieg und als ich zu ihr blickte, erkannte ich, dass sie angestrengt nachdachte. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf. »Ich glaube, das ist Jamie Pearsons Tochter.«

»Jamie Pearson … irgendwas sagt mir der Name«, überlegte ich laut. Mit Namen hatte ich öfter Probleme. Es fiel mir schwer, sie Gesichtern zuzuordnen.

»Ist das etwa, der Jamie Pearson?«, fragte Lin mit gesenkter Stimme.

Hailey nickte und grinste. »Genau der.« Die zwei sahen sich verschwörerisch an.

»Könntet ihr mich bitte aufklären?« Ratlos blickte ich zwischen den beiden hin und her.

Hailey schmunzelte. »Du erinnerst dich wirklich nicht mehr an Jamie Pearson?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nein, aber offenbar sollte ich das?«

Lin kicherte gelöst. »Auf jeden Fall!«

Wieder lachten die beiden ausgelassen.

Hailey räusperte sich vernehmlich, als sie meinen fragenden Blick auffing. »Jamie war der Junge, der damals auf dem Fest des Bürgermeisters einen der Riesencookies von deiner Granny stibitzt hat. Als sie ihn dabei erwischt hat, hat er sich vor Aufregung auf ihre Schuhe übergeben. Kannst du dich jetzt an ihn erinnern?«

Und ob ich mich an den Jungen erinnern konnte! Lachend dachte ich an den besagten Tag zurück. »Oh mein Gott, das war ihm so peinlich. Ich habe niemals wieder jemanden gesehen, der dermaßen rot geworden ist. Und das ist der Vater von der süßen Maus?« Obwohl wir damals noch so klein gewesen waren, konnten wir uns alle an diese Episode erinnern. Vermutlich auch deshalb, weil diese Geschichte immer noch oft bei Festen von den Einwohnern von Tobermory erzählt wurde.

Hailey nickt. »Ich war auch ganz erstaunt, als ich die beiden gesehen habe.«

Noch einmal schaute ich aus dem Fenster, aber das Mädchen war mittlerweile verschwunden.

»Das ist so lange her!«, stöhnte Lin und lächelte dann, als sie sich offenbar an den Tag erinnerte.

»Ja, da sind wir gerade in die Schule gekommen«, klärte uns Hailey auf. »Jamie war da bestimmt schon zwölf oder dreizehn Jahre alt. Ein pickeliger, schlaksiger Junge, der wenig Glück hatte. Wisst ihr noch? Seine Eltern waren arm wie Kirchenmäuse, und er lief immer in viel zu kurzen Hosen rum. Das war so extrem, dass es selbst mir als kleines Mädchen aufgefallen ist.«

In diesem Moment erinnerte ich mich noch an etwas. »Ist er nicht kurz nach der Geschichte sogar umgezogen?«

Lin nickte. »Ja, die Eltern haben den Hof aufgegeben und sind mit ihm aufs Festland übergesiedelt, weil sie da Arbeit gefunden haben. Ich wusste gar nicht, dass er wieder zurück ist. Aber du, Hailey, weißt mal wieder alles. Woher?«

»Ich hab ihn neulich im Supermarkt mit dem Kind gesehen. Ich weiß nicht, ob er wieder hier lebt. Das Grundstück gehört auf jeden Fall noch immer seiner Familie. Die haben das nie verkauft, obwohl es immer wieder Interessenten gab. Seine Eltern konnten es damals doch nicht verkaufen, weil sie die Farm wegen der Schulden auf Jamie überschrieben hatten.«

»Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.« Ich nippte an meinem Eistee und erwiderte: »Ich denke, dass er wieder auf der Insel ist, ansonsten würde seine Tochter nicht mit einer Schultasche herumlaufen und alle paar Tage vor meinem Schaufenster auftauchen.«

»Stimmt«, sagte Hailey und stand auf, weil einer ihrer Gäste zahlen wollte.

