Eine Klavierstunde - Alla Schatz - E-Book

Eine Klavierstunde E-Book

Alla Schatz (Алла Шац)

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Beschreibung

Prof. Alla Schatz, Konzertpianistin und Klavierpädagogin Neigauz-Schülerin Was möchte ich? Hilfe für Klavierlehrer, Schüler und Eltern leisten. Was denke ich? Wenn ein junger Mensch durch unseren Unterricht Freude am Musizieren hat, sich am Klavier frei und nicht verkrampft fühlt, wenn alle technischen Probleme beim Klavierspiel gelöst sind und der Klang schön und vollkommen geworden ist - dann dürfen wir als Klavierlehrer glücklich und befriedigt sein, dass wir mit Recht der "holden Kunst" - Musik - dienen können.

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Eine Klavierstunde

Prof. Alla Schatz

Eine Klavierstunde

Locker, interessant, effektiv

unterrichten können

Anregungen und Tipps

für alle, die Klavierunterricht

erteilen und erhalten

www.tredition.de

© 2012 Prof. Alla Schatz

Titelfoto: Prof. Alla Schatz

Foto S. 168: Stephan Flämig

Korrektorat, Satz: Tamara Pirschalawa

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8491-1801-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Klavier, unser Instrument

Das Erlernen des Klavierspiels

Die Handhaltung

Die Anfänger-Handhaltung

Mängel in der Hand- und Sitzhaltung und wie man sie beseitigen kann

Die Tonleiter

Arpeggien und Akkorde

Legato, Staccato, Portamento

Dynamik bzw. Nuancen und wie wir damit umgehen können

Piano

Der Fingersatz

Ein paar Anmerkungen über Rhythmus

Arbeit am Repertoire

Vom Blatt spielen

Das Pedal – rechtes und linkes

Die Interpretation

Ehrgeiz und Eitelkeit

Konsonanz und Dissonanz

Ich, die Neigauz-Schülerin

Nachwort

Über die Autorin

Vorwort

Mit dieser Arbeit wende ich mich, Neigauz1-Schülerin, Konzertpianistin und erfahrene Klavierlehrerin, nicht nur an angehende Pianisten und Pädagogen, sondern auch an diejenigen, die das Klavierspiel nicht zu ihrem Beruf machen wollen. Ich glaube, dass Laien-Pianisten sowohl das freie Spiel als auch die Technik des Klavierspielens beherrschen möchten, damit das Klavierspiel echte Freude und keine Qualen bereitet. Heute ist ein professioneller Klavierunterricht auf jedem Niveau unerlässlich.

Die Fähigkeit, ein Kunstwerk als Geschmacksentwicklung zu betrachten und sich für Form und Stil zu sensibilisieren, das Gefühl und die Fähigkeit zu entwickeln, Melodie und Harmonie in all ihrer Schönheit zu erleben, um dann in die zarte und tiefe Welt der Nuancen einzudringen – genau das kennzeichnet den großen Reichtum der menschlichen Seele. Für uns Klavierpädagogen, die heute unterrichten, ist es äußerst wichtig, für diesen seelischen Reichtum zu kämpfen. Ansonsten verschwinden diese Kriterien für immer, und welchen Ersatz hätten wir dann anzubieten? Solche Gefahr aber besteht wirklich. Es gibt eine große Palette von teilweise ausgebildeten „Kennern“, die alles Unbedeutende und Unbegabte nur deswegen loben, weil es die durchschnittliche und ziemlich inkompetente Schicht des Publikums anspricht. Demzufolge spielt ein Musiker (oder Schauspieler etc.) „gut“, weil ich (der Zuhörer oder Zuschauer) genauso „gut“ spielen kann. Das stimmt natürlich nicht. Wenn allerdings diese „professionellen“ Meinungen zusammenkommen, dann ergibt das als Summe eine allgemein geltende Meinung, die für eine ganze Kultur schädlich sein mag.

Jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen, welche Verbindung all das mit Pädagogik hat? Meiner Meinung nach eine sehr große. Wer kann denn, abgesehen von einem guten Lehrer, einen Schüler neugierig machen und wahre Liebe zu echten Kenntnissen wecken, aus dem Blickwinkel des Pädagogen also, eine richtige Auffassung der Sache hervorrufen? Es ist völlig irrelevant, um welchen Bereich es sich handelt – Musik, Mathematik, Literatur etc. Es missfällt mir, immer wieder hören zu müssen: „Ich habe auch irgendwann angefangen, Klavier zu spielen, aber nach ein paar Jahren wieder aufgehört, da mein Lehrer immer von mir wollte, dass ich übe, aber ohne mir nur das Geringste zu erklären. Hinzu kommt, dass er stets ungeduldig und böse auf mich war, weil ich nichts verstand. Aber was gab es zu verstehen? Bis heute habe ich das nicht begreifen können.“ So sprachen mehrere Schüler zu mir, die, glauben Sie mir, keineswegs unbegabt waren. Daraufhin habe ich mir über die Ursachen Gedanken gemacht. Auf der einen Seite existiert großes Interesse an Kunst und Kultur, Theater und Konzerte sind relativ gut besucht. Andererseits gibt es noch mehr Lehrer, die Klavier nebenbei unterrichten, ohne eine regelrechte Ausbildung erhalten zu haben. Häufig sind das Pädagogen, die für die Unterrichtung anderer Instrumenten-Gattungen oder für den Unterricht im Fach Gesang ausgebildet und beruflich geeignet sind. Darüber hinaus gibt es eine beträchtliche Anzahl an Personen, die glauben, Klavier unterrichten zu können, weil sie irgendwann einmal, in grauer Vorzeit, ein kleines Klavierstück mit zwei Fingern geklimpert haben. Was wirklich verwunderlich ist, ist die Tatsache, dass die Vertreter aus jeder einzelnen dieser Gruppierungen von Schülern frequentiert werden und dass die Nachfrage keineswegs nachlässt. Heutzutage gibt es natürlich auch viele neue Institutionen und Möglichkeiten, das Klavierspiel schnell zu erlernen, wie z. B., mithilfe des Internet-Klavierunterrichtes. Für die ersten „Schritte“ am Klavier kann das durchaus funktionieren, solange es sich um kleine Stücke, Volkslieder, Popmusik u. a. handelt. Aber wie geht es dann weiter? Die Folgen dieser nach kurzer Zeit erreichten Erfolge sind sowohl positiv als auch negativ. Die große Nachfrage ist ein Faktor, den man zweifellos als positiv bezeichnen muss. Anderseits kann man solchen Unterricht kaum als persönlich bezeichnen. Ich glaube, dass sich nur ein hochgebildeter und hoch motivierter Lehrer solchen Internet-Unterricht erlauben kann. Es stehen in der heutigen Zeit auch ziemlich viele gute Lehrbücher mit breit gefächerter Repertoireauswahl, die auf jedes Alter und jedes Niveau zugeschnitten ist, zur Verfügung – das ist ein sehr erfreulicher Umstand. Aber was fehlt dann eigentlich noch? Meiner Meinung nach fehlt eine klare, einfache und sichere Unterrichtsmethode. Als Russisch-Muttersprachlerin würde ich es folgendermaßen ausdrücken: Das „was gemacht wird“ ist vorhanden, aber das „wie es gemacht werden soll“ fehlt, womit natürlich eine ausführlich erklärte Methode gemeint ist. Das ist mir bewusst geworden, nachdem meine Kollegen immer wieder nach dem Vorspielen von Schülern auf mich zugekommen sind und mich gefragt haben: „Wieso spielen deine Schüler immer besser als die Schüler anderer Klavierlehrer? Wie kommt es, dass sie so frei und unbeschwert und mit solcher Freude am Musizieren Klavier spielen? Kannst du uns deine Unterrichtsmethode irgendwie beschreiben oder erklären – wir wären dir dafür sehr dankbar.“ Außerdem habe ich bereits viele Klavierschüler unterrichtet – manche von ihnen sind zu mir gekommen, nachdem sie jahrelang Unterricht bei anderen Pädagogen hatten – mit schwerwiegenden pianistischen Mängeln und voller Verzweiflung.

So bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man etwas unternehmen muss und dass ich als einer der letzten Neigauz-Schüler, die heute noch unterrichten, diese hochwertige Methode oder zumindest einige Postulate davon nicht verschweigen darf. Oft höre ich, wie meine Kollegen unter den Versuchen leiden, für jede neue Stunde eine neue Methode zu finden oder zu erfinden … Wenn ich dann noch zusätzlich registriere, wie sehr die Schüler aufgrund der falschen Hand- und Körperhaltung leiden, vom teils völlig ungeeigneten Repertoire ganz abgesehen, dann komme ich zu der Überzeugung, dass dieses Buch unbedingt geschrieben werden muss. Ich liebe Kinder und ich respektiere meine Kollegen, die selbstverständlich, genau wie ich, ihre pädagogischen Fähigkeiten und somit ihre pädagogische Qualität stets verbessern möchten. Das Buch beinhaltet keine Illustrationen, keine Fotos. Dieses Buch kann man mit einem vertraulichen Gespräch vergleichen und sich somit, nachdem man sich eingelesen hat, an das Klavier setzen und die Übungsvorschläge hinsichtlich technischer Probleme ausprobieren. Es ist genau das, was ich mit dieser Arbeit erreichen möchte. Nach und nach kommen mir Erinnerungen und Gedanken, nach und nach erscheinen sie auf diesen Seiten, die ich Ihnen als stille Lektüre und nicht als Normen oder „statutengemäß“ anbieten möchte. Lassen Sie uns nun zusammen versuchen, uns über die heutige Situation in unserem Fach zu unterhalten. Wahrscheinlich gibt es einige Entscheidungen zu treffen und möglicherweise sind auch einige Auswege zu finden – wer weiß? Unser Hauptziel ist es, den jungen Menschen die schöne Welt der wertvollen Musik zu eröffnen und in ihnen die Liebe zu ihr zu wecken. Wenn uns das gelingt, dann sollten wir auch keine Angst davor haben, dass unsere Schüler uns verlassen könnten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen schönen Beruf, weil dieser Beruf mit der menschlichen Seele und dem Herzen zu tun hat. Und deswegen sollen wir gar nicht die eigene Fantasie und den eigenen Intellekt ständig anspannen, um etwas Neues und Bedeutendes zu finden. Die zur Lösung dieses Problems nötigen Ratschläge können Sie bestimmt auf den entsprechenden Seiten dieses Buchs finden. Ich habe versucht, in ausführlicher Form einige technische und musikalische Mittel so klar wie möglich zu beschreiben. Auf diese Weise kann dann durch Beachtung dieser Ratschläge die korrekte Umsetzung von Strichen und Nuancen erreicht werden, so wie auch eine technische und geistige Freiheit beim Klavierspiel erzielt werden kann. Jedes Kapitel dieses Buchs trägt einen bestimmten Namen, der mehrere musikalische Begriffe umfasst. Dazu gehören z. B. „Die Handhaltung“, „Piano“, „Legato, Staccato, Portamento“, „Der Fingersatz“, „Die Tonleiter“, „Die Interpretation“ u. v. a. Diese Begriffe benutzen wir täglich während der Unterrichtsgestaltung. Was gemacht werden soll, ist eigentlich klar. Nicht immer ist klar, welche Art und Weise die günstigste ist. Es ist für jeden unserer Schüler äußerst wichtig, dass das zu erreichende Ziel klar und verständlich dargelegt wird. Alle Tipps und Ratschläge seitens des Lehrers müssen deutlich erkennbar und unmissverständlich sein. Es handelt sich nicht darum, ob wir das Vertrauen des Schülers verlieren oder nicht. Es folgt der Verlust von Respekt dem Lehrer gegenüber, und danach kommt die beiderseitige Enttäuschung. Wollen wir das, liebe Kollegen? Natürlich möchte ich keineswegs behaupten, dass mein Buch ein Kodex mit Gesetzen oder gar eine Art „Bibel“ (um Gottes willen!) für die tägliche Nutzung darstellt. Es könnte aber durchaus ein bescheidener Ratgeber für Ihre pädagogische Tätigkeit sein. Eigentlich muss man dieses Buch nicht unbedingt in einem Zug durchlesen. Das kann man nach und nach, von einer zur anderen Klavierstunde – also nach Bedarf tun. Ich habe mir das folgendermaßen vorgestellt: Heute, z. B., üben wir ein Nocturne. In diesem Fall könnte man sich die Kapitel „Piano“ und „Legato, Staccato, Portamento“ anschauen. Wenn wir uns beispielsweise das erste Mal mit einem kleinen Anfänger treffen, so lesen wir das Kapitel „Die Anfänger-Handhaltung“ und später das Kapitel „Die Tonleiter“ usw. So hatte ich mir das gedacht. Psychologische Probleme und deren allgemeine oder besondere Beschreibungen heben wir uns besser für die Freizeit auf, um nicht alles unnötig zu erschweren.

