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"Vergleiche nie ein Kind mit einem anderen, sondern immer nur mit sich selbst!" (Johann Heinrich Pestalozzi) Die frühkindliche Entwicklung ist eine Reise, dies jedes Kind auf seine eigene einzigartige Weise antritt. In diesem Buch "Eine Kita für alle. Die frühkindliche Entwicklung - Gemeinsam anders!" lade ich Euch ein, sich auf eine inspirierende Reise zu begeben. Die verschiedenen Entwicklungsschritte von Kindern, die wir täglich in der Kindertagesstätte begleiten, verlaufen nur selten nach dem selben Schema. Die in diesem Buch aufgeführten Entwicklungsphasen sollen einen Anhaltspunkt und eine Orientierungshilfe geben, um die Fortschritte eines Kindes zu beurteilen, sogenannte Entwicklungsabweichungen aufzuspüren und dementsprechend Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten.
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Seitenzahl: 299
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Sind so kleine Hände
Sind so klare Augen
winz´ge Finger dran.
die noch alles sehn.
Darf man nie drauf schlagen
Darf man nie verbinden
die zerbrechen dann.
könn`sie nicht mehr sehn.
Sind so kleine Füße
Sind so kleine Seelen
mit so kleinen Zehn.
offen ganz und frei.
Darf man nie drauf treten
Darf man niemals quälen
könn`sie sonst nicht gehen.
gehen kaputt dabei.
Sind so kleine Ohren
Ist so`n kleines Rückgrat
scharf und ihr erlaubt.
sieht man fast noch nicht.
Darf man nie zerbrüllen
Darf man niemals beugen
werden davon taub.
Weil es sonst zerbricht.
Sind so kleine Münder
Grade, klare Menschen
sprechen alles aus.
wär`n ein schönes Ziel.
Darf man nie verbieten
Leute ohne Rückgrat
kommt sonst nichts mehr raus.
hab`n wir schon zu viel.
Die frühkindliche Entwicklung ist eine Reise, die jedes Kind auf seine eigene einzigartige Weise antritt. In den ersten Jahren formt sich das Fundament für ein Leben voller Entdeckungen, Wachstum und Selbstentfaltung. In diesem Buch „Eine Kita für alle. Die frühkindliche Entwicklung – Gemeinsam anders!“ lade ich Euch ein, sich auf eine inspirierende Reise zu begeben. Die verschiedenen Entwicklungsschritte von Kindern, die wir täglich in der Kindertagesstätte begleiten, verlaufen nur selten nach demselben Schema. Die in diesem Buch aufgeführten Entwicklungsphasen sollen einen Anhaltspunkt und eine Orientierungshilfe geben, um die Fortschritte eines Kindes zu beurteilen, sogenannte Entwicklungsabweichungen aufzuspüren und dementsprechend Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten. Dabei ist die wichtigste Rolle der pädagogischen Fachkräfte in der Gesamtentwicklung der Kinder zu schauen. Häufig wird eine Abweichung von erforschten „Entwicklungsfahrplänen“ allzu schnell als krankhaft angesehen. Hier muss unbedingt umgedacht werden und den einzelnen Entwicklungsschritten ein größerer Spielraum beigemessen werden. Jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich schnell, auf vielfältigen Wegen, die von den individuellen Bedürfnissen und Talenten der Kinder geprägt sind. In einer Kindertageseinrichtung sollte diese Einzigartigkeit erkannt und nach Kräften gefördert werden. Denn wahre Bildung geht über das Vermitteln von Wissen hinaus – das bedeutet, ein liebevolles und inklusives Umfeld zu schaffen, in dem jedes Kind die Möglichkeit hat, sein volles Potenzial zu entfalten. Inklusion ist für mich nicht nur ein Wort, sondern ein Versprechen. Ich glaube daran, dass jedes Kind das Recht hat, sich an unserer Gesellschaft zu beteiligen, unabhängig von seinen Fähigkeiten, seiner Herkunft oder seinem Hintergrund. Die Kita sollte ein Ort sein, an dem Kinder lernen, Empathie zu entwickeln und die Welt in all ihren Facetten zu entdecken. Bei Inklusion geht es nicht um ein Konzept, welches einmal beschlossen und umgesetzt werden kann, sondern um eine intensive fachliche und wertbezogene Auseinandersetzung mit Kindern bzw. Menschen, die in ihrer Vielfalt als Teil der Gesellschaft verstanden werden. Der Inklusionsgrundgedanke geht auf eine lange pädagogische Traditionslinie zurück. Sie reicht von Pestalozzi und Maria Montessori bis hin zu Annedore Prengel und der von ihr geprägten Pädagogik der Vielfalt. Vielfalt soll demnach nicht als Problem verstanden werden, sondern soll die Normalität unserer Gesellschaft sein bzw. werden. Diese Normalität gilt es in pädagogischen Kontexten professionell zu gestalten, zu akzeptieren und wertzuschätzen. In diesem Buch möchte ich meine Erfahrungen und Erkenntnisse aus meiner Arbeit als Erzieherin, aus meinem Fernstudium zur Fachkraft für Integration und Inklusion und aus meinem Fernstudium zur Fachkraft für frühkindliche Entwicklungsberatung mit Euch teilen. Fallbeispiele, Praxisideen, Praxistipps und Reflexionen finde ich für meine Arbeit als Erzieherin immer sehr hilfreich, so dass diese selbstverständlich auch in diesem Buch wiederzufinden sind. Ich hoffe, dass das Buch euch dabei hilft, eine tiefe Wertschätzung für die frühkindliche Entwicklung, Inklusion und der damit verbundenen Vielfalt zu entwickeln. Ich möchte euch inspirieren, euch aktiv in die Gestaltung einer Welt einzubringen, in der alle Kinder die gleichen Chancen haben, gemeinsam anders zu wachsen. Die frühkindliche Entwicklung ist ein Schatz, den es zu bewahren und zu fördern gilt. Ich freue mich an einer Zukunft zu arbeiten, in der jede Kita eine Kita für alle ist. Möge dieses Buch Euch auf einer eigenen Reise
begleiten und Euch neue Perspektiven und Einsichten eröffnen.
