Eine Göttin für jeden Tag - Luisa Francia - E-Book

Eine Göttin für jeden Tag E-Book

Luisa Francia

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Beschreibung

Die eigenen Kräfte neu entdecken! Erdmutter, Mondgöttin, Seelenführerin oder Göttin der Liebe: Unsterblichkeit wird im Mythos fast immer dem Weiblichen zugeordnet und in der Erbfolge der Frauen gelebt. Auch Entschlossenheit, kämpferischer Geist und Mut können spätestens seit Boadicea, der keltischen Fürstin und Kriegerin, nicht mehr als männliche Tugend definiert werden. Machtvolle, furchterregende Eigenschaften finden sich von Kali über Baba Yaga bis zu Hel und Percht. Die Namen der Göttinnen sind unsere Geschichte, die Facetten weiblicher Eigenschaften und Fähigkeiten. Indem wir sie wiederentdecken, legen wir unsere Kräfte frei. Indem wir sie feiern, feiern wir uns selbst in allen Erscheinungsformen.

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Seitenzahl: 202

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denn das Vertraute ist uns unheimlich geworden.

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www.nymphenburger-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2016 nymphenburger in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Zeichnungen: Luisa Francia

Satz und eBook-Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-485-06138-4

INHALT

Vorwort

Brauchen wir Ahninnen und Göttinnen?

Göttinnen

Orakel mit Göttinnen

Eine Göttin für jeden Tag

JANUAR

FEBRUAR

MÄRZ

APRIL

MAI

JUNI

JULI

AUGUST

SEPTEMBER

OKTOBER

NOVEMBER

DEZEMBER

Göttinnen: Alphabetisches Verzeichnis

Göttinnen von 1 bis 366

»Bärgöttin und Vogelgöttin sind wirklich die Bärgöttin«

Das ist der bisher älteste archäologisch nachgewiesene Satz auf einer rund 7000 Jahre alten Tonspindel der Vinča-Kultur, gefunden westlich von Belgrad am Ufer des Flusses Sawe. Die Zeichenfolge, die der Linguist Toby Griffen, Professor für Fremdsprachen an der Southern Illinois University Edwardsville, entschlüsselte, lautet: »Bär-Göttin-Vogel-Göttin-Bär-Göttin-Göttin«

Die Neue Zürcher Zeitung schreibt dazu, die Zweifel, dass die (Vinča-)Zeichen sinnhaltige Sätze darstellten, seien nun ausgeräumt.

Der Balkan war eine Wiege der Zivilisation, noch vor Mesopotamien.

VORWORT

Als ich anfing, das »Göttinnen«-Buch zu schreiben, für das ich jahrelang recherchiert habe, passierten die seltsamsten Dinge: Eine Wildkatze, die ich nie zuvor gesehen hatte, kam jetzt fast jeden Tag zu mir, legte sich auf meine Bücher und beobachtete mich bei der Arbeit. Die Marderin, die sich rar gemacht hatte, saß plötzlich wieder auf dem Balkon und ließ sich von mir mit kandierten Mangos füttern. Eine alte Freundin, die ich aus den Augen verloren hatte, meldete sich unvermutet wieder …

Mit großer Begeisterung begann ich, das Buch zu entwerfen, ließ mich in der Einteilung der Göttinnen zu den Kalendertagen inspirieren, pendelte, orakelte, träumte und baute den Kalender auf. Aber als ich damit fertig war, stürzte die Datei ab, in der alle Informationen für das Buch gespeichert waren. Anscheinend wurde es zu eng bei mir, die Atmosphäre war wohl zu dicht.

Ich schichtete einen Steinhaufen im Zimmer auf: für jede Göttin einen Stein, stellte kleine Altäre auf, zündete Kerzen an, brannte Salbei ab und räucherte. Dann aktivierte ich, was ich von meiner damaligen Verlegerin Hilke gelernt habe: Ich wandelte die Sicherheitskopie in eine Textkopie um. Die Datei stürzte nach diesem Ritual zwar nicht mehr ab, dafür geriet ich in eine tiefe Krise: Zu einigen Göttinnennamen, die ich gefunden hatte, gab es nirgendwo Informationen; oder sie bestanden aus Beschreibungen, von wem eine Göttin vergewaltigt, geraubt, geheiratet, verlassen worden war.