Bereits viele Male wurde ich nach dieser Unterrichtsmethode gefragt, bis ich verstanden habe, dass es vollkommen unmöglich ist, allein auf mündlicher Basis alle Fragen zu beantworten, alle Themen ausführlich zu besprechen und alle notwendigen Tipps zu geben. Nur Gott weiß, wie oft ich das bereits tun musste, bloß … auf Dauer bringen alle diese Gespräche praktisch nichts Zählbares ein. Nach den ersten Fragen kommen sofort weitere, und letztendlich bleibt in der Erinnerung nichts haften. In diesem Sinne ist es beruhigend, eine Hilfe in den Händen zu halten bzw. ein Buch über den Klavierunterricht, in dem man das für sich Wichtige finden und auf das man bei Bedarf jederzeit zurückgreifen kann. Somit spart man sich die Zeit für unnötige Diskussionen und schont auch die Nerven.

Es ist aber nicht unbekannt, dass sich bei manch einem Musiklehrer eine große Menge Schüler meldet, und bei anderen, ganz im Gegensatz dazu, eine verschwindend geringe Anzahl an Schülern. Dies liegt daran, dass es schon immer diese kaum wahrnehmbare Konkurrenz gegeben hat – woran sich in Zukunft mit Sicherheit nichts ändern wird –, durch die es sowohl Gewinner als auch Verlierer gibt. Wie kommt man zu einem guten oder schlechten Ruf, wie erwirbt man ihn? Wir wissen, dass die Schüler, die zu jedem von uns Klavierlehrern kommen, sich stark voneinander unterscheiden. Bisweilen gibt es unter ihnen sehr begabte, allerdings ist das nicht sehr häufig der Fall. Jedoch kommen sie alle zu uns, weil sie Klavier spielen wollen, auch wenn die Begabung noch so unterschiedlich sein mag. Genau das müssen wir bedingungslos akzeptieren, weil alle Schüler der gleiche Wunsch zu uns Klavierpädagogen geführt hat und wir von unserer Seite dafür sorgen müssen, dass unseren Schülern dieser Wunsch nicht verloren geht. Sehr oft bemerke ich aber, dass meine Kollegen die besten unter ihren Schülern auswählen und sie über alle Maßen hegen und pflegen. Sie lassen diese Ausnahme-Schüler bei jedem Konzert und bei jeder Veranstaltung auftreten, während sie anderen, die nicht derartig begabt oder entwicklungsfähig sind, keine große Achtung entgegenbringen. Das kann man gut nachvollziehen. Mit begabten Schülern klappt alles wunderbar und funktioniert kinderleicht. Sie spielen praktisch von alleine. Man hat ausgesprochen wenig Arbeitsaufwand und erhält ein tolles Ergebnis. So könnten eigentlich alle zufrieden sein. Diese Schüler werden schnell bekannt und ihre Klavierlehrer erwerben sich einen guten Ruf. Somit steht doch alles zum Besten! Aber … was geschieht mit dem sogenannten „Rest“, mit den Schülern also, die ebenfalls spielen wollen, dafür aber ein viel größeres Maß unserer Mühe, Zeit, Kraft und Liebe bedürfen? Sollen sie ewig neidisch auf die Erfolgreichen sein und traurig auf das eigene Glück warten? Genau hierin liegt eine große Herausforderung für uns Lehrer, weil wir nicht nur für einzelne Persönlichkeiten und ihre Karriere kämpfen sollten. Wir stehen nämlich als Lehrer in der Pflicht, alle unsere Schüler mit gleicher Liebe und Aufmerksamkeit zu betreuen. Das braucht sowohl eine richtige Motivation von unserer Seite als auch das große Vertrauen und die fleißige Arbeit von der Seite des Schülers. Es gibt aber noch andere Probleme, die nicht weniger groß sind: die Angst des Lehrers, seine Schüler zu verlieren. Daraus resultiert unerwartetes und übertriebenes Lob für noch so winzige Fortschritte oder sogar für gar keine. Der Schüler bekommt nur solche Werke serviert, die ihm Spaß machen, obwohl sie des Öfteren mit Musik im Allgemeinen und speziell mit Ausbildung und Entwicklung des Geschmacks überhaupt nichts zu tun haben. „Mache, was du willst und wie du willst, mein Lieber, aber bleibe mir erhalten“ – nach einer derartigen Strategie klingt das für mich. Auch die Eltern nehmen die musikalische Ausbildung des Kindes häufig nicht ernst. Ich habe einige Schüler an verschiedenen Musikschulen vorspielen hören … Was ich erlebt und während dieser Besuche gefühlt habe, werde ich jetzt nicht erzählen, aber eines war mir vollkommen klar: Es muss an der heutigen Unterrichtsmethode etwas geändert werden, und möglicherweise ist dieses Buch hierfür hilfreich. Die hier beschriebenen methodischen Vorschläge beinhalten eine ganze Menge Komponenten, deren Zusammenstellung die Grundlage unserer Kunst bildet, der Kunst des Klavierspiels. Für jeden Strich gibt es verschiedene Ausführungsmöglichkeiten. Jede technische oder musikalische Aufgabe bietet verschiedene Möglichkeiten an Entscheidungen, und wir haben eine ungeheure Vielfalt dieser Mittel und somit Entscheidungen in unserer Kunst zu treffen. Man muss nur die richtige daraus auswählen, und zwar diejenige, die im jeweiligen Fall die passende ist. In diesem Buch finden Sie recht ausführliche Erklärungen darüber, wie man mit einigen dieser Mittel umgehen kann, wie man sie praktisch ausführen und somit umsetzen kann. Es wird manches zusammengefasst, was für jeden Lehrer im Allgemeinen bereits bekannt ist – und