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Der Roman: Eine Sprengmine zwischen Aufbruch und Freiheit ist der zweite Teil aus der Trilogie: Gefährliche Wege in die Freiheit. Die Bundesrepublik Deutschland, inmitten Europas, erlebt seit vielen Jahren, wie andere Staaten in diesem Erdteil auch, Frieden, Wohlstand und die Freiheit der Gedanken. Was man vom anderen Teil Deutschlands, der DDR, nicht sagen kann. Direkt im Krieg ist sie nicht, aber das Land ist für seine Größe aufgerüstet und mental auf Krieg eingestimmt, schlimmer als eine Großmacht. Noch bedauernswerter ist der Zustand der Bevölkerung. Es herrscht Mangel an allem was die Menschen brauchen, und die friedlich etwas ändern wollen, oder voller Verzweiflung das Land verlassen möchten, werden entweder unmenschlich eingesperrt, gefoltert und gequält, oder durch Selbstschussanlagen, Minenfelder und Salven aus Maschinenpistolen getötet, zerfetzt oder schwer verletzt und verstümmelt. Wenn in diesem Buch nicht ab und zu Seiten zu lesen wären, die dem Leser ein wenig Entspannung ins Gesicht zaubern, würden sie die eigenen Tränen fast ersticken, und die Schmerzen die sie mitfühlen, an den Rand der Verzweiflung bringen. Es fällt einem schwer, das alles beim Lesen zu ertragen, aber noch schwerer ist es, das Buch aus der Hand zu legen.
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Seitenzahl: 272
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Die Zukunft hat viele Gesichter. Welches
sich uns zuwendet fühlen wir dann, wenn
es uns berührt.
In Liebe
für Barbara, Alexandra, Kai, Timon, Nele und Isabelle.
Der Roman - „Eine Sprengmine zwischen Aufbruch und Freiheit“ ist der zweite Teil vom Roman „Gefährliche Wege in die Freiheit“. Die Bundesrepublik Deutschland, inmitten Europas, erlebt seit vielen Jahren, wie andere Staaten in diesem Erdteil auch, Frieden, Wohlstand und die Freiheit der Gedanken. Was man vom anderen Teil Deutschlands, der DDR, nicht sagen kann. Direkt im Krieg ist sie nicht, aber das Land ist für seine Größe aufgerüstet und mental auf Krieg eingestimmt, schlimmer als eine Großmacht.
Noch bedauernswerter ist der Zustand der Bevölkerung. Es herrscht Mangel an allem was die Menschen brauchen, und die friedlich etwas ändern wollen, oder voller Verzweiflung das Land verlassen möchten, werden entweder unmenschlich eingesperrt, gefoltert und gequält, oder durch Selbstschussanlagen, Minenfelder und Salven aus Maschinenpistolen getötet, zerfetzt oder schwer verletzt und verstümmelt.
Wenn in diesem Buch nicht ab und zu Seiten zu lesen wären, die dem Leser ein wenig Entspannung ins Gesicht zaubern, würden sie die eigenen Tränen fast ersticken, und die Schmerzen die sie mitfühlen, an den Rand der Verzweiflung bringen.
Vor geraumer Zeit wurde auf Facebook und Twitter die Frage gestellt
Who ist Dietmar Dressel about?
Es ist für einen Buchautor und Schriftsteller nicht ungewöhnlich,
dass er mit zunehmender Aktivität im Lesermarkt das
Interesse der Öffentlichkeit weckt und diese
natürlich neugierig darauf ist, um wen es
sich dabei handelt.
Natürlich könnte ich dazu selbst etwas sagen. Ich denke, es ist
vernünftiger, eine Pressestimme zu Wort
kommen zu lassen.
Nachfolgend ein Artikel von Michel Friedmann: Jurist, Politiker, Publizist und Fernsehmoderator.
'Wanderer, kommst Du nach Velden''. Wer schon einmal im kleinen Velden an der Vils war, der merkt gleich, dass an diesem Ort Kunst, Kultur und Literatur einen besonderen Stellenwert genießen. Der Ort platzt aus allen Nähten vor Skulpturen, Denkmälern und gemütlichen Ecken die zum Verweilen einladen. So ist es auch ganz und gar nicht verwunderlich, dass sich an diesem Ort ein literarischer Philanthrop wie Dietmar Dressel angesiedelt hat.
Dressel versteht es wie wenige andere seines Faches, seinen Figuren Leben und Seele einzuhauchen. Auch deswegen war ich begeistert, dass er sich an das gewagte Experiment eines historischen Romans gemacht hatte. Würde ihm dieses gewagte Experiment gelingen?
Soviel sei vorweg genommen: Ja, auf ganzer Linie!
Aber der Reihe nach. Historische Romanautoren und solche, die sich dafür halten, gibt es jede Menge. Man muß hier unterscheiden zwischen den reinen 'Fiktionisten' die Magie, Rittertum und Wanderhuren in eine grausige Suppe verrühren und historischen „Streberautoren“, die jedes noch so kleine Detail des Mittelalters und der Industrialisierung studiert haben und fleißig aber langatmig wiedergeben. Dressel macht um beide Fraktionen einen großen Bogen und findet zum Glück schnell seinen eigenen Stil. Sein Werk gleicht am ehesten einem Roman von Ken Follett mit einigen erfreulichen Unterschieden!
