Eine Anleitung zum guten Leben - William B. Irvine - E-Book

Eine Anleitung zum guten Leben E-Book

William B. Irvine

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Beschreibung

Eine der größten Ängste, denen viele von uns gegenüberstehen, ist, dass wir trotz all unserer Bemühungen am Ende feststellen, dass wir unser Leben verschwendet haben. Doch der Stoizismus, eine der populärsten Denkschulen des alten Roms, ist auch heute noch unübertroffen in seiner Weisheit – mit dem Ziel, Ängste zu bewältigen und den Weg zu einem ausgeglichenen Leben zu weisen. William Irvine greift die psychologischen Ansätze sowie praktischen Techniken auf und zeigt, basierend auf eigenen Erfahrungen mit der Umsetzung der philosophischen Prinzipien, wie sie jeder in seinem eigenen Leben anwenden kann und damit in die Fußstapfen der alten Philosophen tritt.

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Seitenzahl: 382

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Inhaltsverzeichnis

Decke

Titelseite

Impressum

INHALT

Vorwort zur deutschen Ausgabe von William B. Irvine

Einleitung – Ein Lebensplan

Teil 1: DIE ENTSTEHUNG DES STOIZISMUS

Kapitel 1: Eine Philosophie, die sich für die praktischen Aspekte des Lebens interessiert

Kapitel 2: Die ersten Stoiker

Kapitel 3: Der römische Stoizismus

Teil 2: DIE PSYCHOLOGISCHEN TECHNIKEN DER STOIKER

Kapitel 4: Negative Visualisierung

Was ist das Schlimmste, das passieren kann?

Kapitel 5: Dichotomie der Kontrolle

Unbesiegbar werden

Kapitel 6: Fatalismus

Die Vergangenheit hinter sich lassen … und die Gegenwart

Kapitel 7: Verzicht

Von der dunklen Seite des Genusses und wie man mit ihr umgeht

Kapitel 8: Meditation

Sich bei der stoischen Praxis beobachten

Teil 3: STOISCHE RATSCHLÄGE

Kapitel 9: Pflicht

Von der Liebe zu den Menschen

Kapitel 10: Soziale Beziehungen

Vom Umgang mit anderen Menschen

Kapitel 11: Beleidigungen

Vom Umgang mit Herabsetzungen

Kapitel 12: Trauer

Vom Überwinden von Tränen mittels Vernunft

Kapitel 13: Wut

Vom Überwinden von Ärger

Kapitel 14: Persönliche Werte

Vom Streben nach Ruhm

Kapitel 15: Persönliche Werte

Vom Umgang mit Luxus

Kapitel 16: Exil

Vom Überleben einer Verbannung

Kapitel 17: Das Alter

Von der Verbannung in ein Altersheim

Kapitel 18: Sterben

Vom guten Ende eines guten Lebens

Kapitel 19: Wie man Stoiker wird

Einfach anfangen und sich gegen Spott wappnen

Teil 4: DER STOIZISMUS UND MODERNE LEBENSENTWÜRFE

Kapitel 20: Der Niedergang des Stoizismus

Kapitel 21: Stoizismus neu gedacht

Kapitel 22: Angewandter Stoizismus

Ein stoisches Lektüre-Programm

Der Autor

Danksagung

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Guide

Decke

WILLIAM B. IRVINE

EINEANLEITUNGZUMGUTENLEBEN

Zur Erinnerung an Charlie Doyle, der mich lehrte, mit dem Kopf im Boot zu bleiben, selbst wenn ich gerade nicht rudere.

WILLIAM B. IRVINE

EINEANLEITUNGZUMGUTENLEBEN

{Wie Sie die alte Kunst des Stoizismus für Ihr Leben nutzen}

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

3. Auflage 2023

© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Copyright der Originalausgabe © 2009 by William B. Irvine. A Guide to the Good Life. The Ancient Art of Stoic Joy was originally published in English in 2009. This translation is published by arrangement with Oxford University Press. FinanzBuch Verlag is solely responsible for this translation from the original work and Oxford University Press shall have no liability for any errors, omissions or inaccuracies or ambiguities in such translation or for any losses caused by reliance thereon. Die englische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel A Guide to the Good Life. The Ancient Art of Stoic Joy. Diese Übersetzung wird in Absprache mit Oxford University Press veröffentlicht. Der FinanzBuch Verlag ist allein verantwortlich für diese Übersetzung aus dem Originalwerk, und Oxford University Press übernimmt keine Haftung für Fehler, Auslassungen oder Ungenauigkeiten oder Zweideutigkeiten in dieser Übersetzung.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung; Karin Schuler und Franziska Knupper

Redaktion: Dr. Manuela Kahle

Korrektorat: Anja Hilgarth

Umschlaggestaltung: Karina Braun, in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe

Foto Autor: Lori Daugherty

Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-361-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-665-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-666-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Danksagung

Vorwort zur deutschen Ausgabe von William B. Irvine

Einleitung – Ein Lebensplan

Teil 1 DIE ENTSTEHUNG DES STOIZISMUS

Kapitel 1 Eine Philosophie, die sich für die praktischen Aspekte des Lebens interessiert

Kapitel 2 Die ersten Stoiker

Kapitel 3 Der römische Stoizismus

Teil 2 DIE PSYCHOLOGISCHEN TECHNIKEN DER STOIKER

Kapitel 4 Negative Visualisierung

Was ist das Schlimmste, das passieren kann?

Kapitel 5 Dichotomie der Kontrolle

Unbesiegbar werden

Kapitel 6 Fatalismus

Die Vergangenheit hinter sich lassen … und die Gegenwart

Kapitel 7 Verzicht

Von der dunklen Seite des Genusses und wie man mit ihr umgeht

Kapitel 8 Meditation

Sich bei der stoischen Praxis beobachten

Teil 3 STOISCHE RATSCHLÄGE

Kapitel 9 Pflicht

Von der Liebe zu den Menschen

Kapitel 10 Soziale Beziehungen

Vom Umgang mit anderen Menschen

Kapitel 11 Beleidigungen

Vom Umgang mit Herabsetzungen

Kapitel 12 Trauer

Vom Überwinden von Tränen mittels Vernunft

Kapitel 13 Wut

Vom Überwinden von Ärger

Kapitel 14 Persönliche Werte

Vom Streben nach Ruhm

Kapitel 15 Persönliche Werte

Vom Umgang mit Luxus

Kapitel 16 Exil

Vom Überleben einer Verbannung

Kapitel 17 Das Alter

Von der Verbannung in ein Altersheim

Kapitel 18 Sterben

Vom guten Ende eines guten Lebens

Kapitel 19 Wie man Stoiker wird

Einfach anfangen und sich gegen Spott wappnen

Teil 4 DER STOIZISMUS UND MODERNE LEBENSENTWÜRFE

Kapitel 20 Der Niedergang des Stoizismus

Kapitel 21 Stoizismus neu gedacht

Kapitel 22 Angewandter Stoizismus

Ein stoisches Lektüre-Programm

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE VON WILLIAM B. IRVINE

Ein gutes Dutzend Jahre müssen seit der Veröffentlichung der englischen Ausgabe von Eine Anleitung zum guten Leben vergangen sein. Der Stoizismus war damals kaum in Mode und beschränkte sich in der Regel auf wissenschaftliche Exkurse. Die breite Öffentlichkeit hatte allerdings meist keine Ahnung, was es mit dieser Philosophie eigentlich auf sich hatte, und wenn doch, dann traf man in der Regel auf krasse Vorurteile. Viele Menschen assoziierten mit dem Begriff »stoisch«, dass man einfach dastand und jede Unannehmlichkeit des Lebens über sich ergehen ließ, ohne eine Miene zu verziehen. Der Stoizismus erschien ihnen sozusagen als eine Umschreibung für unterdrücktes Elend.

