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Dieser Band bietet kompetent und unterhaltsam einen Überblick über Geschichte und Geschichten der Elfen und Feen von ihren Ursprüngen in keltischen und nordischen Mythen bis in die Welt der isländischen "Elfenbeauftragten" und von Harry Potter. Mal verstörende, mal zauberhafte Begegnungen mit Naturgeistern oder Gestalten wie etwa den Herrinnen von Avalon ( Artussage), mit Elrond und Galadriel ( Herr der Ringe), Titania und Oberon ( Mittsommernachtstraum) oder auch Peter Pan verheißen Abenteuer und Lesevergnügen. Zugleich wird deutlich, wie jede Epoche ihre eigenen Feen und Elfen hervorgebracht hat – und in den sich wandelnden Vorstellungen vom Übernatürlichen erkennen wir die Ängste und Sehnsüchte der jeweiligen Zeiten bis in unsere Tage.
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Matthias Egeler
Elfen und Feen
Eine kleine Geschichte der Anderwelt
C.H.Beck
Elfen und Feen sind ein fest etablierter Bestandteil der westlichen Populärkultur, doch ihren Ursprung scheinen sie in der nordischen Mythenwelt und der keltischen Mythologie der Britischen Inseln zu haben. Seit den Tagen der Wikinger im Frühmittelalter und der hochmittelalterlichen Artus-Literatur haben sie vielfältige Wandlungen durchlaufen. So begegnen sie uns in den folgenden Jahrhunderten in erstaunlich unterschiedlichen Rollen – beispielsweise als zentrale Akteure in Shakespeares Sommernachtstraum, als heroisches «Anderweltsvolk» in Tolkiens Herr der Ringe, als verniedlichte kleine Wesen in Kinderbüchern wie den Peter-Pan-Romanen, als anderweltliche Umweltschützer in manchen Spielarten zeitgenössischer New-Age-Spiritualität, als die personifizierte übernatürliche Präsenz schlechthin in der rauen Natur Islands und natürlich als unberechenbare Gestalten in der Welt des Harry Potter. Was aber verbindet diese so auffallend unterschiedlichen Wesen? Dieses Buch zeichnet die Geschichte der Elfen und Feen von den Anfängen bis heute nach und erklärt zugleich, wie ihre ganze bunte Vielfalt entstanden ist.
Matthias Egeler ist Professor für Altskandinavistik; nach Jahren in Oxford, Cambridge und München lehrt er nun an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zu den Schwerpunkten seiner Forschung gehören unter anderem altnordische Literatur-, Kultur- und Religionsgeschichte, Literatur- und Religionsgeschichte des mittelalterlichen Irland sowie die Welt der isländischen Volkssagen. Im Verlag C.H.Beck ist vom selben Autor lieferbar: Der heilige Gral. Geschichte und Legende (2019).
1. Einleitung: Zugangsweisen zu Elfen und Feen
Ländliche Elfen und Feen
2. Elfen im ländlichen Island
Das isländische Mittelalter: die álfar
Die erzählte Landschaft der isländischen Neuzeit: das Verborgene Volk
3. Elfen im gälischen Irland
Das irische Mittelalter: die Stämme der Göttin Danu
Die Feenwelt der irischen Volkssage: die Guten Leute
Höfische Elfen und Feen
4. Vom Land an den Hof: Feen und Ritter
Die Feeninsel Avalon und verwandte Anderwelten
Der Nachhall des entrückten Helden: Thomas der Reimer und Tam Lin
5. Vom Hof in die Stadt: zwischen Sommernachtstraum, Hexenwahn und gelehrten Traktaten
Feen in der englischen Literatur der Tudor-Zeit: Edmund Spenser und William Shakespeare
König James I. und die Elfen der schottischen Hexenprozesse
Ein erster volkskundlicher Blick: der «Feenpastor» Robert Kirk
Städtische Elfen und Feen
6. Zwischen Wissenschaft, Dichtung und Malerei: die städtischen Elfen des 19. Jahrhunderts
Künstlerische Innovation im 18. Jahrhundert: Elfenflügel
Die Etablierung der volkskundlichen Elfenforschung
Zwischen Volkssage, Kunst und Literatur: Feenbegeisterung im viktorianischen England
Andere Länder, andere Feen: Deutschland und Irland
7. Weichenstellungen nach der Jahrhundertwende: Elfen und Feen im frühen 20. Jahrhundert von Peter Pan bis zur Fairy Investigation Society