Ich wünsche Euch viel Freude beim Lesen und freue mich über Fragen, Anregungen aber auch über Kritik. Gerne dürft ihr mich per Email unter: [email protected] kontaktieren.
Liebe Grüße
Vanessa
(Johann Heinrich Pestalozzi)
I. Auf dem Weg zur Inklusion
1. Von der Exklusion bis hin zur Inklusion
2. Rechtliche Grundlage von Inklusion
3. Inklusion und Vielfalt – ein Definitionsversuch
4. Inklusionsziel „Starke Kinder“ - Resilienzentwicklung
5. Weitere Ziele inklusiver Arbeit
6. Pädagogik der Vielfalt – Der Anti-Bias-Ansatz
II. Allgemeine Grundlagen der Entwicklungspsychologie
1. Der Entwicklungsbegriff
1.1. Ursachen der Entwicklung
1.2. Verlaufsformen, Phasen und Entwicklungsaufgaben
2. Forschungsmethoden der Entwicklung
3. Beeinträchtigung und Behinderung – Was ist das?
4. Herausforderndes Verhalten und Verhaltensauffälligkeiten
4.1. Mögliche Handlungsalternativen
III. Ein gemeinsamer Weg – Das bunte Team auf Reise
1. Fachkräfte auf dem Weg zur Inklusion
2. Methodische Prinzipien inklusiver Arbeit
3. Zentrale Ressource – Die Haltung der Fachkräfte
3.1. Adultismus – Ist die Welt nur für Erwachsene?
4. Beobachtung und Wahrnehmung als Kernaufgaben
5. Kinder in ihrer Entwicklung stärken
5.1. Im Zentrum steht das Kind und seine Bedürfnisse
6. Die Bindungstheorie
IV. Kinder mit körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen in die Kita integrieren
1. Die körperliche Entwicklung
1.1. Das kindliche Ernährungsverhalten
1.2. Erziehung zur Sauberkeit
2. Bedeutung der Bewegung
3. Die motorische Entwicklung
3.1. Entwicklung der Koordination und Kondition
3.2. Kinder mit motorischen Beeinträchtigungen
V. Kinder mit Beeinträchtigungen der Wahrnehmung in die Kita integrieren
1. Die frühkindlichen Reflexe
2. Die Entwicklung der Wahrnehmung
3. Entwicklung der taktilen Wahrnehmung - Fühlen
3.1. Kinder mit taktilen Wahrnehmungsstörungen
4. Entwicklung der vestibulären Wahrnehmung - Gleichgewicht
4.1. Kinder mit vestibulären Wahrnehmungsstörungen
5. Entwicklung der kinästhetischen Wahrnehmung - Bewegungsempfinden
6. Entwicklung der visuellen Wahrnehmung - Sehen
6.1. Kinder mit visuellen Wahrnehmungsstörungen
7. Entwicklung der auditiven Wahrnehmung - Hören
7.1. Kinder mit auditiven Wahrnehmungsstörungen
VI. Kinder mit Beeinträchtigungen der Kognition in die Kita integrieren
1. Die kognitive Entwicklung
1.1. Kinder mit kognitiven Beeinträchtigungen
VII. Kinder mit sprachlichen Beeinträchtigungen in die Kita integrieren
1. Bedeutung, Funktion und Voraussetzung der Sprache
2. Die sprachliche Entwicklung
2.1. Kinder mit sprachlichen Auffälligkeiten
2.2. Sprachförderung durch pädagogische Fachkräfte
3. Zwei- und Mehrsprachigkeit
3.1. Sprachförderlicher Umgang mit mehrsprachigen Kindern
VIII. Kinder mit sozial-emotionalen Beeinträchtigungen in die Kita integrieren
1. Die Entwicklung des Sozialverhaltens
1.1. Die Entwicklung des Spiels
2. Die emotionale Entwicklung
3. Kinder mit Beeinträchtigungen des Sozialverhaltens bzw. Spielverhaltens
IX. Die Elternbrille aufsetzen – Elternbildung und Beratung
1. Definition von Elternarbeit
1.1. Allerlei Familie – Familienleben heute
2. Inklusive Informationspolitik und Transparenz
3. Die Kunst der Kommunikation
X. Austausch zwischen allen Beteiligten – Institutionen der Frühberatung als Partner
1. Institutionen der Frühförderung
2. Einführung in die Testdiagnostik
Grenzen der Inklusion
In einer Welt, die von Vielfalt geprägt ist, ist die Entwicklung von der Exklusion zur Inklusion ein entscheidendes Kapitel in der sozialen Evolution. Dieser Prozess ist gekennzeichnet von Veränderungen, Herausforderungen und dem stetigen Streben nach einer inklusiven Gesellschaft, in der jeder Mensch, ungeachtet seiner Herkunft, seiner Fähigkeiten oder seiner Überzeugungen gleiche Chancen und Rechte hat. Um besser in das Thema Inklusion und Vielfalt einsteigen zu können, gilt es zunächst die Entwicklung der inklusiven Arbeit vor dem Hintergrund einer langen historischen Entwicklungsgeschichte zu betrachten und zu verstehen. Nur auf diesem Entwicklungshintergrund kann eine schrittweise Umsetzung der inklusiven Arbeit verstanden und damit auch weiterentwickelt werden. Statt gesellschaftlicher Inklusion wurden über Jahrhunderte eher die Exklusion, die Seperation und die Integration gelebt. Diese bezeichnen gesellschaftliche Sachverhalte und Prozesse, die sich durch festgelegte Handlungsmuster und Verhaltensnormen sozialer Gruppen reproduzieren. Seit mehreren Jahren sprechen sowohl die Fachöffentlichkeit wie auch die Behindertenpolitiker vom Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik. Es geht darum gesellschaftliche Bedingungen zu erfragen, Barrieren zu erkennen und Gelegenheiten zu identifizieren, die eine Ungleichbehandlung und Ausgrenzung bewirken.