Allerdings hatten die Stoiker nie vor, uns in gefühllose Wesen zu verwandeln. Das Einzige, woran ihnen vernünftigerweise lag, war, negative Gefühle – wie Wut, Neid, Reue oder Angst – zu reduzieren. Positive Emotionen, darunter Gefühle wie Verzückung, Ehrfurcht und sogar Freude, hießen sie ausdrücklich willkommen.

Die stoische Philosophie wurde rund 300 vor Christus von Zenon von Kition ins Leben gerufen und fand im 2. Jahrhundert vor Christus ihren Weg nach Rom. Das war ein Glücksfall, denn im Gegensatz zu den meisten griechischen Werken blieben die Schriften der römischen Stoiker – die berühmtesten unter ihnen Seneca, Epiktet und Mark Aurel – erhalten. Auch in den darauffolgenden Jahrtausenden beeinflusste die stoische Praxis weiterhin grundlegend das menschliche Denken, wenn auch oft nur unterschwellig. In seiner Abhandlung über die Methode bezieht sich René Descartes auf den Ratschlag Epiktets, »immer bemüht zu sein, lieber mich als das Schicksal zu besiegen, lieber meine Wünsche als die Weltordnung zu verändern, und mich überhaupt an den Glauben zu gewöhnen, dass nichts vollständig in unserer Macht sei als unsere Gedanken«. Auch Arthur Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit und Paranäsen und Maximen haben einen eindeutig stoischen Unterton, und als Mitte des 20. Jahrhunderts das Reinhold Niebuhr zugeschriebene Gelassenheitsgebet erschien, hätte das Epiktet sicher ein Lächeln abgerungen: »Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«

Als ich in den 1970er-Jahren Philosophie im Hauptfach studierte, kam ich mit den Stoikern in Berührung, konzentrierte mich aber auf ihre Logik, nicht auf ihre Lebensphilosophie. Das nächste Mal liefen sie mir Mitte der 2000er-Jahre während meiner Recherchen zum Thema des menschlichen Verlangens über den Weg. Ich begann, einige stoische Techniken, die auf die Vermeidung negativer Emotionen zielten, zu erforschen, und fand sie ebenso einfach wie auch ausgesprochen wirksam. Mir wurde klar, dass die Stoiker offenbar die herausragenden Psychologen ihrer Zeit waren. Sie entwickelten brillante Strategien, mit denen wir negative Emotionen bereits im Keim ersticken oder sie auch nach ihrem Aufkommen überwinden können. Die moderne Psychologie holte tatsächlich erst im letzten halben Jahrhundert auf.

Schon bald wurde deutlich, dass ich – ohne es zu beabsichtigen – zu einem praktizierenden Stoiker geworden war, und so betrachtete ich es als meine soziale Pflicht, meine Einsichten mit der Welt zu teilen, die dergleichen dringend nötig hat. Ich schaute mich auf dem Büchermarkt um und musste feststellen, dass die meisten Veröffentlichungen zum Thema Stoizismus von Gelehrten für Gelehrte verfasst wurden und dass die wenigen Bücher, die sich an die breite Öffentlichkeit wandten, die Bedeutung der stoischen Psychologie nicht gebührend hervorhoben. Ich beschloss, ein Buch zu schreiben, das diese Lücke füllen würde, hatte dabei aber keine großen Erwartungen. Als das Buch 2008 schließlich auf den Markt kam, schien meine Einstellung gerechtfertigt – die ersten Verkaufszahlen kann man nur als schleppend bezeichnen. Dann wendete sich das Blatt. Aus mir nicht ganz ersichtlichen Gründen gewann der Stoizismus an Beliebtheit. Meine Verkäufe schnellten in die Höhe und sind seitdem stabil geblieben, obwohl es plötzlich viel mehr Konkurrenz gab. Sucht man bei Amazon nach englischen Büchern mit dem Schlagwort »Stoizismus« im Titel, zeigt sich, dass derzeit mehr als ein Buch pro Tag zu diesem Thema veröffentlicht wird! Sicherlich erscheinen die meisten von ihnen im Eigenverlag, aber es ist dennoch ein Beweis dafür, welches Aufsehen der Stoizismus momentan erregt. Dies würde Epiktet erneut ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Ich sollte hinzufügen, dass es sich bei diesem aufkeimenden Interesse um ein weltweites Phänomen handelt. Stoische Organisationen und Tagungen stoischer Enthusiasten sind zu einer Alltäglichkeit geworden.

In den Jahrtausenden seit der Gründung des Stoizismus durch Zenon hat sich viel getan. Die menschliche Psyche jedoch hat sich nicht allzu sehr verändert. Wir sind heute den gleichen schlechten Emotionen ausgesetzt, mit denen sich auch schon die antiken Griechen herumschlugen. Wer mir nicht glaubt, sollte noch einmal die Ilias aufschlagen. Das Gute daran ist, dass stoische Techniken aus diesem Grund auch heutzutage noch genauso effektiv sind. Und da alle Menschen zudem über die gleiche Psyche verfügen, sind diese Strategien auch überall auf der Welt im gleichen Maße wirksam. Glück gehabt!

Diese deutsche Fassung von A Guide to the Good Life bietet Ihnen einen leichten Einstieg in die Welt der stoischen Philosophie. Während Sie diese Welt erforschen, sollten Sie nicht zögern, die psychologischen Prinzipien der Stoiker im Alltag anzuwenden und zu beobachten, welche Auswirkungen sie auf Ihr seelisches Wohlbefinden haben. Die folgenden Seiten könnten einen wichtigen Wendepunkt in Ihrem Leben markieren. Wer weiß, vielleicht werden Sie sogar meine Erfahrung wiederholen und eines Morgens – ohne es zu bemerken – als praktizierender Stoiker aufwachen.

EINLEITUNG – EIN LEBENSPLAN

Was wünschen Sie sich vom Leben? Viele von uns antworten darauf bestimmt, dass wir gerne einen liebevollen Partner, einen guten Job und ein schönes Haus hätten. In Wahrheit sind das aber bloß einige der Dinge, die wir uns im Leben wünschen. Wenn ich aber vom Leben spreche, dann stelle ich die Frage so allgemein wie nur möglich. Es geht mir nicht um die kleinen Ziele, die wir uns im Laufe eines Tages stecken, sondern um das große Lebensziel. Oder anders ausgedrückt: Welches der Ziele, die Sie in Ihrem Leben verfolgen, betrachten Sie als das wertvollste?

Vielen von uns wird es schwerfallen, ein solches Ziel zu benennen. Wir wissen vielleicht, was wir von einer Minute auf die nächste wollen, oder stecken uns Jahrzehnt für Jahrzehnt neue Ziele, aber wir halten nie inne und fragen uns nach unserem großen Lebensziel. Das ist mitunter verständlich. Unsere Kultur ermutigt uns nicht gerade zu solchen Gedanken. Vielmehr bietet sie uns einen endlosen Strom an Ablenkungen, damit wir nie über Derartiges nachgrübeln müssen. Allerdings ist ein so allumfassendes Lebensziel der erste Baustein einer Lebensphilosophie. Wenn wir also kein universales Ziel angeben können, haben wir auch keine schlüssige Lebensphilosophie.