Die (fast) endgültige Verkindlichung der Feen: Peter Pan und Tinker Bell
Die Photographien von Cottingley
Die Fairy Investigation Society
8. Elfen und Feen nach dem Zweiten Weltkrieg: internationale Popkultur zwischen historischem Spiel, Umweltschutz und New Age
J. R. R. Tolkiens «Über Feen-Geschichten» und die Renaissance der mittelalterlichen Elfen
Elfen und Feen nach Tolkien zwischen historischem Stoff, Sozialkritik und Ökologie
Zurück nach Island: die isländische «Elfenbeauftragte» und ein neues Elfenbild
Rück- und Ausblick
9. Der große Bogen und die Zähmung der Feen
Danksagung
Leseempfehlungen und Literatur
Kapitel 1: Einleitung
Kapitel 2: Island
Kapitel 3: Irland
Kapitel 4: Artusliteratur
Kapitel 5: Schottland in der Frühen Neuzeit
Kapitel 6: Städtische Feen im 19. Jahrhundert
Kapitel 7: Weichenstellungen nach der Jahrhundertwende
Kapitel 8: Feen und Elfen nach dem Zweiten Weltkrieg
Kapitel 9: Rück- und Ausblick
Zitatnachweise
Bildnachweise
Register
Für Odele
In einem abgelegenen isländischen Bergtal stürzt ein kleiner Fluss über den Wasserfall Goðafoss in ein tiefblaues Tosbecken. Der lokalen Sage nach soll einst, nach der Bekehrung der Insel zum Christentum im Jahr 1000, der Besitzer des dortigen Bauernhofs die Statuen seiner Götter in diesem Wasserfall versenkt haben; davon trägt er bis heute den Namen Goðafoss, «Wasserfall der Götter». Ein wenig flussabwärts des Wasserfalls liegt ein geothermales Feld, wo die Hitze des isländischen Vulkanismus bis unmittelbar an die Oberfläche reicht und in Form einer Kette warmer Quellen ans Tageslicht sprudelt. Anders als in vielen isländischen Geothermalfeldern befindet sich dort keine Wüste aus kochendem Schlamm, sondern eine leuchtend grüne Wiese mit einem Meer bunter Blumen und Kräuter: die milde Wärme des Bodens hält den Frost fern und lässt auf einigen Hundert Quadratmetern eine ganz andere, viel reichere Vegetation aufblühen als im Rest des Tals. Mitten in dieser Blumenwiese ragen die grauen, verwitterten Ruinen eines Betongebäudes auf. Die Mauern dieses Gebäudes sind um gut anderthalb Meter gegen seine Bodenplatte verschoben. Hier stand einst das Wohnhaus eines blühenden Anwesens. Aber es hieß, dass es auf einem Stück Land errichtet worden war, wo Elfen wohnten; an diesem Land hätte man sich nicht vergreifen dürfen. Der letzte Einödbauer in diesem Tal glaubte jedoch nicht an solche Ammenmärchen und baute ein neues Haus dort, wo die natürliche Erdwärme helfen würde, es während des langen isländischen Winters zu beheizen. Wenige Jahre später traf eine Schneelawine das Gebäude, schob es von seinen Fundamenten und tötete fast alle, die sich darin aufhielten. Die Rache der Elfen war der Tod einer Familie (Abb. 1).
Abb. 1: Die Ruinen des Bauernhauses nahe dem Wasserfall Goðafoss, das auf einer Wiese der Elfen errichtet und von einer Schneelawine zerstört wurde.
In einem anderen isländischen Tal stürzt ein Fluss über einen Wasserfall, der ebenfalls den Namen Goðafoss trägt. Auch dieser Wasserfall ist ein «Wasserfall der Götter», aber er führt mehr Wasser und hat eine Sage, die in der isländischen Geschichte eine weit bedeutendere Position einnimmt – dort soll genau jener isländische Häuptling seine Götterbilder versenkt haben, der dafür verantwortlich war, dass Island als Ganzes im Jahr 1000 die vorchristlichen Götter aufgab und den christlichen Gott als einzigen Gott annahm. Auch an dieser Stelle gibt es, zumindest in manchen Jahren, Elfen: an der spektakulären Flussklamm mit ihren senkrechten Felswänden befindet sich eine kleine Raststätte mit einem Souvenirladen, und wenn man Glück hat, findet man dort in den Verkaufsregalen ganze Bataillone kindlicher kleiner Elfenfiguren mit spitzen Ohren, Blumen in den Händen und Blüten als Mützen auf dem Kopf. Solche kleinen Blumenfeen sind in Island heute fest etabliert, und wer die Insel bereist, wird ihnen immer wieder begegnen.
