Ein unvermeidlicher Mord - Peter Robinson - E-Book
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Ein unvermeidlicher Mord E-Book

Peter Robinson

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Beschreibung

Politisches Statement oder eiskalte Rache? Als ein friedlicher Protest gegen Atomkraft plötzlich eskaliert, liegt am Ende die Leiche eines Polizisten auf den Pflastersteinen von Eastvale – eiskalt erstochen. Hat Dennis Osmond – Veranstalter der Demo und ausgerechnet liiert mit Polizeipsychologin Jenny Fuller – etwas mit den Ausschreitungen zu tun? Ist die Kommune sozialer Aussteiger, die sich auf einem einsamen Hof in den Dales niedergelassen haben, nicht so pazifistisch, wie sie vorgibt zu sein? Seine Vorgesetzten wollen die Außenseiter ins Visier nehmen, doch Banks richtet seine Aufmerksamkeit auf das Opfer selbst – wer hätte Grund gehabt, einen ehrenhaften Constable so grausam zu ermorden? »Ein unvermeidlicher Mord ist eine unvermeidliche Ergänzung in der Bibliothek jedes Krimi-Fans.« Toronto Star Ein weiterer Fall für Inspector Banks – alle Bände der »Yorkshire-Morde«-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 534

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses Buch:

Als ein friedlicher Protest gegen Atomkraft plötzlich eskaliert, liegt am Ende die Leiche eines Polizisten auf den Pflastersteinen von Eastvale – eiskalt erstochen. Hat Dennis Osmond – Veranstalter der Demo und ausgerechnet liiert mit Polizeipsychologin Jenny Fuller – etwas mit den Ausschreitungen zu tun? Ist die Kommune sozialer Aussteiger, die sich auf einem einsamen Hof in den Dales niedergelassen haben, nicht so pazifistisch, wie sie vorgibt zu sein? Seine Vorgesetzten wollen die Außenseiter ins Visier nehmen, doch Banks richtet seine Aufmerksamkeit auf das Opfer selbst – wer hätte Grund gehabt, einen ehrenhaften Constable so grausam zu ermorden?

Über den Autor:

Peter Robinson (1950-2022) wurde in Yorkshire geboren und lebte nach seinem Studium der englischen Literatur in Toronto, Kanada. Er wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Edgar Allan Poe Award. Seine Bestseller-Reihe um Inspector Alan Banks feierte internationale Erfolge und wurde auch als Fernsehserie adaptiert.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die »Yorkshire-Morde«-Reihe um Detective Chief Inspector Banks. Band 1 »Augen im Dunkeln« ist auch als Hörbuch bei AUDIOBUCH erhältlich.

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eBook-Neuausgabe Januar 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1989 unter dem Originaltitel »A Necessary End« bei Avon Books, New York.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1989 by Eastvale Enterprises Inc.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 by Econ Ullstein List Verlag GmbH Sc Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 9 978-3-98952-593-1

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Peter Robinson

Ein unvermeidlicher Mord

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Andree Hesse

dotbooks.

Widmung

Für Martin, Chris, Steve und Paul –

alte Freunde, die alle etwas beigetragen haben.

TEIL 1

Kapitel 1

Die Demonstranten standen dicht gedrängt im Märzregen vor dem Gemeindezentrum von Eastvale. Manche hielten selbst gefertigte Plakate hoch, doch die Anti-Atomkraft-Slogans waren im Nieselregen zerlaufen wie die Buchstaben im Vorspann von Horrorfilmen. Mittlerweile konnte man nur noch schwer erkennen, was sie aussagen wollten. Um halb neun war jeder gründlich durchnässt und hatte die Nase voll. Keine einzige Fernsehkamera nahm das Geschehen auf und nicht ein Reporter hatte sich unter die Menge gemischt. Protestaktionen waren out, die Medien interessierten sich nur noch für das, was drinnen vor sich ging.

Trotz aller Frustration hatten die Demonstranten bisher Geduld bewahrt. Ihre Haare waren klatschnass und das Wasser tropfte ihnen den Nacken hinab, doch noch hielten sie ihre unleserlichen Plakate hoch und hüpften seit über einer Stunde von einem Fuß auf den anderen. Nun aber begannen viele von ihnen Platzangst zu kriegen. Die North Market Street war eng und nur spärlich von altmodischen Gaslaternen beleuchtet. Von allen Seiten waren die Protestierenden von der Polizei eingekesselt, die so nah vorgerückt war, dass man sich in keine Richtung mehr bewegen konnte. Auf den Stufen vor den schweren Eichentüren stand eine zusätzliche Reihe von Polizisten Wache, und gegenüber der Halle blockierten weitere Beamte die Schlupflöcher, die jenseits des Cardigan Drive in die gewundenen Nebenstraßen und auf die offenen Plätze führten.

Nur um etwas Luft zu bekommen, begannen einige Leute an den Rändern schließlich zu drängeln. Die Polizei stieß sie rüde zurück. Der Aufruhr schwappte wie eine Welle bis in den dicht gedrängten Kern der Menge, wo die unterdrückte Wut zunahm. Als jemand ein Plakat auf den Kopf eines Polizisten niedergehen ließ, johlten die übrigen Demonstranten auf. Ein anderer warf eine Flasche. Ohne Schaden anzurichten, zerbrach sie hoch oben an einer Mauer. Dann begannen ein paar Leute ihre Fäuste in die Luft zu recken, und die Menge stimmte Sprechchöre an: »WIR WOLLEN REIN! LASST UNS REIN!« Vereinzelt brachen Handgemenge aus. Die Demonstranten kämpften um jeden Quadratzentimeter, während die Polizei sie zurückschob, um die Menge in Schach zu halten. Es war, als würde man auf dem Deckel eines kochenden Topfes sitzen; einer von beiden musste nachgeben.

Später konnte niemand genau sagen, wie es passierte oder wer damit begonnen hatte, doch die meisten Demonstranten, die befragt wurden, behaupteten, dass ein Polizist geschrien hätte »Haut den Arschlöchern auf die Fresse!« und dass die Wachen auf den Stufen mit gezogenen Schlagstöcken nach unten vorrückten. Dann ging die Hölle los.

Kapitel 2

Es war zu heiß im Gemeindezentrum. Detective Chief Inspector Alan Banks fummelte an seiner Krawatte herum. Er hasste Krawatten, und wenn er eine tragen musste, ließ er immer den obersten Knopf offen, um das beklemmende Gefühl erträglich zu machen. Diesmal aber spielte er nicht nur aus Unbehagen mit dem lockeren Knoten, sondern auch aus Langeweile. Er wünschte, er wäre zu Hause, einen Arm um Sandra gelegt und ein Glas mit gutem Single-Malt-Scotch in der anderen Hand.

Aber sein Zuhause war während der letzten zwei Tage ein kalter und einsamer Ort gewesen, denn Sandra und die Kinder waren weg. Ihr Vater hatte einen leichten Schlaganfall erlitten, und Sandra war nach Croydon gefahren, um ihrer Mutter beizustehen. Banks wünschte, sie wäre zurück. Sie hatten jung geheiratet, und er fand, dass ein Dasein als Single nach fast zwanzigjähriger (zumeist) glücklicher Ehe wenig zu bieten hatte.

Aber der Hauptgrund für Banks’ zunehmende schlechte Laune war ein besonders näselndes Exemplar des Monetarismus der Londoner Grafschaften, das sich hier im überfüllten Gemeindezentrum von Eastvales produzierte. Frau Honoria Winstantley, ihres Zeichens Parlamentsabgeordnete, war gekommen, um die Wogen der Nord-Süd-Beziehungen zu glätten. Sie beehrte Eastvale, weil es, obwohl keine Großstadt, die größte und wichtigste Stadt dieses Landesteils zwischen York und Darlington war. Außerdem erfreute sich die Stadt zurzeit eines noch nie da gewesenen und unerklärlichen Wachstums und zeichnete sich daher als leuchtendes Beispiel für die Kräfte des Volkskapitalismus aus. Banks, der höflichkeitshalber anwesend war, saß eingezwängt zwischen zwei schweigsamen Beamten der Special Branch, einer Art Verfassungsschutz des Staates. Bestimmt hatte Superintendent Gristhorpe ihm diese Aufgabe zugeteilt, weil er selbst keinerlei Verlangen danach hatte, der Abgeordneten Honoria zuzuhören. Wenn man ihn danach fragte, beschrieb sich Banks als gemäßigten Sozialisten, aber Politik langweilte ihn und Politiker machten ihn meistens wütend.

Gelegentlich blinzelte er nach links oder rechts und bemerkte dabei die wachsamen Blicke der Bodyguards neben sich, die jeden Moment eine terroristische Aktion zu erwarten schienen. Da er ihre wahren Namen nicht kannte, hatte er sie Chas und Dave getauft. Chas war der massige Typ mit den wässerigen Augen und der aufgedunsenen, roten Nase. Dave war mit dem hageren und hungrigen Äußeren eines Tory-Ministers gesegnet. Wenn jemand aus dem Publikum auf seinem oder ihrem Stuhl hin- und herrückte, eine Hand vor den Mund legte, um ein Husten zu unterdrücken, oder nach einem Taschentuch griff, ließen entweder Chas oder Dave die Hand unters Jackett zum Schulterhalfter gleiten.

Das ist alles so blödsinnig, dachte Banks. Wenn jemand Honoria Winstantley töten wollte, dann wegen der einschläfernden Rede, die sie auf das Publikum losließ. Auf der Liste der gängigen Mordmotive stand dieser Punkt ganz weit unten, doch jeder vernünftige Richter würde einen solchen Mörder ohne Zweifel freisprechen.