Warum ist eine solche Philosophie so wichtig? Nun, man läuft sonst Gefahr, »falsch zu leben«. Trotz aller Aktivität und all der angenehmen irdischen Ablenkungen führt man womöglich ein schlechtes Leben. Man geht sozusagen das Risiko ein, auf dem Sterbebett zu erkennen, dass man seine einzige Gelegenheit zu leben verschwendet hat. Statt sich einer wirklich wertvollen Tätigkeit zugewandt zu haben, ließ man sich von all den Spielereien, die das Leben zu bieten hat, ablenken und vergeudete es damit.

Nehmen wir nun an, wir wären imstande, ein übergeordnetes Lebensziel zu benennen. Nehmen wir außerdem an, wir könnten unsere Wahl sogar begründen. Trotzdem könnten wir uns nicht sicher sein, unser Leben richtig zu führen. Insbesondere würden wir unser Ziel wahrscheinlich nicht erreichen, wenn uns dafür eine effektive Strategie fehlte. Der zweite Baustein einer Lebensphilosophie ist daher ein Plan, der uns dabei hilft, unser großes Ziel umzusetzen. Er bestimmt, was wir in unserem Alltag tun müssen, damit wir der Sache, der wir den höchsten Wert zuschreiben, näherkommen.

WENN JEMAND DAMIT aufhören will, sein Erspartes zu verprassen, kann er für die Lösung des Problems einen Experten aufsuchen. Im Telefonbuch findet man eine Vielzahl zertifizierter Finanzberater, die dabei helfen, finanzielle Ziele zu präzisieren. Wie viel sollte man beispielsweise für die Rente einplanen? Hat man diese Fragen geklärt, wird der Experte außerdem einen Plan erstellen, wie man diese Ziele umsetzt.

Stellen wir uns also vor, es ginge nicht um unser Vermögen, sondern um unser Leben. Auch in diesem Fall könnten wir einen Fachmann um Rat fragen: einen Lebensphilosophen. Mithilfe dieser Person würden wir unsere Absichten überdenken und bestimmen, welche von ihnen wir weiterverfolgen sollten. Der Berater würde auch darauf hinweisen, dass manche Ziele womöglich miteinander kollidieren und wir daher entscheiden müssen, welches von ihnen in einem solchen Fall Vorrang haben soll. Gemeinsam würden wir unsere Ziele analysieren und in einer Hierarchie anordnen. An der Spitze dieser Hierarchie sollte das oben erwähnte primäre Lebensziel stehen. Dieses Ziel dürfen wir unseren anderen Zielen zuliebe niemals opfern. Nachdem wir unsere Wahl getroffen haben, wird der Lebensphilosoph uns dabei helfen, einen Plan zu entwickeln, mit dem wir es erreichen.

Die Fakultät für Philosophie der nächstgelegenen Universität ist auf den ersten Blick wohl der passende Ort, um einen solchen Lebensphilosophen zu finden. Geht man durch die Büros, stößt man auf allerlei Denker mit Fachkenntnissen in Metaphysik, Logik, Politik, Naturwissenschaft und Ethik. Vielleicht gibt es dort sogar jemanden, der sich auf Sportphilosophie, Philosophie des Feminismus oder gar auf die Philosophie der Philosophie spezialisiert hat. Aber sollte es sich nicht gerade um eine sehr ungewöhnliche Universität handeln, wird man hier wohl keinen Lebensphilosophen finden.

Das war allerdings nicht immer so. Für viele griechische und römische Philosophen war es nicht nur ganz selbstverständlich, sich mit Lebensphilosophien zu beschäftigen – für sie war es sogar Sinn und Zweck allen philosophischen Denkens. In der Regel interessierten sie sich ebenfalls für andere Bereiche der Philosophie, wie zum Beispiel für Logik; das taten sie aber vor allem, weil sie hofften, auf diese Weise eine Lebensphilosophie formulieren zu können.

Zudem hielten die antiken Philosophen ihre Einsichten nicht geheim und beschränkten sich nicht darauf, sie ausschließlich mit ihren Kollegen zu teilen. Stattdessen hießen sie an ihren Schulen jeden als Schüler willkommen, der nach einer Lebensphilosophie suchte. Dabei vertrat jede Schule eine andere Ansicht dazu, wie ein gutes Leben wohl aussehen sollte. Antisthenes, ein Schüler des Sokrates, gründete die Schule der Kyniker, die einen asketischen Lebensstil vertrat. Aristippos von Kyrene, ein weiterer Schüler des Sokrates, gründete die kyrenaische Schule, an der man für eine hedonistische Lebensweise warb. Zwischen diesen beiden Extremen gab es unter anderem die epikureische, die skeptische und die – für uns hier am interessantesten – stoische Schule, die Zenon von Kition gründete.

Die Philosophen dieser Schulen waren kompromisslos, wenn es um ihr Interesse an den Philosophien des Lebens ging. Laut Epikur ist das Wort eines Philosophen nutzlos, das keine menschliche Leidenschaft heilt – so wie »die Medizin nichts nützt, wenn sie nicht die Krankheiten aus dem Körper vertreibt, so nützt auch die Philosophie nichts, wenn sie nicht die Leidenschaft aus der Seele vertreibt«.1 Und nach dem stoischen Philosophen Seneca, über den wir noch häufig im Laufe dieses Buches sprechen werden, sollte jemand, »der unter Anleitung eines Philosophen studiert, jeden Tag etwas Gutes mit sich nehmen: Er sollte täglich als besserer Mensch nach Hause zurückkehren oder jedenfalls auf dem Weg dazu sein, besser zu werden«.2

DIESES BUCH WURDE für Menschen geschrieben, die sich auf der Suche nach einer Lebensphilosophie befinden. Auf den folgenden Seiten konzentriere ich mich daher auf eine Philosophie, die sich für mich als nützlich erwiesen hat und von der ich glaube, dass sie auch vielen Lesern helfen kann. Es handelt sich um die Philosophie der antiken Stoiker. Ihre Lehre mag alt sein, verdient aber dennoch die Aufmerksamkeit aller Menschen, die heute leben und sich nach einem erfüllenden und sinnvollen Leben – kurz gesagt, einem guten Leben – sehnen.

Dieses Buch enthält mit anderen Worten Ratschläge, wie man leben sollte. Ich bin dabei nur das Sprachrohr für diese Ideen, die vor 2000 Jahren von stoischen Philosophen erdacht wurden. Viele meiner Kollegen lehnen eine solche Herangehensweise strikt ab. Ihr Interesse ist allerdings in erster Linie auch rein »akademisch«; das heißt, ihre Forschung ist vor allem theoretischer oder historischer Natur. Ich hingegen beschäftige mich eindeutig mit den praktischen Aspekten des Stoizismus: Es ist mein Bestreben, die stoische Philosophie in mein Leben zu integrieren und andere zu ermutigen, es mir gleichzutun. Die antiken Stoiker hätten meiner Ansicht nach beide Herangehensweisen unterstützt, aber sicher betont, dass ein Studium des Stoizismus letztendlich immer auf praktische Umsetzung abzielt.