Wie kommt man von den tödlichen Elfen am einen Goðafoss zu den niedlichen, fast kitschig anmutenden Blumenfeen, die am anderen verkauft werden? Immer wieder trifft man im heutigen Island Varianten beider Formen von Elfen – sei es auf der Beschilderung von Wanderpfaden, auf Landkarten, in den Büchern isländischer Seherinnen und «Medien» oder in historischen Archiven. Dabei liegt zwischen diesen zwei so zutiefst unterschiedlichen Gruppen von Elfen, die heute nebeneinander existieren, eine ganze kleine Kulturgeschichte ihrer Spezies. Das vorliegende Buch wird genau diese Geschichte erzählen.
Die Entwicklungen, die diese beiden Formen von Elfen voneinander trennen, sind dieselben, die die Grundlinien der Kulturgeschichte von Elfen und Feen in Europa im Allgemeinen bilden. Da Island immer in den europäischen Kontext eingebunden war, braucht es einen Querschnitt durch die Kulturgeschichte von Elfen und Feen insgesamt, um die besondere isländische Situation wirklich zu erklären. Der große Bogen dieses Querschnitts beginnt und endet in Island; aber um von den rachsüchtigen Elfen des einen zu den Blumenfeen des anderen Tals zu gelangen, muss man den langen Entwicklungslinien der Kulturgeschichte von Elfen und Feen dort folgen, wo sie sich entfaltet und wo wesentliche Weichenstellungen stattgefunden haben: in Irland, Schottland, England und (gelegentlich) Deutschland und Nordamerika. Denn Elfen und Feen sind ihrem Wesen nach internationale Geschöpfe.
Wie international sie sind, zeigen schon die deutschen Wörter «Elfen» und «Feen»; keines der beiden ist im Deutschen besonders alt. Sie wurden erst im 18. Jahrhundert als Lehnwörter aufgenommen, das eine aus dem Englischen und das andere aus dem Französischen. Der Begriff «Fee» ist das französische Wort fée, da diese Wesen auch in französischen contes de fées («Feengeschichten», «Märchen») überaus beliebt waren und man bei der Übersetzung solcher Märchen den französischen Begriff einfach übernahm. Das Wort «Elf» ist eine Entlehnung des englischen elf, das durch Übersetzungen englischer Literatur (besonders von Shakespeares Sommernachtstraum) im Deutschen eingebürgert wurde. Den Brüdern Grimm, die im 19. Jahrhundert das bis dahin umfassendste Wörterbuch der deutschen Sprache erstellten, war diese Entlehnung zutiefst zuwider, so dass sie sich weigerten, das neue Wort «Elf»/«Elfen» in ihr Wörterbuch aufzunehmen; stattdessen versuchten sie, auf der Grundlage mittelalterlicher Wörter, die zu diesem Zeitpunkt längst außer Gebrauch geraten waren, ein Kunstwort «Elb» zu etablieren. In ihrem Deutschen Wörterbuch setzten sie kurzerhand dieses neue Wort als Lemma ein und polemisierten gegen das englische Fremdwort «Elf» (1859):[1]
elb, m. genius […] habe ich statt des unhochdeutschen elf hergestellt, welches man, des eignen wortes uneingedenk, ohne überlegung, dem engl. elf nachgebildet hatte; elf klingt in unsrer sprache so, als wollten wir kalf, half anstatt kalb, halb sagen […] heutige schriftsteller setzen ohne weiteres im sg. elfe, pl. elfen an […].
Trotz des Abscheus der Grimms hat sich der englische Begriff jedoch durchgesetzt: das Grimm’sche Kunstwort «Elben» wird bis heute nur relativ selten verwendet, und oft nur dann, wenn ein Text besonders archaisch klingen soll. In der Alltagssprache verwendet das Deutsche die englischen und französischen Begriffe. Elfen und Feen gehören im deutschsprachigen Raum nicht einem uralten «germanischen» Volksglauben an, sondern sie sind in gewissem Sinne eine invasive Spezies übernatürlicher Wesen; diese ist vor allem aus den immer schon bestehenden engen internationalen Austauschprozessen hervorgegangen, welche die europäische Kultur- und Religionsgeschichte geprägt haben wie vielleicht nichts sonst. Kultur- und Religionsgeschichte waren beide immer eine Geschichte von Kontakt und Austausch – dies gilt auch im Fall der Elfen und Feen.