Während das Publikum applaudierte, hielt Ms. Winstantley inne und trank einen Schluck Wasser. »Und ich sage Ihnen allen«, fuhr sie äußerst pathetisch fort, »dass zu gegebener Zeit, wenn die Maßnahmen unserer Politik wirksam geworden sind und jede Spur von Sozialismus ausgemerzt wurde, alle Unstimmigkeiten beigelegt sein werden, und der Norden, diese wertvolle Wiege der Industriellen Revolution, tatsächlich genauso aufblühen wird wie der Rest unseres ruhmreichen Landes. Es wird wieder ein vereinigtes Königreich sein, vereinigt unter dem Banner des Unternehmergeistes, der Leistung und der harten Arbeit. Hier in Eastvale können Sie bereits erleben, wie es passiert.«

Banks legte eine Hand vor den Mund und gähnte. Er schaute nach links und sah, dass Chas derart angetan war von Honoria, dass er für einen Moment vergessen hatte, ein Auge für die IRA, die PLO, die Baader-Meinhof-Gruppe und die Roten Brigaden offen zu halten.

Dafür, dass kürzlich Mitglieder derselben Regierung dem Norden gesagt hatten, er solle aufhören, über die Arbeitslosigkeit zu jammern, da die meisten Probleme den armseligen Essgewohnheiten seiner Bewohner zuzuschreiben waren, kam die Rede gut an, dachte Banks. Doch bei einem Publikum, das fast ausnahmslos aus Mitgliedern der regionalen Konservativen Fraktion bestand – hauptsächlich kleine Geschäftsleute, Bauern und Grundbesitzer –, war solch eine uneingeschränkte Begeisterung nur zu erwarten. Die Anwesenden besaßen eine Menge Geld und außerdem ernährten sie sich bestimmt auch gut.

Es wurde noch heißer und stickiger, aber die Abgeordnete Honoria zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Ganz im Gegenteil erging sie sich in einem Exkurs über Aktienbesitz, was in ihren Worten so klang, als könnte jeder Engländer über Nacht zum Millionär werden, wenn die Regierung nur weiterhin staatliche Industriezweige und Behörden privatisierte.

Banks brauchte eine Zigarette. Erst vor kurzem hatte er wieder versucht, das Rauchen aufzugeben, allerdings vergeblich. Da in seinem Revier kaum etwas los war und Sandra und die Kinder fort waren, hatte er seinen Konsum sogar gesteigert. Sein einziger Fortschritt bestand darin, von Benson & Hedges Special Mild zu Silk Cut gewechselt zu sein. Er hatte irgendwo gehört, dass der Markenwechsel der erste Schritt dahin war, ganz mit dem Rauchen aufzuhören. Unglücklicherweise schmeckte ihm mittlerweile die neue Marke besser als die alte.

Als Honoria auf die Notwendigkeit der Erhaltung, ja der Ausweitung der amerikanischen Militärpräsenz in Großbritannien zu sprechen kam, rutschte er unruhig auf seinem Stuhl umher. Chas sah ihn herausfordernd an. Banks begann sich zu fragen, ob dieser letzte Exkurs vielleicht nur ein Umweg gewesen war, um auf das Thema zu kommen, das die vielen Anwesenden hören wollten.

Es hatte Gerüchte gegeben über ein Atomkraftwerk an der Küste jenseits des Moores von North York, nur sechzig Kilometer von Eastvale entfernt. Mit Sellafield im Westen war das selbst für einige der eher rechts gesinnten Einheimischen ein Kraftwerk zu viel. Schließlich konnte Radioaktivität eine ziemlich scheußliche Angelegenheit sein, wenn der eigene Wohlstand von Grund und Boden abhing. Jeder erinnerte sich noch an Tschernobyl und die Geschichten über kontaminierte Milch und verseuchtes Fleisch.

Und als wäre die friedliche Nutzung der Atomkraft nicht schon schlimm genug, so wurde auch noch über eine neue amerikanische Luftwaffenbasis in der Gegend gesprochen. Die Bevölkerung hatte bereits genug von tief fliegenden Kampfjets, die tagein, tagaus die Schallmauer durchbrachen. Wenn auch die Schafe sich daran gewöhnt zu haben schienen, der Tourismusbranche taten sie überhaupt nicht gut. Aber es sah so aus, als wollte Honoria das Thema in gewohnter Manier der Politiker umgehen und jeden mit Visionen von einem neuen goldenen Zeitalter blenden. Vielleicht würde man in der Fragestunde wieder darauf zurückkommen.

Nach einem hochfliegenden Geschwafel zur Bildungsreform, zu Gesetz und Ordnung, der Wichtigkeit militärischer Stärke und der Privatisierung des sozialen Wohnungsbaus endete Honorias Rede. Mit keinem Wort war sie auf das Atomkraftwerk oder die beabsichtigte Luftwaffenbasis eingegangen. Erst nach einer fünfsekündigen Pause bemerkte das Publikum, dass es vorbei war, und begann zu klatschen. In dieser Pause meinte Banks, von draußen Anzeichen eines Aufruhrs zu hören. Chas und Dave schienen den gleichen Verdacht zu haben; ihre Blicke schnellten zu den Türen und ihre Hände glitten unter ihre linken Achselhöhlen.

Kapitel 3

Draußen schlugen und traten Polizisten und Demonstranten wild aufeinander ein. Teile der dicht gedrängten Menge waren in kleine Gefechte auseinandergebrochen, doch in der Mitte blieb ein brodelnder, kämpfender Kern zurück. Jeder schien nur noch sich selbst und seinen persönlichen Kampf wahrzunehmen. Es gab keine Individuen mehr, nur noch Fäuste, Schlagstöcke, Stiefel und Uniformen. Manchmal, wenn ein Knüppel niederknallte, schrie jemand vor Schmerz auf, fiel auf die Knie und legte fassungslos die Hände auf den Blutstrom. Die Polizei steckte genauso viel ein, wie sie austeilte. Stiefel trafen auf Leisten, Fäuste auf Köpfe. Helme flogen weg, und die Demonstranten hoben sie auf, um sie an den Riemen geschleudert als Waffe zu benutzen. Wer hinfiel, egal auf welcher Seite er stand, wurde vom Rest überrannt; es gab keinen Platz, um auszuweichen, und keine Zeit für Mitgefühl.

Ein junger Polizist, von zwei Männern und einer Frau in die Mangel genommen, bedeckte sein Gesicht und schlug blind mit seinem Schlagstock um sich. Ein Mädchen, dem das Blut den Hals hinablief, trat auf einen Polizisten ein, der sich im Regen wie ein Fötus zusammengerollt hatte. Vier ineinander verkeilte Leute fielen hin, stürzten durch das Schaufenster von Winston’s Tabakladen und verstreuten die schöne Auslage aus Havannazigarren, Dosen mit aromatisiertem Pfeifentabak und exotischen türkischen und amerikanischen Zigarettenschachteln auf dem nassen Bürgersteig.

Das Polizeirevier von Eastvale befand sich nur hundert Meter die Straße hinab, direkt am Marktplatz. Als er den Lärm hörte, stürzte Sergeant Rowe nach draußen und schätzte rasch die Lage ab. Dann schickte er zwei Mannschaftswagen los, die an beiden Seiten die engen Straßen blockieren sollten, und eine Grüne Minna, um die Gefangenen einzusammeln. Außerdem forderte er im Krankenhaus Rettungswagen an.

Als die Demonstranten die Sirenen hörten, waren sich die meisten darüber im Klaren, dass sie in der Falle saßen. Die Raufereien hörten auf, die verängstigten Demonstranten wollten das Weite suchen. Einige konnten vorbeischlüpfen, bevor die Wagentüren geöffnet wurden. Zwei Leute schoben den Fahrer eines Wagens beiseite und rannten über den Marktplatz in die Freiheit. Ein paar andere warfen sich auf die Polizisten, die noch versuchten, die Schlupflöcher zu blockieren, schlugen sie nieder und machten sich auf in die Sicherheit und Dunkelheit der Nebenstraßen. Ein muskulöser Demonstrant kämpfte sich die Stufen zu den Türen des Gemeindezentrums hoch, zwei Polizisten im Genick, die versuchten, ihn zurückzuzerren.

Kapitel 4

Lauter und anhaltender Applaus erstickte alle anderen Geräusche. Die Männer der Special Branch ließen ihre Waffen los. Die Abgeordnete Honoria strahlte in das Publikum und hob triumphierend ihre gefalteten Hände über den Kopf.

Banks fühlte sich immer noch unbehaglich. Er war sicher, Geräusche eines Streites oder Kampfes von draußen gehört zu haben. Er wusste, dass eine kleine Demonstration geplant gewesen war, und fragte sich, ob es zu Ausschreitungen gekommen war. Aber was sollte er tun? Die Show musste weitergehen, um jeden Preis, und er wollte kein Aufsehen erregen, indem er aufstand und früher ging.

Wenigstens war die Rede vorbei. Wenn sich die Fragestunde nicht zu lange hinzog, könnte er in einer halben Stunde hinausgehen und eine Zigarette rauchen. In einer Stunde könnte er zu Hause bei seinem Scotch sein und Sandra am anderen Ende der Telefonleitung hören. Außerdem war er hungrig. In Sandras Abwesenheit hatte er begonnen, sich an der haute cuisine zu versuchen, und wenn bisher auch noch nicht alles ganz klappte – dem Curry fehlte die Würze, eine Fischcasserole war verkocht –, so machte er doch Fortschritte. Ein spanisches Omelette würde er ja wohl noch hinkriegen, oder?