Es ist an dieser Stelle erwähnenswert, dass der Stoizismus – obwohl es sich dabei um eine Philosophie handelt – immer eine wichtige psychologische Komponente beinhaltet. Die Stoiker erkannten, dass aus einem Leben voller negativer Emotionen wie Wut, Angst, Trauer und Neid kein gutes Leben erwachsen kann. Aus diesem Grund wurden sie zu aufmerksamen Beobachtern der Arbeitsweise des menschlichen Geistes und zählten in der Folge zu den hellsichtigsten Psychologen der Antike. Sie entwickelten Techniken, mit deren Hilfe man negative Gefühle entweder im Keim ersticken oder bekämpfen kann, wenn es für vorbeugende Maßnahmen zu spät ist. Sogar Leser, die philosophischen Spekulationen zurückhaltend gegenüberstehen, sollten diesen Techniken mit Neugier begegnen. Denn wer von uns würde nicht gerne seine negativen Emotionen im täglichen Leben reduzieren?

Obwohl ich mein gesamtes Erwachsenenleben mit dem Studium der Philosophie verbracht habe, wusste ich bis vor Kurzem nur wenig über den Stoizismus. Meine Professoren hatten mich nie dazu angeregt, den Stoikern Beachtung zu schenken, und obwohl ich ein begeisterter Leser bin, hatte ich keinen Anlass, sie auf eigene Faust zu lesen. Ich sah, allgemeiner gesagt, keinen Grund, über eine Lebensphilosophie nachzudenken, und fühlte mich stattdessen mit der Standardphilosophie der meisten Menschen sehr wohl: Es galt, meinen Tag mit einer anregenden Mischung aus Wohlstand, sozialem Status und Genuss zu füllen. Meine Lebensphilosophie war mit anderen Worten das, was man freundlich ausgedrückt als eine Form des erleuchteten Hedonismus bezeichnen könnte.

In meinem fünften Lebensjahrzehnt häuften sich allerdings Ereignisse, die mich mit dem Stoizismus in Berührung brachten: Als 1998 das Buch Ein ganzer Kerl von Tom Wolfe erschien, las ich darin über einen Mann, der zufällig den stoischen Philosophen Epiktet entdeckte und dessen Philosophie dann in die Welt trug. Das fand ich ebenso faszinierend wie rätselhaft.

Zwei Jahre später begann ich mit der Recherche zu einem Buch mit dem Thema »Verlangen«. Im Rahmen meiner Forschung analysierte ich die Ratschläge, die man über Jahrtausende hinweg den Menschen gab, damit sie ihre Begierden zügeln konnten. Ich sammelte, was Religionen – darunter Christentum, Hinduismus, Taoismus, Sufismus und Buddhismus (und insbesondere Zen-Buddhismus) – zu diesem Thema zu sagen hatten. Schließlich setzte ich mich auch mit den Erkenntnissen der Philosophen auseinander, erkannte aber bald, dass nur eine Handvoll von ihnen Ratschläge in Sachen Verlangen erteilte. Unter ihnen stachen vor allem die griechischen Philosophen hervor: die Epikureer, Skeptiker und Stoiker.

Bei meinen Nachforschungen hatte ich einen Hintergedanken. Der Zen-Buddhismus hatte schon vor langer Zeit meine Neugier geweckt und das Gefühl, dass dieses eingehende Studium vielleicht einen vollwertigen Konvertiten aus mir machen würde. Zu meiner Überraschung stellte ich aber fest, dass Zen-Buddhismus und Stoizismus einiges gemeinsam haben. Beide betonen zum Beispiel, dass man sich mit der Vergänglichkeit aller Dinge auseinandersetzen und das Verlangen so gut wie nur möglich beherrschen sollte. Beide raten dazu, nach innerer Ruhe zu suchen, und bieten Hilfestellungen, wie man diese erlangen und bewahren kann. Ich kam außerdem zu dem Schluss, dass sich meine analytische Persönlichkeit besser für den Stoizismus als den Buddhismus eignet. Zu meinem eigenen Erstaunen wurde ich also nicht Zen-Buddhist, sondern praktizierender Stoiker.

Vor meinen Recherchen zum Verlangen wäre der Stoizismus für mich als Lebensphilosophie nie infrage gekommen. Als ich aber mit meiner Lektüre begann, musste ich feststellen, dass alle meine Annahmen zuvor falsch gewesen waren. Ich wusste, dass ein Stoiker im Lexikon als jemand definiert wird, »der Freude, Trauer, Vergnügen oder Schmerz scheinbar gleichgültig oder unbeeindruckt gegenübersteht«.3 Ich ging daher davon aus, dass die antiken Stoiker eine in unserem modernen Sinn stoische Lehre vertraten, also Menschen waren, die ihre Gefühle unterdrücken. Bald sah ich jedoch ein, dass es den Stoikern nicht darum ging, jedwede Emotion aus ihrem Leben zu verbannen; sie wollten nur die negativen Emotionen loswerden.

In ihren Werken begegnete ich Persönlichkeiten, die voller Fröhlichkeit und Optimismus auf das Leben schauten (auch wenn ihnen wichtig war, ebenso über all die schlechten Dinge nachzudenken, die ihnen widerfahren könnten) und die durchaus in der Lage waren, ihr Dasein zu genießen – ohne dabei Sklave ihres Genusses zu werden. Ich war verblüfft, dass manche von ihnen dem Vergnügen einen großen Wert beimaßen. Laut Seneca war es für Stoiker sogar von zentraler Bedeutung, dass der Geist »immer einen stetigen und günstigen Kurs verfolgt, sich selbst positiv begegnet und seine Umstände mit Freude betrachtet«.4 Er behauptet weiter, dass jemand, der stoische Prinzipien anwendet, »unbedingt, ob er will oder nicht, von ständiger Fröhlichkeit umgeben sein muss und über eine Freude verfügt, die tief im Inneren verwurzelt ist, da er sich an den eigenen Ressourcen erfreut und sich kein größeres Vergnügen als seine innere Freude wünscht«.5 Auf ähnliche Weise gibt der Stoiker Musonius Rufus an, dass der Anwendung stoischer Lehren automatisch eine »fröhliche Disposition und sichere Freude« folgt.6

Statt ihr Leben passiv und grimmig zu bestreiten und den Unbilden und Ungerechtigkeiten der Welt ausgeliefert zu sein, brachten sich die Stoiker aktiv ein und arbeiteten hart daran, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Denken wir zum Beispiel an Cato den Jüngeren. Er trug zwar nicht zum literarischen Kanon der Stoiker bei, übte sich aber in der praktischen Umsetzung der Philosophie und wurde dafür von Seneca als idealer Stoiker bezeichnet.7 Sein Stoizismus hielt ihn nicht davon ab, mutig für den Wiederaufbau der römischen Republik zu kämpfen. Und auch Seneca selbst war voller Energie: Er war nicht nur Philosoph, sondern auch erfolgreicher Bühnenautor, Berater des Kaisers und so etwas wie ein Investmentbanker des 1. Jahrhunderts. Und Mark Aurel nebenbei noch römischer Kaiser – und zwar wohl einer der größten römischen Kaiser überhaupt. Als ich über die Stoiker las, wuchs meine Bewunderung. Sie waren mutig, gemäßigt, vernünftig und verfügten über Selbstdisziplin – Eigenschaften, die ich gerne besitzen will. Gleichermaßen hielten sie es für wichtig, ihren Pflichten nachzukommen und ihren Mitmenschen zu helfen – Werte, die ich zufällig teile.