Die Kulturgeschichte von Elfen und Feen ist ein internationales Phänomen mit einer Vielzahl von Seitenzweigen und Verästelungen, das immer wieder neue Wendungen genommen hat, von denen manche später ganz unerwartete Folgen zeitigen sollten, während andere im Sand verliefen. Ein kleines Buch wie das hier vorliegende kann nicht alle diese Zweige verfolgen; dafür bräuchte es eine ganze Bibliothek. Wie die Literaturwissenschaftlerin Diane Purkiss festgestellt hat: die Bevölkerung des Feenreichs ist längst zu groß geworden, um alle seine Wesen in einem Band zu behandeln.[2] In diesem Buch biete ich daher nur eine erste Einführung und skizziere einige der wichtigsten Grundlinien der Kulturgeschichte von Elfen und Feen; im Anhang enthält es ferner Leseempfehlungen mit weiterführender Literatur, die es erlauben, in das Thema tiefer einzutauchen.
Die folgenden Kapitel sind in gewissem Sinne hufeisenförmig organisiert und versuchen damit einen Kompromiss zwischen einer historischen und einer typologischen Ordnung: sie folgen in ihrem großen Bogen einer Sequenz historischer Entwicklungen, aber dabei versuche ich zugleich, die Typen herauszuarbeiten, die sich an bestimmten historischen Punkten mit besonderer Deutlichkeit herausgebildet haben und seitdem in der Kulturgeschichte von Elfen und Feen nachhallen.
Das Buch beginnt im traditionellen, ländlichen Island, wo Elfen oder álfar seit der ersten Besiedlung Islands ab dem neunten Jahrhundert präsent sind. Island wurde wohl um das Jahr 850 entdeckt und erstmals von Menschen besiedelt, vor allem von Skandinaviern, die im Frühmittelalter während der Wikingerzeit stark nach Westen expandierten. Diese Westexpansion hatte zuvor bereits zu einer weitreichenden Landnahme in Schottland und Irland geführt, und ein großer Teil der ersten Island-Siedler kam nicht direkt aus Skandinavien, sondern aus dem gälischen Kulturraum in Irland und Schottland. Das hatte zur Folge, dass die isländische Kultur von Anfang an ein starkes gälisches Element enthielt – und dies betrifft auch die Kulturgeschichte von Elfen und Feen, zeigen doch viele isländische Elfensagen und Elemente des traditionellen Volksglaubens über Elfen einen starken Einfluss des gälischen Raums. Nach dem ländlichen Island werde ich mich in diesem Buch daher dem mittelalterlichen Irland und Schottland und dem traditionellen Volksglauben in dieser Region zuwenden; denn vieles, was traditionelle isländische Elfenvorstellungen prägt, stammt von dort.
Nach der Vorstellung traditioneller gälischer Elfenüberlieferungen liegt der thematische Schwerpunkt des Buches für mehrere Kapitel auf den und in der Nähe der Britischen Inseln. Dort kam es zu zentralen Weichenstellungen für die Entwicklung von Elfen und Feen. Meilensteine waren unter anderem die mittelalterlichen Erzählungen über König Artus und die Ritter der Tafelrunde sowie der Nachhall dieser Literatur in späteren schottischen Balladen, aber auch Entwicklungen im England der Frühen Neuzeit, wo William Shakespeare in seinem Sommernachtstraum eines der wirkmächtigsten Werke der Literatur über Elfen und Feen verfasste. Gleichzeitig erschienen Elfen und Feen in schottischen Hexereiprozessen; dabei figurierten sie oft als wesentliche Elemente der Anklage, da viele schottische Hexen (und Hexer) mit diesen Wesen direkten Umgang gehabt haben sollen.
Der schottische Hexenwahn führt uns ins 17. und sogar an die Schwelle des 18. Jahrhunderts. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es insbesondere in englischen Künstler- und Literatenkreisen zu weiteren wichtigen Neuerungen. Erst damals erhielten Feen zum ersten Mal Flügel, und die Brüder Grimm begründeten die volkskundliche Sagenforschung, die auch im englischsprachigen Raum sofort aufgegriffen wurde und dem bürgerlichen, städtischen Kunstbetrieb die Welt der Überlieferungen des «einfachen Volks» erschloss. Dies führte zu einem Aufblühen der künstlerischen und literarischen Beschäftigung mit dem Thema «Elfen und Feen» und legte damit den Grundstein für deren heutige Beliebtheit.
