Einladung ins Christentum - Ulrich Lüke - E-Book

Einladung ins Christentum E-Book

Ulrich Lüke

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Beschreibung

Das Christentum kennenlernen – über seine Feste

Über die Feste im Jahreslauf ist das Christentum bis heute in unserer Gesellschaft präsent. Daher geht dieses Buch einen besonderen Weg: Es nimmt die Feste und Festzeiten im Jahr zum Anlass, darüber nachzudenken, was Christsein bedeutet. Viele kleine Einladungen ins Christentum sind so entstanden – informativ, anregend und unterhaltsam.

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Inhaltsverzeichnis
 
Vorwort
 
VOR-WORT IN GOTTES NAMEN
Pi oder der Name Gottes
Credo in- und auswendig
Vitamin B wie Beten
 
Copyright
Vorbemerkung
Ist das Christentum einladend? Um das zu beantworten, müsste man wohl erst fragen, wer oder was das Christentum genau ist. Schließlich gibt es, Gott sei’s geklagt, Hunderte von christlichen Glaubensgemeinschaften, Christentümern oder gar Christentümeleien.
Sind wenigstens wir Christen einladend? Um das zu beantworten, käme man um eine Einzelfallprüfung kaum herum. So gerne ich beide Fragen bejahen möchte, es beschleichen mich grundlegende Zweifel. Und die sollen in diesem Buch nicht klein- oder weggeredet werden.
Aber darin bin ich mir sicher: Christus ist einladend. Wie er sensibel auf Menschen zugeht, auch auf die abgeschobenen und missachteten, wie er souverän mit Menschen umgeht, auch mit den reichen und einflussreichen, wie er Gott den Menschen menschlich nahebringt und als Gott den Menschen menschlich nahe ist, das ist einladend.
Wo sich ein Mensch auf das Lebenskonzept Jesu Christi einlässt, da wird er zum Christen. Wo sich viele Menschen auf das Lebenskonzept Jesu Christi einlassen, da entsteht Christentum als Einheit auch über Konfessionsgrenzen hinweg. Und beide, Christen wie Christentum, sind dann und in dem Maße einladend, wie in ihnen der Geist Jesu Christi wirklich und wirksam wird. Am besten laden wir daher wohl ins Christsein und zum Christsein ein. Jesus selbst hat seine unschlüssigen, zweifelnden Jünger berufen mit den lapidaren Worten: »Kommt und seht!« (Joh 1,39). Damit begann für sie ein praxisorientierter Nachfolgeweg, ein Grundkurs des Glaubens im Mitgehen und Mitleben.
Christsein ist nicht erschütterungsresistent, garantiert nicht die stoische Gelassenheit und irritationsfreie Verblüffungsfestigkeit derer, die glauben, sie hätten die ganze Welt verstanden und im Griff, sondern es kommt von Herzen und geht zu Herzen.
Christsein ist ebenso wenig ein akademisch-intellektueller Grund- oder Leistungskurs, aber man kann den Verstand auch nicht beiseitelegen oder gleich unbenutzt links liegen lassen, man muss ihm schon etwas abverlangen, das Hirn ganz in Dienst nehmen.
Christsein ist auch nicht weltanschauungsneutrales, beanstandungsfreies Gutmenschentum in stromlinienförmiger Unanstößigkeit, sondern hat ein gelegentlich scharfkantiges Profil, hat praktische Konsequenzen und verlangt christliche Wert- und Handarbeit von dem, der es zu leben versucht. Kurzum, die Einladung zum Christsein betrifft Herz, Hirn und Hand.
Die meisten ins Christentum oder Christsein einführenden Bücher orientieren sich am Glaubensbekenntnis, um das Ganze zum Ausdruck zu bringen. Dieses Buch orientiert sich am Kirchenjahr, das im Jahreslauf die ganze Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk zu vergegenwärtigen versucht. Insofern enthält diese Einladung zum Christsein den Vorschlag, sich auf einen Glaubenslehrpfad zu begeben, einen praxisorientierten Grundkurs des Glaubens zu starten.
Die Feste des Kirchenjahres bringen das Wesentliche des Glaubens zu Bewusstsein, und sie tun es nicht nur intellektuell im Wort, sondern auch durch den Reichtum ihrer Symbole und Ausdruckshandlungen, durch die heilsame und einprägsame Wiederholung der Identität und Kontinuität stiftenden Erzählungen, durch ihre Trost- und Segensworte.
Man kann bei der Lektüre also dort einsteigen, wo das Kirchenjahr gerade angekommen ist, und das Buch zur Begleitlektüre durch die Zeit machen. Man kann sich vorbereitend in die bevorstehende Zeit des Kirchenjahres hineinlesen und hineinleben. Man kann die verflossene Zeit des Kirchenjahres nachbereitend verinnerlichen und vertiefen. Nicht nur in theologischer, sondern auch in spiritueller Absicht werden die drei großen Zeiten des Kirchenjahres wie in einem Grundkurs des Glaubens durchlaufen: die Advents- und Weihnachtszeit, die Fasten- und Osterzeit, die Zeit im Jahreskreis. Das Kapitel »Baustellen des Christlichen« greift abschließend unsere ethischen Halbheiten bzw. (Un-)Tugenden und unsere noch nicht bestandenen Kämpfe zwischen dem angeblich Nur-Natürlichen und dem Über-Natürlichen auf.
Vielleicht können viele der fragmentarischen Abschnitte wie die Teile eines Hologramms das Ganze des christlichen Glaubens aufscheinen lassen. Und hoffentlich sind, wenn schon nicht alle, so doch viele oder die meisten Beiträge ermutigende Einladungen zum Christsein.
VOR-WORT IN GOTTES NAMEN