Bei meiner Arbeit zum Thema Verlangen erkannte ich, dass für alle Denker ein gutes und sinnvolles Leben unwahrscheinlich ist, solange man immer mehr will. Sie sind sich außerdem einig, dass man dieser Unersättlichkeit sehr gut beikommen kann, indem man das wertschätzt, was man bereits hat. Diese wichtige Erkenntnis lässt allerdings die Frage offen, wie genau man denn dahin kommen kann. Ich war daher hocherfreut, bei den Stoikern schließlich eine Antwort zu finden. Wendet man ihre simple Technik dafür regelmäßig an, kommt man (wenn auch manchmal nur für kurze Zeit) in den Genuss unerwarteter Freude darüber, zu sein, wer man ist, und ein Leben zu führen, wie man es führt – fast ganz unabhängig davon, wie dieses Leben aussieht.

Je eingehender ich die Stoiker studierte, desto mehr fühlte ich mich zu ihrer Philosophie hingezogen. Als ich aber versuchte, meine neu gewonnene Begeisterung mit anderen zu teilen, stellte ich schnell fest, dass nicht nur ich die Philosophie zuvor falsch verstanden hatte. Freunde, Verwandte und sogar meine Kollegen an der Universität schienen die Stoiker für Menschen zu halten, die ein trübes und passives Dasein fristeten, da sie all ihre Emotionen unterdrückten. Mir dämmerte, dass die Stoiker Opfer unfairer Verleumdungen geworden waren, wie auch ich sie kürzlich noch verbreitet hatte.

Dieses Verständnis allein hätte mir als Motivation vielleicht schon genügt, um ein Werk über die Stoiker zu verfassen – quasi ein Buch, das die Missverständnisse aus dem Weg räumen würde. Es kam aber noch ein zweiter, stärkerer Beweggrund hinzu. Nach meiner Recherche begann ich – zunächst zurückhaltend und versuchsweise – den Stoizismus als Lebensphilosophie anzuwenden. Meine Ergebnisse waren dabei bisher so vielversprechend, dass ich mich verpflichtet fühle, sie mit der Welt zu teilen. Ich tue dies in der Annahme, dass auch andere Menschen vom Studium des Stoizismus profitieren und ihn als Lebensphilosophie übernehmen werden.

Als Leser fragt man sich sicher, worum es bei der praktischen Anwendung des Stoizismus geht. Im antiken Griechenland und Rom hätten angehende Stoiker eine Antwort auf diese Frage an einer stoischen Schule gefunden. So etwas gibt es heute nicht mehr. Stattdessen könnte man heutzutage als stoischer Anfänger antike Werke konsultieren. Dabei wird man bemerken, dass viele von ihnen – insbesondere die der griechischen Stoiker – nicht mehr erhalten sind. Zudem sind die Texte, die es noch gibt und die den Stoizismus im Detail diskutieren, kaum ein geeigneter Lehrplan für Anfänger. Beim Schreiben stand ich also vor der Herausforderung, aus all den Hinweisen in den verschiedenen stoischen Schriften eine kohärente Anleitung zu erarbeiten.

Angehenden Stoikern möchte ich mit diesem Buch einen solchen ausführlichen Leitfaden an die Hand geben, aber schon an dieser Stelle ist es sinnvoll, ein paar Dinge zu nennen, die wir tun werden, wenn wir den Stoizismus zu unserer Lebensphilosophie machen.

Wir werden unsere Lebensziele neu bewerten. Insbesondere werden wir verinnerlichen, dass die Stoiker viele Dinge, nach denen wir uns sehnen – allen voran Ruhm und Reichtum – als nicht erstrebenswert betrachteten. Wir werden uns stattdessen auf das Erlangen von Tugend – wie die Stoiker es nannten – und innerer Ruhe konzentrieren. Dabei werden wir feststellen, dass die stoische Auffassung von Tugend nur sehr wenig mit dem gemein hat, was wir heute unter dem Wort verstehen. Auch das, was die Stoiker als innere Ruhe bezeichnen, hat nur wenig mit einem Zustand zu tun, den man mit der Einnahme eines Beruhigungsmittels erreichen kann; es ist mit anderen Worten kein zombieähnlicher Zustand. Vielmehr handelt es sich um ein Gefühl, das sich durch einen Mangel an negativen Emotionen wie Wut, Trauer, Sorge oder Furcht auszeichnet und stattdessen positive Emotionen – allen voran Freude – entfacht.

Wir werden die unterschiedlichen psychologischen Techniken studieren, die die Stoiker nutzten, um innere Ruhe zu erlangen und zu bewahren, und sie in unserem Alltag zum Einsatz bringen. So können wir zum Beispiel darauf achten, was in unserem Leben wir kontrollieren können und was nicht. Auf diese Weise sind wir in der Lage, unsere Aufmerksamkeit auf die Aspekte zu richten, die in unserer Macht stehen, und sorgen uns nicht mehr um das, was wir nicht kontrollieren können. Außerdem werden wir bald merken, wie schnell andere unsere innere Ruhe stören können, und deswegen stoische Strategien erlernen, mit denen wir dies verhindern können.

Schließlich werden wir zu aufmerksamen Beobachtern unseres eigenen Lebens werden. Wir verfolgen unseren Alltag und denken im Anschluss über unsere Beobachtungen nach. Auf diese Weise identifizieren wir die Auslöser unserer Unruhe und lernen, wie man sie in Zukunft vermeidet.

OHNE ZWEIFEL WIRD es Kraft kosten, den Stoizismus zu praktizieren. Aber das gilt für alle echten Lebensphilosophien. Sogar ein »aufgeklärter Hedonist« muss sich anstrengen. Das vornehmliche Ziel eines aufgeklärten Hedonisten besteht nämlich darin, das Vergnügen und den Genuss in seinem Leben möglichst zu maximieren. Dafür muss er stets neue Quellen des Vergnügens entdecken, sie erforschen, bewerten und auf etwaige unerwünschte Nebenwirkungen untersuchen. Daraus entwickelt er dann Strategien, um seinen Genuss zu steigern. Unaufgeklärter Hedonismus, also die gedankenlose Suche nach kurzfristiger Befriedigung, ist meiner Meinung nach keine kohärente Lebensphilosophie.

Für den Stoizismus müssen wir eventuell mehr Einsatz zeigen, als ein aufgeklärter Hedonist es gewohnt ist; aber der Aufwand ist wiederum geringer als der, den zum Beispiel ein Zen-Buddhist erbringt. Der Zen-Buddhist muss meditieren – eine Praxis, die sowohl zeitaufwendig als auch (in manchen Teilen) körperlich wie geistig fordernd ist. Als Stoiker müssen wir keine Zeit für so etwas einplanen. Wir werden lediglich dazu angehalten, regelmäßig über unser Leben nachzudenken, und diese Momente der Selbstbetrachtung kann man sogar in scheinbar unpassende Situationen des Tages integrieren; zum Beispiel im Stau auf der Autobahn praktizieren oder – wie Seneca vorschlägt – im Bett vor dem Einschlafen.

Wenn man kalkuliert, welche »Kosten« mit der Praxis des Stoizismus oder einer anderen Lebensphilosophie verbunden sein mögen, sollte man nicht vergessen, dass auch der Mangel einer Lebensphilosophie etwas »kostet«. Ich habe bereits einen solchen Aspekt benannt: das Risiko, das Leben mit dem Streben nach wertlosen Dingen zu verbringen und es so zu vergeuden.