Bis zum 19. Jahrhundert wurden Menschen mit Entwicklungsverzögerungen, mit Behinderungen und mit sonderpädagogischen Förderbedarf von relevanten gesellschaftlichen Bereichen des Lebens und aus Bildungseinrichtungen ausgeschlossen, gegen deren Willen. Die Menschen bildeten aber auch keinen eigenen gemeinsamen Kreis. Im Altertum wurde Behinderung als eine Strafe der Götter angesehen. Neugeborene mit Behinderungen wurden in den meisten Kulturen direkt nach der Geburt im Interesse des Gemeinwohls getötet. Sogar berühmte Philosophen wie zum Beispiel Platon (428 – 348 v. Chr.) und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) fanden die Tötungen gerechtfertigt.
Im Mittelalter wurde Behinderung als Strafe Gottes für die Sünden der Vorfahren verstanden oder aber auch die Einwirkung von Dämonen und einen Kindertausch durch den Satan wurde begründet. Erwachsene mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Beeinträchtigung wurden als „vom Teufel besessen“ angesehen. Mit der Zeit der Aufklärung, bis etwa 1933, konnte sich zunehmend eine andere Sichtweise durchsetzen. Man gewann mit der Zeit die Überzeugung, dass alle Menschen grundsätzlich gleichwertig und bildungsfähig sind. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde schließlich dem Phänomen der Behinderung aus naturwissenschaftlicher Sicht mehr Beachtung beigemessen und man begann, erste heilpädagogische
Theorien zu entwickeln. Doch es musste zunächst noch der Beweis erbracht werden, dass auch Kinder mit Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen gefördert werden können. Berühmt geworden ist zum Beispiel ein Kind, dass Ende des 18. Jahrhunderts im Wald in Südfrankreich lebte. Victor von Aveyron (1788 – 128 in Paris), auch „Der Wilde von Aveyron“ genannt, war ein in Frankreich entdecktes sogenanntes Wolfskind. Victor wurde im Frühling des Jahres 1797 in einem Wald bei Saint-Sernin-sur-Rance im Département Aveyron beobachtet, nackt und sich ungewöhnlich frei bewegend. Kurz darauf wurde er das erste Mal gefangen genommen. Der Junge konnte entkommen und lebte weitere 15 Monate in der Wildnis, bis er im Juli 1798 von Jägern auf einem Baum entdeckt und eingefangen wurde. Sie übergaben den etwa zehn Jahre alten Jungen an eine Witwe aus dem Dorf. Auch von hier konnte er fliehen und lebte einen weiteren Winter im Wald. Am Morgen des 9. Januar 1800 wurde der Junge erneut gefangen genommen und nach Rodez gebracht. Der Naturforscher Pierre Joseph Bonnaterrie stellte unter anderem fest, dass der 1,36 m große Junge nicht sprechen konnte, sein eigenes Spiegelbild nicht erkannte, von Wutanfällen geplagt war und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schlief. Er ernährte sich vorwiegend von Eicheln, Nüssen und Kastanien. Er war unfähig etwas nachzuahmen und interessierte sich nicht für die Spiele anderer Kinder. Der Junge war unempfindlich gegenüber Hitze und Kälte und reagierte nicht auf Musik oder menschliche Sprache, mit Ausnahme des Vokals O, bei dem er sich umdrehte. Der Psychater Philippe Pinel erstellte ein Gutachten, indem es hieß der Junge sein ein „geborener Idiot“. Dies war damals die geläufige Bezeichnung für geistig Behinderte. Doch der Chefarzt einer Taubstummenanstalt, Jean Itard (1774 – 1838) war anderer Meinung. Er vertrat die Meinung, dass es sich bei dem Jungen zwar um einen Idioten handelte, diese Idiotie jedoch keine biologischen, sondern kulturelle Ursachen hätte. In seinem ersten Bericht aus dem Jahr 1801 schrieb Itard über Fortschritte im Verhalten des Kindes: „Er zieht sich jetzt alleine an, bemüht sich sein Lager nicht zu beschmutzen, deckt den Tisch, hält seinen Teller hin, um Essen zu bekommen, geht Wasser holen wenn der Krug leer ist, bringt dem Arzt einen Kamm, wenn dieser absichtlich seine Haare in Unordnung gebracht hat und legt des Morgens die Kleider zurecht ...“ Im Laufe der Zeit und durch das ständige Üben mit seinem Lehrer lernte er die Bedeutung der wichtigsten Wörter kennen und konnte diese schreiben. 1828 starb der Wilde von Aveyron mit ungefähr 40 Jahren.
Die Reformpädagogin Maria Montessori war eine große Bewunderin Itards und zählte ihn zu den bedeutendsten Lehrern. Wie eine mittelalterliche Kopistin schrieb sie sein Buch handschriftlich ab, um sich dessen Inhalt so gut sie nur konnte einzuprägen und sie sagte über Itard, er sei der „wahre Begründer der wissenschaftlichen Pädagogik“.
Praxistipp: Francois Truffaut verarbeitete die Geschichte im Kinofilm „Der Wolfsjunge“, der 1970 erschien.
Damit war der Nachweis erbracht, dass auch Kinder mit Beeinträchtigungen in der Lage sind zu lernen. Doch Exklusion blieb weiterhin die Normalität und damit hatten die Betroffenen in der Gesellschaft immer noch keinen gleichwertigen Zugang zu Bildungschancen.
Nach Beendigung des Krieges 1945 waren die Anstalten in Deutschland geleert, das Hilfsschulwesen war fast aufgelöst. Das deutsche Sonderschulwesen in der BRD setzte seine Arbeit da fort, wo es 1933 unterbrochen worden war. Damit ging der Zustand der Exklusion in einen Zustand der Separation über.