Follett recherchiert mit einem großen Team die Zeitgeschichte genauestens und liefert dann ein präzises, historisches Abbild. Ein literarischer und unbestechlicher Kupferstich als Zeugnis der Vergangenheit. Dressel hat kein Team und ersetzt die dadurch entstehenden Unklarheiten gekonnt mit seiner großartigen Phantasie. Das Ergebnis ist, dass seine Geschichten und Landschaften 'leben' wie fast nirgendwo anders.
Follett packt in seine Geschichten stets wahre Personen und Figuren der Zeitgeschichte hinein, die mit den eigentlichen Helden dann interagieren und sprechen. Das nimmt seinen Geschichten immer wieder ein wenig die Glaubwürdigkeit. Dressel hat es nicht nötig, historische Figuren wiederzubeleben. Das Fehlen echter historischer Persönlichkeiten gleicht er durch menschliche Gefühle und lebendige Geschichten mehr als aus.
Folletts Handlungen sind zumeist getrieben von Intrige, Verrat und Hinterhältigkeit. Er schreibt finstere Thriller, die Ihren Lustgewinn meist aus dem unsäglichen Leid der Protagonisten und der finalen Bestrafung der 'Bösen' ziehen. Dressel zeigt uns, dass auch in einer so finsteren Zeit wie der frühen, industriellen Neuzeit Freundschaft, Liebe und Phantasie nicht zu kurz kommen müssen. Er wirkt dabei jedoch keinesfalls unbeholfen sondern zeigt uns als Routinier, dass er das Metier tiefer Gefühle beherrscht, ohne ins Banale abzugleiten.
Folletts Bücher durchbrechen gerne die Schallmauer von 1000 und mehr Seiten. Er beschreibt jedes Blümchen am Wegesrand. Dressel kommt mit viel weniger Worten aus. Substanz entscheidet!
In der linken Ecke Ken Follett aus Chelsea, in der rechten Ecke Dietmar Dressel aus Velden. Zwei grundverschiedene Ansätze und Herangehensweisen an ein gewaltiges Thema. Wer diesen Kampf wohl gewinnt?
Keiner von beiden, in der Welt der Literatur ist zum Glück Platz für viele gute Autoren.
Die stillen Gedanken einer Justizangestellten
Der Sozialismus und seine Wohlstandsklassen
Urlaub auf dem Bauernhof
Ein heikles Gespräch zwischen Gundula und ihrer Mutter
Einer vom Horch und Guck
Andreas und seine Aktien
In den Fängen der Dunkelheit
Die hässliche Aktion Ungeziefer
Die verbuddelten Sprengminen
Grenzsoldaten sollten auch Menschen sein
Die Würde des Menschen ist unantastbar
Ein Vernehmer der Stasi gerät in Wut
Ein nicht alltäglicher Fall
Einst war es eine Burg mit Namen Hoheneck
Die Schreie der Kinder
Die Qualen wollen kein Ende nehmen
Der Weg in die Freiheit
Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken,
die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt.
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Von Pünktlichkeit hält mein lieber Andreas wieder mal so viel, wie meine lieben Kolleginnen und Kollegen vom klerikalen Imperialismus der BRD, mit seiner Scheindemokratie, nämlich nichts, rein gar nichts! Zu mindest nichts besonders Gutes! Sagen sie jedenfalls bei allen parteipolitischen Veranstaltungen.
Welche Gedanken sie in ihren Köpfen wirklich bewegen, weiß man ja sowieso nicht. Was allerdings die Genossen vom „Horch und Guck“, also der Stasi, schon gern wissen wollten.
Na, Pünktlichkeit mal hin oder her - vermutlich ist er bei seinen Eltern mit dem Magdeburger Schnellzug durch sein Kinderzimmer gerast als es darum ging, sich anständige Manieren anzueignen.
Ich habe meine Zeit auch nicht gepachtet. Wäre ja nicht so schlecht wenn das möglich wäre – ist es aber nicht. Eine halbe Stunde Mittagszeit ist für ein Plauderstündchen mit dem Freund ziemlich knapp. Rücksichtsvoll formuliert!
„Was regst du dich eigentlich so auf? Wenn du mit ihm im Bett liegst, oder in eurem Trabi auf der Rückbank ein so genanntes Schlummerchen machst, geht dir doch immer alles viel zu hastig, obwohl du ja eigentlich für solche Gelegenheiten mehr Zeit hättest?!“ „Was meckerst du denn mit mir rum, ha?“ „Na, na – geht’s etwas netter. Ich bin ja dein inneres „Ich“, und nicht dein Andreas, wenns recht ist. Ich mein ja nur. Ich kann ja verstehen, dass dich das nervt. Der wahre Grund deiner Stinklaune ist nicht dein lieber Schatz, sondern das Amtsgericht in Magdeburg, glaube ich jedenfalls!“ „Entschuldige bitte, Isi, du hast ja recht.“
Als Gundula bewusst das erste Mal ihre innere Stimme wirklich fühlte und hörte, wollte sie schon zu einem Psychologen gehen, um in einem Gespräch feststellen zu lassen, ob gegebenenfalls erste Anzeichen einer kleinen, sich anbahnenden Magge zu erkennen wäre. Der Arzt meinte lediglich, sie sei völlig überarbeitet, und sollte sich doch die Schicksale von Angeklagten oder Klägern, die vor Gericht ihre Streitigkeiten ausfechten, nicht so zu Herzen nehmen, dann legt sich das mit der inneren Stimme wieder. So wie sie kam, geht sie auch wieder, meinte er noch mit einem bedeutungsvollen Lächeln. War aber nicht so! In den folgenden Gesprächen lernten sie sich immer besser kennen und verstehen, und wollten sich um nichts auf dieser Welt mehr missen. Damit die gemeinsamen Gespräche locker und unbeschwert verlaufen, gab Gundula ihrer inneren Stimme den Namen Isi. Seit dieser Zeit sind sie wie zwei unzertrennliche Freundinnen.