Pi oder der Name Gottes

Es gibt kein Volk auf der ganzen Welt und in der ganzen Geschichte, das nicht eine Gottesvorstellung entwickelt hätte. Aber es hat in der Menschheitsgeschichte viele Namen für Gott gegeben. Jede Zeit und jede Kultur hat Gott einen Namen beigelegt: Manitu sagten einige der nordamerikanischen Indianer, Thor oder Wotan nannten ihn die Germanen, von Allah sprechen die Muslime, Zeus sagten die Griechen.
Einen sehr merkwürdigen, vielleicht den merk-würdigsten Namen für Gott bringt die Bibel im alttestamentlichen Buch Exodus 3,14: »Jahwe«. Dieser Name erinnert an eine der Sternstunden menschlicher Gotteserfahrung. Mose fragt den Gott, der ihm im brennenden Dornbusch begegnet, wie er heiße. Und Gott nennt sich Jahwe, das heißt übersetzt: Ich bin der »Ich-bin-da«. Wann immer nun Menschen ihren Gott mit diesem Namen Jahwe anrufen, hören sie schon zugleich seine Antwort mit: »Ich-bin-da«. Gott ist gegenwärtig; die Gegenwart ist von Gott erfüllt.
Wo ist das »da«? Wann ist das »da«? Der Gottesname »Ich-bin-da« gilt nicht nur räumlich. Es gibt keinen wirklich gottverlassenen Ort auf dieser Welt. Überall ist der »Ich-bin-da« gegenwärtig. Der Gottesname »Ich-bin-da« gilt auch zeitlich. Es gibt keine wirklich gottlose Zeit. Jederzeit ist er, der »Ich-bin-da«, nahe. Der von den Nationalsozialisten ermordete Jesuitenpater Alfred Delp (1907-1945) hat einmal so formuliert: »Man kann wohl gottlos werden, aber man kann nicht Gott loswerden.«
Nomen est omen, sagen wir, im Namen liegt eine Vorbedeutung. Und diese Vorbedeutung lässt sich in folgende Worte fassen: Ich, dein Gott, bin da, wo immer du bist, wo immer du mich brauchst. Wenn ich weit weg zu sein scheine, ich bin da. Wenn du dich einsam und von allen verlassen fühlst, ich bin da. Wenn du Gipfel deines Erfolgs und die Freude deines Lebens erfährst, ich bin da. Wenn du bei allen unten durch und am Ende bist, ich bin da. Wo und wann auch immer wir sind, er ist da. Wer oder was auch immer wir sind, er ist da. Zeit und Raum übergreifend ist er ohne Ansehen der Person für uns Menschen da, uns Menschen nah. Ob wir meditierend in uns hineinlauschen oder ob wir forschend die Welt durchspähen, er ist da, verborgen zwar, aber unendlich nah. Er ist das Sein schlechthin.
Manche Menschen stellen die etwas eindimensional geratene Frage: Was habe ich davon, dass Gott da ist, dass er mir nah ist? Bringt mich das der Erfüllung meiner Wünsche näher? Oder ist Gottes Dasein und Nahsein existenziell belanglos?
Die Erfahrung des Daseins und Nahseins Gottes befähigte den lange Jahre von den Nationalsozialisten inhaftierten und schließlich im KZ Flossenbürg ermordeten Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) zu dem bemerkenswerten Wort: »Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott.« Und in dieser festen Überzeugung des Daseins und Nahseins Gottes konnte er auch den Tod bestehen.
Während Philosophen und Theologen des 20. Jahrhunderts definierten, Gott sei der Ganz-Andere, hat der Kardinal, Kirchenreformer und Philosoph Nikolaus von Kues (1401- 1464) schon im 15. Jahrhundert Gott als den Nicht-Anderen bezeichnet. Denn von den anderen können wir uns abgrenzen und absetzen, die anderen können wir uns von der Pelle halten. Der Nicht-Andere, der menschliche Gott, ist uns näher und innerlicher, als wir uns selbst sind. Der »Ich-bin-da« ist auch in mir und in den anderen da. In mir und in den anderen kann ich ihn finden. Gott handelt in mir, an mir und durch mich. Gott handelt im anderen, am anderen und durch andere. Wenn Gott so räumlich und zeitlich gegenwärtig ist, dann kann man sagen, was der zutiefst christlich inspirierte UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1905-1961) immer wieder in seinem Tagebuch notierte: »Numen semper adest.« Immer und in allem ist auch ein Wink des Himmels zu finden. Man muss ihn nur wahrnehmen und deuten.
Auf eine Merkwürdigkeit machte mich einer meiner Seniorenstudenten, ein ehemaliger Mathematiker und Physiker, aufmerksam. Der so merkwürdige Gottesname steht im Buch Exodus Kapitel 3, Vers 14. Mit der Ziffernfolge 3,14 beginnt auch Pi, die ludolphsche Zahl oder Kreiszahl: 3,141592653... Mathematiker sagen uns, das ist eine transzendente reelle Zahl, die das konstante Verhältnis des Umfangs eines Kreises (2πr) zu seinem Durchmesser (2r) angibt. Inzwischen wurde die Zahl π bis auf 1,241 Billionen Stellen hinter dem Komma berechnet. Und man ist auf keine Periode gestoßen und also mit ihr noch an kein Ende gekommen. Milliarden Menschen haben in drei Jahrtausenden über Jahwe, den Gottesnamen in Ex 3,14, nachgedacht und sind mit ihm noch an kein Ende gekommen.
Wenn die Christen über den »Ich-bin-da« nachdenken und vom dreifaltigen Gott sprechen, dann meinen sie keinen anderen Gott. Dann wissen sie: Dieser ist, als Vater verehrt, der Gott über uns, als Sohn verehrt, der Gott mit uns, als Geist verehrt, der Gott in uns. Und immer ist er der unbedingte, unverfügbare »Ich-bin-da« - die Existenz schlechthin, der Grund unseres Lebens und unserer Hoffnung.