Von Separation spricht man, wenn eine Gruppe von einer anderen Gruppe isoliert wird. Sie wird also ausgegrenzt und damit kann keine gegenseitige Teilhabe stattfinden. Sonder- und Förderschulen, wie auch andere Bildungsangebote wurden auf weitere Behinderungsarten ausgeweitet. Zunächst kam es zur Gründung von weiteren „Anstalten“ in ganz Europa. Johann M. Edler von Kurz (1783 – 1865) rief im Jahr 1832 eine „Technische Industrieanstalt für arme krüppelhafte Kinder“ in München ins Leben. Damit legte er den Grundstein für die Körperbehindertenpädagogik. Angeregt von dieser neuen Pädagogik gründete Èdouard Séguin (1812 – 1880) in Paris eine Privatanstalt für geistig Behinderte. Johann Heinrich Wichern (1808 – 1881) nahm sich den verwahrlosten und erziehungsschwierigen Kindern an. 1833 gründete er in Hamburg die Anstalt des „Rauhen Hauses“. In allen, diesen früher sogenannten Anstalten, wurden mittels Einlieferung Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, mit Behinderungen oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf untergebracht. Die Anstalten hatten etwas von einem Internatscharakter und damit waren die Kinder größtenteils aus dem öffentlichen Bild verschwunden, sie waren also separiert. Im Jahr 1881 setzte sich Heinrich Kielhorn (1847 – 1934) in Braunschweig für die Gründung eigenständiger Hilfsschulen ein. Zuvor wurde die Erziehung und Bildung von Behinderten immer mehr als Aufgabe von öffentlichen Schulen gesehen und es entstanden Nachhilfeklassen. Nun sollten die eigenständigen Hilfsschulen für jene Kinder sein, die in der Volksschule nicht angemessen gefördert werden konnten, aber für die Aufnahme in eine Anstalt auch nicht infrage kamen. Dadurch und auch durch die entstandene „Krüppelbewegung“ kam es zu vermehrten Integrationsbemühungen.
Die Krüppelbewegung ist ein Begriff, der in der Geschichte der Behindertenrechte und Behindertenbewegung verwendet wurde. Heute wird der Begriff problematisch angesehen, da er abwertend ist. Die Bewegung hat sich weiterentwickelt und verwendet nun positivere und inklusivere Begriffe, wie zum Beispiel „Behindertenbewegung“ oder “Inklusionsbewegung“, um die Anliegen von Menschen mit Behinderungen zu beschreiben. Die Ursprünge der Krüppelbewegung können bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. In dieser Zeit waren Menschen mit Behinderungen in vielen Gesellschaften stark stigmatisiert oder als „Krüppel“ bezeichnet. In den 1960er und 1970er Jahren begannen Menschen mit Behinderungen, sich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. Sie forderten Zugänglichkeit, Gleichberechtigung und die Anerkennung ihrer Würde und Autonomie. Dies führte letztendlich zur Entstehung der Krüppelbewegung, die in den USA und anderen Ländern an Bedeutung gewann. Die Krüppelbewegung setzte sich für verschiedene Anliegen ein:
Barrierefreiheit:
Die Bewegung kämpfte dafür, dass öffentliche Einrichtungen, Verkehrsmittel, Bildungseinrichtungen und andere Bereiche für Menschen mit Behinderungen zugänglich gemacht wurden.
Gleichberechtigung:
Menschen mit Behinderungen forderten gleiche Rechte, gleiche Chancen und soziale Teilhabe in der Gesellschaft.
Selbstbestimmung:
Die Bewegung betonte die Bedeutung der individuellen Autonomie und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen.
Bewusstseinsbildung:
Die Krüppelbewegung versuchte, das Bewusstsein in der Gesellschaft für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen zu schärfen und Vorurteile abzubauen.
Die Krüppelbewegung hat im Laufe der Zeit zu bedeutenden gesetzlichen Änderungen und politischen Entwicklungen geführt. Diese Gesetze schützen die Rechte von Menschen mit Behinderungen und fördern die Integration und Inklusion in allen Bereichen des Lebens.
in das bestehende Hauptsystem. Eine Gruppe wird also in eine andere Gruppe integriert. Dennoch besteht weiterhin ein System, welches für „bestimmte“ Menschen konzipiert wurde. Der Unterschied der Integration gegenüber der Exklusion oder der Separation ist, dass kein gesondertes System mehr für Menschen mit Entwicklungsverzögerungen, mit Behinderungen oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf geschaffen wird, sondern es wird versucht, den Menschen an das starre bestehende System anzupassen. Dazu werden den Kindern persönliche Integrationsfachkräfte zur Seite gestellt.
Nehmen wir einmal an, ein sehbehindertes Kind besucht eine Kindertageseinrichtung und ihm zur Seite steht eine Integrationsfachkraft. Diese Fachkraft begleitet das Kind im Alltag und liest dem sehbehinderten Kind die Lernmaterialien vor und gibt den Inhalt für ihn nicht lesbare Inhalte weiter. Das heißt also, dass die Lernumgebung und die Lernmaterialien an sich nicht an individuelle Bedürfnisse angepasst werden. In der Integration muss sich das sehbehinderte Kind an die Lernumgebung und die Lernmaterialien anpassen. Daher fallen in der Integration oft Sätze wie „Das ist das Kind mit den besonderen Bedürfnissen“ oder „Das ist das Kind mit besonderem Förderbedarf“. Dies bedeutet aber übersetzt: „Alleine bin ich unfähig und immer auf Hilfe angewiesen, weil ich so bin, wie ich bin.“ Und genau dem will die Inklusion entgegenwirken.