nichtsdestotrotz unter anderem Gesichtswinkel angeschaut. Hier wird von der Hand- und Körperhaltung beim Klavierspiel gesprochen, über die Striche und die verschiedenen Möglichkeiten, sie richtig auszuführen, über Nuancen und Nuancieren – nicht nur davon, wo eine Nuance angebracht ist, sondern auch, wie man mit einer großen Menge von Nuancen umzugehen hat. Es werden von mir noch viele Vorschläge und Tipps gegeben, die auf meiner langjährigen künstlerischen und pädagogischen Tätigkeit in zwei Ländern – Russland und Deutschland – beruhen. Manchmal wählt der Lehrer das Unterrichtsmittel, das ihm am wichtigsten erscheint, und fängt, sich hierauf stützend, zu unterrichten an, und zwar ohne eine Alternative für dieses Mittel zu bieten, z. B.: „Das Handgelenk muss immer sehr tief gehalten werden“ oder „Man muss prinzipiell mit hochgehobenem Handgelenk spielen“ oder „Die Finger sollen immer ziemlich nah bei den Tasten sein“ oder „ausschließlich deutlich“ oder „ausschließlich weich“, „nur leise“, „nur laut“ usw. Leider sind das alles nur einzelne Teile einer allgemeinen Unterrichtsmethode, aber nicht die Methode selbst. Die radikale Förderung der Nutzung eines einzigen Mittels kann zu einem Missverständnis führen. Entweder der Schüler verkrampft total und leidet permanent an Schmerzen in der Hand oder er versteht, falls er eine bestimmte Grenze erreicht hat, was den Schwierigkeitsgrad anbelangt, dass er sich nicht weiterentwickeln kann, und hört mit dem Klavierspielen ganz auf. Vielleicht findet er irgendwann später den erfahrenen Lehrer, der ihn zu motivieren versteht, und er nimmt das Klavierspiel wieder auf. Die Hände der Schüler werden von radikalen Lehrern, die die oben genannte Methode ausüben, fast immer verkrampft, sogar verdorben. Wenn nur eine Schwierigkeit gilt, kommt dieses Resultat fast zwangsläufig heraus. Und solche schwere Krankheiten wie die Sehnenscheidenentzündung (medizinisch Tendovaginitis) wurden von diesem Klavierlehrer als „natürliche Erscheinung“ benannt. Das klingt für mich mehr als komisch – außerdem sind solche Aussagen äußerst gefährlich. Sowohl die Sehnenscheidenentzündungen bei Pianisten als auch die Knoten auf den Stimmbändern bei Sängern sind auf keinerlei Weise natürlich. Die beiden Krankheiten sind die Ergebnisse von unvernünftigem, nicht professionellem Unterricht. Der Schüler kennt natürlich nichts anderes und vertraut seinem Lehrer voll und ganz. Wir dürfen dieses Vertrauen nicht einfach benutzen. Wenn es keinen motivierten Unterricht nach einer vernünftigen Methode gibt und dazu noch der Lehrer sehr streng ist, dann führt das zu nichts Gutem. Es führt nur dazu, dass dem Schüler jeglicher Wunsch, Klavier zu spielen und zu üben, abhandenkommt. Und besonders schade wäre es für die begabten Kinder, deren Talent eine Entdeckung und Entwicklung braucht – und eben wir Klavierlehrer dieses Talent entdecken und sich entwickeln lassen. Das ist eigentlich eine der wichtigsten Aufgaben des Klavierlehrers. Ich glaube, dass wir Klavierlehrer unser oberstes Ziel nicht vergessen sollten: großes Interesse, Begeisterung und Liebe für die Musik in den Kindern zu wecken. Deswegen müssen wir jederzeit dazu bereit sein, unsere alten und möglicherweise falschen Vorstellungen zu ändern, flexibel sein und offen für alles, was neu und interessant ist, auch wenn das Neue und Interessante bisweilen ungewöhnlich und mühevoll sein kann. Ich vermute, dass in diesem Buch manche Dinge des Öfteren angesprochen werden. Selbstverständlich geschieht das in verschiedenen Kontexten und unter unterschiedlichen Aspekten. Das, was ich mir wünsche, ist, dass jeder, der es lesen wird, das für sich Relevante entnehmen kann und somit jeder Leser ganz individuell für sich selbst die entsprechenden Konsequenzen ziehen kann. Ich glaube und hoffe, dass für genau diejenigen meiner Musiklehrer-Kollegen, die ihren Schüler wirklich lieben und bereit sind, sich weiter zu verbessern und auf pädagogischer Ebene professionell zu entwickeln, diese meine Arbeit eine Hilfe sein wird. Ich wende mich ohne Zwang, Drängen oder kategorische Forderungen an Sie, liebe Kollegen und Studierende, liebe Pianisten und alle, die mit Klavierunterricht zu tun haben. Ich gebe Ihnen ausschließlich seriöse professionelle Tipps auf der Grundlage der berühmten Neigauz-Piano-Schule, in die meine eigenen langjährigen und erfolgreichen pädagogischen Erfahrungen einfließen. Ich hoffe sehr, dass einige meiner Tipps und Ratschläge angenommen werden und meine Hilfsbereitschaft auch als solche verstanden wird. Ich glaube, dass alle Unterrichtsmethoden, die in der heutigen Zeit angewendet werden, etwas Allgemeines beinhalten sollten. Streitfragen tauchen selbstverständlich immer wieder auf. Ein Hauptziel allerdings sollten wir Pädagogen klar vor Augen haben: die Kombination von Professionalismus und Freiheit. Jeder Lehrer, der dieses Ziel anvisiert und dieses Buch aufmerksam liest, findet hier bestimmt einiges für sich, was für ihn von Bedeutung ist.