Der Applaus verebbte, und der Vorsitzende eröffnete die Fragestunde. Als sich die erste Person erhob und nach dem beabsichtigten Standort für das Atomkraftwerk fragte, flogen die Türen auf und ein kräftiger, ungepflegter junger Mann taumelte mit zwei Polizisten im Schlepptau in den Saal. Ein Schlagstock krachte nieder, und die drei stürzten auf die letzte Sitzreihe. Der junge Mann schrie vor Schmerzen auf. Als die zerbrechlichen Stühle unter der Last der drei Männer umkippten und zersplitterten, kreischten ein paar Frauen auf und griffen nach ihren Pelzmänteln.

Chas und Dave fackelten nicht lange. Sie eilten zu Honoria, schirmten sie vom Publikum ab und verließen, angeführt von Banks, den Saal durch eine Hintertür. Jenseits der vollgestopften Lagerräume kam man durch einen Ausgang auf ein Gewirr von Seitenstraßen. Banks führte sie eine enge Gasse hinab, in der die Geschäfte der York Road ihren Abfall abluden. Im Nu hatten die vier die Straße überquert und betraten das alte Riverview Hotel, wo die Abgeordnete für diese Nacht untergebracht worden war. Zum ersten Mal an diesem Abend war sie still. Im gedämpften Licht der Hotellobby bemerkte Banks, wie bleich sie geworden war.

Erst als sie im Zimmer waren, einer Suite mit einem großartigen Blick auf die terrassenförmig angelegten Gärten am Fluss, entspannten sich Chas und Dave. Honoria seufzte und ließ sich aufs Sofa fallen. Dave verschloss die Tür und legte die Kette vor, während Chas zum Barschrank ging.

»Schenk mir ein Gin Tonic ein, ja, Schatz?«, sagte Honoria mit zittriger Stimme.

»Was zum Teufel war da los?«, fragte Chas und schenkte auch zwei Gläser Scotch ein.

»Keine Ahnung«, sagte Banks. »Draußen war eine kleine Demonstration. Ich nehme an, sie ist vielleicht ... «

»Ziemlich miese Sicherheitsvorkehrungen haben Sie hier«, sagte Dave, nahm seinen Drink und reichte Honoria ihren Gin Tonic.

Sie stürzte ihn runter und legte eine Hand auf die Stirn. »Mein Gott«, sagte sie, »ich dachte, hier würden nur Bauern und Pferdetrainer leben. Schaut mich an, ich zittere wie Espenlaub.«

»Hören Sie«, sagte Banks, der an der Tür stand. »Ich gehe besser und schaue, was passiert ist.« Es war offensichtlich, dass er keinen Drink bekommen würde, und er verspürte auch keinerlei Lust, den Prügelknaben für die Sicherheitsbeamten zu spielen. »Kommen Sie hier klar?«

»Hier sind wir auf jeden Fall wesentlich sicherer als dort«, sagte Dave. Dann wurde sein Ton etwas milder und er kam zu Banks an die Tür. »Ja, gehen Sie nur. Das ist jetzt Ihr Problem, Kumpel.« Er lächelte und senkte seine Stimme, deutete mit seinem Kopf in Honorias Richtung. »Sie ist unseres.«

In der Eile hatte Banks seinen Regenmantel im Gemeindezentrum vergessen, und seine Zigaretten steckten in der rechten Seitentasche. Beim Gehen sah er, wie Chas sich eine anzündete, aber es war ihm zu peinlich, ihn um eine zu bitten. Es war schon alles schlimm genug. Mit hochgeschlagenem Jackenkragen lief er hinunter zum Marktplatz, bog vor der Kirche nach rechts ab und blieb wie erstarrt stehen.

Die Verwundeten lagen stöhnend oder bewusstlos im Nieselregen. Die Polizei schlug sich immer noch mit denjenigen herum, die sie festgenommen hatte, und versuchte, sie auf die Rücksitze der Wagen oder in die Grüne Minna zu zwängen. Einige an den Haaren festgehaltene Demonstranten wanden sich und traten um sich und erhielten als Antwort Hiebe mit den Schlagstöcken. Andere gingen friedfertig mit. Sie waren jetzt verängstigt und müde; der größte Widerstand war gebrochen.

Banks stand wie angewurzelt da und beobachtete das Geschehen. Funkgeräte knisterten, Blaulichter rotierten. Die Verletzten schrien vor Schmerz und Schrecken, während Rettungssanitäter mit Tragen herumliefen. Man wollte es nicht glauben. Ein ausgewachsener Krawall in Eastvale, wenn auch in kleinem Ausmaß, war einfach undenkbar. An die steigende Kriminalitätsrate, die selbst so kleine Orte wie Eastvale mit gerade mal vierzehntausend Einwohnern heimsuchte, hatte sich Banks gewöhnt, aber Krawalle waren doch beschränkt auf Birmingham, Liverpool, Leeds, Manchester, Bristol oder London. Hier könnte so etwas nicht passieren, hatte er immer gedacht, wenn er kopfschüttelnd die Nachrichten aus Brixton, Toxteth und Tottenham sah.

Doch jetzt war es passiert, und die klagenden Opfer sowohl auf Seiten der Polizei wie der Demonstranten waren Zeugen dieser traurigen Wahrheit.

Die Straße war am Marktplatz nach Süden hin und in der Nähe der Stadthalle, an der Kreuzung mit der Elmet Street, nach Norden hin verbarrikadiert. Die Gaslaternen und beleuchteten Schaufenster der niedlichen Touristenläden voller Strickwaren aus Yorkshire, Wanderutensilien und regionaler Produkte warfen ihr Licht auf die chaotische Szenerie. Ein Junge, nicht älter als fünfzehn oder sechzehn, schrie auf, als ihn zwei Polizisten an den Haaren über das glitzernde Kopfsteinpflaster zerrten. Ein zerrissenes Plakat, auf dem einmal trotzig ATOMKRAFT? NEIN DANKE! gestanden hatte, flatterte im Märzwind, während die Regenfäden ein zartes Muster darauftröpfelten. Ein Polizist, ohne Helm und mit zerzaustem Haar, bückte sich, um einem anderen aufzuhelfen, dessen Schnurrbart mit Blut verklebt war und dessen Nase seltsam schief im Gesicht saß.

In den sich drehenden Blaulichtern kamen Banks die Nachwirkungen der Schlacht surreal vor. Verlängerte Schatten strichen über die Mauern. Für Sekunden tauchten im Licht seltsame Gegenstände auf der Straße auf und schienen dann wieder zu verschwinden: Ein umgedrehter Helm, eine leere Bierflasche, ein Schlüsselring, ein halb gegessener Apfel, der an den Rändern braun wurde, oder ein langer weißer Schal, der sich wie eine Schlange wand.

Aus dem Revier waren mehrere Polizisten zu Hilfe geeilt. Banks erkannte Sergeant Rowe, der hinter einem Mannschaftswagen an der Ecke stand.

»Was ist passiert?«, fragte er.

Rowe schüttelte den Kopf. »Die Demo ist außer Kontrolle geraten, Sir. Noch wissen wir nicht, wie oder warum.«

»Wie viele waren es?«

»Ungefähr hundert.« Er schwenkte seine Hand über die Szenerie. »Aber so was haben wir nicht erwartet.«

»Haben Sie eine Zigarette, Sergeant?«

Rowe gab ihm eine Senior Service. Nach Silk Cut war sie stark, aber er zog den Rauch trotzdem tief in seine Lungen.

»Wie viele sind verletzt?«

»Weiß ich noch nicht, Sir.«

»Und von unseren Leuten?«

»Tja, einige, nehme ich an. Ungefähr dreißig Beamte hatten die Aufgabe, die Menge im Zaum zu halten, aber die meisten von ihnen wurden auf Überstundenbasis aus York und Scarborough abgezogen. Craig war dabei, und der junge Tolliver. Ich habe beide noch nicht gesehen. Heute Nacht werden wir im Revier alle Hände voll zu tun haben. Sieht so aus, als hätten wir die Hälfte von ihnen geschnappt.«

Zwei Rettungssanitäter zuckelten mit einer Trage heran. Darauf lag eine Frau in mittleren Jahren, ihr linkes Auge war von Blut getrübt. Als sie vorbeigingen, drehte sie unter Schmerzen ihren Kopf zur Seite und spuckte Sergeant Rowe an.

»Verdammte Scheiße!«, sagte Rowe. »Das war Mrs. Campbell. Sie leitet die Sonntagsschule im Gemeindehaus am Cardigan Drive.«

»Der Krieg macht aus uns allen Tiere, Sergeant«, sagte Banks und wünschte, er könnte sich daran erinnern, wo er das gehört hatte. Dann wandte er sich ab. »Ich gehe besser ins Revier. Weiß der Superintendent schon Bescheid?«

»Es ist sein freier Tag, Sir.« Rowe schien immer noch fassungslos zu sein.

»Ich werde ihn lieber anrufen. Hatchley und Richmond auch.«

»Richmond ist da hinten, Sir.« Rowe zeigte auf einen großen, schlanken Mann, der nahe bei der Grünen Minna stand.

Banks ging hinüber und berührte Richmonds Arm.