„Die heutige Verhandlung in der Sache Lehmann gegen Holderkamp war echt nervig. Übrigens, ohne davon ablenken zu wollen. Die gewissen Stunden – ich darf mich ja mal kringeln, von wegen Stunden, die ich mit Andreas hie und da verbringe, sind deshalb so mit der Zeit verbunden, weil er die so genannten beischlafähnlichen Schlummerstunden, in den von dir genannten Liegeplätzen im Karnickelrhythmus mit meinem Unterleib absolviert.
In seinem Trabi ist mir das so ziemlich wurscht. Ich weiß sowieso nicht, wohin ich meine langen Beine ausstrecken soll. Aber im Bett, da hätte ich schon eine ganze Menge mehr Zeit. Statt sich mit mir, also nicht nur mit meiner Maus zu beschäftigen, dreht er sich nach der Karnickelschlacht auf die andere Seite und ist im Traumland. Die Sachsen, damit meine ich die weiblichen Sachsen, haben für solche Situationen meist einen flotten Spruch auf der Lippe. Ok, er ist nicht ganz stubenrein, beschreibt allerdings die Situation von der wir beide sprechen ganz zutreffend:
Erst macht er mich gläbrich, dann lässt er mich liechen“.
Um das mal sächsisch zu formulieren. Irgendwo habe ich mal gelesen, soll es für uns Frauen, wenn wir es mit einem Mann so treiben, einen Freudenschrei mit Schmetterlingen und so geben. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht mal wie Schmetterlinge geschrieben wird. Ich kenne ja nur Andreas, und soll wahrscheinlich denken, dass das so richtig ist, wie er’s mit mir so macht.“
„Aber Gundula, das weiß ich doch alles. Du musst mal deine Lage beim karnickeln verändern.“ „Wie - die Lage ändern? Was meinst du damit? Wenn du meinst, ich leg mich auf den Bauch, damit er, na du weißt schon wie ich das meine. Das mach ich auf keinen Fall, meine liebe Isi! Da kann er sich auf den Kopf stellen und mit seinen Armen Fliegen fangen. Nie und nimmer mach ich das!!“ „Jetzt stell dich halt nicht so an?! Die typische Karnickelstellung meine ich ja nicht!“ „Ach so! Und was meinst du wirklich? Ich weiß nicht, was du dir alles so ausdenkst?!“ „Du musst dich ja mal auf ihn draufsetzen. Ich weiß, im Trabi geht das natürlich nicht so optimal, da hast du ständig die Handbremse schmerzhaft am Knie, aber im Bett geht das schon.“ „Also gut – und was soll ich auf ihm so anstellen?“ „Gundula?! Du stellst dich manchmal an, wie eine Jungfrau beim Kinderkriegen!“ „Du zielst mit deinen Gedanken nicht zufällig auf die „unbefleckte Empfängnis“ ab? Das soll für die Maria ziemlich langweilig gewesen sein. Und für den armen Joseph wohl auch. Mehr als zusehen konnte er vermutlich nicht!“
„Aber nein! Wenn du auf seinen Lenden sitzt, bestimmst du das Tempo der Karnickelei – kapiert?“ „Wenn ich so darüber nachdenke, die Idee ist nicht übel. Hätte ich eigentlich selber drauf kommen können. Hoffentlich denkt Andreas nicht, dass ich neben ihm noch einen Freund habe. Woher sollte ich die neue Lage kennen?“ „Sag einfach, du hast mit deiner Mutter darüber gesprochen. Sie macht das schon seit Jahren so, und deinem Vater scheint das ja zu gefallen. Soweit ich weiß, hat er sich noch niemals beschwert. Übrigens - wenn wir schon bei diesem Thema sind. Wenn du merkst, dass er langsam bei eurem gemeinsamen Herummachen die Augen vor Wollust verdreht, solltest du kurz anhalten, und ihn irgendwas zum Thema Geld fragen. Du weißt ja, sein Lieblingstgebiet.“ „Warum sollte ich in so einer Situation vom Geschäft sprechen? Ehrlich, Isi - ich kann dir nicht folgen!“ „Ganz einfach, das lenkt ihn sofort ab. Beobachte seine Augen! Anstatt Wonnen, wirst du abrupt Geldscheine in seinen Guckerchen erkennen. Für dich ist so eine kleine Ablenkung nicht störend. Die Schmetterlinge in deinem Bauch interessieren sich nicht für’s Geld.“ „Und du meinst, das funktioniert?“ „Aber Gundula, ich bitte dich! Wenn es um Gefühle geht, bin ich nicht zu übertreffen – vertrau mir!“ „Also gut, lassen wir das Thema – ich kann’s ja mal versuchen.“ „Nein, Gundula!“ „Wieso nein! Erst sagst du mir was ich ändern soll, und dann meinst du nein?!“ „Ich sage nein, wenn du nur was versuchen willst. Du sollst es wirklich machen!