Da mir aus meiner jahrelangen Forschung klar ist, wie sehr patriarchale Paranoia Frauengestalten und Göttinnen verzerrt und manipuliert hat, fraß ich mich durch mindestens hundert Märchenbücher, um gemeinsame Muster zu entdecken, verglich Stammeskulturen mit Fragmenten unserer westlichen Kultur, holte alte Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen mit Frauen aus Mali, Niger, der Elfenbeinküste, Ghana, Benin, Nigeria, Gabun hervor. Bräuche, Tabus und Verbote klopfte ich noch einmal ab (ausspucken ist hässlich – weil mächtig; zeig nicht mit dem Finger auf Menschen – das ist eine alte Geste der Magie; schau Männern, Erwachsenen nicht direkt in die Augen – aus deinen Hexenaugen könnte mehr Kraft kommen, als diese Menschen vertragen! Usw.).

Bei der 160. Göttin verzagte ich. 160 erschien mir viel, aber es war noch nicht einmal die Hälfte der Zahl, die ich brauchte. Ich stürzte ab. Das Material wanderte in die Kleiderkammer und ich ließ mich auf eine Reportage über einen Skirennfahrer ein. Als ich mit der Gnadenlosigkeit des Rennsports, dieser Essenz des Patriarchats, konfrontiert wurde (wer nicht siegt, hat keine Existenzberechtigung, der Körper wird geschunden und präpariert, einzig um dem wahnsinnigen Druck standzuhalten, egal, ob dabei die Seele kaputtgeht, egal, was in zwanzig Jahren mit dieser Person geschieht), holte ich das Göttinnenmaterial wieder aus der Kammer. Ich legte alle Bücher und mein Notebook in der Mitte des Zimmers zusammen und formte einen Kreis aus Steinen, Göttinnenfiguren, Kartoffeln, Zweigen, Äpfeln, Federn, Knochen. Im Osten stellte ich innerhalb des Kreises einen Becher Milch auf, im Süden eine Schale mit Honig, im Westen eine Kerze und im Norden ein Räuchergefäß.

Dann setzte ich mich in den Kreis und rief die Göttinnen, 366 Göttinnen. Ich sang ihre Namen, ich lockte sie, ich flüsterte, knurrte, schrie, jodelte einen Namen nach dem anderen. Ich soll Stroh zu Gold spinnen, sagte ich, aber ich kann nicht spinnen. Helft mir. Warum nicht gleich, sagten die Göttinnen. Wer sagt, dass eine ohne Inspiration der Ahninnen schreiben kann?

Das Schreiben wäre nicht mal das Problem, sagte ich, die Struktur, der Kalender, die alphabetische Liste, die ganze Fleißarbeit. Ich bin ehrlich gesagt zu faul, um mir diese Arbeit zu machen.

Sei ganz beruhigt, sagte Baba Yaga, wir werden dir schon auf die Sprünge helfen.

Als ich den Kreis auflöste, wusste ich, dass mir eine wichtige Erkenntnis geschenkt worden war: DEMONS ARE A GIRL’S BEST FRIEND.

Göttinnen sind mein Lebensthema. Warum? Es geht mir nicht darum, irgendwelche Frauen anzubeten. Für mich sind Göttinnen lebendiger und ständiger Wandlungsprozess weiblicher Kraft und weiblicher Wirklichkeit. Das heißt auch: Das Klischee der Weiblichkeit wird facettenreich aufgelöst. Weiblich ist eben alles, was eine Frau lebt.

Ich bin eine Frau und ich genieße es, die Vielfalt der weiblichen Kraft in mir und in allen Frauen zu feiern. Dieses Buch soll ein immerwährender Kalender der Frauenkraft, ein Orakelbuch, ein Ritualbuch oder einfach eine Beschreibung der vielfachen überwältigenden Frauenkraft sein, die durch Göttinnen repräsentiert wird. Das lineare Vergehen von Zeit mit all den Moden und Hypes wird durch die Vielfalt der Göttinnenerscheinungen aufgehoben. Zeit- und raumlos prägen sie immer wieder auch das Erscheinungsbild von Frauen, spiegeln die komplexe weibliche Wirklichkeit und regen Frauen an, sich spielerisch immer wieder neu zu erfinden.