Der junge Polizist zuckte zusammen. »Ach, Sie sind es, Sir. Entschuldigung, das hat mich ziemlich mitgenommen.«

»Wie lange sind Sie schon hier, Phil?«

»Ich kam raus, als uns Sergeant Rowe erzählte, was los ist.«

»Den Anfang haben Sie also nicht miterlebt?«

»Nein, Sir. In fünfzehn Minuten war alles vorbei.«

»Kommen Sie, wir gehen lieber rein und helfen den Kollegen.«

Im Revier herrschte Chaos. Jeder verfügbare Quadratzentimeter war von verhafteten Demonstranten besetzt worden, manche bluteten aus geringfügigen Schnittverletzungen und die meisten beschwerten sich lautstark über die Brutalität der Polizei. Als sich Banks und Richmond zum Treppenhaus durchboxten, rief eine vertraute Stimme hinter ihnen her.

»Craig!«, sagte Banks, als der junge Polizist zu ihnen aufgeschlossen hatte. »Was ist passiert?«

»Nicht viel, Sir«, schrie Craig über den Lärm hinweg. Sein rechtes Auge war dunkel und angeschwollen, aus einem Riss in der Lippe tropfte Blut. »Ich bin noch mal davongekommen.«

»Sie sollten im Krankenhaus sein.«

»Es ist wirklich nicht der Rede wert, Sir. Susan Gay wurde ins Krankenhaus gebracht.«

»Was hatte sie da draußen zu suchen?«

»Die Männer von der Schutzpolizei brauchten Hilfe, Sir. Wir sind einfach rausgegangen. Wir konnten nicht wissen, dass es so enden würde ... «

»Ist sie schwer verletzt?«

»Wohl nur eine Gehirnerschütterung, Sir. Sie wurde niedergeschlagen, und irgendein Arschloch hat ihr gegen den Kopf getreten. Das Krankenhaus hat gerade angerufen. Ein Dr. Partridge möchte Sie sprechen.«

Hinter ihnen brach ein Handgemenge aus. Jemand prallte gegen Richmonds Kreuz. Er fiel nach vorn und stieß Banks und Craig gegen die Wand.

Banks rappelte sich auf. »Kann mal jemand diese verdammten Leute zur Ruhe bringen!«, schrie er in den Raum. Dann wendete er sich wieder an Craig. »Ich werde mit dem Doktor sprechen. Aber rufen Sie den Superintendenten an, wenn es geht. Erzählen Sie ihm, was passiert ist, und bitten Sie ihn herzukommen. Sergeant Hatchley auch. Und dann gehen Sie ins Krankenhaus. Wenn Sie Susan einen Krankenbesuch abstatten, können Sie gleich mal Ihr Auge untersuchen lassen.«

»In Ordnung, Sir.« Craig kämpfte sich zurück durch die Menge, und Banks und Richmond gingen hoch in die Büros der Kriminalpolizei.

Zuerst griff Banks in seine Schreibtischschublade, wo er eine Zigarettenschachtel für Notfälle aufbewahrte, dann wählte er die Nummer des Allgemeinen Krankenhauses von Eastvale.

Der Doktor wurde ausgerufen und kam eine Minute später ans Telefon.

»Gibt es schwere Verletzungen?«, fragte Banks.

»Hauptsächlich handelt es sich nur um Schnitte und Schwellungen. Ein paar leichte Kopfwunden. Alles in allem würde ich sagen, es sieht schlimmer aus, als es ist. Aber deshalb habe ich nicht ... «

»Was ist mit Constable Gay?«

»Mit wem?«

»Susan Gay. Die Polizistin.«

»Ach so, ja. Ihr geht es gut. Sie hat eine Gehirnerschütterung. Wir werden sie zur Beobachtung über Nacht hierbehalten, und nach ein paar Tagen wird sie wieder auf den Beinen sein. Hören Sie, ich verstehe Ihre Sorge, Detective Chief Inspector, aber ich wollte mit Ihnen über etwas anderes sprechen.«

»Um was geht es denn?« Für einen Augenblick spürte Banks den eisigen Schauer einer irrationalen Angst. Sandra? Die Kinder? Das Ergebnis seiner letzten Röntgenuntersuchung der Lunge?

»Es hat einen Todesfall gegeben.«

»Bei der Demonstration?«

»Ja.«

»Fahren Sie fort.«

»Tja, es handelt sich eher um Mord, schätze ich.«

»Schätzen Sie?«

»Ich meine, es sieht danach aus. Ich bin kein Pathologe. Ich bin nicht qualifiziert ... «

»Wer ist das Opfer?«

»Ein Polizist. Constable Edwin Gill.«

Banks runzelte die Stirn. »Den Namen kenne ich nicht. Woher kommt er?«

»Einer der anderen sagte, er wäre aus Scarborough abgezogen worden.«

»Wie ist er gestorben?«

»Tja, das ist genau der Punkt. Nach dem, was da los war, würde man eine Schädelfraktur erwarten oder eine Platzwunde.«

»Aber?«

»Er wurde erstochen. Als er zu uns kam, war er noch am Leben. Leider haben wir nicht ... Zuerst war keine Wunde zu sehen. Wir dachten, er sei einfach wie die anderen niedergeschlagen worden. Er starb, bevor wir etwas tun konnten. Innere Blutungen.«

Banks legte eine Hand auf den Hörer und drehte seine Augen zur Decke. »Scheiße!«

»Hallo, Chief Inspector? Sind Sie noch da?«

»Ja. Entschuldigen Sie, Doktor. Danke, dass Sie so schnell angerufen haben. Ich werde noch mehr Polizeiwachen runterschicken. Niemand darf gehen, egal wie leicht die Verletzungen sind. Ist jemand vom Revier aus Eastvale bei Ihnen? Jemand bei Bewusstsein, meine ich.«

»Einen Moment.«

Dr. Partridge kam mit Constable Tolliver zurück, der Susan Gay im Krankenwagen begleitet hatte.

»Hör genau zu, Junge«, sagte Banks. »Wir haben hier alle Hände voll zu tun, also musst du die Sache im Krankenhaus allein regeln.«

»Ja, Sir.«

»Sobald ich jemanden entbehren kann, schicke ich euch weitere Leute, aber bis dahin gib dein Bestes. Niemand, der am Tumult heute Abend beteiligt war, darf verschwinden, hast du verstanden?«

»Ja, Sir.«

»Das schließt auch unsere Leute mit ein. Ich kann mir denken, dass einige von ihnen unbedingt nach Hause wollen, nachdem sie verarztet wurden, aber ich brauche Aussagen und ich brauche sie, solange in den Köpfen noch alles frisch ist. Okay?«

»Ja, Sir. Hier sind noch zwei, drei Kerle ohne ernsthafte Verletzungen. Wir werden uns darum kümmern.«

»Gut. Hast du von Gill gehört?«

»Ja, Sir. Der Doktor hat es mir erzählt. Ich kannte ihn nicht.«

»Es wäre besser, wenn du jemanden findest, der ihn offiziell identifizieren kann. Hatte er Familie?«

»Keine Ahnung, Sir.«

»Finde es heraus. Wenn er eine hatte, weißt du, was zu tun ist.«

»Ja, Sir.«

»Und lass Dr. Glendenning kommen. Er muss die Leiche untersuchen. Wir müssen in der Sache schnell handeln, bevor alle Spuren kalt werden.«

»Ich verstehe, Sir.«

»Gut. Dann mal los.«

Banks legte auf und drehte sich zu Richmond, der nervös in der Tür stand und über seinen Schnurrbart strich. »Gehen Sie bitte runter, Phil, und sagen Sie jedem, der im Dienst ist, dass er die Leute beruhigen und darauf aufpassen soll, dass niemand abhaut. Dann rufen Sie in York an und fragen, ob die für heute Nacht noch ein paar Kollegen entbehren können. Wenn nicht, versuchen Sie es in Darlington. Und außerdem kümmern Sie sich darum, dass die Straße vom Marktplatz bis zur Stadthalle abgesperrt wird.«

»Was ist los?«, wollte Richmond wissen.

Banks seufzte und fuhr mit einer Hand durch sein kurzgeschorenes Haar. »Sieht so aus, als hätten wir einen Mord am Hals und hundert oder mehr Verdächtige.«

TEIL 2

Kapitel 5

Das Windspiel klapperte, und der Regen prasselte auf das wilde Heidegras. Mara Delacey hatte gerade die Kinder zu Bett gebracht und ihnen aus den Geschichten des Eichhörnchens Nutkin von Beatrix Potter vorgelesen. Jetzt konnte sie sich entspannen, konnte die Ruhe und Einsamkeit genießen, das Zusammenspiel der Stille und der Geräusche der Natur. Es erinnerte sie an frühere Zeiten, als sie noch nach ihrem Mantra meditierte.

Wie immer war es ein anstrengender Tag gewesen: Wäsche waschen, das Essen kochen, auf die Kinder aufpassen. Dazwischen hatte sie noch ein paar Stunden Zeit gefunden, im Hinterraum von Elsbeths Kunstgewerbeladen zu töpfern. Wenn es ihr Lebensschicksal war, eine Erdenmutter zu sein, dachte sie mit einem Lächeln, dann war es besser, dies hier zu sein, weit entfernt von den strengen Regeln und der selbstgerechten Spiritualität des Ashrams, wo sie nach dem Essen nicht einmal eine Zigarette rauchen durfte. Sie war froh, diesen ganzen Mist hinter sich gelassen zu haben.