Credo in- und auswendig

Auf der Rückfahrt aus meinem Urlaub, ich war zum Wandern und Bergsteigen in Südtirol, kam mir auf der Autobahn in Bayern ein Wegweiser in den Blick und mit ihm zwei alte Leute in den Sinn, die nicht weit von meiner Route wohnten. Ich beschloss spontan, einen Abstecher zu ihnen zu machen. Der alte Mann ist seit Jahren bettlägerig, manchmal auch geistig desorientiert und umfassend pflegebedürftig; die alte Frau, sie ist stark sehbehindert, pflegt ihn hingebungsvoll, obschon sie eigentlich völlig überfordert ist damit. Sie freuen sich riesig über mein Kommen. Wir erzählen einander, was uns so bewegt. Ich frage sie, was sie denn in den langen Stunden des Ans-Haus- oder Ans-Bett-Gefesseltseins so machen, da sie doch nicht mehr lesen können. Da erzählen die beiden, dass sie manchmal miteinander singen. Und auf meine weitere Frage, was sie denn singen, erfahre ich zu meiner Überraschung, dass sie das Gloria, das Sanctus und Benedictus, das Agnus Dei und das Credo, also lateinische Messgesänge, miteinander singen.
Wohlgemerkt, das ist kein Altphilologenehepaar mit einer Obsession für Latein und Griechisch. Keiner von ihnen hat das Gymnasium besucht oder gar studiert. Auf einem Kötterhof leben sie, haben sie ihre Kinder großgezogen, und er hat als kleiner Angestellter in der Kommunalverwaltung gearbeitet. Mit dem Traktor ist er zu den Bauern getuckert, um amtliche Bescheide u.Ä. herumzubringen und zu besprechen. Im nächsten Semester halte ich meine Vorlesung über das große Glaubensbekenntnis. Ich bin mir nicht sicher, ob das irgendeiner meiner Studierenden auswendig und auf Latein singen könnte, aber diese beiden alten Leute, die nie eine Lateinstunde in ihrem Leben besucht haben, können es. Und dann haben wir miteinander das große Credo gesungen.
Dieses große Glaubensbekenntnis ist in jahrhundertelangem theologischen Ringen und kirchlichen Streiten auf den Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) entstanden und zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der ganzen Christenheitsgeschichte geworden. Es ist bis heute die Grundlage und Ausgangsbasis für alle ökumenischen Gespräche. Zunächst einmal formuliert dieses Credo nur eine theologische Erkenntnis über Gott, die wir im Nachsprechen intellektuell nachvollziehen. Darüber hinaus aber formuliert das Credo ein existenzielles Bekenntnis zu Gott, dem wir uns im Leben und Sterben betend anvertrauen. Das Credo ist Erkenntnis und Bekenntnis zugleich.
Ein merkwürdiges Bild: ein alter, dementer, schwer pflegebedürftiger Mann und eine schwer sehbehinderte und von vielen Altersgebrechen gezeichnete Frau singen mit ihrem selten daherkommenden Besucher lateinische Messgesänge.