Der Begriff „Inklusion“ wird häufig vage benutzt und nicht einheitlich verstanden. Auch der Versuch eine allumfassende Definition abzuleiten, gestaltet sich sehr schwer. Inklusion beschreibt laut Niehoff die „Einbeziehung und unbedingte Zugehörigkeit und geht von einer grundsätzlich heterogenen Gesellschaftsstruktur aus“. Demnach sollen alle Menschen, unabhängig davon wie verschieden sie sind, gleichberechtigt miteinander zusammenleben können. Inklusion soll, im Gegensatz zur Integration, alle Menschen einer Gesellschaft mit einschließen. Zentral für Inklusion scheint die Akzeptanz von Unterschiedlichkeit bzw. die Anerkennung von Vielfalt in der Gesellschaft zu sein. Integration hingegen meint die Einbeziehung von bestimmten Personengruppen, z. B. behinderter Kinder in einen Teil der Gesellschaft, was automatisch eine Art „Ausschlussverfahren“ bedeutet. Dies versucht Inklusion zu vermeiden. Seit dem Jahre 2009 stellt Inklusion nun also eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe des Bildungswesens dar. Dies wird durch die von der UN-Konvention festgelegten Rechte von Menschen mit Behinderungen begründet. Auf Kinder bezogen, geht Inklusion von der Besonderheit und den individuellen Bedürfnissen eines jeden Kindes aus. Ein Blick auf deren gesamte Persönlichkeit wird verlangt. Alle Kinder und deren Erzieher lernen miteinander und voneinander. Niemand soll ausgeschlossen werden, weil er den Anforderungen nicht entsprechen kann. Rahmenbedingungen sollen an den Bedürfnissen und Besonderheiten der Kinder ausgerichtet werden. Strukturen müssen sich den individuellen Bedürfnissen anpassen und nicht umgekehrt. Bildungseinrichtungen entwickeln sich somit zu einem fördernden und herausfordernden Ort für alle Kinder. Der Inklusionsgedanke möchte ebenso Bildungsgerechtigkeit erzielen und somit Bildungsbarrieren abbauen. Beim Begriff Inklusion geht es daher auch darum, dass gesellschaftliche Bedingungen der Kinder aktiv erfragt werden, Barrieren zu erkennen und Gelegenheiten zu identifizieren, die zu einer Ungleichbehandlung und Ausgrenzung führen. Gerechtigkeit ist hierbei das Ziel. Lässt man sich auf Inklusion ein, bedeutet es also auch, dass man sich mit Bildungsbarrieren auseinandersetzt. Nach einer Definition der Deutschen UNESCO-Kommission wird Inklusion als ein Prozess verstanden, bei dem auf die verschiedenen Bedürfnisse von allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingegangen wird.
Ist etwas inklusiv, dann herrscht Wertschätzung für Diversität. Inklusion ist ein zentrales Thema in der heutigen Gesellschaft. Es geht darum, Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Hintergründen und Bedürfnissen in allen Bereichen des Lebens willkommen zu heißen und zu unterstützen. Zahllose Bilder und Definitionen ließen sich zu Inklusion aufstellen. Meist wird die doch schwierige Situation ernst diskutiert, doch hin und wieder scheint die Hoffnung durch, dass Inklusion durchaus bereichernd für Gruppen und Gemeinschaften sein kann. Geht es um Inklusion, geht es auch um Vielfalt. Dabei beschränkt sich die Vielfalt aber nicht nur auf ökonomische, soziale, kulturelle oder religiöse Unterschiede von Kindern und ihren Familien. Auch in ihrem Spielverhalten, in ihrer Beziehungsgestaltung und in ihrer allgemeinen Entwicklung zeigt sich die Vielfalt.
Inklusion ist mehr als nur die Anwesenheit von Menschen mit Behinderungen oder Unterschieden in einer Gemeinschaft. Es geht darum, sicherzustellen, dass alle Menschen die gleichen Chancen und Rechte haben. Inklusion bedeutet, dass niemand aufgrund seiner Merkmale oder Fähigkeiten ausgeschlossen oder benachteiligt wird. Die Umsetzung von Inklusion in der Gesellschaft ist mit Herausforderungen verbunden. Dazu gehören Vorurteile, Diskriminierung und mangelnde Barrierefreiheit. Es erfordert auch Anstrengungen, um sicherzustellen, dass Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen angemessene Unterstützung und Bildung erhalten. In menschenrechtlicher Perspektive zieht Inklusion einen allumgreifenden Paradigmenwechsel nach sich, um allen Menschen gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen. Die UN-Behindertenrechtskonvention formuliert Inklusion als neues Grundprinzip und verbindet den Inklusionsgedanken wesentlich mit Partizipation. Einige verstehen Inklusion als Instrument, mit welchem Teilhabe – die allerdings als Menschenrecht existiert – ermöglicht wird. Wieder Andere begreifen Inklusion sowohl als wichtiges Prinzip als auch als eigenständiges Recht, ohne welches die vollständige Verwirklichung der Menschenrechte unmöglich erscheint. Mithilfe von Gesetzesänderungen soll das grundlegende Ziel von Inklusion – die Stärkung der Rechte und Teilhabe aller Menschen - in die Wege geleitet werden. Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich an der Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens beteiligen zu können. Daher rührt der Gedanke, dass das Menschenbild als anthropologische Grundlage für Inklusion dient.
Bei der Inklusion geht es also darum, das System zu verändern, so dass Menschen aufgrund ihrer Diversität und Individualität nicht ausgeschlossen werden oder Nachteile erleiden. Alle Menschen sollen die gleichen Chancen haben und gleichberechtigt sein, unabhängig von ihren Diversitätsmerkmalen. Nehmen wir wieder das sehbehinderte Kind in der Kindertageseinrichtung. Soll es in der Kita um Inklusion gehen würde das bedeuten, dass die Lernmaterialien allen Kindern zum Beispiel auch als Audio zur Verfügung stehen. Das Kind kann also alleine am Bildungssystem teilnehmen. Dann würde der Satz aus der Integration nämlich heißen: „Ich bin gut und vollkommen ausreichend so wie ich bin!“
Inklusiv
denken heißt von Lebenswelten auszugehen, in denen alle Menschen in ihrer Verschiedenheit willkommen sind.
Inklusion
verwirklicht sich im konkreten Zusammenleben in der Gemeinde, Schule, Kindertageseinrichtung, Nachbarschaft, Ausbildung, Vereinen, etc.
Inklusive
Kulturen schaffen braucht Zeit.
Inklusion
braucht entsprechende Rahmenbedingungen. Dazu gehören die Gestaltung einer verlässlichen und barrierefreien Infrastruktur und die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Unterstützungsbedarfe von benachteiligten Menschen.
Inklusion
setzt die UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009 um.
Alle Kinder sollen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung haben. Dabei spielen weder das Geschlecht noch Religion, weder ethnische Zugehörigkeit noch besondere Lebensbedürfnisse, weder soziale noch ökonomische Voraussetzungen oder ihre allgemeine Entwicklung eine Rolle.
Jedes Kind hat das Recht darauf, in sozialer Gemeinschaft entsprechend seiner individuellen Bedürfnisse gefördert zu werden.