Entschuldige bitte, dass ich unterbreche, heb dir das für später auf, dein Karnickel kommt.“ „Wenn er das hören würde, müsste ich mir was anhören, Isi.“ „Also gut - kommt nicht wieder vor!“
„Hallo, Gundula, wartest du schon lang auf mich?“ „Ha, ha - lass dir das nächste Mal eine bessere Ausrede einfallen und jetzt komm, sonst reicht die Zeit gerade mal für eine Bockwurst mit ner Semmel.“
Gundula nimmt ihren Freund an der Hand, und zieht ihn zur Imbissbude, die Gott sei Dank nicht weit entfernt an der Uferstraße der Elbe ihren Stand hat.
„Apropos – warten! Unter meinen Kollegen – na jedenfalls bei einigen, nicht bei allen, schwirrte eine heikle Frage umher.“ „Welche meinst du, was gibt es bei euch so „Wichtiges“?“ „Stell dir vor, meine liebe Gundula, in der Mauer, dem ultimativen Schutzwall gegen den bösen Klassenfeind aus Westberlin, gäbe es ein Loch in der Größe von drei Metern Breite und zwei Metern Höhe.“ „So was kommt bei uns im Baugewerbe nicht vor, Andreas, vergiss es! Vielleicht in Westdeutschland, bei uns nicht, und in der Mauer des ewigen Friedens gleich gar nicht. Die Maurerarbeiten wurden von unseren fähigsten Facharbeitern geleistet, und nicht von Hilfskräften! Außerdem wurden sie mit dem Titel – „Komsomolzen für das Bollwerk des Friedens“ ausgezeichnet. Du weißt, so eine epochale Auszeichnung bekommt man nicht für das Belegen von Wurstsemmeln.“
„Jetzt nimm das doch nicht gleich so genau – es ist doch nur eine Frage, Gundula.“ „Ok, lieber Andreas – und wie geht das mit der Fragerei weiter?“ „Wie gesagt, das Loch in der Mauer existiert wie beschrieben. Was würdest du, so du Kenntnis davon erhältst, möglicherweise unternehmen?“ „Ja gut, weiß ich nicht so genau - und was jetzt?“ „Die meisten, bis auf einen in der Runde, wollten nach Berlin zu dem Loch in der Mauer fahren. Nur der eine meinte, er fährt unbedingt nach Cottbus. Auf die Feststellung, dass ja Cottbus an der polnischen Grenze liegt, also ziemlich weit entfernt von unserer Hauptstadt, kam die Antwort – er wolle sich an die Schlange anstellen, die sicherlich bereits gebildet wurde - jetzt lach halt mal, Gundula.“ „Na, so zum Lachen finde ich das nicht. Hätte nicht gedacht, dass es gleich so viele sind. Die werden eine Zeit brauchen, bis sie durch das Loch in die Freiheit schlüpfen können, ohne dabei erschossen zu werden.“
„Ok, Gundula, lassen wir’s dabei! Es war ja nur eine Frage. Für uns beide allerdings nicht so unwichtig, denn wir wollen ja weg von hier, und da wäre so ein Wandern in einer Schlange durchaus eine Alternative. Wir haben da einen anderen Weg zu gehen – völlig anders, und sehr riskant ist er obendrein auch noch.
Hast du mit deiner Tante Gerda in Grobes schon gesprochen, dass wir im August unseren Sommerurlaub auf ihrem Bauernhof verbringen wollen?“ „Habe ich, Andreas! Die ganze Familie freut sich schon drauf, dass zwei kräftige Menschen bei der Erntearbeit mit zupacken können. Na, von wegen Feldarbeit?! Wenn die wüssten, was wir wirklich vorhaben, würde ihnen die Freude an der Getreideernte sicher vergehen. Aber darüber unterhalten wir uns nächsten Samstag. Auf den Wanderwegen des Thüringer Waldes hört uns dabei sicher niemand zu, andernfalls wäre das für uns nicht so gut.“
„Was hast du am kommenden Wochenende vor, Gundula?“ „Das habe ich für dich eingeplant, mein lieber Schatz. Wir schlafen bei meinen Eltern. Es sei denn, du willst dass wir bei dir schlafen?!“ „Nein, Gundula, ich hol dich am Freitag von der Arbeit ab und anschließend wartet bestimmt ein leckerer Eisbecher in der Eskimobar auf uns. Danach gehen wir ins Kino.“ „Was bringen sie denn für einen sozialistischen Altweiberschinken?“ „Kaum zu glauben, Gundula, nix alter Schinken. Es läuft ein Film aus Westdeutschland hier im Capitol. Der Titel des Films ist: „Spartakus“. Der Streifen soll gut sein, sagen jedenfalls meine lieben Kollegen und Kolleginnen. Ok, Mittagszeit ist zu Ende, ich muss wieder in die Bank, die Arbeit ruft.“ „Du holst mich ja am Freitagnachmittag ab. Sei diesmal bitte pünktlich, Andreas!“ „Aber klar – versprochen!“
Beide umarmen sich, schnell noch einen Schmatz für Gundula und Minuten später sind sie wieder an ihrem Arbeitsplatz.
Eine fruchtbare Behandlung der sozialen Frage wird nur
demjenigen gelingen, der sie mit der Erkenntnis der
Unlösbarkeit des Problems beginnt.