Im frühen 20. Jahrhundert kam es zu Schlüsselereignissen wie der Affäre um die Feen-Photographien von Cottingley, die der Entwicklung von Elfen und Feen nochmals wichtige Impulse gaben und bis heute nachwirken. Während die Vertreter älterer – und insbesondere traditionell ländlicher – Auffassungen Elfen und Feen als machtvolle, oft gefährliche und zumindest ambivalente Wesen konzeptualisiert hatten, wurde deren Sichtweise spätestens zu diesem Zeitpunkt von der Vorstellung in den Hintergrund gedrängt, Elfen und Feen seien kleine, niedliche, mit Blumen und Blüten verbundene Wesen. Damit wurden endgültig die Weichen gestellt, die von traditionellen Elfen, welche aus Rache eine Familie auslöschen können, zu Plastikfiguren kleiner Blumenfeen hinführen sollten.
Gleichzeitig kam es, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, jedoch auch zu einer Gegenbewegung. J. R. R. Tolkien griff bei der Gestaltung seiner Elfen wieder auf mittelalterliche Vorlagen zurück und wandte sich dezidiert gegen die Figur der Blumenfee. Im letzten Kapitel vor dem Schlusswort behandele ich daher zuerst die Entwicklung von Elfen und Feen im Literaturbetrieb des 20. und 21. Jahrhunderts. Dann geht es nach Island zurück, und ich beschreibe, wie die internationalen Entwicklungen wiederum auf Vorstellungen von Elfen und Feen in Island einwirkten. Denn in dieser Zeit kam es zu einer – gewissermaßen zweiten – tiefgreifenden Einflussnahme der Feen der Britischen Inseln auf die Feen Islands: während der Wikingerzeit hatten die damals traditionellen Elfen der gälischen Welt die Elfen Islands mitgeformt; und nun wurden diese gälisch-beeinflussten isländischen Elfen nochmals von den Elfen und Feen überformt, zu denen die Elfen der Britischen Inseln sich im dazwischenliegenden Jahrtausend entwickelt hatten. Diese zweite, moderne Überformung der isländischen Elfen bringt uns zu den Elfen der isländischen «Elfenbeauftragten» Erla Stefánsdóttir und damit zum anderen Ende des Hufeisens.
Neben einer Hufeisenform – von Island nach Irland und Großbritannien und dann wieder zurück nach Island – vollführt das Buch noch eine weitere Bewegung: nämlich vom Land in die Stadt. Die Kulturgeschichte von Elfen und Feen ist eine Geschichte von Kulturkontakten und internationalem Austausch. Zugleich ist sie auch die Geschichte einer Umdeutung traditionellen ländlichen Volksglaubens durch ein städtisches Publikum, das die ländlichen Ideen an ganz andere Lebensumstände, Probleme und Interessen anpasste; dabei spielte die mittelalterliche höfische Literatur eine wichtige Rolle als Trittstein und Zwischenstufe. Man könnte die Geschichte von Elfen und Feen daher auch als die Geschichte einer Verlagerung ländlicher Sagen erst an aristokratische Höfe und dann vom Hof in die Stadt und in ein bürgerliches Umfeld beschreiben. Von diesem allgemeinen Trend gibt es eine Vielzahl von Ausnahmen, und im Einzelfall sind komplexe Gemengelagen häufiger als einfache, geradlinige Entwicklungen; aber als allgemeiner Trend bildet die Verschiebung «vom Land in die Stadt» eine wichtige Grundlinie in der Entwicklung von Elfen und Feen.
Zum Abschluss dieser Einleitung sei noch ein kurzes Wort zum Gegenstand dieses Buchs gesagt: Die folgenden Kapitel bieten einen Querschnitt durch die Kulturgeschichte einer Gruppe von Wesen, die in ihren Heimatländern traditionell mit dem romanischen Wort «Fee» (französisch fée) und dem – im sprachhistorischen Sinne – germanischen Wort «Elf» bezeichnet werden. Im heutigen Deutschen ebenso wie im heutigen Englischen sind «Fee»/«fairy» (die beide letztlich aus dem Französischen stammen) und «Elf»/«elf» traditionell weitgehend synonym, auch wenn sich seit Tolkien ein Trend zu etablieren scheint, «Fee» eher mit ihrer kleinen, geflügelten Variante und «Elf» eher mit Tolkiens menschengroßen, heroischen Wesen zu assoziieren. Das Irische verwendet als keltische Sprache andere Bezeichnungen, aber im irischen Englischen wird der Begriff «fairies» mit größter Selbstverständlichkeit für die Figuren der einheimischen gälischen Tradition gebraucht. Ebenfalls Teil desselben sprachlichen Komplexes ist das isländische Wort álfur, «Elf», denn álfur ist sprachgeschichtlich eng verwandt mit und bildet das genaue sprachliche Äquivalent zum englischen «elf» (und deutschen «Elf»): das Isländische, Englische und Deutsche sind alle drei Sprachen der germanischen Sprachfamilie und verwenden in diesem Fall sprachgeschichtlich dasselbe Wort.