BRAUCHEN WIR AHNINNEN UND GÖTTINNEN?

Stellen wir uns vor, es gäbe keine Ahninnen, keine Vorbilder, was in sich schon ein Paradox ist: Denn während ich das sage, denke, schreibe, kann ich es nur tun, weil es eine ununterbrochene Linie bis zur Urmutter vor wie vielen Tausend oder Millionen Jahren auch immer gibt, sonst wäre ich nicht geboren worden.

Stellen wir es uns trotzdem vor. Jede von uns hätte das Gefühl, sie ist die Erste. Oliver Sacks beschreibt diesen tödlichen Zustand in »Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte« als eine Störung der Hirnchemie: Alles, was war, wird sofort wieder vergessen. Die kranke Person hat das Gefühl, sie müsse alles in jedem Augenblick des Lebens neu erfinden und erdenken, und kaum ist es erfunden und erdacht, entgleitet es dem Bewusstsein. Das wäre unsere Situation ohne Ahninnen und Göttinnen, denn es gäbe für uns als Frauen kein Muster, keine Modelle, wie eine sich verhalten, was eine gekonnt und getan hat, und jede von uns müsste alles neu erfinden.

Es ist also offensichtlich, dass wir Ahninnen – und Göttinnen, die ja eine Art Erhöhung der Ahninnen sind – haben. Da, wo jede steht, ist das Ende einer ununterbrochenen Ahninnen-Folge seit der Urzeit. Wenn unsere Frauen-Linie nicht ungebrochen und ewig wäre, gäbe es keine von uns, denn jede wurde von einer Frau geboren, diese wurde wieder von einer Frau geboren und so fort. Wir sind das jüngste Glied in einer uralten Kette von Frauen. Ob wir Ahninnen, ja Göttinnen brauchen, ist die andere Frage.

Genauso gut könnte ich fragen: Wozu brauche ich meine Großmutter oder Frau Wurzer? In meinem Fall ist das klar: Meine Großmutter konnte Karten legen, war eine selbstbewusste, machtbewusste Frau, von ihr lernte ich wie von keiner den Gebrauch von Tarotkarten und von Macht (abgesehen von der Kleinigkeit, dass ohne sie meine Mutter nicht geboren worden wäre und folglich mich nicht hätte gebären können). Frau Wurzer lehrte mich, dass alles möglich ist. Das nur am Rande.

Wer aber könnte ein Interesse daran haben, die Existenz von Ahninnen und Göttinnen und ihre Bedeutung für uns zu verschleiern oder gar zu negieren? Für wen, anders gefragt, sind sie gefährlich, bedrohlich?

Es muss männlichen Wissenschaftlern wie eine Bombe im Bewusstsein liegen, dass Unsterblichkeit im Mythos der Völker fast immer dem Weiblichen zugeordnet und immer in der Erbfolge der Frauen gelebt wird. Möglicherweise ist nicht einmal das Imponiergehabe der Männer wirklich männlich, denn der Macho könnte sich durchaus von Macha, der keltisch-irischen Königin, ableiten, die schneller laufen konnte als das Pferd des Königs.

Entschlossenheit, kämpferischer Geist, Mut und Durchhaltevermögen können spätestens seit Boadicea, der keltischen Fürstin und Kriegerin, die vor etwa zweitausend Jahren gegen die Römer antrat, auch nicht mehr als männliche Tugenden definiert werden. Machtvolle, furchterregende Eigenschaften finden sich von Kali über Baba Yaga bis zu Hel und Percht. Wie konnte es passieren, dass heute Frauen vor Männern zittern? Dass Kampfgeist, Entschlossenheit und Mut als männliche Eigenschaften gelten?

Während die patriarchale Geschichte mit Namen von Königen, Helden und Päpsten, mit Jahreszahlen von Kriegen und Eroberungen in die Hirne der Menschen gebrannt wurde, haben die Herrschenden alles getan, um die Namen der Frauen zu löschen, die Macht der Frauen zu knebeln und vergessen zu machen.