Aber ich merke, während wir singen, dass sich ein Raum der Geborgenheit auftut und ein umfassender Sinnhorizont aufspannt hinter all dem unübersehbaren Elend von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Demenz, Hilflosigkeit, Schmerz und Traurigkeit. Angesichts der unübersehbaren Hinfälligkeit des eigenen Körpers davon zu singen, dass Gott in unfasslicher Solidarität uns körperlich nah selbst Mensch geworden ist: »et incarnatus est... et homo factus est - und er ist Fleisch... und er ist Mensch geworden«, das ist gelebte Weihnachtsbotschaft. Angesichts des eigenen Leidens zu sagen und zu singen: »crucifixus etiam pro nobis... passus et sepultus est - gekreuzigt wurde er für uns, hat gelitten und ist begraben worden«, das ist das trostvolle Wissen um die Leidens- und Sterbenssolidarität Gottes mit den Menschen. Die Sympathie (wörtlich übersetzt das Mitleiden) Gottes begleitet uns in und trägt uns durch die tiefsten Abgründe menschlicher Existenz, das ist die wohlverstandene Karfreitagsbotschaft. Angesichts des unübersehbar in die Nähe gerückten Todes die Auferstehung Jesu zu besingen: »Et resurrexit tertia die secundum scripturas - Er ist auferstanden am dritten Tag gemäß den Schriften«, das ist christliche Osterverkündigung noch vom Sterbebett aus.
Die beiden alten Leute haben angesichts der Tatsache, dass in diesem Leben nur noch das Ableben bevorsteht, der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass sich im Ableben das Aufleben vollzieht. Die alte Frau und der alte Mann, der aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen kann, erwarten die Auferstehung und das Leben im Namen und in der Kraft Gottes. »Et expecto resurrectionem mortuorum et vitam venturi saeculi. - Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt.«
Augustinus hat gesagt, dass wir das Credo auf dreifache Weise beten: Ich glaube den Gott, den mich Christus lehrt. Ich glaube dem Gott, der mir in Christus als Mensch nahe ist. Ich glaube an den Gott, der in Christus lebend und sterbend sein Heil schenkt. Das und nicht weniger ist es, was die beiden alten Menschen mit Leib und Seele erkennen, was sie mit Leib und Seele bekennen.
Das sagt mir: Es sind nicht nur die bekannten Zeugen aus der Vergangenheit wichtig, deren Knochen in Sarkophagen und Reliquiaren ruhen. Es sind auch die ganz unbekannten Zeugen der Gegenwart wichtig, die alltäglich ihre Knochen hinhalten. Es sind die unbekannten Zeugen wichtig, die heute Kopf und Kragen riskieren, sich das Fell über die Ohren ziehen lassen oder einander ganz selbstverständlich tragen und ertragen.
Von Amts wegen bin ich der theorieprüfende Lehrmeister meiner Studenten. In diesen beiden alten Leuten habe ich zwei praxiserprobte Lehrmeister für mich selbst gefunden.