Dieses Buch behandelt Feen und Elfen im engeren Sinn insofern, als die Wesen, die seinen Gegenstand bilden, tatsächlich in ihren Heimatländern mit genau diesen Worten oder ihren sprachgeschichtlichen Äquivalenten bezeichnet werden. Nicht Gegenstand dieses Buchs ist hingegen eine allgemeine Geschichte von Naturgeistern. Eine solche Geschichte würde viel weiter und in gänzlich andere Richtungen führen, auch wenn Elfen und Feen ab einem gewissen Punkt ihrer Geschichte als Naturgeister neu interpretiert wurden. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte von Elfen und Feen, ebenso wie umgekehrt Elfen und Feen nur einen Teil einer allgemeinen Geschichte von Naturgeistern bilden würden.
Bei der Beschreibung der Geschichte von Elfen und Feen folgt dieses Buch dem historisch vorherrschenden Sprachgebrauch. Die Bezeichnungen «Feen» und «Elfen» sind Synonyme, die zwar aus zwei unterschiedlichen Sprachfamilien stammen (der romanischen und der germanischen), aber in ihrer Verwendung weitgehend zusammengefallen sind und nur in spezifischen Kontexten unterschiedliche Bedeutungsnuancen entwickelt haben. Im Allgemeinen sind die Begriffe «Elfen» und «Feen» austauschbar und werden in den folgenden Kapiteln auch so gebraucht. Wenn in einzelnen Fällen historische Unterschiede in Nuancen bestehen, lehnt mein Sprachgebrauch sich an die jeweiligen historischen Begrifflichkeiten an, was in solchen Fällen aus dem Kontext heraus deutlich werden sollte.
Wenn man im deutschsprachigen Raum die zwei Worte «Island» und «Elfen» in einem Satz zusammen hört, dann folgt ein weiteres Schlagwort fast automatisch: «Elfenbeauftragte». Die Geschichte der isländischen «Elfenbeauftragten» – des Mediums Erla Stefánsdóttir (1935–2015) – hat in der deutschen Islandwahrnehmung einen prominenten Platz und wirkt auch in Island immer noch nach, vor allem im Tourismus. Die «Elfenkarten», die Erla Stefánsdóttir erstellt hat, werden in der Metropolregion Reykjavík bis heute verkauft.
Wie man sich Elfen vorstellt, ändert sich jedoch sowohl in der Zeit als auch zwischen unterschiedlichen sozialen und geographischen Kontexten. In Island sind drei solche Kontexte grundlegend zu unterscheiden, in denen jeweils eigene Vorstellungen von Elfen vorherrschten: das mittelalterliche Island, das einen durchgehend ländlichen Charakter besaß und in dem es keine Städte gab, dessen Machteliten aber dennoch eine umfangreiche gelehrte Literatur hervorbrachten; die moderne Sagenüberlieferung des ländlichen Raums; und der moderne städtische Raum vor allem der Metropolregion um die Hauptstadt Reykjavík. Die Elfen der «Elfenbeauftragten» gehören dem dritten dieser Kontexte an, dem städtischen Umfeld; sie sind eng mit den niedlichen Plastikfiguren von Blumenfeen verwandt, die man häufig in isländischen Souvenirläden findet. Zu erklären, wie es zu dieser Form von Elfen kam und wie sie nach Island gelangte, wird den größten Teil dieses Buchs füllen, und daher werde ich erst in Kapitel 8 wieder auf sie zurückkommen. Unsere Geschichte von Elfen und Feen beginnt hingegen auf dem Land und im Mittelalter; in den nächsten Kapiteln verfolgen wir dann ihren Weg Schritt für Schritt in die moderne Stadt.
Das mittelalterliche Island hat eine der umfangreichsten volkssprachlichen Literaturen Europas hervorgebracht, aus der uns eine Vielzahl von Sagas, Gedichten, historischen Abhandlungen, geistlichen Texten und Gesetzeswerken überliefert ist. Trotz des Reichtums dieser Literatur erscheinen «Elfen» dort selten und oft nur in unklaren Andeutungen.