Das Klavier, unser Instrument

Schon bei unserer ersten Bekanntschaft mit dem Anfänger sollten wir ihm unser Instrument vorstellen. Dieser Moment ist sehr wichtig. Wer weiß, wie lange sich der junge Musiker damit beschäftigen wird – einige Zeit möglicherweise oder wahrscheinlich sogar sein ganzes Leben lang. Alle Kinder stürzen sich, kaum dass sie ein Klavier sehen, sofort darauf und hämmern auf den Tasten herum. Das ist eigentlich üblich. Besser wäre es, wenn der Lehrer zunächst selbst am Klavier Platz nehmen und etwas für die Kinderohren Passendes vorspielen würde. Somit ist auf der Stelle eine typische Arbeitsatmosphäre, die in der Klasse herrschen wird, hergestellt und gleichzeitig werden sowohl der Schüler als auch der Lehrer vor Bemerkungen und Kommentaren geschützt, die eine unnötige Spannung und unerwünschte negative Gefühle und Empfindungen hervorrufen. Nach der traditionellen Vorstellung, in der die höchsten Töne mit der Stimme des „kleinen Mäuschens“ und die tiefsten mit der Stimme des „Bären“ verglichen werden, gehen wir unverzüglich zur Beschreibung unseres Instruments über. Ich persönlich mag es gerne, das Klavier mit einem großen und kuschelweichen Tier – wie z. B. einer Katze – zu vergleichen. Wenn man sie mit einer weichen Hand, in die Gewicht gelegt wird, streichelt, dann schnurrt unsere Katze, miaut zart und singend, ist lieb und liebevoll. Wenn wir unser Tier schlagen oder grob behandeln, dann wird es sofort beißen, schreien, fauchen oder flüchten. Das Klavier ist, wie ich finde, ein sehr lebendiges Instrument, und gerade deswegen liegt es mir. Man muss allerdings weich mit ihm umgehen. Unser Instrument ist auch unser bester Freund, der uns in schweren Zeiten und Momenten hilft. Mit ihm kann man sprechen, singen, lachen und weinen. Man muss nur sehr liebevoll mit ihm umgehen. Dann antwortet er auch in einer Sprache, die keine nationalen oder geografischen Grenzen kennt – in der Sprache der Musik. Man kann dem Anfänger verständlich machen, dass unser Klavier ein komplettes Orchester ersetzen kann, weil es nicht nur die Melodie übernimmt, wie das bei manchen Blas- und Streichinstrumenten der Fall ist, sondern auch grandiose harmonische Möglichkeiten bietet. Am Klavier können wir sowohl die Melodie mit Begleitung als auch die Melodie mit breiten und wohlklingenden Akkorden zusammen spielen.

Wenn der Schüler schon etwas älter ist, kann man ihm erzählen, dass die Instrumente (bzw. Klaviere), genau wie die Pianisten, sehr unterschiedlich sind. Bei einem Instrument ist die Tastatur leicht – beim anderen schwer und gedämpft. Eines ist mit Repetition ausgestattet, das andere nicht. Ich spreche hier überhaupt nicht über den Ton oder Klang verschiedener Instrumente. Die Unterschiede zwischen den Klavieren sind enorm und man kann ewig darüber sprechen, ohne dass eine Grenze zu ziehen oder ein Ende sichtbar wäre. Wie hat Professor Genrikh Neigauz immer wieder überzeugend betont: „Es gibt keine schlechten Klaviere, nur schlechte Pianisten.“ Was bedeutet diese Aussage? Was ist damit gemeint? Es ist damit gemeint, dass wir keine Angst mehr vor irgendwelchen Klavieren haben, wenn wir unser Instrument beherrschen und das Klavierspiel mit der richtigen Methode ausführen. Alle Klaviere sind dann für uns in greifbarer Nähe und wir können auf jedem Klavier unsere bestmöglichen Leistungen zeigen.

Das Klavier hat, wie alle anderen Musikinstrumente, eine eigene, lange und interessante Geschichte. Ich hoffe aber, dass meine Leser und Leserinnen nicht erwarten, dass ich mich auf den Seiten dieses Buchs in diese Geschichte vertiefen werde. Warum ist dem so? Es gibt bereits in ausreichendem Maße glänzende und höchst professionelle Literatur, die sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat. Man muss sie nur finden und lesen. Man kann alles Mögliches über die Instrumente, ihre Geschichte und ihre Vorgeschichte finden. Ich bin sicher, dass die daran interessierten Kollegen schon längst viel über das Klavier gelesen und sich ausführlich damit beschäftigt haben. Natürlich können Sie Ihren Schülern viel Interessantes hiervon vermitteln. Ich bleibe, meinen pädagogischen Neigungen und Vorstellungen entsprechend, besser bei diesem Buch und den zu mir passenden Themen. Teilweise geht es mir um Methodik und teilweise um Psychologie, wenn ich mich meinem Hauptfach, dem „Klavierunterricht“, annähere. Es wäre natürlich sehr schön, wenn Sie etwas Zeit finden könnten, Ihrem Schüler von unserem wunderbaren Instrument zu erzählen – je mehr, desto besser. Wer weiß – vielleicht kann dieses „Erzählen“ ein weiteres Interesse an unserem Instrument im Klavierschüler wecken. Möglicherweise keimt auch ein Interesse an der Struktur, dem Aufbau und den funktionalen Möglichkeiten des Instruments im Schüler auf. Vielleicht kommt manch einer der jungen Musiker auf diesem Wege sogar auf die Idee, sich dem Klavierbau, der Renovierung dieses Instruments oder der Klavierstimmung zu widmen? Ich aber spreche mehr davon, wie wir Klavierlehrer es erreichen könnten, dass unsere Schüler das Klavier lieben und auf ihm spielen wollen, um in die große und schöne Welt der Musik eintauchen zu können. Dann wird das Klavier, unser geliebtes Instrument, ein Freund sein, ein echter Freund, mit dem man sowohl Freude als auch Unglück teilen kann. Je besser und freier wir die Technik des Klavierspielens beherrschen werden, desto leichter wird es uns gelingen, einen wahren Kontakt mit unserem Instrument herstellen zu können.