Jetzt hatte sie wenigstens etwas Zeit ganz für sich, ohne immer das Gefühl zu haben, sie müsste unter die Leute, um sie zu bekehren oder Lobeshymnen auf ihren Guru zu singen. Seit er wegen Betrugs und Steuerhinterziehung im Gefängnis saß, taten das sowieso nicht mehr viele. Seine Anhänger waren in alle Winde verstreut: Manche, einsam und verlassen, waren losgezogen, um sich neue Führer zu suchen; andere, wie Mara, hatten sich anderen Lebensinhalten zugewandt.

Seth Cotton hatte sie ein Jahr, nachdem er einen Hof in der Nähe von Relton gekauft hatte, kennen gelernt. In dem Moment, in dem er ihr den Hof, den er Maggie’s Farm getauft hatte, das erste Mal zeigte, wusste sie, dass er ihr Zuhause werden musste. Es war ein typisches Bauernhaus der Dales aus dem achtzehnten Jahrhundert, der inmitten einiger Morgen Land in der Heide über dem Tal lag. Die Mauern waren aus Kalkstein errichtet, die Ecken mit Sandstein verkleidet und das Dach war mit Steinschindeln bedeckt. Nischenfenster gingen nach Norden über das Tal, und in die schweren, von Mauerwerk gestützten Türbalken waren die Initialen T.J.H., die für den ursprünglichen Besitzer standen, sowie die Jahreszahl 1765 geritzt. Der einzige Zusatz außer Seths Werkstatt, ein Schuppen am hinteren Ende des Gartens, war ein Kalksteinvorbau mit einem Schieferdach. Jenseits des hinteren Gartenzaunes, ungefähr fünfzig Meter östlich des Haupthauses, stand eine alte Scheune, die Seth gerade renovierte, als sie ihn kennen lernte. Er hatte sie in ein oberes Studioapartment, in dem der Künstler Rick Trelawney mit seinem Sohn lebte, und eine Einzimmerwohnung im Erdgeschoss aufgeteilt, die von Zoe Hardacre und ihrer Tochter bewohnt wurde. Paul, ihr neuester Mieter, hatte ein Zimmer im Haupthaus.

Obwohl die Einrichtung der Scheune moderner war, bevorzugte Mara das Bauernhaus. Die Eingangstür führte direkt in das geräumige Wohnzimmer, einen sauberen und gepflegten Ort, der mit allem möglichen Krimskrams eingerichtet war: Einem Perserimitat, einem neu gepolsterten Sofa aus den fünfziger Jahren sowie einem großen Tisch und vier Stühlen aus weißer Kiefer, die Seth eigenhändig getischlert hatte. Große Kissen aus grobem Stoff lehnten der Gemütlichkeit halber an den Wänden.

An der Wand gegenüber dem Steinkamin hing ein riesiger Wandteppich mit einer chinesischen Landschaft. Gewaltige Berge waren darauf zu sehen, deren schneebedeckte Gipfel über den Kiefernwäldern nadelscharf in den Himmel ragten. Auf halber Höhe bewegten sich vereinzelte Grüppchen von Menschen einen gewundenen Pfad hinauf. Mara schaute sich das Bild häufig an. In dem Zimmer gab es kein Deckenlicht. Die Stehlampen stellte sie nur schwach ein und ergänzte sie mit dicken roten Kerzen, denn sie mochte die Schatten, die die Flammen auf den Wandteppich und die weiß getünchten Steinwände warfen. Sie kuschelte sich mit Vorliebe in einen alten Schaukelstuhl in der Nähe des Fensters, den Seth restauriert hatte. Von dort konnte sie deutlich das Windspiel hören, während sie Wein trank und las.

Früher hatte sie Kerouac, Burroughs, Ginsberg, Carlos Castaneda und all die anderen verschlungen, doch mit achtunddreißig fand sie deren Werke peinlich pubertär. Mittlerweile bevorzugte sie wieder die Klassiker, an die sie sich aus ihrem Studium erinnerte. Diese langatmigen, viktorianischen Romane hatten etwas an sich, was zu einem so einsamen und ruhigen Ort wie Maggie’s Farm passte.

Jetzt wollte sie sich hinsetzen und in Die Mühle am Floß versinken. Eine selbst gedrehte Old Holborn und ein Glas Barsac würden es noch gemütlicher machen. Und vielleicht etwas Musik. Sie ging zur Stereoanlage, wählte Holsts The Planets aus, die Seite mit »Saturn«, »Uranus« und »Neptun«, machte es sich dann im Schaukelstuhl bequem, um im Kerzenlicht zu lesen. Die anderen waren alle auf der Demo, und bestimmt würden sie auf dem Rückweg auf ein oder zwei Bier im Black Sheep in Relton Halt machen. Die Kinder schliefen oben im Gästezimmer, also musste sie nicht rüber zur Scheune hasten, um nach ihnen zu sehen. Es war jetzt halb zehn. Sie würde wohl noch ein paar Stunden für sich haben.

Aber sie schien sich nicht konzentrieren zu können. Das Prasseln draußen hörte auf. Es wurde abgelöst von dem gleichmäßigen Tropfen des Regens aus den Dachrinnen, vom Vorbau und den Bäumen, die Maggie’s Farm vor den strengen Westwinden schützten. Das Windspiel klang nun wie Warnglocken. Irgendetwas lag in der Luft. Wenn Zoe zu Hause wäre, hätte sie sicherlich wieder mit ihren Geschichten von übersinnlichen Kräften angefangen – wahrscheinlich lag es am Mond.

Mara schüttelte mit einem Achselzucken ihr Unbehagen ab und widmete sich wieder ihrem Buch. »Und dies ist die Mühle von Dorlcote. Ich muss eine oder zwei Minuten hier auf der Brücke verharren und sie anschauen, auch wenn die Wolken bedrohlich wirken und es schon spät am Nachmittag ist ... « Es ging nicht, sie war nicht in der richtigen Stimmung. George Eliots Zauber wirkte heute Abend einfach nicht. Mara legte das Buch nieder und konzentrierte sich auf die Musik.

Als gegen Ende von »Neptun« der entrückte Chor einsetzte, öffnete sich die Eingangstür mit einem Knarren und Paul hetzte herein. Seine Armeejacke war dunkel vom Regen und die enge Jeans klebte ihm an den spindeldürren Beinen.

Mara runzelte die Stirn. »Du bist früh zurück«, sagte sie. »Wo sind die anderen?«

»Keine Ahnung.« Paul war außer Atem, seine Stimme klang zittrig. Er zog seine Jacke aus und hängte sie an den Haken an der Tür. »Ich bin ganz allein über die Heide zurückgerannt.«

»Aber das sind mehr als sechs Kilometer. Was ist los, Paul? Warum hast du nicht auf Seth und die anderen gewartet? Du hättest im Wagen mitfahren können.«

»Es hat Ärger gegeben«, sagte Paul. »Die Sache ist völlig aus dem Ruder gelaufen.« Er nahm eine Zigarette aus seiner Schachtel Players und zündete sie an. Er hielt sie in der hohlen Hand, wie Soldaten es in alten Kriegsfilmen tun. Seine Hände zitterten. Mara fiel wieder auf, wie kurz und dick seine Finger waren. Die Nägel waren bis aufs Fleisch abgekaut. Sie drehte sich eine neue Zigarette. Paul begann, im Zimmer auf und ab zu laufen.

»Was ist denn das?«, fragte Mara und zeigte erschrocken auf eine wunde Stelle am Knöchel seines linken Daumens. »Das sieht wie Blut aus. Du hast dich verletzt.«

»Das ist nichts.«

Mara streckte ihre Hand aus, aber er zog seine zurück.

»Warte, ich hol dir ein Pflaster.«

»Ich hab doch gesagt, es ist nichts. Ich kümmere mich später darum. Willst du gar nicht wissen, was passiert ist?«

Mara wusste, dass es nichts brachte, wenn sie darauf bestand, ihn erst zu verarzten. »Okay, dann setz dich hin«, sagte sie. »Es macht mich ganz verrückt, wenn du ständig auf und ab läufst.«

Paul ließ sich auf die Kissen an der Wand fallen, wobei er darauf achtete, seine blutige Hand zu verbergen.

»Und?«, sagte Mara.

»Die Polizei ist auf uns losgegangen, das ist passiert. Verdammte Arschlöcher.«

»Warum?«

»Sie haben uns einfach fertig gemacht, das ist alles. Frag mich nicht, warum. Keine Ahnung, was im Kopf eines Bullen vor sich geht. Kann ich ein bisschen Wein haben?«

Mara schenkte ihm ein Glas Barsac ein. Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe vergessen, dass du das süße Zeug nicht magst. Im Kühlschrank ist noch Bier.«

»Super.« Paul zog sich hoch und ging in die Küche. Als er zurückkam, hatte er eine Dose Carlsberg in der Hand. Auf seinem Daumen klebte ein Pflaster.

»Was ist mit den anderen?«, wollte Mara wissen.

»Keine Ahnung. Eine Menge Leute sind verhaftet worden. Die Polizei ist einfach in die Menge gestürmt und hat die Leute nach allen Seiten rausgezogen. Viele sind auch im Krankenhaus.«

»Wart ihr nicht alle zusammen?«

»Am Anfang schon, ganz vorne, aber als der Kampf losging, wurden wir getrennt. Ich bin irgendwie an ein paar Bullen vorbeigeschlichen und in einer Gasse verschwunden. Dann bin ich durch Seitenstraßen und über die Heide bis hierher gerannt. Ich bin völlig kaputt.« Je aufgeregter er wurde, desto mehr kam sein Liverpooler Akzent durch.