Heinrich von Sybel
Andreas, ein hochgewachsener, schlanker junger Mann um die fünfundzwanzig Jahre, mit kurz geschorenen, blonden Haaren und einem schmalen Gesicht mit kräftigem Kinn, ist Mitarbeiter in der Abteilung für die allgemeine Verwaltung bei der Sparkasse in Magdeburg. Aufgrund seiner guten Noten während der Berufsausbildung und seiner praktischen Fähigkeit, sich schnell in prozessuale Büroabläufe einzuarbeiten, war es für ihn keine Schwierigkeit, nach absolvierter Lehrausbildung einen Arbeitsplatz in der Verwaltung der Sparkasse zu bekommen.
Möglicherweise war der Grund für seine Einstellung auch die lobenswerte gesellschaftliche Arbeit. Genau betrachtet, war ihm das wurscht, Hauptsache er hatte den Job den er wollte. Versammlungen zu gesellschaftspolitischen Diskussionen während oder außerhalb der Arbeitszeit zu Ehren irgend eines Parteitages in der DDR, oder einer außerordentlich wichtigen Tagung des ZK der SED und ähnliches mehr, waren für Andreas nur blanke Fassade, um in Ruhe seinen eigenen Interessen und Geschäften nachzugehen. Ein wesentlicher Teil seiner Gedankenwelt betätigte sich mit dem - „Wie“ er gemeinsam mit Gundula, ohne dabei erheblichen Schaden zu nehmen, die Grenze der DDR in Richtung Bayern überwinden kann. Für sie beide ist das die wichtigste Entscheidung für die Zukunft ihres gemeinsamen Lebens. Dafür ist er bereit, dieses Affentheater für eine gesellschaftliche Tätigkeit auf sich zu nehmen. Seine beruflichen Gedanken bewegen sich im rationalen Bewusstseinsbereich meistens mit dem Thema Geld, und mit allem, was sich mit und durch dieses magische Zahlungsmittel alles möglicherweise erreichen lässt. Dank seines Fleißes, und seiner zielstrebigen, politischen Arbeit, vor allem diejenige während der Arbeitszeit, hat er es bereits bis zum Gruppenleiter bringen können.
Auch in seinem Wohngebiet lässt ihn sein Ehrgeiz nicht im Stich. Ständig ist er unterwegs, um hie und da die so genannten kleinen Geschäftchen zu erledigen. Kein Wunder – seine Mutter ist Verkaufsstellenleiterin in einem Laden der „Intershop“ – Handelskette. Apropos Handel! Daran lässt sich dieser Arbeiter- und Bauernstaat hervorragend erkennen und klassifizieren. Von wegen keine Klassen!? Bei solchen Gedanken kann Andreas nur lässig abwinken. Die DDR besteht ganz eindeutig aus einem Mehrklassensystem. Wer das nicht erkennt, muss blind und taub durch dieses Land reisen.
Als erstes wären, so grübelt Andreas, ganz oben an der Spitze der Wohlstandspyramide – klar, wie sollte das anders sein, die Mitglieder des Zentralkomitees, also Genosse Walter Ulbricht und Co zu nennen. Dann folgen führende Regionalpolitiker der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auf Landesebene und in den Verwaltungsbezirken, die Entscheidungsträger des Geheimdienstes und der Staatssicherheit, der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums des Inneren, auch sonnenklar! Dazu gehören natürlich auch die gesamte Führungsebene aller Ministerien, das umfangreiche Diplomatische Korps, und die führenden Bosse aus Wirtschaft und Verwaltung.
Darunter, also auf der zweiten Ebene angesiedelt sind – Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben, des Fernsehens, der Welt des Films und der Wissenschaften, alle Bürger des Landes mit guten bis sehr guten verwandtschaftlichen, oder freundschaftlichen Beziehungen in der BRD oder in andere westliche Länder, die nicht zum sozialistischen Ostblock gehören. Nicht zu vergessen alle Selbständigen aus dem Bereich Handel und Handwerk, und natürlich auch ein großer Teil der Freiberufler, also Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten, Schriftsteller, Musiker und Maler. Was übrig bleibt, ist ein kleines Heer von treu ergebenen Parteifunktionären, Betriebs- und Verwaltungsdirektoren der mittleren Leitungsebene, das Heer der Offiziere von Armee und Polizei, der Zuchthäuser und Arbeitslager, des Grenzschutzes, der Staatssicherheitsdienst in seiner Gesamtheit, das Justizwesen und die Verantwortlichen des Rundfunks, des Fernsehens und der Presse. Sie alle durften keinerlei Verbindungen zu Angehörigen im westlichen Ausland pflegen. Sollten sie es dennoch, mussten sie sich von ihnen mit aller Konsequenz lossagen. Dafür suggerierte man ihnen das Gefühl ein, sie seien Staatsbürger mit einem hohen Maß an Verantwortung zum Wohle der DDR. Mit ihrer Überzeugung sind sie dafür bestimmt, die DDR erfolgreich und zielorientiert in die Vollendung des Sozialismus zu führen, was man sich darunter auch vorstellen mag.
Nicht zu vergessen die Masse der Arbeiter und Bauern ohne irgendwelchen Vorteilen! Dafür irgendwann den Sozialismus, das ständige Schlangestehen und die langen Wartezeiten für begehrte Güter des täglichen Lebens. An Reisefreiheit lohnt es sich in dieser Ebene der Wohlstandspyramide nicht mal zu denken.