Frauen sind nicht wichtig, sind der »Sekundärwiderspruch«, hieß es in der linken Szene. Sie sind »trivial«. Hier möchte ich ansetzen: Die römische Göttin Trivia, die Göttin des Alltags, des Haushalts und der Wegkreuzungen, eine entschärfte Form der Göttin Hekate (von Hekau, Worte der Macht, aus Nordafrika), der griechischen Wegkreuzungsgöttin und Mutter aller Hexen, ist ein besonders gutes Beispiel, wie eine mächtige Frau »trivialisiert« wurde.

Keine wache Frau und Hexe kann auf Hekate, auf Ariadne – die mit dem Faden; woher wüssten wir vom Labyrinth und wie wir hinein- und wieder herausfinden, wenn nicht von ihr – verzichten. Von ihnen und anderen haben wir alles gelernt, was wir können. Und haben es wieder vergessen. Immer wieder aber gab es Frauen, die die Gaben der Ahninnen und Göttinnen gepflegt und unter schwierigsten Bedingungen weitergegeben haben, und so können wir immer wieder bei Eva und Lilith anfangen.

GÖTTINNEN

Ich frage mich heute nicht mehr so oft: Warum ging das Matriarchat zu Ende? Dafür frage ich mich öfter und mit mehr Erfolg: Wie etablierte sich das Patriarchat? Dabei bin ich auf eine interessante Spur gestoßen. Je genauer ich nämlich die Grundfesten des Patriarchats untersuche, umso klarer kristallisiert sich die Antwort auf meine erste Frage heraus.

Was sind die Grundfesten des Patriarchats? Es sind

monotheistische (unfehlbare) Religionen mit einem einzigen männlichen Gott,Konkurrenzkampf,Privatbesitz, zu dem die Familie gehört.

Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben, lautet zum Beispiel eins der Gebote, von denen uns doch wahrhaftig heute noch das Märchen erzählt wird, sie seien in einer Bundeslade, was immer das ist, von einem Berg heruntergebracht worden.

Abgesehen davon, dass die Patriarchen bereits damals von den Frauen viel gelernt und ihnen damit ihre Eigenmacht abgekauft haben, indem sie begriffen, dass Legenden ein wesentlicher Teil der Volksgeschichte und kaum angreifbar sind, ist doch die entscheidende Botschaft bei diesem ersten von zehn seltsamen Geboten: Was immer du denkst, fühlst, welche Widersprüche du auch empfinden, wie viele andere Wahrheiten du im Leben finden magst – dieses erste Gebot setzt alle anderen gefundenen Werte außer Kraft.

Wer aber sagt diesen Satz: Ich bin der Herr, dein Gott (ein eifersüchtiger noch dazu), du sollst keine anderen Götter neben mir haben? Doch nicht Gott. Das Göttliche hat es nicht nötig, herumzueifern und zu geifern. Ist das Göttliche das Kleinkarierte, Eifersüchtige, Ängstliche, Unsichere, das sich ausgerechnet von ein paar herumfrettenden Menschlein die volle Anerkennung erzwingen will? Dieses erste Gebot zeigt sehr genau, woher der Wind weht: Ich, der Mann, bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Männer, also Götter neben mir haben. Ich bin es leid, Göttinnen und Frauen zu verehren. Ich möchte endlich auch Macht haben, ich möchte bestimmen, wie das Leben gelebt wird. Ich kann zwar nicht gebären, bin aber trotzdem der Herr allen Lebens. Ich möchte die Unterwerfung, und wer sich nicht beugt, den breche ich. Das steckt dahinter.

Ah, natürlich, wieder ein Gebot: Du sollst nicht töten. Aber das gilt nicht für mich, den Herrn, deinen Gott, denn im Krieg ist alles erlaubt, und ich gestatte meinen Soldaten, den Feind niederzumetzeln, oder sagen wir, die Lebendigen zu töten, auf dass die Toten geehrt werden können.