Was wir über die mittelalterlichen Elfen Islands wissen, beginnt mit ihrem Namen. In der altnordischen Literatur – d.h. der Literatur des mittelalterlichen Islands und Skandinaviens – bezeichnet der Begriff álfr (Plural: álfar) eine Gruppe von übernatürlichen Wesen. In der derzeitigen Forschung wird überwiegend angenommen, dass das Wort álfr auf eine ältere, indogermanische Wurzel *albh- mit der Bedeutung «weiß, hell» zurückgeht. Der Begriff hat genaue Gegenstücke in anderen Sprachen der germanischen Sprachfamilie; sprachhistorisch ist álfr dasselbe Wort wie altenglisch ælf und althochdeutsch alp, das im heutigen Deutschen im Alptraum weiterlebt. Schon im isländischen Mittelalter war das Wort álfr aber nicht so negativ besetzt, wie die Verwandtschaft mit dem deutschen Alptraum nahelegen könnte. So wird in zwei Gedichten der sogenannten Lieder-Edda das Wort álfrǫðull «Elfenstrahl» als eine poetische Bezeichnung für die Sonne verwendet; das suggeriert, dass die Elfen dieser Zeit mit Licht und Helligkeit assoziiert wurden.
Aus dem nordischen Mittelalter sind kaum Eigennamen von Elfen überliefert; vielmehr werden sie zumeist als ein Kollektiv erwähnt. Die Art, wie die Elfen in der altnordischen Dichtung auftreten, rückt dieses Kollektiv dabei überwiegend in positive Kontexte. In den Preisgedichten der Skaldik (einer Spielart der nordischen Dichtung) werden Elfen regelmäßig in poetischen Umschreibungen für ruhmreiche Krieger verwendet. Dies legt eine positiv besetzte Assoziation mit dem zeitgenössischen Männlichkeitsideal nahe. Eine entsprechende Assoziation mit Frauen erscheint in diesen Zeugnissen hingegen nie; für poetische Umschreibungen preisenswerter Frauen werden Bezugnahmen auf übernatürliche Wesen der Klasse der dísir herangezogen. In der ältesten Schicht der erhaltenen Quellen scheinen die (männlichen) Elfen/álfar somit ein komplementäres Paar mit den (weiblichen) dísir gebildet zu haben. Weibliche álfar sind erst etwas später, im Hochmittelalter, eindeutig bezeugt, vielleicht weil die scharfe Trennung zwischen álfar und dísir zu diesem Zeitpunkt aufgegeben wurde.
Ebenfalls positiv besetzt ist die Verwendung der Elfen in der mythologischen Dichtung der Lieder-Edda. Bei der Lieder-Edda handelt es sich um eine Sammlung von Götter- und Heldenliedern, die im 13. Jahrhundert in einer Handschrift zusammengestellt wurde, die heute als der Codex Regius bekannt ist; darüber hinaus zählt man in der Forschung noch eine Reihe thematisch verwandter Dichtungen zu diesem Korpus. Mehrere dieser Gedichte verwenden die feststehende poetische Formel ása oc álfa, «von den Asen und von den Elfen», um auf die übernatürlichen Mächte Bezug zu nehmen, die die Welt beherrschen. Die Elfen werden damit in die unmittelbare Nähe der Götter gerückt.
In manchen Texten scheinen die álfar sogar mit einer der zwei Götterfamilien der altnordischen Mythologie gleichgesetzt zu werden. Die isländische Literatur des Mittelalters unterteilt die Götter in zwei Gruppen: die Asen (æsir, Genitiv ása) und die Wanen (vanir). In verschiedenen Texten wird der Begriff álfar verwendet, um auf die Göttergruppe der Wanen Bezug zu nehmen; dies ist besonders deutlich im Götterlied Lokasenna. In diesen Texten werden die álfar nicht nur in die Nähe der Götter gerückt, sondern erscheinen als eine Untergruppe der Götter. Eine enge Verbindung zwischen der Welt der Götter und der der Elfen wird auch deutlich, wenn das Götterlied Grímnismál berichtet, dass der Gott Freyr, der zur Göttergruppe der Wanen gehört, Álfheimr als ein Geschenk erhalten habe; denn Álfheimr bedeutet «Welt/Heim der Elfen/álfar».