Erstens haben sie bei dem Wechselkurs von DM zur DDR Mark das nötige Kleingeld nicht, und zweitens dürfen sie sowieso nicht reisen, weil dieser Staat die dafür notwendigen Devisen bräuchte, aber nicht hat – jedenfalls nicht für seine treu ergebenen Arbeiter und Bauern. Dafür nutzt diese Bevölkerungsschicht andere Vorteile. Ein Sprichwort bringt das sehr treffend zum Ausdruck:
„Was dem sozialistischen Staat der DDR gehört, gehört auch mir – klar, es heißt ja Volkseigentum – und was mir gehört, geht keinem was an.“ Die Spiegelbilder solcher verdrehten Verhaltensweisen sind die Wohnungen dieser Menschen. Die Häuser selbst gewinnen jeden Wettbewerb, wenn es darum geht, einen miserablen, baufälligen Eindruck zu hinterlassen. Innen, die Wohnungen selbst, sind eher kleine, individuelle Schmuckstücke. Jeder in dieser Klasse von Einwohnern in der DDR denkt eben nur an sich selbst.
Wenn allerdings ein sehr großer Teil der Arbeiter und Bauern die notwendige gesellschaftliche Arbeitsleistung nur mit einem minderen persönlichen Einsatz leistet, und sich viele nebenbei auch noch am Volkseigentum unerlaubt bereichern, brauchen sie sich nicht wundern, wenn der Staatskasse nach und nach das Geld ausgeht. Im Sprachschatz dieser Klasse hieß das – Umwandlung sozialistischen Eigentums in Privateigentum – einfacher ausgedrückt, erfüllte das den Tatbestand des flächendeckenden Diebstahls.
Diese Intershopläden, überlegt Andreas, verteilt in allen größeren Städten der DDR, dürfte es in einem Arbeiter- und Bauernstaat nicht geben. Wenn, ja wenn da nicht die chronische Gier nach Devisen wäre, damit die zwei oberen Klassen aus der Wohlstandspyramide in Saus und Braus leben können. Übrigens Geld, also Westgeld, stinkt nicht, auch das vom bösen Klassenfeind in Westdeutschland nicht. Und das aus den Handelsumsätzen in den Intershopläden sowieso nicht – versteht sich von selbst!!! Zurück zu dieser exquisiten Handelskette in der DDR, grübelt Andreas weiter. Besonders wertvolle Konsumgüter, und selbst Dinge für den täglichen Bedarf, gibt es in diesen Läden für DDR Mark sowieso nicht. Hier gibt es alles und sofort was das Herz begehrt. Der Kunde muss nur DM, Dollar oder andere westliche Währungen in seiner Brieftasche aufbewahren, und davon möglichst viel. So, und auf keinen Fall anders, sieht der Alltag in der DDR aus, flüstert Andreas vor sich hin. Das wäre alles noch zu ertragen, wenn nur die völlig verblödeten Sprüche der SED Parteiführung nicht wären wie - „allen geht es gut, wir sind sowieso die Besten“. Oder – „der westdeutsche Kapitalismus steht am Abgrund, wir in der DDR sind dagegen einen Schritt weiter“. Sagt jedenfalls der Genosse Walter Ulbricht, und der muss es wissen. Der will ja auch Westdeutschland mit seiner DDR in allem überholen, ohne das Land in seiner Leistungsfähigkeit einholen zu müssen – witzig, wirklich witzig!
Möchte nur wissen, wo der zu Schule gegangen ist. Vermutlich eine Baumschule, dritter Ast links oder so!
Die einfachen und preiswerten Sachen zum Leben im „Konsum“ um die Ecke, die etwas besseren, dafür teueren Waren in der „HO“ und in den „Delikatläden“, und das ganz „Besondere“ halt im „Intershop“.
Und mein Vater? Bei dem Gedanken muss Andreas lächeln. Er ist Kfz - Meister im größten Autohaus von Magdeburg. Dringende Termine für notwendige Reparaturen sind nur schwer zu bekommen. Gleiches gilt für eilig benötigte Ersatzteile, Reifen und Zubehör.
Es gibt Monate, überlegt Andreas, da sind die Einnahmen seines Vaters aus Schmiergeldern höher, als sein Gehalt. Getreu nach dem Sprichwort - „wer gut schmiert, der gut fährt“.
Auch bei Andreas dreht sich viel ums liebe Geld, so wie bei seinem Vater und seiner Mutter. Dass das in einem sozialistischen Staat nicht der Sinn des gesellschaftlichen und privaten Lebens der Arbeiter und Bauern sein sollte, ist verständlich. Bei den Kapitalisten schon – natürlich! Aber doch nicht in der DDR!
Was im täglichen Leben wirklich bleibt, ist permanente Unzufriedenheit, die sich nicht so einfach beseitigen lassen will. Aus so einer schwierigen sozialen Situation, die man auch noch jeden Tag ertragen muss, denkt Andreas sorgenvoll, entwickeln sich langsam und zielstrebig die gedanklichen Pflanzen des Neides, der Missgunst und der Gier. Eine ganz üble Sorte von Charaktereigenschaften, so man ihnen freien Lauf lässt, oder gar noch fördert. Sie suchen sich ihre Opfer und, wie sollte das anders sein, finden sie in der grassierenden Seuche der Denunziation. Dieses üble Tätigkeitsfeld entfaltet sich flächendeckend über die gesamte DDR, und befällt alle Schichten der Bevölkerung. Selbst die eigenen Freunde, die Verwandten und die eigene Familie werden davon nicht ausgenommen. Nur wenige in der Bevölkerung wagen sich ein offenes Wort zu sprechen, Kritik zu üben und frei ihre Meinung zu äußern in dem Wissen, dass sie dafür im Zuchthaus oder im Arbeitslager landen werden. Andere entscheiden sich dafür, ihren Wohnsitz in ein Land zu verlegen, indem sie ihre Gedanken wirklich frei äußern können. Gundula und ich gehören in die Gruppe von Menschen, denkt Andreas, die so einem Unrechtsstaat den Rücken kehren werden und ihr neues zu Hause in einem anderen Land suchen - trotz der großen Gefahren, die damit verbunden sind. Aber Schluss mit dem Thema Flucht, überlegt Andreas, es wird mich und Gundula noch zeitig genug einholen.