»Ich frage mich, was ihn hierher zurückgetrieben hat«, überlegte Lin laut. »Ich glaube nicht, dass er allzu gute Erinnerungen an seine Jahre auf der Insel hat.«

»Ach, als Kind sieht man vieles oft nicht so krass, wie man es als Erwachsener empfindet. Vermutlich hat er das meiste vergessen.«

»Auch die Geschichte mit deiner Granny und dem Riesencookie?«

Lin kicherte und ich freute mich so sehr, dass sie ein wenig lockerer war als vorhin, so dass ich spaßeshalber vorschlug: »Wir könnten ihn besuchen und schauen, ob er mittlerweile ein bisschen kräftiger geworden ist.«

Hailey ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. »Oh ja, er ist kräftiger geworden. Hätte nicht die gute alte Misses Tenner ihn im Supermarkt an der Kasse mit seinem Namen angesprochen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es sich bei dem großen Kerl um Jamie handelt. Ich sage nur so viel: Hot, very hot, Ladies!«

»Das hört sich ja an, als würde er genau in dein Beuteschema passen«, zog ich sie auf, obwohl ich wusste, dass sie nicht auf der Suche war. »Dein Nachname Ferson würde auch gut zu seinem passen. Misses Ferson-Pearson!«

Hailey winkte ab. »Ich brauche keinen Mann. Außerdem hat er ein Kind, dann wird es dazu vermutlich auch eine Misses Pearson geben.«

»Ich für meinen Teil habe jedenfalls genug von heißen Kerlen.« Lins Stimme war leise, und es zog mir das Herz zusammen. Offensichtlich war sie wieder in ihre trüben Gedanken zurückgerutscht.

»Hey«, sagte ich sanft. »Nicht alle Kerle sind solche Trottel.«

»Gut aussehende schon!«, konterte sie so schnell, dass ich kurz innehielt.

Hailey schnaubte verächtlich. »Warum vergesst ihr nicht einfach die Männer? Okay, hin und wieder sind sie nicht schlecht. Aber Liebe, das gibt es nicht und wenn ihr das kapiert habt, dann werdet ihr erkennen, dass man ohne diese Individuen viel glücklicher ist. Seht mich an. Ich bin wie ihr siebenundzwanzig Jahre alt und auch ohne einen Kerl zufrieden und glücklich. Denn ich habe euch.«

Fassungslos starrte ich meine Freundin an. »Hailey! Das ist nicht gerade hilfreich!«

Sie zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Je früher Lin das verinnerlicht, desto eher wird sie wieder sie selbst sein.«

Lin räusperte sich. »Sie hat ja recht. Nach der Geschichte mit Brian will ich keine Beziehung mehr. Noch einmal lasse ich mir mein Herz nicht brechen.« Entschlossen stand sie auf und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Geldbeutel.

»Lass stecken, ich hab heute so viel Suppe gemacht, dass ich froh bin, dass ihr ein wenig mitgegessen habt. Ihr seid eingeladen.«

»Danke«, sagte ich zu ihr und warf ihr eine Kusshand zu.

Hailey zwinkerte mir zu und begann den Tisch abzuräumen. Währenddessen zogen wir unsere Jacken an. Ehe wir den Laden verließen, umarmten wir uns alle noch einmal.

»Hailey hat vollkommen recht. Wer braucht schon einen Mann, wenn man so tolle Freundinnen hat?«, sagte Lin mit einem schiefen Grinsen im Gesicht.

»Ganz genau!«, pflichtete Hailey ihr bei. »Ich liebe es, recht zu haben.«

Ich schüttelte nur den Kopf über die beiden. Im Gegensatz zu ihnen war ich der Meinung, dass es die Liebe gab. Bestimmt auch die ganz große. Aber wie sollte man sie aufspüren? So viele Milliarden Menschen lebten auf der Welt, da schien es unmöglich zu sein, den Richtigen zu finden. Doch genau wie Lin es gesagt hatte, vertrat ich die Auffassung, dass ich angesichts meiner Freundschaft zu diesen beiden Frauen glücklich sein konnte auch ohne Mann.

Dennoch verspürte ich diese tiefe Sehnsucht, eines Tages doch diesen Einen zu finden, mit dem mich eine Seelenverwandtschaft verband und mit dem ich mich gemeinsam als ein Ganzes fühlen konnte. Aber ich hatte weder eine Traumfigur, noch war ich außergewöhnlich eloquent. Ich war schlichtweg ein Büchernerd und darauf standen Männer bekanntlich nicht. Zudem ging ich so gut wie nie aus oder verließ diese Insel. Wie also sollte ich da den passenden Kandidaten kennenlernen?

In meinem Leben hatte es bisher niemanden gegeben, der erwähnenswert gewesen wäre. Meine Unschuld hatte ich erst mit zwanzig während meiner Zeit am College an jemanden verloren, dessen Namen ich am liebsten aus meinem Gedächtnis gestrichen hätte.