Und was ist mit diesem Gebot? Du sollst nicht stehlen. Als diese »Gebote« in die Welt gebracht wurden und das Ende der matriarchalen Kultur besiegeln sollten, war die Menschheit auch schon mindestens eine Million Jahre alt. In all dieser Zeit hatten Menschen unter anderem deshalb so gut überlebt, weil sie beweglich blieben, weil sie Orte verlassen konnten, wo Krankheit, Eis, wilde Tiere, zu wenig Nahrung das Leben schwer machten, weil sie andere Orte aufsuchten, sich dort niederließen und blieben, bis es Zeit war weiterzuziehen.

Diese Lebensart erforderte zwei Grundvoraussetzungen: Das Land und alles, was sich darin bewegt und wächst, sind frei und gehört niemandem (ein paar unbelehrbare amerikanische Ureinwohnerinnen bestehen ja heute noch auf diesem Grundsatz) und die Anzahl der Menschen in einem Klan muss den Lebensbedingungen so angepasst sein, dass kein Nahrungs- und Überlebenskampf entsteht. Wer sagen kann: Du sollst nicht stehlen, muss vorher gesagt haben: Das alles ist mein. Wer aber das sagt, hat schon gestohlen und sichert sich mit diesem Gebot nur gegen Gleichgesinnte ab, die auf die gleiche Idee kommen könnten: Ich war schneller und jetzt dürft ihr anderen alle nicht stehlen.

Noch interessanter: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Hof, Weib oder alles, was sein ist. Aha. Da haben wir den klassischen Urpatriarchen. Der mysteriöse Nächste! Mit Gewalt nimmt er sich Land und Frau, denn ohne Land und ohne Frau stirbt er aus. Dann bestimmt er die neuen Besitzregelungen und schüchtert die anderen Patriarchen ein, die auf seine Beute aus sind. Ich will am Rande erwähnt haben, was die Parthenogenese-Forscherin Marianne Wex in Vorträgen erzählt und belegt: Parthenogenese, also Fortpflanzung ohne Befruchtung durch den Mann, war und ist möglich; es passiert öfter, als wir denken, und verschiedene Tierarten pflanzen sich überhaupt nur so fort. Das bedeutet, dass die Existenz des Weiblichen in der Welt gesichert ist, nicht aber die Existenz des Männlichen.

Das muss in der männlichen Gedankenwelt eine gewisse Unruhe erzeugt haben, die sich unter anderem in religiösen Regeln, zum Beispiel in den Zehn Geboten, vor allem aber in der Neuordnung der menschlichen Gesellschaft niederschlug. Denn während sich in der ältesten, also tiefsten Siedlungsschicht der etwa 7000 Jahre alten matriarchalen Siedlung Çatal Höyük keinerlei Waffen und keine Befestigungs- und Verteidigungseinrichtungen finden, was darauf hinweist, dass es einfach keine Gewalt, keine Kriege gab und sich folglich auch niemand davor schützen musste, wissen wir sehr genau, wie sich das Patriarchat etabliert hat: mit Gewalt, mit Waffen, mit Kriegen und mit religiösen Gesetzen, die unfehlbar wurden. Noch heute kann einer wegen Blasphemie verurteilt werden, während jeder über Göttinnen ungestraft lästern darf. Aber: Blasphemie ist machbar, Frau Nachbar!

Kommen wir zur Familie. Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohl ergehe und du lange lebst auf Erden. Scheinbar selbstverständlich und vernünftig, dieses Gebot. Aber schauen wir ruhig genauer hin: Du kannst alte Frauen verhöhnen, zum Beispiel auch deine Großmutter, von der ist ja nicht die Rede, und wenn du schon dabei bist, mach ruhig auch noch deinen Opa fertig, die Alten kommen in den Geboten eh nicht vor. Schieb sie ab, auch die Schwachen, die Behinderten, mach sie fertig, die Ausländer, die Flüchtlinge, die Außenseiter. Behaupte dich, setz dich durch. Wenn du die Schwachen an den Rand der Gesellschaft drängst oder auch hinausstößt, hast du zumindest vom Herrn, deinem Gott, nichts zu befürchten, denn als er die Zehn Gebote vom Himmel fallen ließ, waren ihm die Schwachen und die Außenseiter offenbar derart egal, dass ihm dazu kein Gebot einfiel. Es gab gar keine? Was für ein Schachspieler wäre aber dieser Gott, der nicht ein paar Hundert Züge vorausdenken kann?