Heterogenität gilt als Chance für den Lern- und Bildungsprozess von Kindern.
Es ist immer die konkrete Lebenslage eines Kindes zu berücksichtigen.
Für die Bildung von Kindern sind flexible Bildungsangebote notwendig, die sich strukturell an die Bedürfnisse der Kinder anpassen.
Barrieren, die den Lernprozess der Kinder behindern, sollen beseitigt werden.
Insbesondere soll das Augenmerk auf Kinder gelegt werden, die von Ausgrenzung und Benachteiligung betroffen oder bedroht sind.
Integration
Inklusion
Eingliederung von Kindern mit Behinderungen in ein bestehendes Kita-System.
Gemeinsames Leben und Lernen aller Kinder. Die Kita ist offen für alle.
Zwei-Gruppen-Theorie: Unterscheidung zwischen:
behindert / nicht behindert
Integrations- und Regelkindern
Kindern mit und ohne besonderen Förderbedarf
Theorie der heterogenen Gruppe: Jeder Mensch ist anders, hat Kompetenzen und Schwächen. Es gibt viele Minderheiten und Mehrheiten. Eine Zugehörigkeit ist nicht abhängig von bestimmten individuellen Merkmalen, sondern selbstverständlich.
Finanzielle und personelle Ressourcen für Kinder mit Etikettierung (sog.Eingliederungshilfe): Kinder werden erst ausgesondert und als „von der Norm abweichend“ gekennzeichnet, um dann wieder eingegliedert zu werden.
Ressourcen für Systeme: Kitas und Kindergruppen werden mit Ressourcen gefördert. Eine Etikettierung und Ausgrenzung einzelner Kinder ist nicht nötig.
Gesonderte Förderpläne und spezielle Förderung für Kinder mit Behinderungen.
Ein Curriculum für alle Kinder: Gemeinsames und individuelles Lernen unter Einsatz von Binnendifferenzierung.
Anliegen und Auftrag der Sonder- und Heilpädagogik und spezieller Fachkräfte.
Anliegen und Auftrag der Frühpädagogik und aller Fachkräfte.
Integrationsfachkräfte als Unterstützung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Inklusionsfachkräfte als Unterstützung für Erzieher*innen, Kindergruppen und die ganze Kita.
Inklusion ist ein grundlegendes Prinzip, das darauf abzielt, Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Hintergründen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt teilhaben zu lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind in vielen Ländern spezielle rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen worden. Diese rechtlichen Grundlagen dienen dazu, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu schützen und ihre Inklusion in die Gesellschaft sicherzustellen.
Gesetze werden manchmal nachträglich gemacht, wenn eine Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel und den Wandel der überwiegenden Bevölkerungsmeinung unumgänglich ist. Doch beim Thema Inklusion ist es wohl eher anders herum. Erst kam das neue Gesetz, dann der gesellschaftliche Wandel. Das soziale Bewusstsein für Inklusion muss sich erst noch nach und nach entwickeln, dementsprechend langsam geht es auch voran. Mitarbeiter in sozialen Berufen, Pädagogen, Ärzte, etc. haben seit langem eine Gesetzesänderung gefordert, doch kam das Thema Inklusion erst in Gang, als aktuelle Änderungen des Gesetzes den Bund, die Länder, die Kommunen und die Träger zu einem Umdenken und verändertem Handeln zwangen.
Mittlerweile öffnen sich immer mehr Kindertageseinrichtungen und streben damit eine inklusive Arbeit an. Kinder mit verschiedenen sozialen, sowie kulturellen Hintergründen sowie Kinder mit unterschiedlichen gesundheitlichen Verfassungen werden in Kitas und Schulen aufgenommen. Grundlage von Inklusion sind hier verschiedene gesetzliche Vorgaben. Das deutsche Grundgesetz bildet zunächst die Basis für eine Gleichberechtigung aller Menschen. Artikel 3 des Grundgesetzes besagt:
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich (1). Männer und Frauen sind gleichberechtigt (2). Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Herkunft und Heimat, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden (3).“
In Deutschland sind die rechtlichen Grundlagen für Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Sozialgesetzbuch (SGB) fest verankert. Insbesondere im SGB IX, dem neunten Buch des Sozialgesetzbuches, werden die Maßnahmen und Regelungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen festgelegt.
Rheabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen: Sollen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens stattfinden.
Leistungen zur Teilhabe: Das SGB IX definiert verschiedene Leistungen zur Teilhabe, um die gesellschaftliche und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Dazu gehören Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur beruflichen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Integrationsämter und Inklusionsbeauftragte: Im SGB IX wird auch die Rolle der Integrationsämter und der Inklusionsbeauftragten in Unternehmen und Verwaltungen festgelegt. Diese Institutionen und Beauftragten sollen die Inklusion in die Gesellschaft fördern.
Barrierefreiheit und Antidiskriminierung: Das SGB IX enthält Regelungen zur Barrierefreiheit und zur Vermeidung von Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen. Es verpflichtet öffentliche Einrichtungen dazu, Barrierefreiheit sicherzustellen und Diskriminierungen zu verhindern.
Eingliederungshilfe: Einen weiteren wichtigen Aspekt des SGB IX bildet die Eingliederungshilfe. Diese Leistungen sollen Menschen mit Behinderungen die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und umfassen etwa Unterstützung in Wohnen, Arbeit und Bildung.
Inklusion ist in der Gesellschaft durch die UN-Behindertenrechtskonvention verankert. Am 13. Dezember 2006, wurde die UN-Behindertenrechtskonvention von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Am 26. März 2009 trat die Behindertenrechtskonvention dann auch in Deutschland in Kraft, nachdem sie von der Bundesregierung ratifiziert wurde. Dieses Datum markiert einen Paradigmenwechsel für das deutsche Bildungssystem. Die separierende Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, wie sie noch 2009 weitgehend üblich war, ist mit den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention – und damit mit geltendem Recht – nicht vereinbar. Laut Behindertenrechtskonvention müssen alle Kinder Zugang zu allgemeinbildenden Schulen erhalten und die Bundesländer haben sich mit der Ratifizierung der Konvention verpflichtet, ihr Bildungswesen inklusiv zu gestalten. Das geht aus Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention hervor. Hier heißt es: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung an. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, sorgen die Staaten für ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen (…)“ (United Nations 2006:16).