Dann war Tom in mein Leben getreten. Ich hatte gedacht, ihn zu lieben, aber nach ein paar Monaten war er nach Europa gezogen. Am Anfang hielten wir noch sporadisch Kontakt, doch irgendwann hörten wir auf, uns Nachrichten zu schreiben. Aber im Gegensatz zu der Geschichte von Lin und Brian war das nichts, was mir das Herz gebrochen hatte. Rückblickend war es bestimmt keine Liebe gewesen, was uns verbunden hatte, sondern eher innige Freundschaft. Ich hatte Tom gemocht, mehr aber nicht. Wäre es anders gewesen, hätte ich seinen Wegzug sicherlich schlechter verkraftet.

Trotzdem glaubte ich noch immer an die Liebe, die meiner Meinung nach selten war. Man fand sie nur in Ausnahmefällen. Vermutlich würde ich jedoch nie das Glück haben, auf meine zweite Hälfte zu treffen – schließlich müsste er dafür auf dieses winzige Eiland kommen.

Aber davon träumen würde ich weiterhin.

2.

Gum biodh ràth le do thurus.

– Möge deine Suche erfolgreich sein. –

Freitag, 11. April

Ein paar Tage später, ich war gerade dabei eine Lieferung neuer Stifte in den dafür bereitgestellten Gläsern zu arrangieren, als ich das Mädchen – Jamie Pearsons vermeintliche Tochter – erneut vor meinem Laden stehen sah. Es war erst elf Uhr am Vormittag und trotzdem stand die Kleine hier vor meinem Schaufenster. Sie war wohl gerade aus der Schule gekommen, denn sie trug wieder ihre Schultasche auf dem Rücken. Ich schätzte sie auf acht oder neun Jahre. Noch gut erinnerte ich mich an diese Zeit, in der ich selbst zusammen Lin und Hailey die Schule in Salen besucht hatte. Wir hatten mit dem Bus eine halbe Stunde gebraucht, die wir, zu dritt in einen Zweiersitz gequetscht, mit viel Gekicher und Getuschel verbracht hatten. Obwohl ich damals schwer mit der Tatsache zu kämpfen gehabt hatte, dass meine Mutter uns von einem Tag auf den anderen verlassen hatte, erinnerte ich mich immer noch gerne an diese Zeit zurück.

Das Mädchen war offensichtlich genauso ein Bücherwurm, wie ich es in dem Alter gewesen war. Jedenfalls schien das Schaufenster meines Buchladens sie wie magisch anzuziehen, wenn ihr Weg sie direkt hierher anstatt nach Hause an den Esstisch, vor den Fernseher oder an ein anderes elektronisches Gerät führte. Sie erinnerte mich so sehr an mich selbst, dass ich spontan einen Entschluss fasste.

Langsam öffnete ich die Ladentür, damit ich das Mädchen nicht erschreckte und sie wieder davonlief, so wie letztes Mal als ich sie nur durch das Fenster angesehen hatte.

Heute war es windig, aber es regnete nicht. Dennoch trug die Kleine wieder ihren roten Regenmantel. Auf der Isle of Mull musste man ständig damit rechnen, dass das Wetter umschlug und es anfing zu schütten, von daher hatte sie genau die richtige Kleidung ausgewählt.

»Hey«, sagte ich leise und beobachtete, wie sich das Kind erschrocken in meine Richtung drehte. »Magst du reinkommen? Dann kannst du dir die Bücher besser ansehen.«

Sie schüttelte den Kopf und ihr Körper spannte sich an, schon im Begriff davonzueilen.

»Wie heißt du?«, fragte ich sie rasch, ehe ich meine Chance vollends vertat.

»Anna. Anna Pearson.« Mit großen dunklen Augen sah sie mich an. Also hatte Hailey recht gehabt. Sie war tatsächlich Jamies Tochter.

»Hi Anna. Ich bin Ally, die Besitzerin des Buchladens.«

»Hallo.« Anna trat von einem Fuß auf den anderen, dann sagte sie kleinlaut: »Ich hab kein Geld, um bei Ihnen was zu kaufen.«

Das war also der Grund, warum sie nie in den Laden kam. Da hätte ich auch von selbst draufkommen können. »Das ist doch nicht schlimm. Komm ruhig rein. Du kannst dich so lange umgucken, wie du magst, auch ohne etwas zu kaufen.«

Als sie an mir vorbeihuschte und sich im Innern des Ladens staunend umsah, schloss ich die Tür, um die kalte Luft draußen zu lassen. Anschließend setzte ich mich hinter die Ladentheke und blätterte in einer Zeitschrift, während Anna an den Regalen und Auslagen vorbeischlenderte und sich alles genau ansah. Von den bunten Bildern vor mir bekam ich allerdings nicht viel mit und erst recht nichts von den Texten. Zu sehr war meine Aufmerksamkeit auf das Mädchen gerichtet. Es interessierte mich, welches Buch sie als Erstes aus dem Regal ziehen würde. Immer mehr entspannte sich ihr Gesicht, und ihre Wangen färbten sich rosa.