Das Erlernen des Klavierspiels

Was für einen Klavierlehrer wichtig ist, um mit dem Klavierunterricht beginnen zu können? Sich gut um die gesamte professionelle Ausrüstung kümmern, die als Basis unerlässlich ist, um das freie und überzeugende Klavierspiel eines Tages beherrschen zu können. Darüber hinaus ist ein technischer Apparat von grundlegender Bedeutung, um die entsprechende Koordination aufzubauen. Bei Beachtung dieser Faktoren entstehen für uns Pianisten keine Hindernisse bezüglich des Klavierspielens. Der Pianist, ob noch jung oder schon erwachsen, sollte nicht nur physisch, sondern auch geistig von diesen ewigen Gedanken an technische Schwierigkeiten, die beim Klavierspiel so drastisch stören, frei sein! Deswegen ist es für uns Klavierlehrer so wichtig, von der ersten Unterrichtsstunde im Klassenzimmer an, eine von Freundlichkeit geprägte, liebe- und humorvolle Atmosphäre zu schaffen, die unseren Schülern sofort und unmittelbar das Gefühl gibt, dass auf sie nichts Schwieriges und Unangenehmes wartet. In aller Ruhe sollten wir dem Schüler gründlich und ausführlich erklären, dass Musik etwas Besonderes ist, eine Kunst also, die uns in eine schöne, märchenhafte Welt führen kann. Man darf den Schüler allerdings nicht zu der irreführenden Meinung verleiten, dass Musik nur aus Spaß oder nur des Spaßes wegen existiert. Ich sage das ganz bewusst, denn sehr viele Menschen, und zwar genau die, die sich mit Musik nicht intensiv beschäftigt haben, denken genau das. Ihnen scheint es egal zu sein, wer Musik macht und was gespielt wird – Hauptsache, irgendeiner klimpert und es klingt angenehm. Ich glaube, dass Musik nur dann echte Freude machen und tiefe Befriedigung verschaffen kann, wenn ein Musiker, nachdem er fleißig und gründlich ein Werk vorbereitet hat, dieses dann auch bestmöglich dem Zuhörer vorspielen kann. Die Arbeit selbst kann unter diesen Voraussetzungen dann natürlich auch Spaß machen. Wenn nun ein Schüler einen Klavierlehrer sucht und sich an Sie wendet, bedeutet allein schon dieser Umstand sehr viel. Das heißt, dass dieser Junge (oder dieses Mädchen) etwas über unsere Kunst erfahren und sich mit Musik beschäftigen will. Er (oder sie) möchte von jetzt an etwas tun, was ihn (oder sie) von den meisten seiner (oder ihrer) Mitschüler(-innen) unterscheidet. Wir wissen ganz genau, wie schwierig es für einen jungen Menschen ist, sich zuzugestehen, anders als die anderen zu sein. Er wird möglicherweise bejubelt oder beneidet werden. Hinzu kommt, dass er immer in der Kritik stehen wird, da alle anderen der Meinung sind, dass sie es besser wissen. Genau dieser Austausch der Meinungen, der garantiert erfolgt, ist bei keiner anderen Gelegenheit so intensiv und komisch wie nach musikalischen Konzerten und Veranstaltungen. Das eine sollte uns Lehrern klar sein: Wir sollten unseren Schülern zur Seite stehen und nicht ihre Kritiker sein. Wir sind verpflichtet, unseren Schülern zu helfen, und das gilt nicht nur für den technischen oder musikalischen Bereich. Wir müssen ihnen auch als Menschen und sogar als Freunde jederzeit die Unterstützung anbieten, die sie benötigen. Musik, im Besonderen wertvolle Musik, sollte uns allen zur Freude gereichen. Häufig allerdings stellt der Lehrer seinem Schüler schon sehr bald Aufgaben, die sich auf Interpretation und Nuancen beziehen, während die mangelhafte technische Ausrüstung des Schülers unbeachtet bleibt. Dies führt direkt und unmittelbar zu den ersten größeren Problemen, da solche Anforderungen den Schüler überfordern und zu unnötigen Spannungen und Verkrampfungen führen. Ärger und Unzufriedenheit bei Lehrer und Schüler sind vorprogrammiert und somit natürlich die Konfrontation von beiden Parteien. Demnach können, wenn man den Unterricht erfolgreich gestalten möchte, die nachfolgenden Faktoren gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: erst die Kombination von fachlichem Wissen, Motivation, der Fähigkeit, schrittweise Wichtiges zu erklären, und endloser Geduld bringen den erhofften Erfolg. Was weiß der Schüler im Grunde genommen über unsere Musik, geschweige denn unseren Beruf, wenn er das erste Mal in unser Musikzimmer kommt? Praktisch nichts. Möglicherweise hat er schon zwei bis drei Liedchen im Kindergarten oder mit den Eltern gelernt und gesungen. Das ist schon sehr gut, aber man muss wissen, dass die ersten Eindrücke und Kenntnisse über Tonkunst und überhaupt über Musik als Ausbildungsfach doch von uns Musiklehrern vermittelt werden. Wir sind Lehrer und Klavierpädagogen. Was beinhalten diese Begriffe? Welche Aspekte sind in der Pädagogik im Allgemeinen und besonders in der Klavierpädagogik am wichtigsten? Was möchte ich von meinem Schüler? Wie kann ich es erreichen? Es tauchen viele Fragen auf, die ich möglichst ausführlich beantworten möchte, wie z. B., was eigentlich der Begriff „Unterricht“ bedeutet und ob es sich hierbei ausschließlich um eine Ausbildung handelt usw.