»Also sind die Leute davongekommen?«

»Manche, ja. Aber ich weiß nicht, wie viele. Ich bin nicht dageblieben, um auf die anderen zu warten. Jeder musste an sich selbst denken, Mara. Als ich Rick das letzte Mal sah, versuchte er, auf den Marktplatz zu kommen. Zoe konnte ich nicht sehen. Du weißt ja, wie klein sie ist. Es war ein richtiges Massaker. Sie fuhren plötzlich alles auf, von Wasserwerfern bis Gummigeschossen. Ich habe schon einigen Ärger erlebt, aber mit so was hätte ich nie gerechnet, nicht in Eastvale.«

»Was ist mit Seth?«

»Tut mir leid, Mara. Ich habe keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Aber mach dir keine Sorgen, es wird ihnen schon gut gehen.«

»Ja.« Mara drehte sich weg und schaute aus dem Fenster. Sie konnte ihr Spiegelbild auf der dunklen, vom Regen verschmierten Scheibe sehen. Es sah aus, als würde aus ihrer rechten Schulter eine Kerzenflamme brennen.

»Vielleicht sind sie davongekommen«, setzte Paul hinzu. »Vielleicht sind sie gerade jetzt auf dem Rückweg.«

Mara nickte. »Vielleicht.«

Aber sie wusste, dass es Ärger geben würde. Bald würde die Polizei da sein, herumschnüffeln und alle tyrannisieren, genau wie damals, als Seths alte Freundin Liz aus dem Irrenhaus weggelaufen war und sich für ein paar Tage bei ihnen versteckt hatte. Da Liz früher drogenabhängig gewesen war, suchte die Polizei damals nach Heroin. Aber soweit sich Mara erinnern konnte, hatten sie in der gesamten Wohnung nur eine riesige Unordnung angerichtet. Ihr gefiel eine solche Störung ihres Lebens nicht und sie wollte das nicht noch einmal durchmachen.

Sie griff nach der Weinflasche, aber noch bevor sie sich ein neues Glas einschenken konnte, sprang die Eingangstür erneut auf.

Kapitel 6

Als Banks die Treppen hinabging, war die Lage entschieden ruhiger geworden. Richmond hatte den uniformierten Beamten geholfen, alle Verhafteten in den Keller zu führen, bis sie verhört, angeklagt und freigelassen werden konnten. Das Revier von Eastvale hatte nicht viele Zellen, aber dort unten gab es eine Menge unbenutzten Lagerraum.

Auch Sergeant Hatchley war eingetroffen. Strohblond und einen Kopf größer als die anderen, sah er wie ein abgehalfterter Rugbystürmer aus. Er lehnte am Tresen beim Eingang und machte ein verblüfftes und verärgertes Gesicht, als Richmond ihm erzählte, was vorgefallen war.

Banks ging zu ihnen. »Ist der Superintendent schon hier?«

»Auf dem Weg, Sir«, entgegnete Richmond.

»Würden Sie alle zusammentrommeln, solange wir warten?«, fragte Banks. »Ein paar Dinge möchte ich gleich bekannt geben.«

Richmond ging in das Großraumbüro, die Domäne der uniformierten Polizei von Eastvale, und sammelte jeden ein, den er finden konnte. Die Männer und Frauen saßen auf den Schreibtischen oder lehnten sich gegen die Trennwände und warteten auf Anweisungen. Einige von ihnen wiesen noch Spuren der vergangenen Schlacht auf: ein geschwollener Wangenknochen, zerrissene Uniformen, ein blaues Auge, gebrochene Nasenbeine.

»Weiß jemand, wie viel genau wir verhaftet haben?«, fragte Banks als Erstes.

»Sechsunddreißig, Sir.« Es hatte ein Constable mit aufgeschlagener Lippe geantwortet, dem an der Uniformjacke der oberste Knopf fehlte. »Und ich habe gehört, dass im Krankenhaus zehn weitere sind.«

»Irgendwelche ernsthaften Verletzungen?«

»Nein, Sir. Außer, nun ja, außer Constable Gill.«

»Ja. Wenn also ungefähr hundert Leute auf der Demo waren, stehen die Chancen fast fünfzig zu fünfzig, dass wir den Mörder bereits haben. Zuerst möchte ich, dass jeder durchsucht und nach Gills Blutspuren untersucht wird und dass von jedem Fingerabdrücke genommen werden. Constable Reynolds, würden Sie als Verbindungsmann zum Krankenhaus fungieren?«

»In Ordnung, Sir.«

»Dort wird genauso verfahren. Bitten Sie den Doktor, die zehn Patienten nach Blutspuren zu untersuchen. Als Nächstes müssen wir die Tatwaffe finden. Alles, was wir bisher wissen, ist, dass Gill erstochen wurde. Wir wissen nicht, welche Art Messer benutzt wurde, also ist jeder Gegenstand mit einer Klinge verdächtig, vom Küchenmesser bis zum Stilett. Aus York sind zusätzliche Leute unterwegs, aber ich möchte, dass ein paar von Ihnen die Straße sofort gründlich absuchen. Das schließt auch einen sorgfältigen Blick in die Gullys mit ein. Soweit alles klar?«

Jemand brummte: »Ja, Sir.« Andere nickten.

»Okay. Jetzt kommen wir zum schwierigen Teil. Wir brauchen eine Liste der Namen. Von jedem, den wir haben, sowie jeden anderen, den wir aus ihnen herauskriegen. Denken Sie daran, ungefähr sechzig Leute sind davongekommen, und wir müssen wissen, wer sie sind. Wenn jemand von Ihnen sich daran erinnern kann, ein bekanntes Gesicht gesehen zu haben, jemanden, der weder hier noch im Krankenhaus ist, dann notieren Sie das. Ich nehme an, dass die Leute, die wir verhören, ihre Freunde nicht verraten wollen, aber bearbeiten Sie sie ein bisschen, versuchen Sie Ihr Bestes. Lassen Sie sich auf keine Ausflüchte ein. Nutzen Sie jeden Kniff, den Sie drauf haben. Wir wollen auch wissen, wer die Organisatoren waren und welche Gruppierungen vertreten waren.

Ich möchte von allen eine Aussage, selbst wenn sie nichts zu sagen haben. Wir werden die Verhöre getrennt abhalten, also legen Sie sich ins Zeug. Halten Sie sich an den Mord, fragen Sie nach jeder Person mit einem Messer. Finden Sie heraus, ob wir irgendwelche aktenkundigen Unruhestifter in den Zellen haben. Sehen Sie sich die Akten an, vielleicht bringen uns die weiter. Wenn Sie glauben, dass jemand lügt oder ausweichend reagiert, setzen Sie ihn mächtig unter Druck, machen Sie dann neben der Aussage einen Vermerk zu Ihren Vorbehalten. Mir ist klar, dass wir von Papierkram überschwemmt werden, aber es geht nicht anders. Irgendwelche Fragen?«

Niemand sagte ein Wort.

»Gut. Noch etwas: Wir brauchen auch die Aussagen aller Zeugen, nicht nur der Demonstranten. In den Wohnungen, von denen aus man in die Straße sehen kann, muss jemand die Sache beobachtet haben. Gehen Sie von Haus zu Haus. Und zerbrechen Sie sich Ihren eigenen Kopf. Sie wissen, dass es eine offizielle Untersuchung zu der Frage geben wird, warum das alles überhaupt passieren konnte. Deshalb sollte jeder von Ihnen, der dabei war, gleich eine Aussage machen, solange die Vorgänge noch frisch im Gedächtnis sind. Ich möchte, dass alle Aussagen morgen in aller Frühe getippt auf Superintendent Gristhorpes Schreibtisch liegen.«

Banks schaute auf seine Uhr. »Jetzt ist es halb zehn. Wir legen besser gleich los. Habe ich irgendwas übersehen?«

Einige Beamte schüttelten den Kopf, andere standen schweigend da. Schließlich hob eine Polizistin ihre Hand. »Was machen wir mit den Leuten, Sir, nachdem wir alle Aussagen haben?«

»Verfahren Sie wie gewöhnlich«, sagte Banks. »Stellen Sie nur die Anklage und lassen Sie sie gehen, wenn Sie keinen Grund haben zu glauben, sie haben was mit Gills Tod zu tun. Sie werden so schnell wie möglich vor Gericht geladen. Ist das alles?« Er hielt inne, aber niemand sagte etwas. »Gut. Dann los. Ich will von jeder Spur wissen, sobald sie sich ergibt. Mit ein bisschen Glück können wir das bis morgen früh abgewickelt haben. Und würde jemand ein paar von den Verhafteten hochbringen? Sobald der Superintendent eingetroffen ist, werden drei von uns oben verhören.« Er wandte sich an Richmond. »Wir brauchen Sie am Computer, Phil. Es werden ein Menge Akten kontrolliert werden müssen.«

»Der Superintendent ist jetzt hier, Sir.« Constable Telford zeigte zur Tür, die außerhalb von Banks’ Sichtfeld lag.

Superintendent Gristhorpe, ein massiger Mann Ende fünfzig mit buschigen, grauen Haaren und Augenbrauen, rotem, pockennarbigem Gesicht und borstigem Schnurrbart ging zur Treppe, wo die drei Kriminalbeamten standen. Sein Blick, normalerweise arglos wie der eines Babys, war von Sorgen getrübt. Dennoch erzeugte seine Anwesenheit eine Aura der Ruhe und gelassenen Besonnenheit.