Dann war es endlich so weit. Sie griff gezielt nach einem Buch. Es war ein Exemplar aus der Kinderabteilung, aber ich konnte noch nicht sehen, um welches es sich handelte. Doch dann erkannte ich, dass es die neue illustrierte Schmuckausgabe von Harry Potter war. Natürlich! Welches lesebegeisterte Kind hätte nicht nach diesem Buch gegriffen?

Schmunzelnd ging ich in den hinteren Raum, wo ich mir einen Tee kochte. Ich vertraute der Kleinen, sie sah nicht aus, als würde sie mir den Laden ausräumen, wenn ich mal nicht hinsah. Ich ließ ihr etwas Freiraum, während sie sich das Buch genau ansah.

Als ein Telefon klingelte, verschüttete ich beinah den Tee, den ich in einer Tasse balancierend in den Verkaufsraum trug.

»Hey Dad, ja bin zurück. Der Bus ist vor fünf Minuten angekommen. Bin grad in dem kleinen Buchladen in der Main Street.« Dann lauschte Anna auf das, was ihr Dad ihr zu sagen hatte. Ihr Blick schnellte zu mir und ein klitzekleines Lächeln zupfte an ihrem Mundwinkel. »Ja, ich denke, ich kann hier warten.« Als ich zustimmend den Daumen reckte, lächelte sie tatsächlich und ich freute mich, das Vertrauen der Kleinen ein Stück gewonnen zu haben. »Okay, bis dann.« Nachdem sie das Handy in ihrer Jackentasche verstaut hatte, sah sie zu mir. »Danke, Miss Ally.«

»Gern geschehen, aber nenn mich einfach nur Ally. Das Miss kannst du dir sparen, okay, Miss Anna?«

Sie kicherte. »Ich bin auch nur Anna.«

»Setz dich ruhig da in den Sessel«, sagte ich zu ihr und deutete auf die Leseecke, die ich gerne hin und wieder selbst nutzte. »Bis dein Dad da ist, kannst du ja noch ein bisschen in dem Harry-Potter-Buch lesen.«

Begeistert nickte sie und setzte sich. Ganz vorsichtig schlug sie den Einband auf und sah sich die Zeichnungen an. Ihr Mund formte die Worte still, während ihr Finger über die Seite des ersten Kapitels fuhr.

Oh ja! Dieses Kind erinnerte mich nicht nur ein bisschen an mich selbst. Wobei ich vermutlich nicht so niedlich ausgesehen hatte. Aufgrund einer Zahnfehlstellung hatte ich schon früh eine Zahnspange tragen müssen, damit die zweiten Zähne in die richtige Position hineinwachsen konnten, und die Brille hatte ich damals auch schon tragen müssen. Alles in allem hatte ich wie ein waschechter Nerd ausgesehen. Vor allem, weil man mich eigentlich nie ohne Buch durch die Gegend hatte laufen sehen. Immer und überall klemmte eins unter meinem Arm oder ich trug es vor mir her, während ich darin las.

Als ich auf die Uhr sah, sagte Anna: »Dad ist bestimmt gleich da. Er hat gesagt, er muss noch ein Spiel zu Ende spielen.«

»Ein Spiel?«

»Am Computer, deshalb hat er nicht so viel Zeit für mich. Da bekommt er manchmal Geld, wenn er gut ist«, erklärte sie mir.

War ihr Dad etwa so ein Glücksspieler? Poker? Einer, der seine Tochter deswegen vernachlässigte? Oh, bitte nicht! »Was arbeitet dein Dad?«

Sie lächelte und antwortete dann. »Als wir vor ein paar Wochen hergezogen sind, hat Dad ein paar Kühe gekauft und versorgt seit einigen Tagen die Lebensmittelläden der Insel mit frischer Milch.«

Okayyyyy.