Manche Leser fragen sich vielleicht an dieser Stelle, ob sie die Praxis des Stoizismus überhaupt mit ihrer Religion in Einklang bringen können. Für einen Großteil der Fälle kann ich das bejahen. Vor allem Christen werden merken, dass die stoische Lehre viel mit ihren religiösen Grundsätzen gemein hat. Unter anderem teilen auch Christen die Suche nach innerer Ruhe, die sie aber vielleicht als Seelenfrieden bezeichnen. Mark Aurels Forderung, die »Menschheit zu lieben«,8 wird bei ihnen auf fruchtbaren Boden fallen. Und wenn sie Epiktets Lebensregel hören, dass manche Dinge in unserer Macht stehen und andere nicht und dass wir daher unsere Kraft vernünftigerweise auf das konzentrieren sollen, was wir kontrollieren können, fühlen sich Christen sicher an das »Gelassenheitsgebet« erinnert, das oft dem Theologen Reinhold Niebuhr zugeschrieben wird.

Abgesehen davon möchte ich noch hinzufügen, dass es auch möglich ist, sowohl Agnostiker als auch praktizierender Stoiker zu sein.

Dieses Buch besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil befasse ich mich mit der Entstehung der Philosophie. Obwohl moderne Philosophen ihre Zeit oft damit verbringen, esoterische Themen zu diskutieren, lag antiken Denkern vor allem daran, das Leben gewöhnlicher Menschen zu verbessern. Der Stoizismus war, wie wir sehen werden, eine der erfolgreichsten und beliebtesten philosophischen Schulen der Antike.

Im zweiten und dritten Kapitel analysiere ich die praktische Anwendung des Stoizismus. Dabei beginne ich mit den psychologischen Techniken, die die Stoiker entwickelten, um innere Ruhe zu erlangen und aufrechtzuerhalten. Danach behandeln wir die stoischen Ratschläge dazu, wie man den Belastungen des Alltags am besten begegnet. Wie sollten wir beispielsweise auf eine Beleidigung reagieren? In den letzten 2000 Jahren hat sich zwar viel getan, doch die menschliche Psyche veränderte sich kaum. Daher können wir im 21. Jahrhundert noch immer von Ratschlägen profitieren, die Philosophen wie Seneca den römischen Bürgern des 1. Jahrhunderts gaben.

Im vierten Teil des Buches verteidige ich den Stoizismus schließlich gegen seine vielfältigen Kritiker und bewerte die stoische Psychologie vor dem Hintergrund moderner, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Zuletzt teile ich noch persönliche Einsichten, die ich während meiner eigenen stoischen Praxis erlangt habe.

Es kann sein, dass meine Kollegen aus der Welt der Wissenschaft sich für dieses Buch interessieren. Vielleicht fragen sie sich, wie ich einige stoische Aussagen interpretiere. Mir liegen jedoch die ganz normalen Menschen am Herzen, die Angst haben, womöglich falsch zu leben. Das bezieht auch solche ein, die erkannt haben, dass sie über keine schlüssige Lebensphilosophie verfügen und sich daher nur durch ihren Alltag treiben lassen: Was sie sich an einem Tag erarbeiten, macht das, was sie am Vortag erreicht haben, wieder zunichte. Daneben richtet sich das Buch auch an Leser, die zwar einer Lebensphilosophie folgen, aber das Gefühl nicht loswerden, dass sie nicht richtig funktioniert.

Beim Schreiben des Buches leitete mich also folgende Frage: Nehmen wir an, die antiken Stoiker hätten sich vorgenommen, einen Leitfaden für Menschen des 21. Jahrhunderts zu schreiben; ein Buch, das uns dabei hilft, ein gutes Leben zu führen. Wie hätte es ausgesehen? Die folgenden Seiten sind meine Antwort auf diese Frage.

TEIL 1

DIE ENTSTEHUNG DES STOIZISMUS

KAPITEL 1

EINE PHILOSOPHIE, DIE SICH FÜR DIE PRAKTISCHEN ASPEKTE DES LEBENS INTERESSIERT

Philosophen gab es in gewissem Sinne wahrscheinlich schon immer. Es waren die Menschen, die Fragen stellten – Woher kommt die Welt? Woher kommen die Menschen? Und warum gibt es Regenbögen? –, und vielleicht noch wichtiger: Sie waren diejenigen, die sich nicht mit der ersten Antwort zufriedengaben. Wenn jemand ihnen auf die Frage, wer die Welt denn erschaffen habe, antwortete, dass dies »die Götter« gewesen seien, dann reichte das diesen Proto-Philosophen beispielsweise nicht aus. Sie fragten weiter, warum und wie genau diese Götter denn die Welt erschaffen hätten, und – das kniffligste Problem für jene, die sich ihren Fragen stellten – wer denn dann die Götter erschaffen habe?

Wie und wann es auch begonnen haben mag – im 6. Jahrhundert vor Christus machte das philosophische Denken einen gigantischen Sprung. Pythagoras (570–500 v. Chr.) philosophierte zu dieser Zeit in Süditalien; Thales (636–546 v. Chr.), Anaximander (641–547 v. Chr.) und Heraklit (535–475 v. Chr.) wirkten in Griechenland, Konfuzius (551–479 v. Chr.) in China und Buddha (563–483 v. Chr.) in Indien. Wir wissen nicht, ob sie ihre Philosophien unabhängig voneinander entwickelten oder wer wen mit seinen Ideen beeinflusste.

Die überaus lesenswerten (aber leider mitunter nicht ganz verlässlichen) Schriften des griechischen Philosophiehistorikers Diogenes Laertios bieten einen Einblick in die vorsokratische Philosophie aus dem Blickwinkel des 3. Jahrhunderts nach Christus. Laut Diogenes bestand die frühe westliche Philosophie aus zwei Strömungen.1 Die erste Strömung – Diogenes nennt sie die italische – begann mit Pythagoras. Betrachtet man die Liste seiner zahlreichen Nachfolger, trifft man schließlich auf Epikur, dessen Schule den Stoikern große Konkurrenz machte.

Die andere Strömung – Diogenes bezeichnet sie als den ionischen Zweig – fand ihren Anfang in Anaximander, der (sowohl intellektuell als auch pädagogisch) Anaximenes erzog, der wiederum Anaxagoras lehrte, dessen Schüler Archelaos schließlich Sokrates (469–399 v. Chr.) unterrichtete.

Sokrates lebte ein außergewöhnliches Leben. Und er starb einen außergewöhnlichen Tod: Er wurde unter anderem angeklagt, die Jugend Athens zu verderben. Von seinen Mitbürgern für schuldig erklärt, verurteilte man ihn dazu, seinen Tod durch das Trinken von giftigem Schierlingssaft herbeizuführen. Er hätte der Strafe entgehen können, indem er das Gericht um Gnade angefleht oder nach seiner Verurteilung die Flucht ergriffen hätte. Seine philosophischen Prinzipien untersagten ihm jedoch ein solches Verhalten. Nach seinem Tod führten seine zahlreichen Anhänger das Philosophieren nicht nur fort, sondern rekrutierten auch ihrerseits Schüler. Platon – sein berühmtester Schüler – gründete die als Akademie bekannte Philosophenschule. Aristippos gründete die kyrenaische Schule, Euklid die megarische, Phaidon von Elis die elische und Antisthenes die kynische Schule. Was zuvor noch ein kleines Rinnsal philosophischer Aktivität gewesen war, wurde nach Sokrates’ Tod zu einem wahren Strom.