Die Gedanken von Andreas wandern zu seiner Freundin und suchen ihr Herz. Am Wochenende sind sie ja wieder zusammen, und werden genügend Zeit haben, wichtige Probleme zu besprechen.
Denkt man an Urlaub, verfängt man sich leicht in den
Träumen der Zukunft. Man träumt von dem,
was man erreichen möchte.
Dietmar Dressel
Bei der beruflichen Laufbahn von Gundulas Eltern, ist die Kindererziehung typisch für das System in der DDR. Wurde ein Kind geboren, wurde es demzufolge in eine staatliche Betreuung gegeben. Auf diese Weise konnte die Partei der SED außerdem frühzeitig Einfluss auf die politische Erziehung der jüngsten Bürger nehmen.
Gundula erinnert sich eigentlich nur noch dunkel daran, dass sie an den Wochentagen von ihrer Mutter sehr früh aus ihrem Bett geholt wurde. Mit einer Marmeladensemmel in der Hand, und einem gehauchten „Guten Morgen Mama“, hielt sie sich an ihrem Arm fest, und ab ging es zum Treppenhaus. Schnell in den Trabi, der am Straßenrand parkte, und mit qualmendem Geratter fuhren sie zum Kindergarten. Kaum hielt das Auto, musste sie auch schon raus – ein kurzes „Tschüß Gundula“, bis heute Abend, und weg war die Mutter. Abends das gleiche Spiel, nur in umgekehrter Reihenfolge, und – „gute Nacht Gundula“, marsch ins Bett. Ob der Vater manchmal spät abends zu ihr ans Bett kam, weiß sie nicht, erinnern kann sie sich jedenfalls kaum daran. Es gab Zeiten, da wollte sie glauben, es sei ihr Onkel, und nicht ihr Vater, so selten bekam sie ihn zu Gesicht. Am Wochenende machte sich Mutter über die angesammelte Wäsche, und die Wohnung, und Vater, so er daheim war, putzte eifrig sein Lieblingsspielzeug, den Trabi. Abends war meistens irgendeine wichtige Versammlung, oder, wenn Zeit dafür war, gingen sie ins Kino. Manchmal kamen auch Bekannte zu Besuch, und machten sich, zusammen mit meinen Eltern, einen vergnüglichen Abend. Mein Vater war als Offizier der Armee sowieso selten zu Hause, er soll ja das Vaterland gegen die bösen und klerikalen Imperialisten aus der BRD verteidigen. Im Sommer gemeinsam in Urlaub fahren – keine Spur. Ich, so überlegt Gundula traurig, wurde in ein Kinderferienlager abgeschoben, und wenn kein Platz frei war, durfte ich bei Tante Gerda und Onkel Bruno in Grobes in den gesamten Sommerferien bleiben. Meine Eltern verlebten ihren Urlaub in Ferienorten, zu denen der normale Arbeiter grundsätzlich keinen Zutritt hatte. Bei meiner Tante war ich, ehrlich gesagt, am liebsten. Sie hat einen Bauernhof mit allen möglichen Tieren, die so auf einem Hof gehalten werden. Das Dorf liegt direkt an der so genannten Staatsgrenze der DDR zu Bayern, einem Bundesland der BRD. Ein ungefähr zehn Meter breiter Ackerstreifen, fein glatt geharkt, damit man Fußspuren von eventuellen Flüchtlingen sehen kann, die die DDR verlassen haben, bildet die Grenze. Abends, bevor es dunkel wird, ziehen Soldaten in einem Abstand von etwa einhundert Meter vom Grenzstreifen entfernt einen Signaldraht entlang der Grenze. Der Draht ist ungefähr fünfzig Zentimeter über den Boden gespannt, und in gewissen Abständen mit einer Abschussvorrichtung für Leuchtraketen verbunden. Sollte sich ein Mensch unerlaubt der Grenze nähern, um nach Bayern zu flüchten, würde er bei der Berührung mit dem Draht ein ziemlich helles Feuerwerk auslösen und das nächtliche Dunkel taghell erleuchten. Schön für die Soldaten, so können sie ihn leicht einfangen. Sollte er wegrennen wollen, wird halt geschossen. Ich weiß was ich sage, denkt Gundula. Es kommt immer mal nachts vor, dass sie Schüsse hört. Ihre Tante meint dann beim Frühstück, dass sich wohl ein Reh, oder ein Wildschwein in den Drähten verfangen hätte, und so die Ballerei auslöste. Na, wer’s glaubt wird selig.