Damit konnte er bestimmt nicht überleben. Offenbar war er tatsächlich in die Fußstapfen seiner Eltern getreten. »Und deine Mum?«

Ein Schatten legte sich auf das Gesicht der Kleinen und sie schwieg. Ich bereute schon, ihr die Frage gestellt zu haben, aber dann antwortete sie mir doch. »Die wohnt hier nicht. Sie hat ihr eigenes Leben.«

»Oh …« Weiter fiel mir nichts dazu ein. Zu sehr griffen meine eigenen Erinnerungen nach mir. Die Kleine und ich hatten ganz offensichtlich noch mehr Gemeinsamkeiten als die Liebe zu Büchern.

»Nicht schlimm. Ich kann sie besuchen, wann immer ich will. Dann hat sie Zeit für mich und Dad kann an seinem Computer sitzen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.« Sie zuckte mit den Schultern, als wäre es ganz normal, solche Eltern zu haben. Eine Mutter, die lieber ihr eigenes Leben führte und einen Vater, der Online-Spiele spielte, waren nicht gerade der Wegweiser in ein erfülltes Dasein, den ein Kind in ihrem Alter brauchte. Aber zumindest hatte sie noch Kontakt zu ihrer Mutter, war nicht völlig aus deren Leben ausgeschlossen. Sie hatte sich mit der Tatsache abgefunden, das spürte ich. Ob sie sich trotzdem fragte, warum sie nicht wichtig genug für die Mutter war, um wirklich ein Teil ihres Lebens zu sein? Ich tat dies zumindest noch immer.

Traurig sah ich sie an, versuchte, mir aber nichts anmerken zu lassen. Sie lächelte befangen und ich war unsicher, was ich nun mit ihr reden sollte. Also sah ich wieder in die Zeitung und als ich endlich einen Artikel fand, der mein Interesse erregte, breitete sich Stille im Laden aus. Die Stille zweier Lesender, die nur hin und wieder vom Rascheln der umblätternden Seiten unterbrochen wurde.

Doch irgendwann war meine Aufmerksamkeit erschöpft, und ich wurde wieder von meinen Gedanken abgelenkt. Ich blickte aus dem Fenster, sah über die Bucht und die Wellen, die vom offenen Meer hereingetragen wurden. Mit den Erinnerungen war das so eine Sache. Immer wieder kamen sie und nagten an mir. Ich wusste noch genau, dass meine Mutter es gehasst hatte, dass ich meine Nase ständig in Bücher steckte. Hin und wieder hatte sie mich deshalb sogar gemaßregelt. Doch die wenigen Erinnerungen, die ich noch an sie hatte, zeigten mir einen ständig unzufriedenen Menschen. Sie hatte sich oft mit meinem Vater gestritten, aber auch mit Granny hatte sie sich nicht gut verstanden. Gegipfelt waren diese Uneinigkeiten in jenem bestimmten Streit. An diesem Tag hatte ich meine Mutter das letzte Mal gesehen.

Kopfschüttelnd verscheuchte ich die Gedanken an vergangene Zeiten. An dem, was damals passiert war, konnte ich nichts mehr ändern. Dementsprechend griff ich nach dem Buch, das ich aktuell las und vertiefte mich in die Geschichte. Vielleicht würde mich das besser ablenken als der sachliche Artikel in der Zeitschrift.

Immerhin kamen in der Geschichte keine Kinder und Mütter vor, die mich in irgendeiner Weise an meine Kindheit erinnerten, stattdessen war der Thriller blutrünstig und der Schreibstil zog mich sofort in die Geschichte.

***

Ich war erstaunt, wie gut es funktioniert hatte, als einige Zeit später das Glöckchen über der Eingangstür bimmelte, was Anna und mich den Kopf heben ließ. Kurz schweifte mein Blick zur Uhr und ich stellte fest, dass fast eine halbe Stunde vergangen war, seit ich das Buch aufgeschlagen hatte. Dieser Thriller hatte mich sofort gepackt und am liebsten hätte ich sofort weitergelesen.

Ein dunkelhaariger Mann betrat mein Geschäft, der eine solch starke Präsenz besaß, dass mir die Räume meines Buchladens mit einem Mal viel zu klein erschienen. Er war mit Sicherheit fast zwei Meter groß, und seine Statur zeugte von regelmäßiger körperlicher Arbeit. Doch das allein war es nicht, was meinen Blick anzog. Er hatte eine solche Ausstrahlung, dass ich nicht anders konnte, als ihn anzuschauen und im Stillen zu staunen. Irgendwie kam er mir bekannt vor, aber ich konnte diese Erkenntnis nicht zuordnen.