Vitamin B wie Beten

Zwei Jesuiten sitzen beim Vesperbrot zusammen, als die Zeit des abendlichen Läutens beginnt und sie kommen überein, gemeinsam das Stundengebet zu beten. Da gießt sich der eine noch ein Bier ein. Der andere sagt: »Sag mal, spinnst du? Wir wollen doch beten. Ich habe als Student mal den Exerzitienmeister gefragt, ob man beim Beten rauchen darf. Der hätte mich fast gewürgt.«
Darauf der erste: »Du hast falsch gefragt. Du hättest nicht fragen sollen, ob man beim Beten rauchen darf, sondern ob man beim Rauchen beten darf. Dass man beim Biertrinken beten darf, wird dir kein noch so frommer Exerzitienmeister verwehren wollen.«
Diese Anekdote scheint zu besagen, dass da jemand das Gebet nicht ganz so ernst nimmt, wenn er glaubt, dabei ein Bier trinken zu dürfen. Aber man könnte sie auch so deuten: Es gibt keine Zeit, zu der man nicht beten kann und darf. Es gibt keinen Ort, an dem man nicht beten kann und darf. Es gibt kein Tun, das nicht durch das Gebet zu korrigieren und zu begleiten wäre.
Manchmal habe ich Zweifel, ob die liturgisch durchgestylten, immer gleichen Psalmgesänge mancher Ordenskonvente authentische Gebete sind. Beten heißt schließlich nicht, sich selbst genießen. Beten heißt manchmal eher, sich selbst disziplinieren, und zwar auf Gott hin. Dabei gilt aber: Beten ist nicht Leistungssport, sondern Beziehungspflege um Gottes und des Menschen willen.
Beten heißt manchmal auch, in Gottes Tiefe, Höhe und Weite zur Ruhe kommen und die eigene Tiefe, Höhe und Weite wiederfinden. Aber vielleicht geschieht beides ja auch in den Chorgebeten der Orden.
Was soll man beten? Der große evangelische Theologe Karl Barth (1886-1968) hat die Frage so beantwortet: »Wie man beten soll, das steht in der Bibel; und was man beten soll, das steht in der Zeitung.« Alles kann und soll man ins Gebet nehmen, auch sich selbst. Dass man Dinge durchdenken muss, ist uns geläufig. Dass man sie auch mit und vor Gott durchdenken, also durchbeten sollte, ist in Vergessenheit geraten. Durchbeten Sie also Ihren Alltag, Ihre Ängste und Nöte, Ihre Freuden und Hoffnungen.
Warum soll man beten? Der katholische Religionsphilosoph Romano Guardini (1885-1968) hat seine Einsichten zu dieser Frage so formuliert: »Wir beten nicht, um Gott wissen zu lassen, was wir wollen, denn er kennt unser Herz besser als wir selbst; sondern wer betet, lebt vor ihm, zu ihm hin, von ihm her, gibt Gott, was sein ist, und empfängt, was Er geben will.« Und: »Man kann auf Dauer kein guter Christ sein, ohne zu beten - sowenig man leben kann, ohne zu atmen.« Wenn ein Mensch betet, leistet er nicht Gott einen Dienst ab, sondern nimmt die lebenserhaltende und lebensspendende Dienstleistung Gottes am Menschen entgegen.
Soll man nicht besser handeln, anstatt zu beten?, wird manchmal gefragt. Man hat da einen merkwürdigen Gegensatz konstruiert, den zwischen Beten und Tun, zwischen Aktion und Kontemplation. Dagegen fällt mir meine Großmutter ein, eine Witwe auf einem kleinen Kötterhof von sieben Morgen, bettelarm, alleinerziehend mit vier eigenen Kindern und fünf aus der ersten Ehe ihres Mannes übernommenen Kindern. Sie betete noch beim Melken und bei der gemeinsamen Stallarbeit laut den Rosenkranz vor. Das Falten der Hände ist nicht die Kapitulation des Tatmenschen. Genau umgekehrt ist es: Nicht zu beten heißt, sich der Hilfe Gottes zu berauben. Das Gebet entlastet, denn es legt Gottes Werk in seine Hände und lässt es dort. Und genau das macht die eigenen Hände frei, das Werk zu tun, das mir aufgetragen ist. Und überdies: Das Gebet ist auch eine Tat, und zwar eine, die durch keine andere zu ersetzen ist. »Ein Christ, der aufhört zu beten, legt sich selbst das Handwerk«, sagt treffend Paul Deselaers.
Während in Zeiten, die weit ärmer waren als die unsere heute, Kirchen gebaut und eröffnet wurden, werden heute, also in einer Zeit, die so reich ist wie fast keine zuvor, viele Kirchen geschlossen und abgerissen. Ob die Krisen unserer Kirche - von der Krise der viel zu wenigen Priester- und Ordensberufungen bis hin zur Finanzkrise - nicht im Letzten aus einer Krise des Gebets, also aus der nicht mehr wahrgenommenen
Verlagsgruppe Random House
 
 
Copyright © 2009 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlag: Kaselow Design, München
Umschlagmotiv: Apsismosaik in San Clemente, Rom;
Foto: © akg-images/Pirozzi
Lektorat: Franziska Roosen, München
eISBN : 978-3-641-03630-0
 
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Leseprobe
 

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