»Bist du im Bilde?«, fragte Banks.

»Ja«, sagte Gristhorpe. »Ich kenne noch nicht alle Einzelheiten, aber es reicht. Lass uns hochgehen, dann kannst du mir bei einer Tasse Kaffee alles erzählen.« Er legte behutsam eine Hand auf Banks Arm.

Banks wandte sich an Sergeant Hatchley. »Sie können schon mal mit den Verhören anfangen«, sagte er. »Wenn ich den Superintendent informiert habe, werden wir Ihnen sofort helfen.« Dann trotteten die vier Kriminalbeamten nach oben. Constable Telford schob ein Paar nasser, verängstigter Demonstranten hinter ihnen die Treppe hoch.

Kapitel 7

»Zoe! Gott sei Dank ist dir nichts passiert!«

in dem glitzernden roten Anorak. Ihr kupferrotes Haar war klatschnass, sodass man die dunklen Wurzeln sehen konnte. Regen tropfte auf die Strohmatte vor der Türschwelle. Sie schlüpfte aus ihrer Jacke, hängte sie neben die von Paul und ging auf die beiden zu, um sie zu umarmen.

»Hast du ihr erzählt, was passiert ist?«, fragte sie Paul.

»Ja.«

Zoe schaute Mara an. »Wie war es mit Luna?«

»Problemlos. Sie ist eingeschlafen, als das Eichhörnchen Nutkin Mr. Brown mit einer Nessel zu kitzeln begann.«

Ein kurzes Lächeln huschte über Zoes Gesicht. Sie ging zum Bücherregal hinüber. »Ich habe heute Morgen ein I Ching gelegt«, sagte sie, »und es kam ›Konflikt‹ heraus. Ich hätte wissen sollen, was passieren wird.« Sie schlug das Buch auf und las daraus vor: »›Konflikt. Du bist offen und du bist blockiert. Ein sicherer Halt auf halbem Weg bringt Glück. Bis zum Ende zu gehen bringt Unglück. Es bringt einen dazu, den großen Mann zu erkennen. Es bringt einen nicht dazu, das große Wasser zu überqueren‹«

»Man darf das nicht so wörtlich nehmen«, sagte Mara. »Das ist das Problem. Es sagt dir nicht, was passieren wird oder wie es passieren wird.« Obwohl sie selbst sehr an I Ching und Tarot interessiert war, dachte Mara oft, dass Zoe zu weit ging.

»Für mich ist es ganz eindeutig. Ich hätte wissen müssen, dass so etwas passieren würde: ›Bis zum Ende zu gehen bringt Unglück‹ Genauer kann man es gar nicht gesagt bekommen.«

»Was wäre gewesen, wenn du es gewusst hättest?«, meinte Paul. »Du hättest die Demo nicht absagen können, oder? Du wärst trotzdem hingegangen. Alles wäre genauso abgelaufen.«

»Ja«, murmelte Zoe, »aber ich wäre darauf vorbereitet gewesen.«

»Wie denn?«, fragte Mara. »Meinst du, du hättest bewaffnet sein sollen oder so?«

Zoe seufzte. »Weiß ich nicht. Ich wäre einfach darauf vorbereitet gewesen.«

»Hinterher kann man das leicht sagen«, meinte Paul. »Die Wahrheit ist, dass niemand die leiseste Ahnung hatte, dass die Demo so schlimm werden würde, und dass niemand irgendetwas dagegen tun konnte. Eine Menge Leute waren dran beteiligt, Zoe, und wenn jeder heute Morgen dieses I Ching gemacht hätte, dann hätte jeder eine andere Antwort erhalten. Das ist nichts als Scharlatanerie, wenn du mich fragst.«

»Setz dich hin«, sagte Mara. »Trink ein Glas Wein. Hast du gesehen, was mit den anderen passiert ist?«

»Ich bin nicht sicher.« Zoe setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich und nahm Pauls Glas. »Ich glaube, Rick wurde verhaftet. Ich habe gesehen, wie er am Rande der Menge mit ein paar Polizisten kämpfte.«

»Und Seth?«

»Ich weiß es nicht. Ich konnte nichts sehen.« Zoe lächelte traurig. »Die meisten Leute sind größer als ich. Ich habe nur Schultern und Nacken gesehen. Weil ich so klein bin, konnte ich mich auch davonmachen. Und wegen des Regens. Ein Bulle packte meine Kapuze, aber sie war so nass, dass seine Hand abrutschte. Mein Sternzeichen ist Fisch, ich bin ein glitschiger Fisch.« Sie hielt inne und nippte an dem Barsac. »Was werden sie wohl mit denen machen, die sie verhaftet haben, Mara?«

Mara zuckte mit den Achseln. »Ich könnte mir vorstellen, dass sie eine Anzeige kriegen und dann gehen können. So läuft das normalerweise. Dann entscheidet das Gericht, zu welcher Geldstrafe sie verurteilt werden oder ob sie ins Gefängnis müssen. Meistens müssen sie nur eine Geldstrafe bezahlen oder werden auf Kaution freigelassen.«

Mara wünschte, so zuversichtlich zu sein, wie sie klang. Ihre Sorge lag nicht in der Botschaft begründet, die Zoe aus dem I Ching gezogen hatte, doch hatten die Worte des Orakels sie irgendwie bestärkt und ihrer Unruhe eine tiefere Glaubwürdigkeit gegeben: »Bis zum Ende zu gehen bringt Unglück. Es bringt einen dazu, den großen Mann zu sehen.« Wer war der große Mann?

»Sollten wir nicht etwas unternehmen?«, meinte Paul.

»Was denn?«

»Zum Polizeirevier zurückfahren und herausfinden, was passiert ist. Versuchen, die beiden da rauszuholen.«

Mara schüttelte den Kopf. »Wenn wir das tun, dann werden wir noch eingesperrt, wegen Behinderung der Justiz oder so was.«

»Ich fühle mich einfach nur so verdammt machtlos, so nutzlos, wenn ich nicht in der Lage bin, irgendetwas zu tun.« Paul ballte die Fäuste, und Mara konnte die Worte lesen, die krumm und schief genau unter seine Fingerknöchel tätowiert waren. Im Gegensatz zu der geläufigen Kombination, LOVE auf der einen Hand und HATE auf der anderen, stand bei ihm auf beiden Händen HATE. Der Anblick der ungeschickt tätowierten Großbuchstaben erinnerte Mara daran, wie hart und brutal Pauls Vergangenheit gewesen war und wie sehr er sich entwickelt hatte, seit sie ihn zu Beginn des letzten Winters auf dem Weg zur Kunstgewerbemesse in Wensleydale schlafend im Freien aufgelesen hatten.

»Wenn wir ein Telefon hätten, könnten wir wenigstens im Krankenhaus anrufen«, sagte Zoe. »Vielleicht sollte einer von uns nach Relton laufen und von dort anrufen.«

»Ich werde gehen«, sagte Mara. »Ihr beide habt heute Abend schon genug durchgemacht. Außerdem wird mir die Bewegung gut tun.«

Bevor einer der anderen anbieten konnte, an ihrer statt zu gehen, stand sie auf. Nach Relton, einem Dorf hoch oben am südlichen Hang von Swainsdale, war es kaum mehr als einen Kilometer, und der Spaziergang würde angenehm sein. Mara schaute aus dem Fenster. Es nieselte wieder leicht. Sie nahm ihr gelbes Fahrradcape und den dazu passenden Regenhut aus dem Schrank und öffnete die Tür. Als sie losging, war Paul auf dem Weg zum Kühlschrank, um sich ein zweites Bier zu holen, und Zoe widmete sich ihren Tarotkarten.

Zoe beunruhigte Mara manchmal. Nicht, dass sie keine gute Mutter war, aber sie schien zu leichtfertig zu sein. Sicherlich hatte sie nach Luna gefragt, aber sie hatte kein Bedürfnis, nach ihr zu schauen. Stattdessen hatte sie sich sofort ihren okkulten Hilfsmitteln zugewandt. Mara liebte beide Kinder abgöttisch: Die vierjährige Luna und den fünfjährigen Julian. Selbst Paul, der gerade dem Teenageralter entwachsen war, erschien ihr manchmal wie ein Sohn. Sie wusste, dass sie gerade deshalb eine solche Zuneigung zu ihnen verspürte, weil sie keine eigenen Kinder hatte. Viele ihrer alten Schulfreundinnen hatten wahrscheinlich schon Kinder in Pauls Alter. Welche Ironie, dachte sie, als sie auf den Pfad zuging – eine unfruchtbare Erdenmutter!

Der Regen war so spärlich, dass man kaum eine Regenjacke benötigte. Doch er verstärkte die Kälte, die in der Märzluft lag, und so war Mara froh um den Pullover, den sie unter ihrem Cape trug. Der gerade, schmale Weg, dem sie folgte, war Teil einer alten Römerstraße, die quer durch die Heide über dem Tal bis nach Fortford führte. Gerade breit genug für einen Wagen, war sie auf beiden Seiten mit Natursteinmauern eingefasst und mit Kies und Schottersteinen befestigt, die unter den Füßen knirschten. Am Fuße des Hanges konnte Mara die Lichter von Relton sehen. Hinter ihr schien die Kerze im Fenster. Maggie’s Farm sah aus wie eine Arche, die auf dunkler See dahintrieb.