Im Grunde genommen versteht man unter Unterricht eine Übergabe (Übermittlung) angesammelten Wissens, das der Lehrer in der Zeit des eigenen Ausbildungsprozesses sammelt, um es dann vorsichtig und moderat dem Niveau des Anfängers (oder etwas fortgeschrittenen Schülers), während er diesen unterrichtet, anzupassen. Ganz natürlich ist, dass die Umsetzung dieses Systems nicht auf einen Schlag gelingen kann. Alles ist neu, die Koordination fehlt vollständig und man möchte alles so schnell wie möglich erreichen. Das funktioniert nicht. Weitere Forderungen seitens des Lehrers folgen also selbstredend. Man muss schon wieder lernen und sich diesen Forderungen aussetzen. Warum dies alles, wird sich unser verzweifelter junger Pianist denken. Musik soll doch Spaß machen, und ich muss hier so viel arbeiten? Diese Schlussfolgerung kann man sehr gut nachvollziehen. Allerdings müssen wir Klavierpädagogen an dieser Stelle mit beispielsweise nachfolgenden Worten etwas erklären: Wenn du, lieber Schüler, die Entscheidung getroffen hast, das Klavierspiel zu erlernen, und noch dazu den Wunsch hegst, ein guter Pianist zu werden, dann musst du diese Angelegenheit ernst nehmen und verstehen, dass Musik nicht nur Freizeitvertreib ist und Spaß macht, weil Musik als Kunst viel mehr beinhaltet als nur Liedchen und kleine Tänze zu begleiten oder in Unterhaltungsprogrammen im Hintergrund zu erklingen. Nein! Musik bildet uns, bereichert unser Leben mit ihrer Tiefe, Schönheit und Harmonie und sie eröffnet den Menschen eine neue und wunderschöne Welt. Musik baut Brücken zwischen den Jahrhunderten und wir versetzen unseren Zuhörer, wenn wir Werke von Bach, Mozart, Beethoven oder anderen genialen Komponisten spielen können, in die Zeit und in die Welt dieser Komponisten, in der sie diese schönen Werke geschrieben haben. Ich finde unsere Aufgabe wunderschön und würdevoll. Wir Pädagogen sollten unseren Schülern zu verstehen geben, dass jeder Musiker, der Tonkunst und Musik ernst nimmt und professionell betreibt, auf diese Weise die gesamte Weltkultur nach vorne bringt bzw. positiv stimuliert. Egal, wie auch immer man das ausdrücken mag, Hauptsache ist, dass unser Schüler seine eigene Bedeutung im Hinblick auf den Prozess, der der Verbesserung der Welt dient, versteht. Dann wird ihm seine Arbeit mit den Werken der Musik nicht mehr ganz so schwierig und langweilig erscheinen. Allein dieses Bewusstsein wird ihm schon das Gefühl geben, kostbar und bedeutend zu sein, da er selbst in diesem großen Gefüge eine Rolle spielt. Das entspricht auch den tatsächlichen Begebenheiten, denn es handelt sich hierbei nicht nur um eine Gedanken- oder imaginäre Welt. Untrennbar verbunden mit Musik sind sicherlich Begriffe wie „Kunst“ oder „Tonkunst“. Musik ist aber auch eine Wissenschaft. Hierzu gehören Harmonielehre, Theorie, Gehörbildung, Analyse etc., die uns allen längst bekannt sind – aber unseren Schülern nicht. Sie wissen davon gar nichts. Das soll nicht zwangsweise bedeuten, dass wir, wenn wir mit dem Klavierunterricht beginnen, über all das erzählen müssten. Aber gar nichts hiervon zu erzählen, also überhaupt nicht über diesen Aspekt unserer Kunst zu sprechen, halte ich ebenfalls für unangebracht. Ich bin der Meinung, dass unser Schüler das Erlernen des Klavierspiels nicht als schwere Pflicht, sondern als große Ehre und geistige Bereicherung ansehen wird, wenn er versteht, wie reich und vielseitig die Tonkunst ist. Nach und nach versuchen wir Klavierpädagogen mit Geduld und Freundlichkeit, dem Schüler ganz allmählich während der Unterrichtsstunde und mithilfe des Notentextes die theoretisch-harmonischen Grundlagen des Werkes zu erklären, sein im Sinne der Musik und Musiktheorie wissenschaftliches Interesse zu wecken und zu steigern. Dann wird unser Schüler für sich entscheiden – entweder rein formal oder ganz bewusst, das Klavierspiel zu erlernen und sich intensiv mit Musik zu beschäftigen. Somit sind wir bei einer der wichtigsten Phasen des Klavierunterrichts angelangt: der gegenseitigen Kontaktaufnahme von Lehrer und Schüler.