Dafür wird die Familie auf den Thron gehoben, denn sie ist die Grundfeste patriarchaler Macht: Mag sein, dass dein Vater deine Mutter jede Nacht vergewaltigt, misshandelt, halb totschlägt und dich dazu, wie immerhin nachgewiesene 25 Prozent und eine weit höhere Dunkelziffer von Vätern das tun – ehre ihn, denn Gott will es von dir. Deine Mutter hat dich verlassen? Sie peinigt dich und schlägt dich, sie demütigt dich? Ehre sie, denn sie ist deine Mutter.

Diese Eltern, die ja nun so selten nicht sind, haben zwar nichts anderes getan, als sich zu amüsieren, miteinander zu schlafen und dabei zufällig dich und andere arme Geschwister zu produzieren, aber ehre sie, denn sie sind deine Eltern. Krieche vor ihnen im Dreck, verachte sie nicht und wage es nicht, sie anzuschreien, sie zur Rechenschaft zu ziehen, denn sie sind schon fast göttlich. Pasolini, der an seiner erzkatholischen Erziehung zerbrach, noch bevor er umgebracht wurde, bezeichnete einmal die Familie als kleinste terroristische Einheit. Dass Eltern, die ihre Kinder lieben, mit ihnen respektvoll, liebevoll und zärtlich umgehen, ohnehin geachtet und geehrt werden, hat der Herr, dein Gott, wohl nicht gewusst, oder was hat er sich bei diesem Gebot gedacht?

Die mythische Überhöhung des Gottes, des männlichen Helden, des Kriegers, des Königs, des Herrschers, des Vaters diente der männlichen Macht und war eines der Hauptinstrumente im Krieg gegen die Frauen. Was aber war an den Frauen so mächtig, so bedrohlich, dass die Männer vor ihnen solche Angst hatten?

Das auffälligste Merkmal, das die Frau definitiv und ohne jede Diskussion von Männern unterscheidet, ist, dass sie sich reproduzieren kann, wie auch immer. Wenn sie nicht darüber nachdenkt, die Gehirnwäsche eventuell an ihr vorübergegangen ist oder sie genug Fantasie und Energie hat, tut sie es möglicherweise ohne den Anstoß von Spermien (nicht »Samen«, denn der Same ist das Ei). Wenn sie sich den herrschenden Sitten anpasst, lässt sie sich begatten, aber jedenfalls passiert es in ihrem Körper und selbst bei Reagenzglaskopfgeburten doch mit ihr, mit ihren Eiern aus ihrem unsterblichen Eierstock, durch ihr Zutun und mit ihrer Energie. Sie blutet zyklisch, um sich auf die Reproduktion vorzubereiten.

Die Zeit der Blutung, auch die Zeit kurz davor und die Zeit kurz danach, ist eine besondere Zeit. Frauen, die auf diese besondere Energie einsteigen können, z. B. weil sie nicht in Familien, sondern vielleicht in gewachsenen Großfamilien, Wahlverwandtschaften, freien Gemeinschaften leben, sich mit anderen Frauen intensiv austauschen, weil sie freiberuflich arbeiten und sich ihre Zeit einteilen können, weil sie also eigen-mächtig sind, erleben die Zeit der Menstruation als besonders mächtige Phase in ihrem Zyklus. Zauberinnen und weise Frauen entdecken in dieser Zeit in sich eine besonders starke magische Kraft.

Ehe es Stechuhren, Geschäftszeiten und Familien-Terror gab (o ja, das gab es mal, kaum zu glauben), standen den Frauen folglich ganz andere zyklische Kräfte zur Verfügung. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Zyklus nicht nur zur Reproduktion, sondern vor allem zur ständigen Erneuerung, Erfrischung und Impulsverstärkung des weiblichen Körpers wichtig war.