Über 300 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die 92 Regierungen und 25 internationale Organisationen repräsentierten, trafen sich von 7. -10.6.1994 in Salamanca, Spanien, um das Ziel "Bildung für Alle" zu unterstützen. Es wurden grundlegende politische Änderungen, die erforderlich sind, um integrative Pädagogik zu fördern, besprochen. Schulen sollen darin unterstützt werden, allen Kindern gerecht zu werden, vor allem jenen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Organisiert wurde die Konferenz von der spanischen Regierung in Zusammenarbeit mit der UNESCO. Sie brachte höhere Erziehungs- und Verwaltungsbeamte, Politiker und Spezialisten zusammen mit Vertretern der Vereinten Nationen und Speziellen Behörden, anderen internationalen Regierungsorganisationen, sowie nichtstaatlichen und Spenderorganisationen. Die Konferenz nahm die Salamanca Erklärung über Prinzipien, Politik und Praxis in der Pädagogik für besondere Bedürfnisse und einen Aktionsrahmen an. Diese Dokumente sind getragen vom Prinzip der Integration, von der Erkenntnis, dass es notwendig ist, auf eine "Schule für alle" hinzuarbeiten - also auf Einrichtungen, die alle aufnehmen, die Unterschiede schätzen, das Lernen unterstützen und auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Solche Schulen stellen einen wichtigen Beitrag im Erreichen des Ziels "Bildung für Alle" und in der Steigerung der Effektivität von Schulen dar. Die Pädagogik für besondere Bedürfnisse - ein wichtiges Thema für Länder im Norden wie im Süden - kann sich nicht in Isolation weiterentwickeln. Sie muss Teil einer allgemeinen pädagogischen Strategie sein und wohl auch einer neuen sozialen und wirtschaftlichen Politik. Sie fordert nach großen Reformen in der herkömmlichen Schule.
Gesellschaftliche Teilhabe ist also ein Menschenrecht, das ohne Einschränkungen auch für behinderte Menschen gilt. Weltweit gibt es etwa 650 Millionen Menschen, die mit einer Behinderung leben. Allerdings gibt es nicht in allen Staaten Vorschriften und Gesetze, die die Rechte dieser Menschen besonders schützen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat deshalb im Jahr 2001 beschlossen, zu diesem Zweck ein umfassendes internationales Übereinkommen zu entwickeln. Die UN-Konvention stellt klar, dass gesellschaftliche Teilhabe ein Menschenrecht ist, das ohne Einschränkungen auch für behinderte Menschen gilt. Die Konvention erfasst sämtliche Lebensbereiche, von der Arbeit über Bildung, Gesundheit und Pflege, persönliche Mobilität, Fragen des Bauens und Wohnens bis hin zur politischen Teilhabe. Zentraler Leitgedanke bei der Umsetzung der Konvention ist das Prinzip der Inklusion, wonach Menschen mit Behinderungen von Anfang an und in allen Lebensbereichen an der Gesellschaft teilhaben sollen. Um dieses Recht umzusetzen macht die Konvention konkrete Vorgaben. Unter anderem müssen die Vertragsstaaten garantieren, dass niemand aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen, unentgeltlichen Bildungssystem, vom Zugang zur Hochschulbildung, sowie zur Berufs- und Erwachsenenbildung ausgeschlossen wird. Es muss sichergestellt werden, dass dem Einzelnen individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen geboten werden, etwa in Form alternativer Kommunikationsmethoden, durch die spezielle Schulung von Lehr- und Fachkräften und die barrierefreie Umgestaltung von Kindertageseinrichtungen und Schulgebäuden.
Um diese Vorgaben der Konvention tatsächlich umzusetzen, hat das Bundeskabinett im Juni 2011 einen nationalen Aktionsplan beschlossen, der die Maßnahmen der Bundesregierung für die nächsten zehn Jahre zusammenfasst. Seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ist in der öffentlichen Diskussion immer häufiger der Begriff „Inklusion“ zu lesen und zu hören.
Inklusion ist zum Merkmal der Bildungspolitik geworden. Die Umsetzung inklusiver Bildungsziele ist heute gesetzlich gefordert. Dennoch sind die Umsetzungsbestrebungen sehr unterschiedlich. Bildung ist in Deutschland Ländersache. Im föderalen System wird unterschiedliche Inklusionspolitik betrieben. Unabhängig von den jeweiligen Bundesländern zeigt sich auch ein differenziertes Bild von Inklusion in der Umsetzung in unterschiedlichen Bildungsbereichen. Was aber ist mit einer „inklusiven Bildung“ gemeint? Zunächst einmal muss deutlich werden, dass Inklusion und die Verpflichtung zum Aufbau inklusiver Strukturen sich nicht nur auf die Schulen beschränken. Wer schon in der Kindheit einen ganz selbstverständlichen Umgang mit Vielfalt erlebt, der wird diese Selbstverständlichkeit beibehalten. Um zu erkennen, dass inklusive Bildung eine Chance auf gute Lernprozesse für alle Kinder bietet, reicht ein Blick in verschiedene Forschungsergebnisse. Aus diesen Forschungsergebnissen wissen wir, dass Kinder mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Umfeld bessere Lernergebnisse erzielen – im kognitiven und sozialen Lernen. Inklusive Bildung betrifft also uns alle. Mit inklusiver Bildung wird nichts anderes als Gleichberechtigung eingefordert. Alle Menschen sollen die gleichen Bildungschancen offen stehen, sie sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Potenziale unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht oder sozialen und ökonomischen Voraussetzungen entwickeln zu können. Voraussetzung für den Aufbau eines leistungsstarken und chancengleichen, eines inklusiven Bildungssystems ist es, die Unterschiedlichkeit der Menschen, die verschiedene Begabungen mit sich bringen, als Chance wahrzunehmen. Inklusion bedeutet, jeden Menschen als wertvoll zu begreifen. Inklusion ist kein Prozess, der sich verordnen lässt, er muss von den Akteuren vor Ort mit getragen werden. Die Umsetzung inklusiver Bildung stellt das Bildungssystem vor komplexe Herausforderungen und ist unweigerlich mit Stolpersteinen und Hindernissen verbunden, die es zu überwinden gilt.