Das Bild, das die altnordischen Texte bieten, ist aber nicht einheitlich. Andere mythologische Gedichte trennen Asen, Wanen und Elfen als klar voneinander unterschiedene Gruppen. So beschreibt das Gedicht Alvíssmál die verschiedenen Sprachen, die von den Asen, Wanen, Elfen, Zwergen, Riesen und Menschen gesprochen werden, was eine klare Differenzierung zwischen diesen Kategorien von Wesen suggeriert – und nebenbei wohl die Inspirationsquelle für die Sprachen der Elfen, Zwerge und Menschen in J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe war. Ein einheitliches Bild lässt sich aus den Quellen also nicht gewinnen. In dem wenigen Material, das wir zu den Namen von Individuen aus diesen Gruppen übernatürlicher Wesen besitzen, ist diese Unbestimmtheit besonders auffallend. So erscheint der Name Gandálfr («der zauberkundige Elf»), der eigentlich ein Elfenname zu sein scheint und der Tolkien zur Figur des Zauberers Gandalf inspirierte, in einer altnordischen Liste von Zwergennamen. Auch der Name Vindálfr («Wind-Elf») steht in dieser Namensliste. Die Grenzen zwischen Elfen und Zwergen scheinen ebenso unscharf gewesen zu sein wie die zwischen Elfen und Göttern.
Eine ausführliche Erzählung über einen namentlich genannten álfr ist in der altnordischen Literatur nur ein einziges Mal überliefert und bildet den Gegenstand des Eddalieds Vǫlundarkviða. Dieses Gedicht erzählt die Geschichte von Vǫlundr, oder Wieland dem Schmied. Vǫlundr gehört zu den álfar und ist ein Kunsthandwerker ohne Gleichen, dessen Schmiedekunst unübertroffen ist; diese Figur dürfte die Kunstfertigkeit der elfischen Schmiede in Tolkiens Romanen inspiriert haben. Der erste Teil des Gedichts schildert, wie Vǫlundr eine Beziehung mit einer anderweltlichen Frauengestalt eingeht. Nachdem ihn diese Anderweltsfrau verlassen hat, sitzt er nur noch in seinem Heim und schmiedet Kleinode, die er ihr nach ihrer Rückkehr zu schenken hofft. Seine Kunstfertigkeit zieht jedoch Habgier an, und ein König namens Niðuðr nimmt ihn gefangen, lässt ihm die Sehnen seiner Kniegelenke durchschneiden und ihn so lähmen, und zwingt Vǫlundr, für ihn zu arbeiten. Damit bringt der König jedoch Unglück über seine Familie; denn Vǫlundr wartet den richtigen Augenblick ab, und als seine Chance gekommen ist, tötet er die zwei Söhne des Königs, fasst ihre Schädel in Silber ein und verarbeitet ihre Augen und Zähne zu Schmuckstücken. Niðuðrs Tochter macht er betrunken und schwängert sie. Dann erhebt er sich (wie, wird aus dem Gedicht nicht ganz klar) in die Luft. Vom Himmel herab schildert er Niðuðr die Details der Rache, die er an ihm und seiner Familie genommen hat. Dann fliegt er davon und lässt Niðuðr in seiner Königshalle als gebrochenen Mann zurück.
Viele Stellen des Gedichts – einschließlich derer, die Vǫlundr als einen álfr identifizieren – sind sprachlich und inhaltlich schwierig. Eine der offenen Fragen des Texts ist, wie die Grausamkeit von Vǫlundrs Rache sich zum sonst so überwiegend positiven Bild der álfar in der altnordischen Literatur verhält. Die Forschung hat diesem problematischen Gedicht vielfältige Interpretationen angedeihen lassen. Ein Deutungsansatz betont, dass Vǫlundrs Verhalten sich insofern im Rahmen der normalen Verhaltensmuster «positiver» Figuren der altnordischen Literatur bewegt, als er sich keiner unprovozierten Aggression schuldig macht. Vǫlundrs Handlungen sind reine Reaktion auf ihm zuvor angetanes Unrecht – und wenn seine Rache für heutiges Empfinden weder die eigentlichen Schuldigen trifft noch eine Verhältnismäßigkeit wahrt, so ist dies innerhalb der altnordischen Erzählkultur nichts Ungewöhnliches. Als Geschichte über einen álfr stellt das Gedicht Vǫlundr somit insgesamt als einen kunstreichen Schmied dar, der nicht intrinsisch bösartig ist, aber dessen Rache furchtbare Ausmaße annimmt. Diese Idee der Rache der álfar ist ein Motiv, das Echos noch in isländischen Sagen der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit findet; der zerstörte Hof am Wasserfall Goðafoss ist nicht das einzige Beispiel, auf das wir noch zurückkommen werden.