Des Weiteren haben wir wohl auch alle schon bemerkt, dass Frauen durchaus unterschiedlich voneinander sind. Abgesehen davon, dass Frauen wohl nicht »das Empfangende« sind, denn dann wären sie sicher wohlhabender, lassen Frauen sich einfach nicht auf wenige Klischees zurechtstutzen. Es gibt wilde Frauen, brave Frauen, aufrührerische Frauen, angepasste Frauen, zähe Frauen, schwache Frauen, liebevolle Frauen, grausame Frauen. Frauen sind erfinderisch, fantasielos, gewitzt, langweilig, geistvoll und sprühend, lähmend, erdig, luftig, feurig, verwässert, elementar, oberflächlich, gescheit, strohdumm, impulsiv, berechnend, intuitiv, voller Ahnungen … kurzum: Frauen haben in sich alle Kräfte, die es überhaupt gibt. Je nachdem, wie es ihnen in der Kindheit und der Jugend erlaubt wird, wie sie es sich selber erlauben können, diese Kräfte, Fähigkeiten und Anlagen zu pflegen, bilden sie diese aus oder nicht. Ziel der patriarchalen Bemühungen ist es, die Frau in eine dem jeweiligen Kulturkreis angepasste Variante zu pressen, in der sie entschärft ist, gefahrlos goutiert und anschließend abgeschoben, weggeworfen, entsorgt werden kann. Um sich zu festigen, musste die Männerherrschaft (von Wirtschaft kann gar nicht die Rede sein, das würde zu gastlich klingen) also vorrangig die freie Verfügung über die Zeit und das Leben nach dem weiblichen Zyklus brechen. Ich behaupte: Psychiatrische Kliniken sind ursprünglich zur Niederwerfung der Frauen und ihrer Macht erfunden worden. Dass schließlich auch Männer an dieser »Kultur« verrückt wurden, konnte nicht ausbleiben. Kluge Männer wissen das (nein, ich habe nichts gegen Männer, aber alles gegen Herrscher).

Die vielfältigen Erscheinungsformen von Frauen, die vielen Eigenschaften und Kräfte, Talente und Begabungen zeigen uns vor allem eins: Was wir heute Göttinnen nennen, waren Frauen, waren Ahninnen, waren unsere Vor-Mütter, unsere Beispiele, Vorbilder, Erscheinungen besonders gepflegter und hoch entwickelter Fähigkeiten.

Göttinnen haben wir nicht, behauptete noch vor fünfzehn Jahren ein Bibliothekar der British Library, als ich für meine Göttinnenforschung einen Ausweis holen wollte. Er fand es besonders witzig, mir einen sportlichen Wettkampf anzutragen: Wenn Sie in zehn Minuten in unserem Katalog zehn Bücher über Göttinnen finden, bekommen Sie Ihren Ausweis.

Unter dem Schlagwort »Goddess« fand sich zwar, erwartungsgemäß, nichts; ich wusste aber bereits, wie sich die Wissenschaft damals aus der Affäre wand, und suchte unter »Fertility« und »Deity«, also »Fruchtbarkeit« und »Gottheit«. In acht Minuten war ich fündig und bekam meinen Ausweis. Der Bibliothekar bekam seinen Initialimpuls: So etwas gibt es bei uns?

So etwas gibt es überall, meine Herren. In jeder Frau, in jedem Land, in jedem Element, in jeder Himmelsrichtung, in jedem Stamm, in jeder Nation gibt es Göttinnen.

Und der Witz ist: Sogar in jeder patriarchalen Religion gibt es Göttinnen, denn ohne sie ist alles nichts. Keine patriarchale Weltreligion konnte auf die Mutter Gottes, die All-Einige, die ja wohl nichts anderes als eine Göttin sein kann, verzichten.