Sie schob ihre Hände durch die Schlitze des Capes, tief in die Taschen ihrer Cordhose, und marschierte den Weg entlang, von dem sie sich vorstellte, dass ihn schon ein antiker Römer gegangen war. Hinter den Wolken konnte sie den perlmuttfarbenen Schein des Halbmondes erkennen.

Die tiefe Stille ringsherum verstärkte die kleinen Geräusche – das Klacken der Kiesel, das rhythmische Knirschen des Schotters, das Scheuern ihrer Cordhose gegen das Cape – und Mara spürte, wie immer, wenn sie bergab ging, die Zerrung in ihrem schwachen linken Knie. Sie hob den Kopf, ließ die kühlen Regenfäden auf ihre geschlossenen Augenlider fallen und atmete die Luft ein, die nach nassem Hund roch. Als sie die Augen öffnete, sah sie vor dem dunkelgrauen Himmel die schwarze Masse entfernter Berge.

Am Ende des Weges bog Mara nach Relton ein. Der Wechsel vom Schotter zum glatten Asphalt der Mortsett Lane fühlte sich im ersten Moment seltsam an. Alle Geschäfte des Dorfes waren geschlossen. Hinter zugezogenen Gardinen flackerten Fernsehgeräte auf.

Nur um sicherzugehen, schaute Mara zuerst im Black Sheep vorbei, aber weder Seth noch Rick waren dort. In der Ecke der behaglichen Wirtschaft knisterte ein Holzfeuer, doch der Raum war fast leer. Larry Grafton, der Wirt, lächelte und sagte hallo. Wie viele Einheimische hatte er die Einwohner von Maggie’s Farm mittlerweile akzeptiert. Wenigstens, so hatte er Mara einmal erzählt, waren sie nicht so wie diese Londoner Yuppies, die heutzutage jeden freien Grundbesitz in den Dales aufzukaufen schienen.

»Kann ich dir was bringen?«, rief Grafton.

»Nein, nein danke«, sagte Mara. »Wollte nur sehen, ob Seth da ist. Du hast ihn nicht zufällig gesehen, oder?«

Zwei alte Männer schauten von ihrem Dominospiel auf, und ein Trio junger Landarbeiter hielt in seinem Streit über Subventionen inne und schaute Mara mit heimlicher Neugier an.

»Nein, Mädchen«, sagte Grafton. »Seit Mittag waren sie nicht mehr hier. Sie sagten, sie wollten zu dieser Demonstration nach Eastvale.«

Mara nickte. »Stimmt. Es hat Ärger gegeben und sie sind noch nicht zurück. Ich dachte nur ... «

»Dann stimmt es also?«, fragte einer der Landarbeiter. »Tommy Exton kam vor einer halben Stunde vorbei und sagte, in der Market Street hätte es Ausschreitungen gegeben.«

Mara erzählte ihm das wenige, das sie wusste, und er schüttelte den Kopf. »Es lohnt sich nicht, in solche Sachen reingezogen zu werden. Am besten bleibt man zu Hause«, sagte er und widmete sich wieder seinem Bier.

Mara verließ das Black Sheep und ging zur öffentlichen Telefonzelle in der Mortsett Lane. Warum sie auf dem Hof kein Telefon installiert hatten, war ihr schleierhaft. Seth hatte einmal gesagt, er wollte so ein Ding nicht im Haus haben, hatte aber nie erklärt, warum. Jedes Mal, wenn er ein paar Telefonate zu erledigen hatte, ging er ohne zu murren runter ins Dorf. Wenigstens konnte man auf dem Lande normalerweise sicher sein, dass die Telefonzellen nicht Opfer von Vandalen geworden waren.

Eine Frau an der Aufnahme des Allgemeinen Krankenhauses von Eastvale nahm den Anruf entgegen und fragte, was sie wollte. Mara erklärte, dass sie gerne etwas über einen Freund erfahren wollte, der von der Demonstration nicht nach Hause zurückgekehrt war. »Einen Augenblick«, sagte die Frau, und das Telefon gab ein paar komische Geräusche von sich. Schließlich ertönte die Stimme eines Mannes.

»Kann ich Ihnen helfen, Miss?«

»Ja. Ich würde gerne wissen, ob Sie einen Patienten namens Seth Cotton oder einen namens Rick Trelawney haben.«

»Wie ist Ihr Name?«

»Das ... das möchte ich lieber nicht sagen«, entgegnete Mara, die plötzlich Angst hatte, dass sie sich mit der Nennung ihres Namens Ärger einhandeln würde.

»Sind Sie eine Verwandte?«

»Ich bin eine Freundin. Eine sehr enge Freundin.«

»Verstehe. Nun, wenn Sie sich nicht selbst ausweisen, Miss, kann ich Ihnen leider keine Informationen geben.«

»Hören Sie«, sagte Mara und wurde ärgerlich, »das ist doch lächerlich. Ich verlange ja nicht, dass Sie irgendein Schweigegelübde brechen oder so. Ich möchte nur wissen, ob meine Freunde da sind, und wenn, wie schwer sie verletzt sind. Wer sind Sie überhaupt?«

»Constable Parker, Miss. Wenn Sie irgendwelche Beschwerden haben, dann tragen Sie diese besser Detective Chief Inspector Banks von der Kriminalpolizei in Eastvale vor.«

»Detective Chief Inspector Banks? Kriminalpolizei?«, wiederholte Mara langsam. Sie erinnerte sich an den Namen. Er war derjenige, der zum Hof gekommen war, als Liz sich dort aufhielt. »Warum? Das verstehe ich nicht. Was geht da vor sich? Ich möchte nur wissen, ob meine Freunde verletzt sind.«

»Tut mir leid, Miss. Befehl von oben. Sagen Sie mir Ihren Namen, und ich werde sehen, was ich tun kann.«

Mara hängte ein. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Sie hatte bereits genug Schaden angerichtet, indem sie Seth und Rick erwähnt hatte. Die Polizei würde sich nun bestimmt die Namen der beiden besonders merken und sie noch härter behandeln als den Rest. Sie konnte nichts weiter tun, als zu warten und sich Sorgen zu machen. Stirnrunzelnd öffnete sie die Tür und trat wieder hinaus in den Regen.

Kapitel 8

»Ich fühl mich wie ein kaputter Wagen ohne Lenkrad«, sang Blind Willie McTell.

»Ich weiß genau, was du meinst, Kumpel«, murmelte Banks vor sich hin, als er sich ein Glas Laphroaig Single-Malt-Whisky einschenkte, ein Luxus, den er sich eigentlich kaum leisten konnte. Es war fast zwei Uhr am Morgen, und die Verhöre hatten bisher noch keine Ergebnisse erzielt. Müde hatte Banks die weitere Arbeit den anderen überlassen und war für ein paar Stunden Schlaf nach Hause gekommen. Er meinte, es sich verdient zu haben. Die anderen hatten nicht den Morgen vor Gericht verbracht, waren nicht am Nachmittag für nichts und wieder nichts hinter einem gestohlenen Traktor her gewesen und mussten abends nicht der Abgeordneten Honoria zuhören, die mittlerweile bestimmt den Schlaf der Gerechten schlief, bevor sie mit großer Erleichterung am Morgen zurück in den Süden reiste.

Banks legte die Füße hoch, zündete sich eine Zigarette an und schloß die Hände um das Glas. Da läutete es plötzlich an der Tür. Er sprang auf und fluchte, als er einen Teil des kostbaren Scotchs auf sein Hemd verschüttete. Er rieb mit dem Handballen darüber, ging in die Diele und öffnete die Tür, so weit es die Kette zuließ.

Es war Jenny Fuller, die Psychologin, die er kennen gelernt hatte, als er seinen ersten Fall in Eastvale gemeinsam mit ihr bearbeitete. Darüber hinaus, das musste er zugeben, hatte es eine gegenseitige Anziehung zwischen ihnen gegeben. Natürlich war nichts passiert, und Jenny war auch für Sandra zu einer guten Freundin geworden. Die drei waren oft gemeinsam ausgegangen. Doch die Anziehung blieb bestehen, ohne sich aufzulösen. Solche Dinge verschwanden nicht so leicht, wie sie sich einstellten.

»Jenny?« Er zog die Kette aus der Arretierung und machte die Tür ein Stückchen weiter auf.

»Ich weiß. Es ist zwei Uhr morgens und du fragst dich, was mich um diese Zeit zu dir führt.«

»So ähnlich. Ich nehme an, es ist nicht nur mein unwiderstehlicher Charme, oder?«

Jenny lächelte. Um ihre grünen Augen bildeten sich Lachfältchen. Doch das Lächeln war gezwungen und nur von kurzer Dauer.

»Was ist los?«, fragte Banks.

»Dennis Osmond.«

»Wer?«

»Ein Freund. Er steckt in Schwierigkeiten.«

»Dein Freund?«

»Ja, mein Freund.« Jenny wurde rot. »Oder soll ich Auserwählter sagen? Liebhaber? Derjenige welcher? Hör zu, kann ich reinkommen? Hier draußen ist es kalt und es regnet.«

Banks trat zur Seite. »Ja, natürlich. Tut mir leid. Willst du einen Drink?«

»Wenn es dir keine Umstände macht, gern.« Jenny ging in das Wohnzimmer, nahm ihren grünen Seidenschal ab und schüttelte ihr rotes Haar. Die gedämpfte Trompete klagte, und Sara Martin sang »Death Sting Me Blues«.

»Ist die Opernphase vorbei?«, wollte Jenny wissen.