Die UN-Behindertenrechtskonvention umfasst etwa 50 verschiedene Artikel.
Artikel 9 bestimmt die Barriere-Freiheit. Deutschland muss sich darum kümmern, dass es für Menschen mit Behinderung keine Hindernisse mehr gibt. Hindernisse sind zum Beispiel Treppen-Stufen, Informationen, die es nur in schwerer Sprache gibt oder kein Leitsystem für blinde Menschen.
In Artikel 19 geht es um den Bereich Wohnen. Menschen mit Behinderung müssen selbst bestimmen können wo sie wohnen wollen, mit wem sie zusammen wohnen wollen und wie sie wohnen wollen. Dafür müssen sie die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.
Menschen mit Behinderungen sollen nicht mehr getrennt von Menschen ohne Behinderungen leben müssen.
Artikel 21 besagt, dass Menschen mit Behinderungen in der Politik mitbestimmen dürfen.
Dafür brauchen sie gute Informationen, damit sie die Politik verstehen können. Deshalb muss es zum Beispiel Informationen in Leichter Sprache, Informationen in Gebärdensprache und Informationen in Blindenschrift geben.
Der Artikel 24 beschäftigt sich mit der Bildung. Kinder mit Behinderung sollen in dieselben Schulen gehen dürfen wie Kinder ohne Behinderung. Alle Kinder sollen gemeinsam in der Schule lernen.
In Artikel 27 steht die Gleichberechtigung bei der Arbeit. Menschen mit Behinderung sollen dort arbeiten dürfen, wo auch Menschen ohne Behinderung arbeiten. Menschen mit Behinderung müssen für ihre Arbeit genug Geld bekommen.
Artikel 30 sagt, dass Menschen mit Behinderung in ihrer Freizeit überall mitmachen und sie müssen überall hingehen können, wo sie möchten. Sie sollen selbst bestimmen was sie in ihrer Freizeit machen wollen, dafür muss es auch barrierefreie Freizeitangebote geben.
Zum Weiterlesen:https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/CRPD/CRPD_Konvention_und_Fakultativprotokoll.pdf
Der Begriff „Inklusion“ wird häufig vage benutzt und auch nicht einheitlich verstanden. Auch der Versuch eine allumfassende Definition abzuleiten, gestaltet sich schwierig. Die Begriffe „Integration“ und „Inklusion“ werden oft als Synonym verwendet, doch das ist falsch! Das Wort „Integration“ stammt vom lateinischen Verb >integrare< ab und bedeutet so viel wie „ergänzen“. Der Begriff „Inklusion“ stammt ebenfalls aus dem Lateinischen und zwar vom Verb >includere< ab. Dies bedeutet so viel wie „umgeben bzw. einschließen“ und damit ist Inklusion viel mehr.
Die Inklusionsdebatte hat in Deutschland gegenwärtig eine hohe Dynamik, die auch neuen rechtlichen Verpflichtungen geschuldet
ist. Inklusion beschreibt also die Einbeziehung und unbedingte Zugehörigkeit jedes Einzelnen und geht damit von einer grundsätzlich heterogenen Gesellschaft aus. Demnach sollen alle Menschen, unabhängig von individuellen Merkmalen oder
Gruppenmerkmalen wie Alter, Geschlecht, ethnischer Herkunft, körperlicher Verfassung, Religion, Gesundheitszustand, sozialer und kultureller Zugehörigkeit, etc. gleichberechtigt miteinander zusammenleben können. Trotz einer solch klaren Definition von Inklusion gibt der Begriff dennoch Raum für reichlich Interpretationen: Inklusion von wem wohin? Und warum? Wer inkludiert wen? Wie kann ich als Pädagogin inklusiv tätig sein? Es gibt viele Akteure und viele Stimmen zu dem Thema Inklusion, die dazu Aussagen treffen. Im Folgenden einige Beispiele:
„Inklusion – Ich finde das gut, dass man mit dem Begriff mehr als nur behinderte Menschen meint!“ (Sozialpädagogin im Integrationsbereich, Coburg)
„Inklusion eröffnet eine sichtbare gedankliche Aufhebung des gängigen Zwei-Welten-Bildes: Auf der einen Seite Normalität und
auf der anderen Seite Behinderung.“ (Jerg 2010, S.29)
„Inklusion bringt nichts als das Wegkürzen von Leistungen, die wir uns Jahrelang mühsam mit der Integration aufgebaut haben!“ (Erzieherin aus Bremen)
„Inklusion ist nichts anderes als weiter darüber zu schweigen, wo in Bildungseinrichtungen Exklusion betrieben wird.! (Bildungsforscherin aus England)
Die Akteure bringen Inklusion mit recht verschiedenen Inhalten in Verbindung, wie auch insgesamt in der Fachdiskussion verschiedene, zum Teil widersprechende Auffassungen existieren. Um als Konzept für pädagogische Arbeit Handlungsrelevanz zu erhalten, braucht Inklusion Eindeutigkeit und Zielorientierung. Nach einer Definition der deutschen UNESCO-Kommission wird „Inklusion als ein Prozess verstanden, bei dem auf die verschiedenen Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingegangen wird. Erreicht wird dies durch verstärkte Partizipation und Abschaffung von Exklusion in der Bildung.“
Inklusion sieht jeden Menschen als Individuum mit individuellen Eigenschaften, welche sich ganz unterschiedlich entwickeln, welche verschiedene Kompetenzen, Interessen und Bedürfnisse haben und welche unterschiedliche Erfahrungen machen. Alle Menschen sind, wenn auch nicht gleichartig, gleichwürdig und haben das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Inklusion steht also für grundlegende kommende Veränderungen in unseren Gesellschaftssystemen. Diese Änderungen können und müssen einerseits durch entsprechende Gesetze ermöglicht und untermauert werden und andererseits bedarf es ein gesamtgesellschaftliches Umdenken. Inklusion beginnt im Kleinen und hat doch große Wirkung!