Der Berühmteste der Koreshiten (Söhne der Kore) war Mohammed, der Prophet, der mit dem Koran die Überlieferungen, die Weisheiten der Göttin Kore, seiner Urmutter, festschrieb. Fatima, die Schwester des Propheten, war und blieb die Göttin der Frauen, die Unheil abwendet (die Hand der Fatima) und in der Not hilft. Tara, die in der vorbuddhistischen tibetischen Bön-Kultur Dölma hieß, wurde von den Buddhisten ebenso in die neue patriarchale Religion integriert wie Phalden Lhamo, die Dunkle, die Grausame, die Dämonin als Göttin, die sogar zur Schutzgöttin des Dalai Lama wurde. Die mächtigen Männer wussten schon, wie sehr sie auf die weibliche Kraft angewiesen waren. Mag sein, dass die hinduistischen Brahmanen die Urgöttin Kali nicht verehren, denn sie ist die Göttin der Unberührbaren, der Ausgestoßenen, Kranken, Aussätzigen, aber wenns brennt, kommen auch die Brahmanen und überspringen ihre Berührungsängste, um nicht unterzugehen. Das Christentum zollt der Mutter Gottes den nötigen Respekt, zwar in einem Randbereich, aber die Wallfahrten und Votivgaben betreffen in der Hauptsache sie, das heißt, gelebte Religiosität ist zumeist der Göttin Maria gewidmet. Die protestantische Kirche hat zwar keine Göttinnen (meine ganze Kindheit hindurch starrte ich auf die vier gemalten Propheten an der Kirchenwand und sehnte mich danach, in einer erhabenen Religiosität irgendwie als Frau vorkommen zu können), dafür lässt sie Priesterinnen zu und die kommen mächtiger denn je zum Zug.

Meine Suche nach Ahninnen, Göttinnen, Vorfahrinnen wurde zu einer Abenteuerreise in die Geschichte der Menschen, der Frauen. Von Marija Gimbutas, der Archäologin, und Marie König, der Frühgeschichtsforscherin, in die Urzeit geführt, war ich jetzt hellwach für Erscheinungen weiblicher Kraft. Ich durchstreifte Museen, Ausstellungen, Wallfahrtskirchen, Märkte, Auktionshäuser, Antiquitätengeschäfte, Galerien, Trödelläden, Flohmärkte, Bäckereien, Modegeschäfte, die Rock- und Popkultur, Kinos, Kneipen – und siehe da: überall Göttinnen.

Ich verabschiedete mich endgültig von der Herrschaftsgeschichte, die genau wie Herrschaftsreligion so unfehlbar daherkommt und verlogen und so löchrig wie Schweizer Käse ist, und tauchte ein in die zu Randerscheinungen degradierten, zu lächerlichem, läppischem Kinderkram gemachten Märchen. Ich rekonstruierte Geschichte aus den Geschichten, Erzählungen, Legenden, Witzen, Kinderspielen, Kinderreimen, Liedern, Volkssagen, Namen von Bergen und Orten und Felsen, aus Sagengestalten, Tabus und Geheimnissen; und überall, überall fand ich sie – die Göttinnen.

Die Namen der Göttinnen und Ahninnen, der Dämoninnen und Feen sind unsere Geschichte, sind die Facetten weiblicher Eigenschaften und Fähigkeiten. Indem wir sie wiederentdecken, legen wir unsere Kräfte frei. Indem wir sie feiern, feiern wir uns selbst in allen Erscheinungsformen. Indem wir sie benennen, schreiben wir die ununterbrochene Geschichte weiblicher Macht neu und holen sie uns zurück.

Eine Frau, die sich aufmacht, die Geschichte der Frauen zu erforschen, Göttinnen, weibliche Idole oder Frauenfiguren zu suchen und die Darstellung weiblicher Kraft aus der Eiszeit oder Steinzeit zu entdecken, muss in die Unterwelt absteigen. Genauer gesagt: in die Keller der Museen und Archäologischen Sammlungen, denn dort bewahren Museen dieses scheinbar so gefährliche Material auf, das, wenn es so eifrig wissenschaftlich erforscht würde wie Waffen, Kriegsmaterial oder Goldfunde, unseren Blick auf die Geschichte grundlegend verändern würde. Von den ersten bisher gefundenen menschlichen Knochen von Lucy und Ardi bis zur Venus vom Hohle Fels, zur Willendorferin, den Kykladengöttinnen, den sibirischen Frauenidolen von Mal’ta – wer die Frühgeschichte erforscht, landet bei den Frauen.