WIE ABER KAM es zu diesem plötzlichen Interesse an Philosophie? Teilweise lag es daran, dass Sokrates den Fokus philosophischen Nachdenkens verschoben hatte. Vor ihm waren Philosophen hauptsächlich daran interessiert, die Welt und die Phänomene dieser Welt zu erklären – an dem also, was wir heute als Naturwissenschaften bezeichnen würden. Als junger Mann hatte Sokrates sich auch solchen Fragen gewidmet, später jedoch gab er dies auf und wandte sich den Grundfragen der menschlichen Existenz zu. Laut Cicero, dem römischen Redner, Politiker und Philosophen, rief Sokrates »als Erster die Philosophie vom Himmel herab, versetzte sie in die Städte, führte sie auch in die Häuser ein und wies ihr die Untersuchung über das Leben und die Sitten an, und über das Gute und Böse«.2 Der Altphilologe Francis Macdonald Cornford beschreibt Sokrates’ philosophische Bedeutung ähnlich: »Präsokratische Philosophie beginnt mit der Entdeckung der Natur. Sokratische Philosophie beginnt mit der Entdeckung der menschlichen Seele«.3

Warum bleibt Sokrates auch 24 Jahrhunderte nach seinem Tod noch so eine eindrucksvolle Figur? Es liegt nicht an seinen philosophischen Erkenntnissen – letzten Endes sind diese im Wesentlichen negativ. Er hat uns gezeigt, was wir nicht wissen. Vielmehr liegt es daran, wie sehr er seine Lebensweise durch philosophische Fragestellungen beeinflussen ließ. Bei ihm treffen wir, so der Philosoph Luis E. Navia, vielleicht »mehr als bei jedem anderen großen Philosophen auf einen Mann, dem es gelang, theoretische und spekulative Belange mit seinem täglichen Leben zu vereinen«. Navia beschreibt Sokrates als ein »Musterbeispiel philosophischer Aktivität im Denken wie auch im Handeln«.4

Vermutlich fühlten sich einige seiner Anhänger eher zu seinen theoretischen Überlegungen hingezogen, während andere sich von seinem Lebensstil sehr beeindruckt zeigten. Platon gehörte zur ersten Gruppe; in seiner Akademie war ihm vor allem daran gelegen, philosophische Theorie zu erforschen, statt Ratschläge in Sachen Lebensführung zu geben. Im Gegensatz dazu war Antisthenes von Sokrates‘ Lebensstil geradezu fasziniert. In der kynischen Schule hielt man sich vom philosophischen Theoretisieren fern und konzentrierte sich stattdessen darauf, den Menschen Ratschläge für ein gutes Leben zu geben.

Man könnte fast meinen, dass Sokrates sich auf seinem Sterbebett in Platon und Antisthenes aufspaltete und Platon sein Interesse für Theorie erbte, während Antisthenes sich weiterhin mit der Frage nach einem guten Leben beschäftigte. Es wäre wundervoll gewesen, wenn sich diese beiden Ansätze in den folgenden Jahrtausenden so entwickelt hätten, dass die Menschen sowohl von der theoretischen Herangehensweise als auch von ihrer Anwendung hätten profitieren können. Während jedoch der theoretische Ansatz der Philosophie erblühte, verschwand unglücklicherweise die Praxis nach und nach.

UNTER EINER TYRANNISCHEN Herrschaft wie der des Perserreichs war es für einen Regierungsbeamten wichtig, lesen, schreiben und rechnen zu können – argumentative Fähigkeiten brauchte man hingegen weniger. Vorgesetzte mussten Befehle erteilen, die die Untergebenen ohne Zögern ausführten. Allerdings sorgte der Aufstieg der Demokratie in Griechenland und Rom dafür, dass diejenigen, die andere besonders gut überzeugen konnten, bessere Chancen hatten, erfolgreich Karriere in Politik oder Justiz zu machen. Aus diesem Grund war es bei wohlhabenden Griechen und Römern teilweise üblich, Kinder nach Abschluss der regulären Schule zu Hauslehrern zu schicken, damit sie dort die Kunst der Überzeugung erlernten.

Dafür nahmen diese Eltern manchmal den Dienst eines Sophisten in Anspruch, der seinen Schülern vor allem beibrachte, wie man sich in Debatten durchsetzt. Zu diesem Zweck lehrten Sophisten viele verschiedene Techniken, auch solche, die an den Verstand und an die Emotionen appellierten. Vor allem aber brachten Sophisten ihren Schülern bei, dass es durchaus möglich sei, für jede Streitfrage genügend Argumente für das Für und Wider zu finden. Ferner halfen sie ihnen dabei, neben den argumentativen Fähigkeiten auch rednerische Fertigkeiten zu entwickeln, um ihre Argumente nach ihren Vorstellungen effektiv vermitteln zu können.

Manchmal nahmen Eltern auch den Dienst von Philosophen in Anspruch. Wie die Sophisten lehrten sie Überzeugungstechniken, doch vermieden sie es, an Gefühle zu appellieren. Ein weiterer Unterschied zu den Sophisten war auch, dass den Philosophen daran lag, ihren Schülern neben der Überzeugungskunst beizubringen, wie man ein gutes Leben führt. Laut dem Historiker H. I. Marrou betonten sie aus diesem Grund in ihrer Erziehung sowohl den moralischen Aspekt als auch die Entwicklung der Persönlichkeit und des Innenlebens.5 Dadurch statteten diese Philosophen ihre Schüler mit einer Lebensphilosophie aus: Sie brachten ihnen bei, was im Leben erstrebenswert ist und wie man dies am besten erreicht.

EINIGE ELTERN, die sich eine philosophische Bildung für ihr Kind wünschten, beauftragten einen Philosophen als Hauslehrer; Aristoteles war zum Beispiel bei König Philipp von Makedonien angestellt, um dessen Sohn Alexander zu unterrichteten – den Alexander, der später »der Große« wurde. Eltern, die sich keinen Privatlehrer leisten konnten, schickten ihre Söhne – kaum einmal ihre Töchter – auf eine philosophische Schule. Nach dem Tod von Sokrates waren diese Schulen zu einem zentralen Element athenischer Kultur geworden und als sich das Römische Reich im 2. Jahrhundert vor Christus nicht mehr gegen den kulturellen Einfluss Athens wehren konnte, tauchten philosophische Schulen auch in Rom auf.

PHILOSOPHENSCHULEN GEHÖREN leider der Vergangenheit an. Zugegeben, Philosophie wird noch immer an Schulen gelehrt – oder genauer gesagt an den universitären Fakultäten für Philosophie –, doch deren kulturelle Bedeutung heute ist im Vergleich zu der der philosophischen Schulen der Antike eher gering. Zum einen belegen nur die wenigsten Studenten einen Kurs in Philosophie, weil sie auf der Suche nach einer Lebensphilosophie sind. Sie tun es, weil ihr Studienberater ihnen klarmacht, dass sie sonst keine Aussicht auf einen Abschluss haben. Und wer doch auf der Suche nach einer Lebensphilosophie ist, wird an den meisten Universitäten Schwierigkeiten haben, einen passenden Kurs zu finden.