Kontakt zwischen Lehrer und Schüler

Dieser Kontakt ist äußerst bedeutend, da eben von ihm der weitere Weg des Schülers in der Musikwelt abhängt. Der Lehrer sollte ein Freund sein, der immer aufmerksam zuhört, um dann möglichst alle Fragen beantworten zu können, und darüber hinaus für seinen Schützling immer voller Liebe und Verständnis sein. Ein Schüler darf für uns nicht nur ein Kunde sein. Er ist ein Mensch, der uns von der ersten Stunde an interessieren muss und dem wir uns zu widmen in der Pflicht stehen. Unser Schüler soll verstehen, dass seine Welt, seine Beschäftigungen, Wünsche und Bestrebungen uns nicht gleichgültig sind. Jeder Mensch braucht das Gefühl, angehört und verstanden zu werden, besonders die Kinder – begabte Kinder bedürfen dieses Gefühls umso mehr. Wir sind Pädagogen, wir sind Klavierlehrer. Was bedeutet das eigentlich? Welche Aspekte sind die wichtigsten in der Pädagogik im Allgemeinen und im Besonderen in der Klavierpädagogik? Was will ich vom Schüler? Wie kann ich dies erreichen? Wie kann ich einen Weg zum Herzen des Schülers finden, ohne bei ihm die Befürchtung zu wecken, dass er noch eine Pflicht erfüllen oder noch eine schwierige Arbeit erledigen soll? Wie können wir Lehrer ein optimales Verhältnis zum Schüler aufbauen, um sein ganzes Vertrauen gewinnen zu können? Ich glaube, dass der Schüler zunächst verstehen sollte, dass sein Lehrer ihm nur helfen und ihn unterstützen möchte und keineswegs eine Mauer zwischen sich selbst und dem Schüler zu errichten beabsichtigt. Ein erfahrener Lehrer fordert nicht. Er macht Vorschläge und versucht, den Schüler davon zu überzeugen (nachsichtig, freundlich und keinesfalls zwingend), dass der von ihm erteilte Ratschlag dem Schüler helfen könnte. Ich gehe davon aus, dass der Lehrer dies normalerweise selbst weiß. Falls Sie ein Lehrer sein sollten, bei dem dies noch nicht zutrifft, würde ich empfehlen, den Schüler Ihre mangelnde Erfahrung nicht spüren zu lassen. Wenn dem Schüler bewusst wird, dass Sie sich in der Materie noch nicht wirklich gut auskennen, würde dies das gerade aufgebaute Vertrauen wieder zerstören, und eine Wiederherstellung dessen ist sicherlich keinesfalls leicht. Besser wäre, bei der kritischen Stelle zunächst gar nichts zu sagen und diese Stelle in Erinnerung zu behalten, um zu gegebener Zeit dem Schüler den entsprechenden Rat zu geben. Zeigen Sie dem Schüler bitte nicht, dass Sie bedeutend und unerreichbar sind und darüber hinaus noch alles wissen. Wenn der Schüler ausschließlich zuhören und gehorsam sein soll, Sie bewundern und alles tun soll, was von ihm verlangt wird, dann wird das nur zu Komplikationen führen. Das Komische daran ist, dass in solch einem Fall sowohl beim Lehrer als auch beim Schüler Schwierigkeiten auftreten werden. Der Schüler nämlich kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie man ein solches Niveau erreichen könnte – wozu sollte man auch –, und der Lehrer, der seinen eigenen Vorstellungen bei der Gestaltung des Unterrichts entsprechen sollte, wird sehr viel Kraft benötigen und unnötige Arbeit verrichten, weil das Erreichen dieses Zieles letztendlich nicht möglich ist. An dieser Stelle erinnere ich mich an einen, Sie entschuldigen bitte, ziemlich bösen Spruch: „Bescheidenheit lernt man durch das eigene Talent.“ Auch ich möchte Sie auf diese Worte eindringlich hinweisen, weil es gilt, sie tunlichst zu missachten. Weshalb eigentlich? Unsere Kunst, genauer genommen unsere Tonkunst, ist gar nicht so leicht, wie man das annehmen mag. Dies trifft besonders dann zu, wenn bereits am Anfang keine passende Koordination zwischen den Körperteilen zu verzeichnen ist, wenn also die Hände und der Kopf noch nicht im richtigen Kontakt zueinander stehen und der Kopf schon mit der Gehörbildung und dem Notenlernen beschäftigt ist. Eine winzige Spannung aufgrund plötzlicher Angst des Schülers als Reaktion auf die Verärgerung des Lehrers – und die ganze zarte und noch instabile Pyramide der kindlichen Koordination fällt in sich zusammen. Daraus resultierend können sich Verzweiflung und fehlendes Vertrauen des Schülers in die eigenen Fähigkeiten breitmachen. Möglicherweise wird dann seitens des Schülers kein weiterer Versuch unternommen werden, ein besseres Resultat zu erreichen, da dem Schüler schlicht und ergreifend der Spaß an der Sache vergangen ist. Es gibt für jeden Musikpädagogen jedoch wesentlich bessere Mittel, um an die Ehre und den Respekt des Schülers zu appellieren, als durch Strenge und Arroganz: die Liebe zum eigenen Beruf und zum Schüler, Geduld und Vertrauen. Die Hauptsache aber ist ein profundes Wissen, kombiniert mit der geeigneten Unterrichtsmethode, die dann geeignet ist, wenn Sie sich als Lehrer bei der Ausübung derselben sicher und wohl fühlen. Ein wenig Humor, wohlwollend vorgebrachte, dennoch aber gezielte und motivierende Kritik können viel mehr Gutes erreichen als Geschrei, Trampeln mit den Füßen und vor Empörung weit aufgerissene Augen. Nur mit Ruhe, Gelassenheit und Liebe kann man sowohl die eigene Arbeit genießen als auch mit großer Freude den jungen Pianisten mit der passenden Methode unterrichten. Auf diese Weise wird die schöpferische und menschliche Beziehung zwischen Lehrer und Schüler entwickelt, und somit kann man auch über unser eigentliches Anliegen reden, und zwar über das einzige, das in unserer Kunst wichtig ist: den Komponisten und sein Werk, also über die Musik selbst. Es ist kaum vorstellbar, wie viel man erreichen kann, auch bei nur mittelmäßiger Begabung des Schülers. Da dem Klavierspiel ein Reflex zugrunde liegt – genau wie beim Sport, was wir leider bestätigen müssen –, so bezieht sich die Wiederholung nicht nur auf die Ebene des Gedächtnisses, sondern ist auch unter dem rein physischen, also körperlichen Aspekt zu betrachten. Richtig erlernt und wiederholt ausgeführte Bewegungen bleiben sowohl in unserem Kopf als auch in unseren Muskeln verankert, genau wie der richtige Text. Kopf und Muskeln nehmen jede Bewegung wahr und auf, was sich sowohl positiv als auch negativ auswirken kann. Auch falsch gelernte und häufig wiederholte unsinnige Bewegungen bleiben auf Dauer in unserem Körper und in unserem Gedächtnis gespeichert, und weitere Arbeit wird damit verbunden sein, das Erlernte umzulernen. Das dürfte dann so ziemlich die langweiligste Arbeit sein, die es auf der Welt überhaupt gibt. Also üben Sie bitte mit dem Schüler die ersten Takte des zu studierenden Werkes sehr ausführlich. Das wird viel mehr bringen als selbständiges Geklimpere zu Hause, möglicherweise mit falschen Noten, falschem Fingersatz, falschen Bewegungen und ohne fachliches Hintergrundwissen seitens des Schülers. Eine richtig erlernte und während der Unterrichtsstunde mit dem Klavierlehrer mehrmals wiederholte Phrase ist bereits ein Schritt auf dem Weg zur Verbesserung der Qualität, zur Bildung und Formung des musikalischen Geschmacks und natürlich auch – zum richtigen Reflex. Im Grunde genommen dürfen wir Klavierlehrer der Gegenwart die immense Bedeutung des Reflexes