Erst als Anna »Dad!« rief und von dem Sessel aufsprang und das Buch vorsichtig auf das Tischchen daneben legte, war mir klar, dass es sich um Jamie handeln musste. Das Kind flog dem Mann an die Brust und versank in seiner Umarmung.

»Hey, Bunny.« Jamie drückte seiner Tochter einen liebevollen Kuss auf den Scheitel, noch während er sie auf dem Arm hatte, und sah dann zu mir.

Dunkle Augen begegneten meinen und ich konnte nicht anders, als verlegen festzustellen, dass Hailey recht gehabt hatte. Dieser Mann hatte nichts mehr mit dem schlaksigen, pickligen Jamie von damals gemein und ich hätte ihn niemals wiedererkannt, wenn ich nicht gewusst hätte, wer er war. Er war groß und kräftig und … heiß!

Stopp!

»Hallo, Mister Pearson«, begrüßte ich ihn. Er musste ja nicht wissen, dass ich ihn kannte, auch wenn der Begriff kennen wohl etwas zu hoch gegriffen war. Er war bestimmt sechs Jahre älter als ich, dementsprechend hatten wir als Kinder nichts miteinander zu tun gehabt und ehe wir überhaupt Gelegenheit hatten, uns anzufreunden, war er von hier fortgezogen.

»Hallo«, freundlich lächelte er mich an, was mich dazu veranlasste, die Brille auf meiner Nase gerade zu rücken und mir durchs Haar zu fahren. »Danke, dass meine Tochter bei Ihnen auf mich warten durfte.« Behutsam stellte er Anna wieder auf ihren Füßen ab und strich ihr über das Haar.

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Nicht der Rede wert. Sie kann jederzeit hierherkommen und auf Sie warten.«

Erstaunt blickte er mich an. »Danke.«

»Kein Problem.« Um ihn nicht die ganze Zeit anzustarren, ging ich auf das Tischchen zu, griff nach dem Harry-Potter-Buch und wollte es zurück in das Regal stellen. Dabei nahm ich einen Hauch seines Aftershaves wahr und musste mir eingestehen, dass mir auch sein Duft ausgesprochen gut gefiel.

»Hey, ist das das Buch, von dem du mir erzählt hast? Harry Potter mit Bildern? Magst du das Buch haben, Bunny?«, fragte er.

Ich stutzte. Als Milchbauer auf einer kleinen schottischen Insel hatte er das Geld bestimmt nicht so locker sitzen, dass er mal eben dreißig Pfund für eine Schmuckausgabe ausgeben konnte. Deshalb rührte mich die Frage sehr. Am liebsten hätte ich Anna das Buch geschenkt, aber ich kannte sie gerade mal eine Stunde und es sähe vermutlich total bescheuert aus, wenn ich es wieder aus dem Regal ziehen und ihr geben würde.

»Au ja! Danke Dad!«, quietschte Anna und als ich mich mit dem Buch in der Hand zu ihr umdrehte und es ihr reichte, blickte ich in strahlende Kinderaugen. Ich freute mich mit ihr, dass sie diesen Wunsch erfüllt bekam.

»Sie können das Buch auch das nächste Mal bezahlen«, sagte ich zu Jamie.

Irritiert runzelte er seine Stirn. »Nein, das erledigen wir lieber gleich. Ich mag es nicht, Schulden zu haben.«

Darauf erwiderte ich nichts mehr und ging stattdessen zur Kasse, um den Betrag einzugeben. »Fünfzehn Pfund, bitte.«

Jamie zückte seine Karte und hielt sie mir hin. Ich vermied es, ihn anzusehen.

»Nein, das stimmt nicht. Da steht dreißig Pfund drauf. Du hast dich vertippt, Ally«, hörte ich Anna sagen und hätte am liebsten die Augen verdreht.

»Das Buch ist ein Ausstellungsstück, deshalb gibt es darauf Rabatt.«

»Ist es kaputt?«, wollte Anna wissen, hob das Buch vor ihr Gesicht und sah es sich ganz genau an.

»Haben Sie vielleicht noch ein anderes Exemplar? Dann können Sie dieses hier weiter als Ausstellungsstück verwenden und ich würde mich besser fühlen, wenn ich den vollen Preis zahle«, wandte Jamie mit dieser tiefen Stimme ein, die mich erneut