Bei späteren Besuchen auf dem Hof, als ich aus dem Kindesalter bereits herausgewachsen war, und meine Tante gegebenenfalls auf die Schießerei ansprach, meinte sie dazu, dass es immer wieder vorkommt, dass Schwerverbrecher, die schlimme Sachen im Land angestellt haben, versuchen würden, illegal die DDR zu verlassen, um der gerechten Strafe zu entgehen. Menschen in der DDR, die nichts verbrochen haben, sondern nur nach Westdeutschland wollten, weil sie offiziell nicht dürften, gebe es überhaupt nicht. Jeder kann, so sagte meine Tante und mein Onkel meistens im Brustton der Überzeugung, nach unserer Verfassung, dahin ziehen wo er hin will. Er braucht nur einen Antrag stellen, und schon kann er gehen wohin er möchte. Eigentlich sind sie gar keine richtigen Bauern. Die DDR Staatsregierung hatte in einem politischen Säuberungsverfahren unzuverlässige Familien im Grenzgebiet, meistens waren das Bauern und selbständige Handwerker, einfach in das Landesinnere der DDR umgesiedelt. Dafür durften besonders treue Parteigenossen in die Höfe und Betriebe einziehen und ordentlich Geld scheffeln. Während meines Studiums, überlegt Gudrun, wurde mir ständig eingetrichtert, dass wir ein lupenreiner Rechtsstaat sind - klar, was auch sonst. Die Bösen, die unaufhörlich, und mit allen Mitteln ihre Bevölkerung geistig unterdrücken und materiell ausbeuten sind immer die anderen. Und der westdeutsche Klassenfeind ist sowieso der Übelste von allen, versteht sich!
Als typisches Kindergartenkind hatte ich keine Probleme mit den Kindern im Dorf Freundschaft zu schließen und so richtig herum zu toben. Ich erinnere mich an so genannte Indianerspiele, muss Gundula schmunzeln. Wenn mich dabei meine Eltern gesehen hätten – na, gute Nacht und kein Bett. Zum Beispiel, das Lieblingsspiel der Dorfjungs war Baumfangen. Dafür nutzten sie einen kleinen Fichtenwald in der Nähe des Dorfes. Die einzelnen kleinen Bäume standen dicht beieinander und waren höchsten zehn Meter hoch. Jeder dieser Bengels suchte sich so eine Fichte und kletterte, soweit es eben ging, nach oben. Wir Mädels mussten auch auf die Bäume, und hatten die Aufgabe sie zu fangen ohne dabei die Bäume zu verlassen. Wer doch runter kletterte – klar, auf dem Waldboden zu laufen war ja leichter, als den Jungs auf den Bäumen wie ein Affe hinterher zu hangeln - hatte verloren.
Es war für ein Stadtmädchen wie mich wirklich nicht einfach und auch nicht ganz ungefährlich, sich von Baum zu Baum zu schwingen, um einen der Jungen zu erwischen. Trotz allem, wir hatten alle miteinander riesigen Spaß. Wenn wir abends hungrig und völlig fix und fertig am Tisch saßen, schmeckten die Brotschnitten mit Leberwurst bestrichen, besonders gut. Es bleibt mir bis heute ein Rätsel, wie meine Tante die verdreckten Klamotten wieder sauber bekam. Auch meine Hände, Arme und Beine vom Baumharz und kleinen Verletzungen leicht zerschunden, haben das überstanden. Wäre meine Mutter an so einem Tag hier gewesen, hätte ich sofort meine Tasche packen können – aber - war ja nicht, Gott sei Dank! Meine Tante und auch mein Onkel hatten für solche Abenteuer viel Verständnis, und murmelten höchstens mal - pass auf, dass du nicht vom Baum fällst. Eine wirklich schöne Zeit. Eigentlich, denkt Gundula, die allerschönste Ferienzeit während meiner Kindheit.
Oder – die Piratenspiele auf dem Dorfteich?! Von wegen Luftmatratzen und so, nichts davon! Kleine Zinkwannen und einfache, selbst gebastelte Floße mussten dafür herhalten. Keiner von uns Kindern konnte richtig schwimmen, und der Teich war tief. Was jammere ich herum, es ist ja nichts Ernsthaftes passiert, und über kleine Kratzer reden wir nicht! Und auf einem Dorf sowieso nicht! Oder wie die Lausebengel bei kleinen Verletzungen brüllten: Ein Indianer kennt keinen Schmerz! Das öde Wort Langeweile gab es jedenfalls unter uns Kindern nicht!
So ging das bis zum Ende meiner Schulzeit weiter, und änderte sich auch nicht wesentlich während meiner Berufsausbildung. Diese Zeit war, so überlegt Gundula, etwas leichter Mutter und Vater zu ertragen, weil ich den Ersatz für das Elternhaus bei Freunden und Freundinnen suchte. Den Rest der freien Zeit wurde dem Sport und den Jungs gewidmet. In diesem Alter sind sie ja noch relativ hilflos, und wissen mit ihren Händen nicht so richtig wohin damit. Das ändert sich erst, wenn aus dem kleinen Bartflaum ein richtiger Bart wird. Spätestens dann sind sie kaum noch zu bremsen, wenn es darum geht, ihre Hände dorthin zu bringen, wo sie hin sollen – na klar!
Was blieb, war das „Guten Morgen Mama“ und das „Gute Nacht Mama“, Weihnachten unterm Tannenbaum, Geburtstagsfeiern und auch die eine oder andere Streicheleinheit, wenn sich die Tränen nicht mehr halten ließen. Die vielen Fragen und Sorgen, muss Gundula mit Wehmut denken, die ich gern mit ihr diskutiert hätte, blieben ersatzlos auf der Strecke liegen!