Aber auch wenn es heute keine Philosophenschulen mehr gibt, heißt das nicht, dass wir Philosophie heutzutage nicht genauso dringend nötig hätten. Aber wo können wir sie finden? Wer die Suche an der philosophischen Fakultät der örtlichen Universität beginnt, wird, wie ich erklärt habe, wahrscheinlich enttäuscht werden. Wie wäre es stattdessen mit der Kirche am Ort? Unser Pastor könnte uns erklären, was wir tun müssen, um eine gute Person zu sein, sprich, wie wir uns moralisch anständig verhalten. Wahrscheinlich werden wir unter anderem dazu angehalten, nicht zu stehlen, nicht zu lügen oder (in einigen Religionen) keinen Schwangerschaftsabbruch zu begehen. Der Pastor wird uns vermutlich auch erklären, was wir für ein gutes Leben nach dem Tod tun müssen: regelmäßig zu den Gottesdiensten erscheinen, beten und (in manchen Religionen) spenden oder Kirchensteuern zahlen. Doch unser Pastor ist wahrscheinlich nicht der richtige Ansprechpartner, wenn es um gutes Leben geht. In der Tat beschränken sich die meisten Religionen darauf, ihren Anhängern zu sagen, wie sie sich moralisch richtig verhalten und in den Himmel kommen, und helfen ihnen nicht, herauszufinden, welche Dinge im Leben erstrebenswert sind und welche nicht. Diese Religionen haben nichts daran auszusetzen, wenn ein Gläubiger hart arbeitet, um sich eine große Villa und einen teuren Sportwagen zu leisten – solange er dabei keine Gesetze bricht –, und haben ebenfalls nichts dagegen, wenn jemand eine Hütte der Villa und ein Fahrrad dem Auto vorzieht.

Und wenn eine Religion doch festlegt, was erstrebenswert ist, geschieht dies oft so zurückhaltend, dass ihre Gefolgsleute die ernst gemeinte Anweisung vielleicht mit einem gut gemeinten Vorschlag verwechseln und folglich missachten. Es verwundert daher nicht, dass die Mitglieder verschiedener Religionen trotz unterschiedlicher Glaubensgrundsätze aus dem Stegreif alle zur gleichen Lebensphilosophie tendieren, nämlich zu einer Form des aufgeklärten Hedonismus. Auch wenn Lutheraner, Baptisten, Juden, Mormonen und Katholiken völlig verschiedene religiöse Überzeugungen haben, ähneln sie einander doch sehr, wenn man sie außerhalb der Kirche oder Synagoge trifft. Sie haben ähnliche Berufe und Karriereziele. Sie leben in ähnlichen Häusern, die ähnlich eingerichtet sind. Und sie verlangen in der gleichen Manier nach jedem Konsumprodukt, das gerade in Mode ist.

Natürlich kann auch eine Religion ihre Anhänger dazu anhalten, eine bestimmte Lebensphilosophie anzunehmen. Denken wir – der Veranschaulichung halber – an die Religion der Hutterer, die ihren Mitgliedern einschärft, dass das Wertvollste im Leben ein Sinn für Gemeinschaft ist. Hutterer haben aus diesem Grund kein Eigentum, da sie glauben, dass Besitz zu Neid führen und damit ihre Gemeinschaft potenziell ins Wanken bringen könnte. (Natürlich dürfen wir uns fragen, ob dies eine stimmige Lebensphilosophie ist.)

Die meisten Religionen verlangen von ihren Anhängern jedoch nicht, dass sie eine bestimmte Lebensphilosophie annehmen. Solange sie anderen keinen Schaden zufügen und nichts tun, was Gott erzürnen könnte, dürfen sie ihr Leben so bestreiten, wie sie es wünschen. Das Leben der Hutterer mag vielen Menschen gerade deshalb extrem und exotisch erscheinen, weil sie sich nicht vorstellen können, einer Religion anzugehören, die ihnen vorschreibt, wie sie ihr Leben führen sollen.

Heutzutage ist es daher durchaus möglich, dass jemand eine religiöse Erziehung genießt und Philosophievorlesungen an der Universität belegt, aber trotzdem keine Lebensphilosophie hat. (Ich würde sogar sagen, dass sich die meisten meiner Studenten in dieser Situation befinden.) Was also sollen die tun, die auf der Suche nach einer Lebensphilosophie sind? Vielleicht wäre es für sie am besten, ihre eigene philosophische Schule zu gründen und die Werke der Philosophen zu lesen, die die antiken Schulen leiteten. Dies werde ich meinen Lesern jedenfalls auf den folgenden Seiten ans Herz legen.

IM ANTIKEN GRIECHENLAND, als Philosophenschulen noch ein prominentes Element der Kulturlandschaft waren, konnten Eltern zwischen zahlreichen Schulen für ihre Kinder wählen. Stellen wir uns eine Zeitreise ins Jahr 300 vor Christus vor und unternehmen mit wachem Blick einen Spaziergang durch Athen. Wir beginnen unsere Tour auf der Agora, wo Sokrates ein Jahrhundert zuvor mit den Bürgern Athens philosophiert hatte. Auf der Nordseite der Agora sehen wir die Stoa Poikile, die »bunte Halle«, und treffen schließlich auf Zenon von Kition, den Gründer der stoischen Schule. Die »Halle« war übrigens eine mit Wandmalereien verzierte Säulenhalle.

Auf unserem Spaziergang durch Athen begegnen wir vielleicht dem kynischen Philosophen Krates, dessen Schule einst auch Zenon besuchte. Die ersten Kyniker trafen sich in der Nähe des Kynosarges-Gymnasion – daher ihr Name –, doch konnte man ihnen überall in Athen dabei zuschauen, wie sie versuchten, fremde Leute in philosophische Diskussionen zu verwickeln – notfalls auch gegen deren Willen. Manche Eltern mögen ihre Kinder bereitwillig zum Studium bei Zenon geschickt haben, doch ist es unwahrscheinlich, dass sie sie dazu ermutigten, als Kyniker zu leben. Kynische Grundsätze – erfolgreich verinnerlicht – hätten ihren Kindern nämlich mit Sicherheit ein Leben in schmählicher Armut beschert.

Wenn wir uns nun in Richtung Nordwesten wenden und die Stadt durch das Dipylon-Tor verlassen, gelangen wir zum Garten der Epikureer, verwaltet von Epikur selbst. Während die bunte Säulenhalle ein Treffpunkt in der Stadt war, wo stoische Vorlesungen – wie man sich vorstellen kann – auch mal durch Kommentare von Passanten oder Straßenlärm gestört wurden, herrschte in Epikurs Garten eine ausgesprochen ländliche Atmosphäre. Tatsächlich war der Garten nicht zur Zierde da, sondern wurde von den Epikureern für den Gemüseanbau genutzt.

Weiter nordwestlich, ungefähr anderthalb Kilometer vom Marktplatz entfernt, erreichen wir schließlich die Akademie; die philosophische Schule, die Platon 387 vor Christus, etwas mehr als ein Jahrzehnt nach Sokrates’ Tod, gründete. Wie schon der Garten des Epikur war auch die Akademie ein eindrucksvoller Ort, um dort zu philosophieren. Sie war eine grüne Oase voller Spazierwege und Springbrunnen. Für die Gebäude auf dem Gelände waren Platon und einige seiner Freunde aufgekommen. Um 300 vor Christus würden wir hier eventuell Polemon antreffen, der damals Schulleiter war. (Der stoische Philosoph Zenon besuchte, wie wir sehen werden, für einige Zeit Polemons Schule.)